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Der Sohn des Bobfahrers
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eBook465 Seiten6 Stunden

Der Sohn des Bobfahrers

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Über dieses E-Book

Carl Königs Vater ist Bobweltmeister, 5 Sterne-Hotelier in Garmisch und lebenslang ein König, leider auch im Geldausgeben. Wenn schon bergab, dann mit Stil. Sohn Carl zieht es nach München zu Literatur, Theater und Film. Er erobert die Welt und die Frauen, dreht einen Porno und wird stolzer Vater. Die Reifeprüfung seines Lebens beginnt, als er ans Sterbebett seines Vaters gerufen wird. Wie hatte die Millionärsfamilie soweit sinken können? Was hatte sein Vater mit den Nazis zu tun? Was verbarg sich hinter der Fassade seiner Mutter? Wohin sollten die vorgezeichneten Wege seiner drei älteren Geschwister führen? Carl wird Drehbuchautor, Opfer der deutschen TV-Mafia und glücklich. Eine emotionale und oft heitere Spurensuche. Eine mutige und ziemlich wahre Geschichte vom Erobern und Absteigen, vom Loslassen und Neuentdecken.

Hier geht es um die wirklich wichtigen Themen im Leben: Frauen, Freunde und Bücher, Schreiben, Sex und Tennis.

"Rasant das Erzähltempo, charmant seine Sprachkunst, einfach spitze die Dialoge. Das lang erwartete Comeback eines Autors, der es einfach kann!"
- Hajo Steinert, Deutschlandfunk -
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum22. Sept. 2021
ISBN9783347386884
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    Buchvorschau

    Der Sohn des Bobfahrers - Constantin Kilian

    Carl war siebenundzwanzig. Ein Alter, in dem manche Männer schon ein wenig erwachsen sind. Carl war es nicht.

    Gerade hatte er mit seiner Freundin seinen Lieblingsfilm angeschaut, Die Reifeprüfung mit Dustin Hoffman und der Musik von Simon und Garfunkel. Beseelt von dem Film führte Carl seine Freundin nach Hause.

    Es war ein milder Frühlingstag. Nach der Vorstellung war es angenehm, aus der Dunkelheit des Kinos in die Abenddämmerung zu treten. Die letzten Sonnenstrahlen warfen ein warmes Licht auf die Leopoldstraße, viele sonnenhungrige Münchner fuhren bereits mit offenem Verdeck über die Flaniermeile mit ihren hohen Pappeln. Arm in Arm schlenderten Carl und Uli Richtung Kurfürstenstraße und summten eine Melodie aus dem Film.

    „And here´s to you, Mrs. Robinson…"

    Eine Viertelstunde später saßen die beiden auf dem französischen Bett in Carls kleiner Wohnung. Carl fühlte sich wohl in seinem Schlafzimmer, das gleichzeitig als Büro diente. Das Zimmer wurde von drei Dingen dominiert, einem hohen, dunklen Bücherregal, einem schweren Schreibtisch vor dem Fenster und dem großen Bett. Carl hatte eine Flasche Weißwein geöffnet, die zwei stießen gerade gut gelaunt an, als der Anruf kam.

    Das Telefon läutete schon so komisch.

    Konzentriert lauschte Carl der Stimme am anderen Ende. Er nickte, sein Gesichtsausdruck wurde immer ernster.

    „Ja…. verstehe, Ilse."

    Ilse war die dritte Ehefrau seines Vaters. Sie war neununddreißig, sein Vater war fünfundsiebzig. In zwei Wochen wäre er sechsundsiebzig geworden.

    Nachdem Carl eingehängt hatte, starrte er bewegungslos einen Punkt an der Wand an. Sprach nichts. Mehrere Minuten lang. Sein Vater war tot.

    Der Anruf war eine Grenzüberschreitung. Das wusste Carl damals noch nicht. Erst Jahre später begriff er, dass das Leben endlich ist und er ab diesem Zeitpunkt in der Erwachsenenwelt angekommen war.

    Ein paar Tage zuvor hatte ein anderer Anruf den Anfang vom Ende angekündigt.

    „Carl, deinem Vater geht es gar nicht gut. Er hat wohl bloß noch ein paar Tage." Ilses Stimme klang traurig, aber fest.

    Carl spürte einen Kloß im Hals, er konnte nicht antworten. Der Schock war zu groß. Seine Freundin Uli stand neben ihm in dem kleinen Wohnzimmer und fasste ihn am Arm. Sie spürte, dass etwas Schlimmes passiert war.

    „Carl? Bist du noch dran…?" fragte Ilse.

    Carl nickte nur, schwieg ein paar Sekunden, dann fragte er: Wer hat das gesagt mit den paar Tagen?

    „Der Chefarzt. Er war heute am Bett deines Vaters und hat ihn persönlich untersucht. Anschließend habe ich mit dem Arzt allein gesprochen, da hat er das zu mir gesagt."

    „Verstehe, sagte Carl. Er blickte auf die Uhr. Es war halb sieben. „Soll ich jetzt gleich kommen, was meinst du?

    Carls Vater lag wegen einem Herzanfall seit zehn Tagen im Krankenhaus in Garmisch-Partenkirchen. Carl wusste das, aber er hatte nicht geahnt, dass es so schlimm um seinen Vater stand. Von seiner Wohnung in Schwabing dauerte es mit dem Auto eine gute Stunde bis nach Garmisch.

    „Nein, sagte Ilse, „heute ist es zu spät, komm doch morgen, vielleicht so gegen Mittag, da ist dein Vater immer am klarsten. So wie ich den Arzt verstanden habe, geht es nicht um Stunden, aber doch um Tage.

    „Gut, morgen Mittag bin ich da. Danke, dass du mich angerufen hast."

    „Und Carl: ich bin die ganze Zeit bei deinem Vater und pass auf ihn auf, so gut ich kann."

    „Das weiß ich. Danke. Bis morgen."

    Carl legte rasch auf. Ilse sollte am Telefon nicht mitbekommen, wie er weinte.

    Uli setzte sich neben Carl aufs Bett und legte einen Arm um ihn. „Was ist passiert?"

    „Mein Vater. Anscheinend hat er nur noch ein paar Tage…" Carl verstummte, wischte sich eine Träne aus dem Auge und blickte in die andere Richtung. Er wollte allein sein.

    „Kann ich irgendwas tun für dich?".

    Uli drückte ihn noch fester an sich.

    Carl nickte. „Du kannst gehen."

    Irritiert rückte sie ab von ihm.

    Carl sah sie an und blickte in zwei himmelblaue Augen, die ihn anstarrten.

    „Entschuldige… ich meine es nicht böse, aber ich wäre jetzt lieber allein."

    Sie stand vom Bett auf, sah ihn beleidigt an.

    „Verstehst du das denn nicht?" fragte er.

    „Doch. Klar. Schon gut. Versteh ich."

    Carl blickte in Ulis hübsches Gesicht und war ihr dankbar für die kleine Lüge.

    „Na gut, sagte sie. „Wenn du morgen erst um eins fährst, könnte ich dich nach Garmisch begleiten?

    Carl stand auf. „Nein, danke. Passt schon."

    Dann war er endlich allein. Er stand mitten im Zimmer, schloss die Augen, rührte sich nicht. Langsam atmete er ein, wieder aus, wollte ruhiger werden. Er versuchte an nichts zu denken, das klappte natürlich nicht. Würde ich meinen Vater morgen zum letzten Mal sehen in meinem Leben? fragte er sich. Wie oft habe ich ihn denn im letzten Jahr gesehen? Zweimal vielleicht. Mein Gott, zwei mickrige Male.

    Carl öffnete die Augen. Sein Blick fiel auf ein Foto, es lehnte an seiner langen Reihe von Hesse-Büchern, die er gerne in seiner Nähe wusste und deshalb in Augenhöhe zum Schreibtisch platziert hatte. Carl trat näher und betrachtete das Bild mit Wehmut. Ein kleines Schwarzweißfoto. Sein Vater zeigte sich darauf in einer angeberischen, witzigen Pose. Nur mit einer wollenen Badehose bekleidet stand er vor einem kleinen Weiher und grinste in die Kamera, er nahm beide Arme hoch und präsentierte stolz seine vermeintlich enormen Bizepse. Carl musste lächeln, weil er diese Haltung manchmal selbst einnahm, um seinen Alten zu imitieren. Auf dem Bild musste sein Vater in einem ähnlichen Alter gewesen sein wie Carl heute. Er drehte das Bild um. Dort stand in altmodischer Schrift: „Oberau, 1932".

    Hanns K. 1932

    Carl rechnete nach, tatsächlich, sein Vater war damals siebenundzwanzig. Er stellte das Foto ins Regal zurück, und für einen Moment spürte er ein warmes Gefühl des Stolzes in seiner Brust, weil er seinem Vater auf dem Bild so ähnlich sah. Viel mehr als sein Bruder.

    Carl war schlank, mittelgroß und trug die Haare stets ein wenig zu lang. Bis er dreißig wurde, fand er immer, er sah zu jung aus. Stolz war er auf seine schmalen, langgliedrigen Finger – Frauen mochten das – und dass er schon in diesem Alter zwei kleine Lachfältchen um den Mund besaß.

    Er setzte sich an seinen Schreibtisch, ein schweres, dunkles Möbel, das einzige Stück, das er von Mutters teuren Antiquitäten retten konnte, nachdem das Hoteldesaster abgewickelt war.

    Eine gute Weile saß er stumm und regungslos, dachte über ihn nach. Was war wirklich wichtig für meinen Vater? Was hat ihn ausgemacht? Warum war er so selten bei uns, bei seiner Familie? Hatte er uns vier Kinder nicht geliebt? Warum hat er so selten ernsthaft mit mir gesprochen? Wäre es anders gewesen, wenn Vater jünger gewesen wäre?

    Warum habe ich mir diese Gedanken nicht schon früher gemacht, grübelte Carl. Manchmal denkt man erst dann über Menschen nach, die einem am Herzen liegen, wenn es zu spät ist.

    Hanns König war fast ein halbes Jahrhundert älter als sein Sohn Carl. Geboren wurde er am 2. Mai 1905 in Garmisch. Damals konnte man Garmisch noch allein nennen, ab 1935 hieß es offiziell Garmisch-Partenkirchen. Der Führer hatte das angeordnet. Denn ein Jahr vor den IV. Olympischen Winterspielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen und der Gemeindezusammenlegung ein Jahr zuvor durch Adolf Hitler, waren die zwei Orte noch getrennt und selbständig. Und Carls Vater sollte noch eine Rolle spielen bei Olympia.

    Im Jahre 1900 kauften die Großeltern von Carl das kleine Hotel Alpenrose im Herzen von Garmisch, in der Bahnhofstraße. Im Jahre 1905 ließen sie es zu einem großen Hotel ausbauen. Fortan sollte es Hotel Alpenhof heißen. Hanns König hatte vier Schwestern, er war der vierte in der Reihenfolge, doch im Herzen seiner Eltern, besonders seines Vaters, rangierte Hanns unangefochten auf Platz Eins. Schließlich war er der einzige Sohn und somit der Stammhalter und Stolz der Familie König. Die beiden Eltern, Johannes und seine Frau Maria, geborene Seethaler, waren beide 1870 zur Welt gekommen und lebten schon seit langem in Garmisch. Sohn Hanns sollte es an nichts fehlen, zuerst wurde er im Königlich-bayerischen Kadettenkorps erzogen, dann besuchte er die Handelshochschule in München und später absolvierte er sein Hotelpraktikum in zwei Städten, in Köln und in Philadelphia. Im Jahre 1926 trat er mit nur einundzwanzig Jahren als Geschäftsführer in den väterlichen Betrieb ein, und 1933 übernahm er das Haus von seinem Vater, der sich altersbedingt zurückzog.

    Im Krieg war Hanns bei der Wehrmacht, hatte aber Glück, musste nie an vorderster Front kämpfen. Davon wird noch zu berichten sein.

    In den letzten Monaten des Krieges wurde sein Hotel Alpenhof zum Lazarett der Wehrmacht umfunktioniert. Nach dem Einmarsch der Amerikaner bei Kriegsende beschlagnahmten diese das Haus, machten es ebenfalls zu einem Lazarett und später zum Urlaubs-Domizil für ihre Leute. Für Hanns König waren das harte Jahre, musste er doch sein eigenes Hotel verlassen und sich eine andere Tätigkeit suchen. Bei einer befreundeten Hoteliersfamilie in München konnte er im Büro und an der Rezeption mitarbeiten, doch fühlte er sich dort unterfordert. Er wartete nur auf eines:

    Wann würden die Amerikaner endlich sein Hotel freigeben?

    Hanns König war ein extrem ungeduldiger Mensch, und wenn er eines nicht leiden konnte, dann war es Warten. Und auch das Unterordnen. Man schrieb das Jahr 1948, der Krieg war seit über drei Jahren vorbei, doch immer noch waren eine Menge amerikanischer Soldaten in Garmisch-Partenkirchen stationiert. Im Herbst 48 kehrte Hanns König von München nach Garmisch zurück, aber die Amerikaner dachten nicht daran, das Haus zu räumen. Durch seine alten Beziehungen hatte Hanns eine gute Arbeit bekommen. Er konnte das Lokal im Garmischer Eisstadion übernehmen, den Wintergarten. Das Stadion selbst befand sich noch im Bau, aber das Restaurant wurde nun von ihm als Leiter bewirtschaftet. Knapp zwei Jahre dauerte diese Tätigkeit – die Amerikaner saßen weiter fest im Sattel seines Hotels, fünf Jahre waren es nun! - dann fand Hanns K. eine interessantere und lukrativere Beschäftigung. Er leitete das Hotel Wigger in Partenkirchen, ein traditionsreiches Sanatorium, dem man als Kurhotel neues Leben einhauchen wollte. Drei Jahre dauerte diese Tätigkeit, in der er zugleich als Vorstand die Wigger-AG anführte. Man schrieb das Jahr 1953 – acht Jahre lag der Alpenhof nun unter Beschlag, und endlich zogen sich die Amerikaner zurück.

    Carls Mutter trat 1946 in Hanns` Leben. Gabriele Meyer, stammte ebenfalls aus einer Hotelfamilie, ihren Eltern gehörte das kleine Hotel Post in Altötting, direkt neben der bekannten Marienkapelle im Zentrum des Wallfahrtstädtchens. Das Hotel, eine frühere Meierei und Poststation, sollte später der bayerische Innenminister Georg Tandler übernehmen. Gabriele hatte fünf Geschwister, zwei Brüder und drei Schwestern, sie war die älteste der Schwestern.

    Gabriele K. in ihren Zwanzigern

    Alle Kinder wurden sehr katholisch erzogen. Was kein Wunder war, schließlich war Altötting der bekannteste Wallfahrtsort in ganz Deutschland. Der halbe Ort lebte vom katholischen Tourismus. Die Verehrung der lieben Maria, der Muttergottes, kannte keine Grenzen, und jedes dritte Geschäft machte in Devotionalien, mit Kerzen, Kruzifixen, Bibeln, Rosenkränzen und Maria in allen erdenklichen Varianten.

    Gabriele besuchte die strenge Klosterschule im Nonnenkloster Zangberg, einem winzigen Ort dreißig Kilometer entfernt von Altötting, dort schloss sie mit der Mittleren Reife ab. Sie war die hübscheste der vier Meyer-Töchter, und bei ihr galt es als ausgemacht, dass sie mit ihrer wohlproportionierten Figur, ihren schwarzen Haaren und ihrem selbstbewussten Auftreten bald einen geeigneten Hochzeiter finden würde. Doch als sie gerade einundzwanzig Jahre alt wurde im Dezember 1939 und in voller Blüte stand, war es alles andere als einfach, einen Mann zu finden. Der 2. Weltkrieg stand an seinem Anfang, und Hitler plante nach dem erfolgreichen Angriff auf Polen den Einmarsch in Dänemark und Norwegen. Eine Menge wehrfähiger deutscher Männer wurden für die größenwahnsinnigen Pläne des Reichsführers gebraucht, und so war die Auswahl heiratsfähiger Männer äußerst dürftig.

    Es kamen die sechs Kriegsjahre bis 1945, für fast alle Liebenden eine schreckliche Zeit. Und für Menschen, die auf der Suche nach der Liebe waren, eine durch und durch trostlose Zeit. Doch sowohl Hanns als auch Gabriele hatten in diesen Kriegsjahren jemanden für ihr Herz gefunden, und dann auch geheiratet. Und beide sollten dies bei ihrem ersten Rendezvous verschweigen.

    Ein pikantes Detail, das bereits vor dem Kennenlernen seiner Eltern stattfand, sollte Carl erst viel später erfahren, als er bei Geschwistern, Verwandten und Bekannten nach seinen Familienwurzeln recherchierte. Hanns König, der fesche Hotelier - damals ohne Hotel - und in seinen besten Mannesjahren, hatte nach seiner Scheidung zuerst Gabrieles jüngere Schwester im Auge gehabt: Marianne.

    Die junge attraktive Frau war Hanns in einem Gartenlokal in München aufgefallen. Ihre Eltern hatten einen Ausflug von Altötting unternommen. Mit ihrer zweitältesten Tochter wollten sie sich München und besonders den Hofgarten ansehen. Es war ein herrlicher Sommertag im Juni 46, viele Menschen spazierten auf den Straßen und genossen die warme Sonne. Die Schuttbeseitigung war an vielen Stellen in München noch in vollem Gang, doch die prächtige Ludwigstraße mit ihren mächtigen Häusern im klassizistischen Stil war zum Großteil von Bombenabwürfen verschont geblieben, lediglich das Siegestor, das die Ludwigstraße von der Leopoldstraße trennte, hatte einen Treffer abbekommen. Das Triumphtor im Stil des Konstantinbogens stand noch, aber die Quadriga, die früher oben auf dem Tor prangte, war heruntergeschossen worden und der mittlere Teil des Sturzes hatte etwas abbekommen. In der Nähe des Odeonsplatzes fanden die drei ein Café, das bereits den Betrieb aufgenommen hatte. Auf der Terrasse ließen sie es sich bei Kaffee und Kuchen gutgehen und genossen das Großstadtflair.

    Die meisten Ausflügler hatten ihr bestes Gewand angezogen, und Marianne freute sich, dass sie endlich mal wieder ihr hübsches blaues Dirndl mit der hellblauen Schürze und dem aparten Dekolleté zeigen durfte. Sie war Anfang zwanzig und mit ihren langen, braunen Haaren, ihren dunkelblauen Augen und ihrer weiblichen Figur sah sie reizend aus.

    Auch den zwei Männern am Nebentisch war das nicht entgangen. Immer wieder schauten sie neugierig herüber und steckten die Köpfe zusammen. Marianne hatte das bald bemerkt und warf ab und zu kokett einen Blick zu den gut gekleideten Männern, besonders zu dem fescheren mit der Sonnenbrille. Doch sobald die Blicke sich trafen, schaute Marianne in eine andere Richtung, fühlte sich ertappt. Als ihre Eltern sich einmal vom Tisch entfernten, stand der Mann mit der Sonnenbrille auf und ging, die Gunst der Stunde nutzend, zu Marianne und verbeugte sich galant vor ihr.

    „Mein Name ist Hanns König, Besitzer des Hotel Alpenhofs in Garmisch. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie hier so unverblümt anspreche, sagte er und tauschte die Sonnenbrille mit einer normalen Brille aus, „aber ich kam nicht umhin, mitzuhören, dass Sie aus dem Hotel Post in Altötting stammen…

    Marianne tat überrascht und meinte mit einem kleinen Lächeln.

    „Ja, das ist richtig…"

    „Dummerweise bin ich etwas in Zeitnot, aber nächste Woche bin ich zufällig in Altötting. Dürft` ich Sie da vielleicht zu einem Kaffee einladen?"

    „Wir kennen uns doch gar nicht…"

    „Das ist genau das Problem, das ich aus der aus der Welt schaffen möchte", sagte Hanns und schenkte ihr ein charmantes Lächeln.

    Marianne war überrumpelt und betrachtete den Mann genauer. Er war mittelgroß, hatte breite Schultern, schon etwas schütteres Haar, sie schätzte ihn auf Ende dreißig. Er war braun gebrannt, trug eine modische Brille und einen dunkelblauen dreiteiligen Anzug, der nicht billig aussah. Marianne, zu schüchtern, antwortete nicht gleich. Sie fand den Mann ein bisschen frech, aber sein Aussehen und sein Selbstbewusstsein gefielen ihr.

    „Darf ich Ihnen sagen, dass Ihnen das Dirndl ausnehmend gut steht. Es ist fast so hübsch wie Sie!"

    Marianne errötete. „Oh, Dankeschön."

    Es entstand eine kurze Stille, beide schauten sich an. Und wieder war es Hanns, der zuerst die Worte fand.

    „Darf ich Ihren Namen erfahren?"

    „Marianne…"

    „Ein schöner bayerischer Name. Er passt zu Ihnen. – Wann darf ich Sie denn nun ein bisschen besser kennenlernen?"

    „Ich weiß nicht so recht…", sagte Marianne.

    „Aber ich weiß es! Er griff in die Brusttasche seines Jacketts und entnahm ihr ein kleines Kärtchen. „Hier ist meine Karte…

    Er streckte sie Marianne entgegen. Die nahm sie zwar, behielt sie aber unschlüssig in der Hand und blickte den Mann unsicher an.

    „Oder darf ich Sie anrufen?" fragte Hanns.

    „Ja… das wäre mir ehrlich gesagt lieber."

    „Wunderbar!" Er nahm einen Bierdeckel vom Tisch, zog seinen Füllfederhalter aus der Jackettasche und reichte ihn ihr.

    Hanns sah, wie sich Mariannes Eltern näherten. Er lenkte ihren Blick in diese Richtung und setzte nach.

    „Sie würden mir eine große Freude machen!"

    Marianne zögerte noch eine Sekunde, dann griff sie schnell zu dem Federhalter und notierte ihre Telefonnummer auf den Bierdeckel.

    Hanns steckte den Bierdeckel in sein Jackett und verabschiedete sich höflich, doch recht zügig. Er verspürte keine große Lust, sich mit den Eltern des hübschen Mädchens zu unterhalten.

    Mit einem verschämten, aber sehr neugierigen Lächeln blickte Marianne Hanns hinterher.

    Obwohl Hanns schon am nächsten Tag im Hotel Post in Altötting anrief, kam es nie zu einem Treffen zwischen Marianne und Hanns.

    Marianne hatte einen Fehler gemacht. Gleich nach dem Treffen in München hatte sie ihrer älteren Schwester Gabriele stolz von der Begegnung mit dem Hotelier aus Garmisch erzählt. Gabriele ging zu ihrem Vater und erkundigte sich, ob er ein Hotel Alpenhof in Garmisch und einen Hanns König kennen würde. Die Auskunft fiel sehr positiv aus, zudem sollte der betuchte Hotelier auch ein berühmter Sportler sein. Das brachte Gabriele auf eine Idee. Sie beschloss, sich diesen Hanns König erst mal selbst anzusehen. Schließlich war sie die älteste der vier Töchter, und es ging ja wohl nicht an, dass die jüngere Marianne ihr einen potentiellen Hochzeiter wegschnappte. Noch dazu so eine gute Partie!

    Gabriele hatte Glück. Sie belagerte das einzige Telefon im Hotel, und dann hatte sie ihn tatsächlich in der Leitung. Die Stimme von Hanns König fand sie schon mal vielversprechend, sonor, ruhig und doch zielbewusst. Und Gabriele war gut vorbereitet. Sie verabredete im Namen von Marianne ein Treffen mit Hanns in drei Tagen, wohlwissend, dass Marianne an diesem Tag nicht in Altötting weilte.

    Drei Tage später.

    Hanns König düste gut gelaunt mit seinem Auto nach Altötting. Als ihm Gabriele statt Marianne auf dem Kapellenplatz entgegeneilte, wunderte sich Hanns, aber die selbstbewusste Gabriele ließ ihre jüngere Schwester schnell verblassen. Sie führte ihn in ein nahgelegenes Café und tischte ihm dort eine kleine Lügengeschichte auf, warum Marianne heute kurzfristig wegmusste, und warum er nun leider mit ihr vorliebnehmen müsse. Von „leider" könnte überhaupt keine Rede sein, meinte Hanns charmant. Er freute sich, denn Gabriele war nicht nur aufgeweckter und gesprächiger als ihre Schwester, sie war auch noch ein Stück hübscher. Und so wurde es für beide ein angenehmer Nachmittag bei Kaffee und Kuchen. Schon eine Woche später hatten die beiden ihr erstes Rendezvous in München.

    Hanns nahm sich vor, Gabriele gleich von Anfang an zu beeindrucken. Zwei Tage vor seiner Verabredung fuhr er nach München, ins Grand Hotel Vier Jahreszeiten in der Maximilianstraße. Im bekannten Café Walterspiel wollte er einen Tisch bestellen, aber da gab es eine böse Überraschung. Für deutsche Gäste war das Café gesperrt. Auch hier saßen die Amerikaner fest im Sattel. Nach dem Einmarsch der VII. US-Armee im April 45 hatten die Amerikaner das Hotel beschlagnahmt und richteten dort ihre Kommandozentrale ein. Küche und Restaurant waren zwar im Juni 46 schon wieder in Betrieb, aber nicht für Deutsche.

    Hanns musste etwas anderes finden. In dem zerbombten München war das nicht so einfach. Schließlich wurde er in der Pacellistraße fündig, im Hotel Bayerischer Hof. Obwohl das große Hotel in der Nacht zum 25.4.44 zum Großteil von Bomben zerstört wurde, waren die Renovierungsarbeiten weit fortgeschritten, und der dortige Spiegelsaal war das erste Speiserestaurant, das nach dem Krieg wieder öffnete, im Oktober 45. Hanns gefiel der großzügige Raum mit den vielen Spiegeln, er reservierte einen schönen Tisch, studierte kurz die Speisekarte, alles war vom Feinsten, auch die Preise. Hanns war ein großzügiger Mensch, und wenn etwas Lohnendes auf dem Spiel stand, sollte es nicht billig sein. Selbstverständlich würde er sich beim ersten Treffen nicht lumpen lassen und seinen neuen Schwarm einladen.

    Gabriele zerbrach sich seit Tagen ihren Kopf, was sie beim Rendezvous tragen sollte. Den ganzen Kleiderschrank hatte sie mehrmals durchstöbert, aber was da hing, war alles schrecklich! Sie geriet kurz in Atemnot, fand ihre Kleider durch die Bank altmodisch, hausbacken, verstaubte Vorkriegsmode. Nein, so wollte und konnte sie sich unmöglich präsentieren, wenn sie ihren Plan erfolgreich umsetzen wollte.

    Nach dem ersten vielversprechenden Treffen mit Hanns König konnte Gabriele beim zweiten Treffen nichts mehr dem Zufall überlassen. In einem Stoffgeschäft in Altötting hatte sie einen hübschen blaugrünen Taftstoff gesehen, den musste sie haben. Sie bekniete ihre Mama so lange, bis diese nachgab und ihr den Stoff kaufte. Anschließend eilte sie mit dem Stoff zu einer Schneiderin, die für ihre Mutter arbeitete. Die musste ihr unbedingt ein schickes Kleid daraus nähen, und zwar in vier Tagen! Ein Bild aus einer Zeitschrift und einen ähnlichen Schnitt dazu hatte sie gleich mitgebracht. Deswegen hatte sie extra zwei teure Zeitschriften gekauft, die eine hieß „Glamour!, die andere „CLAUDINE – ein Fashionmagazin. Und für den Tag des Rendezvous hatte sie sich einen Friseurtermin reservieren lassen – auch dazu hatte sie ein Foto mitgebracht, von Ava Gardner. Gabriele fand, dass sie der hübschen Hollywood-Schauspielerin ähnlich sah. „Genau so!, sagte sie zu der Friseuse, „will ich meine Haare!

    Pünktlich um 18 Uhr trafen sich die beiden im Bayerischen Hof. Und schon in der Garderobe zum Spiegelsaal, als Hanns Gabriele galant beim Ausziehen ihres Mantels half und sie sich zum ersten Mal in ihrem neuen Kleid präsentierte, stieß er einen leisen Pfiff aus.

    „Gabriele, Sie sehen bezaubernd aus!"

    Und das tat sie. In ihrem Kleid aus blaugrünem Seidentaft war sie eine Augenweide, an den richtigen Stellen lag es eng an, betonte sowohl Hüfte, als auch ihre Oberweite und besaß ein vielversprechendes Dekolleté.

    Hanns und Gabriele K.

    Hanns bot ihr den Arm und führte Gabriele stolz in den Speisesaal. Der Oberkellner eilte ihnen entgegen und leitete das glamouröse Paar durch den bereits gut besetzten Raum bis zu ihrem Tisch, der am Ende des Raums lag. Gabriele genoss das Defilee, spürte die vielen Blicke. Die der Männer drückten Bewunderung aus, die der Frauen Neid. Im warmen Licht des Spiegelsaals kam ihr Kleid wunderbar zur Geltung. Der matte und doch intensive Glanz des Seidentafts, dazu die raffinierten Changeant-Effekte je nach Lichteinfall ließen ihre Figur noch femininer erscheinen. Gabriele konnte nicht umhin, sich selbst in den vielen Spiegeln zu betrachten. Und sie war ziemlich zufrieden mit dem, was sie sah.

    Auch Hanns König machte eine gute Figur. Er trug einen dunkelblauen, gestreiften Zweireiher mit breitem Revers, ein hellblaues Hemd mit rotblau gestreifter Krawatte. Von ihrem Tisch hatten die beiden einen guten Überblick über den großen Raum. Er maß vier Meter in der Höhe, besaß eine opulente Stuckdecke und an kunstvoll verzierte Marmorsäulen.

    Zwischen den zwei Meter hohen Silberspiegeln befanden sich edle Wandleuchten, die den Eindruck vermittelten, König Ludwig II. wäre Stammgast gewesen. Es gab abwechselnd Zweier- und Vierertische, alle mit gestärkten Leinendecken und gefalteten Leinenservietten. Gabriele und Hanns saßen an einem Zweiertisch über Eck an der Wand, waren sich ziemlich nahe.

    Obwohl Gabriele zum ersten Mal in so ein nobles Etablissement ausgeführt wurde, fühlte sie sogleich eine wohlige Angemessenheit. Sie strahlte ihr Spiegelbild an, dann strahlte sie Hanns an.

    Hier gefällt es mir, dachte sie, hier gehöre ich hin. So möchte ich leben.

    Sie wollte alles tun, um zur großen Gesellschaft zu gehören. Gabriele fixierte Hanns König, der gerade dem Kellner ein Zeichen machte. König besaß ein markantes Kinn und strahlte eine virile Entschlossenheit aus. Sollte er ihr Sprungbrett für ein angenehmes, sorgenfreies Leben sein? Sollte Gabriele den Sprung wagen?

    Der Kellner trat an den Tisch und reichte ihnen die Menükarten. Hanns schenkte Gabriele ein großzügiges Lachen.

    „Selbstverständlich sind Sie mein Gast. Den Wein werde ich aussuchen, wenn Sie nichts dagegen haben."

    Gabriele hatte nichts dagegen.

    Es wurde ein Abend des Abtastens und vorsichtigen Annäherns. Nach dem zweiten Glas Weißwein, einem köstlichen Mosel, das Hanns bereits vor dem Hauptgang geleert hatte, fragte er geradeheraus, ob sie etwas dagegen hätte, wenn sie sich duzten.

    Gabriele hatte nichts dagegen.

    Hanns war es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Durch seine sportlichen und beruflichen Erfolge empfand er es als normal, dass man ihm zuhörte. Und da Hanns ein guter Redner war und Gabriele lieber mehr von ihm erfahren wollte als allzu viel von sich preiszugeben, kamen beide auf ihre Kosten. Hanns, in seiner Eitelkeit geschmeichelt, fühlte sich pudelwohl und genoss die Blicke der Herren auf seine Begleiterin.

    „Seit wann leitest du den Alpenhof?" fragte sie.

    „Eigentlich schon seit 33, mein Vater war nicht mehr so recht auf dem Damm und hat das meiste mir überlassen."

    „Da warst du ja noch blutjung, kolossal!"

    „Ja, das war mir nur recht. Weißt du, ich bin mehr ein Mann für die erste Reihe, ich liebe es, wenn ich das Sagen habe! " Dann lachte er laut und kaute genussvoll an seiner Entenhälfte.

    Da Hanns ein schneller Esser und gleichzeitig ein ungeduldiger Mensch war, blieb es manchmal nicht aus, dass er mit halbvollem Mund weitersprach, und Gabriele in den zweifelhaften Genuss kam, das Essen in seinem halbgeöffneten Mund zu betrachten.

    Da sitzt mir ein sehr selbstbewusster Mann gegenüber, dachte Gabriele, aber an seinen Manieren müssen wir noch ein wenig feilen.

    „Sind deine Eltern noch in Garmisch?" fragte Gabriele.

    „Nein. Die sind leider beide schon gestorben. Meine Mutter 44 und mein alter Herr 45.

    „Oh, das tut mir leid. Und so kurz vor Kriegsende…"

    „Ja, sagte Hanns, „aber sie waren beide keine Kriegsopfer. Garmisch ist fast vollständig von Bombenangriffen verschont geblieben. Wir hatten Glück.

    „Das ist schön! Sonst könnte ich jetzt nicht mit dir hier sitzen… Gabriele lächelte ihn an und legte ihre Hand auf seine. Sie hatte eine kühle Hand, doch Hanns wurde es warm ums Herz. Er beugte sich leicht über den Tisch und flüsterte: „Ich fände das schade…

    Gabriele beugte sich nun ebenfalls leicht vor und flüsterte:

    „Sehr, sehr schade."

    Durch ihre nach vorne gebeugte Haltung konnte Hanns ihr ins Dekolleté schauen. Er sah den Ansatz ihrer vollen Brüste und ihm wurde noch wärmer ums Herz. Er beschloss, wenn sie alleine wären, würde er eine Annäherung wagen. Und versuchen, sie zu küssen. Vielleicht bei der Verabschiedung.

    Gabriele bemerkte seinen lüsternen Blick, entzog ihm die Hand und lehnte sich wieder zurück.

    „Dann hat euer Hotel gar nichts abbekommen?"

    „Zumindest keine Bomben. Aber wie ich dir schon erzählt habe, sitzen immer noch die Amis im Hotel und lassen es sich da gut gehen…" Zum ersten Mal verlor Hanns seinen zufriedenen Gesichtsausdruck.

    „Und dagegen kann man gar nichts unternehmen?"

    „Mei, das ist schwierig. Die Amis sind die Kriegsgewinner."

    Er trank einen großen Schluck und nickte fatalistisch.

    „Gibt es irgendeinen Zeitplan, wann die Amerikaner wieder abziehen?"

    „Gute Frage", sagte Hanns. „Aber die Burschen lassen sich da leider nicht in die

    Karten schauen. Ich kenne den Oberkommandeur, der sagt immer nur: 'Patience, my friend, patience. We will see…'?"

    „Verstehe", sagte Gabriele. Sie konnte Englisch aus der Schule.

    „`And don´t be a fool`, zitierte Hanns weiter, „`You are not in the position to make claims here! You can be glad we do not capture you. You have to wait until we're done here. You got me!`

    „Das ist sicher nicht leicht für dich."

    Hanns nickte, trank noch einen Schluck.

    Gabriele spürte, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte und wechselte das Thema. „Mein Vater hat mir erzählt, dass du eine Sportskanone im Bobfahren bist?"

    Hanns Augen leuchteten wieder auf. „Was hat er denn erzählt, dein Herr Papa?"

    „Nicht viel, nur dass du Weltmeister warst, im Zweierbob, glaub ich."

    „Dreifacher Weltmeister. Zweimal im Zweier und einmal im Viererbob."

    „Toll! Und bist du nicht auch Olympiasieger?"

    „Nicht ganz, ich habe zweimal Bronze gewonnen?"

    „Beeindruckend!"

    „Das war 1928 in St. Moritz. Wir hatten noch Fünferbobs, und das Beste war, es war die allererste Medaille für Deutschland."

    „Darauf kannst du stolz sein! Und wann die zweite?"

    „Vier Jahre später in Lake Placid. Hanns war nun in seinem Element, er beugte sich wieder vor und erzählte begeistert weiter. „Und stell dir vor, Gabriele, früher sind wir sogar im Fünferbob liegend gefahren!

    Hanns K. liegend im Fünferbob

    „Unglaublich! War das nicht enorm gefährlich?"

    „Ein bisschen schon…, sagte Hanns mit einem männlichen Lächeln. „Vor 1930 ist man tatsächlich liegend im Bob gefahren, mit dem Gesicht nach vorne, alle auf dem Bauch, fünf Männer mehr übereinander als hintereinander. Ich war immer der Steuermann…

    Hanns erzählte und erzählte. Und Gabriele lauschte.

    Bobfahrer leben gefährlich

    Todessturz in der Bayernkurve am Riessersee

    So ging das eine Weile. Als Hanns eine kleine Pause machte, versuchte Gabriele das zu erfahren, was sie am meisten interessierte.

    „Wieso ist ein Mann in den besten Jahren, ein fescher Kerl wie du, nicht verheiratet?" fragte sie kokett.

    Hanns zögerte einen Moment, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme.

    „Vielleicht ist dem feschen Kerl noch nie die richtige Frau begegnet…"

    Nun war es an Gabriele, ihm etwas näher zu kommen. Sie beugte sich nach vorne. „Oder vielleicht hat der fesche Kerl keine Lust, sich fest zu binden?" sagte sie ohne eine Spur eines Lächelns in ihren hellblauen Augen.

    Der humorlose Ton der Fragestellung ließ Hanns aufhorchen. Er wollte sich nicht in eine ungute Ecke drängen lassen und kam nun mit einer Wahrheit raus, die er nur ungern preisgeben wollte.

    „Naja, weißt du, eigentlich war ich schon mal verheiratet…"

    „Ach."

    „Ja, aber es war Krieg. Du weißt doch, wie das war. Wir haben uns nur auf meinem Heimaturlaub gesehen, meistens hatte ich nur ein Wochenende Zeit, dann musste ich wieder weg."

    „Erzähl mir mehr. Wie alt war sie? Wie sah sie aus? Wie heißt sie?"

    „Na ja, sie sah schon gut aus. Aber ganz anders als du. Sie war blond, ein bisschen pummelig, sie war damals dreiundzwanzig."

    „Und wie heißt sie?"

    „Ursula Boller."

    Dann schwiegen beide eine Weile. Jeder hing seinen Gedanken nach.

    „Du bist ganz schön neugierig", sagte Hanns.

    „Wie lange hast du sie denn gekannt, dieses Fräulein Boller? Sie drehte sich zur Seite. „Gott, was für ein schrecklicher Name…

    „Wie bitte?"

    „Ach nichts."

    „Drei Monate. Habe ich sie gekannt."

    „Was, nur drei Monate, und dann habt ihr schon geheiratet?"

    „Ja, wir kannten uns gerade ein paar Wochen, und dann bin ich eingezogen worden, musste weit weg. Und beim zweiten Mal, als ich nur für zwei Tage zurückkam, haben wir geheiratet."

    „Wolltest du sie denn heiraten?"

    „Na ja…", Hanns zögerte mit seiner Antwort.

    „Oder musstest du sie heiraten?"

    „Quatsch! – Wieso sollte ich denn müssen?"

    „Na, warum wohl…?" sagte Gabriele und blinzelte Hanns von unten herauf an.

    Sie hatte die feminine Eigenschaft, sich bei wichtigen Männern kleiner machen zu können, als sie in Wirklichkeit war. Das gab den Männern, besonders den kleineren Exemplaren, das

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