10 GOTO 20: 35 Jahre Computerspiele von innen
Von Miron Schmidt
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Buchvorschau
10 GOTO 20 - Miron Schmidt
Vorwort
Alle Begebnisse in dieser Sammlung sind so oder sehr ähnlich passiert. Freunde sagten mir, ich solle sie doch aufschreiben, weil viele lustig oder interessant sind oder doch zumindest einen Einblick in eine Szene und eine Zeit geben, die es so nicht mehr gibt.
Nach langem Nachdenken über die Form dieser Sammlung bin ich zu dem Entschluss gelangt, sie in großteils chronologischer Reihenfolge wiederzugeben, sodass sich etwas wie Memoiren ergeben hat. Es soll hier aber sicher nicht der Eindruck erweckt werden, ich sei eine besondere Figur in diesem Umfeld gewesen oder wolle mich als solche verkaufen. Wenn ich nicht dabei gewesen wäre, könnte ich die Geschichten schlicht und ergreifend auch nicht niederschreiben, und so liegt es in der Natur der Sache, dass ich an fast allen festgehaltenen Erlebnissen beteiligt bin.
Im Rahmen der Geschehnisse werde ich immer wieder ein grobes Zeitbild zeichnen, allerdings versteht sich diese Sammlung nicht als Einführung in die Computertechnik oder geschichtliche Abhandlung. Dass Software einst von Musikkassetten geladen werden konnte, 16 KB als sinnvoll benutzbarer Arbeitsspeicher erschienen oder man in einer Auflösung von 320 x 200 Pixeln nur noch 2 von 16 Farben verwenden konnte, sind technische Gegebenheiten, die vielleicht schon bekannt oder sonst eben hinzunehmen sind. Ich habe mir aber Mühe gegeben, das Verständnis des Geschehens durch solche Details nicht über die Maßen zu erschweren.
Neben der Kontaktaufnahme mit allen namentlich genannten Beteiligten bin ich auch den zeitlichen Zusammenhängen so genau nachgegangen, wie es mir möglich war: So habe ich Veröffentlichungen, Veranstaltungen, Korrespondenz und eigene Eckdaten und Notizen abgeglichen, um sicherzugehen, dass mich die Erinnerung bei der Einordnung nicht allzu sehr trügen konnte. Wenn ich trotzdem mal um ein Jahr verrutscht bin oder einen Dialog etwas schneller auf den Punkt gebracht habe, als er tatsächlich stattgefunden hat, bitte ich um Nachsicht.
Mein Dank – in dieser Hinsicht und auch generell – gilt vor allem den Mitwirkenden, die auf die ihnen zugesendeten Ausschnitte reagiert und Details richtiggestellt haben, allen voran Paul David Doherty, Hans Ippisch, Andreas Lange und Ramiro Vaca. Unschätzbar sind aber auch die Dienste des Korrektorats: Nadine Vollstädt, Alexander Fetke und wiederum Paul David Doherty.
Anfänge
Da mein Vater zu einer Zeit, als Computer noch etwas Undurchsichtiges, vielleicht Bedrohliches, sicherlich Hypermodernes waren, als Programmierer arbeitete, kam auch ich schon früh, nämlich in den späten Siebzigerjahren, in Berührung mit ihnen. Zuerst durfte ich ihn an seinem Arbeitsplatz im Großrechenzentrum Berlin – das später in der Freien Universität Berlin aufging – besuchen, wo er für mich ein großes Spiel über mehrere Computer, mehrere Drucker und mehrere Räume vorbereitet hatte. Dann konnte ich mich auch an den Computern versuchen, die er zu Beginn der »Homecomputer«-Welle kaufte: zuerst um 1980 an einem PC-1211 von Sharp mit 1,5 KB Speicher und einer einfarbigen Zeilenmatrix, dann 1981 einem Commodore VC-20 (dem deutschen Modell des VIC-20, dessen ursprünglich für »Video Computer« stehendes »VC« in den Werbekampagnen als »Volkscomputer« ausgedeutet wurde), 1983 dessen Nachfolger C64, von dem noch ausführlich die Rede sein wird, und schließlich Ende 1983 einem Apple II, genauer gesagt einer gebraucht gekauften Selbstbauvariante. Als er Ende 1985 auf den sich langsam als Standard etablierenden PC umstieg, auf dem zu dieser Zeit an Spiele noch nicht zu denken war, bekam ich dann im Alter von 14 Jahren einen eigenen C64.
Bezüglich der Begriffe muss man zwischen zwei Gruppen der frühen Computerinteressierten unterscheiden: den EDV-Begeisterten, also mit der Elektronischen Datenverarbeitung befassten Personen, und den Computerfreaks, die vor allem die technischen Möglichkeiten ausreizen wollten. Während in der EDV-Szene von Heimcomputern die Rede war, auf denen von Disketten Software (immer mit weichem S und deutscher Ware) eingelesen wurde, herrschten bei den Freaks die englischen Begriffe vor oder wurden einfach ganz weggelassen: Anstelle von »16 Kilobyte Speicher« hatte der Computer »16 Kah« und die Spiele oder Demos wurden von Floppys geladen. Beide Gruppen pflegten untereinander Kontakt – es gab noch bei Weitem zu wenige Gleichgesinnte, um wählerisch sein zu können –, schüttelten aber übereinander vergleichsweise offen und heftig den Kopf.
Unabhängig von der Ausrichtung des Interesses war die Welt der Computerliebhaberei eine vollkommen männlich dominierte, zumal die Vorstellung, dass auch Frauen Interesse an Technik und Technologie aufbringen könnten, erst in den Siebzigern (noch sehr zaghaft) aufkam und Mädchen dementsprechend an diese Themen oft gar nicht erst herangeführt wurden. Wenn in den folgenden Ausführungen das Maskulinum vorherrscht, ist das nicht generisch aufzufassen, sondern tatsächlich als Widerspiegelung eines ausschließlich männlichen Umfelds. Das gilt besonders für die Computerfreaks, unter denen ich bis in die Neunziger kein einziges weibliches Exemplar kennenlernte – selbst in meinem Freundeskreis, der durchaus auch Mädchen enthielt, zog sich eine saubere Grenze im Interesse an Computern durch die Geschlechter.
In den ersten Homecomputertagen war an Material kaum heranzukommen; es gab selbst in Berlin noch keine spezialisierten Computergeschäfte oder -abteilungen, in denen man Hardware, Magazine oder auch nur Software kaufen konnte. Stattdessen knüpfte man in den Heimelektronikabteilungen der Kaufhäuser Kontakte, durchsuchte Kleinanzeigen oder fand andere Computer bei Bekannten von Bekannten. Software zu kopieren, war oft keine Frage der Moral oder der Überzeugung, sondern einfach der Möglichkeiten, und zumindest in unserem Haus gab es ebenso viele legale Kassetten mit Spielen oder Datenbankanwendungen wie illegal kopierte.
An Computermodellen gab es allerdings sehr viel mehr Auswahl als heute: Während man sich derzeit im Wesentlichen (bei grundsätzlich gleicher Hardware) zwischen Windows, macOS und Linux entscheiden muss, gab es in den Achtzigern neben den beiden Hauptkonkurrenten Atari (mit dem 400/800, dem XL und dem XE) und Commodore (mit dem VC-20, dem C64, dem C16 bzw. Plus/4 und dem C-128) noch Sinclair (mit dem ZX-80/81, dem Spectrum und dem QL), Schneider bzw. im Ausland Amstrad (mit dem CPC) und Apple (mit der Apple II-Reihe und ab 1984 dem Macintosh) sowie Dutzende von hierzulande kaum bekannten Systemen wie Atom, BBC Micro, Dragon, Genie, Laser, MSX, Oric, TI-99, TRS-80 sowie die »PC-Kompatiblen«, die Rohrkrepierermodelle von Casio, Epson, HP, NEC, Panasonic, Sega und anderen und die Computer der KC-Reihe aus der DDR, die als Eigenentwicklungen gepriesen wurden, aber in Wirklichkeit leicht abgewandelte (und sogar teilweise kompatible) Nachbauten von West-Entwicklungen waren. Der C64 setzte sich nach seinem Erscheinen 1982 schnell durch, nicht weil er besonders ausgereift war (die Atari XL-Serie war in praktisch jeder Hinsicht überlegen), sondern aufgrund einer aggressiven Marketingkampagne, die im Endeffekt auch zu einer Konzentration der Spieleentwicklung auf den C64 führte. Tatsächlich gab es von Anfang an ein Konkurrenzdenken »aus Prinzip« zwischen Commodore- und Atari-Fans, das sich bis in die Amiga-/Atari ST-Zeit gegen Ende der Achtziger zog: Wer einen C64 besessen hatte, wechselte zum Amiga, und alle anderen kauften einen ST.
In der DDR war das Aufschließen zur Westtechnik eine wichtige Vorgabe; es musste bewiesen werden, dass die sozialistische Elektronikentwicklung der kapitalistischen in nichts nachstand. Im Bereich der Halbleitertechnologie gab es tatsächlich ein frühes Wettrennen zwischen West und Ost, doch bei den Computern war die DDR hoffnungslos abgeschlagen und entwickelte immer mit einem klaren West-Vorbild; erst Ende 1984 wurden die ersten »Kleincomputer« KC 85/1 vom Elektronik-Kombinat Robotron und KC 85/2 vom Kombinat Mikroelektronik Erfurt vorgestellt, die miteinander trotz der Namensgleichheit wenig zu tun hatten und ihren Namen nach dem Jahr erhielten, in dem sie herauskommen sollten. Das Namenswirrwarr setzte sich mit dem KC 87 als Nachfolger des KC 85/1 und dem KC 85/3 bis /4 als Nachfolger des KC 85/2 fort. Grundsätzlich basierten alle Kleincomputer auf dem volkseigenen Mikroprozessor U880, einem nicht lizenzierten Nachbau des vor allem in den Computern von Sinclair und Amstrad/Schneider eingesetzten US-Prozessors Z80. Während KC 85/1 und KC 85/2 noch keine Grafikfähigkeiten hatten und am ehesten mit dem ZX-80/81 von Sinclair vergleichbar waren, konnten die späteren Modelle auch Farbgrafik ausgeben. Robotron galt auch im Westen als mächtiges Elektronikkonglomerat und trat entsprechend selbstbewusst auf: Viele Robotron-Produkte fanden ihren Weg nach Westdeutschland, wenn schon nicht die Computer, so doch wenigstens die ob ihrer Robustheit beliebten Präsident-Drucker.
Da sich anfangs noch so wenige Menschen mit der neuen Technologie beschäftigten, reichte die Tatsache, dass man sich für einen Computer interessierte, schon für gemeinsame Aktivitäten