Geschichten zum Entspannen
Von Alexander Ruß
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Über dieses E-Book
Alexander Ruß
Alexander Ruß - ein Leben lang Künstler auf deutschen Kulturbühnen. Mit Bands wie "ICE", "FOXX", "Duo Bellevue" und "Revue Bellevue." Ab 2020 Autor mit der Biographie "Ganz nah dran", dem Geschenkbuch "Basti, der Meckerer", den Romanen "Der Bauernhof" und "Der Jenseits-Bus" 2024 die Veröffentlichung von "Geschichten zum Entspannen."
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Buchvorschau
Geschichten zum Entspannen - Alexander Ruß
Vorwort
von
Alexander Ruß
Bei mir ist irgendwann etwas eingetreten, von dem ich niemals gedacht hätte, dass es jemals so kommen würde. Ich konnte von einem auf den anderen Tag nicht mehr einschlafen. Bis dahin hatte ich nie irgendwelche Probleme, in die erholsame Welt des abgeschalteten Wachzustandes abzutauchen.
Wenn ich mich spät abends ins Bett legte und in mein Kopfkissen kuschelte, drifteten meine Gedanken langsam ab und ich schlief ein.
Gerade jetzt, im gesegneten Rentenalter, wo mich keinerlei Sorgen bedrängten und viel Freizeit mein Leben bestimmten, verdrängte irgendetwas meine innere Ruhe, sodass ich das erste Mal von 23 Uhr bis um 7 Uhr am nächsten Tag kein Auge schließen konnte.
Immer wieder machte ich dann den riesigsten Fehler, den man in einer solchen Situation machen kann – ich schaute alle paar Minuten auf die im Schlafzimmer an der Wand hängenden und hörbar tickenden Uhr und dachte, das gibt’s doch nicht, schon fast 4 Uhr und ich schlafe immer noch nicht.
Mit natürlichen Mittelchen wie Baldrian und Hopfen wollte ich probieren, das Sandmännchen anzulocken, was mir aber leider nicht gelang. Im Gegenteil – durch das Bier, in dem ja der Hopfen versteckt war, musste ich ausgerechnet dann zur Toilette, wenn ich gerade dabei war, vielleicht doch einzuschlafen. Und auch die Baldriantropfen brachten auch nach Tagen nicht den erwarteten Erfolg.
Zum Glück schlief ich wenigstens in der darauffolgenden Nacht, da ich total übermüdet war.
Dieser Ablauf wiederholte sich ein paar Mal - eine Nacht wach, die nächste dann wieder im Tiefschlaf. Ich dachte, irgendwie muss es doch möglich sein, einfach richtig abzuschalten.
Das Schlimmste, was das Einschlafen stört, ist das Denken daran, dass man jetzt unbedingt schlafen muss. Das ist die beste Garantie dafür, dass man hellwach bleibt und nicht einschlummert.
Man muss ABSCHALTEN und in seiner Fantasie abdriften, Hauptsache aber nie denken – ich muss jetzt schlafen.
Den Fernseher, der mit seinen Blauanteilen im Bild jegliches zur Ruhe kommen vertreibt, habe ich ab dann zwischen 22 und 23 Uhr ausgeschaltet und versucht, im dunklen Raum meinem Schlafhormon Melatonin die Chance zu geben, mich müder und müder werden zu lassen.
Vielen Menschen gelingt das Abdriften durch Lesen gut, bei mir allerdings bemerkte ich, dass das Erfinden von Geschichten, die mich in meiner Fantasie zur Ruhe kommen lassen, ein gutes Schlafrezept ist. Diese Geschichten möchte ich in diesem Buch weitergeben - in der Hoffnung, dass viele Leser damit auch ihr persönliches Sandmännchen anlocken werden.
Ich wünsche hiermit allen, die dieses Buch lesen, eine geruhsame Nacht und wunderbare Träume. Und verdammen Sie auf jeden Fall alle tickenden oder sichtbaren Uhren aus ihrem Schlafgemach.
Denken Sie an irgendwelche schönen Dinge, und begleiten Sie vielleicht einen alten Schäfer mit seiner Herde auf einem Spaziergang. Riechen Sie den süßlichen Rauch seiner Pfeife und schlummern Sie beim Hören der vielen beruhigenden „Määhs", die über die große Wiese zu hören sind, sanft ein.
Der einsame Hirte
Er lebte schon immer hier. Nur hier, im Norden Griechenlands, das war seine Heimat. Die Rede ist von Petros, er war der zweite Sohn einer einfachen Bauernfamilie, die eine Schafherde von ca. 300, zeitweise 500 Tieren besaß. Die Zahl schwankte, da sich die Herde immer stark vergrößerte, wenn neue Lämmer das Licht der Welt erblickten, und sie sich wieder verkleinerte, wenn Tiere abgegeben wurden.
Petros wurde gerade vor einem Monat 22 Jahre alt, und sein gesamtes Leben spielte sich hier ab, in der Winterzeit auf dem im Tal angesiedelten Hof, und im Sommer auf den hochliegenden, fast alpinen Weideflächen in den Bergen.
Schon als kleiner Junge war er immer und überall dort mit dabei, wo seine geliebten mähenden Vierbeiner waren. Außer den Schafen waren noch Border Collies als Helfer mit in der Gemeinschaft, denn alleine hatten seine Eltern nicht den Überblick über die große Herde.
Die Hunde hatte er besonders in sein Herz geschlossen, sie passten nicht nur auf die Schafe auf, sondern hatten auch Augen auf ihn, und würden den kleinen Jungen in jedem Fall verteidigen, wenn es zu einem bedrohlichen Zwischenfall kommen würde. Außer Vater Nikos, seiner Mutter Helena und seinem zwei Jahre älteren Bruder Georgios umgaben ihn noch die beiden Großmütter Artemis und Dimitra, sowie die Opas Zacharias und Leandros.
Das war seine nächste Verwandtschaft, die Menschen, die er meistens um sich hatte. In der Winterzeit sah er sie täglich, sie wohnten ja fast alle zusammen, nur die Eltern seiner Mutter lebten in einem kleinen Dorf, zwei Kilometer von ihnen entfernt.
Ab dem späten Frühjahr änderte sich das Gewohnte. Dann wurde die gesamte Herde auf die Berge getrieben, um dort den Sommer über, einerseits die Landschaft zu pflegen und vor allen Dingen sich selbst mit frischem Grünfutter zu versorgen. Dazu mussten alle Tiere vom Tal die teils schwierige Wegstrecke bis hinauf zu den Bergwiesen bewältigen. Hierzu teilte sich die Familie auf. Während der Opa, der Vater und die Mutter sich unten im Tal um die Einlagerung des nächsten Winterfutters kümmerten, begleiteten die beiden Brüder als Hirten die Herde hinauf in die Berge. In den letzten zwanzig Jahren lernten die beiden Brüder von ihren Eltern mehr und mehr den verantwortungsvollen Umgang mit den Tieren, so dass sie den Aufstieg schon seit geraumer Zeit alleine bewerkstelligen konnten.
Es war für Mensch und Tier ein kräftezehrender Weg vom Hof im Tal hoch zu den alpinen Wiesen. Ganze vier Tage dauerte der nicht ganz ungefährliche Aufstieg.
Petros und Georgios sowie die drei Border Collies hatten jede Menge Arbeit, die vier- bis fünfhundert Schafe sicher nach oben zu geleiten. Die Vierbeiner waren alle mehr oder minder aufgeregt beim Start der langen Wanderung, so direkt aus ihrem Winterquartier kommend. Die Route orientierte sich an einem Fluss entlang, der im Tal zu einer stattlichen Breite angewachsen war, und sich auf seiner Länge hinauf zu den Bergwiesen immer mehr zu einem kleinen Bächlein verjüngte.
Ein sonniges Wetter erleichterte ihnen heute den Aufstieg, denn der Weg, der von Zeit zu Zeit gefährlich glitschige Abschnitte vorwies, war trocken und somit trittsicher. Petros war der geborene Schäfer. Er hatte ein großes Herz für die Tiere und achtete stets darauf, dass besonders die kleinen Lämmer auf dem für sie doch sehr anstrengenden Aufstieg nicht überfordert wurden. Deshalb nahm er immer wieder eins auf seinen Arm, um ihm die Tortur etwas zu erleichtern.
Sein Bruder Georgios war nicht so auf die Schäferei fixiert. Er hatte schon in frühester Kindheit gezeigt, dass seine Interessen mehr im technischen Bereich lagen. Da das aber auch sehr hilfreich für einen landwirtschaftlichen Betrieb sein kann, schlugen die Eltern vor, dass er nach seiner Schulzeit eine Ausbildung zum Schlosser absolvieren sollte. Seit dieser Zeit begleitete Georgios seinen Bruder und den ganzen Treck nur bis rauf ins alpine Gelände zu den Bergwiesen.
Danach wurde er von seinem Vater mit einem betagten Transporter wieder mit ins Tal genommen.
Der Vater begleitete die ganze Gruppe mit dem älteren Gefährt, in dem Proviant sowie wärmende Felle für die lange Tour verstaut waren. Außerdem schliefen sie in dem Blechvehikel, bis sie die kleine Hütte auf den Bergen erreichten, in der dann Petros alleine wohnte, bis die Saison nach dem Sommer beendet war.
Die Hütte war der zentrale Mittelpunkt des riesigen, viele Kilometer weit reichenden Geländes, auf dem die fast 500 Tiere zählende Herde ohne jeglichen Stress grasen und seine Landschaftspflege betreiben konnte.
Hier war Petros mit Schafen und den Hunden für die nächsten Monate ganz auf sich alleine gestellt, in einer vollkommenen, von keinerlei Menschen gestörten Natur.
Wo fast jeder vor Einsamkeit seinen Lebensmut verlieren konnte, da blühte Petros in absoluter Stille auf.
Er konnte nie verstehen, dass man dieses Paradies als langweilig oder gar lebensfeindlich ansehen konnte. Hier gab es keinerlei Stress, lauten Straßenlärm, oder gar Streitigkeiten und Zank, der ja unweigerlich dann entsteht, wenn viele Menschen auf einem engen Raum leben.
Petros sog die frische Luft in seine Lunge ein und spürte, wie gut ihm das tat.
Niemals würde er dieses Lebensgefühl mit einem Stadtbewohner tauschen wollen. Immer wieder gab es ihm neue Kraftimpulse, wenn er seinen Blick zu den vielen Bergspitzen schweifen ließ.
Er lebte hier oben in einer bescheidenen Hütte und hatte nur das Nötigste, was man zum Leben braucht. Der einzige Luxusartikel war ein kleines Transistorradio, welches er abends ab und zu mal einschaltete, um zu erfahren, was in der Welt da unten so alles vor sich ging. Im Tal war es jetzt schon viel zu heiß für die Schafe, hier in der Kühle der Berge fühlten sie sich im Frühsommer am wohlsten. Die frischen Kräuter spendeten ihren Körpern immense Vitalität, die Natur konnte hier demonstrieren, welche Kraft und Gesundheit sie weitergeben kann. Da einige Muttertiere trächtig mit auf den Berg kamen und hier ihre Lämmchen gebären mussten, war dieses natürliche Futter ein Muss, um mit einer vitalen Muttermilch einen guten Start ins Leben zu gewährleisten.
Petros wäre auch in der Lage gewesen, bei eventuellen Geburtskomplikationen wie zum Beispiel einer nicht richtigen Lage des Fötus, helfend einzugreifen, um somit das Neue und auch das alte Leben zu retten. Es lag ihm derart viel an der Umgangsweise mit seinen ans Herz gewachsenen Vierbeinern, dass er sich von dem ansässigen Tierarzt alles erdenkliche Wissen über die Anatomie von Schafen vermitteln ließ. Er kam somit nie in eine aussichtslose Situation, bei der er nur verzweifelt zusehen konnte, wie ein Unglück seinen Lauf nahm. Durch sein Wissen wurden hier oben schon einige Leben gerettet.
Ansonsten wurde sein Tagesablauf nicht von Uhren, sondern nur von Hell und Dunkel bestimmt. Und im Hellen wurde gehütet und im Dunkeln geschlafen, so einfach war das .
Da die Schafe die Tendenz hatten, ihr Territorium immer weiter auszudehnen, mussten die Hunde dafür sorgen, die grasende Herde nicht zu weit auseinanderdriften zu lassen.
Sie waren immer clever genug, sich auf eine Anhöhe zu begeben, um sich von dort oben einen perfekten Überblick über die grasende Schar zu verschaffen. Petros brauchte ihnen meistens gar keine Befehle geben, die drei haarigen Helfer erledigten ihre Arbeit fast völlig eigenständig.
Morgens, wenn Petros wach wurde und er seine Augen das erste Mal öffnete, war es meistens noch sehr frisch, ja eigentlich fast kalt, und er freute sich schon ungemein auf einen heißen Kaffee, den er sich dann direkt im Anschluss auf der kleinen Feuerstelle kochte. Er genoss dann beim Trinken das Gefühl, fast gar nichts zu besitzen, und wurde gerade deswegen mit ausgiebigen Glücksgefühlen beschenkt. Das war nicht nur bei einem hervorragend mundenden Kaffee der Fall, sondern auch beim Anblick der Landschaft, beim Geruch der Gräser und Kräuter sowie beim Fühlen der wunderbaren Stille, die ihn umgab.
Wie viele Menschen dort unten in ihren überfüllten, urbanisierten und fast bedrohlichen Lebensräumen konnten diese Geschenke gar nicht mehr wahrnehmen, sie wollten immer mehr und konnten trotzdem nie zufrieden sein.
Ihnen wurde tagtäglich suggeriert, sie bräuchten unbedingt noch dieses und jenes, aber eine andauernde Zufriedenheit breitete sich nie in ihrer Psyche aus.
Petros beobachtete manchmal ein einziges Schaf beim Fressen und verinnerlichte dann, wie friedliebend und ohne jeglichen Killerinstinkt sie ihr Dasein fristen. Es bildeten sich in solchen Momenten in ihm Schuldgefühle, weil man über diese Lebewesen ohne ihre Zustimmung einfach hinweg bestimmte. Der Mensch war intelligenter und nutzte es aus, dass sie sich nicht wehren konnten. Er züchtete sie und er verkaufte sie, es waren Sklaven, so wie viele andere Tiere.
Auf der anderen Seite mussten sich auch die Menschen ernähren und dafür sorgen, dass sie die wärmende Wolle der Schafe für sich nutzen konnten. Bei der Schur wurde ihnen nicht das Leben genommen, bei der Milch auch nicht, nur beim Fleisch.
Nur nicht zu sentimental werden, dachte er sich, das ist eben der Lauf der Dinge. Petros genoss es, wenn die Sonne am Vormittag höher und höher stieg, und mit ihrem Erklimmen zum höchsten Punkt die Temperatur in sehr angenehme Bereiche kletterte.
Er würde um kein Geld der Welt hier mit irgendjemandem tauschen wollen.
Hier war die Welt vollkommen, für ihn zumindest. Er hatte einmal vor zwei Jahren eine Freundin, die er hierher mitnahm, doch sie hatte es nach drei Wochen nicht mehr ausgehalten und ist mit dem Provianttransporter sehnsüchtig wieder mit nach Hause gefahren. Sie konnte mit der menschenleeren, für sie fast gespenstigen Stille überhaupt nichts anfangen.
Als sie damals mit auf den Berg wanderte, sah sie auf ihrem Handy, dass mit jedem gewanderten Kilometer der Empfang schwand. Schon nach drei Tagen hatte sie ein immens einsames Gefühl, so ganz abgeschnitten von der normalen Gesellschaft. Die beiden jungen Menschen waren so unterschiedlich in ihren Charakteren, dass ihnen schnell klar wurde, sie passen einfach auf Dauer nicht zusammen.
Petros war ein gut aussehender, groß gewachsener Mann mit schwarzem Haar und braunen Augen. Er hatte das Aussehen und auch die richtige Ausstrahlung, um mit Leichtigkeit in jeder Gesellschaft sofort die Blicke einiger jungen Damen auf sich zu ziehen, aber eine finden, die auch zu ihm passte, war doch gar nicht so einfach. Er wollte weder tanzen noch laute Partys, oder sich gar sinnlos betrinken und dumme Sprüche klopfen. Was er wirklich brauchte, das hatte er hier in der Einsamkeit der Berge gefunden.
Seine Ohren nahmen in der Stille das beruhigende Mähen der Schafe als überaus angenehm wahr, es gab ihm eine spürbare Kraft, die einfach aus dem Nirgendwo in ihn einströmte.
Sein Blick schweifte aber nicht nur über die Kulisse der einmaligen Natur, sondern er sah sich auch aufmerksam den Gang eines jeden Tieres an.
Sollte er ein Humpeln oder Lahmen ausmachen, inspizierte er sofort die Klauen und entfernte dann eventuelle Fremdkörper wie Holzstücke oder Steine, die sich verkantet und eingeklemmt hatten. Bei dieser Kontrolle nahm er die Gelegenheit wahr, schnitt und säuberte verantwortungsbewusst und fachgerecht alle Klauen des betreffenden Vierbeiners. Diese Pflege konnte bei einem Tier auch schon mal etwas länger dauern, besonders wenn die Behandlung wegen einer Krankheit intensiver vorgenommen werden musste, zum Beispiel mit einer speziellen Badelösung.
Oftmals hatte Petros über mehrere Stunden mit