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Hinter der Maske des Teufels
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eBook359 Seiten4 Stunden

Hinter der Maske des Teufels

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Über dieses E-Book

Der Mord an einem Münchner Fotomodell gibt der toughen Kommissarin Sophie Keller Rätsel auf. Nicht der kleinste Hinweis deutet darauf hin, warum der Killer seinem Opfer das Herz brutal aus dem Leib gerissen hat und wie er nach der Tat spurlos aus der Wohnung im siebten Stock verschwinden konnte. Der Druck auf Sophie wächst, als weitere Morde folgen. Und schließlich gerät sie selbst ins Visier des Serienkillers ...
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum29. Nov. 2022
ISBN9783347670259

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    Buchvorschau

    Hinter der Maske des Teufels - Markus Scheble

    Kapitel Eins

    Sophie Keller trat durch die stählerne Brandschutztüre hinaus aufs Dach. Dicke Regentropfen fielen aus den dunkelgrauen Wolken. Ihr Kleid war schon nach kurzer Zeit durchnässt, doch das interessierte sie nicht. Ihr Blick fixierte den Rand des Daches. Alles in ihr schrie: »Kehr um!«. Doch sie ignorierte die Stimmen und schritt langsam vorwärts über den regenfeuchten Asphalt, der das oberste Stockwerk des Hochhauses bedeckte. Aus unzähligen Entlüftungsrohren strömte Dampf, der sich mit dem Dunst der Großstadt mischte und sich schließlich in nichts auflöste. Wie automatisiert bewegte sich Sophie vorwärts. Irgendwo flogen Tauben auf. Sophie zuckte beim flatternden Geräusch des Flügelschlages zusammen, doch ihre Augen starrten weiterhin gebannt auf den Rand des Daches. Wie in Trance bewegte sie sich darauf zu. Mit jedem Schritt beschleunigte sich ihr Puls. Noch einmal wandte sie sich um und warf einen Blick auf die Stahltür, die Sicherheit versprach, doch ihre Beine trugen sie langsam weiter auf den Abgrund zu. Das blonde Haar hing ihr in nassen Strähnen ins Gesicht und der Regen wusch ihre Schminke ab, die wie schwarze Tränen auf den hellen Stoff ihres Kleides tropfte. Heftig atmend erreichte sie den Rand. Nach kurzem Zögern stieg sie auf die verblechte Ummauerung. Sophies Augen wanderten über die Dächer der Stadt. In der Ferne konnte sie im Regenschleier undeutlich die beiden Türme der Frauenkirche ausmachen. Für einen kurzen Augenblick zögerte sie, dann senkte sie den Kopf und zwang ihren Blick nach unten. Elf Stockwerke tiefer liefen Menschen mit Regenschirmen über die Straße und die Lichter des Feierabendverkehrs brachen sich im Dunst. Niemand sah nach oben, niemand ahnte, dass sie hier stand. Allein im Regen. Sophie spürte, wie es an ihr zog und zerrte. Eine unsichtbare Kraft, die alles daransetzte, sie in den Abgrund zu reißen. Sie spannte alle Muskeln an und ballte die Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten. Doch die Tiefe war wie ein Sog, dem sie nichts entgegenzusetzen hatte. Vor ihren Augen verschwamm das Bild der Großstadt und sie stieß einen lautlosen Schrei aus, während ihr Körper nach vorne kippte. Sie wollte sich festhalten, irgendwo festkrallen, doch ihre Muskeln waren wie paralysiert. Und dann fiel sie. Tiefer und tiefer. Ihr war bewusst, dass sie in einem kurzen Augenblick auf der Straße zerschellen musste, ahnte bereits, an welcher Stelle sie aufschlagen würde. Sophie wollte schreien, doch noch immer brachte sie keinen Ton heraus. Sie fragte sich, was wohl ihre letzte Empfindung sein würde. Schmerz? Erlösung? Der Boden raste auf sie zu …

    Dann wachte sie auf. Sie setzte sich schwer atmend an den Bettrand und griff sich an die Brust. Ihr Herz pochte wie verrückt und sie brauchte einen Moment, bis sie realisierte, dass es nur ein Albtraum gewesen war. Wieder. Sie hatte immer wieder denselben Traum. Erschöpft fuhr sie sich durch die Haare. Sie blieb noch einen Augenblick sitzen und sah auf das Display ihres Radioweckers. Es war halb sechs. Eigentlich zu früh zum Aufstehen, aber Schlaf würde sie jetzt sowieso nicht mehr finden. Sie stand auf, ging in die Küche und trank ein Glas Leitungswasser. Sophie war wütend. Seit der quälende Albtraum sie zum ersten Mal heimgesucht hatte, zermarterte sie sich das Hirn, was es damit auf sich haben könnte. Es blieb ihr ein Rätsel. Sie zog einen Stuhl unter dem Küchentisch hervor, setzte sich kopfschüttelnd und zündete sich eine Zigarette an. Draußen war es immer noch dunkel. Die Sonne würde erst in einer guten Stunde aufgehen. Es war nicht mehr richtig Winter, doch die warme Jahreszeit, die sie so liebte, lag noch in weiter Ferne. Vielleicht war sie deshalb so depressiv. Vielleicht lag es aber auch daran, dass Daniel vor einer Woche mit ihr Schluss gemacht hatte. Dieser Idiot. Sicher, sie verstand ja, dass ihr Schichtdienst bei der Polizei nicht einfach für eine Partnerschaft war, aber musste er sich deswegen gleich eine andere anlachen? Sophie drückte die Zigarette aus und schlich müde ins Badezimmer. Ein kurzer Blick in den Spiegel genügte. Sie sah furchtbar aus. Sie zog das schweißnasse Shirt aus und ging unter die Dusche. Das warme Wasser entspannte ihre verkrampften Muskeln und ihr Pulsschlag normalisierte sich allmählich. Sophie atmete tief durch. Es war an der Zeit, ihren Ex abzuhaken und nach vorne zu schauen.

    Nach dem Duschen wischte sie den beschlagenen Spiegel frei, doch noch immer blickte ihr ein müdes Gesicht entgegen. Sie zwang sich zu einem künstlichen und völlig übertriebenen Lächeln, stellte fest, dass das nicht sie war, versuchte es mit einem grimmigen Ausdruck und kapitulierte schließlich mit einem »Fuck you!«.

    Sie schlüpfte in ihre Jeans, zog sich ein Motörhead T-Shirt an und machte sich eine Tasse Kaffee, die sie im Stehen trank. Sie sah aus dem Fenster und beobachtete, wie sich im Osten die Silhouette der Stadt vom heller werdenden Himmel abhob.

    Dann schlüpfte Sophie in ihre neuen Doc Martens Rockabilly Boots, warf sich ihre Lederjacke über und verließ die Wohnung. Im Treppenhaus konnte sie hören, wie sich das Ehepaar in der Nachbarwohnung wieder einmal lautstark stritt. Sophie wusste, dass ihr Nachbar, ein fetter, ungepflegter Drecksack, gerne trank und sich dann häufig an seiner Frau abreagierte. Aber so früh am Morgen? Sie blieb noch einen kurzen Moment stehen und lauschte, doch anscheinend hatte sich die Situation schon wieder beruhigt, denn jetzt war es still. Kopfschüttelnd machte sich Sophie auf den Weg. So etwas sollte mal ein Kerl mit ihr versuchen.

    Sie brauchte etwa fünfzehn Minuten zu Fuß bis zum Kommissariat in der Türkenstraße. Auf halbem Weg kaufte sie sich in einer Bäckerei einen Bagel, den sie im Gehen hinunterschlang.

    Sophie Keller betrat die Dienststelle und stapfte verdrossen die Treppe in den ersten Stock hinauf in ihr Büro.

    Thomas Brendel, ihr Kollege, hob überrascht die Augenbrauen und sah auf seine Armbanduhr. »Du bist früh dran heute.«

    Sophie konnte Brendel, der ihr erst vor Kurzem zugeteilt worden war, nicht besonders leiden. Mit seinen mausgrauen Anzügen, den konservativen Krawatten, seiner Ordnungsliebe und der spießigen Art, verkörperte er alles, was ihr gegen den Strich ging. Sophie zwang sich zu einem Lächeln.

    »Guten Morgen, Tom.« Sie wusste, dass er die Abkürzung seines Namens hasste, und nannte ihn deshalb immer so. »Was liegt an?«

    Brendel zog den Kopf ein. Obwohl er erst wenige Wochen mit Sophie zusammenarbeitete, hatte er ihre Launen schon zur Genüge kennengelernt. Und ihr Tonfall verhieß heute nichts Gutes.

    Er räusperte sich und bemühte sich, sie seine Verunsicherung nicht spüren zu lassen. »Du brauchst deine Jacke erst gar nicht auszuziehen, wir haben einen Mord.«

    Sophie verzog gequält das Gesicht. »Ist es nicht ein bisschen früh für einen Mord?«

    Brendel lag auf der Zunge, ihr zu entgegnen: »Du kannst dich ja beim Mörder beschweren, wenn wir ihn geschnappt haben«, aber er entschied sich im letzten Moment, seine Chefin nicht unnötig zu reizen, und ließ ihre Frage unbeantwortet.

    Sophie griff sich den Autoschlüssel vom Schreibtisch und holte ihre Dienstwaffe aus dem Spind.

    »Dann los«, herrschte sie Brendel an und wandte sich zur Tür. Im Gehen murmelte sie verdrossen: »Oh Mann, der Tag geht ja schon richtig scheiße los.«

    Kurze Zeit später standen sie im siebten Stock eines Münchner Wohnhauses vor einer offenen Tür, aus der ein Kollege von der Landespolizei heraustrat und sie wortlos mit einem Nicken grüßte.

    »Eine schöne Schweinerei haben wir hier«, sagte er ernst und ging voraus zurück in die Wohnung. »Ich weiß nicht, ob ihr von der KPI so etwas gewohnt seid, aber mir dreht es den Magen um.«

    Er führte die beiden ins Schlafzimmer, in dem bereits die Kriminaltechniker zugange waren und erste Spuren sicherten. Auf dem französischen Bett lag die Leiche einer jungen, schönen Frau in einer Blutlache. Die Tote war unbekleidet und in ihrer Brust klaffte ein faustgroßes Loch.

    Der Polizist deutete fassungslos auf die tote Frau. »Ihr Herz wurde herausgeschnitten.« Er nahm seine Dienstmütze ab, wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn und fügte kopfschüttelnd hinzu: »Wer macht so etwas?«

    Sophie legte ihm ihre Hand auf die Schulter. »Gehen Sie schon mal vor in die Küche. Wir kommen gleich nach.«

    Dankbar verließ der Polizist den Raum.

    Sophie trat näher an die Tote, die mit offenen Augen an die Decke starrte. Ihr Körper war über und über mit Blut besudelt, das mittlerweile schwarz und krustig aussah. Auch die Wände und sogar die Decke wiesen Blutspritzer auf. Ein Beamter der Spurensicherung drehte die Ermordete kurz auf die Seite, um den Rücken nach weiteren Einstichen zu untersuchen. Die Unterseite der Leiche war mit dunklen, schwarz-violetten Flecken übersät, die entstehen, wenn sich das Blut nach dem Tod durch die Schwerkraft an den tiefen Stellen absetzt. Sophie schätzte das Alter der Ermordeten auf Anfang zwanzig.

    »Könnt ihr schon was zum Todeszeitpunkt sagen?«, wandte sie sich an die Kollegen von der Kriminaltechnik und einer der Männer antwortete: »Ich würde schätzen dreißig bis fünfunddreißig Stunden. Aber genau kann ich es erst nach der Obduktion sagen.«

    »Habt ihr schon das Herz gefunden?«

    Der Kollege im weißen Overall schüttelte den Kopf. »Nein, das hat der Täter vermutlich als Souvenir mitgenommen.«

    Sophie schluckte. »Verdammte Scheiße. Was ist das wieder für ein krankes Arschloch?«

    Sie verließ das Schlafzimmer und ging hinüber in die Küche, wo der Kollege von der Landespolizei auf sie wartete. »Was haben wir?«

    Der Uniformierte holte einen kleinen Schreibblock heraus und fasste zusammen: »Gestern ging bei uns auf der Dienststelle ein Anruf von einem gewissen Uwe Hartmann ein, der sich um seine Kollegin Angie Heitkämper sorgte. Hartmann ist Fotograf einer bekannten Werbefirma hier in München und Angie Heitkämper hatte gestern Morgen mit ihm ein Fotoshooting geplant, und zwar auf den Kanaren, also ein sogenannter Top-Job. Hartmann hatte gemeint, die Models der Agentur hätten sich um dieses Shooting gerissen. Umso erstaunter war er, als die Heitkämper nicht erschien. Immer wieder hatte die Agentur versucht, sie telefonisch zu erreichen, und auch hier in ihrer Wohnung hatte man mehrfach probiert, sie anzutreffen. Nachdem eine Kollegin bestätigt hatte, wie versessen Angie Heitkämper auf das Shooting war und sich auch die Eltern das plötzliche Verschwinden nicht erklären konnten, kam man zu dem Schluss, es müsse etwas passiert sein.« Der Polizist steckte den Block ein und fuhr fort: »Heute Morgen gegen sieben Uhr kam es deshalb zur Wohnungsöffnung durch uns.«

    Thomas Brendel betrat die Küche und deutete mit dem Daumen hinter sich. »Das solltest du dir ansehen.«

    Sophie folgte ihrem Partner zurück zur Wohnungstür.

    Brendel zeigte mit einem Kugelschreiber auf zwei Punkte am Türstock. »Hier und hier unten auch.« Die Türzarge war an drei Stellen aufgebrochen. Einmal in der Mitte, wo der normale Riegel ins Schließblech greift, außerdem ein Stück darüber und einige Zentimeter unterhalb des Türschlosses.

    Sophie sah sich die Tür an und entdeckte, was die Zarge beschädigt hatte. »Zwei zusätzliche Sicherheitstürriegel?«

    Der Uniformierte nickte. »Ja. Der Hausmeister und der Mann vom Schlüsseldienst haben trotz ihrer Erfahrung mit Schließanlagen kapituliert und wir mussten die Tür zu guter Letzt gewaltsam öffnen.«

    Sophie schob einen der Stahlriegel vor und wieder zurück. Man konnte die zusätzlichen Verschlüsse nur von innen zuschieben.

    Sophie rief erschrocken den Kollegen zu: »Gibt es einen zweiten Ausgang? Wurden alle Räume durchsucht?«

    Brendel sah sie entsetzt an. »Glaubst du, der Mörder ist vielleicht noch in der Wohnung?«

    Sie zückte ihre Dienstpistole und eilte von Raum zu Raum, öffnete alle Türen und Schränke, sah in alle Winkel und Versteckmöglichkeiten. Es gab weder einen weiteren Ausgang, noch einen Balkon, noch sonst irgendeine Möglichkeit außer der Wohnungstüre, um das Penthouse zu verlassen. Sophie kontrollierte alle Fenster. Aber entweder konnte man sie nicht aufmachen oder sie waren fest verschlossen. Lediglich in der Küche stand ein kleines Fenster offen. Sophie schob es ganz auf und lehnte sich hinaus. Zuerst sah sie nach oben. Bis zum Dach waren es geschätzte drei Meter glatte Wand. Nirgends ein Vorsprung oder ein Sims, auf den man hätte klettern können. Dann sah Sophie nach unten und sofort wurde ihr schwindelig. Ihr fiel der Traum der letzten Nacht ein und sogleich spürte sie, wie etwas an ihr zerrte und sie nach unten zog. Schnell drückte sie sich zurück in die Wohnung.

    Entgeistert sah Brendel sie an. »Was hast du?«

    Sophie schüttelte den Kopf. »Nichts. Nur Staub im Auge.« Sie zwinkerte ein paar Mal und rieb mit dem Fingerknöchel am Auge herum.

    »Brauchst du ein Taschentuch?«

    »Nein, es geht gleich wieder. Sieh mal nach, ob der Täter irgendwie da runtergeklettert sein kann.«

    Brendel streckte den Kopf aus dem Fenster. »Machst du Witze? Hier geht es gut und gern zwanzig Meter runter und die Fassade ist absolut glatt. Da könnte sich nicht einmal Spiderman festhalten.« Brendel sah nach links und rechts. »Hier links unten ist ein kleiner Fries um das Treppenhausfenster, aber da könnte man sich nie und nimmer festhalten. Außerdem … wie sollte man von dort bis zu den Balkons der unteren Wohnungen kommen. Das sind drei bis vier Meter. Nein. Der Täter kann unmöglich durchs Fenster abgehauen sein.«

    Sophie dachte wieder an den Traum der letzten Nacht. »Könnte man sich mit einem Kletterseil vom Dach herunterlassen?«

    Der Kollege von der Landespolizei mischte sich ein: »Nein. Das Dach hat laut Hausmeister keinen Zugang.«

    »Keinen Zugang?«, wunderte sich Sophie, »Was ist, wenn das Dach mal kaputt ist und es hereinregnet? Wie kann man das dann reparieren?«

    Der Uniformierte zog die Schultern hoch und machte ein ratloses Gesicht. »Keine Ahnung.«

    »Na, dann holen Sie mir den Hausmeister nochmal her.«

    Sophie begab sich zurück zu den Kriminaltechnikern ins Schlafzimmer. »Könnt ihr schon irgendetwas sagen?«

    Die Männer in den weißen Overalls schüttelten die Köpfe. »Zu früh. Es gibt Fingerabdrücke, aber die könnten auch von der Ermordeten stammen.«

    »Was ist mit der Tatwaffe?«

    »Tut mir leid.«

    Der Toten hatte man mittlerweile Plastiktüten über die Hände gestülpt. Überall wurden Abstriche genommen und unzählige Fotos gemacht. Man hatte alle möglichen Gegenstände mit fluoreszierendem Fingerabdruckpulver bepinselt und auch die anderen Räume mit Luminol besprüht, um Blutspuren zu sichern.

    Brendel trat von hinten an Sophie heran. »Was denkst du?«

    Die Hauptkommissarin schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Wie konnte der Mörder die Wohnung verlassen, wenn die einzige Tür von innen verriegelt war?« Sophie betrachtete die Einrichtung. Alles war sehr exklusiv und geschmackvoll. »Wir müssen feststellen, ob etwas fehlt. Außerdem möchte ich mich gerne einmal mit diesem Fotografen unterhalten …«

    »Uwe Hartmann«, las Brendel von seinem Notizblock.

    »Ja, den meine ich. Sind eigentlich die Eltern der Ermordeten schon benachrichtigt worden?«

    »Ich weiß nicht, aber ich kümmere mich darum.«

    Der Polizeihauptmeister war zurückgekommen, vermied es aber, das Schlafzimmer zu betreten, und steckte nur kurz den Kopf zur Tür herein. »Frau Kommissarin, der Haustechniker wäre dann draußen.«

    »Ich komme.« Bevor Sophie dem Polizisten folgte, fiel ihr Blick noch einmal auf das riesige Poster über dem Bett. Es zeigte Angie Heitkämper in einem sexy Bikini an einem karibischen Strand. Sie lächelte fröhlich in die Kamera und ihre Augen waren voller Leben.

    Sophie nickte dem Hausmeister zu. »Keller, Kriminalpolizei. Sie sind hier für die Haustechnik zuständig?«

    »Ja, Wenzel mein Name.«

    »Sagen Sie, Herr Wenzel, wie kommt man denn auf das Dach hinauf?«

    »Aufs Dach? Ja, im Moment gar nicht.«

    »Was heißt, im Moment?«

    »Schauen Sie, früher ging eine Treppe hinauf aufs Dach. Aber dann hat die Hausverwaltung eine Luxussanierung durchgeführt und die Obergeschosswohnung in dieses Penthouse umgebaut und da war die Treppe im Weg. Das hätte auch nicht schön ausgesehen. So mitten im Wohnzimmer eine Treppe …« Der Hausmeister musste grinsen, merkte aber sofort, dass dies angesichts der Umstände völlig fehl am Platz war.

    »Und dann?«, wollte Sophie ernst wissen.

    »Dann hat man die Treppe abgerissen und die Öffnung zubetoniert.«

    »Und wie kommt man dann auf das Dach?«

    »Ja, wie gesagt, im Moment gar nicht. Im Frühjahr dann will die Hausverwaltung eine Stahlaußentreppe vom sechsten Stock aus aufs Dach ziehen lassen. Hinten auf der Gebäuderückseite, weil es da nicht so stört.«

    »Das heißt, im Augenblick kommt niemand auf das Dach?«

    »Nein, außer er kann fliegen.«

    Kapitel Zwei

    Zurück im Kommissariat führte Sophies erster Weg in die Kaffeeküche. Der Boden der gläsernen Kanne war nur noch knapp mit einer braunen Brühe bedeckt, die offensichtlich schon ein paar Stunden auf der Heizplatte schmorte. Das verriet der brenzlige Geruch, der das winzige Kabuff durchdrang. Sophie fluchte. Einzig die Aussicht auf einen großen Becher mit frischem, starkem Kaffee hatte sie auf dem Rückweg vom Tatort davon abgehalten, den Tag schon vor Mittag als völlig verpfuscht abzustempeln.

    »Dann eben nicht«, brummte sie vor sich hin und knallte die Küchentür zu. Sie rauschte zurück in ihr Büro und schnauzte ihren Kollegen an: »Du kannst gleich einen frischen Kaffee kochen, sonst wird das heute nichts mehr mit uns zweien.« Im selben Atemzug fiel ihr auf, dass sie diesmal den Bogen überspannt hatte, und lenkte ein: »War ein Scherz, sorry.«

    Brendel nahm ihr die halbherzige Entschuldigung nicht ab. Doch er kam nicht dazu, darüber nachzudenken.

    Sophie polterte direkt weiter: »Was ist mit dem Fotografen? Hartlieb, Harthaus oder wie der heißt? Hast du den schon angerufen?«

    Thomas Brendel presste die Antwort durch seine zusammengekniffenen Lippen. »Hartmann. Uwe Hartmann. Ja, ich habe ihn schon vom Tatort aus angerufen. Und er ist schon hier.« Mit einer Kopfbewegung deutete er auf den Besucherstuhl.

    Sophie schoss die Schamesröte ins Gesicht. In ihrer Wut hatte sie völlig übersehen, dass sie mit Brendel nicht alleine war.

    Sie atmete tief durch und zwang sich zu einem Lächeln. »Herr Hartmann. Wie schön, dass Sie so schnell kommen konnten.«

    Der Fotograf rutschte unbehaglich auf dem harten Hocker herum. Seine sonnengebräunte Haut hatte im Gesicht jegliche Farbe verloren und sein Blick irrte nervös zwischen Brendel und Sophie hin und her.

    »Ihr Kollege hat mich schon informiert, was mit Angie passiert ist. Wie furchtbar.« Seine Stimme zitterte. »Ich habe mir schon gedacht, dass etwas nicht stimmt, als sie nicht zum Shooting erschienen ist. Aber gleich ein Mord, wer denkt denn an so etwas?«

    »Fangen wir mal ganz von vorne an«, unterbrach ihn Sophie. »Was war das für ein Termin, den sie gestern mit Frau Heitkämper hatten?« Hartmann rückte seine Ray Ban zurecht, die er lässig über die Stirn geschoben hatte.

    »Wie Sie wissen, bin ich Fotograf«, begann er, »spezialisiert auf Modefotografie. Und ziemlich erfolgreich«, ergänzte er stolz, bemerkte jedoch direkt, dass das hier niemanden interessierte. »Ich sollte Bademoden fotografieren und hatte für das Shooting zwei Tage auf Lanzarote eingeplant. Der Kunde hat darauf bestanden, dass Angie Heitkämper seine Kollektion präsentiert. Nur sie. Das ist ungewöhnlich, meist arbeite ich bei diesen Jobs mit drei oder vier Models, aber der Kunde ist König und so hatte ich Angie für die zwei Tage gebucht. Flug, Hotel, Mietwagen – alles war arrangiert. Wir wollten uns gestern im Hotel treffen und dann zur Playa del Chaco de los Clicos fahren.« Als er den fragenden Blick Sophies bemerkte, ergänzte er: »Das ist ein schwarzer Lava-Strand in der Nähe eines Kratersees, der aufgrund seiner ungewöhnlich grünen Farbe berühmt ist.« Zwischen den Zeilen war deutlich zu hören, dass man in seinen Kreisen diesen Ort einfach kennen musste und dass er die Unwissenheit der Oberkommissarin belächelte. Dann konzentrierte er sich erneut auf seinen Bericht. »Jetzt im März sind noch nicht so viele Touristen auf Lanzarote und die spärliche Vegetation der Vulkaninsel strahlt in einem üppigen Grün. Das Farbenspiel ist einfach umwerfend und perfekt für ein Foto-Shooting.«

    »Wann ist Ihnen aufgefallen, dass etwas nicht stimmte?«, hakte Sophie nach.

    »Wir wollten gleich um sechs Uhr in der Früh vom Hotel aus starten, um die spezielle Atmosphäre des Morgenlichts auszunutzen. Ich hatte am Vorabend noch einen Termin und bin erst sehr spät im Hotel angekommen. Angie hatte ich am Abend nicht getroffen. Ich bin davon ausgegangen, dass sie bereits schläft. Wissen Sie«, erklärte er den Kommissaren, »jede Stunde Schlaf, die ein Model vor dem Shooting zu wenig hat, mindert die Qualität der Bilder. Deshalb schicke ich die Mädels immer früh ins Bett.« Er räusperte sich, dann fuhr er fort: »Angie war ein Profi und überpünktlich. Als sie zehn Minuten nach sechs Uhr immer noch nicht in der Lobby erschienen ist, war mir klar, dass etwas nicht stimmt. Als ich an der Rezeption nachgefragt habe, wurde mir mitgeteilt, dass sie überhaupt nicht eingecheckt hatte. Damit konnte ich das Shooting abschreiben. Ich habe mich gleich um einen Rückflug bemüht und war schon am Abend wieder in München. Parallel habe ich natürlich versucht herauszufinden, wo Angie steckt. X-mal habe ich sie auf dem Handy angerufen. Ihre Agentur hatte auch keine Ahnung, warum sie den Job hat sausen lassen. Die anderen Mädels hätten sich darum gerissen, für diesen Kunden gebucht zu werden. Irgendwer hat dann wohl auch bei den Eltern nachgefragt. Aber auch die Familie hatte keine Idee, wo sie geblieben war.«

    Sophie hatte sich Notizen gemacht und legte nun den Stift zur Seite. »Sehr mysteriös«, bemerkte sie und schüttelte den Kopf. »Was war das eigentlich für eine Persönlichkeit, die Angie Heitkämper?«, wandte sie sich wieder an den Fotografen. »Können Sie mir dazu etwas sagen? Über ihre Familie, ihr Privatleben?«

    Hartmann kaute auf seiner Unterlippe. »Hm, viel weiß ich nicht über sie. Ich hatte seit ein paar Jahren beruflich mit ihr zu tun. Ihre Karriere nahm in einer dieser Casting-Shows Fahrt auf. Meist verlischt der Stern dieser Mädchen ja sehr schnell wieder. Aber Angie war eine Ausnahme. Sie war schön, natürlich, das sind sie alle … Aber sie war unglaublich vielseitig und ein richtiges Arbeitstier. Sie hatte keine Allüren und war sich für nichts zu schade. Keine Pose war ihr zu gewagt und kein Job zu anstrengend. Ein Profi eben.«

    Das Bedauern, dass er nie wieder würde mit ihr arbeiten können, war Hartmann anzusehen. Inzwischen hatte er einen Kugelschreiber aus der Brusttasche seines Poloshirts gefingert und ließ die Klemme immer wieder gegen den Stift schnappen. Das klickende Geräusch trieb Sophie schier in den Wahnsinn.

    »Würden Sie das bitte unterlassen?«, forderte sie Hartmann auf. »Meine Nerven sind gerade nicht die besten.«

    Brendel rollte amüsiert mit den Augen. Seine Chefin hatte Schwächen?

    »Bitte erzählen Sie weiter«, forderte Sophie den Fotografen auf.

    »Über ihr Privatleben weiß ich nicht viel«, berichtete Hartmann. »Sie kommt aus einer ganz normalen Familie, falls es heutzutage so etwas überhaupt noch gibt. Die Eltern sind beide Lehrer und besitzen irgendwo im tristen Münchner Westen ein Reihenhaus mit einem kleinen Garten. Nichts Besonderes. Als Angies Karriere Fahrt aufnahm, haben sie sich wohl von ihr abgewandt, wie ich gehört habe. Ihr Beruf war den Eltern anscheinend nicht seriös genug. Und Angie konnte mit dem spießigen Lebensstil nichts mehr anfangen. Sie hatte Gefallen am Luxusleben gefunden. So haben sich ihre Wege immer weiter voneinander entfernt. Sie hatten kaum noch Kontakt. Nur zu Geburtstagen oder an Weihnachten, Sie wissen schon …«

    Sophie nickte. Ihr Verhältnis zu den Eltern war auch nicht ganz konfliktfrei und unbelastet, so wie sie es sich eigentlich gewünscht hätte.

    Brendel meldete sich zu Wort. »So wie Sie es beschreiben, war die Angie Heitkämper ja fast ein Supermodel. Wie hat sie es Ihrer Meinung nach geschafft, diesem Leistungsdruck standzuhalten?«

    Hartmann war klar, worauf der Kommissar hinauswollte. »Drogen meinen Sie? Ich weiß nichts davon. Klar, es gibt überall schwarze Schafe. Aber ich kann es mir bei Angie nicht vorstellen.« Er zögerte einen Moment. »Aber da fällt mir etwas ein. Vor zwei Jahren saßen wir nach einem erfolgreichen Job mal noch ein paar Stunden an der Hotelbar. Und nach ein paar Cocktails wurde sie sehr redselig. Sie hat mir erzählt, dass sie ab und zu in den Münchner Katakomben unterwegs ist.«

    »Münchner Katakomben?«, fragte Brendel nach.

    »Das kennst du als Nordlicht natürlich noch nicht«, mischte sich Sophie ein. »So wird das kilometerlange, verwinkelte Gangsystem unter dem Münchner Hauptbahnhof genannt. Es ist ein beliebter Treff für Junkies und Obdachlose. Eine ziemlich gefährliche Gegend, die sogar von der Bahnpolizei und den dortigen Sicherheitskräften gemieden wird. Wie man hört, gibt es inzwischen in einigen Kreisen den Trend, in diesem Umfeld illegale Underground-Partys zu veranstalten. Ich kann nicht verstehen, warum man freiwillig in Dreck und Gestank seine Zeit verbringt. Aber anscheinend gibt das manchen Menschen erst den richtigen Kick.«

    Hartmann nickte. »Davon habe ich auch gehört. Angie war wohl ein paar Mal bei solchen Raves dabei. Ob sie die Gefahr einfach nur prickelnd fand oder selbst Drogen konsumiert hat? Ich weiß es nicht. Einstiche wären mir aufgefallen, aber es gibt ja genug anderes Zeug. Jedenfalls hat sie mir damals berichtet, dass sie von Typen, die mit ihr etwas anfangen wollten, als Mutprobe verlangt hat, mit ihr in die Katakomben zu gehen, mitten in die Welt der Junkies. Und wehe, es hat einer gekniffen. Angies Häme und Spott waren ihm sicher. Da konnte sie wirklich grausam sein.«

    Sophie unterbrach ihn. »Dann bekommt das schöne Bild von ihr doch ein paar Kratzer.«

    Der Fotograf schüttelte den Kopf. »Im Grunde ihres Herzens war sie ein liebes, bodenständiges Ding. Eine Vorstadt-Schönheit, der in der Pubertät der halbe Fußballverein hinterhergelaufen ist. Aber irgendwann ist ihr das anscheinend zu Kopf gestiegen und sie hat die Männer nur noch benutzt. Und wenn einer nicht so gespurt hat, wie sie es wollte, dann hat

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