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Jenseits dieser Zeit
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eBook352 Seiten4 Stunden

Jenseits dieser Zeit

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Über dieses E-Book

Es geht darum, aufgrund neuer physikalischer Erkenntnisse den Bezug der Menschheit zum Jenseits anders darzustellen als die Religionen. Verschiedene geschichtliche Vorkommnisse könnten bezüglich des Verhältnisses der Menschen zum Jenseits auch anders interpretiert werden, als sie das bisher wurden. Nicht die Religion sondern die Science Fiction kann helfen, unsere Geschichte zu verstehen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum2. Juli 2022
ISBN9783347677005
Jenseits dieser Zeit
Autor

Max Meyer

Max Meyer lives in Bern, Switzerland and is the author of several works of nonfiction dealing mostly with economics and politics. He is an avid reader with a passion for history and science. “The Other Side of Now” is his first work of fiction. When asked about controversial themes in the book, he says, “I am not at all amazed that the concepts in my novel may seem provocative. My fascination is with the realization that humans may have guided the course of our development themselves.”

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    Buchvorschau

    Jenseits dieser Zeit - Max Meyer

    Prolog

    Gott ermunterte mich, dies zu schreiben. Aber er zwinkerte mir zu und sagte, niemand würde es veröffentlichen wollen. Welche Anweisungen hätte er mir gegeben, wenn er gewusst hätte, dass die Publikation tatsächlich erfolgt? Hätte er sie verboten und gesagt, die Menschheit sei noch nicht reif dafür? Oder hätte er es als an der Zeit gesehen, dass sich die Menschen mit der vollen Wahrheit und namentlich auch mit Gottes wahrer Identität befassen und die Veröffentlichung dieses Berichts zugelassen?

    Nicht, dass ich jemals wirklich gläubig gewesen wäre, wie Sie jetzt sicher denken. Ganz im Gegenteil. Trotzdem, ich kannte Gott, und ich kannte ihn persönlich. Sie werden sehen.

    Alles begann, als ich einundzwanzig war. Inzwischen bin ich alt geworden. Wenn ich vor dem Spiegel stehe, blickt mir ein faltiges Gesicht entgegen. Ich erkenne es kaum wieder. Sicherlich ist es nicht mehr das Gesicht des jungen, dynamischen Studenten, der ich damals war. Wenn ich morgens aufstehe, kribbelt es in meinen Gelenken, und jeden Abend schlucke ich drei verschiedene Pillen, damit der nächste Tag erträglicher wird. Ich blicke also auf mein Leben zurück und frage mich, was eigentlich meine Pflicht ist. Muss ich meine Mitmenschen warnen? Soll ich sie wenigstens aufklären, indem ich ihnen meine Erlebnisse schildere, oder diene ich ihnen besser, wenn ich ganz nüchtern und wissenschaftlich darstelle, was auf der Erde wirklich vorgeht? Die Abwägung meiner Optionen gehe ich heute – im vorgerückten Alter – kühl und nüchtern an. Allerdings ‒ und das ist das Wichtigste ‒ werde ich im Geheimen schreiben und niemandem davon erzählen, bis das Werk veröffentlicht ist. Denn ich habe Grund zu der Annahme, dass man mich daran hindern könnte, indem man ganz einfach meine Erinnerung aus meinem Gehirn löscht, ähnlich wie der Speicher eines veralteten Computers gelöscht wird. Das aber möchte ich vermeiden.

    Die Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzähle, ist eigentlich nicht abgeschlossen, sondern immer noch in vollem Gang. Trotzdem nimmt sie auch heute noch niemand wahr. Wäre ich nicht durch Zufall darauf gestoßen, hätte ich selbst vielleicht nie die Wahrheit gesehen. Aber jetzt, wo ich sie gesehen habe, fühle ich mich gezwungen, davon zu berichten. Es ist, als wäre die gesamte Menschheit blind, gefangen in ihrer bequemen Weltanschauung, die durch die Physik von Galilei, Newton und Einstein geprägt ist.

    Diese Sachlage geht auf die Zeit der Griechen zurück, als Ptolemäus uns sein Weltbild schilderte. Er schaute in den Himmel und beobachtete, dass sich einige Sterne gemeinsam in dieselbe Richtung bewegten, und schloss daraus, dass sie in einer Sphäre verbunden sein mussten. Andere Sterne bewegten sich in eine andere Richtung und waren somit in einer anderen Sphäre verbunden. Ptolemäus stellte fest, dass der Himmel aus sieben sich überlagernden Sphären besteht, die sich alle in verschiedener Richtung drehen. Dieses ptolemäische Weltbild mit der Erde im Mittelpunkt, die von sieben Himmelskugeln umgeben ist, hatte jahrhundertelang Bestand. Es erklärte, was die Menschen sahen, wenn sie in den sternenübersäten Himmel blickten. Die Sterne bewegten sich in sieben Richtungen, also musste es auch sieben Sphären geben. Was sie sahen, musste einfach wahr sein. Warum es in Frage stellen? Aber genau das ist das Problem. Wir alle sehen oft etwas und halten es für eine Tatsache, auch wenn unsere Erklärung für das, was wir sehen, eigentlich nicht stimmt. Wir bleiben auch in alten Ideen stecken und ignorieren Beweise für etwas Neues. Das tun wir selbst dann, wenn die Hinweise augenfällig sind.

    Diese Geschichte ist nicht erfunden. Ich habe sie erlebt. Zwar habe ich teilweise einige Dialoge und Abläufe rekonstruiert; ich hatte aber gute Quellen so dass auch sie der Wahrheit entsprechen. Im Laufe meines Lebens habe ich viele Abenteuer überstanden. Ich habe gelernt, nur das zu glauben, was ich beobachtet habe, und nur das zu tun, was ich für richtig halte. Ich nehme Leute nicht ernst, die weit hergeholte Geschichten über Geister, übersinnliche Phänomene, ‚Zufälle’, die gar keine sind, oder irgendeinen anderen abergläubischen oder metaphysischen Unsinn erzählen. Ich kann so etwas einfach nicht glauben, denn in der Wissenschaft zählt nur, was konkret beweisbar ist ‒ und nicht, was man einfach glaubt. Deshalb verstehe ich auch wenn Sie meine Geschichte nicht ernst nehmen wollen. Aber ich bitte Sie trotzdem, mich anzuhören. Bleiben Sie beim Lesen wenigstens unvoreingenommen. Wenn Sie mir am Ende immer noch nicht glauben, prüfen Sie mindestens, ob das, was ich erzählt habe, sich so zugetragen haben könnte.

    Ich muss jedoch vorsichtig sein. Es darf niemand erfahren, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Dort, wo ich herkomme und früher lebte, könnte ich mich kaum an Diskussionen beteiligen, die durch meine Geschichte ausgelöst werden. Das stört mich ungemein. Denn gerne hätte ich alle noch offenen Fragen beantwortet und namentlich allfällige Zweifler, die es unter den Menschen immer gibt, mit weiteren Argumenten überzeugt. Anderseits weiß ich, dass meine Botschaft auch ohne zusätzliche Unterstützung ankommen und jeden nur denkbaren Wirbel verursachen wird. – Manchmal stelle ich mir in Gedanken die Diskussionen vor, die ich heraufbeschwören werde. Dabei sehe ich nicht nur die Wissenschaftler. Sie würden sich schnell auf diese neue Wissensgrundlage einstellen. Nein. Ich stelle mir auch Politiker vor ‒ einschließlich großer Staatsmänner ‒, die glauben, dass sie sich in jeder Rede auf Gott berufen müssen, um ihre eigenen Annahmen und Positionen zu rechtfertigen. Ich sehe Prediger, die sich als Mittler Gottes wähnen und ihre eigentümlichen Ansichten mit ihrer angeblich besonderen Beziehung zu einer höheren Macht rechtfertigen, die nur sie selbst haben. Und schließlich sehe ich religiöse Fundamentalisten hoch oben auf ihren Kanzeln, die Intoleranz praktizieren, alles im Namen Gottes. Ich sehe sie, all jene, deren Weltbild zusammenbricht, wenn sie mit der Wahrheit konfrontiert werden. Wie erbärmlich würden sie reagieren, wenn ich ihnen die wahre Natur ihrer Sache beweisen würde! Was für ein Vergnügen wäre es, sie stürzen zu sehen!

    Wie genau mein Manuskript die Zeit übersprang und in die Hände eines Verlegers gelangt war ‒ darüber schweige ich. Selbst der Verleger weiß nicht, wie das geschehen konnte.

    So unglaublich Sie meine Geschichte anfangs auch finden mögen, ich denke, dass sich einige von Ihnen schnell an das neue Wissen gewöhnen werden. Die Menschheit hat schon oft große wissenschaftliche Umwälzungen verkraften müssen. Sie wird auch mit meinem Bericht fertig werden. Mit der Zeit werden die Menschen die Informationen vielleicht sogar als selbstverständlich und normal empfinden. Manche werden sagen: „Wie konnten die Menschen nur so dumm sein, dass sie das alles nicht sehen konnten?" Es wird dasselbe sein wie damals, als die Menschen erkannten, dass die Erde keine flache Scheibe, sondern eine Kugel ist? Waren nicht auch damals die Mächtigen und viele andere gegen die Verbreitung einer solchen ‚Ketzerlehre’, während man sich heute fragt, wie man damals nur so dumm sein konnte, die Wahrheit nicht zu erkennen? Es gab viele Anzeichen dafür, dass die Erde nicht flach ist. Nur ein Beispiel: Schiffe erhoben sich allmählich am Horizont, wenn sie sich dem Land näherten. Zuerst sah man nur den Mast, dann die Segel und je näher sie kamen auch den Bug. Offensichtlich segelten sie auf einer kugelförmigen Erde.

    Genauso wird dieser Bericht deutlich machen, dass im Laufe der Geschichte, von der Antike bis heute, die Beweise auf die Wahrheit hinweisen. Wie konnten die Menschen die Beweise nicht sehen und sie dann, wenn sie sie sahen, völlig falsch interpretieren?

    ***

    Ich begann mich mit den Ereignissen, über die ich hier schreibe, erst zu befassen nach der Ermordung von Heinz Roos, dem Assistenten von Professor Bucher am Seminar für Theoretische Physik der Universität Bern (Schweiz). Mein erstes Kapitel erzählt dieses schreckliche Vorkommnis. Damals arbeitete ich als Assistent an der juristischen Fakultät, die sich im selben Gebäude, ein Stockwerk höher, befand. Heinz Roos war ein Kollege und gewissermaßen ein Freund.

    Die ersten Hinweise ergaben sich aber während einem Kongress schon vor dem Mord. Doch erst später wurden sie bedeutsam. Der Kongress war von der Abteilung für Ethnologie organisiert worden. Sie hatte nichts mit der juristischen Fakultät zu tun. Das Thema interessierte mich, und so ging ich hin, um an verschiedenen Veranstaltungen des Kongresses teilzunehmen.

    Ein Amerikaner namens Alco Sci nahm ebenfalls am Kongress teil. Er war nur zu diesem Zweck in die Schweiz gereist. Er hatte einen Verdacht, einen Verdacht, der später auch in mir aufkam. Leider waren seine Motive jedoch ganz andere als meine.

    Alco Sci, ein kleiner, bulliger Mann, hatte einen runden, dicken Kopf mit asiatischen Zügen. Sein Haar war silbergrau und passte zu den buschigen Augenbrauen, die sein Gesicht beherrschten. Mit leicht zu kurzen herabhängenden Armen, von kräftiger Statur und mit federndem Schritt sah er eher aus wie ein japanischer Ringer als ein Gelehrter. Er trug immer einen dunklen Anzug und eine Krawatte und vermittelte den Eindruck eines unerbittlichen, harten und böswilligen Mannes, ein Eindruck, der sich bei meiner kurzen Begegnung mit ihm später bestätigte. Sci stammte, wie ich nach einiger Zeit herausfand, aus Petersburg, Kentucky (USA). Er war anscheinend ursprünglich Professor für Physik, lehrte aber nicht mehr an einer Universität. Ich konnte beim besten Willen nicht herausfinden, was er eigentlich tat. Anscheinend arbeitete er in der Verwaltung einer Freikirche; er war viel zu schweigsam und zu wortkarg, um ein erfolgreicher Prediger gewesen zu sein. Später fragten wir uns sogar, wer ihn überhaupt zum Kongress eingeladen hatte. Aber er war da. Er muss eine Einladung gehabt haben, und jemand muss für seine Reise und die Anmeldung bezahlt haben.

    Mit dem Wissen, das ich jetzt habe, rekonstruiere ich seine Ankunft so. Sci landete am Flughafen Zürich und nahm den Zug um 10:02 Uhr nach Bern. Genau sechsundfünfzig Minuten, nachdem der Zug ins Rollen gekommen war, stand er auf dem Bahnsteig im Berner Bahnhof. Er trat aus dem Gedränge heraus, ließ die eiligen Pendler vorbeiziehen und betrachtete seine Einladung. Sie enthielt einen kleinen Plan mit wichtigen Orientierungspunkten. Die Universität lag ganz in der Nähe und war leicht zu Fuß zu erreichen.

    Erstaunlich ist, dass Sci allein gekommen war. Er war nicht von einer Eskorte junger Bodyguards begleitet wie bei seinem späteren Besuch. Also musste er sich selbst orientieren. Er stellte fest, dass er nur bis zum anderen Ende der unterirdischen Ebene des Bahnhofs gehen und dann den Aufzug zur Straßenebene nehmen musste. Dort angekommen, würde er sich auf der rechten Seite des wissenschaftlichen Instituts befinden. (Der Bahnhof in Bern war geschickt am Stadtzentrum gebaut worden und befand sich sozusagen direkt unter der Universität.) Der Standort war äußerst praktisch für die Wissenschaftler aus aller Welt, die sich auf dem Kongress versammeln sollten, und von denen kaum einer gerne einen Stadtplan studierte.

    Zügig durchquerte Sci die Unterführung in ihrer ganzen Länge. Mehrere Leute warteten vor einem Aufzug. Er schloss sich ihnen an und betrat den Aufzug, sobald sich die Tür öffnete. Überrascht betrachtete er die Wände während der Fahrt nach oben. Sie waren voller Schmierereien und Graffiti und bestätigten seine Ansicht, dass in der westlichen Welt eine dekadente Generation heranwuchs. Der heutigen Jugend fehlte das ethische Rückgrat. Sie hatte keine Maßstäbe, nach denen sie Werturteile fällen konnte, wie sie von seiner Religion vorgegeben wurden. Ora et Labora ‒ bete und arbeite ‒ war das Motto der mittelalterlichen Klöster. Sci hatte es sich zu eigen gemacht. Die Schweiz, einst die Wiege der calvinistischen Werte, hatte ihre Arbeitsmoral und ihren Leistungswillen verloren, ebenso wie Teile seines eigenen Landes, die Ost- und vor allem die Westküste. Die calvinistischen Werte waren diejenigen, die ihm am meisten zusagten, und er vertrat sie mit seinem ganzen Auftreten.

    Auf der Straße angekommen, orientierte er sich noch einmal und ging auf das Gebäude zu, in dem der Kongress stattfinden sollte. Er fand das große Auditorium auf Anhieb.

    Einige Teilnehmer waren mit ihm vom Flughafen Zürich nach Bern gereist. Da sich die meisten nicht kannten, waren sie in verschiedene Waggons des Zuges gestiegen und hatten sich individuell auf den Weg zur Universität gemacht. Andere Teilnehmer waren mit früheren Zügen angereist und vertrieben sich die Zeit mit einer improvisierten Stadtbesichtigung, bevor sie zur Universität weiterfuhren. Wieder andere waren mit dem Zug aus Genf angereist oder hatten sich einen Tag früher auf den Weg gemacht.

    Insgesamt waren etwa fünfzig Wissenschaftler aus der ganzen Welt für zwei Tage zusammengekommen. Es war also keine große Veranstaltung und machte folglich keine Schlagzeilen. Die meisten Teilnehmer waren relativ junge Biologen und Anthropologen, die sich mit der Geschichte der Erde befassten. Ihr Hauptinteresse galt der Frage, wie das Leben auf der Erde entstanden ist, wie sich die heutigen Lebensformen entwickelt haben und vor allem, wie ein so komplexes Lebewesen wie der Mensch entstanden ist. Ziel des Kongresses war es, den Austausch und die Diskussion über die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse auf diesem Gebiet zu fördern. Weder der Kongress noch das Thema waren außergewöhnlich. Es gab keine Verlautbarungen mit bedeutenden Konsequenzen. Aber für mich ist dieser Kongress der Ort, an dem alles begann, denn der Kongress brachte zwei wichtige Personen zusammen, wenn auch nur für kurze Zeit ‒ Alco Sci und Eduard Bucher.

    ***

    Darwins Evolutionstheorie diente als Grundlage für die Diskussion im Kongress. Die Theorie hatte in der wissenschaftlichen Welt lange Zeit die Oberhand behalten, da sie in der Natur eindeutig belegt war. Die meisten Wissenschaftler waren der Meinung, dass die Entwicklung der verschiedenen Arten nicht anders hätte verlaufen können, und für die auf dem Kongress anwesenden Wissenschaftler gehörte sie zu den Grundvoraussetzungen, auf die sie ihre laufenden Forschungen stützten.

    Die Debatte über die Einzelheiten des tatsächlichen Ablaufs der Evolution ging jedoch weiter. Es gab zwei ernstzunehmende und eindeutige Theorien über die Entwicklung des Lebens von Einzellern zum Menschen. Die eine Theorie besagte, dass sich die ursprüngliche Lebensform, einzelne primitive Zellen, mehr oder weniger zufällig entwickelte. Diese Zellen veränderten sich dann im Laufe der Zeit durch eine Reihe von Zufallsmutationen. Nach dem Gesetz des ‚Survival of the Fittest’ setzen sich bestimmte Mutationen in einer bestimmten Umgebung gegen andere konkurrierende Lebensformen durch, und durch diesen Prozess entwickelten sich kompliziertere Wesen. Nach Millionen von Jahren dieser Art von evolutionärer Entwicklung entstand schließlich der Mensch. Die Theorie der ‚natürlichen Auslese’ hatte unter den Wissenschaftlern viele Anhänger und war weithin akzeptiert.

    Die andere Theorie stützte sich auf statistische Berechnungen und behauptete, dass zwischen dem Auftreten der ersten Lebensform und dem heutigen Tag nicht genügend Zufallsmutationen stattgefunden haben können. Dafür gab es einfach zu wenig Zeit. Es müssen also andere Faktoren im Selektionsprozess vorhanden gewesen sein und die Entwicklung beeinflusst haben. Diese Faktoren entsprachen den in der Natur vorkommenden Mechanismen. Sie lenkten die Evolution in eine bestimmte Richtung, nämlich hin zu intelligenten Lebensformen. Natürlich waren nicht alle diese Faktoren bekannt und stellten die Wissenschaftler vor große und andauernde Forschungsaufgaben.

    Einige Wissenschaftler machten sich die Tatsache zunutze, dass wir nicht alle diese Steuerungsmechanismen kennen, und interpretierten die menschliche Unwissenheit als Beweis für das Wirken einer höheren oder göttlichen Macht. Ihrer Meinung nach ist es diese Macht ‒ Gott ‒, welche die Evolution in Richtung intelligentes Leben gelenkt hat. Natürlich erkannten diese Gelehrten die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung an, aber sie postulierten auch die Anwesenheit einer göttlichen Hand, wo die Wissenschaft keine Erklärung finden konnte.

    Die Wissenschaftler, die Darwins Evolutionstheorie ablehnten, nahm niemand mehr ernst. Diese Menschen waren meist religiöse Fundamentalisten, die buchstabengetreu an die Schöpfungsgeschichte der Bibel glaubten und behaupteten, das Leben sei vor einigen tausend Jahren durch einen göttlichen Akt erschaffen worden. Einige lehnten auch die Idee, dass der Mensch vom Affen abstammt, als Gotteslästerung ab. Erstaunlicherweise vertraten sogar vereinzelte Hochschulabsolventen diese Ansicht, als ob es die bisherigen Forschungen und Erkenntnisse nicht gäbe. Am Kongress in Bern wurden diese fundamentalistischen Ansichten nicht einmal diskutiert.

    Die Teilnehmer sprachen jedoch eine andere Reihe von Fragen an, die mich interessierten: Würde sich das Leben in der Zukunft weiterentwickeln? Würden sich zum Beispiel die Menschen weiterhin verändern und an die sich ständig verändernden Lebensbedingungen anpassen? Und wenn ja, in welche Richtung würde sich dieser Wandel vollziehen? Die Teilnehmer suchten nach Hinweisen, die auf eine fortschreitende Evolution der Lebensformen hinweisen, insbesondere bei den Menschen in den letzten Jahrzehnten oder Jahrhunderten. Sie wollten in diesem Zusammenhang wissen, was den menschlichen Fortschritt in den letzten paar tausend Jahren ‒ von den Höhlenbewohnern bis zu unserer heutigen Kommunikationsgesellschaft ‒ tatsächlich bewirkt hat. Hatten schlaue Mutationen eine Rolle gespielt? Solche Fragen, wenn sie unvoreingenommen diskutiert wurden, erwiesen sich für religiöse Menschen als besonders schwierig. Unter Wissenschaftlern jedoch waren sie von brennender Aktualität.

    ***

    Der Hörsaal nahm weit mehr als fünfzig Personen auf. Die Teilnehmer setzten sich mit großen Zwischenräumen in die Bänke. Meist grüßten sie sich nur flüchtig, kamen sie doch aus aller Welt und kannten einander kaum persönlich.

    Als Sci den Hörsaal betrat, strich er sich leicht verlegen durchs kurzgeschorene silbergraue Haar und blieb im Eingang stehen, um einen Überblick zu gewinnen. Dann setzte er sich in die Reihe neben dem Hintereingang. Er wusste aus dem Programmheft, dass die Veranstaltung ins Deutsche und Englische gedolmetscht würde. Er konnte kein Deutsch. Englisch war seine Muttersprache. Er hatte jedoch nicht die Absicht, sich an den Diskussionen zu beteiligen oder seine Meinung zu sagen und andere herauszufordern. Diese Gruppe von Menschen würde seine Meinung nicht akzeptieren, und alles, was er sagte, würde sie nur provozieren. Auf jeden Fall hatte er keine Lust auf diese modernen, informellen Diskussionen, die heutzutage die traditionellen Vorlesungen an den Universitäten ersetzt hatten. Deshalb setzte er sich in die letzte Reihe. Dort wartete er regungslos während der Viertelstunde bis zum Veranstaltungsbeginn. Er sah sich nicht um und sprach mit niemandem.

    Professor Bucher kam ein paar Sekunden vor Beginn des Vortrags herein. Obwohl das Thema wenig mit seinem Fachgebiet zu tun hatte, hatte er sich aus demselben Grund wie ich entschlossen, an der Veranstaltung teilzunehmen. Das Thema interessierte ihn, und er konnte von seinem Büro in der Nähe schnell zu Fuß da sein. Oder war Bucher gekommen, weil Alco Sci anwesend war? Auf jeden Fall nahm er in der letzten Reihe Platz, weil er zu spät kam. Bucher und Sci saßen während mehrerer Vorträge nebeneinander, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Bucher, ein elegant gekleideter, großgewachsener Mann, wirkte energisch und sympathisch, ein krasser Gegensatz zu Sci. Es war Bucher, der schließlich die Initiative ergriff und seinen etwas seltsamen Nachbarn ansprach. Seine Versuche blieben jedoch unbeantwortet, so dass er schließlich aufgab. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Redner zu.

    „Die Mutationen von einer Lebensform zur anderen vollziehen sich in sehr kleinen, zufälligen Schritten. Wir können diese beliebigen Zufälle über einen ziemlich langen Zeitraum hinweg zählen. Wir wissen auch aus der Wahrscheinlichkeitsstatistik, wie viele Zufälle für eine vorteilhafte Mutation erforderlich sind. Wir wissen also auch, dass die Zeitspanne zwischen dem Auftreten der ersten einzelligen Lebensformen und dem Auftauchen des Menschen nicht ausreichend ist."

    Der Redner vertrat offensichtlich die zweite oben genannte Theorie, dass die Entwicklung des Lebens durch in der Natur vorhandene Faktoren gesteuert oder ‚gelenkt’ worden sein muss. Der Redner fuhr fort, indem er Beispiele aus der Natur anführte, die die Entwicklung des Lebens in eine bestimmte Richtung beeinflusst haben ‒ Bevölkerungswachstum in Zeiten des Überflusses, sich ändernde Wettermuster, die Notwendigkeit, soziale Gruppen für die Jagd und den Schutz der Jungen zu bilden, und die Planung zur Erschließung wechselnder Nahrungsquellen. Sci hörte aufmerksam zu und schüttelte ab und zu den Kopf, wenn er nicht zustimmte. Nach dem Vortrag wandte er sich plötzlich an Bucher und äußerte seinen Unmut. Die beiden begannen zu reden.

    Wie ich später feststellte, hörte niemand das gesamte Gespräch mit. Daher konnte ich es zum Zeitpunkt meiner Nachforschungen nicht rekonstruieren. Das ist bedauerlich, denn sein Inhalt hätte mein Verständnis erheblich erweitert. Von anderen Teilnehmern erfuhr ich jedoch, dass die Diskussion zwischen Professor Bucher und Alco Sci ziemlich intensiv war und bis in die Pause hinein andauerte. Bucher scheint versucht zu haben, Sci auszuhorchen, um herauszufinden, was der bullige Mann wirklich wusste. Seine Gesten hatten sogar die Aufmerksamkeit eines anderen Teilnehmers erregt, der mir später erzählte, Sci habe gesagt: „Könnte es sein, dass die Menschen ihre eigene Entwicklung wirklich von der Zukunft aus gesteuert haben? Ein beängstigender Gedanke! Eine geradezu lächerliche Erklärung für den Fortschritt! Sci hatte gezögert und fuhr dann fort: „Dennoch könnte es theoretisch bereits wissenschaftliche Erkenntnisse geben, die eine solche Aussage glaubhaft machen. Können Sie mir mehr darüber erzählen? Könnten Sie Ihre Theorie im Detail erläutern? Professor Bucher gab offenbar keine weiteren Erklärungen ab. Als ob er schon zu viel gesagt hätte, beendete er die Diskussion brüsk, wandte sich ab und verschwand in der Pause. Sci warf ihm einen feindseligen Blick zu und soll gemurmelt haben: „Jetzt weiß ich genau, wer Sie sind, Bucher. Und ich weiß, dass Sie mehr über unser Thema wissen als jede andere Person in diesem Saal. Wir werden bald wieder miteinander reden.‒" Dann, so hörte ich, verließ er den Raum und wurde bei den anderen Sitzungen nicht mehr gesehen. Niemand schien dem, was sich zwischen den beiden Männern abspielte, viel Aufmerksamkeit zu schenken. Ich behaupte jedoch, dass Alco Sci in diesem Moment genau das verstanden hatte, was ich in diesem Buch beschreiben möchte ‒ der Mensch hat seine eigene Evolution gesteuert! Wäre Sci doch nur ein kommunikationsfreudiger Wissenschaftler gewesen und nicht jemand, der nur seine eigenen Interessen verfolgte!

    ***

    Spätere Nachforschungen ergaben, dass Sci ein ‚Creationist’ war, wie die Amerikaner es nennen. Er vertrat die biblische Schöpfungslehre, nach der alles ‒ auch der Mensch ‒ von Gott vor mehreren tausend Jahren in der heute vollendeten Form geschaffen wurde. Das heißt, er gab vor, an diese Lehre zu glauben, zumindest in der Öffentlichkeit. Heute bezweifle ich, dass er das wirklich tat. Immerhin verfügte er über eine solide wissenschaftliche Ausbildung, und es ist gut möglich, dass er seine ‚Religion’ nutzte, um seine eher weltlichen Interessen zu verfolgen. Aber Alco Sci stammte aus Petersburg (USA), der Heimat des Schöpfungsmuseums, einer Hochburg der Anhänger der biblischen Schöpfungslehre. Obwohl die Wissenschaft eine Interpretation der Schöpfung ablehnte, die allein auf der Bibel beruht, glaubten noch erstaunlich viele Menschen daran. In Europa hielt der überwiegende Teil der Bevölkerung Darwins Evolutionstheorie im Wesentlichen für richtig. Das Gleiche galt für die große Mehrheit in Kanada und Australien. In den Vereinigten Staaten war das krass anders. Verschiedenen Umfragen zufolge glaubte etwa die Hälfte (!) der Bevölkerung, dass Gott den Menschen in seiner heutigen Form vor etwa 10 000 Jahren erschaffen hat. Jede andere Auffassung war für sie Gotteslästerung. In dem Land, wo Freikirchen zu einem riesigen Business mit teuren baulichen Zentren und eigenen Fernsehkanälen geworden waren, profitierten viele vom Geschäft mit der Religion. Ihre Führer hielten die religiösen Überzeugungen in der Bevölkerung wach – als Basis für ihr Geschäft. Sci profitierte von einem solchen religiösen Unternehmen. Vielleicht verteidigte er deshalb die biblische Lehre von der Schöpfung.

    Einbruch

    Der Morgen, an dem alles begann, begann wie jeder andere. Ich wachte früh auf, trank eine Tasse Kaffee und lief gegen 6:30 Uhr die Treppe meiner Wohnung hinunter. Wie immer nahm ich zwei Stufen auf einmal, wobei ich aus wochenlanger Gewohnheit nie einen Tritt verfehlte, obschon ich mir noch den Schlaf aus den Augen reiben musste. Ich war damals durchtrainiert und trittsicher. Die kleine Zweizimmerwohnung im Universitätsviertel hatte ich gemietet, um mein Junggesellenleben alleine weiter zu führen. Ich war kein Student mehr und verdiente jetzt ein wenig Geld als Assistent, so dass ich mir die Wohnung leisten konnte. Für mich damals ein enormer Luxus nachdem ich lange in einer Wohngemeinschaft gelebt und ein einziges Zimmer belegte hatte.

    Unten öffnete ich die Haustür. Es war noch dunkel, aber am Horizont zeichnete sich ein schwaches Licht ab. Als ich mich als Jurastudent auf das Staatsexamen vorbereitete, stand ich sogar noch früher auf. Morgens konnte ich besser lernen und hatte mich noch nie zu der Sorte Studenten gezählt, die bis in alle Nacht über ihren Büchern brüten. Die Gewohnheit des Frühaufstehens hatte ich nach dem Examen beibehalten, wenn ich auch nicht mehr ganz so früh aus dem Bett kroch wie damals.

    Als ich an meinem Briefkasten vor dem Gebäude vorbeikam, hielt ich an, um nach der Post zu sehen. Ich erwartete nichts, da ich ihn am Abend zuvor geleert hatte. Ich konnte einfach nicht an dem Briefkasten vorbeigehen, ohne ihn zu öffnen. Zu meiner großen Überraschung befand sich darin ein einziger kleiner Umschlag. Ich zog ihn heraus und steckte ihn in meine Tasche. Ich würde ihn später im Büro öffnen. Auf der Straße war es noch zu dunkel, um etwas zu lesen. Ich ging zu meinem Auto, einem alten blauen Fiat mit etwelchen Beulen und einigem Rost. Er würde die nächste Jahresinspektion nicht bestehen, aber bisher hatte er mir gute Dienste geleistet. Ich setzte mich hinter das Steuer, drehte den Schlüssel, löste die Handbremse und ließ den Wagen die leicht abschüssige Straße

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