Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Schnee von gestern
Schnee von gestern
Schnee von gestern
eBook252 Seiten3 Stunden

Schnee von gestern

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Als er das Erbe seiner verstorbenen Schwester antritt, gerät Hans Wallris unerwartet in einen Strudel krimineller Machenschaften und tödlicher Gefahr. Ohne es zu wissen, hält er den Schlüssel zu einem beträchtlichen Vermögen in der Hand, das aus dem amerikanischen Drogenhandel der 80er-Jahre stammt.
Das Geld ist bei einer Bank auf den Kaimaninseln deponiert und durch zwei geheime Zugangscodes abgesichert. Obwohl er ahnt, dass sich dadurch sein Leben verändern wird, will Wallris die Wahrheit herausfinden. Die Suche führt ihn zurück in die Vergangenheit seiner Schwester, nach Miami.
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum24. Jan. 2014
ISBN9783849575458
Schnee von gestern

Ähnlich wie Schnee von gestern

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Schnee von gestern

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Schnee von gestern - Rüdiger Wenke

    Kapitel 1

    In der Kapelle auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg waren nur die ersten drei Reihen besetzt.

    In seiner ehrfurchtsgebietenden Strenge gab der Innenraum den Trauergästen Gelegenheit, über die Vergänglichkeit des Irdischen nachzudenken. Die weißen Wände, nur mit einem schlichten Kreuz über dem Altar bekleidet, erinnerten daran, dass man nichts mitnehmen kann, wenn man in die Ewigkeit abberufen wird.

    Eingebettet in ein blaugelbes Blumenmeer stand der Sarg aus matt glänzendem Eichenholz vor dem Altar.

    In lieber Erinnerung von Irina Hans und Paul, stand auf dem größten der Kränze.

    „Auch Du Birgit, hast nun Deinen Lebensweg vollendet und bist dorthin zurückgekehrt, von wo du gekommen bist. Gott hat Dich wieder zu sich genommen. Vor 50 Jahren wurdest Du in das Leben hineingeboren, hast Deine Kindheit in Mannheim verbracht, bist dort eingeschult und konfirmiert worden und hast dort das Gymnasium besucht. Voller Neugierde auf das pulsierende Leben bist Du dann in die Welt hinaus gegangen. In Amerika ist Dir die große Liebe begegnet. Dort, wo Du das Glück gefunden hast, bist Du geblieben. Zusammen mit Peter Walker hast Du eine kleine Familie gegründet, in der Eure Tochter aufwuchs.

    Doch dann hast Du auf tragische Weise alle verloren, an denen Dein Herz hing. Es dauerte sehr lange, um darüber hinweg zu kommen. Immer wieder hast Du es versucht und Dich der Barmherzigkeit Gottes anvertraut, im Unterbewusstsein hoffend, dass er Dir hilft, solange Du aufrichtig bist und ehrlich lebst."

    Aus der weichen, wohlklingenden Stimme der Pastorin konnte man echte Anteilnahme heraushören: Und Deine Seele spannte

    Weit ihre Flügel aus,

    Flog durch die stillen Lande

    Als flöge sie nach Haus.

    Beim letzten Vers des Gedichtes von Eichendorff konnte Irina nicht verhindern, dass die Rührung sie erfasste. Sie verwischte die Tränen, die ihr über das Gesicht liefen und sich salzig in ihren Mundwinkeln sammelten. Schon als kleines Mädchen hatte sie dieses romantische Gedicht gemocht und immer wieder gelesen und dann in Gedanken vor sich hin gesagt, wenn sie im Bücherbord ihres Vaters herumgestöbert hatte. Sie wusste, es war das Lieblingsgedicht ihrer Tante.

    Auch Hans Wallris konnte die Tränen nicht unterdrücken, die in ihm aufstiegen. Er hatte seine Schwester geliebt und ihre schweren Schicksalsschläge aus der Ferne miterlebt, ohne ihr helfen zu können. Er hörte ihre Stimme, als stünde sie gerade neben ihm: Die Menschen, die ich am meisten liebte, sind von mir gegangen. Was soll mich jetzt noch am Leben halten?

    Das war vor elf Jahren, als Susan, Birgits Tochter, bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen war. Die Nachricht hatte ihn in Schanghai erreicht und er war von dort direkt zur Beerdigung nach Miami geflogen. Lange hatte es gedauert, um Birgit zu überreden, Amerika den Rücken zuzukehren und nach Deutschland zurück zu kommen. Erst als eine Möglichkeit gefunden wurde, die Urne zu überführen, willigte sie ein. Elf Jahre hatte sie dann zurückgezogen hier in Hamburg gelebt.

    Hättest Du doch bloß Deinen alten Lebensmut wieder gefunden, dachte Wallris voller Traurigkeit. Jetzt wirst Du mit Susan auf diesem Friedhof wieder vereint sein. Die Tränen taten Wallris gut, er trocknete sie nicht ab und ließ sie laufen.

    Paul, sein Sohn, hatte seine eigene Art, die Rührung zu verbergen, die auch ihn erfasst hatte. Yolo, ging es ihm immer wieder durch den Kopf, you only live once. Aber er war sich nicht ganz sicher, ob es richtig war, sich hinter oberflächlichen Sprüchen zu verstecken, wenn jemand beerdigt wurde, den man sehr gemocht hatte. Man verweigerte sich damit echter Anteilnahme und Trauer.

    Eine letzte Segnung der Toten, dann wurde der Sarg hinausgetragen und vorsichtig in den Laderaum des bereitstehenden Leichenwagens geschoben, der ihn zum Krematorium bringen sollte.

    „Der barmherzige Gott hat sie zu sich genommen, möge sie Frieden finden",

    wandte die Pastorin sich an die Trauergemeinde und gab jedem zum Abschied die Hand.

    Keiner hatte den Mann in schwarzer Lederjacke beachtet, der während der Trauerfeier teilnahmslos in einer der hinteren Reihen gesessen hatte und nicht zu der Trauergemeinde zu gehören schien. Er zog seine Wollmütze über den Kopf und erhob sich. Ohne Eile schlenderte er davon, nachdem er einige Sätze in sein Handy gesprochen hatte. Fast im gleichen Augenblick brachen die beiden dunkelhaarigen Männer, die ganz in der Nähe der Kapelle an einem der Grabsteine gestanden hatten, ihr Gespräch ab, warfen ihre Zigaretten achtlos beiseite und entfernten sich in Richtung Ausgang.

    Wallris hatte die Trauergäste in ein Café in der Nähe des Friedhofs eingeladen. Diejenigen, die seiner Einladung gefolgt waren, saßen jetzt, eher bedrückt als befreit, an den Tischen in einem Nebenraum und warteten auf ein paar abschließende Worte von ihm. Er bedankte sich für ihre Anteilnahme. An der etwas längeren Pause, die dann eintrat, ohne dass er weiterredete sondern nur schluckte, merkte man, dass die Anspannung und Niedergeschlagenheit noch nicht von ihm gewichen waren.

    Ja Hans, genau so habe ich Dich in Erinnerung, dachte seine von ihm geschiedene Frau Andrea, die sich ebenfalls hier befand, um ihrer Schwägerin das Abschiedsgeleit zu geben. Du bist einer der wenigen Männer, die ich kenne, die ihre Gefühle nicht verbergen. Das macht Dich sehr sympathisch, aber auch angreifbar. Bernd ist da ganz anders, genau das Gegenteil von Dir und ich weiß bis heute nicht, ob ich das gut finde. Jedenfalls nicht gut genug, um ihn zu heiraten, was er gern möchte.

    Es gab belegte Brötchen, verschiedene Kuchen, Kaffee und Tee. Nach einiger Zeit der Unterhaltung in gedämpfter Tonlage begannen die Gespräche sich wieder den Alltagsthemen anzunähern, was an der zunehmenden Lautstärke erkennbar war, mit der die Dinge dargestellt wurden, die man wichtig fand: Nachbarn, Urlaub, Autoreparaturen,

    Immobilienpreise, Inflationsgefahr.

    Wie ist die Welt doch komisch, dachte Paul, als er hörte, wie sich Trauergäste am Nebentisch über den HSV unterhielten, der am Wochenende im eigenen Stadion gegen Borussia Mönchen Gladbach spielen sollte. Jemand stirbt und fast schon im nächsten Augenblick ist er vergessen. Man geht einfach zur Tagesordnung über. Tante Birgit hat das so nicht verdient, bei dem vielen Unglück, gegen das sie ankämpfen musste.

    Beim Gedanken daran übermannte ihn die Traurigkeit erneut und um ein Haar hätte er doch noch Tränen vergossen. Aber verdammt, das wollte er nicht. Er wollte jetzt einfach weg. Irina ging es ähnlich. „Nicht jetzt sofort, aber demnächst", flüsterte sie ihm zu.

    Als seine Kinder sich von ihm verabschiedeten, fühlte Wallris sich so allein gelassen, wie er sich niemals zuvor in seinem Leben gefühlt hatte.

    „Ich bringe Irina zum Bahnhof, ihr Zug geht um 15 Uhr. Dann fahre ich nach Hannover, lade noch einen Kumpel ein und von dort fahren wir dann nach Karlsruhe. Mach’s gut Papa, hau rein! Ich lasse von mir hören."

    Irina wartete noch ein wenig, schlang dann die Arme um Ihren Vater und legte ihren Kopf an seinen Hals, wie sie es früher immer gemacht hat, wenn sie Sorgen hatte und seine Hilfe brauchte. Ein tiefes Mitgefühl ging von ihr aus, sie murmelte ein paar Abschiedsworte, von denen Wallris nur „ich hab Dich lieb, Papa", verstand. Der Abschied von ihrer Mutter war ebenfalls sehr herzlich, aber doch nicht ganz so, wie der von ihrem Vater.

    Als wäre das Zeichen zum Aufbruch gegeben worden verabschiedeten sich auch alle anderen Trauergäste und ließen Wallris und seine Exfrau allein zurück. Plötzlich mit Andrea allein zu sein bereitete ihm ein gewisses Unbehagen, wie er sich eingestehen musste. „Ich gehe erst einmal die Rechnung bezahlen", sagte er.

    Unschlüssig standen sie dann vor dem Cafe und fühlten sich beide nicht wohl in dieser Situation. Nach ihrer Trennung vor zwei Jahren waren sie sich immer aus dem Weg gegangen. Jeder von ihnen hatte sich im Leben neu eingerichtet und versucht, einfach weiterzuleben. Bisher hatte das ganz ordentlich funktioniert. Das Wenige, was Wallris über Andrea wusste, hatte ihm Irina erzählt. Zum Beispiel, dass sie mit dem Rechtsanwalt Kuhnert zusammen lebte. Alles andere hatte er zu seinem ganz persönlichen Selbstschutz einfach ausgeblendet.

    „Wir hatten in der letzten Zeit, als wir merkten, dass es Birgit schlechter ging, versucht, ihr zu helfen. Bernd hat sie in finanziellen Dingen beraten, davon versteht er ja etwas. Aber es war schwierig, an sie heranzukommen. Bernd hat auch dafür gesorgt, dass sie ein Testament hinterlässt, in dem der Nachlass geregelt ist."

    Andrea’s Stimme klang fürsorglich und ruhig, wie er es aus den Anfängen ihrer gemeinsamen Zeit kannte, als die Kinder noch klein waren. Wallris konnte nicht die geringsten Anzeichen von Vorwürfen heraushören, dass er sich um seine Schwester zu wenig gekümmert hätte. Gedanken daran hatten ihn jedoch bereits erfasst, als die Pastorin Birgits tragischen Lebensweg in ihre Ansprache eingebettet hatte.

    Ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben, dachte er. Aber er hatte es doch. Irgendwo aus der Tiefe seines Unterbewusstseins meldete es sich immer wieder zu Wort.

    „Wie kommst Du nach Hause? Oh, Entschuldigung, ich weiß nicht einmal, wo Du übernachtest. Soll ich Dich vielleicht fahren?"

    Wallris war immer noch in Gedanken. Wo bin ich denn eigentlich zu Hause?

    „Nein danke, das ist nett von Dir, aber ich habe einen Leihwagen und fahre zum Hotel."

    „Wenn etwas sein sollte, Du kannst mich immer anrufen", sagte sie und reichte ihm ihre Visitenkarte.

    Andrea Brentano, Hamburg-Poppenbüttel, las er. Sie hat ihren alten Namen wieder angenommen.

    Kapitel 2

    Die Hotelbar befand sich hinter der Rezeption in der großen Eingangshalle, etwas im Hintergrund. Des schönen Wetters wegen stand die Tür für den Außenservice offen und Wallris bekam Lust, ein wenig Sonne zu tanken. Fast alle Tische waren mit gut gekleideten Leuten besetzt, die, je nachdem wie alt sie waren, sich teilweise gestenreich unterhielten und gepflegte Konversation machten oder auch nur gelangweilt in die Sonne blickten. Nach dem grauen Tag von gestern genossen alle diesen schönen Vormittag.

    „Ist bei Ihnen noch frei? fragte er die junge Frau, die etwas abseits, allein an einem kleineren Tisch saß. Ohne ihr Nicken abzuwarten ließ er sich auf den Stuhl sinken, machte es sich bequem und versuchte, eine gute Position zur Sonne einzunehmen. Dann angelte er nach der Karte und las eine Weile darin, wobei er verstohlen seine Umgebung musterte. „Es ist doch immer wieder das Gleiche, kaum scheint die Sonne, ist man frohgelaunt und möchte ins Freie.

    Sie nickte zustimmend, wirkte zunächst aber nicht sonderlich interessiert, den Gesprächsfaden aufzunehmen und weiterzuspinnen.

    „Selbst wenn man Hamburg kennt, ist man erstaunt, was diese Stadt alles zu bieten hat", hörte er sich sagen und bereute seine Aussage im gleichen Augenblick, denn damit hatte er sich weit nach vorn gewagt und wenn sie jetzt konkrete Fragen stellen würde, müsste er vielleicht passen. Das bedeutete natürlich nicht, dass ihm Hamburg gänzlich unbekannt war.

    „Ich habe einen halben Tag Zeit und würde mich gern etwas umschauen. Was könnten Sie mir denn empfehlen, von der Reeperbahn einmal abgesehen?" Ihre Stimme klang fröhlich und unbeschwert und so, als hätte sie bereits erkannt, dass er eher nicht zu den besten Kennern der Stadtszenerie gehörte.

    Die Bedienung brachte den Himbeer-Joghurt-Shake, den er sich an der Bar bestellt hatte und wäre um ein Haar über seine ausgestreckten langen Beine gestolpert.

    „Also, das hängt natürlich ganz davon ab, welche Akzente Sie setzen möchten. Kunst, Unterhaltung oder nur einfach Sightseeing. Vielleicht wäre eine Bootsfahrt unter Brücken interessant? Denn was die wenigsten Leute wissen: Hamburg ist die Stadt mit den meisten Brücken Europas. Fast 2.500 unterschiedliche Exemplare, wenn ich richtig informiert bin. Auch auf einer Hafenrundfahrt kann man Hamburg kennenlernen. Oder sie besuchen ganz einfach Planten un Blomen. Das wäre etwas mehr fürs Auge und sicher sehr entspannend, bei so schönem Wetter wie heute."

    Während sie überlegte, das Gesicht ruhig in die Sonne hielt und nachdenklich die Augen schloss, betrachtete Wallris sie etwas eingehender. Sie war sehr hübsch und hatte ein andeutungsweise südländisches Aussehen. Die langen, vollen, dunklen Haare waren nach hinten gelegt und wurden von einer modischen Sonnenbrille locker zusammengehalten. Wie alt könnte sie sein? Vielleicht dreißig oder etwas mehr, dachte er. Wenn sie sprach, bewegten sich ihre Lippen, die etwas nach vorn sprangen, vor dem tadellosen Gebiss spielerisch hin und her, auf und ab. Es machte Spaß, ihr beim Sprechen zuzuschauen und zuzuhören. Er glaubte, einen ganz leichten Akzent heraushören zu können.

    In ihrer halbgeöffneten weißen Hemdbluse begann ein sehr hübscher Übergang von der Brust zu Hals und Gesicht. Er schaute noch hin, als sie ihre Augen schon wieder geöffnet hatte und fühlte sich ertappt. „Ich - also ich könnte, wenn sie wollen, mir die Zeit nehmen und Sie begleiten, natürlich nur, wenn Sie wollen. Dann könnte ich Ihnen so manches zeigen, was Sie sehen möchten."

    Schon als er sich gesetzt und zu reden anfangen hatte, hatte sie ihn aus den Augenwinkeln betrachtet und festgestellt, dass er zu den männlichen Exemplaren zählte, die sich ihrer Außenwirkung nicht bewusst sind. Ihm fehlte völlig die aufgesetzte, extrovertierte Körperlichkeit von gutaussehenden Männern. Andererseits war er auch nicht mehr ganz so jung und hatte schon einige graue Haare. Etwas nachlässig, was die Kleidung betrifft, dachte sie, aber nicht unedel. „Das Angebot nehme ich natürlich gerne an", sagte sie unumwunden und war froh, dass der Tag für sie eine so interessante Wendung genommen hatte.

    „Hans Wallris", stellte er sich vor.

    „Freut mich, ich bin Alexandra Reber. Ich habe hier im Hotel übernachtet und wollte heute Abend um 18 Uhr den Flug nach München nehmen. Ich muss gegen 16 Uhr am Flughafen sein. Bleiben also sechs Stunden für ein kleines Stadtprogramm."

    Während Wallris auf das Leihauto wartete, das in der Tiefgarage des Hotels geparkt war und gerade vorgefahren wurde, holte sie ihre Reisetasche aus dem Gepäckraum neben der Rezeption. Wenig später steuerte er den schwarzen BMW zur Ludwig-Erhard-Straße und fädelte sich vorsichtig in den zügigen Vormittagsverkehr ein.

    „Ich bin ein paar Tage hier, um familiäre Dinge zu ordnen. Meine Schwester ist vor einer Woche gestorben und gestern beerdigt worden. Deswegen bin ich, ehrlich gesagt, ganz dankbar für ein wenig Abwechslung, bevor ich mich mit den unangenehmen Dingen des Lebens beschäftige."

    „Mein herzliches Beileid."

    „Sie hat ein Haus hinterlassen, um das ich mich etwas kümmern sollte und dann sind da noch die üblichen Formalitäten mit dem Nachlass und der damit zusammenhängende Papierkram. Das nervt alles ein bisschen mehr, als man es sich wünscht. In diesem Hotel übernachte ich übrigens gern, ich kenne es von früher. Es liegt schön zentral, man kann alles zu Fuß erreichen und das bietet eine Menge Möglichkeiten, langweilige Abende abwechslungsreich zu gestalten, wenn man nicht in die Glotze starren oder sich an der Hotelbar am gestelzten Gesülze eines erlebnishungrigen Investmentbankers erfreuen will."

    Am Millerntor bog er kurz entschlossen auf die Reeperbahn ein.

    „Ich rate mal: das muss die Davidwache sein", sagte Alexandra, als das markante Backsteingebäude mit der nicht zu übersehenden Aufschrift Polizei und den davor geparkten Polizeiautos zu ihrer Rechten auftauchte.

    „Neben Handel und Kultur ist Kriminalität ein Werbeträger von Hamburg, nickte er zustimmend. „Dort, wo Waren aus Übersee umgesetzt werden, sind auch immer Leute unterwegs, die mit kriminellen Machenschaften an das schnelle Geld kommen wollen. Das gilt für Hamburg genauso wie für Rotterdam, New York oder Schanghai und gehört zum Flair dieser Stadt. Leider ist auch Rauschgift wieder auf dem Vormarsch. Wie in der Zeitung zu lesen war, ist letzte Woche eine riesige Ladung Kokain in einem Container entdeckt worden, der aus Südamerika kam, erklärte Wallris. „Ich fahre mal in Richtung Wasser, dort kann man den Schiffen zusehen und dann weiter die Elbchaussee hinunter. Von da hat man einen schönen Blick auf die Elbe, das wird Sie bestimmt begeistern."

    Er bog in die Davidstraße ein und als sie den St. Pauli Fischmarkt erreichten, war Alexandra endgültig überzeugt, dass diese Sicht Hamburgs ihr weit besser gefiel als Planten un Blomen. „Fahren Sie bitte etwas langsamer, ich möchte das genießen. Vielleicht sollten wir aussteigen und ein paar Schritte laufen."

    Sie parkten am Beachclub, wo für diese Tageszeit schon ganz ordentlich Betrieb war und schlenderten langsam Richtung Altonaer Fischmarkt. Wallris dachte an das Haus, das Birgit in Altona bewohnt hatte. Er hatte sie dort einige Male besucht, war jedoch immer nur für eine Nacht geblieben. Sie kochte gut und hatte meistens ein schönes Menü zusammengestellt. Bei einer Flasche Rotwein hatten sie dann locker und entspannt in der Erinnerungskiste gekramt und lange geredet.

    Die Zeit in Amerika überging sie fast immer, fiel ihm jetzt ein. Erst, wenn sie etwas mehr getrunken hatte, entspannte sie sich und berichtete dann auch mal die eine oder andere Geschichte von Susan. Aber nicht so stolz, wie Eltern von ihren Kindern schwärmen, sondern eher beiläufig und in Nebensätzen, als wollte sie die Erinnerungen für sich behalten. Ihre Jahre in Miami waren für ihn daher ein eher unterbelichtetes Kapitel geblieben und er hatte auch nie direkter nachgefragt, warum das so war.

    „So abwesend"? Alexandra sah ihn

    zusammenzucken und bedauerte es, ihn in seinen Gedanken gestört zu haben.

    „Hamburg ist sehr schön", sagte sie. „So direkt und auffordernd habe ich selten eine

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1