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Kinder, die im Dunkeln spielen: Unheimliche Geschichten
Kinder, die im Dunkeln spielen: Unheimliche Geschichten
Kinder, die im Dunkeln spielen: Unheimliche Geschichten
eBook226 Seiten2 Stunden

Kinder, die im Dunkeln spielen: Unheimliche Geschichten

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Über dieses E-Book

Wer sich den Glauben an Märchen bewahrt, bleibt vielleicht bei Verstand - denn die Kindheit ist voller Zauber und Schecken. Sieben unheimliche Geschichten für Erwachsene - durch Kinderaugen erzählt. Der kleine Mikey klettert in die Böschung und kehrt nicht zurück. Die Zaubershow an Steffis Kindergeburtstag beschert ein böses Erwachen. Die kleine Isabelle kämpft am Strand um ihre Babypuppe - mit dem Klabautermann. Ein Bauwagen tief im Wald wird für Hannes und seine Bande zur blutigen Falle. Ein Hallenbadbesuch zu später Stunde bringt Ben fast um den Verstand. Der gepeinigte Henri findet ein Stück Blech in der Wildnis, das ihn seltsam widerspiegelt. Die kleine Fabienne ist sich sicher: Das neue Mädchen in der Nachbarschaft ist ein Roboter. Leserstimmen: »Unheimlich, unvorhersehbar und wirklich gut erzählt.« »Stilistisch anspruchsvoll.« »Mobbing und Missbrauch werden thematisiert: zu real für den Eskapismus des Horror-Genres.«
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum4. Feb. 2021
ISBN9783749726899
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    Buchvorschau

    Kinder, die im Dunkeln spielen - Daniel Kasper

    DIE GLEISHEXE

    Die Böschung fraß Fußbälle. Doch als Mikey nicht zurückkam, dachte Dennis, dass sie nun auch Kinder fraß. War wohl auf den Geschmack gekommen von den Wunden, die sie ihnen gestochen und gepeitscht hatte, wenn sie versucht hatten, die Bälle wieder raufzuholen.

    Oder die Gleishexe hatte ihn erwischt.

    »Wenn sie dich kriegt, verhext sie dich«, hatte Dennis ihm noch zugeraunt. Das bereute er jetzt, und er hörte seine Mutter im Kopf: Pass auf Mikey auf, Dennis, du bist der Große! Jedoch machte es Spaß, ihn zu erschrecken: Mikey glaubte fest, dass Roswita Hess eine Hexe sei.

    Dennis rief in die Böschung hinab, aber nur das Warngeläut vom Bahnübergang drang zu ihm hoch.

    Im Geist sah er, wie die Hess aus ihrem Häuschen zu den Kurbeln hinkte und mit dicken Armen gleichzeitig beide Schrankenbäume herunterkurbelte. Der Speck an den Oberarmen zappelte, der Pferdeschwanz wippte. Sie sah wie ein Elefant aus, der versuchte, ein Mädchen zu sein.

    Dennis musste grinsen, obwohl ihm eher nicht danach war. Wenigstens hatte er Mikey sein Klappmesser zugesteckt.

    Mike war neun, und er hatte darauf bestanden, selbst zu gehen: »Mein Schuss, mein Ball, also meine Aufgabe.« Er hatte auf den Ball gespart, einen echten aus Leder: Etwas Besseres als diese 99-Pfennig-Gummiteile, mit denen sie sonst kickten. Sein Schuss war abgegangen, doch dann hatten sie nicht Wow!, sondern Scheiße! gerufen, als der Ball über den Zaun hinausgeflogen war. Die Böschung war wieder hungrig gewesen.

    Jetzt grummelte es in der Tiefe wie Magenknurren.

    Hoffentlich hielt Mikey sich versteckt: Es war gefährlich, dort unten zu klettern und absolut verboten. Im Moment befand sich die Hexe auf ihrem Posten, aber manchmal blieb die Strecke stundenlang leer. Dann patrouillierte sie am Grund der Böschung und gaffte hoch.

    Als Dennis einmal hinabgestiegen war, hatte sie plötzlich in den Gleisen gestanden und ihn angebrüllt.

    »Raus da, Junge, oder ich mach dir Beine!«

    Dennis, der sich in der Höhe sicher gefühlt hatte, hatte dankend abgelehnt, sie könne sich die Mühe sparen, er besitze bereits welche.

    Ihre Augen waren ganz groß geworden. »Ich werd’ sie dir verdrehen, Junge!«, hatte sie geknurrt und dann einen Schwall derart schlimmer Wörter zu ihm hochgespien, dass ihm vor Schreck der Ball entglitten war.

    Der Ball war hinabgesprungen, im Weißdorn verschwunden und in den Graben neben den Gleisen gekullert.

    Dennis hatte damals gedacht: So was sagen Erwachsene doch nicht, nicht so laut, nicht zu Kindern! Manche dieser Wörter kannte er nicht mal, doch sie fühlten sich an wie Ohrfeigen, wie Tritte; sie trafen ins Mark. Er war rotgeworden, und als er beim Aufstieg ausgerutscht war, hatte die Hexe über ihn gelacht.

    Ja, es stimmte: Es war gefährlich dort unten, man konnte verletzt werden.

    Der Warnpfiff gellte durch den Tunnel.

    Gewiss hockte Mikey jetzt irgendwo im Dickicht, und gleich würden Waggons und Container ganz nah an ihm vorbeidonnern. Wenigstens die Angst vor der Hexe hätte er ihm nehmen können, hätte es versuchen sollen, hätte sagen können: »Mike, wir meinen Hexe nicht so, sondern wie Miststück oder Schlampe oder Fotze – nein, das nicht! Nicht zu ihm, der noch ans Christkind glaubte.

    Dennis stieg in die Böschung.

    Über Wurzeln und Äste kletterte er abwärts, glitt im Laub auf eine Klippe zu und sprang in die Arme eines Haselnussstrauchs, der dort, wo er aus dem Abhang wuchs, eine Stufe bildete. Die Haselruten ragten wie Speere ins Blätterdach.

    Bis hierher war der Abstieg Routine. Zu beiden Seiten führten weitere Haselstrauchstufen hinab, doch nicht alle waren leicht zu erreichen, und dazwischen gähnte der Abgrund. Unten konnte Dennis den Güterzug sehen, der donnernd in die Wälder kroch.

    Wieder hörte er seine Mutter: Pass auf Mikey auf, du bist der Große! Nur dass sie das schon gesagt hatte, als er selbst erst neun oder acht oder sieben gewesen war. Die Zeit, als er hatte an Märchen glauben dürfen, war kurz gewesen.

    Sobald der Donner verebbte, rasselten die Automotoren auf der gegenüberliegenden Straße. Roswitas Speckarme schlackerten wieder. Diesmal gelang Dennis kein Grinsen: Er spürte Steine in den Schuhen, schwitzte und Mücken bejagten ihn – und wo steckte Mikey?

    Dennis überwand einen Felsvorsprung.

    Wenn die Böschung ein Wesen war, das Fußbälle und Kinder fraß, dann befand er sich jetzt in dessen Magen. Es roch nach Erde und feuchtem Laub. Überall flitzten Spinnen herum. Generationen von Bällen steckten im Dornengestrüpp, vergilbt und schrumpelig wie halbverdaute Früchte. Mikeys Lederball war wahrscheinlich bis ganz nach unten gerollt, weil er so schwer war.

    Auf einmal erschienen Dennis die Bälle wie Köpfe, mit Augen, die ihn anstarrten. Einer hatte einen Mund, der aufging, als aus dem Schnitt im Gummi ein großer Käfer schlüpfte. Dennis spürte, dass Ungeziefer den Weg in sein Hosenbein gefunden hatte – Ameisen und Spinnen und was sonst noch aus dem Boden kroch; er wollte lieber nicht nachsehen. Es war keine gute Idee, länger auf einem Fleck zu stehen, wenn dieser Fleck nach ihm zu greifen begann.

    Also suchte er Griffe im Wurzelgeflecht und kletterte weiter.

    Da riss ein Wurzelstrang, und er rauschte die letzten Meter hinab in hohen Farn.

    Sofort rappelte er sich auf und spähte nach links, wo in hundert Metern das backsteinerne Wärterhäuschen hockte. Die Schranken ragten rotweißgeringelt vor dem Tunnel auf. Ein Auto kam aus den Wäldern herab, überquerte die Schienen und verschwand.

    In dem Graben neben den Gleisen verdorrten noch mehr Bälle, doch der Lederball war nicht darunter. Und keine Spur von Mikey.

    Einen anderen Aufstieg gab es nicht. Mikey könnte jedoch dem Graben zur Straße gefolgt sein, ohne dass die Hexe ihn entdeckt hatte … Oder vielleicht hatte sie ihn entdeckt und einfach nach Hause gescheucht: Mikey war ein lieber Kerl, jeder mochte ihn – ey, er glaubte ans Christkind!

    Auf einmal überkam Dennis die Furcht, die Hess könnte seinen Bruder mit ihren schlimmen Wörtern verletzt haben. Wenn sie das getan hatte, würde sie es bereuen: Dennis war nicht so lieb, und er konnte stark sein. Er wusste, wie es sich anfühlt, einem Vögelchen den Hals umzudrehen.

    Er hatte es für Mikey getan. Der war damals in der Scheune zu dem Nest hinaufgeklettert, weil er hineinschauen wollte. Dennis hatte es verboten, aber Mikey hörte nicht. Als er fast oben war, schoss die Vogelmutter davon und stieß dabei ein Küken hinaus. Es tastete blind am Boden umher; sein Bäuchlein war aufgeplatzt.

    Mikey stand nur dabei und stammelte: »Dennis, tu doch was.«

    Da hatte er es getan, hatte den kleinen zuckenden Kopf genommen … Wenn es sein musste, konnte er stark sein. Roswita Hess würde es bereuen.

    Im Schatten der Böschung pirschte er auf ihr Häuschen zu. Efeu griff nach der Fassade; gelbe Spitzengardinen hingen in schmutzigen Fenstern. Der Tunnel stand wie ein schwarzer Mond über dem Bahnübergang.

    Als er näherkam, bemerkte Dennis, dass mit dem Efeu etwas nicht stimmte: Wie erstarrter Nebel überzogen Spinnweben die Pflanzen. Hunderte Raupen krochen darin, spannen Fäden, hingen in pulsierenden Trauben an den Blättern.

    Die Raupenweben dicht am Körper, zwängte er sich an der Rückwand des Häuschens vorbei, schlich dann zum Straßenrand und tat, als sei er von dort hergekommen.

    Nahe den Gleisen ragten die beiden rostigeisernen Kurbelböcke aus dem hohen Gras, die unterirdisch mit den Schranken gekoppelt waren. Wie schon, als er noch kleiner war, sahen sie für Dennis wie einarmige Roboterkinder aus.

    Über den Schotterweg ging er an ihnen vorbei auf das Häuschen zu. Er trat bedacht auf; die Vorsicht vor der Gleishexe lag ihm im Blut wie allen Kindern.

    Vor dem Treppenabsatz verharrte er.

    Die Gardine im Türfenster hing voller toter Fliegen.

    Eine schmerzhafte Verzweiflung erfasste ihn plötzlich. Ich hätte dich nicht gehen lassen dürfen, Mike, dachte er.

    Er stieg auf die Stufe hinauf, klopfte zweimal und wich auf den Schotter zurück.

    Sofort rumpelte es in dem Häuschen. Die Gardine erzitterte mitsamt den Fliegenperlen darin, dann ging die Tür auf.

    Roswita Hess’ Gesicht wirkte überraschend jung über der Ansammlung von Kinnen. Eine Bluse mit Leopardentupfen hielt Brüste und Bauch im Zaum, Flecke schimmerten auf den drallen Armen. Die Ringe an ihren Fingern waren vom Fleisch verschlungen, sodass nur die Schmucksteine hervorschauten. Sie trug kurze Hosen, und Dennis ermahnte sich, beim Anblick der von Äderchen marmorierten Beine nicht das Gesicht zu verziehen.

    »Was willste«, blaffte sie.

    Aus dem Raum quoll ein Gestank von Zigaretten, Schweiß und Süßem.

    »Ich suche meinen Bruder. Mike. Vielleicht haben Sie ihn gesehen?«

    Sie maß ihn mit ihren kleinen, engstehenden Augen. »Habt hier nichts verlor’n.« Jetzt blickte sie sich um und humpelte auf die Stufe hinaus. »Müllt meine Strecke zu. Mit euren Schissbällen.«

    Dennis merkte, dass sich etwas in ihr zusammenbraute und machte sich bereit, entweder abzuhauen oder ihr die Stirn zu bieten.

    Doch unvermittelt hellte ihre Miene sich auf.

    Sie lächelte mild und sagte: »Es ist gefährlich für euch Kinder. Die Eltern machen sich Sorgen. Die Mamis und Papis. Die Herzen würden ihnen bluten, wenn euch Kindern etwas zustieße. Gib fein acht, so sagt doch das Sandmännchen, hm?«

    Unwillkürlich erwiderte Dennis ihr Lächeln.

    »Dein Brüderchen hab ich nicht gesehen. Aber wenn’s hier vorbeikommt, werd ich’s fein grüßen, ja?«

    Im Häuschen klingelte das Telefon.

    Roswita Hess’ Gesicht zerknautschte. Sogleich war ihre Stimme wieder schroff. »Los jetzt, oder ich mach dir Beine!«

    Schwerfällig drehte sie sich um, hinkte hinein und knallte die Tür zu.

    Dennis’ Lächeln verdarb. Er kam sich ausgetrickst vor, klein und dumm. Wut stieg in ihm hoch, und er wünschte, dass er nicht angeklopft hätte. Wenigstens sein Lächeln hätte er ihr nicht schenken dürfen. Er wandte sich ab und wollte bloß weg.

    Da entdeckte er das Messer.

    Es lag im Schotter neben der Stufe. Unverkennbar war es seins, das er Mikey gegeben hatte. Er hob es auf. Die Erkenntnis, dass sie ihn belogen hatte, traf wie ein Schlag.

    »Was haben Sie mit ihm gemacht?«, warf er gegen die Tür. »Er ist hier gewesen! Mikey war hier, und Sie haben gelogen!«

    Die Tür flog auf. Überraschend schnell kam Roswita Hess herausgestapft und linste auf das Messer. Ihr kleiner Mund wurde spitz, die Nasenflügel begannen zu beben.

    »Das hatte er in der Tasche!« Dennis hielt ihr das Messer hin.

    Sie grunzte, machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich ab.

    »Es lag hier, direkt vor Ihrer Tür! Was haben Sie –«

    Ihr Blick loderte, als sie wieder zu ihm hersah. Die Kinne zitterten unter dem Druck ihrer mahlenden Kiefer. Zwei Bolzen gleich ruckten ihre Arme nach vorn und stießen Dennis vor die Brust.

    Er taumelte rückwärts und schlug auf den Schotter.

    Wie benommen verfolgte er, wie die Hess aus einem Blechkasten an der Hauswand einen Schlüssel holte und zu den Kurbelböcken wanderte. Ihre Schultern wippten; jeder Schritt wallte durch ihren Körper.

    Dennis raffte sich auf. Sein Rücken tat weh, aber den körperlichen Schmerz nahm er nur dumpf wahr. Etwas in ihm wollte flennen! Nicht wegen dem, was mit Mikey sein mochte, sondern der verblüffenden Gewalt wegen, mit der eine Erwachsene gegen ein Kind vorging. Aber er verbot sich, schwach zu sein: Zorn war gut.

    Er näherte sich der Hess wie einem unberechenbaren Tier. Als er sie ansprach, zitterte seine Stimme vor Beherrschung. Er fragte sich, ob er mehr erreichen würde, wenn er bat, wenn er flehte.

    »Wo ist er? Sagen Sie mir bitte, wo mein Bruder ist!«

    Mit abgespreiztem Finger drehte Roswita Hess den Schlüssel und entriegelte die zweite Kurbel. Sie zeigte ein Grinsen, aus dem das genüssliche Wissen um eine boshafte Tat geradezu schrie.

    Dennis holte aus und versenkte die Faust in ihrer Seite. »Verrückte Hexe, was hast du mit Mikey gemacht?«

    Sie fuhr herum, packte ihn und riss sein Gesicht an ihres heran. Ihre Augen traten hervor. Sie zischte: »Ihr sollt euch schämen, allesamt, und die Mütter, die euch ausgeschissen haben …!«

    Dennis zerrte am Kragensaum ihrer Bluse, atmete ihren schwülen Geruch.

    »… Schissblagen, allesamt sollt ihr euch schämen

    Der Saum riss, und – sieh da nicht hin! – Dennis entdeckte eine Tätowierung gefährlich tief in ihrem Ausschnitt. Etwas wie ein Vogelfuß.

    »Hab’s Brüderchen in meinen Tunnel gesteckt. Es hat ihm gefallen.«

    Sie stieß ihn abermals fort, aber er hielt sich auf den Beinen. Er versuchte zu begreifen, was sie gerade gesagt hatte, als es ihm voll Grauen aufging.

    Er drehte sich um.

    Dort war der Tunnel. In seinem Schwarz pendelte ein blasser Fleck. Der Fleck sah wie ein Fußball aus, den eine kleine Gestalt sich vors Gesicht hielt. Bei ihrem Anblick brach Dennis das Herz.

    Mikey taumelte scheinbar blind über die Schwellen, strauchelte und stürzte ins Gleisbett.

    Dennis schrie: »Komm da weg, Mikey!«

    Er wollte zu ihm rennen, aber es war zu weit, und das Warngeläut der Schrankenanlage setzte ein. Er fühlte, dass eine böse Maschinerie, wie eine Trickfalle, in Gang geriet.

    Die Hess hatte zu kurbeln begonnen; die Schrankenbäume senkten sich herab. Ein hoher Ton begann, in den Gleisen zu schwingen: Ein Frachtzug schoss aus der Kluft zwischen den Wäldern.

    In Dennis’ Kopf erschien ein Bild – Mike, der vor Schmerz grinst, als der Zug ihn zerreißt –, aber dann sah er nur sie, die dicke Frau, die mit ihrem eifrigen Kurbeln diese ganze Teufelei anzutreiben schien.

    Er öffnete das Messer – Pass auf Mikey auf, du bist der Große! – und sprang Roswita Hess von hinten an.

    Er stieß ihr die Klinge ins Ohr.

    Ein Beben ging durch den Berg, der sie war. Sie glotzte ihn an, grunzte etwas, das wie rückwärts Gesprochenes klang, und sackte zur Seite.

    Die Schrankenbäume verharrten federnd hoch über der Straße.

    Ein Lastwagen rumpelte auf den Bahnübergang.

    Die Lock rammte ihn weg wie ein Hammer, der einen Nagel versenkt.

    Eisen kreischte. Riesige stählerne Bäuche schoben sich schreiend an Dennis vorüber, der winzig und seltsam gleichgültig im Staub der Verwüstung stand. Er starrte auf den Kopf mit dem Messer darin hinab und spürte noch den Widerstand, den die Klinge durchstoßen hatte, wie ein Echo in der Hand.

    Dann riss er sich los. Er rannte an dampfenden Kesselwagen vorbei, die zum Stillstand gekommen waren.

    Der Laster lag in der Tunnelmündung. Aus seinem Bauch sprühte Öl. Die zertrümmerten mechanischen und elektronischen Innereien knisterten und klickten.

    Dennis rief in den Tunnel, und der Name seines Bruders widerhallte in der Dunkelheit. Er hastete hinein, bis das Gemäuer sich kaum noch vom Schwarz abhob.

    Endlich fand er Mikey, der im anderen Gleis Tunnel einwärts kroch.

    Das Bild von dem Küken flimmerte vor Dennis auf, und er hörte die Stimme seines Bruders aus der Vergangenheit rufen: Dennis, tu doch was!

    »Mikey, warte, ich bin ja bei dir!«

    Er wollte ihn in die Arme schließen, ihn aufheben und nach Hause tragen, fort von dem Schrecken, dem Dreck und der Dunkelheit.

    Aber er stoppte. Auf einmal erkannte er, warum Mike blind war.

    Sein Kopf steckte in dem Fußball!

    Dennis tastete Mikeys Hals ab, um ihn von dieser Maske zu befreien, suchte nach den Schnittkanten im Leder. Doch er fand keine. Es gab keine Kanten. Die Haut an Mikes Hals ging nahtlos in das Leder über; Haut und Leder waren miteinander verwachsen: Der Fußball war Mikes Kopf!

    »Dennis«, hauchte Mikey aus einem Schlitz, der aufging, und

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