Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Du hast Unrecht getan
Du hast Unrecht getan
Du hast Unrecht getan
eBook372 Seiten4 Stunden

Du hast Unrecht getan

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Stell dir vor, du weißt nicht, was du letzte Nacht getan hast!

Als es in der kalifornischen Kleinstadt Santa Barbara plötzlich zu bestialischen Morden an mehreren Ärzten kommt, führt die Spur bald zu der chinesischen Ärztin und Virologin Doktor Samantha Lee, die vor siebzehn Jahren von Hongkong nach Amerika ausgewandert war.
Doktor Lee driftet immer mehr in ihre dunklen Alpträume und Flashbacks aus ihrer Kindheit ab. Als noch ein Toter auf ihrem Grundstück gefunden wird, zieht sich die Schlinge immer weiter zu.
Ist es möglich, dass sie für die Morde verantwortlich ist?
SpracheDeutsch
Herausgebertredition
Erscheinungsdatum8. Sept. 2020
ISBN9783347114418
Du hast Unrecht getan

Ähnlich wie Du hast Unrecht getan

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Du hast Unrecht getan

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Du hast Unrecht getan - Barbara Hainacher

    1

    Freitag, 28. November Kalifornien/Santa Barbara

    Wie vom Blitz getroffen fuhr Samantha Lee hoch und sah erschrocken zum Fenster. Ein lautes Geräusch hatte sie aus ihrem seit beinahe zwanzig Jahren wiederkehrenden Albtraum gerissen. Etwas war gegen die Scheibe geflogen. Sie hüpfte mit erhöhtem Pulsschlag aus dem Bett, gefolgt von Laotse, ihrem Jack Russell Terrier, der laut bellte, und setzte ihre Brille auf. Aufgeregt ging sie auf das Fenster zu, durch das sie auf das türkisfarbene Meer blicken konnte. Das Fenster war zum Glück nicht gesprungen. Ein paar Federn hingen an der Außenseite der Scheibe. Sie öffnete es, nahm die Federn in die Hand und begutachtete sie.

    Möwen, registrierte sie erleichtert und sah hinab auf den Sandstrand und das türkisfarbene Meer, das heute aufgepeitscht wirkte. Dann ließ sie ihren Blick auf den Felsen unter ihr wandern, auf dem ihr Haus stand und der in der Morgensonne leuchtete.

    Nachdem sie sich überzeugt hatte, dass sich der Vogel weder an der Steilwand noch am fünfzig Meter darunter befindlichen Sandstrand befand - sofern sie es von hier oben feststellen konnte - beschloss sie, wieder ins Bett zurückzukehren. Doch als sie die Fenster schließen wollte, wehte der Wind plötzlich einen Geruch heran, der sie an Sandelholz, Schwefel und einen würzigen Tabakrauch oder Räucherstäbchen erinnerte. Doch da war noch eine andere Nuance, die sie wahrnahm. Ein Geruch nach Tod und Verwesung und nach Bärenfellen!

    Seltsam! Sie blickte noch einmal verwundert aus dem Fenster, zuerst nach links, doch da gab es nur den Felsvorsprung, dann nach rechts zur Straße, die sich an dem Felsen entlangschlängelte und an ihrem Haus vorbeiführte. Die Straße war noch unbefahren, was sich bald ändern würde, wenn der Berufsverkehr einsetzte. Niemand war zu sehen!

    Sie sog den intensiven Geruch tief ein und versuchte sich zu erinnern, wo sie ihn früher schon einmal gerochen hatte. Laotse schien ihn ebenso wahrzunehmen, denn er bellte laut und hüpfte am Fenster hoch.

    Als es ihr nicht einfallen wollte, ging sie nachdenklich und mit beschleunigtem Puls mit den Federn wieder zurück zu ihrem Bett. Alles ist wieder normal, versuchte sie sich zu beruhigen, während sie die Brille und die Federn auf den Nachttisch legte.

    Die kleine Mei Lee von damals gibt es nicht mehr!

    Eine Welle der Panik durchfuhr ihren Körper. Es war wie immer. Sie kam und ging ohne eine Ursache. Manchmal blieb sie auch tagelang. Sie konnte es nicht genau beschreiben, aber eine unbegründete Angst nahm von ihr Besitz und zog sie hinab in unergründliche Tiefen. Aus der Schublade nahm sie rasch ein halbes Beruhigungsmittel heraus, ohne das ihr ein normales Leben gar nicht mehr möglich gewesen wäre und schluckte es ohne Wasser hinunter. Lao leckte ihr über die Hand und wimmerte leise. Sein weißes Fell mit dem braunen Fleck um das linke Auge glänzte im Morgenlicht. Er schien ihre Traurigkeit wie immer zu spüren. Sam drückte ihn kurz an sich. Doch als sie ihn wieder auf den Boden setzte, lief er rasch aus dem Schlafzimmer.

    Kurz blickte sie auf den Wecker. Es war fünf Uhr dreißig. Das bedeutete, dass sie noch eine Stunde schlafen konnte, bevor sie aufstehen musste. Müde schloss sie die Augen und schlief kurze Zeit später wieder ein. … Großvater, …, nein, nein! Hör auf!

    Schreiend schlug sie die Augen auf und stöhnte. Ein Albtraum, schon wieder! Vergebens versuchte sie sich an den Traum zu erinnern, doch es gelang ihr nicht. Sie hatte ihren Großvater gesehen, doch weiter kam sie nicht, ein tiefes schwarzes Loch klaffte in ihrem Bewusstsein! So ging es ihr immer und sie fühlte sich, als wäre alle Lebensenergie aus ihr gewichen. Was sie damals nach dem Tod ihrer Großmutter erlebt hatte, hatte sie vergessen oder verdrängt! Was immer damals geschehen war, es war in den Tiefen ihres Unterbewusstseins vergraben.

    Sie hatte hier in Amerika ein neues Leben aufgebaut und alles andere war Vergangenheit! Sollte sie der Traumatherapeutin Anna Rossi heute absagen? Oder war sie nun bereit für einen Blick in die Vergangenheit? Wollte sie wirklich wissen, was damals geschehen war?

    Mit zusammengezogener Stirn stieg ihr plötzlich der Geruch von vorhin wieder in die Nase. Er hing immer noch im Raum und erinnerte sie an jemanden oder an etwas, aber sie wusste nicht woran. Generell war das Meiste aus ihrer Kindheit und Jugend in Hongkong aus ihrem Gedächtnis verschwunden. Vielleicht war es der Geruch ihres Großvaters? Ihr einziger lebender Verwandter! Sie hatte ihn die ganzen Jahre, die sie hier in Kalifornien gelebt hatte, verdrängt. Und das mit Großvater war nun mehr als siebzehn Jahre her. Sie hatte ein Leben weit weg von dem eigenartigen, seltsamen Mann gewählt.

    Plötzlich läutete ihr Wecker. Erschrocken tastete sie danach und schaltete ihn aus. Doch dann nahm sie noch ein anderes Geräusch wahr. Ihr Mobiltelefon, das auf dem Nachtkästchen lag, vibrierte und leuchtete. Sie nahm ihre Brille und das Handy vom Nachttisch und sah auf das Display. Ted! Seufzend ließ sie sich wieder auf ihr Kissen fallen. Wieso respektierte er ihren Entschluss nicht!, dachte sie wütend.

    Es läutete einige Male, dann erlosch seine Nummer am Display. Sie drückte auf lautlos, legte das Mobiltelefon und ihre Brille zur Seite und atmete aus. Plötzlich läutete die Haustürglocke. Lao, der wieder ins Schlafzimmer gekommen war und an ihrer Decke zog, ließ sie los und bellte aufgeregt. Ted! Sie wusste genau, dass er es war und wieder leuchtete seine Nummer am Display auf. Rasch zog sie sich ihren Sarong über, befahl Lao im Schlafzimmer zu bleiben und schlich nach unten durch das große Wohnzimmer, dessen Terrasse auf der Meeresseite lag. Die Sonne schien bereits ins Zimmer. Sie durchquerte es und passierte den Eingang zur Küche, die große Wandbibliothek und die alte chinesische Truhe mit Intarsien, bis sie im Eingangsbereich stand. Vorsichtig spähte sie durch den Türspion. Es war Ted!

    Ein gemischtes Gefühl beschlich sie. Er sah wie immer umwerfend aus mit seinem weißen T-Shirt, seinem blauen Schal und seiner enganliegenden Jeans. Für sein Alter war er wirklich noch sehr adrett! Seine graumelierten Haare hatte er zurückgekämmt, die sein gebräuntes Gesicht und seine funkelnden Augen magisch unterstrichen. Doch sein Verhalten im Moment glich dem eines Stalkers und passte nicht zu dem charismatischen Arzt und Wissenschaftler, der er war! Warum war er hier und nicht bei seiner Frau?

    Sie hatte genug gesehen und schlich leise wieder nach oben in ihr Schlafzimmer, legte sich ins Bett, zog die Bettdecke über den Kopf und begann hemmungslos zu schluchzen.

    Gemischte Gefühle von Wut und Trauer erfüllten sie. Sie hatte mit ihm Schluss gemacht. Warum akzeptierte er das nicht! In all den Jahren hier in Amerika war er ihr einziger Vertrauter, dem sie sich vollständig anvertraut hatte, was sonst nicht ihre Art war. Und das wahrscheinlich nur, weil er ihr gleich zu Beginn von seiner seltsamen Familie erzählt hatte, bei der er aufgewachsen war. Seine Eltern mussten wirklich schrecklich gewesen sein!

    Wie oft hatte sie versucht, die Beziehung zu beenden, doch irgendwie kam sie nicht los von ihm, war ihm und seinem Charme ausgeliefert. Aber vor kurzem hatte sie all ihren Mut zusammengenommen und zeigte eine Entschlossenheit nach all den Jahren, worauf sie jetzt stolz war. Endlich war es ihr gelungen, sich von ihm zu lösen. Sam seufzte, zog das Laken von ihrem Kopf und wischte die Tränen beiseite. Sie lauschte angestrengt, doch es war ruhig. Er musste gegangen sein! Sie atmete tief aus.

    Sie hatte Ted als einzigem von ihrem Großvater erzählt, was nicht viel war, denn sie konnte sich kaum erinnern. Ted wusste nur darüber Bescheid, dass ihr Großvater ein eigenartiger Mann war, der mit vollem dunklem Haar, bis auf seinen kreisrunden Haarausfall, einem glatt rasierten Gesicht, zäh, aber auch vor Kraft strotzend, mit einer Zornesfalte auf der hohen Stirn, zu den Menschen gehörte, den sie am meisten von allen Menschen verabscheute. Der Choleriker war tief in sein Gesicht eingebrannt. Und dann hatte sie noch Erinnerungen daran, wie er ihr Unterricht in der TCM, der Traditionellen Chinesischen Medizin, gab. Das war seine andere Seite, denn er war ein hervorragender Arzt und Lehrer!

    Anscheinend sprach sie oft in ihren Träumen, laut Ted. Doch was genau, verschwieg er ihr die ganzen Jahre. Das hatte sie am meisten an ihm geärgert, denn ihre Träume waren der Schlüssel zu ihrer Vergangenheit, in der, außer dem Tod ihrer Großmutter, noch etwas Gravierendes geschehen sein musste, sodass sie alles vergessen hatte. Nur ein paar vereinzelte Fetzen aus der Vergangenheit kamen ab und zu in ihr Bewusstsein. Aber damit konnte sie nichts anfangen. Deswegen hatte sie vor kurzem die Nummer einer Psychologin ausfindig gemacht. Doktor Anna Rossi hatte einen sehr guten Ruf als Traumatherapeutin und behandelte Menschen mit Traumata mittels Hypnose. Sie spürte, dass etwas Schreckliches in ihrer Kindheit geschehen sein musste. Und diese Panikattacken, die sie in den letzten Jahren immer öfter verfolgten, wurden immer schlimmer, je älter sie wurde. Mittlerweile stellten sich auch Kreuzschmerzen ein. Sie sah sich selbst nicht als depressiven Menschen, doch diese Angstzustände … Sie musste etwas dagegen unternehmen! Nach der Arbeit hatte sie einen Termin bei Anna Rossi und sie war jetzt schon das reinste Nervenbündel!

    Da sie sowieso nicht mehr schlafen konnte, nahm sie müde die Fernbedienung und drückte auf ON. Mit zusammengekniffenen Augen lag sie da und sah die Nachrichten verschwommen von ihrem Bett aus. Ihre Brille lag auf dem Nachttisch, doch sie war zu müde, um sie aufzusetzen. Lao turnte wahrscheinlich schon im Garten herum Ein paar Minuten wollte sie noch rasten.

    Eine schlecht gestylte Nachrichtensprecherin, sofern sie es ohne Brille feststellen konnte, berichtete von Erdbeben, Überschwemmungen und einem Terroranschlag. Schreckliche Nachrichten, die sie auf andere Gedanken brachten. Schön langsam begann das Beruhigungsmittel zu wirken. Der Fernseher an der Wand zeigte nun ein Bild eines Mannes, der ihr bekannt vorkam, doch durch die erweiterten Pupillen verschwamm er komplett vor ihren Augen.

    Was sagte die Reporterin da?

    Ihr fielen bereits die Augen zu, doch in ihrem Hinterkopf vernahm sie die Stimme der Nachrichtensprecherin, die sie noch sagen hörte:

    »… ist der Schauspieler Bernie Raynold nach einer längeren Erkrankung an Krebs gestorben. Er war erst fünfundfünfzig Jahre alt…«

    Sie konnte den Rest nicht mehr hören. Ihr Bewusstsein gab die Kontrolle über ihren Körper auf und sie driftete in einen tiefen, unruhigen Schlaf.

    Ein Zauberer, der wie aus einem Märchen zu kommen schien, hüpfte um die Holzbank eines jüngeren Mannes, der bis auf eine Stoffhose, die sein Geschlecht verbarg, nackt war, zitterte und stöhnte. Er schien hohes Fieber zu haben, hustete und er röchelte. Der Medizinmann, der einen blau gemusterten seidenen Umhang trug, aus dem dünne Hände und Finger wie Kraken hervorschossen, schmiss mit Schildkrötenpanzern und Muschelschalen um sich. Am Ringfinger saß ein breiter goldener Ring mit einem Emblem. Auf einem Beistelltisch standen Holzschüsseln mit Pulvern, Muschelschalen, Schildkrötenpanzern und Tinkturen.

    Der alte Mann schien um die neunzig Jahre alt zu sein, doch er bewegte sich athletisch, aber vorsichtig wie eine Raubkatze. Seine wild zerzausten längeren weißen Haare und sein langer weißer Bart erinnerten sie an Laozi, den legendären chinesischen Philosophen. Sam sah ihm zu, wie er zuerst durchs Feuer hüpfte und mit Muschelschalen und Knochen um sich schmiss, dann begann er mit der Akupunktur, indem er goldene Nadeln an verschiedenen Stellen in den Körper des Kranken stach. Danach massierte er ihn flink, um daraufhin Beifußkraut mittels Kegeln auf die Haut aufzusetzen, die er dann entzündete. Moxibustion, er wendete die drei Grundprinzipien der alten chinesischen Medizin an. Sie beobachtete, wie er sie einsammelte, nachdem sie abgebrannt waren.

    2

    Freitag, 28. November Kalifornien/Santa Barbara/Calpe Beach

    Ihr blauer Beetle mit offenem Sonnenverdeck stand vor der Villa, die sich an den Abhang der Steilküste schmiegte. Samantha Lee setzte ihre Sonnenbrille auf, ließ sich elegant auf den Fahrersitz gleiten und startete den Motor. Der Highway schlängelte sich direkt an ihrem Haus vorbei. Langsam fuhr sie aus der breiten Einfahrt und beschleunigte. Bald gab sie immer mehr Gas, bis sie den Wind in ihren Haaren spüren konnte. Es war ein sonniger Tag und ein Gefühl der Freiheit ließ sie entspannen. Sie atmete die Meeresbrise tief ein, sah hinab auf die brechenden Wellen und seufzte. Die Panikattacke war zum Glück verschwunden, wahrscheinlich nur aus dem einen Grund, weil das Barbiturat noch wirkte. Zum anderen kehrten ihre Gedanken wieder zu Ted und ihren Träumen zurück.

    Sie war wieder in Hongkong, sah ihre Großmutter, die an dem damals neuartigen Erreger gestorben war!

    Vogelgrippe!

    Ein damals als Geflügelpest bekannter Virus, der sich plötzlich vom Tier auf den Menschen übertragen hatte! Eine Zoonose mit vierzig Prozent Sterblichkeitsrate! Großvaters Vermutung war richtig gewesen, denn es handelte sich um Vogelgrippe. Der Veterinär hatte es einen Tag nach Großmutters Tod festgestellt. Doch das Neue an diesem Virus war, dass es auf ihre Großmutter übergesprungen war! Nachdem zuerst ihre Großmutter und noch mehrere Dorfbewohner an der Vogelgrippe gestorben waren, musste ihr Großvater das ganze Geflügel, an die zwanzigtausend Vögel, töten beziehungsweise verbrennen lassen! Sie träumte oft noch davon, wie das Federvieh in Flammen aufging. Es roch bestialisch. Was blieb, war verkohlte Erde, Trauer um ihre Großmutter und die Verbitterung ihrem Großvater gegenüber, der ihr mit der üblichen Kräutertinktur gegen Grippe nicht hatte helfen können!

    Manche im Dorf hatte er geheilt, auch sie, denn sie war mit ihren fünf Jahren ebenso daran erkrankt, doch nicht ihre Großmutter!

    Mit achtzehn Jahren hatte sie ihren Großvater verlassen, hatte sich Samantha Lee genannt und hatte hier in Amerika ein neues Leben aufgebaut und Ted hatte ihr dabei geholfen!

    Dann war da noch der andere Traum, in dem ein Wu-Zauberer einen Kranken heilte. Und dann blutete der Kranke plötzlich aus allen Poren! Er sah irgendwie wie Ted aus.

    Alleine die Kleidung und die ganze Szenerie erinnerte sie an das alte China, das sie aus Geschichtsbüchern kannte! Vor irgendetwas hatte sie panische Angst gehabt. War es der Zauberer, der den Mann mittels Chinesischer Medizin von den Dämonen oder einer Virenerkrankung befreit hatte? Außerdem lag auf einem Holzschemel ein sehr alt wirkendes Medizinbuch, das ihr bekannt vorkam. Es ähnelte dem Buch sehr, das bei ihr in der Bibliothek stand!

    Sam versuchte, diesen seltsamen Traum beiseite zu schieben. Im Moment war nur ihre Arbeit wichtig. Als erstes hatte John Smith heute einen Termin bei ihr in der Praxis, ein Bär von einem Mann mit einer kurzen Stoppelfrisur. Er arbeitete als Pfleger in einem Seniorenheim und musste oft körperlich schwer arbeiten. Und nun hatte er sich vor kurzem extrem verrissen und sie behandelte ihn mit einer Kräutertinktur, Massage und Akupunktur, auf die er gut ansprach. Der Mann war eine Quasselstrippe, erzählte oft Geschichten vom Seniorenheim und würde ihr heute gut tun!

    Dann ging sie in Gedanken die anderen Patienten durch und der Wagen fuhr praktisch wie von selbst die Straße entlang.

    Ein paar Minuten später sah sie gedankenverloren die gefährliche Kurve vor sich auftauchen. Ihr Puls schnellte in die Höhe, doch sie reagierte sofort konzentriert, indem sie schnell bremste. Sie kannte die Kurve in- und auswendig, weil sie die Strecke jeden Tag fuhr. Doch heute war sie so in Gedanken versunken gewesen, dass sie sie ganz vergessen hatte. Sie war außerdem zu schnell dran! Die Straße entlang der Steilküste verleitete geradezu zum Schnellfahren und gerade jetzt in ihrer Situation, wo sie so unaufmerksam war und das Beruhigungsmittel intus hatte, wollte sie nichts riskieren. Schon einige Menschen hatten hier ihr Leben gelassen und waren die Steilküste hinabgestürzt. Die Reifen quietschten bei ihrem abrupten Bremsmanöver. Hinter sich sah sie im Rückspiegel einen schwarzen Ferrari auf sich zurasen.

    »HILFE!«, rief sie laut vor Schreck.

    Da sie nicht wusste, was mit dem Fahrer los war, gab sie wieder etwas Gas, da der Ferrari keine Anstalten machte, sie zu überholen und da sie Angst hatte, von dem Fahrzeug gerammt zu werden. Ihr Herz raste. Sie hielt das Lenkrad mit beiden Händen fest. Wieder blickte sie in den Rückspiegel. Der schwarze Ferrari wirkte aggressiv. Es war ein seltsamer Gedanke, aber in diesem Moment empfand sie es so und er schien immer näher zu kommen. Beinahe verkrampft lenkte sie den Beetle in die Kurve. Das Fahrzeug schlingerte wild nach außen, die Reifen quietschten. Sie schrie kurz auf, als sie die Leitplanke immer näherkommen sah.

    Das geht sich nicht mehr aus!

    Gerade noch riss sie das Lenkrad auf die andere Seite.

    »AHHHHH!«, schrie sie entsetzt, als die Karosserie des Beetles die Leitplanke streifte.

    Ihr Herz hämmerte wie wild. Sie hatte den Absturz gerade noch verhindert, doch nun drohte das Fahrzeug gegen die steile Felswand zu krachen! Da begann es, sich um die eigene Achse zu drehen. Verkrampft hielt sie sich am Lenkrad fest und schrie. Sie versuchte gegenzulenken. Der Beetle drehte sich noch immer mit immenser Geschwindigkeit. Gerade noch rechtzeitig bekam sie das Fahrzeug wieder unter Kontrolle, bevor es gegen die Felswand krachte.

    Zu Tode erschrocken atmete sie erleichtert auf. Wo war das andere Fahrzeug? Der musste sie doch längst überholt haben! Bevor sie noch in den Rückspiegel blicken konnte, hörte sie die quietschenden Reifen des hinteren Fahrzeugs. Das Adrenalin hatte ihre Sinne aufs Äußerste geschärft.

    Der VW Beetle war wieder auf gerader Spur. Sie zitterte aufgeregt und versuchte sich wieder zu beruhigen. Ein Blick in den Rückspiegel verriet ihr, dass der Ferrari ihr immer noch dicht auf den Fersen war. Es kam ihr fast vor, als würde der Fahrer des Ferraris wieder mehr Gas geben.

    Es war ein Albtraum. Was wollte der Lenker von ihr?

    Sie versuchte, den Fahrer zu erkennen, was aber bei der hohen Geschwindigkeit nicht möglich war, da sie sich auf die kurvenreiche Straße konzentrieren musste. Wimmernd hielt sie sich verkrampft am Lenkrad fest.

    »BITTTEEEEE!«

    Der Augenblick erschien ihr wie zehn Minuten. Fast wäre sie gegen die Leitplanke gefahren, dann gegen die Felswand gedonnert, da formte sich die Kurve endlich zu einer Geraden aus und verlief wieder normal. Im nächsten Moment überholte sie der Ferrari mit einer Mordsgeschwindigkeit. Sie war so überrascht, dass sie den Fahrer nicht erkennen konnte. Es ging alles extrem schnell.

    Danach brauchte sie einige Minuten, bis sie ihre Fassung wiedergewonnen hatte. Galt der Anschlag ihr? War es überhaupt ein Anschlag? Sie versuchte sich innerlich zu beruhigen, doch die Panik drohte sie zu erdrücken.

    Mit Logik versuchte sie sich wieder zu beherrschen. Warum sollte sie jemand umbringen oder nur erschrecken wollen? Das hatte nichts mit ihr zu tun! Das war sicher nur ein Wahnsinniger, der Macht ausüben und demonstrieren wollte, wie gut er mit seinem Ferrari umgehen konnte! Ein Besoffener vielleicht?

    Wieder blickte sie in den Rückspiegel. Zwei PKWs befanden sich hinter ihr. Sie sah sich die Fahrer im Rückspiegel genauer an, dann schüttelte sie den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Leider hatte sie das Nummernschild des Ferraris nicht genau gesehen. Sie musste die Polizei informieren.

    Kurz vor neun Uhr erreichte sie zitternd den Parkplatz vor ihrer Praxis, die in der Kensington Road, im Süden lag. Es war ein eingeschossiges Haus. Hübsch von außen und innen hoch modern eingerichtet. Bevor sie noch etwas wackelig auf den Beinen hineinging, sah sie sich die rechte Seite des Beetles an.

    »Hilfe!«, entfuhr es ihr erschrocken. Gleichzeitig führte sie ihre Hand zu dem Schutzamulett, das an der Kette um ihren Hals hing.

    Wie knapp sie dem Tod entgangen war, wurde ihr erst jetzt bewusst. Ihre Knie zitterten noch immer.

    Im Vorzimmer saß Larissa Mansfield, ihre Empfangsdame und blätterte gerade im Kalender.

    »Ah, Sam, Guten Morgen! Ich wollte gerade nachsehen, wann Sie den nächsten Urlaub haben.«

    »Guten Morgen Larissa.«

    »Sie sehen etwas angespannt aus!«

    »Hm, …«

    Sam atmete tief aus. Ihr fiel es im Moment schwer, mit der Normalität konfrontiert zu werden. Sie wollte jetzt an keinen Urlaub denken und auch die Patienten nervten sie jetzt schon. Und Larissa. Sie war immer zuverlässig, aber auch hochgradig engagiert. Eine Eigenschaft, die sie zurzeit extrem an ihr nervte.

    »Wir reden später darüber, Larissa! Schicken Sie Herrn Smith zu mir, danke!«

    Die Sprechstundenhilfe sagte noch:

    »Ja, aber … «

    Doch Sam hatte bereits die Türe von ihrem Ordinationszimmer von innen geschlossen. Es war unhöflich und sonst gar nicht ihre Art, aber heute war ihr Larissa einfach zu anstrengend.

    Dann klopfte es und Smith öffnete die Türe.

    »Hallo Doc, ich habe Ihnen etwas mitgebracht!«, sagte er mit seiner tiefen Stimme.

    Sam sah ihn verwundert an. Smith hielt einen Kuchen in der Hand, den er ihr überreichte.

    »Danke, das ist aber nett!«

    Er gehörte erst seit kurzem zu ihren Patienten.

    »Bitte…, nehmen Sie Platz!«, sagte sie etwas beherrschter.

    Smith nickte und setzte sich auf den Stuhl gegenüber von ihr. Sie stellte den Kuchen beiseite.

    »Dann strecken Sie mal die Zunge raus und zeigen Sie mir Ihre Handflächen, bitte!«

    Sam musste sich extrem beherrschen, um ruhig zu wirken. Sie blickte kurz auf ihre Hände, die zum Glück nicht mehr zitterten. Sie sah sich Smiths Handflächen und seine Zunge an.

    »Wie sieht es mit den Schmerzen aus? Geht es Ihnen schon etwas besser?«, fragte sie Smith nun ruhiger.

    »Ich bin begeistert, hätte nie gedacht, dass es sich so schnell bessert! Ich kann jetzt wieder arbeiten, meistens ohne Schmerzen!«, sagte er mit einem Lächeln.

    »Sehr gut!«

    Dann stand sie auf und richtete alles für eine Akupunktur her. Die goldenen Nadeln gab sie in eine Schüssel mit einer Flüssigkeit, während sie Smith bat, den Oberkörper frei zu machen. Sie hatte eine eigene Technik entwickelt, eine Mischung aus der Schule ihres Großvaters und dem, was sie bei ihrem Studium hier in Amerika mitgenommen hatte. Die Salbe, die sie schon vor zwei Tagen angerührt hatte, strich sie mit einem Stäbchen auf die betroffenen Stellen auf und massierte diese dann ein. Smith gab ein wohliges Geräusch von sich. Nach einer halben Stunde Massage, während Smith ihr lustige Geschichten über seine Patienten im Seniorenheim erzählt hatte, tupfte sie ihn ab und holte die Nadeln aus der Schüssel, trocknete sie mit einem sterilen Tuch ab und setzte sie an den Oberkörper des Patienten an.

    »Wir werden jetzt ihren Energiefluss in Schwung bringen, Herr Smith!«, sagte sie etwas entspannter.

    Als Smith nach einer Stunde Behandlung gegangen war, atmete Sam tief durch, dann nahm sie ihr Mobiltelefon zur Hand und rief bei der Polizei an.

    »Polizeidienststelle Santa Barbara. Hier spricht Seargent Franklin. Wie kann ich Ihnen helfen?«

    »Ja, hallo, hier ist Doktor Samantha Lee. Ich wurde heute früh von einem Ferrari Fahrer bedrängt. Er ist viel zu schnell gefahren und hat keinen Abstand eingehalten. Er hätte mich beinahe gerammt, deshalb wäre ich fast die Steilklippe hinabgestürzt. Leider konnte ich weder das Nummernschild noch sein Gesicht erkennen. Der Ferrari war schwarz. Mehr kann ich Ihnen leider nicht sagen.«

    »Hallo Doktor Lee, langsam, ist Ihnen etwas passiert?«, fragte die besorgte Männerstimme am anderen Ende der Leitung.

    »Nein, nur die rechte Seite meines VW-Beetles hat etwas abbekommen.»

    Das war die Untertreibung des Jahrhunderts!, dachte Sam. Die Reparatur würde sie eine Menge Geld kosten.

    »Gut, ich werde einen Akt anlegen und Anzeige gegen Unbekannt erstatten. Sie müssen dann bitte aufs Revier kommen und den Akt unterzeichnen! Wenn Ihnen zu dem Fall noch etwas einfällt, rufen Sie an. Passen Sie auf sich auf, Doktor Lee! Guten Tag!«

    Als Sam aufgelegt hatte, wurde ihr erst bewusst, dass sie nicht einmal den Namen des Polizisten kannte, dem sie ihre Geschichte erzählt hatte. Falls ihr noch etwas einfiel, nach welchem Namen sollte sie fragen? Sie

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1