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THOR und der Gott des Feuers: Ein fesselnder Science-Fiction-Roman mit mythischer Tiefe
THOR und der Gott des Feuers: Ein fesselnder Science-Fiction-Roman mit mythischer Tiefe
THOR und der Gott des Feuers: Ein fesselnder Science-Fiction-Roman mit mythischer Tiefe
eBook375 Seiten4 Stunden

THOR und der Gott des Feuers: Ein fesselnder Science-Fiction-Roman mit mythischer Tiefe

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Über dieses E-Book

Deutschland nach der atomaren Apokalypse
Keiner kennt die Wurzeln von Cee – er scheint ein Findelkind zu sein. Von klein auf ist er ausgesprochen mutig und freiheitsliebend, was ihn zum geborenen Anführer macht. Deshalb ist er es auch, der die Mitglieder der Bikergang Thor zum ersten Mal seit Jahrzehnten aus dem Bunker führt. Doch in einer Zeit, in der zahllose rivalisierende Banden mit Strahlung, Nahrungsknappheit und zerschlagenen Hierarchien kämpfen, hat jeder Anführer eine Herkulesaufgabe vor sich. 
Der scheinbar unverwundbare Gladiatoreskrieger Zeno fühlt sich all dem aber mehr als gewachsen. Er versteht sich als Sohn eines neuen Gottes und versucht mit seinem Feuerkult die zerstreuten, elendszermürbten aber dennoch kampflustigen Banden zu einen. Dazu sucht er rätselhafterweise immer wieder die Nähe zu seinem größten Gegner: Cee. 
Um Thor auf seine Seite zu ziehen, braucht Zeno jedoch eines mehr als alles andere: Cees Jugendliebe Eve. Die rebellische Ärztin weiß sich zwischen Krieg und Gewalt jedoch sehr gut selbst zu behaupten – besser als so manch Anderer, dem diese futuristische Welt, die langsam aber stetig ins Mittelalter abdriftet, zu schaffen macht. 
Ein nordischer Mythos in einer postapokalyptischen Zukunft.
Diese Science-Fiction Dystopie könnte aktueller nicht sein!
SpracheDeutsch
HerausgeberPrimero Verlag
Erscheinungsdatum13. Feb. 2023
ISBN9783981973280
THOR und der Gott des Feuers: Ein fesselnder Science-Fiction-Roman mit mythischer Tiefe
Autor

Christoph Fromm

Christoph Fromm, 1958 in Stuttgart geboren, wurde als Drehbuchautor durch seine Kinofilme „Treffer“, „Spieler“ und „Die Katze“ bekannt. Sein Dreiteiler „Die Wölfe“ wurde mit dem Emmy Award und dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Während seiner Professur an der Filmakademie Baden Württemberg gründete er im Jahr 2006 den Primero Verlag in München, um sich fortan dem Romanschreiben zu widmen. Neben besonderen Kinderbüchern, die auf leichte und kindgerechte Art und Weise schwierige Themen wie Flucht und Rassismus vermitteln, hat sich Fromm auch in den verschiedensten Genres der Belletristik hervorgetan. So ist zum Beispiel sein erschütternd-mitreißender Historienroman „Stalingrad – die Einsamkeit vor dem Sterben“ nicht nur bei Leser*innen, sondern auch bei Hörer*innen seines wöchentlich erscheinenden Podcasts sehr beliebt. Auch der Wirtschaftsthriller „Die Macht des Geldes“, die Anglergroteske „Amoklauf im Paradies“, die Satire „Das Albtraumschiff ̶ Odyssee eines Drehbuchautors“ und die Science-Fiction Dystopie „Thor und der Gott des Feuers“ konnten das deutsche Publikum begeistern. Mit „Die Mur checkt‘s nicht“ wagt sich Fromm nun erfolgreich in ein neues Genre, das des Coming-of-Age Romans.

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    Buchvorschau

    THOR und der Gott des Feuers - Christoph Fromm

    Prolog

    Sie hatten bei dem Überfall fünf Mann verloren. Fünf Krieger, die ersetzt werden mussten, damit sie wieder auf eine Kampfstärke von exakt 400 kamen. Das war die magische Zahl, die Gattos großer Meister für sein Elitebataillon einforderte. Gatto, ein blonder Hüne mit kantigen Gesichtszügen, hatte seinen Namen von einem kleinen Kätzchen, das er auf einem ihrer Streifzüge erobert hatte und das er liebevoll pflegte. Mit dem Vorbesitzer war er weniger gnädig umgegangen. Einige der Männer behaupteten, dass er das Kätzchen mit dessen Fleisch gefüttert habe. Das Kätzchen war auf jeden Fall genauso unberechenbar wie Gatto. Insofern passten die beiden hervorragend zusammen. Gatto und die anderen Männer hatten mit ihren Bikes einen großen Kreis um die elf Gefangenen gezogen, die sie bei der Eroberung des Tanklastzugs gemacht hatten. Sprit brauchten sie, um beweglich zu bleiben, um Sprit drehte sich alles. Sie hatten die Helme ihrer ABC-Schutzanzüge abgenommen, da ihr großer Meister ihnen versichert hatte, sie befänden sich an einem der magischen Orte, an denen die Strahlenbelastung wieder erträglich sei. Jetzt trat Zeno in die Mitte des Kreises. Gatto und seine Männer wussten, der Name ihres Anführers bedeutete in einer fremden Sprache: Der Mann, der vom Himmel fiel. Genau das war Zeno für sie: Ein Außerirdischer, unverwundbar, unbesiegbar, unantastbar.

    Er war unbewaffnet, ebenso wie seine elf Gefangenen. Seine Männer waren gespannt, was er sich heute für das Aufnahmeritual ausgedacht hatte. Zeno entzündete ein Streichholz und lächelte sie an, während die kleine Flamme zu ersterben drohte. Bevor sie erlosch, spie er eine Flüssigkeit in den Nachthimmel, einige Tropfen verfingen sich im ersterbenden Feuer, das blitzartig zu neuer Größe aufloderte. Zenos Feueratem schoss auf die Gefangenen zu, die entsetzt zurückwichen. Er lenkte das Feuer auf seine eingeölten Arme und Beine und stand in Flammen vor seinen Männern. Mit katzenhafter Geschwindigkeit stürzte er sich auf sein erstes Opfer und tötete es mit einem einzigen Genickschlag. Unter dem frenetischen Beifall seiner Männer wiederholte er das Ritual, bis die Flammen auf seinem Körper erloschen. Fünf hatten überlebt. Sie würden die Verluste in seiner Truppe ersetzen. Keiner weigerte sich. Alle schworen Zeno den Treueeid und pressten die Stirn auf seine Hände, die unversehrt waren, wie der Rest seines Körpers.

    Nachdem Zeno den rhythmischen Applaus seiner Männer entgegengenommen hatte, beglückwünschte ihn auch Gatto, sein erster Untergebener. Zeno musterte ihn spöttisch.

    »Willst du auch mal den Zauberer spielen?«

    Gatto schluckte vor Begeisterung.

    »Darf ich wirklich?«

    »Wenn du dein Kätzchen nicht verbrutzelst. Das ist nur Zirkus für Kinder. Wir müssen besser werden. Viel besser.«

    Den Schlag auf seine Schulter spürte Gatto bis in die Fußsohlen.

    »Diese Welt duldet keine Verlierer.«

    Das Kätzchen fauchte.

    1

    Niemand kannte seinen Namen. Sie nannten ihn »Cee«, aber wofür das C stand, wusste nicht einmal er. Die anderen hatten wenigstens Namen: Wolf, Ratz und Hipp saßen vor der ausgebrannten Ruine eines Supermarkts und blinzelten hinter ihren dunklen Schutzbrillen über den von Granattrichtern übersäten Parkplatz in die Sonne. Das Licht war nicht stark, aber zu stark für jemanden, der sein Leben hauptsächlich in einem spärlich beleuchteten Bunker verbracht hatte. Es war beinahe wie eine zweite Geburt, endlich einmal ohne Luftfilter zu atmen. Das ölige Wasser ließ die Granattrichter aussehen wie Augen, die tückisch jede menschliche Bewegung überwachten. Die Sonne bohrte zwar wieder einige dünne Strahlen durch den kilometerdicken Ring aus Asche, universalem Schrott und Fallout, aber ihr Licht war das kalte, kraftlose Lächeln einer Schwerkranken, das kaum die Haut erwärmte. Es war der siebte Tag, seitdem sie das erste Mal ohne Schutzanzüge die Bunkeranlagen verlassen hatten, diese aus grauem Beton gegossenen Gänge und Räume, ein vibrierendes Nervengeflecht im Schädel des Bergs, das, seitdem sie denken konnten, ihr Zuhause gewesen war. Tief unter der Erde hatten sie die Atompilze überlebt, unterhalb einer Raubritterburg, die Jahrhunderte bevor sie mit neuem Krieg überzogen wurde, bereits eine finstere, rußgeschwärzte Ruine gewesen war. In ihrem Labyrinth waren sie zu neuen Raubrittern herangewachsen, gemeinsam mit ungefähr 200 anderen, die widerstandsfähig genug gewesen waren, um die Strahlendosis von bis zu 50 Gy zu überleben: Mit Konserven, deren Verfallsdatum irgendwann abgelaufen war, und Wasser, das aus unterirdischen Rinnsalen tröpfelte und die Geigerzähler auf bis zu 40 Kilobequerel ausschlagen ließ. Seit einigen Wochen zeigte das Wasser nur noch fünf Kilobequerel an und die Strahlendosis war auf 120 Millisievert gesunken, falls ihre jahrzehntealten Messinstrumente stimmten. In ihrer letzten Versammlung, die sie »Thing« nannten und vor zehn Tagen abgehalten hatten, hatte die Mehrzahl der Mitglieder von »Thor« zugestimmt, das Restrisiko, das mit der Strahlung verbunden war, einzugehen und zu einem Leben über der Erde zurückzukehren.

    Es blieb ihnen auch nichts Anderes übrig. Die Konserven, die Thors Krieger, geschützt durch ABC-Anzüge, auf ihren Streifzügen erbeutet hatten, gingen endgültig zur Neige und die Abgesandten der verbündeten »Gladiatores« am Unterlauf des großen Flusses hatten den drei Brüdern bei ihrem letzten Besuch und Warenaustausch zu verstehen gegeben, dass sie Thor zwar als treuen Verbündeten schätzten, aber selbst keine Konserven mehr besaßen und Thor, wie alle anderen auch, sich ernsthaft mit Ackerbau befassen müsse.

    Der Fluss würde dabei keine Hilfe sein. Alle nannten ihn Veleno, weil er nur noch eine stinkende Kloake war, in der missgestaltete Fische und übergroße Echsen, die seit Jahrmillionen jeder Vernichtung und jedem Gift trotzten, ihr Unwesen trieben. Für eine Bewässerung kam er nicht infrage. Die Strahlung verseuchte Luft und Erde sehr unterschiedlich. Die Supermarktruine und ihr Parkplatz am Fuß des Burgbergs waren relativ sauber, aber insgesamt war der Boden rund um die Ruine immer noch gefährlich stark kontaminiert. Deshalb hatten die Gladiatores Thor ein Tauschgeschäft in Aussicht gestellt: Zwei Zwanzigtonner mit sauberer Erde gegen zwei Tanklastzüge voller Diesel oder Normalbenzin, nach wie vor die wichtigsten Flüssigkeiten neben trinkbarem Wasser, wobei trinkbar in diesen Zeiten alles war, woran man nicht umgehend verstarb.

    Obwohl keiner wissen konnte, ob dieses lebensgefährliche Unternehmen gut für sie ausgehen würde, hatten die vier im Augenblick blendende Laune. Das lag an den Bikes, die trotz der kümmerlichen Sonne vor ihren Augen glänzten. Keine verdreckten Crosser, die sie auf ihren Raubzügen benutzten und an denen alles krumm und verbogen war. Diese edlen Konstruktionen aus Stahl und Titan, die ihr Vater und ihr ältester Bruder Tommi in jahrelanger Arbeit aus den Trümmern ehemaliger Rennmaschinen gebaut hatten, ließen sie in tiefe Bewunderung versinken.

    Jeder hatte seinen Liebling: Cees Augen wanderten den aus dem Vollen gefrästen Rahmen seiner divenhaften Rakete entlang, Ratz bewunderte einen blutroten Tank, Wolf und Hipp reservierten ihre erotischen Gefühle für robuste PS-Hämmer allererster Güte.

    Sie kannten jeden Winkel, jede Metallvertiefung, jede Schraube dieser Bikes. Ihr Vater hatte sie in die Wartung eingewiesen, bis sie die Maschinen im Schlaf zerlegen und wieder zusammenbauen konnten. Beide, Tommi vor über zwanzig, ihr Vater erst vor zwei Jahren, waren gestorben, trotz Schutzanzug zerfressen von den radioaktiven Substanzen, denen sie sich immer wieder aussetzen mussten, um ihren Bunker gegen Eindringlinge zu verteidigen und Lebensmittel zu besorgen. Aber diese Bikes waren geblieben und funkelten in der Sonne.

    Heute war ein besonderer Tag.

    »Schöne, frische Luft«, flüsterte Cee. Seine Stimme klang heiser, wie das Zischen einer der Schlangen, die sie manchmal auf den staubtrockenen Pisten überfuhren. Keiner wusste, ob seine Heiserkeit der Beginn einer gefährlichen Krankheit war. Man wusste nicht viel, außer ob man lebte oder starb. Medikamente und Fieberthermometer gab es nur noch für die Schwerkranken und an den Geschmack der Jodtabletten, die sie als Kinder bekommen hatten, konnten sie sich kaum noch erinnern. Das beste Medikament gegen die Radioaktivität war der selbstgebrannte Wodka der Gladiatores, der mit echtem Vorkriegswodka, den sie sich nur noch in den seltensten Fällen organisieren konnten, nicht mehr viel zu tun hatte. Er brannte wie die Hölle, ein Vorgeschmack auf das Jenseits. Cee hustete, grinste. Die Lippen der anderen folgten. Sie alle konnten über die Krankheit, den Tod lachen. Das war die beste Möglichkeit zu überleben. Nicht von Angst zerfressen im Bunker zu vegetieren wie der Erzeuger von Wolf, Ratz und Hipp, dem am Schluss wahrscheinlich nicht einmal die Radioaktivität, sondern die Panik vor der großen, endgültigen Dunkelheit zum Verhängnis geworden war.

    Jeden Tag bereit sein zu sterben! Wolf, Ratz und Hipp versuchten, nach diesem Motto zu leben, aber verinnerlicht hatte es nur Cee. Das wussten die drei Brüder und deswegen bewunderten sie Cee wie einen Freund und fürchteten ihn insgeheim wie einen Feind.

    »Wer zuerst bremst, stirbt als Zweiter!« Cee schwang sich auf sein Bike, seine Hände umfassten kurz die nagelneuen Gummigriffe des Lenkers. Er drehte den Zündschlüssel und startete den Motor mit einigen kurzen Gasstößen, die wie dumpfe Glockenschläge aus einem Lichtjahre entfernten Bikeruniversum klangen. Der bereits kahle Wolf, dessen knochige Gesichtszüge einen eher unentschlossenen Geist verbargen und der lieber in Büchern las, als Befehle zu erteilen, rollte seine Maschine mit giftigem Fauchen neben Cee. Ratz, in dessen hübschem Gesicht alles etwas zu groß geraten war, folgte mit seiner dunkel grollenden Zweizylinder-Schönheit und Hipp, der Jüngste, der sich bis vor drei Jahren ausschließlich von Babynahrung ernährt hatte und der ein unnachahmliches Talent besaß, immer die richtigen Dinge zum falschen Zeitpunkt zu sagen, fuhr seinen PS-Hammer, der, wie seine gesamte Kleidung, zwei Nummern zu groß für ihn geraten war, neben sie.

    Die ganze Woche hatten sie ihren Rundkurs ausbaldowert, gereinigt, gepflegt. Die Schikane zwischen zwei ausgefransten Granattrichtern war der erste riskante Punkt, gefolgt von einer Kehre mit glattem, schlechtem Asphalt, aus der man direkt auf den nächsten Tümpel zuraste, bevor man scharf rechts in eine tückische Bodenwelle abwinkeln musste. Der gesamte Kurs über den Parkplatz maß nicht mehr als 800 Meter, aber er hatte es in sich, wie sie bei einigen Proberunden festgestellt hatten.

    Das war etwas Anderes als die Crossbikes, mit denen man zwar mühelos einen Zwanzig-Meter-Satz hinlegen konnte, aber nicht mit 170 PS auf dem Hinterrad aus einer Erster-Gang-Kehre rausbeschleunigen. Sie stülpten die Helme über, rollten nebeneinander an den Start, der durch einen Erdwall neben dem schmalen Asphaltband markiert war. Warfen sich verstohlen letzte Blicke zu, die den Grad an Mut und Angst in den Augen des anderen abschätzten. Eigentlich waren die Bikes viel zu schade, um sie auf so einem Micky-Maus-Kurs zu verheizen, Juwele, die einen Platz im Museum verdienten, andererseits waren sie lange genug sinnlos herumgestanden. Jetzt ging es darum, die Kraft der Motoren, die Elastizität des Fahrwerks durch die traumatisierten, schmerzgepeinigten, erkalteten Zellen ihrer Fahrer zu jagen, bis alles wieder voller Leben und Wildheit glühte.

    Der rhythmisch zunehmende Applaus ihres Publikums spornte sie zusätzlich an. Alle, bis auf die paar Psychos und Intelligenzbestien, die sich nicht aus dem Bunker trauten, waren gekommen. Eine Meute aus zahnlosen Zwanzigjährigen, deren Gesichter von jahrzehntelangen Entbehrungen gefaltet waren und vor deren ausgemergelten Körpern dürre, schmutzige Kinder ihren Helden triumphierend die Fäuste entgegenreckten. Denn Wolf, Ratz und Hipp waren nicht nur drei junge Typen, die gleich auf coolen Bikes durchstarten würden, sie waren auch die Söhne ihres Vaters, dem »Million-Dollar-Herbie«, dessen Baumaschinenimperium sich über fast alle Länder erstreckt hatte, die unter Nukleareinschlägen begraben worden waren. Auch wenn sein Ende im Bunker, bei dem sein jüngster Sohn Hipp ihm versichern musste, dass er garantiert in den Himmel komme, ziemlich jämmerlich verlaufen war, hatten seine Bau- und Zugmaschinen, vor allem die kettengetriebenen, Thor eine Vormachtstellung über das gesamte Gebiet gesichert. Sie konnten auch größere Container und Tanks relativ rasch durch unwegsames Gelände und sogar durch mittelgroße Flussläufe schleppen, wobei sie bedeutend weniger Sprit verbrauchten als Panzer, die rasch als unwirtschaftlich und wenig effektiv im asymmetrischen Partisanenkrieg, der seit dem letzten Nukleareinschlag vor zwanzig Jahren tobte, aussortiert worden waren.

    Hipp war seinem Charakter auch in den letzten Stunden seines Vaters treu geblieben. Nachdem er dem Alten die übliche Mixtur aus Walhalla und Rauschebartparadies aufgetischt hatte, die der gerne hören wollte, ohne allerdings echte Freude auf das Jenseits zu entwickeln, hatte Hipp sich mit einem Stoßseufzer zu dem Satz verstiegen: »S’ Beste wär doch, du siehst und spürst nie mehr was.«

    Sein Alter hatte ihn daraufhin zu allen germanischen und christlichen Teufeln gewünscht und nach seiner Tochter Eve verlangt, doch die hatte er längst zum Studium der Medizin ins 600 Kilometer entfernte Roka geschickt, und selbst wenn sie mittlerweile die beste Ärztin der Welt geworden wäre, hätte sie ihm nicht mehr helfen können. So starb der »Million-Dollar-Herbie« ziemlich einsam und fasste sein Ende mit einem wahren Wort zusammen: »Scheiße!«

    Er hinterließ ein Imperium, das sich in den ersten Jahren, nachdem eine der großen Bomben seinen Firmensitz samt umgebender Kreisstadt dem Erdboden gleichgemacht hatte, unter dem massiven Druck seiner drei Söhne vom biederen Familienunternehmen zur kriegerischen Gang »Thor« geformt hatte und den erfinderischen »Herbie« zum legendären »Duke« mutieren ließ. Den Rockerclub Thor hatte es bereits vor dem Krieg gegeben, aber da war er nur eine Ansammlung von wilden Bikern, Rausgeworfenen und nie Eingestellten vom »Herbie« gewesen, wie ihn die Rocker von Thor, denen man ihre Vorliebe für Speed in der Nase und auf dem Asphalt nicht austreiben konnte, damals abschätzig nannten.

    Seine Söhne hatten im Bunker rasch die Anerkennung der überlebenden Thor-Biker gesucht, denn das waren die, die im Ernstfall den Kopf hinhielten und ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit ein Revier verteidigten, das mit Geld und Gesetzen nicht mehr zu sichern war.

    Der Duke hatte feststellen müssen, dass eine Rockergang, ergänzt durch versprengte Soldaten und marodierendes Gesocks, deren kriminelles Potenzial wie Schimmelpilz in den Bunkeranlagen wucherte, weitaus schwieriger zu beherrschen war als ein Firmenimperium in friedlichen Zeiten. Gesetze wurden nur akzeptiert, wenn sie basisdemokratisch und mehrheitlich beschlossen worden waren, dann allerdings mussten sie mit eiserner Konsequenz durchgesetzt werden, sonst verlor man jeglichen Respekt. Deswegen hatte man das »Thing« ins Leben gerufen, an dem alle Frauen und Männer ab sechzehn gleichberechtigt teilnahmen. Das hatte der damals gerade mal achtzehnjährige Cee vorgeschlagen und der alte Duke war clever genug gewesen, seinem Rat zu folgen. Im Gegenzug hatten seine drei Söhne allerdings darauf bestanden, dass keine Frau und vor allem nicht ihre Schwester Eve Zugang zum »Duketalk« erhielt, in dem der alte Herbie und seine drei überlebenden Söhne bestimmten, welche Gesetzesvorschläge und Pläne wie umgesetzt wurden. Da ergaben sich immer wieder interessante Spielräume, wenn man klug genug war, sie der Gemeinschaft als Mehrheitswillen zu verkaufen. Darin hatte es der alte Duke rasch zu höchster Meisterschaft gebracht. Er war immer wandlungsfähig gewesen, das war der Hauptgrund für seinen Erfolg. Nachdem er vor nahezu dreißig Jahren mit den traurigen Resten der Bevölkerung im Bunker gelandet war, hatte er rasch seine biederen Geschäftsanzüge durch eine von ihm entworfene Thor-Kutte und enganliegende Lederhosen ersetzt, die in goldenen Crosserstiefeln steckten, welche er jeden Monat mit neuem Glanz überzog. Der Duke wusste aufzutreten, das musste man ihm lassen. Sein Haarschnitt reduzierte sich auf ein rotes Büschel, das in der Mitte seines Schädels wie Unkraut in die Höhe schoss. Die Reste ehemaliger NATO-Soldaten und Rocker hatte er zu Kriegern ernannt.

    »Soldat ist ein Beruf«, hatte er den vernarbten, von Granaten zerhauenen und vom Krebs zerfressenen Gesichtern zugerufen, »Krieger ist eine Berufung, von der Wiege bis zur Bahre!« Gemeinsam hatten sie auf das Emblem der frisch zugeschnittenen Thor-Kutten gepisst: Einen Totenschädel, der von einem Schmiedehammer zertrümmert wurde.

    Wenn der Duke gut gelaunt war, gab er zu, dass er viel von Cee gelernt hatte, der trotz seiner Jugend mit seiner ruhigen, besonnenen Art weniger durch Worte als durch Taten bereits höchstes Ansehen innerhalb der Gemeinschaft genoss. Der Duke hatte nie jemandem erzählt, woher der Säugling damals gekommen war.

    Cees schwarze Augen hatten die Welt von Anfang an mit undurchdringlicher Ruhe gemustert, als könnte sein Blick zu ihren tiefsten Geheimnissen vordringen.

    »Du und dein Röntgenblick«, hatte Eve ihn bereits als Fünfjährige geneckt.

    Als Eve sechzehn war, hatte der mittlerweile dreiundzwanzigjährige Cee dem Duke vorgeschlagen, Eve in den Duketalk aufzunehmen, als Balance zu Wolfs Jähzorn, Ratz’ ungezügelter Vorliebe fürs andere Geschlecht und Hipps Neigung zu Rauschmitteln aller Art.

    Der Duke hatte den hageren, ernsten Thor-Krieger mit dem unergründlichen Blick lange gemustert. Natürlich war ihm schon lange klar, dass Cee Eve mochte, mehr als ihre drei Brüder.

    »Eine Frau unter drei Männern, das gibt nur Streit.« Er lächelte kurz. »Du wirst der vierte Mann sein. Eve wird uns auf andere Art helfen.«

    So war Cee unfreiwillig für Eves Abschied verantwortlich gewesen. Der Duke und zehn ausgewählte Krieger hatten Eve nach Roka gebracht, der neuen Hauptstadt der Gladiatores am Ostufer des Veleno, nachdem die Gang der Falkuns sie aus der heiligen Stadt auf der anderen Seite des großen Kavallagebirges vertrieben hatte. Eve sollte an der Università Medicina, die die Herrin der Gladiatores, Donna Giulia, gegründet hatte, zur Ärztin ausgebildet werden. Thor brauchte dringend eine Ärztin, um die Operationssäle im Bunker sinnvoll nutzen zu können. Die Reise war nicht gut verlaufen. Der Duke und seine Leute waren auf dem Rückweg von einer Patrouille der Falkuns angegriffen worden, die bereits damals auf der Suche nach Beute immer wieder über den Veleno setzten. Fünf seiner Leute wurden vor seinen Augen von Kugeln zerfetzt, der Duke selbst konnte zwar mit den restlichen Männern verwundet entkommen, aber sein Schutzanzug war so schwer beschädigt, dass sich die Strahlung in mehrere lebenswichtige Organe fressen konnte. Der Duke hatte bis zuletzt gehofft, durchzuhalten, bis Eve zurückkehrte. Er hatte Blut gespuckt und darüber phantasiert, wie sie ihn mit einem Wundermittel heilen würde, aber dieser Traum war nicht in Erfüllung gegangen.

    Cees Abschied von Eve war jetzt vier Jahre her.

    Ihren Rat, nicht an sie zu denken, hatte Cee nicht befolgen können. Er musterte seine Hand, die durch minimales Drehen des Gasgriffs den Motor sanft nach oben streichelte. Vier weitere Narben waren seitdem hinzugekommen, ein Tentakel aus vergangenen Schmerzen starrte ihn an. Und der Rest seines Körpers … Cee lächelte unmerklich, während Taio neben die Bikes trat und unter dem Jubel der Zuschauer den Arm hob.

    Taio war einer von fünf »Falkuns«, die Cee schwerverletzt vom Schlachtfeld getragen hatte und die seitdem in einer 24-köpfigen Truppe dienten, die Cee befehligte und die für besonders riskante Raubzüge eingesetzt wurde. Die Falkuns waren vor dem Krieg die Parias im damaligen Europa gewesen, mittlerweile beherrschten sie Teile von Nordafrika und das, was vom südlichen Europa noch übrig war, bis an das Ostufer des Veleno. Die Krieger von Thor fürchteten die Falkuns als Feind mindestens ebenso sehr, wie sie den Gladiatores als Freund misstrauten. Doch hatte man sie im Kampf besiegt, konnten einige von ihnen wertvolle Verbündete werden.

    Wenige Sekunden hatten Cee genügt, um zu wissen, dass Taio ihm für immer treu ergeben sein würde. Es war eine Intuition, die aus Bewegung, Berührung, aus Augenblicken entstand, ein Blick in Taios Augen, nachdem er seinen mit dunklen Schlangentätowierungen bedeckten Körper, deren aufgerissene Giftmäuler unter der Anspannung der Muskeln lebendig wurden, in einem besonders harten Kampf niedergerungen hatte. Es war genau dieser Blick, den Eve als Erste an Cee bemerkt hatte, der in Sekundenschnelle Charaktere bis in die tiefsten Abgründe ausleuchten konnte und der Cee mehr Erfolge bescherte als seine Muskelkraft.

    Cee und Taio grinsten sich zu, die Maschinen heulten auf. Während Cee den Drang zu pinkeln ausblendete, hörte er undeutlich eine weibliche Stimme. Es war Lilo, eine von mehreren jungen Frauen, denen Ratz etwas voreilig das Exklusivrecht an seinem Körper versprochen hatte.

    »Hast du ne Lücke im Kopf? Für so einen Scheiß den letzten guten Sprit vergeuden …!«

    Es gab Situationen, in denen Ratz Lilos Temperament schätzte. Die hier gehörte nicht dazu. Ratz wusste, sie hatte nicht die geringsten Skrupel, ihn vor allen zu blamieren und vom Bike zu werfen. Wütend blickte er Taio an.

    »Die Frau is härter im Ohr als 10 000 Umdrehungen. Mach zu!«

    Taio senkte den Arm und die vier Maschinen zeichneten schwarze Striche auf den Asphalt, während die Vorderräder für einen Moment leicht wurden. Wolfs Maschine war ein paar Zentimeter vorne, die anderen mussten Gas wegnehmen, als er sich vor ihnen durch die Schikane quetschte. Cee war innen, musste Ratz aushalten, der sich in seiner ganzen Schönheit kurz auf ihn legte. »Kuscheln« nannten sie das. Die Strecke wurde wieder weiter, zweiter Gang, dritter, bremsen, die Gabeln von Wolf und Hipp gingen auf Block. Ratz zwängte sich vor Cee in die Kehre, beim Rausbeschleunigen drifteten die Hinterräder weg. Aufrichten, Gas, das Geschlängel um die ersten Trichter erlaubte wieder den dritten Gang, die Tachos sprangen auf 160, Cee hatte sich als Bremspunkt vor der abfallenden Kurve den geschmolzenen Rest einer Parkuhr gemerkt, in deren Schlitz, wie eine heraushängende Zunge, eine letzte Münze steckte. Bremsen vorne, hinten, gleichzeitig Zwischengas, zwei Gänge runter, der Motor seiner Diva heulte auf, abwinkeln, Cees Knieschleifer, schlecht auf die uralte schwarze Kombi getaped, flog weg, Ratz zog außen vorbei. Zu schnell! blitzte es durch Cees Kopf, Ratz musste die nächste Kurve weit nehmen, auf einem Buckel versetzte sein Vorderrad, Cee drückte sich innen durch, ihre Beine touchierten kurz, dann hob sich Ratz’ Motorrad vor Wolf und Hipp wie in Zeitlupe in den Himmel und beschrieb einen Halbkreis in den nächsten mit der üblichen Giftbrühe gefüllten Trichter. Cee nahm die letzten Kurven und flog durchs Ziel. Das Rennen war vorbei. Man interessierte sich allerdings weniger für den Sieger als für Ratz, der zum Trichterrand ruderte und brüllend ein Seil für sein Bike verlangte. Schließlich waren Mann und Maschine geborgen und Lilo musterte ihren tropfenden Freund.

    »Du hast keine Lücke im Kopf, sondern totalen Leerstand!«

    »Deswegen rockt’s zwischen uns so gut.«

    Sie wich einem Kussversuch aus und befahl ihm, die giftigen Klamotten auszuziehen. Ratz befolgte grinsend ihren Befehl.

    »Wenn’s n Ausschlag gibt, s’war nicht die Konkurrenz!«

    Ihr Tritt in seinen Arsch lag schon wieder im Grenzbereich einer Liebeserklärung. Cee wusste, die beiden würden sich ein Leben lang fetzen und genau deswegen waren sie füreinander gemacht. Er rollte den Schlauch aus, mit dem Lilo Ratz gründlich abspritzte. Das Wasser, das aus ihrem Bunker hochgepumpt wurde, war zwar auch nicht sauber, aber bedeutend ungefährlicher als die Brühe aus dem Trichter. Taio trat neben Wolf und Cee: »Dannie und Rotz haben einen Transporter der Falkuns ausgemacht. Sie beliefern die »Turks« mit neuem Sprit.«

    Wolf und Cee tauschten einen Blick. Das war ihre Chance, saubere Erde bei den Gladiatores zu kaufen. Erde, die sie dringend brauchten, wenn ihre Kinder älter als zwanzig werden sollten.

    Cee ließ seine Augen über die 18 Männer und 6 Frauen wandern, die ihn begleiten würden. Allen war klar, wie gut die Falkuns ihre Sprittransporte absicherten. Es warteten mindestens dreißig Kämpfer auf sie, die so stark wie Taio waren.

    Cee wusste, es war ein Himmelfahrtskommando, aber das war jeder Tag in diesen Zeiten. Die Belohnung war, er würde Eve wiedersehen.

    2

    Im dämmerigen Licht des Nachmittags fuhren sie auf ihren Crossbikes über einen steinigen Pfad hinunter in die flache Ebene, die sich, gespickt mit Wrackteilen vergangener Schlachten, zu den Ufern des Veleno erstreckte, dessen giftgraues Wasser sich längst ein neues Bett zwischen den von Menschen gemachten Kratern gegraben hatte, deren Ränder immer noch von den tintenblauen Krusten des Cäsiums bedeckt waren.

    Nachdem Cee und Taio an einigen Stellen Messungen vorgenommen hatten, schlüpften alle wieder in ihre abgetragenen Schutzanzüge, viele so durchlöchert, dass sie bestenfalls noch als Talisman dienten. Einige schnallten sich Bleiplatten zwischen die Beine, zum Schutz der Genitalien. Der Glaube an die Unverwundbarkeit war das Wichtigste. Es waren nur noch 150 Millirem, der Grenzwert hatte vor dem Krieg allerdings mal bei 30 gelegen, aber daran konnte sich kaum noch jemand erinnern. Cee bestand darauf, dass jeder seinen Anzug anlegte, die Truppe war zu wertvoll, um sie unnötigen Risiken auszusetzen. Er brauchte sie, jeden einzelnen, und er war stolz auf sie, besonders auf die Frauen. Lilo und Pinka hätten vor dem Krieg wie ihre Mütter in einem Supermarkt oder in einer Joghurtbecherfabrik gejobbt, vielleicht hinter der Kasse eines Baumarkts gestanden oder in Pflegeheimen die Böden geschrubbt; dieses Leben kannten die beiden nur aus Erzählungen. Der Krieg dauerte bereits so lange, zwanzig, dreißig, vierzig Jahre, so genau wusste das keiner mehr, nicht einmal, ob jetzt Frieden war, ob Raubüberfälle ohne Atombomben, Luftangriffe und Panzerschlachten Frieden bedeuteten. Die Mütter von Lilo und Pinka waren schon lange tot, ebenso wie das alte Leben. Ihre Töchter waren jetzt Kriegerinnen von Thor, und es war diesen Kriegerinnen sehr wohl bewusst, dass es eine Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes benötigt hatte, um sie von der Tretmühle des Schichtbetriebs, demütigend schlechter Bezahlung und Zeitarbeitsverträgen zu befreien. Auch wenn diese Freiheit häufig sehr hart und sehr kurz war, Cee wusste, dass Lilo und Pinka, im Gegensatz zu vielen anderen, die dem angenehmen, friedvollen Leben vor dem Krieg hinterhertrauerten und es in der Nebelwand des Vergessens idealisierten, niemals mit dem Leben ihrer Mütter getauscht hätten. Das war Wahnsinn, aber sobald er sie kämpfen sah, bewunderte er sie. Auch wenn sie manchmal wie kleine Mädchen über Lappalien wie das Fehlen von Lakritzstangen oder Schokosnacks klagen konnten, entzündeten sie lieber einen Kienspan, als den Lichtschalter zu betätigen, webten lieber ihre Klamotten, als sich im Schlussverkauf übers Ohr hauen zu lassen, und sobald es ernst wurde, waren sie gefürchtete Kämpferinnen, geschickte Räuberinnen, Teil

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