Einmal Vesuv und zurück: Abenteuer und Arbeit inklusive
Von Vera Splinter
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Über dieses E-Book
Huberts Familie, seine Freundin Gerta und der Freundeskreis nehmen regen Anteil an diesem Vorhaben, wie ein umfangreicher Briefwechsel belegt. Diese Briefe, ein Reisetagebuch und zahlreiche alte Dokumente bilden die Basis für die Rekonstruktion der Reise. Ergänzt werden sie durch Gespräche mit Hubert, seiner Frau Gerta sowie seinen Geschwistern.
Das vorliegende Buch nimmt den Leser mit auf Huberts abenteuerliche Reise. Es gibt Einblicke in das Leben der Menschen in den 50er Jahren, eine Zeit mit eigenem Charakter. Entbehrungen einerseits und freudige Erlebnisse anderseits sind mit der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft verbunden. Der Leser nimmt daran teil, wie Hubert in der Fremde große Gastfreundschaft erfährt, den Großglockner besteigt, in lebensgefährliche Situationen gerät und unter Spionageverdacht gestellt wird.
Auch für damalige Verhältnisse war Huberts Reiseausstattung mehr als einfach und er bewegt sich in bescheidenem finanziellem Rahmen. Widrige Witterungsverhältnisse, bürokratische Hürden und Zollformalitäten halten ihn von seinem Vorhaben nicht ab.
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Buchvorschau
Einmal Vesuv und zurück - Vera Splinter
1 Handwerksgesellen auf Wanderschaft
Die Zeit der Wanderschaft eines Gesellen nach der Freisprechung, das heißt nach Abschluss der Lehrzeit, wird auch als Walz bezeichnet. Im Verlauf des 14. Jahrhunderts entwickelte sie sich zum festen Bestandteil eines Handwerkerlebens und gehörte zur Pflicht vieler Gesellen, wenn sie den Meister-Status erlangen wollten. Die Entwicklung des mittelalterlichen Handwerks steht in engem Zusammenhang mit dem Aufstieg der Städte zu Zentren von Kultur, Gewerbe und Handel. Die zunehmende Spezialisierung und Differenzierung vieler Gewerbe machten einen europaweiten Austausch des handwerklichen Könnens notwendig. Überliefert sind jedoch auch Wanderverbote für gesperrte Handwerke. Sie wurden angewendet, wenn Kenntnisse von Arbeitsmethoden und besonderen Fertigkeiten nicht aus der Stadt gelangen sollten. ¹
Die Walz ist die einzigartige Gelegenheit, sich als junger Handwerker im Rahmen einer jahrhundertealten Tradition sowohl beruflich als auch persönlich weiterzuentwickeln. Der Geselle lernt neue Handgriffe, Produkte sowie Werkzeuge kennen und wird in für ihn bis dahin unbekannte Produktionsweisen eingeführt. Nach einem kriegsbedingten Rückgang wuchs das Interesse an der beruflichen Wanderschaft in den 1950er Jahren in Deutschland wieder rasch, wobei Gedichte und Lieder heute ein verklärtes Bild der Gesellenwanderung erwecken.
Auf Initiative der Kultusministerkonferenz wurde 2015 die Handwerksgesellenwanderschaft Walz von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe ausgezeichnet.²
Abenteuerlust und Freiheitsdrang spielen vermutlich heute noch eine wichtige Rolle bei der Planung des Vorhabens. Hubert entschied sich 1954 aus eigenem Antrieb zu einer einjährigen beruflichen Wanderung. Die Handwerksordnung sah in den 50er Jahren für einen Schreinergesellen, der sich auf die Meisterprüfung vorbereiten wollte, keine Verpflichtung zur Walz vor.
Lehrbrief vom 13. Oktober 1951
¹ Bohnenkamp, A., Möbius, F. (2020) Mit Gunst und Verlaub. Göttingen, Wallstein Verlag, 7. Überarbeitete Auflage
² Unesco, Immaterielles Kulturerbe. in https://www.unesco.de/kultur-und-natur/immaterielles-kulturerbe/immaterielles-kulturerbe-deutschland/handwerker-walz, letzter Zugriff: 09.Februar 2021.
2 Auf in den Süden
Das Wunder von Bern hatte Hubert nicht beeindruckt. Während die deutsche Fußball-Mannschaft überraschend das Endspiel am 4. Juli 1954 durch ein 3:2 gegen Ungarn gewann, konzentrierte er sich auf letzte Reisevorbereitungen. Fußball gehörte nicht zu seinen Leidenschaften.
Auf seinem Fahrrad startete Hubert am Montag, den 5. Juli 1954 seine Reise am frühen Morgen. Die Idee für dieses Unternehmen reifte bereits seit Jahren in ihm. Vier Jahre zuvor hatte es den damals sechzehnjährigen bis an die deutsch-dänische Grenze geführt. Noch heute schildert er mit Begeisterung diese ersten und vielfältigen Eindrücke der verschiedenen Landschaften. Er war entschlossen, mehr von der Welt sehen zu wollen. Die Freude an Fahrradtouren hatte er in seiner Kindheit bei Ausflügen mit seinem Vater früh erfahren.
Weite Reisen zum Vergnügen, vor allem ins Ausland, waren in seinem familiären Umfeld eine große Ausnahme. Sein Vorfahre und Namensvetter Hubert Salentin (1822 – 1910) aus Zülpich, Schüler von Friedrich Wilhelm von Schadow und Vertreter der Düsseldorfer Malerschule, war als erfolgreicher Genremaler lediglich bis in den Schwarzwald gereist.³
Neben dem Wunsch mehr von der Welt zu sehen, war es für Hubert auch eine Chance, vorübergehend den familiären Verpflichtungen zu entfliehen, die er als ältester Sohn gegenüber seinen sechs Geschwistern und seiner verwitweten Mutter bereits früh übernommen hatte. Heute spricht er davon, dass es ihn reizte «raus zu kommen und etwas Neues kennenzulernen». Seine Reise ging jedoch auch mit einer einjährigen Trennung von seiner Freundin Gerta einher, die bei ihren Eltern im Nachbarort Jakobwüllesheim lebte.
Trotz umfangreicher Planung im Vorfeld hatte Hubert bei der Abreise weder ein konkretes Ziel noch eine Zusage für einen Arbeitsplatz unterwegs. Lediglich der Wunsch über den Gotthard-Pass hinaus zu reisen war fest formuliert, seine Begeisterung für die Berge war durch eine Ferienfreizeit mit der Stockeimer Jugendgruppe zur Zugspitze wenige Jahre zuvor geweckt worden.
Braun Paxette
Huberts Zelt
Huberts bescheidene Ausrüstung ist schnell beschrieben: Das Adler-Fahrrad in Grünmetallic mit Fichtel und Sachs Drei-Gang-Schaltung hatte er 1951 nach seiner erfolgreich abgelegten Gesellenprüfung mit finanzieller Unterstützung seiner Mutter in Düren beim Fahrradhändler Schuster gekauft. Sein Zelt bestand aus drei Planen, die mit Schnüren verbunden wurden und einem Stab als Mittelstütze. Hubert hatte es bei einem Anbieter für Jagd- und Angelsport in Düren gekauft. Restbestände der Armee wurden auf diesem Weg einer neuen Nutzung zugeführt. Er packte auch seine Braun Paxette, etwas Alltagskleidung und eine Straßenkarte ein. Seine Reisekasse bestand bei der Abreise aus 200 Deutschen Mark.
Sein Weg führte ihn in den ersten Tagen über Worms, Cannstatt und Villingen nach Konstanz. Er übernachtete in den Häusern der Kolpingfamilie, die ihn als Mitglied (Kolpingsohn) dort kostenlos unterkommen ließ. In seinem Reisetagebuch dokumentierte er den ersten Tag:
»Dichte Regenwolken verdecken den Himmel. Vergangene Nacht hat es auch geregnet und der Tag verspricht nicht besonders schön zu werden. Aber es ist erst halb fünf und das Wetter kann sich noch ändern. Das ist nun die erste Stunde meiner Wanderschaft. Der Abschied fällt mir doch etwas schwer und schon nach zweihundert Metern Fahrt geht meine Uhr in die Brüche.
Ich drehe mich schnell und hole Gerta noch vor dem Dorf wieder ein. Wir haben dann unsere Armbanduhren getauscht. Nun nochmals ein Abschied, aber das war der Letzte.
Ich fahre über Zülpich, Euskirchen, dann ins Ahrtal hinunter bis nach Remagen an den Rhein in Richtung Koblenz. Es ist kein besonders schönes Fahren hier auf dem Kopfsteinpflaster. Kurz vor Koblenz die erste Rast, eine kurze Pause und weiter geht es durch die Stadt, es ist 10 Uhr. Gegen 4 Uhr bin ich in Bingen. Kurz hinter Bingen der erste Regenschauer. Ich befinde mich hier in der großen Kirchengegend. Bei einem Mann, der gerade beim Kirschenpflücken ist, erkundige ich mich nach dem Weg. Nach einem kurzen Gespräch bietet er mir einen ganzen Korb Kirschen an, sicher 7-8 Pfund. Ich habe mich dann zuerst mal so richtig satt an Kirschen gegessen. Der Regenschauer war vorbei. Den Rest der Kirschen habe ich in einer Tasche verpackt. Übrigens habe ich davon noch zwei Tage gegessen.
Über Mainz geht es nun weiter und gegen halb 10 am Abend komme ich in Worms im Kolpinghaus an. Man ist sehr zuvorkommend mir gegenüber. Nach dem Waschen erhalte ich eine anständige Mahlzeit bei einer Flasche Wein. Im Keller wird mir ein Bett zugewiesen. Es ist kein großes Kolpinghaus. Ein großer Tagesraum, Waschraum und Keller, das ist alles. Es ist das einzige in Worms. Meine Papiere werden in Ordnung gebracht und gegen 11 gehe ich zu Bett. Ich hatte einen strammen Tag hinter mir. Runde 254 km bin ich gefahren und bisher ohne Panne.«
Huberts Reise wurde in diesen ersten Tagen durch schlechtes, regnerisches Wetter erschwert, so dass er teilweise erst am späten Vormittag aufbrechen konnte.
»Es regnet in Strömen. Die Fahrt geht weiter in Richtung Stuttgart. Die Straßen sind hier in guter Ordnung. Es ist die Hauptverbindungsstraße Mannheim – Stuttgart. Der Verkehr besteht hauptsächlich aus Ferntransportern. Gegen 21 Uhr komme ich in Stuttgart an, die Stadt liegt in einem Tal. Das Kolpinghaus ist in einem Krankenhaus untergebracht. Zuerst will mich der Pförtner wegen Platzmangels abweisen. Ich nehme Rücksprache mit dem Hausmeister, der findet noch ein Bett für mich.«
Am Mittwoch startete er wieder bei strömendem Regen.
»In einer Schlosserei muß ich