Die Bären von Andorra: Abenteuerroman
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Buchvorschau
Die Bären von Andorra - Hans-Peter Grünebach
1. Teil
Die Entführung der slowenischen Bärin Georgia und ihre Abenteuer in den Pyrenäen
GEORGIA IN DER FALLE
Die junge Bärin Georgia wollte nicht hören.
Im Gegensatz zu ihrem ängstlicheren Bruder, der seiner Mama nicht von der Seite wich, setzte sich Georgia gerne ab.
Sie liebte es, die Gegend zu erkunden, ohne ständig belehrt und ermahnt zu werden.
Die Fürsorge ihrer Mama war Georgia lästig.
Wenn sie etwas nicht verstanden hatte, konnte sie allerdings bei ihrer Mama nicht nachfragen; die war zu weit weg.
Georgia war nicht wehleidig, sie weinte auch nicht, wenn ihr etwas nicht gelang. Das Weinen hätte Mutter Adelina auf Georgias Probleme aufmerksam gemacht. Das wollte Georgia auch nicht.
Oft probierte sie etwas aus, dachte aber nicht nach, wie sie es hätte besser machen können.
Zum Beispiel hatten Wildbienen Georgia arg zugerichtet. Sie hatten ihr die empfindliche Nase zerstochen. Warum? Weil sie die Schnauze in einen Stock gesteckt hatte, der noch am Baum hing. Ihre Mama Adelina hätte die Waben erst mit der Tatze vom Baum geholt, damit die Bienen vom Leckerbissen getrennt waren und ihre Nase weg von den Bienen.
Georgia mochte den süßen Honig, mehr noch als ihr Bruder, ihre Mama und mehr als alle anderen Bären in den slowenischen Bergen, die sie kannte.
Sie mochte den Honig so gerne, dass sie eines Tages alle Achtsamkeit vergaß und dem Geruch einer Honigwabe nachging. Die Bienenwabe lag in einer Art Tonne.
Als sie daran zu schlecken begann, machte es „Klick" und ein Stößel löste einen Mechanismus aus. Hinter ihr rutschte ein Gitter mit rostigem Quietschen durch Führungsschienen hinab und krachte auf den metallenen Boden der Tonne. Das Gitter versperrte die Tonne.
Giorgia erschrak.
Sie war gefangen.
Georgia versuchte mit aller Kraft das verdammte Gitter wegzudrücken.
Kein Wehklagen, kein Brüllen, kein Kratzen, kein Schlagen half. Alle Anstrengungen waren vergeblich.
Georgia blieb in der Tonne eingesperrt.
Weil sie hungrig war und weil ein voller Bauch beruhigte, fraß sie die Wabe ratzeputz auf.
Dann blieb ihr nichts anderes übrig als zu warten.
Sie klagte: „Hilfe! Hilfe! – Mama, hilf!"
Adelina und Bruder Hugo hörten sie.
Sie näherten sich dem Tonnenungetüm vorsichtig, ständig um sich blickend.
Ihre Nasen witterten in alle Richtungen und vermuteten in der Nähe Menschen, die das Teufelswerk dort platziert hatten.
Doch Menschen waren keine in der Nähe.
Mama Adelina versuchte mit den Krallen die Gitterstäbe herauszureißen.
Dann warf sie ihren massigen Körper gegen die Tonne, um ihn vom Trailer stoßen. Das Monster würde so zerbrechen, glaubte sie.
Wie sie es an Imker-Hütten schon geschafft hatte, versuchte sie mit der Tatze den Verschlussriegel zu heben; Fehlanzeige.
Auch Bruder Hugo wollte helfen. Er steckte die Krallen beider Tatzen in das feinmaschige vordere Gitter und rüttelte daran, um es im Wechsel herauszuheben oder einzudrücken; kein Erfolg.
Schwester Georgia schaute ihn mit traurigen Augen an; Tränen kullerten.
Mutter und Bruder blieben die ganze Nacht bei Georgia. Als es wieder hell wurde hörten sie ein Motorengeräusch.
Ein Jeep kam angefahren. Ein Mann und eine Frau stiegen aus. Der Mann trug ein Gewehr.
Die beiden Menschen schienen sich über ihren Fang zu freuen. Der Mann legte sein Gewehr in das Auto zurück und holte dafür einen Sack mit Futter.
Beide sprachen beruhigend auf Georgie ein und steckten ihr Heidelbeeren, Haselnüsse und Birnen durch die Gitterstäbe. Als die gefangene Bärin ruhig blieb und sogar zu fressen begann, schoben sie noch eine Schüssel mit Wasser durch eine Klappe.
Diese Menschen schienen Georgia nichts Böses anhaben zu wollen.
Ohne Eile wuchteten sie den Trailer auf die Anhängerkupplung des Zugfahrzeugs und fuhren mit der Bärenfalle und mit Georgia davon.
Nicht sichtbar für die beiden Menschen versuchten Bärenmutter Adeline und Bruder Hugo mit dem Jeep Schritt zu halten, bis die Tonne mit der gefangenen Georgia eine Asphaltstraße erreichte und ihren Blicken entschwand.
„Hättest du doch auf mich gehört", rief Mutter Adelina Georgia nach.
Georgia hatte ihre Freiheit für eine Honigwabe aufgegeben. Sie sollte Mutter und Bruder nie wieder sehen.
DIE PYRENÄEN
Die Pyrenäen sind eine mächtige, über vierhundert Kilometer lange Bergkette im Südwesten Europas.
Geografisch hat dieser Höhenzug mehrere wichtige Aufgaben: Er bildet eine natürliche Grenze zwischen Spanien und Frankreich. Darüber hinaus trennt er die Iberische Halbinsel vom Rest Europas, und er scheidet das Wetter.
Weil er sich mit seinen Dreitausendern wie ein Riegel den Wolken, die sich über dem Atlantik gebildet haben, entgegenstellt, zwingt er sie aufzusteigen. Es kann also im Norden regnen oder schneien, während südlich von seinem Hauptkamm die Sonne scheint.
So ist es in den südlichen Pyrenäen trockener und wärmer.
Weil es wärmer ist, wurzeln noch auf zweitausend Meter Kiefern und Fichten. Bis in 1700 Meter Höhe wachsen Pinien, Buchen und Eichen. Auch die Kastanie wirft dort ihre Schatten.
Manche Wildtiere wandern mit der Vegetation, also mit den Jahreszeiten.
So fressen sich im Herbst Braunbären ihren Winterspeck unter anderem mit Pilzen, Pinienkernen, Eckern, Eicheln und Kastanien an, bevor sie sich zur Winterruhe in ihre Höhlen begeben.
Auch Eichhörnchen, Wildschweine, Rehe und Hirsche sind in den Pyrenäen auf leckere Baumfrüchte aus.
Während sich Hirsche und Rehe dort gut merken müssen, wo später unter dem Schnee noch eine Kastanie zu finden wäre, legen Eichhörnchen für den Winter Vorratslager an.
Luchse und Wölfe sind in den Pyrenäen eine Gefahr für die putzigen Murmeltiere.
Aber Aufpasser der drolligen Bergbewohner warnen ihre Sippschaft durch lautes Pfeifen, und in Windeseile verschwinden dann alle Müßiggänger in ihren weit verzweigten Bauten unter den Alpmatten.
Murmeltiere werden auch von den majestätischen Adlern gejagt.
Der noch größere Bartgeier bringt es auf eine Flügelspannweite von drei Meter.
Geier ernähren sich in den Pyrenäen aber ausschließlich von verstorbenen oder abgestürzten Gämsen.
Gämsen sind manchmal auch die Beute von Menschen.