Buenos Días, Südamerika: Wenn dich Zuckerhut und Machu Picchu rufen
Von ingoamericano .
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Über dieses E-Book
Dein Gefühl sagt, du solltest Südamerika besuchen? Dann mach es und stimme deinen Geist jetzt darauf ein. Lass dich von "Buenos Días Südamerika" unterhalten und inspirieren. Versprochen ist, dass ingoamericano weder sich noch andere zu ernst nimmt. Der reisende Autor liebt die Vielfältigkeit, deshalb wählt er seine Ziele zwischen Meeresinseln und Andenvulkanen. Er erkundet die Gletscherwelt des Perito Moreno, beobachtet auf dem Amazonas die Goldsucher, liegt neben den Galapagos-Echsen und erstürmt den Machu Picchu. ingoamericano will dich motivieren, deinen Reisetraum zu planen und umzusetzen. An über 50 berühmten und unbekannten Orten erwartet dich ein Vielfaches an Ausflügen und abenteuerlichen Touren. Schwerpunkt sind 7 Länder: Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Ecuador, Kolumbien, Peru. Im Buch finden sich 20 Seiten zu Buenos Aires und 36 Farbseiten mit Reiselust steigernden Fotos. Mehr wunderschöne Reisebilder und Kontakt zum Autor findest du unter: www.ingoamericano.com
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Buchvorschau
Buenos Días, Südamerika - ingoamericano .
Argentinien, Buenos Aires
Ein traumhafter Flug
Können vierhundert Leute 10 Stunden am Stück miteinander schlafen? Im Lufthansaflug Frankfurt – Buenos Aires schon. Ich nehme an, es handelt sich um ein Schlafexperiment und man hat uns etwas ins Essen gemischt. Damit die Besatzung ausreichend Ruhe für ihre Pokerrunde bekommt. Sogar das Baby vor mir, vor dessen Geschrei ich zuvor so Angst hatte, träumt durch.
Somit handelt es sich um einen wirklich erholsamen Flug und mein persönliches Highlight folgt: Ich habe an der Flughafenankunft das erste Mal ein Abholschild mit meinem aufgepinselten Namen auch gefunden und der desinteressierte Fahrer nimmt mich mit in die Stadt Buenos Aires. Es muss mein Glückstag sein: War ich doch bei ähnlichen Gelegenheiten bisher immer alleine und verlassen in der Halle stehen geblieben. Was das Aufziehen einer Brille doch so alles ausmacht. Das Appartement in Recoleta ist sauberer und besser ausgestattet als ich zu Hause. Wenn ich daran denken werde, den ungewohnten Gashahn zuzudrehen, erwarten mich nette Wochen in der argentinischen Hauptstadt. Auch der Nachbar freut sich bereits auf mich, wie mir ein Plastikskelett am Balkon mitteilt.
Was will ich eigentlich hier? Nichts Bestimmtes, außer meine Neugier befriedigen. Ich wollte schon immer mal Buenos Aires besuchen. Mein Herz hat mir das quasi befohlen. In Buenos Aires heißt es etwas Spanisch lernen, etwas eingewöhnen und umschauen, erst im Land, dann im Kontinent. So einfach ist das. Im Nachhinein, nach Vergleich verschiedener Jahreszeiten, darf ich feststellen: Im Sommer ist Buenos Aires noch mächtiger, schöner und beeindruckender als im Herbst. Fast 40 Grad im Januar, es ist richtig heiß. Solch eine große Stadt ist natürlich immer in Bewegung und im Wandel, es tut sich was. Die neue Empfangshalle im Flughafen Ezeiza haut einen aus den Latschen ob ihrer übertriebenen Eleganz. Vermutlich will man die anderen ankommenden Südamerikaner beeindrucken und fast möchte man das als Täuschungsmanöver gegenüber der Stadtarmut bezeichnen.
Problemlos: Das Appartement habe ich über eine lokale Internetbörse gebucht. Nicht das billigste, aber günstig, mit Rezeptionist. Keinerlei Probleme.
Zum Sterben schön
Ich bin so erzogen, in einer neuen Stadt geht es immer erst mal in ein Museum. Auf jeden Fall wird etwas Kulturelles unternommen. Sogar im reiferen Alter halten meine Schwestern und ich uns daran. Steckt tief in uns drinnen und wir sind geübt: Das Amsterdamer Rijksmuseum mit Rembrandts Nachtwache durchliefen wir mal in 20 Minuten. In Buenos Aires entscheide mich erst mal für die leichte Variante: Aufwartung bei Eva Perón (1919–1952) auf dem Friedhof Recoleta. Der Stadtteil, in dem ich wohne.
Beeindruckende Mausoleen der reichen und wichtigen Familien, meist aus dem 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts, gibt es zu bestaunen. Präsidenten, Nobelpreisträger, Generäle, Kaufleute, sie alle haben es sich bequem gemacht. Man möchte sich glatt dazulegen und darf das auch heute noch, wenn man eben „dazugehört". Ich genieße die Gratisführung einer Argentinierin, die mich gleich an der Eingangspforte aus dem Verkehr gezogen hat. Was ich verstanden und dazu noch behalten habe, minimale Schnittmenge genannt, ist schnell erzählt: Früh verblichene Mädchen geistern nachts als ebenso bleiche Gespenster, also vermutlich Blondinen, durchs Gelände und feiern Partys. Als ich der Führerin am Ende 30 Pesos in die Hand drücke, schaut sie mich entsetzt an, die anderen gäben mindestens 40. Immer dieses Klischeedenken, die Deutschen seien so reich. Ein Knacks geht durch den himmlischen Friedhofsfrieden. Nichtsdestotrotz: Eine Friedhofsführung lohnt sich.
Freizeitgruftis: Ein wunderschöner Friedhof ohne Touristen, aber auch ohne Eva Perón, ist Cementerio de la Chacarita.
Marktsonntag in San Telmo
Ich begebe mich nach San Telmo, dem durchaus kommerziellen Künstlerviertel in Buenos Aires. Sonntag ist großer Markttag. Kilometer um Kilometer gibt es erfreulich wenig Nippes, stattdessen hübsches Handwerk, alle häkeln und flechten mit Hingabe, viele Antiquitäten, gekonnte Malerei und Essen.
Die Leckereien scheinen mir jedoch von Hobbyköchen zu Hause zubereitet. Sicherlich mit Liebe, aber nicht für jeden Magen geeignet. Dazwischen spielen wirklich begabte Musiker, Tangopaare und Kleinkünstler geben ihr Bestes. Besonders angenehm, wenn auch nicht wirklich geschäftstüchtig, fällt die Zurückhaltung der Verkäufer auf. Irgendwie ist San Telmo ein Touri-Markt, aber ohne Abzocke. Hat auch etwas für sich. Hinter dem Park Lezama beginnen dann die Stände einer Klamottenwelt, deren Angebot der KiK-Haute-Couture ähnelt. Plus ein Familientreffpunkt mit Kinderbelustigung. Das wahre Leben irgendwie, da heißt es schnell weg.
Mein erster Schultag
Ich möchte meiner Südamerikareise einen Hauch von Bildung zukommen lassen. Wie bereits erwähnt, ist mir die wichtig und kommt im Ranking gleich nach Saufen und Kiffen. Deshalb belege ich einen Sprachkurs. Schule hieß für mich schon immer: zu spät kommen, letzte Reihe, Raucherpause – da hat sich nicht viel geändert in den Jahren. Ich werde in Spanischkurs 2 eingestuft, das klingt gut und ist genau eine Stufe über den völlig Ahnungslosen. Lehrer und Schüler erweisen sich als sehr sympathisch. Lola, die Lehrbeauftragte, erklärt super und auch mir geht ein kleines Licht auf. Außerdem ist sie hochschwanger, ihre dünnen Beine drohen unter der Kugel wahrhaftig ständig wegzuknicken. Und sie reibt sich immer den Bauch, als ob sie genau jetzt die Geburt einleiten möchte. Ich überlege, einen Geburtshilfekurs zu absolvieren. Zumindest sollte ich in den nächsten Tagen einen Lappen und eine Schere mitnehmen, notiere ich mir. Außerordentlich geschielt hat Lola vermutlich schon vor ihrer ekstatischen Liebesnacht. Ihr Blick verwirrt mich ein wenig, soll aber keine Ausrede für meine mangelnden Lernerfolge sein.
Neben Deutschland sind, nicht untypisch, Belgien, Holland, Brasilien und die USA in der Schulklasse vertreten. Letztere in Person des US-Grandseigneurs Joseph. Wird er gefragt: „Wie lange dauerte dein Flug?, berechnet er das mit Flug und Umsteigen minus Anzahl der Stewardessen unter Berücksichtigung der Zeitzonen, die er aber nicht kennt. Das führt zu einem fantastischen, minutenlangen Monolog, aber keinem Ergebnis. Ich sage nur: „13 horas de Frankfurto a Buenos Aires en directo
, was zugegebenermaßen in erster Linie meinem geringen Wortschatz geschuldet ist. Korrekt hieße es übrigens „Fráncfort". Wie üblich versuche ich, Unwissenheit mit schwachen Witzen wettzumachen. Es klappt zunächst leidlich.
Kein Schiff wird kommen
Keine Dirnen, keine Leichtmatrosen und keine Spelunken – was ist nur aus den guten alten Häfen geworden? Sehr schön ist er geworden – der Puerto Madero am Río de la Plata (Silberfluss) in Buenos Aires. Früher landeten hier die Immigranten. Seit 2001 ist die Puente de la Mujer (Frauenbrücke) vom Stararchitekten Santiago Calatrava der Hingucker im Viertel. Übrigens jener Künstler, der auch in Valencia einige extravagante Gebäude entworfen hat. Im Hafen liegen zwei alte Fregatten. Aber nicht deshalb tragen alle Straßen des Viertels Frauennamen. Diese Gegebenheit ist zur Ehre der Alicia Moreau de Justo (1885-1986), Ärztin und Frauenrechtlerin. Sie würde heulen, sähe sie am Ufer den argentinischen Schulmädchenreport: Junge Dinger lassen sich von zwielichtigen Herren, vermutlich „Filmproduzenten", aufreizend fotografieren. Hinter der Hafenskyline kommen ein Park und – in der Stadt und das finde ich bemerkenswert – ein Naturschutzgebiet. Dessen Eingang finde ich allerdings nicht. Vielleicht ist der Park so sehr geschützt? Aber warum laufen dann Menschen darin rum? Andererseits, wäre ich doch noch in der grünen Natur gelandet, hätte ich vielleicht nicht mehr rausgefunden. So gesehen ist alles in Ordnung.
Der Musterschüler
Spannung pur: In der Sprachschule steht das Spanisch-Wochenexamen an. Ich kann vermelden: Ich habe es mit Glanz und Gloria absolviert. Man braucht 75 von 100 Punkten zum Bestehen und ich erziele … 75 Punkte. Seit jeher bin ich eher der minimalistische Typ. „Das war doch geschenkt", höre ich da jemanden sagen? Er möge schweigen, so was Unverschämtes habe ich lange nicht gehört. Mein großer schulsprachlicher Erfolg ist das Ergebnis sehr harter Arbeit und hat absolut, also rein gar nichts mit den bezahlten 400 Dollar Studiengebühren zu tun. Als ob man mit Geld einfach eine solch schwere Prüfung bestehen würde.
In meinem Abschlussexamen rehabilitiere ich mich übrigens mit fast voller Punktzahl und das macht mich sehr stolz. Zu würdigen ist, neben meiner eigenen, die Leistung von Lehrerin Lola. Die ist zum Zeitpunkt der Zeugnisvergabe nicht mehr im Schuldienst. Ihr Babybauch hatte mittlerweile sämtliche Schwerkraftgesetze ad absurdum geführt. Dennoch: Respekt vor Lola, ihr Lehrerberuf ähnelt jenem einer Ratetante. Wenn man sich vorstellt, was sie sich täglich anhören muss. Der Schultag beginnt immer mit der gleichen Frage: „Hola, was habt ihr gestern gemacht? Ingo beginnt!"
„Gestern war ich in Zoo gegangen."
„Oh, wie schön! Was hast du gesehen?"
„Viele Tier."
„Sehr gut! Welche Tiere hast du gesehen?"
„Da gibt Tiere mit große Köpf und kleine Köpf. Giraff und Löwe."
„Seeeehr gut! Beschreib uns dein Lieblingstier."
„Is dick und grau."
„Muy bien!!! Noch etwas? Wer hilft Ingo? Ja, Florence."
„Ist mit Bein von Elfe und vorne eine Schwanz zum Essen."
„Seeeehr gut Florence! Beim Tier heißt Schwanz ‚cola‘. Ein Elefant! Kerstin, was hast du gestern gemacht?"
„Ich war auch in Zoo."
„Oh, wie schön! Was hast du gesehen?" …
Rabimmelrabammelrabumm
So, ich schreibe gerade an den Papst, der schuldet mir eine neue Kappe. Ich habe meine in der Kathedrale von Buenos Aires verloren. Dort sagt der Mausoleums-Wachmann zu mir, ich müsse die Mütze vor dem Sarg des Generals José de San Martín ausziehen. Plötzlich ist die Kappe weg, samt dem schönen „i" vorne drauf. Ist sie in den Sarg gefallen? Keine Ahnung. Es ist ärgerlich, denn zu meinem runden Gesicht passen nur sehr ausgewählte Kopfbedeckungen. Die Kathedrale gehört übrigens Papst Francisco, zumindest grüßt sein Porträt am Eingang. Vielleicht wird er mir eine seiner Tütenmützen als Wiedergutmachung schicken?
Kurz zur Geschichte des argentinischen Unabhängigkeitskämpfers San Martín, dem in Argentinien viele Denkmäler und Straßen gewidmet sind. San Martín bildete 1812 eine Revolutionsarmee für den Unabhängigkeitskampf gegen Spanien aus und konzentrierte sich zunächst auf die Befreiung Chiles. 1817 marschierte seine Andenarmee spektakulär über das Gebirge. Er schlug die Spanier bei Chacabuco in Chile und 1820 befreite er Peru. So sicherte er auch Argentinien nachhaltig die Freiheit.
Es wimmelt im Park
Zwei Stunden im Parque tres de Febrero sind wie ein Ali-Mitgutsch-Wimmelbuch. An allen Ecken und Enden gibt es was zu entdecken. Leute liegen, stehen und rauschen an einem vorbei auf Inlinern, Fahrrädern und in Booten. Die Zuckerwatte landet samt heulendem Kind auf dem Boden, das Pärchen liegt umschlungen in der Sonne und ein dicker deutscher Tourist macht Fotos. Es ist lebhaft und gleichzeitig sehr entspannt. Der Park ist in ein riesiges Ensemble aus Plätzen, Denkmälern und Zoo eingebettet. Das mächtige Monumento a los Espanoles gab es zum 100. Jahrestag der Mairevolution von 1810. Mit dem Aufstellen hatte es dann aber noch ein wenig gedauert. Das wundert mich nach ein paar Wochen Buenos Aires eher nicht – ist Warten doch eine Grundtugend.
Während der Woche ist es im Park, in dem auch das hübsche Kunstmuseum Eduardo Sívori zu finden ist, weitaus ruhiger. Die Dornenkrone von Buenos Aires trägt der unter Blumenliebhabern bekannte Rosedal (Rosengarten). Im Sommer sind es 12 000 Rosen, aber der Garten blüht auch im argentinischen Herbst. Da pfuscht doch nicht etwa jemand an den Genen? Hätte nicht gedacht, dass es mir dort gefällt. Aber das Aufregende ist, von den Wärterinnen nicht erwischt zu werden, wenn man zum Fotografieren durch die Beete krabbelt. Merkt eine es doch, setzt es Trillerpfeifenalarm und die Rosenwächterinnen kommen angewetzt. Mit Charme meistere ich die Situation. Sie: „Du siehst aus wie Phil Collins."
(Hallo??!!) Ich kann aber nicht so gut singen."
„Wo kommst Du her?"
„Deutschland."
„Ich kann nur ein Wort auf Deutsch."
„Welches?"
„Ich liebe dich."
„Das sind aber drei. Egal, jeder verliebt sich in dich."
Fortan krabbele ich wieder ungestört in den Beeten. Dafür einen Rosenkranz.
Werbung zum Nachdenken
Morgens sitze ich immer unter einem Holocaust-Plakat des Holocaust-Museums (Shoah Museum) und warte auf die U-Bahn. Am Anfang komme ich mir da irgendwie etwas schäbig vor, denn das Bild tut richtig weh. Ist nun keine Werbung für das Reiseland Deutschland. Aber im Grunde appelliert das Plakat an die allgemeine und auch meine Verantwortung für ein tolerantes und wachsames Zusammenleben, was gut ist. Darf ich halt nicht so persönlich nehmen, als Deutscher wird man gerade in Südamerika immer wieder mit Nazitum konfrontiert und darauf angesprochen. Allerdings eher interessiert als anklagend. Meine Lieblingsfrage einer Mexikanerin: „Was hältst du vom Zweiten Weltkrieg?" Was soll man da antworten?
Prima war’s?
Fand ich nicht so gut?
Fand ich eher mittelprächtig?
Zurück zur Ausstellung, deren Titel lautete ungefähr: „Vom Genozid in Deutschland zum Verkäufer von Licuados (ist ein Getränk) in Argentinien. Adolf Eichmann lebte unter uns". Die beworbene Eichmann-Ausstellung verdeutlicht: Die Argentinier beschäftigen sich mit der Aufarbeitung ihrer nicht immer ruhmreichen Vergangenheit. Nicht gerade frühzeitig