Eine Untersuchung zur SARS-CoV-2-Epidemie und den rationalen Grundlagen der aus ihrem Anlass getroffenen rechtlichen Maßnahmen in Deutschland - mit Befragung der Bundes- und Landesregierungen
Von Matthes Egger
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Über dieses E-Book
Nein, es muss nicht sein: Der propagierte "Kampf" gegen den "Feind", das Virus ist ungenügend und zu ersetzen durch besonnenes Handeln für die Menschen, für ihre Würde, für ihre Gesundheit, für ihre Freiheit und für ihre Selbstbestimmung.
Diese Untersuchung liefert Antworten auf essentielle Fragen für Rechtsanwendung zugunsten von Leben, Freiheit und Demokratie.
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Eine Untersuchung zur SARS-CoV-2-Epidemie und den rationalen Grundlagen der aus ihrem Anlass getroffenen rechtlichen Maßnahmen in Deutschland - mit Befragung der Bundes- und Landesregierungen - Matthes Egger
I Einleitung
In Folge der von der WHO am 11.03.2020 ausgerufenen SARS-CoV-2 Pandemie hat der Deutsche Bundestag am 25.03.2020 nach § 5 Absatz 1 Satz 1 IfSG eine epidemische Lage von nationaler Tragweite festgestellt¹, wodurch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ermächtigt wurde, durch Anordnung oder Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates verschiedene Maßnahmen zu treffen. Es handelte sich um einen Vertrauensvorschuss zugunsten der Regierung.² Davon hat das BMG Gebrauch gemacht. Die Geltung dieser Maßnahmen war zunächst im Wesentlichen bis zum 31. März 2021 beschränkt.³ Im Zuge dessen kam es in der BRD mit im rekordverdächtigen Eiltempo⁴ verabschiedeten Gesetzen, z.B. dem sog. „3. Bevölkerungsschutzgesetz bzw. Verordnungen und Allgemeinverfügungen auf Landesebene im Abstand von wenigen Tagen und Wochen zu bisher beispiellosen Einschränkungen der persönlichen Freiheitsrechte (insbesondere bußgeldbewehrten Kontaktbeschränkungen und Ausgangssperren) der in der BRD lebenden Menschen. Begründet wird dies von der Bundesregierung und den Landesregierungen – vorliegend sollen vor allem die bayerischen Regelungen in Bezug8 genommen werden – regelmäßig mit angeblich steigenden Infektionszahlen⁵ bzw. der hohen Zahl angeblicher „Neuinfektionen
mit SARS-CoV-2.⁶ Sie dienen nach der Begründung des „3. Bevölkerungsschutzgesetz" und auch dem als „Formulierungshilfe der Bundesregierung" vorliegenden weitere drastische Einschränkungen vorsehenden Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite⁷ zum Schutz der Bevölkerung vor Neuinfizierungen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2.⁸
Maßstab für die zu ergreifenden Schutzmaßnahmen ist nach § 28 Abs. 3 Satz 8 IfSG insbesondere die Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen. Gemäß § 28a Abs. 3 Satz 9 IfSG sind bei einer bundesweiten Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 „Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen bundesweit abgestimmte, umfassende und auf eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens abzielende Schutzmaßnahmen anzustreben.⁹ Nach § 28b IfSG sollen automatisch Ausgangsbeschränkungen und weitere freiheitsbeschränkende Maßnahmen und Schulschließungen gelten, wenn „die durch das Robert Koch-Institut veröffentlichte Anzahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen (Sieben-Tage-Inzidenz) den Schwellenwert von 100
überschreitet. Das alles auch bußgeldbewehrt.¹⁰
Die Bestimmungen der 11. BayIfSMV dienten nach der Regierungsbegründung der Umsetzung des Maßnahmenpakets, dessen Eckpunkte in der Telefonkonferenz der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 13. Dezember 2020 beschlossen wurden. Darüber hinaus werden weitere Maßnahmen getroffen, die aufgrund der Infektionslage in Bayern erforderlich sind. Die Begründung der 12. BayIfSMV verweist ebenfalls auf Infektionszahlen und die Begründung zur 11. BayIfSMV.¹¹
Selbst wenn „Fallzahlen" zurückgehen, werden weitere Einschränkungen verordnet und die Grundrechtseinschränkungen damit begründet, dass der derzeit zu verzeichnende Rückgang mit einer verringerten Inanspruchnahme von Testkapazitäten in der Zeit vom 23. Dezember 2020 bis 6. Januar 2021 zu begründen sei, dass die derzeit gemeldeten Zahlen zwar geringer als vor Weihnachten 2020 seien, allerdings sei auch weniger getestet worden.¹²
Vielmehr sei weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung zu beobachten.¹³
Die Frage, wie letztere Aussage ohne Tests belegt werden könnte, bleibt im Dunkeln, soll hier jedoch nicht weiter untersucht werden.
Die Bundesregierung veröffentlicht seit langem jeden Tag Aussagen zu „Neuinfektionen". Im Zeitraum vom 31.01.2021 bis 19.04.2021 lauteten die diesbezüglichen Aussagen, die sich nur hinsichtlich der Zahlen von denen der Vortage und Zwischentage unterscheiden wie folgt:
Aktuell gibt es in Deutschland rund 237.800 Coronavirus-Infizierte. Das Robert Koch-Institut (RKI) verzeichnete 11.192 Neuinfektionen innerhalb von 24 Stunden in Deutschland. Die 7-Tage-Inzidenz liegt bundesweit aktuell bei 90,2 (Zahl der Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen), regional kann es dabei zu erheblichen Schwankungen kommen (Stand: 31. Januar, 0:00 Uhr).
Seit Beginn der Pandemie haben sich in Deutschland 2.216.363 Menschen nachweislich mit dem Coronavirus infiziert. Die Zahl der Todesfälle liegt bei 56.945, gegenüber dem Vortag stieg sie um 399 (Stand: 31. Januar, 0:00 Uhr). Die Gesamtzahl der Impfungen liegt laut RKI bei 2.317.158 (Stand: 31. Januar).
Beim RKI finden Sie eine Übersicht der Fallzahlen.¹⁴
In Presse, Funk und Fernsehen werden diese Zahlen, verbunden mit der Behauptung, dass dem RKI eine bestimmte Anzahl Neuinfektionen gemeldet worden seien, regelmäßig undifferenziert wiedergegeben¹⁵ oder gar behauptet, dass die als solche in Schrift und Wort bezeichnete Zahl der „Neuinfektionen aus aktuellen Nachrichten des Robert-Koch-Instituts stammten, verbunden mit dem schriftlichen Hinweis: („Quelle: RKI
)¹⁶. Vergleicht man die von der Bundesregierung verlinkten und in Bezug genommenen Veröffentlichungen des Robert-Koch-Instituts (RKI)¹⁷, fällt allerdings folgende seit Wochen zu beobachtende Diskrepanz in der Bezeichnung auf:
Auch die Bundeskanzlerin persönlich hat z. B. in der Bundespressekonferenz am 21.01.2021 auf die „täglichen Neuinfektionen Bezug genommen,¹⁸ und auch der Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier z. B. in der „Bild am Sonntag
vom 07.02.2021.¹⁹
Seit 15.04.2021 finden sich in der Presse erste Hinweise darauf, dass ein positiver PCR-Test weder gleichbedeutend mit einer Corona-Erkrankung noch mit Infektiösität ist, dass es entsprechend irreführend ist, einen positiven PCR-Test als „Neuinfektion" zu bezeichnen.²⁰
Das ist insofern bemerkenswert, als Olfert Landt, Chef des Unternehmens TIB Molbiol²¹, das solche PCR-Tests produziert, aktuell bis zu zwei Millionen Stück pro Woche, schon am 12.02.2021 betonte, dass seiner Einschätzung nach die Hälfte aller positiv getesteten Personen nicht infektiös sei, weil man wisse, dass Leute mit einer geringen Viruslast nicht infektiös sind.²²
Das wirft u. a. die Frage auf, warum das Robert Koch-Institut (RKI) als die nationale Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen (§ 4 IfSG), eingerichtet als Bundesinstitut im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit, welches die zentrale Einrichtung der Bundesregierung auf dem Gebiet der Krankheitsüberwachung und –prävention ist (§ 11 Abs. 1 IfSG),²³ andere Begriffe für dieselben Zahlen verwendet, als die Bundesregierung bzw. die Landesregierungen bzw. wie „Fälle bzw. „Neuinfektionen
zu definieren sein könnten und wie sie ermittelt werden. Dies zumal, da in der Kommentarliteratur und in den bislang veröffentlichten Gerichtsentscheidungen, soweit ersichtlich, der Begriff der Neuinfektionen weder definiert, noch die genannten Zahlen bzw. die ins Auge springende Diskrepanz der Bezeichnungen Neuinfektionen und Fälle hinterfragt wurden.²⁴
¹ BT-Drcks. 25.03.2020, Plenarprotokoll 19/154, S. 19169C
² BT-Drcks. 25.03.2020, Plenarprotokoll 19/154, S. 19159
³ BT-Drcks. 19/23944 vom 03.11.2020, S. 1
⁴ Sangs, NVwZ 2020, 1780.
⁵ BT-Drcks. 19/23944 vom 03.11.2020, S. 31
⁶ So auch die von der Gesetzesbegründung in Bezug genommene und auf Basis von Modellrechnungen Kontaktbeschränkungen einfordernde Gemeinsame Erklärung der Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz-Gemeinschaft, der Leibniz-Gemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina: Coronavirus-Pandemie: Es ist ernst, vom 27. Oktober 2020 – soweit die Ermittlung der Lebensläufe der Verfasser das widerspiegelt, hat keiner jemals eine Atemwegserkrankung an Menschen behandelt; Begründung der Verordnung zur Änderung der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und der Einreise-Quarantäneverordnung vom 28.01.2021, BayMBl. Nr. 76; Begründung der Verordnung zur Änderung der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 8. Januar 2021, BayMBl. 2021 Nr. 6; auch in Baden-Württemberg, Begründung zur 8.Änderungsverordnung vom13. Februar 2021 zur 5.Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung –CoronaVO) vom 30.November 2020; § 3 12. BayIfSMV vom 05.03.2021, BayMBl. 2021 Nr. 171.
⁷ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordn ungen/GuV/B/4._BevSchG_Formulierungshilfe.pdf
⁸ BT-Drcks. 19/23944, S. 2, 21
⁹ Begründung der Verordnung zur Änderung der Elften Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung und der Einreise-Quarantäneverordnung vom 28.01.2021, BayMBl. Nr. 76; Begründung der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020, BayMBl. 2020 Nr. 738
¹⁰ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordn ungen/GuV/B/4._BevSchG_Formulierungshilfe.pdf
¹¹ Begründung der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (11. BayIfSMV) vom 15. Dezember 2020, BayMBl. 2020, 738; Begründung 12. BayIfSMV vom 05.03.2021, BayMBl. 2021, 171.
¹² Begründung der Verordnung zur Änderung der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 8. Januar 2021, BayMBl. 2021 Nr. 6
¹³ Begründung der Verordnung zur Änderung der 11. Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 8. Januar 2021, BayMBl. 2021 Nr. 6
¹⁴ https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/coronavirus/fallzahlen-coronavirus-1738210, 31.01.2021, 19.04.2021
¹⁵ z. B. https://www.tagesschau.de/inland/rki-zahlen-inzidenz-101.html am 14.02.2021: RKI zu Neuinfektionen: Die Gesundheitsämter in Deutschland haben dem Robert Koch-Institut (RKI) binnen eines Tages 6.114 Corona-Neuinfektionen gemeldet. […] Am Sonntag vergangener Woche hatte das RKI binnen eines Tages 8.616 Neuinfektionen und[…] verzeichnet; https://www.zdf.de/nachrichten/heute/coronavirus-ausbreitung-infografiken-102.html., 14.02.2021: In Deutschland wurden mittlerweile mehr als zwei Millionen Infektionen mit dem Coronavirus bestätigt. [,..]Bekannte Corona Fälle – Infizierte – Deutschland 2.334.561.[…] Neuiinfektionen in Deutschland; https://www.n-tv.de/infografik/Coronavirus-aktuelle-Zahlen-Daten-zur-Epidemie-in-Deutschland-Europa-und-der-Welt-article21604983.html, 14.02.2021: Entwicklung der bestätigten Corona-Infektionen in Deutschland und der Todesfälle seit 1. März 2020.[…] Coronavirus Neuinfektionen nach Bundesländern[…]Der Trend seit Ostersonntag: Wie hat sich die Zahl der täglich neu erfassten Infektionsfälle in Deutschland im Durchschnitt der jeweils zurückliegenden sieben Tage entwickelt?; https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-infizierte-genesene-tote-alle-live-daten-a-242d71d5-554b-47b6-969a-cd920e8821f1, 14.02.2021: Mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland haben sich nachweislich mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 infiziert. 2,33 Mio. Infizierte gesamt […]; Bayern1, 15.02.2021:8 Uhr Nachrichten: RKI meldet 4.426 Neuinfektionen https://www.br.de/nachrichten/wissen/warnwert-obergrenze-gemeldete-corona-infektionen-in-bayern,Rt7a9rb, 15.02.2021: Als Neuinfektionen werden die Fälle bezeichnet, die im Vergleich zum Vortag bei den Behörden neu gemeldet wurden.
¹⁶ Tagesschau 23.02.2021, 20:00 Uhr,
¹⁷ https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Fallzahlen.html
¹⁸ Video und Mitschrift der Bundespressekonferenz vom 21.01.2021, https://www.jungundnaiv.de/2021/01/21/bundeskanzlerin-fuer-desinteressierte-angela-merkel-zur-aktuellen-lage-bpk-vom-21-januar-2021/
¹⁹ https://www.bild.de/bild-plus/politik/inland/politik-inland/peter-altmaier-ueber-lockdown-lockerungen-oeffnungen-hoffentlich-spaetestens-an-75246826,view=conversionToLogin.bild.html, 07.02.2020; zitiert nach ntv https://www.n-tv.de/politik/Kaum-Hoffnungen-auf-Corona-Lockerungen-article22343900.html, 07.02.2021
²⁰ Tim Röhn, Wir müssen die Ergebnisse der PCR-Tests genauer auswerten, Welt 15.04.2021, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article230407507/Ct-Wert-Wir-muessen-die-Ergebnisse-der-PCR-Tests-genauer-auswerten.html
²¹ Ein Unternehmen, dessen Mitarbeiter an Corman Victor M, Landt Olfert, Kaiser Marco, Molenkamp Richard, Meijer Adam, Chu Daniel KW, Bleicker Tobias, Brünink Sebastian, Schneider Julia, Schmidt Marie Luisa, Mulders Daphne GJC, Haagmans Bart L, van der Veer Bas, van den Brink Sharon, Wijsman Lisa, Goderski Gabriel, Romette Jean-Louis, Ellis Joanna, Zambon Maria, Peiris Malik, Goossens Herman, Reusken Chantal, Koopmans Marion PG, Drosten Christian. Detection of 2019 novel coronavirus (2019-nCoV) by real-time RT-PCR. Euro Surveill. 2020;25(3):pii=2000045. https://doi.org/10.2807/1560-7917.ES.2020.25.3.2000045; mitgewirkt haben.
²² Simone Schamann, PCR-TEST-HERSTELLER, Die Hälfte aller Corona-Positiven ist nicht ansteckend, Nordkurier vom 17.02.2021, https://www.nordkurier.de/politik-und-wirtschaft/die-haelfte-aller-corona-positiven-ist-nicht-ansteckend-2241827212.html; Leon Schmitt, Corona: Streit um PCR-Test – Hersteller fordert mehr Mut vom Robert Koch-Institut (RKI), Fuldaer Zeitung vom 12.01.2021, https://www.fuldaerzeitung.de/fulda/corona-pcr-test-infektioes-robert-koch-institut-rki-berlin-tib-molbiol-olfert-landt-90132220.html
²³ https://www.rki.de/DE/Content/Institut/institut_node.html;jsessionid=B11EAC09BF7D1902FCB8F00E2D 2F232A.internet101
²⁴ vgl. z. B. BVerfG Beschl. v. 11.11.2020 – 1 BvR 2530/20, COVuR 2020, 812 = BeckRS 2020, 30293; VGH München 14.12.2020 – 20 NE 20.2907, NJW 2021, 178; VGH München 08.12.2020 – 20 NE 20.2461, BeckRS 2020, 34549; OLG Oldenburg 11.12.2020 – 2 Ss (OWi) 286/20, COVuR 2021, 119; VG Karlsruhe 10.12.2020 – 2 K 5102/20, BeckRS 2020, 34648;
AG Dortmund 02.11.2020 – 733 OWi – 127 Js 75/20 – 64/20, BeckRS 2020,28759=COVuR 2020,896; VG Berlin 12.06.2020 – VG 14 L 162/20, BeckRS 2020, 18280; VG Düsseldorf 23.12.2020 – 24 L 2625/20, BeckRS 2020, 37099; BVerfG 07.04.2020 – 1 BvR 755/20, NJW 2020, 1429; BayVerfGH 26.03.2020 – Vf. 6-VII-20, NVwZ 2020, 624; VG Frankfurt a. M. 14.10.2020 – 2 L 2667/20, BeckRS 2020, 27701; VG Frankfurt a. M. 23.10.2020 – 2 L 2784/20.F, BeckRS 2020, 29143.
II Grundlagen und Begriffsklärung
1 SARS-CoV-2 und COVID-19
SARS-CoV-2 (severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2) ist ein neues Beta-Coronavirus, das Anfang 2020 als Auslöser von COVID-19 (Corona Virus-Disease 2019) identifiziert wurde. Zu den Beta-Coronaviren gehören u.a. auch SARS-CoV und MERS²⁵-CoV.²⁶
Coronaviren sind seit Jahrzehnten bekannt²⁷ und unter Säugetieren und Vögeln weit verbreitet. Sie verursachen beim Menschen vorwiegend milde Erkältungskrankheiten, können aber mitunter schwere Lungenentzündungen hervorrufen.²⁸ Der definitorischen Übersetzung folgend handelt es sich also bei COVID-19 um eine schwere akute Atemwegserkrankung, die durch ein Virus (SARS-CoV-2) ausgelöst wird.
2 Viren und ihre Vermehrung
Viren sind Parasiten, brauchen also Wirtszellen, um sich vermehren zu können.²⁹ Im wesentlichen Unterschied zu Zellen läuft die Replikation der Viren nicht über eine Zweiteilung ab, sondern nach dem Baukastenprinzip.³⁰ Den Viren selbst fehlen die Enzyme, die für Wachstum und Teilung notwendig sind.³¹ Zellen dagegen verfügen über diese Ausstattung. Deshalb dringen Viren in Zellen ein und bringen sie dazu, mit ihren eigenen Enzyme neue Viren herzustellen.³² Dieses Assembly führt häufig zu Defektbildungen. Nur ein Teil der neuen Viren ist wieder infektionstüchtig.³³ Diese können nach ihrer Freisetzung aus der Zelle ihrerseits neue Zellen befallen – der Viren-Vermehrungszyklus beginnt von neuem.³⁴
Im Detail gliedert sich der Lebenszyklus von Viren in folgende Abschnitte:
• Anheften (Adsorption) an eine Wirtszelle
• Eindringen (Penetration) in die Wirtszelle
• Freisetzung des Viren-Genoms (Uncoating)
• Vermehrung (Replikation) der Viren
• Zusammenbau (Assembly) der neuen Viren
• Freisetzung der neuen Viren³⁵
Coronaviren (SARS-CoV-2), sind membranumhüllte RNA-Viren und bilden Virionen, die große Oberflächenproteine (Spikes) besitzen.³⁶ Sie verfügen über ein einzelsträngiges RNA-Genom, das größte bekannte Genom aller RNA-Viren.³⁷ Dieses kodiert für nichtstrukturelle Proteine, die für die RNA-Replikation zuständig sind.³⁸ Das S (Spike) – Protein ist für den Eintritt in die Wirtszelle zuständig und besteht aus zwei Untereinheiten.³⁹
3 Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2
Der Hauptübertragungsweg für SARS-CoV-2 ist die respiratorische Aufnahme virushaltiger Partikel, die beim Atmen, Husten, Sprechen, Singen und Niesen entstehen.⁴⁰ SARS-CoV-2 verwendet das Enzym ACE-2 als Rezeptor, um in die Wirtszellen zu gelangen. Eine hohe ACE-2-Dichte besteht im Atemwegstrakt, sowie im Darm, in Gefäßzellen, in der Niere, im Herzmuskel und in anderen Organen.⁴¹ Auch bei möglicherweise reinfizierten Menschen fanden sich hohe Virusmengen im Nase-Rachenbereich.⁴² Als Haupteintrittspforte gelten die Schleimhäute des Nasen-Rachen-Raumes.⁴³ Beim Atmen und Sprechen, aber noch stärker beim Schreien und Singen, werden Aerosole ausgeschieden; beim Husten und Niesen entstehen zusätzlich deutlich vermehrt größere Partikel.⁴⁴
Das Virus findet sich also vor allem im frühen Erkrankungsstadium in den oberen Atemwegen (oberer Respirationstrakt = Nase, Rachen)⁴⁵, weshalb auch dort standardmäßig Proben für die PCR-Testung genommen werden.⁴⁶
4 Krankheitszeichen
Zu den häufigen Krankheitszeichen von COVID-19 zählen trockener Husten, Fieber (über 38 °C), Atemnot sowie ein vorübergehender Verlust des Geruchsund Geschmackssinnes. Auch ein allgemeines Krankheitsgefühl mit Kopf- und Gliederschmerzen, Halsschmerzen und Schnupfen werden beschrieben. Seltener berichten Patienten über Magen-Darm-Beschwerden, Bindehautentzündung und Lymphknotenschwellungen. Folgeschäden am Nerven- oder Herz-Kreislaufsystem sowie langanhaltende Krankheitsverläufe sind möglich. Obwohl ein milder Verlauf der Krankheit häufig ist und die meisten Erkrankten vollständig genesen, sind schwere Verläufe mit Lungenentzündung, die über ein Lungenversagen zum Tod führen können, gefürchtet.⁴⁷
Neben dem Vermeiden einer Infektion durch Beachtung der sog. „AHA + A + L- Regeln" (Abstand halten, Hygiene beachten, Alltagsmaske tragen, Corona-Warn-App herunterladen, regelmäßig lüften) biete die Impfung den bestmöglichen Schutz vor einer Erkrankung.⁴⁸
5 Angegebener Zweck der PCR-Tests
Die Infektion mit dem SARS-CoV-2 präsentiert sich demgemäß mit einem breiten aber unspezifischen Symptomspektrum, sodass gemäß der Verlautbarungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) die virologische Diagnostik die tragende Säule im Rahmen der Erkennung der Infektion, des Meldewesens und der Steuerung von Maßnahmen sei.⁴⁹ Für eine labordiagnostische Untersuchung zur Klärung des Verdachts auf eine Infektion mit dem SARS-CoV-2 seien PCR-Nachweissysteme entwickelt und validiert worden. Sie gelten laut RKI als „Goldstandard" für die Diagnostik.⁵⁰
Letztere Behauptung ist in ihrer scheinbaren Absolutheit missverständlich, da RT-PCR-Tests ohnehin nur virale RNA nachweisen,⁵¹ aber wohl tatsächlich nur dahin zu verstehen, dass die PCR lediglich als ein (nicht einheitlich standardisierter) Baustein in der Diagnostik und nicht als das (alleinige) Mittel zur Diagnose einer Infektion bzw. Erkrankung angesehen wird, weshalb der PCR-Test, z. B. von den U.S. Amerikanischen Gesundheitsbehörden und auch der WHO⁵² aus plausiblen Gründen⁵³ ausdrücklich lediglich als ein Hilfsmittel für die Diagnostik bezeichnet wird.⁵⁴ In den Anwendungshinweisen wird darauf hingewiesen, dass die PCR-Test Ergebnisse grundsätzlich nur valide sind, wenn die Kontrolle durch menschliches Zellkulturpräparat erfolgt.⁵⁵ Zur Frage der Infektiosität weist das RKI darauf hin, dass das Vorhandensein infektiöser Viruspartikel im Probenmaterial mittels Virusanzucht in geeigneten Zellkultursystemen zu bewerten ist.⁵⁶
In Übereinstimmung damit weist auch das RKI darauf hin, dass die erfolgreiche Virusanzucht aus Patientenmaterial mit der Höhe der SARS-CoV-2-RNA-Last im Untersuchungsmaterial korreliere, sofern dies nach Symptombeginn entnommen wurde, dass die Anzuchtwahrscheinlichkeit in einer solchen Kultur nach den bislang in der Literatur publizierten Daten allerdings mit steigender Anzahl der Amplifikationszyklen sinkt.⁵⁷ Einschränkend muss zudem jedoch das Vorhandensein von subgenomischer RNA sowie nicht-infektiösen Viruspartikeln bedacht werden, was zu einer Überschätzung der tatsächlichen Anzahl an Virusgenomen führen kann.⁵⁸
In dieser Arbeit wird die Wirksamkeit und Zuverlässigkeit des PCR-Tests zum Nachweis von ausschließlich SARS-CoV-2 eindeutig identifizierenden RNA-Sequenzen unterstellt und lediglich auf den diesbezüglichen wissenschaftlichen Streit hingewiesen.⁵⁹
6 Krankheitserreger, Infektion und Neuinfektionen
a Krankheitserreger
Krankheitserreger i. S. des IfSG ist ein vermehrungsfähiges Agens (Virus, Bakterium, Pilz, Parasit) oder ein sonstiges biologisches transmissibles Agens, das bei Menschen eine Infektion oder übertragbare Krankheit verursachen kann, § 2 Nr. 1 IfSG.
b Infektion
Unter einer (Virus-)Infektion versteht man zellbiologisch den Eintritt eines replikationsfähigen viralen Genoms in die Zelle.⁶⁰ Infektion im Sinne des IfSG ist folglich die Aufnahme eines Krankheitserregers (vermehrungsfähiges Agens (Virus), § 2 Nr. 1 IfSG) und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus, § 2 Nr. 2 IfSG.
Das hat seinen Grund darin, dass nur Personen, die einen Krankheitserreger aufgenommen haben, der sich in ihrem Organismus entwickelt oder vermehrt, diesen weiterverbreiten können.⁶¹ Hat eine Aufnahme, jedoch keine Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus stattgefunden, liegt keine Infektion vor.⁶² Es ergibt sich bereits aus der Definition des Begriffs Krankheitserreger, dass die Infektion bei abstrakt-genereller Betrachtung grundsätzlich dazu geeignet sein muss, im menschlichen Organismus eine Krankheit hervorzurufen.⁶³ Daraus ergibt sich auch die Definition des Begriffs „infektiös": Infektiös bedeutet mit Krankheitserregern behaftet, verseucht und daher ansteckend.⁶⁴
c Neuinfektion
Der Begriff der „Neuinfektion" ist gesetzlich nicht definiert. Auch Kommentarliteratur und Rechtsprechung haben sich dazu bislang, soweit darauf gestützte Grundrechtseingriffe gebilligt werden, nicht verhalten⁶⁵, vielmehr Tatsachenfeststellung und damit Subsumtion unterlassen und gebrauchen den Begriff scheinbar ebenso undifferenziert wie der Gesetzgeber in § 28a Abs. 3 S. 4 IfSG und § 28b IfSG bzw. die Regierungen der Bundesländer.
Unter einer „Neuinfektion wird man zunächst einmal eine weitere, in Abgrenzung zu einer bereits durchgemachten, überstandenen zeitlich früher abgelaufenen („Alt
-)Infektion desselben Menschen mit einem bestimmten vermehrungsfähigen Krankheitserreger verstehen können. Wenn es sich um den gleichen Krankheitserreger handeln würde, wäre aber wohl der ebenfalls nicht (gesetzlich) definierte Begriff der Reinfektion⁶⁶ genauer. Das RKI hält seit 31.03.2021 eine dem entsprechende Definition der Reinfektion vor. Eine solche soll sicher vorliegen, wenn die Genomsequenz des Virus von vorausgehender SARS-CoV-2-Infektion bekannt ist UND die Genomsequenz des Virus der aktuellen SARS-CoV-2-Infektion bekannt ist UND die Genomsequenzen der Viren von vorausgehender und aktueller SARS-CoV-2-Infektion nicht übereinstimmen.⁶⁷
Folglich wird man unter einer Neuinfektion die erstmalige Infektion eines bisher nicht infizierten Menschen mit einem bestimmten vermehrungsfähigen Krankheitserreger verstehen können.
Der biologischen und gesetzlichen Definition folgend ist jedoch auch für eine (Reinfektion und eine) „Neu"-Infektion stets eine Infektion, also die (erstmalige bzw. ggfs. erneute) Aufnahme eines vermehrungsfähigen Virus (Krankheitserregers, § 2 Nr. 1 IfSG) und seine nachfolgende Entwicklung oder Vermehrung im menschlichen Organismus erforderlich, § 2 Nr. 2 IfSG.
7 Krankheit
Unter einer (übertragbaren) Krankheit versteht das IfSG eine durch Krankheitserreger oder deren toxische Produkte, die unmittelbar oder mittelbar auf den Menschen übertragen werden, verursachte Krankheit, § 2 Nr. 3 IfSG.
Ein Kranker ist gem. IfSG eine Person, die an einer übertragbaren Krankheit „erkrankt" ist, d.h. es müssen Symptome vorliegen, § 2 Nr. 4 IfSG.⁶⁸
Die Feststellung einer Krankheit setzt also das vorliegen und die Feststellung von Symptomen voraus.
8 Manifestationsindex
Eine Infektion muss keine Erkrankung nach sich ziehen. Der Manifestationsindex beschreibt den Anteil der Infizierten, die auch tatsächlich erkrankt sind.⁶⁹
Wie viele Menschen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 an COVID-19 erkranken, ist nicht bekannt. Das ist, schon aufgrund der bei anderen Krankheitserregern unvergleichlich weniger intensiv durchgeführten Testungen auch diesbezüglich