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Ein paar gehen immer drauf: Sechs sati(e)rische Geschichten
Ein paar gehen immer drauf: Sechs sati(e)rische Geschichten
Ein paar gehen immer drauf: Sechs sati(e)rische Geschichten
eBook273 Seiten3 Stunden

Ein paar gehen immer drauf: Sechs sati(e)rische Geschichten

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Über dieses E-Book

Haben Katzen ein Gewissen? Wieviel Alkohol verträgt ein Pferd? Und was passiert, wenn eine Kolonie neugieriger Antarktis-Pinguine Besuch von Menschen bekommt? Was machen Maulwürfe in ihrer Freizeit? Wie weit gehen Gartenschnecken für ihren Traum? Und was ist eigentlich aus Bruno und Knut geworden?
Sechs schräge Geschichten, die Tiere von einer ganz neuen Seite zeigen und uns klarmachen, dass auch sie ihre Probleme haben. Geschichten, bei denen einem das Lachen im Halse stecken bleibt.
Unterhaltsam, hintergründig, politisch unkorrekt.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum10. Aug. 2021
ISBN9783347342200
Ein paar gehen immer drauf: Sechs sati(e)rische Geschichten

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    Buchvorschau

    Ein paar gehen immer drauf - Kathrin Bringold

    Ein paar gehen immer drauf

    1

    Ein paar gehen immer drauf«, dachte Gwin, die alte Pinguindame.

    Unbeweglich stand sie etwas abseits der Gruppe und blinzelte in die Ferne, in die Richtung, in die sie bald aufbrechen würden. Im Schnabel hatte sie noch den Geschmack des Krills. Das würde für lange Zeit ihre letzte Nahrung gewesen sein.

    Die Landschaft breitete sich in weißen Farbschattierungen unendlich vor ihr aus. Gwin lauschte auf die Geräusche hinter sich, das Geschnatter, das gelegentliche Platschen, wenn wieder eine aus dem Wasser schoss und sich bäuchlings auf das Eis plumpsen ließ.

    Bald mussten sie los. Am eisblauen Himmel wanderte die Sonne langsam dem Horizont entgegen.

    ***

    Flünti wollte den Moment so lange wie möglich auskosten. Sie war immer noch im Wasser, so vollgefressen, dass sie zu platzen drohte. Und trotzdem bewegte sie sich mit einer Leichtigkeit, einer Eleganz, die sie an Land nie erreichen würde.

    Einen Augenblick hatte sie noch, bevor sie sich wieder den Gesetzen der Schwerkraft unterwerfen und den Regeln der Gemeinschaft unterordnen musste. Eine Runde noch, ein Stück ins Meer hinaus und zurück, dann würde sie aufsteigen.

    Kurz darauf sah sie aus dem Augenwinkel eine junge Pinguinin, die auf dem Weg zu den andern zu sein schien. Flünti konnte auf die Distanz nicht erkennen, wer es war; der Größe nach zu urteilen ein Jungweibchen. Allerdings stimmte die Richtung nicht.

    »Wenn sie so weiterschwimmt, kommt sie ganz woanders raus, als da, wo die Gruppe wartet«, dachte sie. »Aber nicht nur das, sie gerät auch in die Nähe der lauernden Seeleoparden. Ich muss sie warnen.«

    Flünti versuchte, sie auf sich aufmerksam zu machen, aber die andere sah sie nicht. Sie schwamm ihr nach.

    »Die Kleine ist flink; bestimmt hat sie Angst, zu spät zu kommen.«

    Flünti legte an Tempo zu. Als sie etwas näher kam, erkannte sie, dass es die schielende Hanni war.

    Plötzlich geschah alles sehr schnell. Flünti sah rechts von Hanni einen großen Schatten auftauchen – ein Seeleopard! Ihr Puls jagte hoch, und noch bevor sie das Raubtier sah, gab sie ihrem Reflex nach, machte rechtsumkehrt und schoss zurück zum Ufer. Die Lust auf weiteres Planschen war ihr vergangen. Blitzartig tauchte sie auf und klatschte auf die Eisscholle, schlidderte ein Stück auf dem Bauch und stellte sich umständlich auf die Flossen. Vor Aufregung rutschte sie aus und fiel hintenüber. Als sie erneut aufgestanden war, schüttelte sie sich. Das Wasser spritzte nach allen Seiten.

    Gwin schaute sie missbilligend an.

    »Bist du die Letzte?« fragte sie mit zusammengekniffenen Augen.

    Flünti musste verschnaufen, bevor sie antworten konnte.

    »Eine … ist geschnappt worden, glaub ich … ein Seeleopard …«

    »Wer?« fragte Gwin.

    »Hanni. Es ging alles sehr schnell.«

    »Ein paar gehen immer drauf«, murmelte Gwin vor sich hin. Zu Flünti sagte sie: »Mach dich jetzt reisefertig.«

    Flünti schrumpfte unter ihrem strengen Blick zusammen. Es war nicht ihre Schuld, dass sie so spät dran war, redete sie sich ein. Immerhin hatte sie die arme Gefährtin zu retten versucht.

    Sie watschelte ein paar Schritte von Gwin weg und fing an, mit der Unterseite des Schnabels ihren schwarzen Frack glattzustreichen und einzuölen.

    ***

    Hanni tauchte instinktiv ab. Das war ihre einzige Chance zu entkommen, eine kleine Chance, aber sie musste es versuchen. Der Räuber folgte ihr, doch seine Schwerfälligkeit behinderte ihn. Immer größer wurde die Distanz, bis er schließlich abdrehte, wahrscheinlich, um sich ein anderes Opfer zu suchen. Hanni konnte ihr Glück nicht fassen, hielt einen Moment inne und schwamm, die Nerven immer noch zum Zerreißen gespannt, in einem großen Bogen langsam zur Eiskante zurück.

    Mit einem kräftigen Sprung schnellte sie aus dem Wasser und setzte plump auf dem Eis auf. Von ihren Gefährtinnen war keine zu sehen. Dabei hätten sie doch längst alle hier sein müssen.

    Sie lauschte einen Moment, rief nach ihnen.

    Nichts. Nur das Knacken des Eises und das Plätschern des Wassers.

    Ins Meer zurück getraute sie sich nicht; der Schreck saß ihr immer noch in den Flossen.

    Sie wusste nicht, in welcher Richtung sie suchen sollte. Ratlos hob sie den Kopf und spähte lange nach allen Seiten. Außer den verschiedensten Schattierungen von Weiß, die in der kalten Sonne schimmerten, bewegte sich nichts. Nicht mal ein Sturmvogel drehte in der Luft seine Runden.

    Sie war allein.

    ***

    Gwin reckte ihren Schnabel in die Luft und überblickte die Menge. Sie durften nicht länger warten.

    »Nun, Zeit zum Aufbruch«, versuchte sie das Gackern der Menge zu übertönen. »Und denkt daran: Immer schön zusammenbleiben. Allein seid ihr verloren, vergesst das nicht.«

    Sie hob die rechte Flosse, während sie das Gewicht auf die linke Seite verlagerte, setzte sie ein Stück weiter vorne auf, hob die linken, indem sie das Gewicht nach rechts verlagerte, setzte sie auf. Nach den ersten schwerfälligen Schritten fand sie zu ihrem Pendelrhythmus und es ging fast von allein. Zumindest da, wo das Gelände flach war.

    Schon bald stand der erste Eisberg vor ihr. Übersteigen oder umgehen? Es lag an ihr zu entscheiden. Dieser hier war groß und unwegsam, nahezu unüberwindlich. Es war vernünftiger, den Umweg zu machen, auch wenn das mehr Zeit kostete.

    Gwin schaute nicht zurück, kein einziges Mal. Hinter ihr marschierten die Pinguine in langer, ungeordneter Formation. Manche gingen einzeln, andere zu zweit nebeneinander oder in kleinen Gruppen. Die Älteren, die die Reise schon oft gemacht hatten, hingen ihren Gedanken nach und passten nebenbei auf, dass niemand vom Weg abkam. Die Jüngeren unterhielten sich.

    »Gla-glaubst du, dass ich einen neuen Partner finden würde?« fragte Dandi ihre Freundin Budwig, die neben ihr ging und sich kaum merklich mit den Flügeln an die Seite klopfte.

    »Warum solltest du einen neuen Partner wollen? Krong war doch für dich ganz in Ordnung«, fand Budwig.

    »Fi-findest du?« empörte sich Dandi. »Immerhin hat er das Ei auf dem Gewissen. Er war so ein To-Tolpatsch!«

    Budwig zuckte mit den Schultern, während sie sich weiter mit den Flügeln an die Seite tätschelte. »Nimm’s nicht so tragisch. Lipun war auch nicht perfekt. Hat sich irgendwie beim Fressen immer sehr viel Zeit gelassen. Aber unser Kleiner war ja zum Glück ein robustes Kerlchen …« Sie legte den Kopf schief, machte eine nachdenkliche Pause, während der man nur die schlurfenden Schritte der Flossen auf dem Eis hörte, und fuhr fort: »Ich an deiner Stelle würde bei Krong bleiben. Woher willst du wissen, ob nicht ein anderer noch viel schlimmere Macken hat?«

    Flünti, die mit ihrer Freundin Veren dicht hinter ihnen ging, schnaubte. Sie hatte letzten Winter nicht nur ihren Partner sondern auch ihr Küken verloren. Und außerdem hatte sie vor Kurzem beinahe zusehen müssen, wie die schielende Hanni geschnappt wurde. Sie konnte dieses Geschwätz nicht ertragen.

    Budwig hielt kurz an, um sich auf den Weg zu konzentrieren. Vor ihnen lag ein abfallendes Eisfeld.

    Flünti ging an ihr vorbei, ließ sich auf den Bauch fallen und schlidderte hinunter. Um mehr Tempo zu gewinnen, paddelte sie dabei mit den Flossen. Sie girrte vor Lust. Dandi folgte ihr, konnte aber nicht rechtzeitig bremsen und schob Flünti gleich noch ein Stück weiter. Hinter ihnen kamen andere, die ebenfalls alle auf sie aufprallten, bis sie fröhlich gackernd auf einem Haufen lagen und sich unbeholfen wieder aufrappelten. Erst als der Platz wieder frei war, rutschte Budwig hinunter und stand am Ende gesittet wieder auf.

    ***

    Nach zwei Tagen sah die schielende Hanni ein: Hier zu bleiben war sinnlos.

    Sie raffte sich auf und watschelte los in die Richtung, in die sie glaubte, dass die andern gegangen sein mussten. Die ganze Zeit strengte sie ihre Ohren an. War da neben dem Schleifen ihrer Füße auf dem Eis nicht ein gedämpftes Schnattern, ein entferntes Krächzen vielleicht? Wenn sie anhielt, hörte sie nichts. Verzweifelt rief sie nach ihrem Volk und lauschte in die Stille. Dann schleppte sie sich weiter.

    Sie hatte schon mehrere schneebedeckte Anhöhen erklommen und war auf der anderen Seite hinabgestiegen, als sich vor ihr ein schier unpassierbarer Eisberg auftürmte, um den aggressiv der Wind pfiff. Sie zögerte, ihn zu besteigen, konnte sich aber auch nicht entschließen, ihn zu umgehen.

    Nachdem sie lange Zeit an seinem Fuße verharrt hatte, wagte sie es doch und machte sich an den Aufstieg. Fiel hin. Rappelte sich hoch. Fiel hin. Rutschte ein Stück zurück. Kam wieder auf die Flossen.

    Oben angekommen blickte sie auf einen ebenso unwegsamen Abhang. Gegenüber türmte sich ein weiterer Berg auf. Bäuchlings hinabzuschliddern war unmöglich. Grobe Eisblöcke lagen unordentlich, wie hingeworfen übereinander. Kaum vorstellbar, dass sie hier auf die anderen treffen und dass dieser Weg zur großen Ebene führen würde.

    Behutsam stieg sie Schritt für Schritt hinab, konzentrierte sich auf ihre Flossen, doch wegen ihrer Augen, die einfach nicht in die gleiche Richtung schauen wollten, rutschte sie immer wieder aus. Dann plötzlich, ein Misstritt, etwas knackte in ihrer Flosse. Ein stechender Schmerz, der bei jedem Schritt stärker wurde, raubte ihr fast den Verstand. Doch sie musste weiter. Sie stützte sich seitlich mit den Flügeln ab, um das verletzte Gelenk zu schonen. Eine Weile lang ging das leidlich, bis sie trotz aller Vorsicht mit der noch heilen Flosse ausglitt und in eine Spalte geriet. Sie prallte mit ihrem ganzen Gewicht auf einen Eisblock, der dabei verrutschte und ihre Flosse vollends festklemmte.

    Ein wilder Krächzer entfuhr ihr. Sie versuchte loszukommen, indem sie unkontrolliert mit den Flügeln schlug und sich mit der freien Flosse abstieß. Der Schmerz betäubte sie beinahe.

    Der Wind heulte grimmig und kroch ihr unter das Federkleid. Über ihr war der Himmel düster. Sie fror. Vor lauter Sorge darüber, den Anschluss zu finden, hatte sie vergessen, sich einzuölen.

    Immer kraftloser wurden ihre Flügelschläge. Geschwächt fiel sie in sich zusammen.

    Das Eis gab sie nicht mehr her.

    ***

    Mit jedem Tag spähte Gwin angespannter in die Ferne. Es konnte nicht mehr weit sein.

    Endlich, als sie den letzten großen Eisberg umwandert hatten, sah sie am Horizont etwas Dunkles flimmern. Oder war es ein Trugbild? Sie hob den linken Flügel, um ihre empfindlichen Augen vor dem gleißenden Sonnenlicht abzuschirmen. Tatsächlich, das dunkle Flimmern entpuppte sich als ein Heer von kleinen schwarzen Punkten, die auf dem weißen Hintergrund durcheinanderschwirrten.

    Pinguine. Ihre Partner. Jede Reise hat mal ein Ende, dachte Gwin zufrieden und schnarrte vernehmlich. Die Truppe hinter ihr merkte auf und stimmte ein aufgeregtes Geschnatter an. In Momenten wie diesem wünschten sie sich, fliegen zu können.

    2

    Rennen hab ich nie gut gekonnt. Ich bin ständig hingefallen. Ich hab nicht rennen gekonnt, aber ich hab auch nicht gewollt. Eine richtige Abneigung hab ich dagegen gehabt. Immer schon.

    Meine Kameraden im Kindergarten damals rannten gerne. Und auch später, in der Schule.

    Nur selten ließen sie mich mit ihnen spielen. Sie merkten halt, dass ich anders war.

    Sie lachten mich aus wegen meiner Beine. Nicht dass ich das schlimm fand; ich war mit meinen Beinen zufrieden, so wie sie waren. Ich verstand nicht, was an ihnen lustig sein sollte.

    Eines Tages, ich war wohl so sechs Jahre alt, da nahm mich Mama zur Seite und sagte: »Maximilian-Schätzchen, du bist nun schon ein großer Junge. Wenn du artig bist, darfst du heute Abend mit Papa und mir ins Restaurant gehen.«

    Dabei hatte das mit meinem Alter gar nichts zu tun.

    Sie fanden an dem Tag einfach keinen Babysitter für mich. Aber das erfuhr ich erst viel später.

    Ich war noch nie in einem Restaurant gewesen und war ganz aufgeregt. Das Lokal war nicht groß. Es gab einige Tische mit weißen Tischtüchern, Gedecken und Blümchen. An den Tischen saßen fremde Menschen, die miteinander murmelten. Es war auch Geschirrgeklapper zu hören. Ich kletterte auf meinen Stuhl. Meine Beine reichten nur knapp über die Kante.

    Nun kam ein großer, feister Mann an unseren Tisch und begrüßte meine Eltern wie alte Bekannte. Er trug eine klein karierte Hose und auf dem Kopf eine hohe, weiße Mütze.

    »Na, wen haben wir denn da«, sagte er, als er mich sah, und kniff mich in beide Wangen. Sie wurden ganz heiß und der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen.

    Papa las in einem großen, flachen Buch mit Ledereinband. Unterdessen brachte ein Kellner den Aperitif. Das sind Getränke, die man vor dem Essen trinkt, sagte meine Mutter. Ich bekam einen Sirup.

    Ich staunte. Der Kellner war nicht viel größer als ich. Ich mochte ihn auf Anhieb. Er erinnerte mich an den Zeichentrickfilm mit den Pinguinen. Den Film hatte ich zu Weihnachten bekommen. Ich durfte ihn manchmal schauen, wenn Papa nicht zu Hause war. Mama telefonierte dann immer im Schlafzimmer. Der Kellner hatte eine weiße, gewölbte Brust, einen schwarzen Frack und eine lange krumme Nase. Und er watschelte beim Gehen.

    Ich starrte ihm mit offenem Mund nach, bis Papa mir einen Klaps gab. Nun starrte ich auf die Bläschen in meinem Sprudel.

    Mein Vater hatte halt den Trickfilm nicht gesehen.

    Der Kellner kam wieder und fragte: »Was möchten Sie denn essen?« Er sprach mit einer normalen menschlichen Stimme. Nur ein bisschen heiser war sie.

    Bevor er sich wieder entfernte, zwinkerte er mir zu. Ich glaube, er mochte mich auch. Ich meinte, einen kühlen Lufthauch zu spüren, wenn er in der Nähe war. Der Lufthauch hatte einen Geruch, den ich kannte. Ich wusste im Moment nur nicht, woher. Meine Eltern sahen einander an; Mama warf dem Kellner einen Blick nach und sagte leise etwas zu meinem Vater.

    Ich bekam Spaghetti. Der Ärmel des Kellners streifte meinen Unterarm, als er den Teller vor mich hinstellte. Die Berührung war ganz sanft und kitzelte mich. Wie Federn. Jetzt erkannte ich den Geruch. Es war gefrorener Fisch.

    Wenn meine Eltern ausgingen, dachte ich, sie gingen wieder in das Restaurant. Ich bestürmte sie immer, sie sollten mich mitnehmen. »Nein, Schätzchen, du kannst nicht mit«, entschied Mama jeweils. Das machte mich traurig.

    Zum Trost nahm mich meine Tante einmal mit in den Zoo. Meine zwei kleinen Cousinen waren auch dabei.

    Die meisten Tiere interessierten mich nicht besonders – außer den Pinguinen.

    Meine Tante erzählte später bei jeder Gelegenheit, dass ich weinte, als ich wieder nach Hause gehen musste. Erst mit einem Trick bekam sie mich weg; sie versprach uns nämlich allen ein Eis.

    Manchmal war Mama richtig gut gelaunt. Dann durfte ich mir etwas wünschen. Ich wollte immer in den Zoo, die Pinguine besuchen.

    Als ich größer war, durfte ich allein hingehen. Mein ganzes Taschengeld gab ich für Zoobesuche aus. Bald wusste ich genau Bescheid. Ich wusste, zu welchen Zeiten die Pinguine im Gehege waren, und wann sie im Winter den Rundgang machten. Sie waren ganz zahm, und manchmal durfte ich sie streicheln. Eigentlich war es verboten, sagte der Pinguinpfleger. Der Pinguinpfleger war nett und hieß Simon. Er hatte schon graue Haare und eine Glatze hinten am Kopf. Manchmal durfte ich ihm bei der Fütterung helfen. Er war mein Freund.

    »Du bist ja selbst ein kleiner Pinguin«, sagte Simon manchmal und seufzte und blickte auf meine kurzen Beine.

    Ich wollte auch Pinguinpfleger werden, doch für diesen Beruf gab es keine Ausbildung. Ich hätte ein normaler Tierpfleger werden müssen, aber die anderen Tiere interessierten mich nicht.

    Am zweitliebsten wollte ich Kellner werden. Ich machte eine Schnupperlehre in einem Hotel. Die ersten Tage musste ich Gläser abtrocknen und Tische abräumen. Dann war eine der richtigen Kellnerinnen krank und ich durfte endlich Gäste bedienen. Ich durfte ihnen die Getränke bringen und später die Suppe. Man musste die Teller ganz gerade halten, um nichts zu verschütten. Ich passte höllisch auf, nicht zu stolpern, während ich vorsichtig durch das Lokal bis zu dem bezeichneten Tisch schritt. Dort stellte ich den ersten Teller vor den Mann hin … Ein scharfes Zischen von hinten, ich zuckte zusammen, die Suppe im zweiten Teller schwappte über den Rand, ein Teil auf das Tischtuch und ein Teil der Frau auf das Kleid. Ich spürte, wie mein Kopf rot wurde. Der Chef de Service, der mich anleitete, stand schon hinter mir. Das Zischen war von ihm gekommen. Er habe mir doch eingeschärft, immer zuerst die Dame zu bedienen, sagte er. Sein Kopf war auch rot. Er war immer ein bisschen rot, aber jetzt noch mehr.

    Dabei hätte ich diesen Beruf gerne erlernt.

    Stattdessen wurde ich Metzger. Mein Lehrer in der Abschlussklasse drängte mich dazu. Als nämlich die Schule fast fertig war, hatte ich immer noch keine Lehrstelle. Und der Lehrer kannte den Personalchef der Großmetzgerei, und die suchte noch einen Lehrling. Ich sei doch ein kräftiger Bursche, fand der Lehrer. Warum nicht, sagte ich mir. Solange ich keine Pinguine schlachten muss …

    Die Pinguine liebte ich auch als Erwachsener. Mindestens einmal pro Woche ging ich in den Zoo. Am liebsten am Sonntag, denn da war der Pinguinmarsch. Ich hatte inzwischen mehrere Bücher über Pinguine bei mir zu Hause. Besonders gerne schaute ich darin die Bilder an. Ich wollte gerne einmal die Kaiserpinguine in ihrer Heimat besuchen. Die Pinguine lebten nämlich eigentlich nicht im Zoo, sondern in der Antarktis. Das wusste ich von Simon. Simon war sogar einmal dort gewesen, sagte er.

    ***

    Es war an einem Novembertag, und es regnete. Ich ging wie immer für den Pinguinmarsch in den Zoo. Ich war der einzige Zuschauer. Das heißt, außer mir war noch eine junge Frau da. Sie hatte blaue Gummistiefel an. Ihre Haare waren nass und fielen ihr strähnig ins Gesicht. Sie hatte einen Notizblock dabei, auf den sie ab und zu etwas schrieb.

    »Du hast gar keinen Schirm«, sagte ich zu ihr. Ich streckte den Arm aus und hielt ihr meinen über den Kopf.

    »Ja, ich habe eine Hand zu wenig.« Sie blickte kurz auf, kritzelte aber gleich weiter.

    Ich versuchte etwas zu entziffern. Sie schrieb schneller, als ich lesen konnte.

    »Ich mache Notizen für meine Diplomarbeit«, sagte sie, als sie merkte, dass ich schaute. »Über das Verhalten von Pinguinen im Zoo.«

    »Ich liebe die Pinguine«, sagte ich. Aber unter einer Diplomarbeit konnte ich mir nichts Genaues vorstellen.

    Sie heiße Sandrine, sagte sie. Mein ausgestreckter Arm, mit dem ich den Schirm hielt, wurde schwer, also ging ich ein bisschen näher hin.

    Ob ich öfters hier sei.

    Ich nickte und holte mit der freien Hand meine Zigarettenpackung aus der Jackentasche. Ich hatte erst vor kurzem angefangen zu rauchen.

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