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Totenbilder: Über die fotografische Visualisierung des toten Körpers in deutschen Pressemagazinen
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eBook705 Seiten8 Stunden

Totenbilder: Über die fotografische Visualisierung des toten Körpers in deutschen Pressemagazinen

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Über dieses E-Book

Die Dissertation beschäftigt sich mit der fotografischen Darstellung des toten Körpers in deutschen Pressemagazinen. Ziel ist es, aus der Vielzahl der fotografischen Darstellungsweisen visuelle Muster und Strukturen im Sinne von Bildtypen zu erarbeiten. Leitend für die Arbeit ist neben der Identifikation der visuellen Muster der fotografischen Darstellung des toten Körpers die journalistische Verwendung der Fotografien in den ausgewählten Pressemagazinen Der Spiegel, Focus und Stern. Das empirische Vorgehen beinhaltet eine Kombination von quantitativen und qualitativen Bildanalysen, der quantitativen Bildtypenanalyse und dem qualitativen Ansatz der ikonologisch-ikonografischen Methode. Als zusammenfassendes Fazit kann hinsichtlich der Ergebnisse der Bildanalysen festgehalten werden, dass sich dem Mediennutzer ein differenziertes und vielfältiges Bild des toten Körpers offenbart. Der tote Körper kann alleiniges Bildmotiv sein, er kann jedoch ebenso in Handlungskontexte eingebunden sein, die den Leichnam als Subjekt oder Objekt verhandeln.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum18. Mai 2022
ISBN9783347643628
Totenbilder: Über die fotografische Visualisierung des toten Körpers in deutschen Pressemagazinen

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    Buchvorschau

    Totenbilder - Karen Wolff

    1 Sterben und Tod in den Medien

    „Der Tod verurteilt zum Schweigen. Jede Leiche spottet der Sprache. Aber wir reden weiter, als würde uns der Stimmenlärm vor dem Tode schützen."¹ Thomas Macho beginnt seine Arbeit über den Tod als absolute Grenzerfahrung mit der Feststellung, dass Sterben, Tod und der tote Körper sich einer sprachlichen Darstellung entziehen und sich dieser verweigern. Doch gerade diese Stille und das Endliche, die mit dem Tod einhergehen, bedingen das grenzenlose Erzählen über den Tod, aber weitergehend auch das Herstellen von visuellen Darstellungen. Die eigene Endlichkeit, die mit dem Tod verbunden ist, weckt den Wunsch, diesen zu verstehen, ihn in Schach zu halten – den Tod ein kleines bisschen kontrollieren zu wollen. Das Reden über den Tod soll uns nicht nur vor dem Tod und der eigenen Endlichkeit schützen, es ist auch eine aktive Vergewisserung des eigenen Lebens und des Lebens der anderen.

    Sterben und Tod sind als Momente, die uns alle betreffen, unabdingbar mit dem eigenen Leben und der eigenen Lebenswelt verbunden, der Tod ist ein unveränderliches Faktum, denn er ist bereits bei Beginn jeden Lebens in diesem selbst angelegt. Eben diese Zäsur des Lebens durch den Tod verführt nach Thomas Macho nicht nur zu einem „Stimmenlärm, er veranlasst auch zum Schaffen von inneren und materiellen Bildern des Todes, die uns im Alltäglichen begleiten. Der tote Körper ist schließlich die absolute Konsequenz und das absolut Sichtbare des Todes. In unserem Alltag sind zunehmend massenmediale Produkte die modernen Übermittler sprachlicher und visueller Darstellungen von Sterben und Tod. Medien bieten uns sowohl Bewältigungsmöglichkeiten im Umgang mit dem Tod an, sie senden uns aber auch den Tod als eine begleitende oder illustrierende Information zu medialen Ereignissen. Der Tod, der über mediale Bilder vermittelt wird, ist zumeist räumlich weit entfernt, und dennoch ist uns der Tod über diese medialen Bilder scheinbar näher als er es im Alltag im Sinne einer realen Erfahrung ist. Birgit Richard stellt weitergehend fest, dass die Bilder des öffentlichen Sterbens und des öffentlichen Todes eine besondere Funktion aufweisen, dass diese „nämlich eine neuartige Gemeinschaft von Zuschauern mit den Tatsachen eines immateriellen medialen Todesbildes vertraut [zu] machen.² In den Bilder des öffentlichen Todes verdichten sich insbesondere die gewaltsamen Tode, es entsteht durch diese Präsenz der mediale Anschein und darauf basierende Vermutung, dass Sterben und Tod vielfach einen gewaltsamen Ursprung aufweisen.³ Geht man zunächst von einer alltäglichen Unsichtbarkeit oder einer Verdrängung des Todes in unserer sicheren westlichen Lebenswelt aus, so stehen die medial vermittelten Tode dazu im Gegensatz.⁴ Zahlreiche Bilder vom Tod und vom toten Körper haben wir in der Sicherheit unseres Alltags schon gesehen, die leblosen und zerstörten menschlichen Körper sind weit entfernt und im Medialen doch so nah wie nie zuvor. Die toten Körper der medialen Anderen betreffen uns nicht, wir sind diesen Toten nichts schuldig und nicht für sie verantwortlich, sondern wir erleben und betrachten den Tod eines Menschen aus der sicheren Distanz eines Bildschirms oder auf Papier gebannt. Die Fotografie nimmt im Kontext von Sterben und Tod eine bedeutsame Position ein, verbindet sie doch wie kein anderes technisches Medium die Bildproduktion mit dem Erstarren des Abgebildeten, aufgrund dieser spezifischen Eigenschaften wird ihr eine grundsätzliche Nähe zum Tod zugeschrieben. Das Medium der Fotografie kann als die Grundlage für die Weiterentwicklungen des Bildes bestimmt werden und sie ist auch maßgeblich involviert an den verschiedenen Prämissen, die einem medialen Bild an sich zugeschrieben werden, insbesondere ist das Prinzip der Augenzeugenschaft untrennbar mit ihr verbunden.⁵ Zugleich eröffnen die Eigenschaften des technischen Mediums der Fotografie und ihrer Bilderzeugnisse neue Möglichkeiten des Visualisierens und des Sehens, reflektiert Susan Sontag; es sei eine Art des Sehens, die es ermögliche, im Gewöhnlichen oder sogar Hässlichen, etwas Schönes oder – genauer gesagt – das Bild von etwas Schönem zu entdecken, und gleichzeitig verspricht das Fotografische aus sich heraus eine trügerische Evidenz. Diese visuelle Herangehensweise ist maßgeblich geprägt von der Fotografie und schrieb sich dem Medium selbst ebenso ein, stellt Susan Sontag diesbezüglich fest.⁶ Weitergehend kann erst unter Berücksichtigung technischer Mittel wie der Fotografie die Welt erschlossen und sichtbar gemacht werden; ein neues Sehen etabliert sich wegen und anhand der Verbindung von Mensch und technischem Medium und stellt diese vor neue Herausforderungen, dies zeigt bereits Walter Benjamin auf: „Nicht der Schrift-, sondern der Photographieunkundige wird, so hat man gesagt, der Analphabet der Zukunft sein."⁷ Dennoch trifft uns, trotz unserer modernen Bildkenntnisse und des Wissens über die technischen Entstehungsmöglichkeiten, die Fotografie unvermittelt und verleitet uns zu irrationalem Verhalten und Gefühlen.⁸ Aida Bosch und Christoph Mautz beschreiben das spezifische Wesen der Fotografie wie folgt: „Die Macht der Bilder liegt darin, etwas zu zeigen, und damit einen neuen Zugang zu Unsichtbaren, zu Abwesendem oder zu Vergangenem zu gewähren."⁹ Die fotografische Abbildung und die fotografische Technik stellen nach wie vor eines der wichtigsten Darstellungsmittel in der heutigen Medienlandschaft dar. Zeitungen und Zeitschriften leben in ihrer Berichterstattung geradezu von ihrer spezifischen Bilderwelt und Medienmacher¹⁰ setzen Fotografien bewusst zur Illustration von Medienerzeugnissen und Medienereignissen ein. Fotografien produzieren und reproduzieren Wirklichkeit, sie verkürzen die Zeit und die Entfernung zu einem medialen Ereignis und ihre Rezipierenden werden durch die technische Verkürzung von Zeit und Raum immer mehr zu direkten Augenzeugen und Teilhabende an Ereignissen. Fotografien sind jedoch auch Waren auf dem journalistischen Markt, die nach den Gesetzen des Marktes auf eine Beeinflussung der Handlungen (und sei es nur, dass ein entsprechender Kaufanreiz gesetzt wird) und der Vorstellungen ihrer Rezipierenden abzielen, aber auch die Vermittlung von Informationen und Wissen anstreben. Niklas Luhmann konkretisiert dies: Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien."¹¹

    Die visualisierten Tode im medialen Alltag sind jedoch nicht nur die Schlagbilder oder Bildikonen, die uns sofort visuell und emotional verwunden. Der Großteil der medialen Todesbilder sind nicht im kollektiven Gedächtnis fest verankert, wie beispielsweise die Fotografien massenhafter toter Körper aus deutschen Konzentrationslagern oder die Fotografien der aufgedunsenen Leichen am Strand nach der Tsunami-Katastrophe. Sondern es sind eben auch die alltäglichen Bilderzeugnisse, die man so scheinbar leicht vergisst oder verdrängt. Es sind journalistische Fotografien, die Krieg, Schmerz und Tod visuell völlig offenbaren, aber kein Bestandteil einer kollektiven Kommunikation oder einer kollektiven Erinnerung werden. Diese fotografischen Darstellungen sind Bilder von toten Kindern nach einer Krankheit, es sind Menschen, die durch eine Naturkatastrophe, durch Kriegs- und terroristische Ereignisse oder durch einen Unfall gestorben sind. Die Fotografien von Toten und ihren toten Körpern bilden schließlich einen alltäglichen medialen Bildbestand und sind in der Lage, Wissen über Ereignisse, Personen und Phänomene zu verbreiten und damit auch Wissen über Sterben und Tod zu vermitteln. Dabei ist gerade der Tod eines der wichtigsten Themen, die uns in unserem Leben begegnen und den jeder von uns erfahren wird: „Der Tod ist wahrhaft ein großes Thema. Vielleicht das größte Thema, stellt der Tod doch das große Andere des Lebens, ja des Wissens dar."¹² Doch im Gegensatz zum vermittelten Wissen über die verschiedensten Themen in unserem Alltag finden wir über den Tod als Zustand keine Erfahrungsberichte. Sterben und Tod sind nur einmal persönlich zu erfahren, Wissen und Erfahrung kann uns nur über den Tod der anderen vermittelt werden.

    Der Tod in den Medien ist so vielfältig, wie er nur sein kann, er ist alltäglicher Bestandteil im medialen Alltag und scheint trotzdem in der individuellen Lebenswelt ausgespart zu werden. Dabei sind Sterben und Tod in den Medien zunächst ein scheinbar einfaches Thema, welches sich jedoch bei einer konkreteren Betrachtung als äußerst divers offenbart – die medialen Re-Präsentationen als auch die Bedeutungszuschreibungen in diesem Kontext sind als vielfältig und komplex zu bestimmen.¹³ Der mediale alltägliche Tod und insbesondere das visuell gebannte Produkt des Todes, der tote Körper scheint uns nicht zu berühren oder zu beeinflussen – und ist deswegen Thema dieser Arbeit, die sich gezielt damit beschäftigt, wie der tote Körper in alltäglichen journalistischen Fotografien dargestellt wird und welche typischen Motive und Themen sich identifizieren lassen, die einen wesentlichen Bestandteil im alltäglichen Bildbestand eines Mediennutzers einnehmen. Die zentralen Fragen, die sich für die vorliegende Arbeit stellen, sind daher, welche materiellen Bilder des toten Körpers begleiten die Mediennutzer und welche Sichtbarkeiten des toten Körpers offenbaren sich im Alltag? Davon ausgehend soll der Frage nachgegangen werden, welche Muster der fotografischen Repräsentation des toten Körpers sich in der spezifischen Bildwelt ausgewählter Medien identifizieren lassen, um darüber einen Rückschluss auf die typischen Muster der fotografischen Darstellung des toten Körpers abzuleiten.

    1.1 Einordnungen: Tod, toter Körper und Fotografie

    Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Sterben und Tod ist als interdisziplinär, äußerst divers und umfangreich zu beschreiben. So ist die Literaturbasis beispielsweise in den Disziplinen Medizin, Philosophie, Theologie, Ethik, Psychologie, Anthropologie, Kulturwissenschaft, Ethnologie, Recht, Literatur- oder Geschichtswissenschaften vielfältig und zahlreich, dabei fokussiert jede Fachrichtung zunächst einen spezifischen Aspekt zu Sterben und Tod, und dennoch können Gemeinsamkeiten, Überschneidungen und Differenzen zwischen und innerhalb der einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen festgestellt werden. ¹⁴ Die Vielzahl und Vielschichtigkeit der wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Themenkomplex Sterben und Tod in den verschiedenen Disziplinen ist jedoch nicht verwunderlich: Denn der Anfang des Lebens und das Ende des Lebens, der Tod, sind die wesentlichen Phänomene, die jeden von uns betreffen, und diese Ereignisse haben Auswirkungen auf sämtliche Dimensionen der Lebenswelt. So wird der Sterbende palliativ betreut, der tote Körper wird bestattet und die Gemeinschaft der Lebenden hat Rituale im Umgang mit dem Verlust entwickelt, um nur einige wenige Aspekte, die Sterben und Tod betreffen, zu benennen – der Umgang mit Sterben und Tod ist demnach ein zutiefst individuelles und zugleich kollektives Phänomen.¹⁵ Es lassen sich dennoch weitergehend grundsätzliche und übergreifende Ansätze feststellen, sich dem Themenkomplex Sterben und Tod zu nähern. So steht einerseits im Rahmen von theologischen oder philosophischen Reflexionen über den Tod die Frage nach dessen Sinnhaftigkeit und seiner Tatsächlichkeit im Zentrum des Interesses.¹⁶ Andererseits finden sich Untersuchungen, die sich mit den sozialen Prozessen, den individuellen Handlungen oder kollektiven Reaktionsformen beschäftigen, die den Umgang mit Sterben, Tod und dem toten Körper betreffen. Hier kann auch das interdisziplinäre Forschungsfeld der Thanatologie, der Wissenschaft vom Tod, verortet werden, die sich unter anderem aus den Disziplinen Soziologie, Kulturanthropologie, Geschichtswissenschaft oder auch Psychologie zusammensetzt. Als Ausgangspunkt für eine thanatologische Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Sterben und Tod können Fragen nach einer Todeskultur und ihrem Wandel, einer möglichen Verdrängung von Sterben und Tod, einer zunehmenden Individualisierung oder Institutionalisierung oder Ökonomisierung von Sterben und Tod sowie Fragen nach individuellen und gesellschaftlichen Todesvorstellungen und Todesbildern bestimmt werden.¹⁷ Untersuchungen bezüglich eines rituellen Umgangs und eines Wandels der Todes-, Bestattungs-, und Trauerkultur können insbesondere in der Kulturanthropologie, der Soziologie und der Geschichtswissenschaft verortetet werden, auch wenn sich ebenfalls eine interdisziplinäre Herangehensweise feststellen lässt.¹⁸ Wesentlicher Inhalt der Forschungskomplexe sind die Formen des Umgangs der Lebenden mit dem toten Körper, denn anhand des Leichnams lässt sich der Tod real als auch bildlich erfassen. Der tote Körper ist der eindeutige Beleg des Todes eines Menschen und ist das, was zunächst bis zu seiner Verwesung und seinem damit einhergehenden Verschwinden noch ein Bestandteil der Lebenswelt ist. An und mit dem toten Körper zeigen sich die ritualisierten Verhaltensweisen der Lebenden, die den Leichnam versorgen, bestatten und diverse Formen der Erinnerung an den Verstorbenen etablieren.¹⁹ Der tote Körper ist der stumm und regungslos gewordene Überrest, ein sich wandelndes Fragment einer einst lebenden Person und dient somit ebenfalls als individuelle oder kollektive Projektionsfläche. Am Leichnam selbst und anhand des Umgangs mit diesem in Bestattungs- und Erinnerungspraktiken lassen sich der konkrete Umgang mit Sterben und Tod innerhalb einer Gesellschaft als auch der Wandel von ritualisierten Handlungen und von Todeseinstellungen und Todesbildern nachzeichnen, konstatiert Ulrike Wagner-Rau.²⁰

    Im Rahmen des umfangreichen Forschungsprojekts Tod und toter Körper sind zahlreiche Veröffentlichungen entstanden, die sich mit Sterben, Tod und dem toten Körper auseinandersetzen.²¹ Die Beiträge sammeln sich in der Publikationsreihe Todesbilder. Studien zum gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod.²² Der tote Körper wird hierbei als eindeutiges Zeichen und Ergebnis des Todes verstanden, der jedoch in den wenigsten Veröffentlichungen konkret betrachtet wird, sondern von Interesse seien bislang eher die Auswirkungen des Todes und die Handlungen der Lebenden am toten Körper, wie Dominik Groß, Brigitte Tag und Julia Glahn feststellen.²³ Zuletzt erschien in dieser Reihe die Publikation Leben jenseits des Todes?, die sich konkret mit möglichen Fragen eines individuellen Weiterlebens und Weiterwirkens nach dem Tod auseinandersetzt. Hier wird insbesondere der Frage nachgegangen, ob und inwiefern durch eine Organspende das Verständnis eines subjektiven Fortlebens erzeugt und dadurch ein ideelles Weiterwirken des Individuums in der Zukunft entstehen könne.²⁴

    Eine Hinwendung des Interesses am Umgang mit dem toten Körper kann auch innerhalb einer zunehmenden Ausstellbarkeit und Musealisierung festgestellt werden. Als eine äußerst kritisch diskutierte Ausstellungsform soll hier zunächst auf die Ausstellung toter und präparierter Körper Gunther v. Hagens verwiesen werden. Mittlerweile haben sich in Deutschland mehrere Dauerausstellungen der Ausstellung Körperwelten gegründet.²⁵ Die Kulturwissenschaftlerin Uli Linke fragt danach, wie das kollektive Interesse und die individuelle Faszination, die der Ausstellung des toten Körpers entgegengebracht wird, erklärt werden können. Uli Linke kommt unter anderem zum Schluss, dass sich die Anziehungskraft, die den plastinierten Leichen zugeschrieben wird, als auch das Interesse eines öffentlichen Ausstellens dieser, sich insbesondere über die Aberkennung der Subjektivität und Individualität der Leichen als auch über die Negation der Gewalt, die der gesamte Prozess bis zur Ausstellbarkeit des Körpers beinhaltet, etablieren kann.²⁶ Beispielgebend für eine gelungene Musealisierung, die neben dieser auch eine sogenannte death education fokussiert, ist das Sepulkralmuseum in Kassel.²⁷ Das Sepulkralmuseum Kassel ist zudem gemeinsam mit der Universität Hamburg, Institut für Volkskunde/Kulturanthropologie, Organisator und Veranstaltungsort der interdisziplinären Tagung transmortale, die einen wissenschaftlichen Rahmen bietet, Forschungsvorhaben zu sammeln und zu diskutieren.²⁸ Als eine der im gleichnamigen Sammelband publizierten Forschungen beschäftigt sich die Historikerin Anna Maria Götz mit materialisierten Bildern von Tod und Erinnerung anhand von Grabfiguren, die als „eine Klammer zwischen dem Diesseits und dem Jenseits"²⁹ beschrieben werden können und die sich schließlich insbesondere in der Darstellung der trauernden weiblichen Grabfigur konkretisiert.

    Eine Auseinandersetzung mit den materiellen Bildern von Sterben und Tod ist ebenfalls in der Kunstgeschichte zu verorten, die sich einerseits mit den bildlichen Darstellungen beschäftigt, die direkt oder auch indirekt Sterben und Tod thematisieren und andererseits sich paradigmatisch dem Themenkomplex Bild und Tod unter einem kulturanthropologischen Blick nähert. Insbesondere sind dies Arbeiten, die sich mit dem Totenkult, dem Bildgebrauch und Bildverständnis archaischer Kulturen beschäftigen und hierüber eine Analogie zwischen Bild und Tod beziehungsweise zwischen Bild und totem Körper herstellen.³⁰ Jan Assmann verweist weitergehend darauf, dass eine visuelle Darstellung und Abbildung eines toten Körpers nicht nur aufgrund des Bedürfnisses der Hinterbliebenen nach einem Bild des Verstorbenen entstehe, sondern damit ebenfalls die Hoffnung des Verstorbenen nach einem unvergänglichen Körper und einem eigenen Überleben verbunden sei.³¹ Im Bereich der künstlerischen Fotografie sind in den letzten Jahren zahlreiche Ausstellungen zu verzeichnen, die sowohl Sterben, Tod und den toten Körper fotografisch thematisieren als auch das technische Medium Fotografie als Medium der Erinnerung behandeln, wie beispielsweise die Ausstellungen Six feet under (2007/2008), DEAD_Lines (2011) und Das letzte Bild (2018/2019).³² Die künstlerische Beschäftigung mit Sterben und Tod als auch Publikationen zu diesem Themenkomplex können ebenfalls als vielfältig beschrieben werden. Exemplarisch im Bereich der fotografischen Darstellung des toten Körpers seien hier Andres Serrano, Nan Goldin oder auch Joel-Peter Witkins genannt.³³ Im Mittelpunkt des Forschungsprojektes Grenzen des Fotografischen an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig stehen Untersuchungen zu den unterschiedlichen fotografischen Annäherungen in den Bereichen Alltag, Medien und Kunst an das Thema Sterben und Tod. Zentrales Forschungsinteresse des Projektes ist die Annahme, dass mittels Fotografien menschliche Grenzerfahrungen, wie Sterben, Tod und menschliches Leid, gleichzeitig aber auch die Grenzen des fotografisch Darstellbaren, begründet, reflektiert als auch definiert werden.³⁴ Im Rahmen dieses Forschungsprojektes entstand unter anderem der Sammelband Fotografische Leidenschaften, der sich dabei in der Summierung der einzelnen Beiträge auf die Beantwortung der Frage nach dem Umgang mit Leidenschaften, Affekten und Emotionen als auch auf die medialen Bedingungen des Mediums Fotografie konzentriert.³⁵ Dass dem Themenkomplex Fotografie, Tod und toter Körper ein großes öffentliches als auch wissenschaftliches Interesse entgegengebracht wird, zeigt sich neben den vielfältigen künstlerischen Auseinandersetzungen und Ausstellungen auch anhand des zuletzt geförderten Forschungsvorhabens Die Tode der Fotografie der Kunsthistorikern Katharina Sykora, aus dem zwei äußerst umfassende Publikationen entstanden sind, die sich auf die sozialen, medialen und künstlerischen Perspektiven der Totenfotografie beziehen.³⁶ Katharina Sykora bestimmt zunächst einleitend drei unterschiedliche Ebenen, die sich im Zusammenhang mit dem Themenkomplex Tod und Fotografie identifizieren lassen. Auf einer ethischen oder moralischen Ebene sind insbesondere Fragestellungen und Auseinandersetzungen zu identifizieren, die sich darüber verständigen wollen, wann „Menschsein beginnt und wann Menschsein aufhört."³⁷ Eine weitere Dimension der Totenfotografie offenbare sich im Diskurs einer gesellschaftlichen Reintegration und Enttabuisierung von Sterben und Tod, so Sykora. Hier weist Sykora der Fotografie eine zentrale Position zu, denn mittels der fotografischen Abbildung kann die Tradition einer ars moriendi im modernen Sinne fortgeschrieben werden.³⁸ Als abschließende Dimension bestimmt Sykora eine öffentliche Ebene der Totenfotografie, in der sich die journalistische Fotografie verorten lässt.³⁹ Journalistische Fotografien von Toten bewegen sich dabei im Kontext von nachrichtlicher Darstellung und dokumentarischer Abbildung des toten Körpers, der meist einem spezifischen Ereignis zugeordnet werden kann. Eng verbunden ist damit auch die Frage, welcher visuelle Informationswert dem toten Körper zu- und eingeschrieben werden kann, der über eine nachrichtliche Information und eine Wissensvermittlung über das Ereignis hinausgeht.⁴⁰ Die wissenschaftliche Diskussion bezüglich der journalistischen Fotografie und den fotografischen Visualisierungen von Sterben und Tod ist thematisch grundsätzlich als interdisziplinär zu bestimmen. Der Großteil der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fotografien von Gewalt, die menschliches Leid abbilden, lässt sich innerhalb der Sozial- und Kulturwissenschaften, den Medien- und Kommunikationswissenschaften, aber auch in der Politik- und Geschichtswissenschaft verorten. Dabei werden insbesondere die medialen und sozialen Praktiken, die Rezeption und die Wirkung dieser Fotografien diskutiert, aber ebenso welche Bedeutungszuschreibungen sowie welches individuelle und kollektive Erinnerungspotential diese Fotografien innehaben.⁴¹ Ein besonderer Stellenwert innerhalb medial publizierter Fotografie kommt dabei den Fotografien innerhalb der Krisen-, Kriegs- und Terrorismusberichterstattung zu. So vielfältig die Forschungsansätze dieser Publikationen und Untersuchungen sind, ist es ihnen doch gemeinsam, dass sie sich diesen Fragestellungen über der Fotografie als Untersuchungsgegenstand nähern. Diskussionen und Forschungen zum toten Körper als Motiv der aktuellen Pressefotografie konzentrieren sich jedoch meist auf Fotografien zu bestimmten Ereignissen oder auf sogenannte Bildikonen im Sinne von Einzelfallbeschreibungen. Die vorliegende Arbeit zielt daher auf die strukturierte Erarbeitung und Darstellung der fotografischen Motive und Themen in exemplarisch ausgewählten Printmedien der deutschen Presselandschaft. Dabei bezieht sich das Forschungsinteresse auf die publizierte Fotografie, die als Hauptmerkmal der empirischen Untersuchung und als konkreter Forschungsgegenstand verstanden wird.

    1.1.1 Fotografie als Untersuchungsgegenstand

    Fotografien sind ein elementarer Bestandteil unseres medialen und virtuellen Alltags und prägen und strukturieren wesentlich unsere Alltagserfahrungen. Insbesondere alltägliche Fotografien sind ein „wichtiges Dokument zur Darstellung des Alltags."⁴² Es kann aufgrund technischer Entwicklungen insgesamt eine deutliche Zunahme des Visuellen als auch ein Wandel der sozialen und kulturellen Praktiken der Bildproduktion und der alltäglichen Bildrezeption festgestellt werden. Dieser Prozess wurde bereits unter dem Schlagwort des iconic turn diskutiert, der sich jedoch nicht allein auf die Zunahme von Bildern im Alltäglichen, sondern insbesondere auf eine Hinwendung zur Analyse von Bildern und demnach auf eine Zunahme der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Bildern bezieht. Doris Bachmann-Medick reflektiert ausgehend vom linguistic turn verschiedene Änderungen der Forschungsausrichtungen innerhalb der Kulturwissenschaften⁴³, eine wesentliche Absicht des iconic turn bestehe nach Bachmann-Medick darin, „die zunehmende Flut der Bilder durch kritische Bildanalysen in den Griff zu bekommen."⁴⁴ Der iconic turn bietet zudem die Möglichkeit, Bildkompetenzen zu diskutieren und zu bestimmen sowie eine erweiterte Auffassung des Bildes als eine unabhängige Analysekategorie zu etablieren. Gleichzeitig hat der iconic turn die Kulturwissenschaften insgesamt dazu motiviert, Bilder für die Analyse zu berücksichtigen. Die vielfältigen Visualisierungsmöglichkeiten und Visualisierungsstrategien vielfältiger kultureller und sozialer Phänomene werden damit zu einem Bestandteil einer sozialen und gesellschaftlichen Analyse.⁴⁵ Eine Ausrichtung des Forschungsinteresses an Bildern führt somit zu einer Hinwendung auf die Verwendungsweisen von Bildern in ihren alltagskulturellen Kontexten und Praktiken, insbesondere unter Berücksichtigung des Bildes im Sinne eines kommunikativen Mediums.⁴⁶

    Volkskundliche Fragestellungen und Untersuchungen alltagskultureller Phänomene sollten jedoch mit der Betonung verbunden sein, dass gerade das Interdisziplinäre der Kulturwissenschaft im Sinne einer Bildwissenschaft äußerst bedeutsam ist. Insbesondere die Beiträge des Sammelbands Der Bilderalltag. Perspektiven einer volkskundlichen Bildwissenschaft setzt sich mit dieser Herangehensweise an die Untersuchung alltäglicher Bildlichkeit auseinander.⁴⁷ Die Untersuchung von Bildlichkeit in ihren verschiedenen Erscheinungsformen ist zunächst hauptsächlich im Bereich der materiellen Alltagskultur, wie beispielsweise in der Brauchtumsforschung als auch in der Kleidungsforschung ein etablierter Teilbereich in der volkskundlichen Auseinandersetzung mit Bildern und Bildlichkeit. Kulturwissenschaftliche Fragestellungen konzentrieren sich demnach größtenteils auf die Untersuchung von Bildüberlieferungen und der Verwendung und Bedeutung von Bildern im Alltag. Helge Gerndt setzt sich mit der Entwicklung und der Etablierung einer volkskundlichen Bildwissenschaft auseinander, er bestimmt jedoch damit einhergehende Untersuchungen von Bildlichkeit im Sinne eines kulturellen und anthropologischen Phänomens als bislang kaum existent. Als Wirkungsbereiche einer volkskundlichen Bildwissenschaft bestimmt Gerndt hierbei die Auseinandersetzung mit Themen, die in der Bildwissenschaft, der Bildtheorie, der Bildüberlieferung, aber auch in der Bildkommunikation und der Bildwahrnehmung zu verorten seien.⁴⁸ Dabei verweist Gerndt darauf, dass insbesondere die Volkskunde als Alltagswissenschaft dafür geeignet sei, sich mit Bildlichkeit, Bildgebrauch und Bildpraxis im Sinne eines alltäglichen Phänomens auseinanderzusetzen.⁴⁹ Allerdings gibt es bereits zahlreiche volkskundliche Ansätze und Forschungsvorhaben, die bei der Analyse von Bildbotschaften beginnen, weist Gerndt hin. Von dort aus könne schließlich eine spezifisch kulturwissenschaftliche Perspektive der Bildforschung entwickelt werden.⁵⁰ Nach Gerndt ist es für eine kulturwissenschaftliche Arbeit zudem unerlässlich, eine Trennung zwischen mentalen und materiellen Bildern vorzunehmen und diese Phänomene in ihrem wechselseitigen Verhältnis zu verstehen und zu untersuchen.⁵¹ Dabei ist in einer kulturwissenschaftlichen Perspektive insbesondere die Rezeption der Bilder von besonderem Interesse, denn darüber lässt sich ebenso die Intention der Produktion dieser Bilder, als auch die im Bild intendierte Bedeutungszuschreibung analysieren. Hierüber kann der Zweck der Bildherstellung ermittelt werden, denn neben einer ästhetischen Komponente weisen Bilder eine spezifische Absicht auf, sie sind „Träger bestimmter Botschaften"⁵².

    Ein zentraler Forschungsgegenstand einer kulturwissenschaftlichen Bildforschung ist dabei die Fotografie unter dem Gesichtspunkt ihrer Verwendung und Rezeption in privaten oder massenmedialen Kontexten. Grundlegend für diesen Ansatz sind die Arbeiten von Nils Arvid Bringéus, der eine Systematik einer volkskundlichen Bildforschung entwirft.⁵³ Rolf Wilhelm Brednich stellt jedoch fest, dass sich seit den Arbeiten von Bringéus noch keine spezifische Methode der Bildanalyse in der Volkskunde etablieren konnte.⁵⁴ Ulrich Hägele weist den Arbeiten Bringéus eine methodische Verbindung zwischen ethnographisch, sozialwissenschaftlich und ikonologisch orientierten Ansätzen zu; es gehe nach Hägele weitergehend darum, den Bildinhalt und dessen Bedeutungen zu sehen und zu verstehen, das Lesen von Bildern im Sinne einer Bildkompetenz sei so zu lernen und anzuwenden, wie dies beispielsweise bei Texten der Fall ist, fasst Hägele zusammen.⁵⁵ Allerdings könne noch von einer gewissen Zurückhaltung vor dem Themenkomplex Fotografie ausgegangen werden, so Hägele. Grund dafür sei die spezifische Ontologie der Fotografie, die Wirklichkeit getreu abzubilden, die anscheinend keinen weiteren Bedarf zu einer genaueren Analyse aufweist. Doch das Gegenteil ist bei Fotografien der Fall, denn

    „die Chance der Fotoforschung innerhalb der Volkskunde besteht darin, sich auf eine der entscheidenden Leistungen und Qualitäten der Fotografie zu konzentrieren, die wiederum ebenso allen anderen bildlichen Quellen zu eigen sind: die Fähigkeit, Erinnerung zu wecken und Assoziationsketten anzuregen."⁵⁶

    Walter Leimgruber, Silke Andris und Christine Bischoff beziehen sich in ihren Ausführungen auf Nicholas Mirzoeff, und verweisen darauf, dass insbesondere Fotografien dafür geeignet seien, um Auswirkungen der Hinwendung zum Visuellen im Alltag mit ihnen als Forschungsgegenstand zu untersuchen. Bilder entfalten ihre spezifische Wirkung gerade aus ihrer gewohnten und alltäglichen Existenz und Anwendung heraus:

    „Das Material entfaltet seine Wirkkraft aus seiner alltäglichen, visuellen Beiläufigkeit heraus. Gerade die Routinisierung im Umgang mit solchen Bildern macht diese aber zu einem wichtigen Baustein des kollektiven Erinnerns und der alltäglichen Praxis, das allerdings in seiner vermeintlichen selbstverständlichen Logik immer wieder hinterfragt werden muss und nicht als Wirklichkeitsabbild gesehen werden kann."⁵⁷

    Innerhalb der Volkskunde gibt es bereits seit Mitte der 1980er Jahre Ansätze einer Fotoforschung⁵⁸, in der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde entstand allerdings erst im Jahre 2001 der Versuch einer Bündelung volkskundlicher Fotoforschung innerhalb der Kommission Fotografie.⁵⁹ Im Kontext dieser Kommission finden regelmäßig Tagungen zu spezifischen Themen statt, im Rahmen der Tagungen werden die Beiträge in der Reihe Visuelle Kultur, Studien und Materialien veröffentlicht.⁶⁰ Dabei kann für diese weitere Ausrichtung der fotoanalytischen Untersuchung Ernö Kunt die Rolle eines Wegbereiters hin zu einer Ausrichtung der Fotografie als Forschungsgegenstand zugesprochen werden. So sprach sich Kunt bereits früh für eine Hinwendung und Konzentration bildmedialer Forschung als Visuelle Anthropologie aus.⁶¹ Wolfgang Brücker bestimmt den Anwendungsbereich einer volkskundlichen Forschung an und mit Fotografien in wirtschaftlichen, technischen und technikgeschichtlichen, dokumentarischen, künstlerischen, sozial- und kulturgeschichtlichen sowie medientheoretischen Themenfeldern.⁶² Thomas Overdick diskutiert zudem weitergehend eine Erweiterung des wissenschaftlichen Umgangs mit der Fotografie als reines Forschungsobjekt hin zu einer konkreten Anwendung als Forschungsmethode. Der Fotografie wird zwar ein großes Interesse als Forschungsthema entgegengebracht, jedoch gehe es dabei hauptsächlich „um die Forschung über Bilder, nicht jedoch um die Forschung mit Bildern" ⁶³, so Thomas Overdick. Durch eine bewusste Anwendung von Fotografie als wissenschaftliche Forschungsmethode soll zudem die dominierende Bedeutung der Sprache um die spezifischen Möglichkeiten der Forschung mittels des fotografischen Bildes als Forschungsmedium und als Forschungsgegenstand ergänzt werden.⁶⁴

    Ulrich Hägele beschreibt die wesentliche Herangehensweise an die Fotografie als einen Forschungsgegenstand auf folgende Weise: „Die Fotografie ist kein (beziehungsweise nicht nur) reines Illustrationsmedium – sie ist Quelle, sie ist Dokument, sie ist selbst Forschungsgegenstand.⁶⁵ Hägele konzipiert grundsätzlich eine visuelle Kulturwissenschaft als eine fächer- und themenübergreifende Auseinandersetzung mit dem Themenkomplex Bild und Bildlichkeit, welche sich jedoch nicht alleine auf materielle Bilder bezieht, sondern ihr Interesse ebenfalls auf sämtliche Phänomene und Anwendungsbereiche von Bildlichkeit innerhalb der alltäglichen Lebenswelt ausdehnt. Hägele fasst darunter eine Analyse der gesamten visuellen Kultur, ihrer spezifischen Erscheinungen und ihrer spezifischen Bildlichkeit, unter besonderer Berücksichtigung ihrer materiellen und immateriellen Bilder sowie den vielfältigen methodischen Konzeptionen.⁶⁶ Ulrich Hägele geht es insbesondere „um die Zusammenhänge von Bild, Kontext und Rezeption und um deren Wandel im digitalen Zeitalter⁶⁷ und setzt sich für eine konzeptionelle Erweiterung der ethnografischen Bildforschung in Richtung einer interdisziplinären Visuellen Kulturwissenschaft ein.

    Im Rahmen der Kommission Fotografie finden seit ihrer Entstehung in regelmäßigen Abständen Tagungen statt, wie beispielsweise im Jahre 2016 mit dem Schwerpunkt zu transdisziplinären Ansätzen einer volkskundlichen Bildforschung. Aus den Vorträgen dieser Tagung entstand unter anderen die Publikation Eine Fotografie. Über die transdisziplinären Möglichkeiten der Bildforschung unter der Herausgeberschaft von Ulrich Hägele und Irene Ziehe.⁶⁸ Dabei wurden die Möglichkeiten der Analyse von Fotografien insbesondere ohne die konkrete Berücksichtigung eines weiteren medialen beziehungsweise eines textualen Kontextes diskutiert, wie dies im Beitrag von Thomas Abel geschieht, der sich mit der Frage beschäftigt, wie sich Fotografien ohne einen weiteren Kontext lesen und verstehen lassen.⁶⁹ Im besonderen Interesse steht hierbei die methodische Herangehensweisen, die neben dem Methodenrepertoire der Bildwissenschaft, der Kunstwissenschaft oder der Kulturwissenschaft auch konkret die Methoden einer visuellen Anthropologie berücksichtigt, die sowohl Fotografien analysiert als auch selbst für Forschungszwecke produziert.⁷⁰ Zuletzt beschäftigte sich die Kommission für Fotografie im November 2018 mittels einer Zusammenarbeit mit den Staatlichen Museen zu Berlin mit dem Thema Populäre Präsentationen. Fotografie und Film als Medien musealer Aneignungsprozesse⁷¹, die sich auf die Ausstellbarkeit, insbesondere im Zusammenwirken analoger und digitaler Bilder, in musealen Kontexten fokussiert. Thema des jüngsten Tagungsbandes SnAppShots. Smartphones als Kamera ist die zunehmende Digitalisierung und Verbildlichung im Alltag, konkret herausgearbeitet am technischen Medium Smartphone.⁷² Insgesamt kann die Entwicklung der Fotografie hin zu einem Forschungsgegenstand als ein mittlerweile fest etabliertes Konzept in den Kulturwissenschaften und ihren Forschungsvorhaben verstanden werden. Es lässt sich feststellen, dass die Fotografie seit dem iconic turn und seit den Bestrebungen in der Volkskunde als Forschungsobjekt und Forschungsmedium einen enormen Zuwachs an Interesse verzeichnet. Dass sich die Zurückhaltung der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung, wie dies Ulrich Hägele anfänglich konstatiert hat, mit dem Medium Fotografie grundlegend geändert hat, zeigt sich mittlerweile in den Beiträgen und Studien zur fotografischen Produktion und Rezeption in der massenmedialen Kommunikation sowie den Untersuchungen der Veränderungen, die mit der Digitalisierung des Alltäglichen einhergehen.⁷³ Rolf Sachsse beschreibt hinsichtlich der Digitalisierung ebenso die Veränderung des Wesens der Fotografie, die sich insbesondere in der Art der Bildproduktion, der Bildrezeption und ebenso in der Bildreproduktion zeigt – hier manifestiert und konkretisiert sich die Differenz zwischen analoger und digitaler Fotografie.⁷⁴ Hägele stellt weitergehend fest, dass der Benutzer bei der digitalen Bildproduktion deutlich stärker eingebunden ist, da er diese nun aufgrund der technischen Weiterentwicklungen selbst übernehmen und die Bildproduktion somit von Experten losgelöst in den Alltag integriert werden kann.⁷⁵ Hägele stellt hinsichtlich der Bildeigenschaften digitaler Fotografie fest, dass zwei unterschiedliche Annahmen gegenüber der digitalen Fotografie benannt werden können; dies sind einerseits die Annahme einer grundlegenden Veränderung des Mediums Fotografie hinsichtlich ihrer Ontologie, andererseits könne „digitale Fotografie als Fortführung der analogen Abbildungsform⁷⁶ verstanden werden. Susanne Regener fragt ebenfalls nach den Veränderungen, die mit den digitalen Fotografien einhergehen, und schließt weitergehend auf „eine Krise des Dokumentarischen der Fotografie⁷⁷, an der die digitale Fotografie maßgeblich beteiligt sei. Die digitale Fotografie führe schließlich auch dazu, dass das spezifische Wesen der analogen Fotografie bezüglich der Annahme der wirklichkeitsnahen Abbildung, der Dokumentation dessen, was gewesen ist oder unter dem Anspruch ihrer Evidenz, neu diskutiert werden solle, reflektiert Regener.⁷⁸ Konkret auf die fotografischen Anwendungen der gegenwärtigen Alltagskultur beziehen sich Winfried Gerling, Susanne Holschbach und Petra Löffler. Mit der digitalen Fotografie habe sich nicht nur die Technik der Bildproduktion, der Bildverbreitung, sondern damit auch die Bildwahrnehmung und Bildrezeption verändert. Zudem haben sich veränderte Bildästhetiken und Bildsprachen etablieren können, auch hat sich ein bedeutsamer Wandel hinsichtlich des Aspekts des Teilens von Fotografien im Alltag entwickelt.⁷⁹

    1.1.2 Fotografien von Sterben und Tod

    Greift man die eingehende Feststellung von Thomas Macho auf, welcher einen „Stimmenlärm" über den Tod verkündet, so ist es nur konsequent auch von einem Bilderlärm zu sprechen, der sich ebenfalls als äußerst paradox manifestiert. Der unsichtbare Tod verleitet zu vielfältigen visuellen Ausdrucksformen, verbunden mit der Hoffnung, sich aus der eigenen Unsicherheit und Ungewissheit zum Tod zu befreien. Die Bilder von Sterben und Tod sollen schützen, sie sollen bewahren und nehmen weitergehend eine Erinnerungsfunktion ein. Sterben und Tod sollen dabei sichtbar, und damit auch verstehbar, gemacht werden – die Fotografie erscheint hierbei aufgrund ihrer spezifischen Ontologie als ein geeignetes Medium, gilt sie doch als scheinbare Dokumentation und Beweis eines Phänomens oder eines Ereignisses. Die Bilder verweilen zwischen dem Moment des Augenblicks und dem Moment der Vergangenheit und sind ein Beweis für das, was einmal gewesen ist und so nicht mehr sein wird. Gleichzeitig ist die Fotografie als Medium des Bilderzeugnisses sowie als Produkt dieser technischen Bildproduktion in der Lage, dem Betrachter auf einer affektiven Art und Weise, Objektivität und Authentizität zu versprechen und zu vermitteln.

    Theoretische Abhandlungen und Untersuchungen über diese spezifische Ontologie der Fotografie, die sich dadurch von anderen Mitteln der Bilderzeugung abgrenzt, als auch über ihre Wirkung, ihre Nutzung und Rezeption im Alltag sowie die Veränderungen, die die Digitalisierung der Bilder bringt, sind zahlreich. Viele der Arbeiten beziehen sich in ihren grundlegenden Annahmen auf die foto- und medientheoretisch bedeutsamen Schriften von Walter Benjamin, Susan Sontag, Pierre Bourdieu, Vilém Flusser, Gisèle Freund, Roland Barthes oder Siegfried Kracauer.⁸⁰ Neben einer Betrachtung des spezifischen Wesens der Fotografie, lässt sich unter anderem bei Siegfried Kracauer, Roland Barthes und Susan Sontag eine Thematisierung der Verbindung von Tod und Fotografie feststellen, die sich insbesondere auf den Moment des Fotografierens und die Fixierung des Objekts beziehen. Isabel Richter schreibt darüber in ihrer Reflexion über Roland Barthes, dass „das analoge Foto als Spur auf etwas verweist, das da gewesen ist und bestätigt zugleich, dass dieses Etwas für immer verloren ist.⁸¹ Der spezifischen Verbindung des Mediums Fotografie mit dem Tod nähert sich Iris Därmann und bestimmt die Faszination des technischen Mediums Fotografie anhand des kurzen Klicks, der zwischen Leben und Tod liegt und vergleicht diesen fotografischen Moment, den Augenblick des Fotografiertwerdens mittels eines technischen Apparates mit der Hinrichtung durch eine Guillotine: „Die Guillotine entzieht dem Blick eine Sichtbarkeit, die zugleich als entzogene sichtbar wird.⁸² Fotografiert werden, Sterben und Tod gleichen sich durch das Erstarren, das Anhalten und Innehalten.⁸³ Auch Hans Belting schreibt der Fotografie eine besondere Verbindung zum Tod zu – mit der Erfindung dieses Mediums war zunächst auch die Hoffnung einer „Bannung des Todes verbunden.⁸⁴ Das Gegenteil sei jedoch der Fall, so Belting, denn „der abgelichtete Mensch glich, wenn seine Bewegung in der Aufnahme eingefroren war, einem lebenden Toten. Das neue Bild, das so empathisch den Beweis des Lebens führte, produzierte in Wahrheit nur einen Schatten.⁸⁵ Gleichzeitig, so argumentiert Kristin Marek, gebe die Fotografie jedoch „dem toten Körper ein Medium, um erscheinen und präsent bleiben zu können⁸⁶ und dupliziere dessen ungeachtet den Tod, „indem sie den Toten zeigt⁸⁷ und damit auf etwas verweist, was in dieser Art und Weise nicht mehr existiert und dennoch sichtbar ist. Der tote Körper befindet sich in einem Zwischenraum, Elisabeth Bronfen beschreibt dieses Paradox in Anlehnung an Maurice Blanchot:

    „Die Präsenz der Leiche besetzt zwei Positionen gleichzeitig, das Hier und das Nirgendwo. Weder von dieser Welt, noch gänzlich getrennt von ihr, inszeniert die Leiche eine Beziehung zwischen diesen beiden unvereinbaren Positionen. Fremdheit ergibt sich daraus, dass die Leiche, die dem Verstorbenen ähnelt, in gewissem Sinn eine Verdoppelung ist. Sie hat keine Beziehung zur Welt, in der sie nur noch als Bild erscheint, wie ein Schatten, stets präsent hinter der lebendigen Gestalt, auch wenn die lebendige Gestalt im Begriff ist, sich in einen Schatten zu verwandeln."⁸⁸

    Mit dem Aufkommen der Fotografie eröffneten sich auch eine neue Methode und neue Möglichkeiten des privaten Gedenkens an die Verstorbenen. Fotografien von Toten werden schon kurze Zeit nach der Erfindung der Fotografie angefertigt.⁸⁹ Der Status des Toten ist paradox⁹⁰ stellt Thomas Macho fest. Der Körper eines Toten verkörpere die „Anwesenheit eines Abwesenden, der Leichnam ist sichtbar, er kann angefasst und gefühlt werden. Aber alles, was diesen Menschen zu seinen Lebzeiten ausgemacht hat, ist verschwunden. Der tote Körper ist nur eine leblose und leere Hülle des verstorbenen Menschen.⁹¹ Susanne Regener analysiert in ihrem Artikel Physiognomie des Todes: Über Totenabbildungen den Gebrauch von Totenmasken sowie den Gebrauch von Totenfotografie im 19. Jahrhundert und setzt sich mit der kulturellen Verortung des Todes innerhalb der fotografischen Darstellung auseinander. Über das Abbilden des Gesichts eines Toten zeige sich, so Regener, die Suche der Lebenden nach der Sinnhaftigkeit des Todes.⁹² Susanne Regener untersucht ebenfalls die Visualisierung des Verbrechens und dessen Evidenzvermittlung über die Darstellung des toten Körpers in sogenannten Tatortfotografien. Hier wird der tote Körper insbesondere dokumentarisch und nach bestimmten Regeln der Tatortfotografie zur Spurensicherung fotografiert, es geht darum, den Leichnam mit seinen sichtbaren Verletzungen in seiner exakten Position im Raum oder in der Umgebung, also am Tatort aufzunehmen.⁹³ Der Analyse von Tatortfotografien widmet sich auch Christine Karallus, die sich der fotografischen Darstellung des toten Körpers als Beweis über detaillierte Bildbeschreibungen und Bildanalysen nähert. Dabei zeichnet Karallus nicht nur die Tatortfotografie nach, sondern insbesondere den Wandel der Sichtbarkeiten.⁹⁴ Auf die Darstellung von Verbrechen in der Öffentlichkeit fokussiert sich Maren Tribukait, die anhand von Pressefotografien und der Berichterstattung über Verbrechen in deutschen und amerikanischen Medien vergleicht.⁹⁵

    Die Hauptarbeiten, die sich auf Fotografien von Sterben, Tod und toten Körpern fokussieren, finden sich im Kontext von Untersuchungen und Reflexionen über gewaltsame Ereignisse oder im Kontext von erinnernder Fotografie, wie der Totenfotografie oder innerhalb der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Leichnam. Da sich die vorliegende Arbeit auf journalistische Fotografie fokussiert, soll eine Einordnung von Fotografien von Sterben und Tod insbesondere auf die Visualisierung des toten Körpers in öffentlichen Fotografien beschränkt sein. Auf medialer beziehungsweise der nachrichtlichen und berichterstattenden Ebene ist die Fotografie als Medium und als Mittel der Darstellung seit ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert eng mit dem Krieg verbunden, ein Ereignis, dem an sich Gewalt, Zerstörung und Tod innewohnen.⁹⁶ Der Historiker Gerhard Paul beschreibt den Krimkrieg (1853-1856) als ersten „Presse-Krieg⁹⁷, bei dem Fotografen gezielt Kriegsschauplätze aufsuchten, sich jedoch noch stets in sicherem Abstand zum Kriegsgeschehen befanden. Waren Fotografien von toten Soldaten und die Folgen des Krieges hier noch ausgeblendet⁹⁸ oder wurden diese aus moralischen Gründen nicht aufgenommen⁹⁹, änderte sich dies beim amerikanischen Sezessionskrieg (1861-1865). Die Fotografien, die diesen Krieg bebildern, zeigen den toten menschlichen Körper in aller Deutlichkeit¹⁰⁰, „hier zeichnet sich der Voyeurismus als ein von der kapitalistischen Bildpresse gezüchtetes Dauermerkmal moderner Kriegskultur ab¹⁰¹, konstatiert Ulrich Keller. Anton Holzer weist jedoch darauf hin, dass zunächst noch Vorbehalte gegenüber der Fotografie als adäquates Darstellungsmittel des Krieges bestanden.¹⁰² So werden erstmalig im Ersten Weltkrieg die Bilder des Krieges als ein konkretes Mittel der Kriegsführung eingesetzt; Anton Holzer schreibt dazu, dass „im Ersten Weltkrieg das fotografierte Schlachtfeld endgültig zur Bühne der Fotografen geworden ist."¹⁰³ Einen entscheidenden Wandel hinsichtlich der Visualisierung des Krieges lässt sich für Gerhard Paul schließlich am Vietnam Krieg nachzeichnen. Paul weist darauf hin, dass im Vietnam Krieg insbesondere aktuelle Fotografien zirkulierten, die Täter und Opfer in eine Beziehung zueinander setzten und konkret die Gewalt des Krieges visualisierten.¹⁰⁴ Der Historiker Bernd Hüppauf schreibt der Fotografie das Potential der Sichtbarmachung des Kriegsereignisses und dessen Folgen zu:

    „Die Fotografie ermöglichte nicht nur, das Mannigfaltige sichtbar zu machen, sondern sie ist als eine Technik zu entdecken, die den Krieg für den gesellschaftlichen Gebrauch einrichtete. Ihre Bilder

    „Übergang vom industrialisierten Krieg zum postindustrialisierten Krieg bezeichnet. Vgl. Paul. Bilder des Krieges. S. 365. Der Analyse aktueller Kriegsvisualisierung widmen sich die einzelnen Beiträge im Sammelband von Karen Fromm/Sophia Greiff/Anna Stemmler (Hrsg.). Images in Conflict – Bilder im Konflikt. Marburg, 2018. spannen sich zwischen den Polen der Dokumentation von Tod und Zerstörung sowie der Konstruktion von Welt.¹⁰⁵

    Dabei offenbart sich in der Kriegsfotografie und ihren Bildern die Konstruktion des gesellschaftlichen und kulturellen Verständnisses von Krieg. Die Bilder des Krieges visualisieren das, was geschehen ist – dennoch sind diese Bilder in der Lage, den Blick auf den Krieg zu ändern, hier zeige sich das wechselseitige Verhältnis der äußeren und der inneren Bilder des Krieges.¹⁰⁶ Bernd Hüppauf thematisiert im Kontext der Kriegsfotografie den Themenkomplex Ästhetik und moralische Diskurse, wie dies auch anhand der Medienethik beziehungsweise der Bildethik diskutiert wird. Bei diesem Diskurs geht es grundsätzlich um die Frage, die insbesondere bei Gewalt- oder Kriegsfotografien thematisiert wird: Welche Bilder darf man zeigen und welche nicht? Hüppauf schreibt in diesem Kontext weiter, dass sich eine Ästhetik von Kriegsfotografien speziell im Einzelbild und dessen visueller Wirkmacht entfaltet; Hüppauf bezieht sich dabei auf die Fotografie des fallenden Soldaten von Robert Capa:

    „Sie ist gegen das Prinzip des Seriellen gerichtet. Krieg zeigt sich im bedeutenden Augenblick. Der kann nicht mehr zusammengefügt werden, sondern spitzt sich auf einen Augenblick zu: der Tod eines einzelnen (anonymen) Kämpfers."¹⁰⁷

    Diese Fotografien sind jedoch noch in einen Kontext einzuordnen, damit sie in einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang als auch in einen Bedeutungskontext gestellt werden können.¹⁰⁸ Die visuelle Berichterstattung der britischen Presse untersucht John Taylor in Body Horror: Photojournalism, Catastrophe and War. Taylor kommt unter anderem zum Ergebnis, dass Medien stets einen Unterschied in der Darstellung zwischen ihren und unseren Toten machen, um dem Leser die Sicherheit im eigenen Land zu vermitteln. Der tote Körper in der Berichterstattung wird dabei als das Produkt gewaltsamer Ereignisse dargestellt, anhand des Gegensatzes lebender und toter Körper wird der mediale stereotypische Gegensatz zwischen Gut und Böse beziehungsweise zwischen Himmel und Hölle nachgezeichnet. In der massenmedialen Darstellung wird das Leben zum Positiven hin überzeichnet, es wird der Anschein einer Realität erzeugt, die sich auf das Schöne fokussiert, während die medialen Tode den grausamen und brutalen Tod zeigen, resümiert John Taylor.¹⁰⁹ Unter der Berücksichtigung der emotionalen Wirkung von Fotografien, die menschliches Leid und Tod zeigen, untersucht Sebastian Gerth emotionalisierende Bildelemente mittels einer empirischen Untersuchung anhand von Fotografien des Kriegsfotografen James Nachtwey.¹¹⁰ Gerth stellt dabei fest, dass insbesondere Bildelemente von leidenden Kindern oder gewaltsamen Bildern, die eine große räumliche Nähe aufweisen, ebenfalls einen hohen Grad an Emotionalisierung offenbaren.¹¹¹

    Susan Sontag schreibt in Das Leiden anderer betrachten zudem von einer Abstumpfung gegenüber Bildern, die Tod und Leid zeigen.¹¹² Die Art und die Stärke der Gefühle, die Fotografien von Toten beim Betrachter auslösen, hängt insbesondere davon ab, wie vertraut der Betrachtende mit solchen Darstellungen ist. Fotos schockieren, wenn sie etwas Neuartiges, Ungewohntes oder Sensationelles zeigen, also wird der Aufwand, solche Bilder zu produzieren und zu reproduzieren, immer weiter gesteigert.¹¹³ Gleichzeitig wird die Gewalt und der Tod dieser Fotografien gebannt und dennoch dauerhaft fortgeschrieben, reflektiert Habbo Knoch bezugnehmend auf Susan Sontag.¹¹⁴ Die Darstellung dessen, was zu sehen ist und welche Wirkung es entfaltet, steht insbesondere in einem Verhältnis zum Kontext der Berichterstattung und im Kontext des medialen Publikationsformats. Es gehe somit auch darum, wie sich eine möglichst realistische Wirkungsform der Fotografie etablieren könne, so Habbo Knoch, denn es werde „nach dem erlösenden Bild oder zumindest nach einer Zugangsweise zur Fotografie, die ihr Potenzial der Wirklichkeitsdokumentation vor den Überformungen durch den Medienmarkt bewahrt¹¹⁵ gesucht. Susan Sontag beschreibt jedoch auch eine Art Grenze zwischen dem, was auf der Fotografie abgebildet ist und den Betrachtenden, denn obwohl das Bild den Tod und das Leid zeigt, verschließt sich dies vollständig demjenigen, der solches Leid, Sterben und Tod noch nicht selbst erlebt hat: „Wir können uns nicht vorstellen, wie furchtbar, wie erschreckend der Krieg ist; und wie normal er wird. Können nicht verstehen und können uns nicht vorstellen.¹¹⁶ Elisabeth Bronfen schreibt hierzu in ihrem Nachdenken über Sontag, dass die Toten dennoch unser Mitgefühl verdienen, denn diese Fotografien „appellieren an unsere emotionale Entrüstung. Zumindest halten sie uns dazu an, in Anbetracht des Schrecklichen und des Ergreifenden, das sie unserem Anblick darbieten, zu reagieren.¹¹⁷ Cornelia Brink arbeitet den Zusammenhang zwischen Fotografie und Emotionen beispielhaft anhand von Fotografien heraus, die den toten Körper darstellen. Bei der Diskussion, wieviel Leid und Tod gezeigt werden kann, gehe es häufig um Annahmen einer Bildwirkung, die spezifische Emotionen beim Betrachter hervorrufen. Brink weist jedoch diesbezüglich darauf hin, dass es vermieden werden muss, die emotionale Wirkung eines Bildes zu verallgemeinern und zu vereinheitlichen, sondern sie stets unter ihren unterschiedlichen Voraussetzungen zu betrachten. Brink stellt hierzu fest: „So wenig, wie sich von „den Emotionen und „der Betrachter sprechen lässt, so wenig gibt es „die Bilder, sondern Typen von Bildern mit unterschiedlichen Eigenheiten".¹¹⁸ Hierüber lässt sich weitergehend ein Bezug zu medienethischen Fragen hinsichtlich der Abbildung von Sterben und Tod herstellen. Medien- und bildethische Fragestellungen und Studien konzentrieren sich unter anderem auf die Frage, inwiefern der mediale Einsatz von Bildern von Sterben und Tod moralisch notwendig sei oder kritisch betrachtet werden solle. Der Forschungsansatz der Bildethik interessiert sich dabei vor allem für den Zusammenhang von Fotografie und Ethik, den ökonomischen Handel mit Bildern und dessen Auswirkungen sowie die soziale und gesellschaftliche Verantwortung, die die Bildproduzierenden innehaben.¹¹⁹ Ingrid Stapf beschreibt anhand einer medienethischen Einordnung den Umgang mit Bildern von Sterben und Tod. Stapf fragt weitergehend danach, welche Auswirkungen die Darstellung von Sterben und Tod

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