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Abgesoffen - Die Milliardenlüge: Die wahre Geschichte über den größten deutschen Kapitalanlagebetrug
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eBook365 Seiten3 Stunden

Abgesoffen - Die Milliardenlüge: Die wahre Geschichte über den größten deutschen Kapitalanlagebetrug

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Über dieses E-Book

WIE MAN EINE MILLION FRACHTCONTAINER AN ANLEGER VERKAUFT, DIE ES NIE GAB.
P&R Container Investments. Ein faszinierendes Investment-Unternehmen, das mit nur 30 Angestellten bis zu fünf Milliarden Anlegergelder einwirbt und für 54.000 Kleinanleger verwaltet. Das Anlagemodell ist sensationell einfach und transparent. Renditen werden seit 1975 Jahren voll ausbezahlt.
Die Insolvenz 2018 mit vier Milliarden Euro im Feuer stellt sich als der größte Anlegerbetrug der deutschen Nachkriegsgeschichte heraus. Eine Million an Anleger verkaufte Frachtcontainer existieren nur auf dem Papier. Eine Million Mal Luft verkauft. Ein gigantisches Milliarden-Schneeballsystem, das mindestens zehn Jahre lang unentdeckt geblieben ist. 54.000 Kleinanleger, überwiegend Rentner, verlieren ihre Ersparnisse, viele ihre Existenz.
Das vorliegende Buch erzählt detailliert recherchiert den Milliardenbetrug, der als einer der größten Wirtschaftskriminalfälle, gelten darf: Vergleichbar mit dem aktuellen Wirecard-Skandal, in der Größenordnung und im vollständigen Versagen aller Prüf- und Kontrollorgane, wie Wirtschaftsprüfer und Finanzdienstleistungs-Aufsicht BaFin.
Das Buch dokumentiert, wie der Betrug weit über zehn Jahre lang funktionieren konnte, wie das Schattenimperium organisiert war, welche kriminelle Energie in einem fantastischen Schneeballsystem hinter allem stand, wie perfide die Verantwortlichen das Vertrauen von zehntausenden Kleinanlegern und den eigenen Mitarbeitern gewinnen und skrupellos ausnutzen konnten.
Es ist die wahrhaftige, unfassbare Geschichte über grenzenlose Gier, Brutalität, über kaum glaubliche Zufälle und über das Versagen aller Aufsichtsorgane, auf die sich die zehntausenden Kleinanleger verlassen haben.

»Die einzigartige Innenansicht eines Jahrhundertschwindels«*
»Näher dran als er (der Autor) kam kaum einer«*
*Spiegel, Nr. 49 I 2020 über die diesem Buch zugrundeliegende Dokumentation
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum23. Apr. 2021
ISBN9783347310377
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    Buchvorschau

    Abgesoffen - Die Milliardenlüge - Hajo Maier

    Kapitel 1

    Eine Million Mal Luft verkauft

    Die letzten Tage eines Champions, der keiner war

    Am 19. März 2018 ist es offiziell: Drei P&R Container-Vertriebs- und Verwaltungsgesellschaften treten mit formaler Mitteilung des zuständigen Amtsgerichts München in die vorläufige Insolvenz ein. ³ Am 26.04.2018 werden eine vierte Vertriebsgesellschaft und die P&R AG folgen. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter wird ein Schwergewicht der Branche bestellt: Michael Jaffé, der zuvor bereits die Mega-Insolvenz um die Kirch-Gruppe abgewickelt hatte und heute, 2021, mit dem Wirecard Skandal beauftragt ist. P&R ist zahlungsunfähig. Zahlungsunfähig nun seit neunzehn Tagen, seit dem 28.02.2018, als über 50.000 Anleger ihre vertraglich garantierten, quartalsweisen Auszahlungen der Mieterlöse erwarten, die ihre Frachtcontainer erwirtschaften sollen. Sie werden vergeblich warten.

    P&R, jahrelang der absolute Star am deutschen Direktinvestment-Firmament, die absolute Nummer eins, Liebling der konservativen Kleinanleger, verwaltet mit insgesamt nur rund 25 Mitarbeitern zu diesem Zeitpunkt ein Milliardenvermögen an Frachtcontainern in seinen Geschäftssitzen im Münchner Millionärsvorort Grünwald und im Schweizer Steuerparadies Zug bei Zürich. Im Verwaltungssystem in Deutschland stehen fantastische Zahlen:

    1,65 Millionen Frachtcontainer, Eigentum von 54.000 Anlegern, die für diese Stahlboxen 3,381 Milliarden Euro bezahlt haben. Für das laufende Jahr 2018 stehen den Anlegern 331,4 Millionen an Mietauszahlungen zu, fällige Rückkäufe der Anlegercontainer durch P&R belaufen sich auf 542 Millionen Euro. Gesamtforderungen der Anleger 2018:873,44 Millionen Euro, die aus Vermarktung, Vermietung, An- und Verkauf der Stahlboxen durch die Schweizer P&R-Gesellschaft erwirtschaftet werden sollen. Soviel zu den monströsen Zahlen.

    P&R kann an jenem 28. Februar 2018 nicht einmal die rund 90 Millionen an fälligen Mieten bezahlen. Geschweige denn die Rückkäufe der Anlegercontainer tätigen, die mit Ende der Vertragslaufzeit nach drei oder fünf Jahren Stück für Stück fällig sind.

    Warum die Zahlungen nicht möglich sind? Zu diesem Zeitpunkt stehen auch die Mitarbeiter in Grünwald vor einem Rätsel. Denn die 1,6 Millionen Container der Anleger sind in langfristigen, festen Mietverhältnissen bei den weltweit größten Leasinggesellschaften und Reedereien fest gebucht und verdienen fest kalkulierbares Geld auf den Weltmeeren. Jeden Tag. Informationen zu den Gründen der Insolvenz erhalten die Mitarbeiter nicht. Auch nicht die Anleger. Dabei gehen die Mitarbeiter in diesen knapp zwei Wochen seit der Zahlungsunfähigkeit bis zur Insolvenzmeldung durch die Hölle, wie ein Angestellter es formuliert: Tausende Anrufe von Anlegern, verunsichert, wütend, fordernd. Nicht selten persönlich drohend. Sie erhalten keine Information. Die Mitarbeiter haben selbst keine. Tausende Briefe in Postkisten – ungeöffnet. Vertragsrücktritte, Klageandrohungen, verzweifelte Briefe von Rentnern, die diese Einnahmen zum Leben brauchen. Es wird notwendig werden, einen privaten Sicherheitsdienst zu beauftragen: Wütende Anleger, die seit fünfzehn Tagen ohne jede Information sind, versammeln sich täglich vor dem Firmeneingang, manche schlagen wütend gegen die Scheiben, verlangen Einlass, ein Gespräch, Aufklärung, die Geschäftsführung. Journalisten belagern das Gebäude, Kameras, Mikrofone, im Garten schleichen Paparazzi herum, billige Boulevardmagazine privater Sender inszenieren später wütende Kunden am Eingang, um diese dann aus sicherer Entfernung zu filmen und für ihre Story zu missbrauchen, indem sie die verzweifelten Menschen bloßstellen. Es ist ein Film. Ein schlechter Film. Aber so läuft er ab. Und die Geschäftsführung mit Martin Ebben und dem Konzerneigentümer Heinz Roth? Abgetaucht.

    »Die haben ihre gesamte Belegschaft an dieser eskalierenden Kunden- und Öffentlichkeitsfront verbrannt, selbst zu feige, Gesicht oder wenigstens Stimme zu zeigen. Von Haltung nicht zu reden. Unsere Kolleginnen haben Angst. Manche weinen vor Angst in diesen Tagen.«

    So formuliert es ein Mitarbeiter, der dabei war.

    Am Donnerstag, den 15.03.2018, also wenige Tage vor der formalen Meldung der Zahlungsunfähigkeit, lässt der Geschäftsführer M. Ebben die rund 25 Mitarbeiter antreten. Im Erdgeschoss, im Konferenzraum. Er lässt es, neue Attitüde seit er im Juli 2017 überraschend Geschäftsführer geworden ist, formal per E-Mail durch seine Assistentin vermelden, dass die Geschäftsführung zur Versammlung in fünfzehn Minuten bittet. Eine jener gestelzt-aufgesetzten albernen Formulierungen, die er sich nach seinem märchenhaften Aufstieg vom Vertriebsmitarbeiter zum Konzernchef über Nacht wohl angeeignet haben soll – im Handbuch für Führungskräfte und Vorstände, wie im Flurfunk gescherzt wird. Statt einfach Martin bittet euch in den Konferenzraum.

    Ebben tritt allein auf. Konzerninhaber und Aufsichtsratschef Heinz Roth, seit zwei Wochen ohne ein Wort zur Belegschaft, ist erneut nicht dabei. Ebben, so der Eindruck, wirkt kleinlaut wie nie. Kleinlaut passt nicht zu ihm.

    »Wir können unsere Anleger nicht mehr ausbezahlen. Die Schweiz hat das Geld nicht. Die Mieten für unsere Anleger. Und bringt absehbar auch nichts bei. Wir haben die Zahlungsunfähigkeit der drei alten Container-Vertriebsgesellschaften jetzt beim Amtsgericht gemeldet.«

    Um dann zu betonen, dass die vierte Gesellschaft, die P&R TC, die er gegründet habe, gesund und zahlungsfähig sei. Er spricht von eben jener neuen, prospektpflichtigen P&R Gesellschaft, die erst seit 30.01.2017 vertreibt und wenige Wochen später ebenfalls zahlungsunfähig sein wird. Zusammen mit der P&R AG.

    Schweigen im Raum. Das Team ist paralysiert. Ohnmächtig. Vor den Kopf gestoßen. Niemand begreift die Situation. Trotz der vergangenen zwei Wochen. Aber es kann nicht sein, was nicht sein darf. Der Containermarkt ist stabil. Die Schweizer P&R erzielt Mieteinnahmen aus den Containern. 60-100 Cent/Tag und Container. 400 Millionen pro Jahr. Nur Mieteinnahmen für die deutschen Anleger. Und die Containerwerte? Es müssten rund 3,5 Milliarden aus 1,6 Millionen Containern sein. Wo ist das Geld? Und vor allem: Wenn die deutschen Gesellschaften in Folge der Zahlungsunfähigkeit der Schweizer P&R-Gesellschaft nun selbst zahlungsunfähig sind, wieso ist dann die Schweizer P&R, die den deutschen Anlegern das Geld schuldet, nicht insolvent? Fragen sind nicht erwünscht.

    Ebben fährt fort an jenem Morgen, er wirkt wieder selbstbewusster, wird in wenigen Minuten wieder zu dem Ebben werden, der er als Vorstand gerne sein möchte. Als Mann mit Plan und Idee. Er erzählt von einer schwierigen Situation, der gesetzlichen Vorgabe, Zahlungsprobleme zu melden, sobald sie erkennbar sind, damit keine Insolvenzverschleppung eintritt. Monate später wird Ebben selbst der Insolvenzverschleppung beschuldigt werden. Über rund 50 Mio. Euro, die er noch ausbezahlt hat Anfang März 2018. Obwohl P&R pleite ist.

    Ebben will positiv wirken. Ein Kapitän, der das Schiff durch schwere See lenkt. Und fantasiert sein Ziel, eine Insolvenz in Eigenverwaltung zu erreichen. Eigenverwaltung – also bleibt die Geschäftsführung, er, eingesetzt, der Insolvenzverwalter sieht ihm auf die Finger, vor allem aber: Insolvenzgericht mit Insolvenzverwalter sehen eine positive Prognose zur Restrukturierung. Ein realistisches Ziel, wie Ebben wohl betont. Das klingt für die Mitarbeiter nach etwas Hoffnung. Auch wenn die Wenigsten etwas davon verstehen. Die Lage scheint beherrschbar. Der Konzern sanierbar. Ebbens Aussagen der letzten Monate, man habe hier und da nur ein Liquiditätsproblem, scheinen sich zu bewahrheiten. Greifbare, konkrete Informationen zu den Gründen, zum Hergang, zur Situation, bleibt er schuldig. Der Form halber verfügt er noch ausdrücklich an diesem Tag, dass keine Informationen an Kunden und Presse gehen, keine vertraglichen Vorgänge mehr bearbeitet werden dürfen, keine Eigentumszertifikate oder sonstige Urkunden ausgestellt werden. Kundenfragen sollen mit dem Textbaustein beantwortet werden, dass zeitnah eine offizielle Pressemeldung herausgegeben werden soll.

    Ein leitender P&R Mitarbeiter beschreibt den gesamten Vortrag Ebbens später mit Kopfschütteln: Hohle Phrasen des gelernten Vertrieblers Ebben. Seine Verkäufer-DNA. Er glaubt, dass selbst in dieser Situation eine laut formulierte Phantasie-Propaganda über positive Aussichten genüge, damit die Situation selbst sich ändern würde. Self-fullfilling prophecy.

    Wenige Tage später, direkt nach der Insolvenzmeldung der drei ersten Gesellschaften, die allein 2,943 Milliarden an Anlegervermögen verwalten, also den Löwenanteil, wird Ebben erneut vor die Belegschaft treten. Bestens gelaunt. Lauter. Selbstbewusst. Wie er beschrieben wird. Er ist wieder der Alte. Er vermeldet, dass in einer Stunde der vorläufige Insolvenzverwalter, ein Dr. Jaffé mit Team, einlaufen wird. Dazu die Unternehmensberatung PWC, dazu eine weitere Anwaltskanzlei Ashurst als Verfahrensbevollmächtigte der insolventen Gesellschaften. Ebben grinst dabei »Wird voll hier.« Um dann, wohl langsam, fast genießend, zu wiederholen:

    »Wir restrukturieren. Vielleicht in Eigenverwaltung.«

    Er meint es sicher gut. Ähnlich hat sich auch der Konzernboss Heinz Roth dem Marketingleiter gegenüber unter vier Augen geäußert. Zwischen Tür und Angel. Flurbegegnung. Er ist sonst ja eingeschlossen in seinem Büro. Seit zwei Wochen. Alles ist nur ein formaler Akt. Restrukturierung ist das Ziel. Alles wird sich geben. Es ist ja möglich, bei all den Milliardenwerten, die vorhanden sind. Denkt sein Gesprächspartner.

    Nur wenige Minuten nach Ebbens Auftritt kommt Jaffé in Grünwald an. Es wirkt eher wie ein Staatsbesuch in einer Bananenrepublik: Jaffé, der bestellte vorläufige Insolvenzverwalter mit seinem Chauffeur und einem mehrköpfigen Stab im Schlepptau, die Unternehmensberater von PWC mit zirka sechs Personen, der für die vorläufig insolventen Gesellschaften beauftragte Prozess-bevollmächtige Anwalt. Sie alle machen sich breit, ihnen werden Arbeitszimmer zugewiesen, Rechner verkabelt, filmreif.

    Jaffé bestellt die Mannschaft ein. Stellt sich und seine beiden bei ihm angestellten Insolvenzanwälte Dr. Schuster und Dr. Heinke vor. Die beiden wirken sehr ruhig, sympathisch, durchaus. Souverän. Jaffé, das ist inzwischen durchgedrungen, muss ein absolutes Brett als Insolvenzjurist sein: Einer der besten und bekanntesten Fachanwälte der Republik auf diesem Rechtsgebiet. Im Verlauf der nächsten Monate wird sich zeigen: Das ist er auch. Fachlich.

    Jaffé ist beides: Bewaffnet mit einem enormen Selbstbewusstsein, ein wenig großspurig, ja. Hemdsärmelig. Aber keineswegs unsympathisch. Er signalisiert jedenfalls ab der ersten Minute, wer hier künftig der Boss ist. Er erzählt kurz über seine Kanzlei, die Groß-Insolvenzen, die er bereits abgewickelt hat, darunter auch die Kirch-Gruppe, umreißt die Gesamtsituation P&R, sieht sie durchaus nicht hoffnungslos, erwähnt die ungeheuren Vermögenswerte im Unternehmen und vor allem: Er betrachtet es als Glücksfall, eine so kleine Mannschaft bei so hohen vorhandenen Vermögenswerten vorzufinden. Fünfundzwanzig Angestellte. Und signalisiert, dass man diese Mitarbeiterstärke wohl in jedem Fall weiterhin beschäftigen wird. Möglicherweise über Jahre.

    Jaffé vermittelt glaubhaft, dass trotz möglicher Fehlbeträge doch mehrere Milliarden an Vermögenswerten vorhanden sein sollten, die nun, in den Folgemonaten, genau festzustellen sind. Die Wahrheit kann er nicht kennen zu diesem Zeitpunkt. Der Gesamteindruck also, inhaltlich, auch in den Botschaften und Signalen, die Jaffé sendet, sind positiv. Die Mannschaft hat das Gefühl, dass dieser Mann alles im Griff hat. Routinen. Das Unternehmen ist nicht tot.

    Nur erneut knapp zwei Monate später wird Jaffé nach der vorläufigen ersten Vermögensfeststellung entdecken: Von 1,6 Millionen Containern, die Anleger erworben haben, existieren nur rund 600.000.

    EINE MILLION FRACHTCONTAINER, KNAPP ZWEI DRITTEL, GIBT ES NICHT.

    Eine Million Frachtcontainer – aneinandergereiht die Strecke von Hamburg nach New York. Es wird sich zeigen: Es gab sie nie. Nicht in der Schweiz. Nicht bei den Leasingpartnern. Nicht bei den Reedereien. Nicht auf Schiffen. Nicht in irgendwelchen Umschlaghäfen. Knapp zwei Drittel dieses Milliardenvermögens, mit dem Jaffé für sich und die Anleger fest gerechnet hat, ist nicht vorhanden. P&R hat seinen Anlegern eine Million Container verkauft, die niemals angeschafft worden waren. Eine Million Mal Luft gegen Milliardeneinnahmen.

    Diese später in den Gutachten auch offiziell bestätigte Erkenntnis ist für alle an dieser Insolvenz Beteiligten und Betroffenen niederschmetternd. Aus der Mega-Insolvenz ist der größte Anlegerbetrug der deutschen, wohl europäischen Nachkriegsgeschichte geworden. ⁶ Die Anleger wissen davon noch nichts zu diesem Zeitpunkt. Der Konzerneigentümer Heinz Roth weiß es. Schon lange.

    Die Dimension ist in diesen Augenblicken nicht fassbar, nicht glaubhaft, für all jene, die dabei sind. Es wirkt surreal. Vor allem, wenn man später erfahren wird, dass dieses Betrugssystem seit mindestens zehn bis fünfzehn Jahren schon betrieben wird. Erfolgreich, wenn das Wort gestattet ist an dieser Stelle. Wie ein solch gigantisches Milliarden-Schneeball-System über so viele Jahre funktionieren kann, unentdeckt, ist selbst für einen wie Jaffé unvorstellbar, wie er selbst sagt. Es werden weitere Entdeckungen folgen.

    Heute, im März 2021, also knapp drei Jahre nach der Insolvenz, ist die Bilanz der Ermittlungen mehr als dürftig: Drei mutmaßlich Hauptverantwortliche mit dem Vorstandsvorsitzenden Werner Feldkamp (†5.2016), dem Vorstand Vertrieb Wolfgang Stömmer (†6.2018) und Konzerneigentümer Heinz Roth (†12.2020), sind tot. Ungeklärter Tod, Suizid, Erkrankung. Alles dabei.

    Die strafrechtlichen Ermittlungen gegen noch lebende mutmaßlich Beteiligte Führungskräfte aus Deutschland und der Schweiz gestalten sich als zähe Ermittlungen, möglicherweise ergebnislos, wie der Staatsanwalt Ende 2020 gegenüber dem Spiegel (Heft 49 I 2020)⁷ zugeben muss.

    Das Verfahren gegen den letzten Geschäftsführer, Martin Ebben, ist im Juli 2020 eingestellt worden. Er hat angeblich zu wenig gewusst, um etwas begriffen zu haben. Sieht auch die Staatsanwaltschaft I in München so.⁸ Die Zivilgerichte urteilen in ersten Haftungsklagen gegenteilig.⁹

    Insgesamt die Justiz-Bilanz nach drei Jahren: Ein monströser Milliardenbetrug – aber keiner will es gewesen sein. Und Tote kann man nicht mehr anklagen.

    1975

    Kapitel 2

    Das geniale Geschäftsmodell des Heinz Roth

    Die Finanzierung eines Milliardenmarktes durch Kleinanleger

    Wir schreiben das Jahr 1975. Heinz Roth hat eine Idee: Die Vorfinanzierung großer Containerflotten durch private Investoren. Eine Idee, die so einfach ist und damals so naheliegend, dass man sich fragen darf: Warum haben große, leistungsfähige Investmentgesellschaften oder Banken dieses Geschäft nicht selbst betrieben? Wahrscheinlich weil es war, wie so oft mit guten Ideen: Viele denken daran. Aber nur einer setzt sie um. Heinz Roth macht es. Zusammen mit seiner damaligen Partnerin Heidrun Pfeiffer. Die neue Firma: Pfeiffer & Roth. Abgekürzt P&R. Die erste Gesellschaft, am 23.12.1975 eingetragen als P&R Pfeiffer & Roth GmbH, seit 21.07.1983 in Grünwald bei München, ab 18.05.1993 als P&R Container Vertriebs- und Verwaltungs-GmbH umfirmiert.¹⁰

    Frachtcontainer als standardisierte und überall einsetzbare Transportkisten gibt es damals noch nicht sehr lang. Seit den 60-er Jahren. Eine Revolution in der internationalen Transportlogistik und im weltweiten Warenverkehr. Standardisierte Kisten, stapelbar wie Legosteine, einfach zu be- und entladen, also umzuschlagen, wie man es nennt. Ein Milliarden-Wachstumsmarkt entsteht. Fracht-Schiffe, Flugzeuge, LKWs und Güterzüge werden für den Transport der Stahlboxen standardisiert, genormt und umkonstruiert. Die größten Seehäfen werden für den Warenumschlag mit Containern umgerüstet. Und in den 70-er Jahren? Beträgt der weltweite Anteil der Waren, die in Containern transportiert werden, gerade einmal zwanzig Prozent des Warenverkehrs insgesamt. 2020 liegt die Quote bei 80 Prozent. Dazu gigantische korrespondierende Wachstumsraten im Welthandel gesamt in den vergangenen vierzig Jahren. Ein astronomischer Wachstumsmarkt also. Die gesamte weltweite Transport- und Logistikindustrie will diese Stahlboxen später, seit Malcom Purcell McLean (*1913 – +2001) die Idee dazu hatte: 1956 fährt das erste Containerschiff, die Ideal X, mit 56 Containern von New York nach Houston. Gegen enorme Widerstände, wie die der Gewerkschaften, die Massentlassungen fürchten. Die Europäer erkennen die Revolution zunächst nicht, sehen nur ein Nischengeschäft in den standardisierten Boxen. Erst 1966, also nur neun Jahre vor Heinz Roths Idee, fahren die ersten Übersee-Frachtcontainer nach Europa. Heute in allen Größen und Ausprägungen. Zwanzig Fuß Standardcontainer, abgekürzt einfach durch 20. Doppelt so große 40-Container. Übergrößen wie High-Cubes, Spezialcontainer wie Kühlcontainer, Schüttgutcontainer, Gefahrengutcontainer. 2016 waren rund 38 Millionen TEU, so die Standard-Einheit für einen 20-Fuß-Container, weltweit unterwegs. Sie wurden 698 Mio. mal im Jahr umgeschlagen. 75% aller Waren im Stückgutverkehr werden allein in Seefrachtcontainern transportiert. Eigentümer sind Leasinggesellschaften (51%), Reedereien (43%) und sonstige Transportgesellschaften (6%).¹¹ Und: Für den reibungslosen Containerumschlag werden pro Schiffs-TEU (ein TEU entspricht einem 20"-Standardcontainer) knapp zwei Container-TEU benötigt. Man benötigt also mehr Container, als es den Ladekapazitäten aller Schiffe weltweit entspricht.

    Vor allem – darin liegt 1975 das geniale Geschäftsmodell des Heinz Roth – Leasingfirmen oder Reedereien benötigen Finanzierungspartner für die Anschaffung von hunderttausenden, ja Millionen von Containern. Milliardenbeträge, die sie selbst nicht aufbringen können. Nicht wollen. Liquidität wäre gebunden. Ein gigantisches Geschäft. Das erkennt Roth, nur wenige Jahre nachdem es überhaupt die standardisierten Stahlboxen in Europa gibt, die die Logistikbranchen revolutionieren werden. Er setzt seine Idee um. Er ist ein Macher. Ein Unternehmer. Intuitiv. Kein Theoretiker. Kein Akademiker. Keiner, der lange fackelt. Er hat ein gutes Gefühl für das richtige Geschäft zur richtigen Zeit. So hat ihn sein Sohn Harald 2012 beschrieben. Tatsächlich wohl, so die Legende, besteht der ganze Roth-Businessplan, wie man es heute nennen würde, 1975 aus einer hingerotzten Skizze auf einem Schmierzettel, der später im P&R-Markenbuch abgebildet wird. So strickt man Legenden. Der sprichwörtliche Bierdeckel, wie Feldkamp, der langjährige Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzende, einmal in Plauderlaune erzählt haben soll, über diese Anfänge einer Milliarden-Idee:

    Die Vor-Finanzierung der benötigten Container für die Frachtindustrie durch private Investoren, durch tausende Kleinanleger also, die die von den Industrien benötigten Container von P&R erwerben, sie von P&R verwalten, vermieten und vermarkten lassen, im Gegenzug an den Mieteinnahmen dieser Container über einen festen Zeitraum beteiligt werden und sie später wieder an P&R zurückverkaufen dürfen. Mit Renditen, von denen wir heute träumen: In den 80-ern wohl nicht selten bei fünfzehn Prozent. Und die Industriepartner, Reedereien, zum Beispiel? Bezahlen für die Fremdfinanzierung ihrer Container durch die P&R Investoren gerne etwas mehr und behalten im Gegenzug die für sie so wichtige Liquidität. Einleuchtend, wenn man grob überschlägt, welche Summen nötig sind, nur um ein einziges mittelgroßes Frachtschiff mit Containern auszustatten. Astronomisch. Wenn ein Schiff 4.000 Container laden kann, bei beispielhaften Kosten von 1.500 $ pro Neucontainer muss die Reederei 6 Millionen aufbringen. Bei zehn Schiffen 60 Millionen. Die Mega-Frachter heute können 20.000 Container laden. Containerwerte: 30 Millionen. Ein Finanzierungsproblem. Vor allem aber: Ein Liquiditätsproblem. Sehr vereinfacht dargestellt. Im Übrigen werden Reedereien von den kreditgebenden Banken damals und auch heute noch als risikoreich in ihrer Kreditwürdigkeit betrachtet. Was Kreditkosten wieder steigen lässt. Für die Industriepartner deutlich einfacher: Finanzierung durch P&R. Statt bei den Banken betteln zu gehen. Und bei den Industrien bereits vorhandene Container werden an P&R verkauft und zurückgemietet. Sale & Leaseback.

    Dieses Geschäftsmodell bleibt bis zum bitteren Ende im Grunde unverändert. Die Transportindustrien ebenso wie private Anleger zeigen sich begeistert, das Business wächst kontinuierlich, der Markt explodiert, der Welthandel ebenfalls, immer mehr Container werden benötigt.

    Feldkamp wird am 21.10.1992 zum Geschäftsführer bestellt. Er ist seit den 80-ern mit an Bord. Ein Bleistiftspitzer. Number-Cruncher. Finanzbuchhalter. Kein Kaufmann. Zuständig für Zahlen und Steuern. Kein Controller, der Strategien aus Zahlen entwickeln kann. Mit Steuern kennt er sich aus. Mit Buchhaltung. Genau, was Roth braucht. Weil die P&R Finanzprodukte nur aus einem Grund so attraktiv sein werden: Durch die steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die bei den Finanzdirektionen dann als eigene Lex P&R verankert werden.

    Stömmer stößt etwas später dazu. Er soll die Finanzprodukte vertreiben. Das Business ist zu groß geworden. Stück für Stück kommt es zur Verantwortungsaufteilung: Feldkamp ist zuständig für Finanzen und Zahlen in Deutschland und der Schweiz. Roth Senior ist zuständig für Handel und Vermarktung, die ab 1982 in der Schweiz erfolgt. Stömmer unter dem dominanten Feldkamp übernimmt als Vertriebsleiter und gelernter Bankkaufmann den Verkauf in Deutschland. Roth und Feldkamp gründen weitere P&R Gesellschaften im Lauf der Jahre, sogenannte Vertriebs- und Verwaltungsgesellschaften, Sitz in Deutschland / Grünwald, die sich nur durch unterschiedliche Container-Typen, Laufzeiten und an Steuermodelle angepasste Vertragskonditionen für die Anleger unterscheiden sollen. So entstehen die nach außen bekannten deutschen Geldsammel-Firmen, wie sie auch 2008 bestehen, als das monströse Schneeballsystem nachvollziehbar beginnt – und wie sie noch 2018 bestehen. Eben jene Firmen, die als Vertragspartner zu den Privatinvestoren fungieren, die die Kauf- und Verwaltungsverträge abschließen und die Milliarden-Einlagen der Investoren zum Kauf der benötigten Container an die Schweizer P&R weiterleiten sollen: Die P&R Container Vertriebsund Verwaltungs-GmbH, die Neucontainer vertreibt, Kurzname: LF. Die P&R Gebrauchtcontainer Vertriebsund Verwaltungs-GmbH, die Gebrauchtcontainer vertreibt, Kurzname: GC. Die P&R Container Leasing GmbH, die ein anderes Steuermodell unabhängig von Containertyp und Alter vertreibt, Kurzname: CL. Diese drei Gesellschaften wird Feldkamp dann am 14.06.2012 als 100%-ige Töchter unter das Dach einer neuen P&R AG eingliedern. Ab 01. Januar 2017 löst eine reaktivierte, prospektpflichtige P&R Transport Container GmbH, die alle Container-Typen unabhängig vom Alter vertreibt, Kurzname TC, die drei AG-Töchter ab, die die Prospektpflicht nicht erfüllen können und aus dem Vertrieb genommen werden. Es gibt handfeste Gründe dafür.

    Die Vermarktung der Anlegercontainer, mit Handel und Vermietung, verlegt Roth bereits 1982 in die neu gegründete P&R Equipment & Finance Corp. in die Schweiz, eine unabhängige Gesellschaft, die mit den deutschen Gesellschaften nur durch den gemeinsamen Eigentümer Heinz Roth verbunden ist, ein Personenkonzern gesellschaftsrechtlich. Ein Umstand, der später wichtig werden wird. Es wird sich zeigen, dass das Roth-Imperium noch sehr viel mehr Firmen umfasst. Firmen, deren Geschäftszweck im Dunkeln bleiben. Firmen, die keiner kennt. Firmen, die nicht entdeckt werden sollen. Die aber alle den gigantischen Schneeball, das System Roth stützen und bedienen.

    Roth sen. wird sich gegen 2007 offiziell aus dem operativen Geschäft in Deutschland zurückziehen. Sein Sohn Harald übernimmt. Die Schweiz bedient Roth sen. wohl weiterhin beratend. Zu gut sind seine persönlichen Kontakte in die Container-Branchen. Er zieht sich, offiziell, Stück für Stück auf die Karibikinsel St. Barth zurück. Seine Villa in Grünwald behält er, ebenso sein Haus in St. Johann in Österreich, im Schweizer Zug ist er wohl, wenn es nötig scheint.

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