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Die Sehnsuchtsfalle: Analyse eines Flugzeugabsturzes
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Die Sehnsuchtsfalle: Analyse eines Flugzeugabsturzes
eBook250 Seiten3 Stunden

Die Sehnsuchtsfalle: Analyse eines Flugzeugabsturzes

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Über dieses E-Book

Aus der Geborgenheit einer blumengeschmückten Gärtnerei im Süden von Wien belohnen sich Peter`s Eltern mit einem Flug in die Karibik.
Es wird ein Flug ohne Rückkehr.
Peter wird über Nacht in ein fremd gefühltes Leben geworfen, das er, so wenig wie sich selbst, nicht mehr versteht.
Die einzige Realität, die in seinem Leben noch Bestand hat, ist der Traum von verlorenen Lieben, von entlaufenen Mädchen, von der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst.
Er lebt mit seinen toten Eltern enger zusammen, als je mit den Lebenden.
Und jeder Traum mündet in ein einziges Ziel: Er will die Ursachen für den Tod seiner Eltern kennen lernen.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum21. Feb. 2013
ISBN9783849184599
Die Sehnsuchtsfalle: Analyse eines Flugzeugabsturzes

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    Buchvorschau

    Die Sehnsuchtsfalle - Volker Heeren

    Jenseits des Traumes

    Der Nawratil saß mißmutig am Steuer seines Wagens auf dem Weg von Purkersdorf nach Wien hinein. Dabei sollte er sich doch freuen, denn am nächsten Dienstag begann sein Urlaub. Aber diesmal nicht zum Skilaufen in Bad Ischl, nein, es sollte ja etwas besonderes sein zu seinem 50. Geburtstag. Seine Frau hatte ihn solange sekiert (bedrängt), bis er den Flug in die Karibik gebucht hatte.

    Jetzt saß er in der Falle. Er hatte ein Scheißangst vor dem Fliegen, aber seinen Angestellten mußte er vorspielen, wie super alles sein würde.

    Er bog in die Autobahnabfahrt nach Wien ein. Er sah, wie Nacht und Nebel auf ihn zukrochen. Am Hietzinger Kai wurde der Nebel so dicht, daß er sich ängstlich an die Fahrbahnmarkierung hielt.

    „Mein Gott ist das ein Flug. Geh red kein Scheiß. Du sitzt im Auto, nicht im Flugzeug."

    Unwillkürlich zog er am Lenkrad wie an einem Steuerknüppel

    „Hör auf, du bist doch ein Depp. Du weißt ja nicht einmal, wie der Steuerknüppel eines Flugzeuges aussieht. Vielleicht haben die heute nur noch einen Joystick oder das Ding fliegt ganz allein nach Computer, was weißt denn du."

    Auf der Hütteldorfer U-Bahn, die an dieser Stelle auf einem Damm direkt neben der Straße fuhr, saßen die Straßenlaternen wie beleuchtete Nebelkrähen. An den Bahnhöfen versuchte er, die Stationsnamen zu lesen, um festzustellen, wann er abbiegen mußte, aber der nächtliche Nebel war zu dicht.

    „ So sieht Licht aus, wenn es explodiert. Quatsch nicht, Licht kann doch gar nicht explodieren."

    Er suchte unruhig nach einem Lichterpaar auf der linken Seite, damit er die Dommayergasse nicht verfehlte.

    „Verfluchter Nebel. Selbst bei einer Notlandung geben diese Neonkrähen nicht genug Licht. Mein Gott, was redst du bled daher. Tausende Flüge jeden Tag und ausgerechnet du willst abstürzen ?"

    Zu Hause wartete seine Frau Erna bereits ungeduldig.

    „Ich habe mir solche Sorgen gemacht. In den Nachrichten haben sie schon von schweren Unfällen wegen des Nebels berichtet."

    „ Der Nebel ist wirklich unheimlich. Um ein Haar wäre ich an der Dommayergasse vorbeigefahren. Teifel, es war nix zu sehen. – Da, schau, was ich dir mitgebracht habe. Ich habe einen noch besseren Katalog von der Dominikanischen Republik gefunden. Und unser Hotel in Punta Cana soll auch darin sein."

    Er blätterte den Katalog flüchtig durch. Dann sah er darin eine Insel. War das ein Traum ? Durch das Kristallwasser einer flachen Lagune segelte ein weißer Sandstrand mit ein paar Palmen über einsamen Strohhütten.

    „Isla Saona", las er. Ein zweites Bild nahm ihn gefangen. Durch einen schattigen Palmenhain ein blendend weißer Strand mit Blick auf türkisfarbenes Wasser. Die Palmen vor der unwirklichen Helligkeit wie von innen beleuchtet. „ Beach of Punta Cana „ stand da.

    Das ist ja der Strand vor unserem Hotel ! Komm mal, Schatz. Wir haben einen Traum gebucht.

    Grün, grüner geht`s nicht.

    Hermann Nawratil war mit Abstand der grünste Gärtner Wiens. Er hatte die Angewohnheit, zwischen den langen Blumen- und Gemüsebeeten seiner Gärtnerei einen schmalen Streifen Brache mit Unkraut als Zuwegung stehen zu lassen. Das wuchernde Unkraut freute sich regelmäßig zu früh, denn es wurde von ihm und seinen Kunden, die sich ihre Blumen und ihr Gemüse selbst schneiden durften, brutal nieder getreten.

    Der Nawratil war nicht groß, von kompakter Statur und sein kerniges Bauerngesicht reifte zum Sommer hin stets wie eine errötende Tomate.

    Übrigens Tomaten. Sie frisch von der Staude zu schneiden und ihren würzigen Stengel- und Hautgeruch genießerisch einzuatmen, war eine der begehrtesten Passionen seiner Stammkunden, die über diesen Geheimtip nur tuscheln mochten. Tomaten im Supermarkt ? Niemals !

    Das verschmitzte schlaue Lächeln des Nawratil glich einer seiner wunderbar aufblühenden Dahlien, an deren Farbenpracht sich seine Kunden berauschten.

    Wie oft hatte ihn sein Bruder Josef, der vor langer Zeit ins ferne Hamburg ausgewandert war, um sein grünes Dasein beneidet.

    Josef Nawratil, der von allen nur Pepi –Onkel genannt wurde, kam regelmäßig einmal im Sommer im eigenen Auto angereist, um Hermann`s Sohn Peter, der seinem Vater oft in der Gärtnerei half, auf der Rückfahrt mit nach Hamburg zu nehmen, wo der Pepi- Onkel ihm stets einen herrlichen Urlaub spendierte.

    Nach dem Urlaub reiste der Junge dann mutterseelen allein im Nachtzug von Hamburg- Altona nach Wien, vorzugsweise im billigen Liegewagen, aber später als junger Mann schon mal im komfortablen T-3 Abteil.

    Er wurde dann immer morgens gegen 9.00 Uhr von seinem Vater auf dem Westbahnhof in Wien ein Empfang genommen.

    Natürlich war dann der Nawratil seiner grünen Mentalität zufolge stets mit Gärtnerkluft, Gärtnerschürze und Gärtnerhut bekleidet, was Erna, seine Frau zeternd unmöglich fand.

    Der Nawratil mochte seinen etwas zu dick geratenen Bruder sehr gern, aber als er ihn einmal bei einem Besuch in Hamburg als Kassier hinter einer Glasscheibe in einer Bank am Hamburger Hafen gesehen hatte, war er nicht mehr zu bewegen, nach dem fernen Hamburg zu reisen.

    Hermann Nawratil bedauerte seinen Bruder Pepi , wie er da so dickbäuchig bebrillt hinter Glas saß, aus tiefstem Herzen und verschwand nach seiner Rückkehr in Wien hinter seinen übermannshohen Brechbohnenpflanzen und geizte den Rest des Tages überflüssige Triebe aus.

    Geld , das war nicht seine Welt.

    Ein Bauernschädel

    Peter, der Sohn des Nawratil, sah aus dem Fenster. Ein Jahr war es jetzt her. Damals lag auch Schnee. Er liebte Schnee, denn er war ein begeisterter Skiläufer. Was gab es Schöneres, als mit leise durch den Schnee zischenden Skiern, einem schweigenden tief verschneiten Waldweg ins Tal zu folgen ? Von Ferne helle Stimmen schneegedämpft und doch ein Schall wie im Kirchenschiff der Berge.

    Aber seit dem letzten Jahr hatte Schnee eine zweite bedrohliche Bedeutung bekommen. Er war Todesbote geworden, der seinem Vater das Leben nahm. Da saßen sie, die Unheilsbringer, schwarz, aufgeplustert, mit scharfen Schnäbeln und unsichtbaren Augen. Das weiße Leichentuch erhielt durch die russischen Saatkrähen schwarze bewegliche Todesflecken. Der Umfang ihrer Aufgeblasenheit musste ein Gradmesser für die schneidende Kälte da draußen sein. Er sah auf das Außenthermometer: Minus 14 Grad.

    Er setzte sich an seinen kleinen Schreibtisch, auf dem ein großes blaues Heft lag, das heute mit der Post gekommen war. Er stand wieder auf. Nein, er konnte es jetzt nicht lesen. Er musste erst mit seinem Vater sprechen.

    Der Friedhof von Mauer * lag tief verschneit unter grauen Schneewolken. Hin und wieder wurde der Schneehimmel dünn und hell und ein paar verirrte Sonnenstrahlen blinzelten herunter. Der Friedhof lag auf einem Hügel und die Toten und die Lebenden hatten einen herrlichen Blick ins Tal auf die gegenüber liegenden Hänge der Maurer Weinberge. Von hier aus konnten die Seelen leicht hinab gleiten in den ewigen Wind, der vom Tal herauf blies.

    Er stapfte durch den tiefen Schnee, vorbei an den vielen flackernden Grablichtern in ihren Standlaternen. Auf der Hangseite des Friedhofs hinter der Hügelkuppe lag der neuere Teil. Er ging an einem fremden frischen Grab mit erfrorenen bleichen Blumen vorbei. „Was können die Blumen dafür „.murmelte er. In der hintersten Reihe lag sein Vater und die Mama.

    Aber das stimmte nicht. Sie hatten zwei leere Särge mit ein paar Lieblingsgegenständen des Vaters und der Mutter begraben. Ihre Leichen waren und blieben im Meer verschwunden.

    Still stand er vor dem Stein.

    Hermann Nawratil

    3.1.1946 - 7.1.1996.

    Erna Nawratil

    30.09.1955 7.1.1996

    „Ich hab den Bericht gekriegt. Hab ihn noch nicht gelesen. Weiß nicht, wann ich ihn lesen kann. Ist mir, als säße ich auf einem Sitz neben dir,Papa. Wart, Dein Licht ist erloschen. Ich zünd es wieder an „.

    Mit bloßen Fingern wischte er die Schneehaube von der Grablaterne. Er öffnete das kleine Türchen und entfernte die rote Plastikhülle, darin die Kerze ganz nieder gebrannt war. Aus den Taschen seines Trachtenjankers holte er Streichhölzer und ein neues rotes Grablicht. Aber er konnte es lange nicht entzünden, denn seine Finger waren naß vom Schnee und zittrig von der Eiseskälte. Und immer wider blies ihm der Maurer Friedhofswind die Kerze aus. Er sah ins Tal hinab, aus dem der Eiswind kam. Schließlich gelang es doch einem zaghaft flackernden Flämmchen in seiner hohlen Hand zu überleben. Schnell stellte er die Kerze in die Laterne. Die Flamme bog und krümmte sich, ganz klein und elend und drohte zu verlöschen. Aber dann kam sie zur Ruhe und brannte still in ihrem kleinen Häuschen in der Winterlandschaft.

    Der Sohn wandte sich um und ging. Nach einigen Schritten drehte er sich noch einmal um und blickte zurück. Die Flamme brannte noch.

    Zu Hause konnte er nicht anders und ging zu seinem Schreibtisch. Da lag er wieder vor ihm, dieser erschreckend dünne Bericht. Da stand das Wort Bericht und war schwarz auf wasserblauem Grund. Und lagen auf dem Grund dieser Meeresbläue die Worte als Leichen ? Wie fremd ihn das Wort Bericht anschaute. Hatte es nicht verdammte Ähnlichkeit mit Bricht ? Was mochte den Unfallbericht so erschreckend dünn gemacht haben ? Nichts als Haut und Knochen ?

    Bericht der Direccion General de Aeronautica Civil.

    Aeronauten waren sie gewesen. Jetzt waren sie es nicht mehr.

    Bericht über die Untersuchung des Unfalls. Unfall war ein Witz. Morgens früh um 5.00 Uhr tunken wir das trockene Brötchen vom Vortag in den Morgenkaffee und hören im Radio, daß es auf der Süd-Ost-Tangente in Wien einen Unfall gab.

    „ Seid Ihr denn wahnsinnig geworden ? Sind heute früh auf der Süd-Ost-Tangente 180 menschliche Leiber enthauptet worden ? Zwischen Brötchen und Morgenkaffee ? Und das nennt Ihr Unfall ? Habt Ihr die Sprache verloren ? Glaubt Ihr, Denken geht auch ohne Sprache ? „

    Der blaue Pappendeckel des Berichtes bekam Schlieren, weil seine Tränen ihn zu einer lebendigen Wasserfläche machten.

    Untersuchung des Unfalles mit dem Flugzeug Bowing B-868 am 7.Januar 1996 bei Puerto Plata. Er mochte das Heft nicht aufschlagen. War die Außenhaut des Flugzeugs so dünn wie dieses Heft ? Und der Trauerrand war nur auf einer Seite ? Er nahm sich Bedenkzeit oder war es eine Andacht ? Das wußte er: Schlägst Du dieses Dünnbuch auf, schlägt es zurück mit der ganzen Kraft seiner dünnen Blätter. Er hatte Angst. Angst davor, die Wahrheit zu erfahren und davor, daß sie schrecklicher war, als er denken konnte.

    Seit dem Flugzeugabsturz seiner Eltern hatte Peter zugenommen. Sein dunkles volles Haar ließ er jetzt etwas länger wachsen, so daß offenbar wurde, daß er gewelltes Haar hatte. Er hätte die Gärtnerei seines Vaters erst in einigen Jahren übernehmen sollen, aber jetzt erhielt er sie über Nacht aus der Tiefe des Meeres, das ihm sowieso unheimlich war. Wie feindlich und unheimlich war das Wasser. Und nun dazu durch eine haltlose Leere eilen, unter sich das alles verschlingende Element. Nein, er würde niemals ein Flugzeug besteigen. Dazu müßte es am Boden festgeschraubt und als Café eingerichtet sein.

    Seine Verlobung mit Rosa hatte er gelöst. Das war gelogen, aber er hoffte, daß er eines Tages daran glauben würde, wenn er es nur oft genug anderen Leuten erzählte. Rosa war Verkäuferin bei dem bekannten Juwelier Pospischil am Graben im Herzen von Wien. Sie war blond, schlank, hatte eine gute Figur und ein frisches, sprechendes Gesicht mit lebhaften Augen, die auch Blitze schleudern konnten.

    Sie war nicht schön, aber sie konnte sich verführerisch aufmascherln, wie die Wiener zu sagen pflegen. Mit einwenig herunter gedimmten Licht und einem fremdartigen Parfüm kam sie ihm plötzlich wie ein blonder Vamp aus dem Kino am Schwarzenbergplatz vor.

    Dabei hatte vor drei Jahren alles so harmlos angefangen. Er hatte sie in der Diskothek am Schillerplatz in der Nähe des Gürtels kennen gelernt.( Für Nichtwiener: Der Gürtel ist eine Straße in Wien ).

    Er hatte eigentlich ein attraktives, vollbusiges Mädchen mit schwarzen Haaren zu Tanzen aufgefordert, aber die hatte so getan, als sähe sie seine Aufforderung nicht. Statt dessen war ihre Freundin auf ihn zugekommen.

    „ Meinst Du mich ? „

    „ Ja, ja, „ stotterte er, wohl wissend, daß das gelogen war.

    Sie tanzten den ganzen Abend zusammen und er empfand nichts dabei, was nur entfernt nach Begehren oder Zuneigung hätte aussehen können. Im Gegenteil, er behandelte sie so, als wären sie alte Freunde, die sich nach langer Zeit mal wieder getroffen haben.

    Damit begann etwas, das ihm einerseits völlig normal vorkam und doch gerade deswegen so unheimlich war, weil er sie erst diesen Abend kennen gelernt hatte. Er umarmte sie beim Tanzen und alles was er fühlte war, daß sie sich schon lange kannten. Es wurde ein nicht endendes Nachtgespräch.

    Er hatte offenbar ein Mädchen gefunden, daß seine Phantasie gierig aufnahm und so konnten sie nicht genug davon kriegen , sich gegenseitig ihre Geschichten zu erzählen.

    Sie waren geschockt, als es plötzlich hell wurde und sie einander etwas bleich im tristen Morgenlicht gegenüber standen.

    Das war vor drei Jahren gewesen und dann war die Trennung über Nacht gekommen, so plötzlich wie ein Flugzeugabsturz.

    Nach dem gewaltsamen Tod seiner Eltern, hatte er Probleme bekommen, mit Rosa zu schlafen. Nicht, daß er sie nicht mehr begehrenswert fand. Aber sooft er in ihr Gesicht sah, hatte er den Eindruck, daß ihre Augen sich mit Wasser füllten. Mit Meereswasser.

    Jedes mal erblickte er dann die Augen seiner toten Mutter. Er hatte zu seinem Vater eine sehr viel engere Beziehung gehabt, doch der Tod seiner Mutter hatte ihn wie ein Schuß aus dem Hinterhalt getroffen.

    Nachdem seine sexuelle Erregung in solchen Momenten immer wieder in sich zusammen sank, versuchte er, Rosa dabei nicht mehr ins Gesicht zu sehen. Aber es half nichts.

    Dann kam der Abend im Volkspark. Die Gärtnerei, die jetzt ihm gehörte, lag außerhalb von Wien in Spielberg. Er hatte in Wien zu tun gehabt und sie vom Geschäft am Graben abgeholt. Es war ein kühler Herbstabend und die Dunkelheit stieg über die verblühten Heckenrosen. Sie redeten über die Geschichten, die sie erlebt hatten, wie sie sich noch nicht kannten. Aber über ihre eigenen Geschichten konnten sie nicht reden. Plötzlich spürte er einen Widerwillen gegen ihre angepaßten Ansichten und daß sie seinen Versuchen, über ihre eigene Geschichte zu reden, auswich. Vielleicht war das der geheime Grund, weshalb er nicht mehr mit ihr schlafen konnte, obgleich er es gern wollte. Er war von der Parkbank aufgesprungen.

    „ Es ist sinnlos. Das, was ich sage oder empfinde, ist Welten von Dir entfernt. Wir passen einfach nicht zusammen."

    Dann war er davon gerannt. Zuerst hörte er sie hinter sich laufen, aber dann waren da nur noch seine eigenen Schritte. Es war still und wie versteinert stand er da und wußte in der Dunkelheit nicht, wo er war. Da erfaßten ihn von hinten zwei Arme, was ihn zu Tode erschreckte. Was war das ? Sie war ihm auf Strümpfen gefolgt, so daß er sie nicht hatte kommen hören. Gemeinsam suchten sie dann in der Dunkelheit nach ihren Schuhen.

    Eine Woche später hatte Rosa ihn verlassen. Er war wieder allein und noch einsamer, denn die Gärtnerei ließ ihn nicht mehr los und zog ihn nach unten.

    Es war Feierabend, der letzte Angestellte war gegangen, er war allein. Er öffnete das Wohnzimmerfenster im ersten Stock und sah auf die Gewächshäuser hinab. Er hörte Rosas Stimme, aber was sie sagte, war nicht positiv.

    „Seit Monaten hast Du diesen Unfallbericht, den Du ja unbedingt haben wolltest. Und nun haben wir bald Herbst und Du hast noch nicht einmal hinein gesehen."

    Er schloß das Fenster, wie wenn er sie zum Schweigen bringen wollte.

    „ Nächste Woche tu ich es. Ich verspreche es Dir."

    *Mauer = Stadtteil am Rande von Wien

    Wir starten

    Im Leben des Peter Nawratil hatte sich einiges verändert. Einiges ? Seine Freunde, mit denen er sich früher oft beim Heurigen in Gumpoldskirchen getroffen hatte, sagten ihm offen, was sie davon hielten.

    „Bist halt a Sonderling wurdn seit dem Tod deiner Eltern."

    Er schwieg dazu und seine einzige Reaktion war, daß er sein Viertel Veltliner auf einen Zug leerte.

    „ Schüttst den Wein eina, als wenn’s dersaufen wüllst", sagte der Spengler-Toni, sein ehemaliger Schulkamerad von der Volksschule.

    „Was wisst denn ihr ?", begehrte er auf und schwieg sogleich. Wenn die wüssten. Ab dem nächsten Monat hatte er die Gärtnerei seines Vaters verpachtet und würde versuchen, von dem mäßigen Pachtzins zu leben. Ein Zimmer im Gebäude der Gärtnerei hatte er sich ausbedungen und sein Wohnrecht vertraglich gesichert.

    Im fröhlichen Lärm des Heurigen Zum Alten Stadthaus musste er sich zwingen, nicht mit seinem Vater zu reden. Aber hinterher auf seinem einsamen Nachhauseweg konnte er endlich mit ihm sprechen.

    „Weißt , Papa, ich hab den Vertrag mit deinem Notar gemacht. Ich hoff, daß es dir recht ist. Er besprach mit seinem toten Vater alle Dinge des täglichen Lebens, wie er es auch zu seinen Lebzeiten gemacht hatte. Zu seiner Mutter zu sprechen, hatte er kein Bedürfnis. Nur einmal hatte er ihr gesagt: „ Gell, Mama, zu dir brauch ich nix zu reden, denn ich besprech eh alles mit dem Papa. Daraufhin hatte ihm die Mutter irgendwie leid getan, als wenn sie traurig wäre, daß er nur mit dem Vater redete.

    In den langen Monaten nach dem Tod seiner Eltern

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