Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Mongolei: mehr als Rohstoffe: Analysen und Eindrücke
Mongolei: mehr als Rohstoffe: Analysen und Eindrücke
Mongolei: mehr als Rohstoffe: Analysen und Eindrücke
eBook574 Seiten6 Stunden

Mongolei: mehr als Rohstoffe: Analysen und Eindrücke

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Seit der politischen Wende 1989 hat die Mongolei einen schwierigen Weg zurück gelegt. Die Transformation in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft brachte Fortschritte, aber auch Fehlentwicklungen. Die Herausforderungen der kommenden Jahre sind nicht kleiner geworden. Dieser Band ist eine Sammlung von Analysen und Beschreibungen zur Mongolei aus den letzten zehn Jahren, die ein lebendiges Bild von der Entwicklung des Landes vermitteln. 120 Fotos des Autors ergänzen seine Ausführungen.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum27. Sept. 2022
ISBN9783756247219
Mongolei: mehr als Rohstoffe: Analysen und Eindrücke
Autor

Peter Schaller

Peter Schaller war als deutscher Diplomat und Leiter von Auslandsvertretungen in Asien (China, Nordkorea, Turkmenistan, Afghanistan, Georgien), Kuba, Russland und in Westafrika eingesetzt und beendete seine Laufbahn 2013 als Botschafter in der Mongolei.

Ähnlich wie Mongolei

Ähnliche E-Books

Geschichte & Theorie für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Mongolei

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Mongolei - Peter Schaller

    INHALT

    VORWORT

    EINLEITUNG

    ALLGEMEINES

    Steckbrief Mongolei

    Die Mongolei aus der Sicht eines Ost-West-Pendlers

    Das Kuwait Nordost-Asiens? - Der Aufbruch

    Ist die Mongolei noch zu retten?

    BEZIEHUNGEN DEUTSCHLAND - MONGOLEI

    Deutsche Technologie als Maßstab - Rohstoffpartner Mongolei

    The Song »Chinghis Khan« is quite a hit even now

    Freundschaft oder Interessen - Was bestimmt eigentlich das deutsch-mongolische Verhältnis?

    Anmerkungen zu 40 Jahren diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Mongolei

    Die Mongolistik: Ein Orchideenfach?

    Wie sichere ich die Rohstoffversorgung?

    Deutsch-Mongolische Hochschule für Rohstoffe und Technologie (DMHT)

    Interview mit dem Rektor der DMHT

    The old days are over: Germany’s Development Cooperation with Mongolia and Foreign Policy

    WIRTSCHAFT

    Grundfragen der mongolischen Wirtschaft

    KMU in der Mongolei: Das Beispiel Hasu Megawatt

    Mongolei - Der Modernisierungsbedarf ist riesig

    Ressourcennationalismus: Wem gehören die Bodenschätze?

    INNENPOLITIK - GESELLSCHAFT

    Gesellschaftliche Entwicklung auf Basis der Rohstoffe.

    Metropole Ulan Bator - Rapide Urbanisierung in der Mongolei

    Die Mongolei - mehr als Rohstoffe

    Gibt es eine Zivilgesellschaft in der Mongolei?

    Luftverschmutzung in Ulan Bator - ein ungelöstes Problem

    Die Legislaturperiode 2012-2016: Die Schwächen des politischen Systems der Mongolei

    Bemerkungen zum Zustand der Demokratie in der Mongolei

    Die Verfassungsänderungen in der Mongolei 2020 - ein Fortschritt?

    Welche weiteren Verfassungsänderungen sind nötig?

    AUSSENPOLITIK

    Mongolia’s Third Neighbour Policy

    Die Mongolei und China – eine strategische Partnerschaft

    Japan und die Mongolei

    Die geostrategische Lage der Mongolei

    TOURISMUS

    Mit der Transsib in die Mongolei

    Die Mongolei gestern und heute

    Eisfest auf dem Khuvsgul-See

    Reisen in der Mongolei

    NACHTRAG

    Putin, Ukraine and Mongolia

    Finnlandisierung der Mongolei - Ein Modell für die Zukunft?

    FOTONACHWEIS

    Das Motorrad konkurriert mit dem Pferd als Transportmittel.

    VORWORT

    Ich habe Peter Schaller im Sommer 2011 kennengelernt, als er gerade seinen Dienst als Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Ulan Bator angetreten hatte. Schnell bauten wir dienstlich und privat ein gutes Verhältnis auf, und unsere freundschaftliche Beziehung besteht noch heute.

    In meiner mehr als zwanzigjährigen politischen Karriere habe ich stets für die Intensivierung der deutsch-mongolischen Beziehungen gearbeitet, und tue dies auch weiterhin. Ein gutes bilaterales Verhältnis ist mir als Absolvent der Humboldt Universität in Berlin, den vielfältige Kontakte und wertvolle Erfahrungen mit Deutschland verbinden, ein Herzensanliegen. Peter Schaller hat mich dabei tatkräftig unterstützt, als er Botschafter war und auch jetzt. Wir ziehen an einem Strang.

    In unseren Gesprächen steht eine Frage im Vordergrund: Wie ist der Transformationsprozess der Mongolei in den letzten 30 Jahren verlaufen, welche negativen Entwicklungen haben sich herausgebildet, und wie können diese angegangen werden? Neben positiven Aspekten gibt es viel Anlass zur Kritik, die ich selbst auch in meinem letzten Buch übe, das Peter in seiner lesenswerten Rezension vorstellt.

    Die Mongolei befindet sich seit der politischen Wende 1989/90 in einer komplexen Situation, die für Regierung und Gesellschaft immer noch eine große Herausforderung darstellt. Die Mongolei ist mehr als Rohstoffe und Nomadenromantik. Die in diesem Buch versammelten Aufsätze mitsamt der ausführlichen Einleitung verdeutlichen diese Multidimensionalität. Peter Schaller stellt meine Heimat aus verschiedenen Blickwinkeln dar und vermittelt damit ein zutreffendes und lebendiges Bild der politischen und gesellschaftlichen Realität. Er spart nicht an Kritik, Ratschlägen und Empfehlungen, aber gleichzeitig wird deutlich, dass er die Mongolei mag, und dass er ihr eine gute Zukunft wünscht. Ich will dazu folgendes mongolisches Sprichwort zitieren: Nimm die Worte eines weisen Mannes als Rat an. Wenn man sich um ein gutes Wort recht kümmert, dann geht es im Herzen auf. Peter hat Bücher über verschiedene Länder geschrieben, wo er dienstlich tätig war. Insbesondere möchte ich hier hervorheben, dass seine Veröffentlichungen über die Mongolei in mongolischen und internationalen Medien die Wirklichkeit widerspiegeln. Sie sind beste Nachschlagewerke, um die Mongolei richtig zu verstehen.

    Im Januar 2024 feiern wir den 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Mongolei und der Bundesrepublik Deutschland. Dieses Buch erscheint damit zur rechten Zeit, um eines der wichtigsten Nachschlagwerke und Pflichtlektüre zu werden für jeden, der sich mit der Mongolei beschäftigt.

    Ich wünsche, dass viele Leser Zugang zu dem Buch finden und dass es so wie Peter selbst, ein herausragender Beitrag zur Entwicklung der deutsch-mongolischen Beziehungen wird, eine Brücke aus Papier zwischen unseren Völkern. Ich wünsche Peter weiterhin alles Gute für sein persönliches Leben und für weitere interessante Beiträge zur Völkerverständigung!

    Dendev Terbishdagva Berlin, im April 2022

    (Ehemaliger Abgeordneter des Mongolischen Großen Staatskhurals, Botschafter der Mongolei in Deutschland, Minister und stellvertretender Premierminister der Mongolei a.D.)

    EINLEITUNG

    Dieser Band ist eine Sammlung von Artikeln, Konferenzbeiträgen, Reden und Interviews aus der Zeit von 2011 bis 2022.

    Die Beiträge geben einen Überblick über die wesentlichen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Aspekte der Mongolei, ihrer Entwicklung als Transformationsland nach der gesellschaftlichen Wende von vor dreißig Jahren und auch der deutsch-mongolischen Beziehungen. Die Artikel sind in 6 thematischen Kapiteln zusammen gefasst und meist chronologisch angeordnet. Von der Chronologie bin ich mitunter abgewichen, um einzelne Beiträge thematisch zu bündeln. Erscheinungsjahr und -ort der Beiträge sind angegeben. Eine ausführliche Einleitung stellt die Beiträge in einen Gesamtzusammenhang und führt in die wichtigsten Problemfelder ein.

    Wie bei einer solchen Sammlung nicht zu vermeiden, überschneiden sich einige Fragestellungen. So ist zum Beispiel der bis heute ungelöste Streit um die Ausbeutung des Rohstofflagers Oyu Tolgoi ein unter verschiedenen Blickwinkeln relevantes Thema. Die Artikel sind teilweise entweder im Text selbst oder in der Einleitung aktualisiert worden.

    Angesichts meiner Ausrichtung auf (Zentral- und Nordost)Asien, wo ich in über 30 Jahren Tätigkeit als Diplomat die Mehrheit meiner Einsätze hatte, war es keine Frage, dass ich mich 2011, als meine letzte Verwendung anstand, aus einer Liste von Hauptstädten auf verschiedenen Kontinenten auf den Posten des Botschafters in der Mongolei bewarb und diesen glücklicherweise bekam. Der Wermutstropfen war nur, dass die Dauer meines Aufenthaltes wegen des vorgeschriebenen Pensionsalters auf zwei Jahre limitiert war. Ich hätte gerne mehr Zeit auf diesem Posten verbracht. Nach meiner Pensionierung 2013 habe ich die Mongolei wiederholt besucht.

    Mein Leben als Diplomat war ein Pendeln zwischen Ost und West. In dem Kapitel Die Mongolei aus der Sicht eines Ost-West-Pendlers gebe ich einen Überblick über mein Interesse an der riesigen Region Eurasien und meine beruflichen Stationen unter besonderer Berücksichtigung der Mongolei.

    Die Mongolei wurde 1989/90 ein Transformationsland, das die Planwirtschaft und das sozialistische Gesellschaftsmodell aufgab und Marktwirtschaft und Demokratie einführte. Nach dieser Wende und dem Verlust der massiven Alimentierung durch die Sowjetunion beziehungsweise Russland stürzte die Wirtschaft des Landes ungebremst ab und erreichte erst nach 20 Jahren wieder den Stand von 1989. Seit 2011 schwankt das BIP zwischen 10-13 Mrd. US-Dollar. Mit anderen Worten, die Entwicklung der Mongolei stagniert. Die Regierungen und die sie tragenden politischen Parteien waren bisher nicht in der Lage, das Land erfolgreich und nachhaltig zu entwickeln.

    Als ich 2011 meinen Dienst in Ulan Bator antrat, war die Mongolei in einer politisch und wirtschaftlich hochinteressanten Situation. Mit einem Wirtschaftswachstum von 17%, einem der damals höchsten weltweit, setzte das Land zu einem verblüffenden Höhenflug an. Plötzlich eröffnete sich die Perspektive eines Kuwaits oder einer Schweiz in Nordostasien. Das Wachstum war zwar fast ausschließlich auf Milliardeninvestitionen in die Kupfer- und Goldmine Oyu Tolgoi zurück zu führen und erfolgte auf Basis eines niedrigen BIP, aber es wurde als Initialzündung gesehen. Jetzt würden sich auch andere internationale Konzerne engagieren und die Mongolei könnte sich auf Basis ihrer Rohstoffe breit entwickeln. Ein Land mit drei Millionen Einwohnern und derart massiven Bodenschätzen war quasi verdammt dazu, reich zu werden. Diese Situation beschreiben die Beiträge Das Kuwait Nordost-Asiens?- Der Aufbruch 2011 und Metropole Ulan Bator - Rapide Urbanisierung in der Mongolei.

    In der Mongolei herrschte damals eine Goldgräberstimmung. Das Ausland schaute auf das bislang kaum beachtete Land, das die Perspektive eröffnete, die Rohstoffprobleme der Welt, insbesondere die von China dominierte Verfügbarkeit Seltener Erden, zu lösen oder zumindest abzumildern. Das war besonders für Deutschland interessant, ein rohstoffarmes Land, in dem die für moderne Technologien erforderlichen Bodenschätze fehlen. Im Oktober 2011 wurde während des Besuchs von Bundeskanzlerin Merkel das sogenannte Rohstoffabkommen zwischen Deutschland und der Mongolei unterzeichnet, das erste dieser Art weltweit. Der Beitrag Wie sichere ich die Rohstoffversorgung? greift diesen Themenkreis auf. Die Idee war, eine besondere völkerrechtliche Basis für die Ausbeutung und für den Bezug von Rohstoffen zu legen.

    Für die deutsche Industrie zeichnete sich angesichts des zu erwartenden Booms ein neuer Markt ab. Nicht so sehr im Bereich des direkten Rohstoffabbaus, sondern dem der Zulieferindustrie für den Bergbau und generell in der notwendigen Modernisierung der Infrastruktur des Landes in all ihren Facetten. Entwicklung der Infrastruktur und Bergbau gehören zusammen. Schließlich war Deutschland der Technologie-Exportweltmeister. Einen Eindruck des Potentials vermittelt der Artikel Deutsche Technologie als Maßstab. Rohstoffpartner Mongolei und das Interview Mongolei - Der Modernisierungsbedarf ist riesig.

    Die Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft waren gewaltig. Es ging um einen groß angelegten sozialen Wandel. Dieser Wandel betraf die gesamte Gesellschaft, wie mein Beitrag Die Mongolei - mehr als Rohstoffe zeigt. Die Entwicklung musste gestaltet werden und konnte nicht naturwüchsig ablaufen. Im Grunde ging es neben einem ganzen Bündel an Aspekten um die Frage, auch wenn dies so klar nie ausgedrückt wurde, in welche Richtung sich die Mongolei entwickeln sollte, nämlich der (neo)liberalen, kapitalistischen und von den USA repräsentierten Gesellschaft, oder einer sozialen Marktwirtschaft beziehungsweise einem Wohlfahrtsstaat gemäß dem deutschen oder skandinavischen Modell. Es entspricht nicht der komplexen Wirklichkeit, die Mongolei weitgehend auf ihre Rohstoffe, ihre machtpolitische Blüte unter Dschingis Khan und das Nomadentum zu reduzieren, wie dies in den Medien durchweg geschieht.

    Ein damit zusammenhängendes Problem ist die Frage der Wertefundamente der mongolischen Gesellschaft. So weit ich es sehe, gibt es keine von der Masse der Gesellschaft geteilten und als verbindlich erachteten Werte, die als Orientierung quer durch alle Schichten dienen und auf deren Grundlage man eine gemeinsame Zielrichtung definieren könnte. Das wird auch in der deutschen Gesellschaft mit ihrer stärkeren Ausdifferenzierung und der Betonung des Individualismus immer schwieriger. Auf einer Mongolei-Konferenz in Ulan Bator habe ich dieses Problem so ausgedrückt:

    »Es spielt eine ganz wichtige Rolle, dass man auch die inneren Verhältnisse so gestaltet, dass es hier so weit wie möglich eine Einheit zwischen Bevölkerung und Regierung oder Elite gibt.

    Ich habe neulich mit einem bekannten Minister gesprochen und ihm versucht zu erklären, was eigentlich das Wirtschaftswunder in Deutschland bedeutete. Das Wirtschaftswunder in Deutschland war nur möglich, weil es einen gemeinsamen Willen in der Bevölkerung, aus verschiedenen Gründen, gab. Hauptsächlich natürlich ein niedergeschlagenes Deutschland, Zuwanderung von Millionen aus den Ostgebieten. Es war das Ziel, das Land wieder aufzubauen. Es gab eine Überzeugung, eine breite Basis gemeinsamer Werte und gemeinsamer Überzeugungen, die damals verfolgt wurden.

    Ich bin mir nicht sicher, ob man in der Mongolei schon so weit ist, eine solche Basis gemeinsamer Überzeugung und gemeinsamer Zielrichtung zu besitzen. Ich finde, bei aller Diskussion um Wirtschaftswachstum und Wirtschaftsentwicklung und um internationale Fragen darf man diesen Aspekt nicht unberücksichtigt lassen, der ist ganz wichtig: Die Frage, gibt es eine Wertebasis, erst einmal, wie sieht sie aus, und dann, wie wird sie von der Masse der Bevölkerung geteilt. Ohne dass man diesen inneren Zusammenhang einer Bevölkerung, eines Staatsvolkes hat, ist es schwer, sich zu entwickeln.«¹

    Die Frage nach den Wertefundamenten berührt die Überlegung, inwieweit sich bereits eine Zivilgesellschaft nach unserem Verständnis in der Mongolei entwickelt hat. Demokratie und Zivilgesellschaft sind untrennbar. Die Mongolei ist hier noch nicht so weit. Diese Problematik behandeln u.a. die Beiträge Gesellschaftliche Entwicklung auf Basis der Rohstoffe und Gibt es eine Zivilgesellschaft in der Mongolei?

    Theoretisch hatte die Mongolei einen großen Vorteil. Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgte relativ spät, erst 20 Jahre nach der Wende 1989/1990. Die Entwicklung stagnierte bis zum »Urknall« 2010/2011. 2011 erschien mir die Mongolei wie ein großes Labor, wo man von den guten und den schlechten Erfahrungen der anderen Transformationsländer profitieren konnte, deren wirtschaftliche Grundlage Rohstoffe waren, wie Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan. Länder, die in einer anderen Situation waren, konnten ebenso ihre Erfahrungen beisteuern, gute wie im Falle von Norwegen, und weniger gute wie in Nigeria. Jetzt hatte der Staat, hatte die Regierung zum ersten Mal finanzielle Mittel, um das Land und die Gesellschaft wirklich zu entwickeln. Man musste nicht erst die eigenen negativen Erfahrungen machen und die damit verbundenen Einbußen und Rückschläge hinnehmen, sondern konnte auf einen breiten internationalen Erfahrungsschatz zurückgreifen. Den berühmten »Rohstoff-Fluch« und die »holländische Krankheit« hatten andere vorher durchgemacht. Die Voraussetzungen waren gut, kostspielige Irrwege zu vermeiden.

    Jedoch gab es in der mongolischen Gesellschaft keine Diskussion um diese Fragen und um die große Richtung, in die sich die Mongolei entwickeln sollte. Stattdessen stand eine Erscheinung im Vordergrund, die ich in dem Aufsatz Ressourcennationalismus: Wem gehören die Bodenschätze? aufgreife. Aufgeheizt durch die Parlamentswahlen 2012, einen großen Korruptionsprozess gegen den ehemaligen Staatspräsidenten N. Enkhbayar, in dem der Verdacht nie völlig ausgeräumt werden konnte, dass hier politische Motive die wichtigsten Antriebe waren, sowie Unzufriedenheit vor allem im Parlament über den Vertrag zur Ausbeutung des Lagers Oyu Tolgoi, kam es zu einer Agitation nicht nur gegen Oyu Tolgoi selbst, sondern gegen das Tätigwerden ausländischer Konzerne in der Rohstoffwirtschaft der Mongolei überhaupt. Politische Gegner unterstellten der amtierenden Regierung und vor allem dem damaligen Staatspräsidenten Ts. Elbegdorj, der immer stärker das aussenpolitische Aushängeschild der Mongolei geworden war, sein Land an das Ausland zu verkaufen und ausländischen Konzernen freie Hand zu lassen, um die Mongolei auszubeuten. Dahinter stand immer auch der Vorwurf, dass dies verbunden war mit einer persönlichen Bereicherung der maßgeblichen Politiker. Dabei ist jedem Beobachter klar, dass die Mongolei aus eigener Kraft ihre Bodenschätze nicht ausbeuten kann und auf ausländisches Know-how und Kapital angewiesen ist. Dieser Ressourcennationalismus und die Auffassung, dass man alles allein machen kann, ist ein wesentliches Element der mongolischen Politik, eine Art Leitmotiv.

    Am Köcheln gehalten wurde und wird dieser Streit durch die jahrelangen und bis heute nicht gelösten Auseinandersetzungen um den Vertrag zur Ausbeutung des Vorkommens Oyu Tolgoi. Der Streit bricht immer wieder auf und vergiftet das politische und gesellschaftliche Leben. Diese dauernden Auseinandersetzungen haben das Vertrauen der internationalen Wirtschaft zerstört, die bei Investitionen auf stabile Rahmenbedingungen und Rechtssicherheit setzt, und der Mongolei Milliarden an ausländischen Direktinvestitionen und damit Entwicklungschancen gekostet. Der Streit um Oyu Tolgoi spielt in fast allen Analysen des politischen Systems der Mongolei eine Rolle (siehe Bemerkungen zum Zustand der Demokratie in der Mongolei). Zu Beginn des Jahres 2021 setzte der neue Regierungschef L. Oyun-Erdene diesen Streit -wieder einmal- auf die politische Tagesordnung, was zeigt, dass der Konflikt mit seinen nachteiligen Folgen weiter schwelt (siehe Grundfragen der mongolischen Wirtschaft).

    Ich gehörte 2011 zu den optimistischen Beobachtern der Mongolei und war damit nicht allein. Zwar waren die gravierenden Mängel des politischen Systems deutlich, aber ich sah diese angesichts der sich abzeichnenden wirtschaftlichen Möglichkeiten als nicht so schwerwiegend an. In öffentlichen Äußerungen habe ich das damals auch so ausgedrückt. Man wünschte sich ja, dass ein so durch die Systemwende gebeuteltes Land wie die Mongolei sich nun endlich entschieden nach vorne bewegen würde. Es ist Aufgabe eines Botschafters, das Verbindende zwischen zwei Ländern und die Möglichkeiten zu betonen, das bilaterale Verhältnis zu verbessern und zu erweitern und mitzuhelfen, dass sich die Situation im Lande bessert. Das heißt nicht, Kritik zu verschweigen, aber dies muss in einer Form passieren, die nicht verletzt und nicht angreift und die Kommunikation durch unbedachte Äußerungen gefährdet. Außerdem war nicht zu erwarten, dass ein dem eigenen Kulturkreis fremdes System, das die westliche Demokratie für die Mongolei darstellt, ohne Schwierigkeiten auf die eigene Gesellschaft übertragen werden konnte. Je länger ich mich aber mit der Mongolei beschäftigte, umso deutlicher wurde mir bewusst, dass das politische System mit schweren Fehlern behaftet ist, die weitreichende Korrekturen verlangen. Dies machten mir auch meine Besuche in der Mongolei nach Eintritt in den Ruhestand und meine Gespräche dort deutlich. In dem Abschnitt INNENPOLITIK-GESELLSCHAFT stelle ich diesen Problemkreis dar.

    Die Mongolei hat sich in den letzten Jahren in die falsche Richtung entwickelt. Die Euphorie von vor 10 Jahren ist einer Ernüchterung gewichen. Im Grunde haben die mongolischen Regierungen, hat die politisch-ökonomische Elite, die das Land seit 30 Jahren steuert, aus den Möglichkeiten, die sich vor einem Jahrzehnt abzeichneten, wenig gemacht. Alle Kennziffern, sei es Korruptionsindex (CPI), Index der menschlichen Entwicklung (HDI) oder Demokratieindex, zeigen, dass die Fortschritte insgesamt bescheiden sind. Der mongolische Politiker D. Terbishdagva, der in den letzten 20 Jahren als Diplomat, Abgeordneter des Großen Staatskhurals und Mitglied diverser Regierungen eine führende Rolle in der mongolischen Politik spielte, kommt in seinem 2020 auf Deutsch veröffentlichten Buch zu demselben Ergebnis (siehe meine Rezension Ist die Mongolei noch zu retten?). Die Mongolei hat ohne Zweifel ein großes Entwicklungspotential, aber bislang wurde es nicht effektiv genutzt.

    Die Mongolei ist in wichtigen Merkmalen ihres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens zu einem »Rentierstaat« geworden, wo das Staatsbudget hauptsächlich aus dem Rohstoff-Export finanziert wird. Rente in rohstoffreichen Staaten bezeichnet den vergleichsweise »mühelosen« Gewinn für den Besitzer der Ressource, der einen im Vergleich zu den Gewinnungskosten exorbitanten Gewinn erzielt, der über der »normalen« Kapitalverzinsung liegt. Das deutlichste Beispiel sind die Förderkosten für Rohöl in den Staaten des Nahen Ostens, die nur einen Bruchteil des Ölpreises ausmachen.

    Obwohl die Mongolei eine Privatwirtschaft ist, kontrolliert der Staat über seine Gesellschaften die wichtigsten derzeit ausgebeuteten und gewinnbringenden strategischen Rohstoffvorkommen und damit die Wirtschaft des Landes. Dies sind vor allem die Kupfer- und Molybdän-Mine Erdenet und das Kohlelager Tavan Tolgoi. Im Falle des Kupfer- und Goldlagers Oyu Tolgoi, das sich im Ausbau befindet und bei voller Leistung der viertgrößte Kupferabbau der Welt sein wird, hält der Staat eine Beteiligung von 34%. Oyu Tolgoi wird, sobald es voll produziert, ein Viertel bis ein Drittel zum Staatsbudget beitragen. Bei dieser Sachlage wird der Staat zum wichtigsten Faktor in der Verteilung von Reichtum und Einkommen. Die mongolische Gesellschaft ist zu einer »rent-seeking society« geworden, in der »sich alles um die Verfügungsmacht über die Renten und um die Verteilung der Einnahmen dreht«. Dies hat drei wichtige Gruppen hervorgebracht: Eine Klasse von Eigentümern beziehungsweise von Verwaltern des Reichtums, bedienendes und schützendes Personal und Teile der Staatsbürokratie. ² Der übrige Teil der Gesellschaft entspricht wahrscheinlich ziemlich genau dem Rest der Bevölkerung, nämlich den 30 Prozent, die unterhalb der Armutsgrenze leben.

    Rentierstaaten weisen folgende zentrale Merkmale auf: Die Legitimität der Regierung wird durch soziale Wohltaten und eine Beschäftigungsausweitung des öffentlichen Sektors erkauft; statt Parteien bestimmen Bewegungen und Gruppen das politische Leben, die die Regierung unterstützen und von dieser unterstützt werden, und es wird ein Machtapparat finanziert, der die herrschende Klasse in der Verfügung über die Ressourceneinnahmen schützt.³

    Nun hat sich die Mongolei nicht zu einem der autoritären Systeme entwickelt wie etwa Russland oder die rohstoffreichen zentralasiatischen Staaten. Es gibt nicht den rücksichtslos eingesetzten und umfassenden Machtapparat wie in Russland und ehemaligen Sowjetrepubliken wie Kasachstan und Turkmenistan. Auch ist der Staat finanziell nicht so gut ausgestattet, dass er »rücksichtslos« soziale Wohltaten austeilen kann. Allerdings sind ökonomisch unsinnige und gesellschaftlich schädliche Geldgeschenke und Versprechen vor den Parlamentswahlen üblich, und die Parteien sind reine Klientelorganisationen, die ihre Gefolgschaft mit Staatsposten versorgen und die Staatsbetriebe ausplündern, was immer wiederkehrende Korruptionsskandale und die undurchsichtige Verwendung von Geldanleihen zeigen. ⁴ Und zu den »ergiebigsten« Einnahmequellen gehört für Angehörige des Staatsapparates, insbesondere Regierungsmitglieder, die Vergabe von Bergbaulizenzen oder aber der undurchsichtige Erwerb von Rohstoff-Vorkommen.

    Die Mongolei musste kein autoritäres Regime einführen. Die Herrschaftsmechanismen sind subtiler. Die Elite beherrscht das Land durch eine in dreißig Jahren etablierte Verquickung von Wirtschaft und Politik und nutzt dies zur eigenen Bereicherung. Die Mongolei ist eine Oligarchie, die es geschafft hat, die Fassade einer Demokratie aufrecht zu erhalten.

    Diese Entwicklung war nicht unvermeidlich:

    »Offenbar gibt es keinen einfachen Zusammenhang zwischen Ressourcenausstattung und den ihr zugeschriebenen Konsequenzen. Wichtig ist der Kontext, wie die Beispiele Holland und Norwegen zeigen: Länder, die am Beginn eines Ressourcenbooms konsolidierte Demokratien waren, werden vom Ressourcenfluch nicht oder kaum betroffen. Wichtig ist die Stärke der Institutionen.«

    Die Schwäche der Institutionen ist eines der hervorstechenden Kennzeichen der Mongolei. Die Gewaltenteilung ist unvollkommen und die Justiz ist nicht unabhängig. Staat und Wirtschaft sind Beute der Parteien, die im Grunde nur Organisationen zur Bereicherung ihrer Mitglieder sind.

    »Hoch entwickelte Staaten können die Mechanismen des Ressourcenfluchs außer Kraft setzen (…). Ökonometrische Analysen, die eine Vielzahl von Ländern einbeziehen, lassen nur einen schwachen Zusammenhang zwischen dem Umfang des Ressourcenreichtums und der Ausprägung der Merkmale eines Rentierstaats erkennen. Mit empirischen Daten läßt sich sogar die These untermauern, es gebe keinen Ressourcenfluch an sich, sondern alles hänge davon ab, wie Gesellschaften mit ihrem Ressourcenreichtum umgehen.«

    Rentierstaaten sind auch dadurch gekennzeichnet, dass sich neben dem Rohstoffsektor andere Bereiche der Wirtschaft kaum entwicklen. Man exportiert unverarbeitete Rohstoffe und ist darüber hinaus auf dem Weltmarkt nicht oder kaum präsent. Kleine und mittlere Betriebe, in entwickelten Volkswirtschaften wie der deutschen und westeuropäischen das Rückgrat des wirtschaftlichen Lebens, sind unterrepräsentiert (siehe den Artikel KMU in der Mongolei: Das Beispiel Hasu Megawatt).

    Die große Frage ist, ob sich dieses System aus sich heraus ändern kann. Bislang war es dazu offensichtlich nicht in der Lage. Dafür ist die Elite zu fest etabliert und zu sehr Nutznießer der Verhältnisse und sorgt über ihre Rekrutierungsmechanismen dafür, dass der Nachwuchs »richtig« sozialisiert wird. Die Masse der mongolischen Politiker arbeitet für sich selbst, und eine Orientierung auf die Erfordernisse zur Entwicklung des Landes oder auf das Gemeinwohl fehlt. Die jüngsten Verfassungsänderungen sind ein Beweis dafür, dass weitreichende Maßnahmen zur Umgestaltung des politischen Systems unterlassen wurden, was ich in dem Beitrag Die Verfassungsänderungen in der Mongolei 2020 - ein Fortschritt? sowie Welche weiteren Verfassungsänderungen sind nötig? darstelle.

    Meine Kritik und die Tatsache, dass ich mich immer wieder auch auf Deutschland beziehe und unter Verweis auf das deutsche Beispiel mögliche Veränderungen aufzeige, soll nicht heißen, dass ich das deutsche politische System als der Weisheit letzten Schluss und makelloses Vorbild sehe und der Mongolei »vorschreiben« will, was sie zu tun hat. Die Mongolei und ihre Bevölkerung müssen selbst entscheiden, welchen Weg sie einschlagen.

    Die deutsche Demokratie und die deutsche Gesellschaft haben ihre fehlerhaften Entwicklungen, wie überhaupt die Demokratie als System ihre grundlegenden Schwächen hat. Churchill bezeichnete einst die Demokratie als die beste aller schlechten Staatsformen. Aber sie hat auch grundlegende Stärken, die andere Systeme nicht aufweisen. Im Vergleich zur Mongolei gibt es zudem einen wesentlichen Aspekt, der die unterschiedlichen Dimensionen aufzeigt: Deutschland ist ein reiches Land, das aufgrund vieler Faktoren sein Potential entfalten kann, und ist nicht ohne Grund die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt. Deutschland kann »aus dem Vollen schöpfen« und sich Fehlentwicklungen und Reibungsverluste »leisten«, so unangenehm und unnötig sie auch sind. Die Mongolei befindet sich jedoch in einer prekären politischen und wirtschaftlichen Situation und muss große »Fehler« vermeiden.

    Die prekäre Lage zeigt sich neben der Innen- und Wirtschaftspolitik auch in der Außenpolitik, wie die Arbeiten in dem gleichnamigen Kapitel verdeutlichen, insbesondere der Aufsatz Die geostrategische Lage der Mongolei, der grundlegende Zusammenhänge darstellt. Kein Land entkommt seiner Geographie, was sich bei der Mongolei besonders eindrücklich an ihrer berühmten »Sandwich-Lage« zwischen China und Russland und ihrem Status als Binnenland zeigt.

    Im Großen und Ganzen war die Außenpolitik der Mongolei erfolgreich. Nach der Systemwende vor 30 Jahren hat sich das Land erfolgreich in die internationale Gemeinschaft integriert. Der große Schwachpunkt jedoch ist die fast völlige ökonomische Abhängigkeit von China, die zunehmend den außenpolitischen Erfolg gefährdet. Diese Abhängigkeit zumindest zu mildern, ist die größte aussenpolitische Herausforderung der Zukunft. Dazu muss man die mongolische Wirtschaft als Gesamtheit betrachten und auch hier konsequent grundlegende Weichenstellungen vornehmen, was allerdings bisher keine mongolische Regierung geschafft hat. Wirtschaftliche Stärke (oder Schwäche) hängt unmittelbar mit der Außenpolitik zusammen. Die wirtschaftliche Abhängigkeit der Mongolei von China zeigt, dass einer der konstituierenden Begriffe der mongolischen Außenpolitik, nämlich das Konzept des »Dritten Nachbarn« und der Grundsatz der »ökonomischen Sicherheit« eine Deklaration ist, die in der Wirklichkeit keine Entsprechung findet. Der Begriff des »Dritten Nachbarn« ist ein politisches Mantra geworden, das durch seine unablässige Wiederholung nicht realitätsgerechter wird. Die Beziehungen zu China sind überhaupt das beherrschende Thema der mongolischen Außenpolitik, an dem sich die zukünftige Stellung der Mongolei in der Welt, und manche sagen auch: ihre Souveränität entscheidet (siehe den Aufsatz Die Mongolei und China - eine strategische Partnerschaft). Politik und Wirtschaft hängen eng zusammen.

    Die wirtschaftlichen Probleme werden in dem Artikel Grundfragen der mongolischen Wirtschaft aufgezeigt. Die extreme Abhängigkeit der mongolischen Wirtschaft vom Kohleexport nach China ist nicht nur wegen der durchschlagenden Wirkung der Veränderungen im Preis des Rohstoffs und der Konjunkturentwicklung in China bedenklich, sondern auf längere Sicht vor allem dadurch, dass im Zuge der weltweiten Bekämpfung des Klimawandels die Kohle als Energieträger an Bedeutung verlieren wird, mit anderen Worten, der Wert der riesigen Kohlevorräte der Mongolei tendenziell schrumpft. Dies beeinträchtigt entschieden die Fähigkeit des Landes, Einkommen zu generieren. Anders ausgedrückt: Die Mongolei hat nur noch begrenzt Zeit, ihren wichtigsten Rohstoff zu nutzen, um die eigene wirtschaftliche Basis zu diversifizieren und die Abhängigkeit von Rohstoffexporten zu mildern. Jede Regierung muss der Wirtschaft ihre höchste Aufmerksamkeit widmen und Erfolg erzielen. Der bekannte Ausspruch des ehemaligen Präsidenten Clinton »It’s the economy, stupid« gilt auch und besonders für die Mongolei.

    Den Problemkreis der Abhängigkeit von China und des Konzeptes des »Dritten Nachbarn« habe ich 2013 auf einer Konferenz so zusammen gefasst. Schon damals waren die großen Linien zu erkennen:

    »Die äusseren Einflüsse -das ist mein Eindruck- werden immer stärker, immer gefährlicher für die Mongolei. Die Mongolei ist dabei, noch stärker eine Art Scharnier zwischen Ost und West zu werden. Sie wird in die Auseinandersetzung der drei großen Mächte einbezogen, die wir alle kennen. Russland, China, die USA, aber dann auch natürlich die kleineren, aber diese drei speziell, die die Absicht haben, die Mongolei - ich möchte mal etwas übertrieben sagen: zu vereinnahmen, aber ich glaube, der Ausdruck ist nicht falsch- und sie für ihre eigenen Interessen zu nutzen. Man kann das auch als ‚Buhlen um die Mongolei‘ bezeichnen. Ein so kleiner Staat läuft natürlich Gefahr, irgendwann mal diesem Druck nachgeben zu müssen, mehr als man will, und insofern ist eine Art ‚Ausbalancier-Politik‘ natürlich ganz wichtig. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine solche Politik nur funktionieren kann, wenn die mongolische Regierung ein viel stärkeres Augenmerk darauf richtet, die Wirtschaftsbeziehungen gleichmäßiger zu entwickeln. Der Begriff der Drittnachbarpolitik bleibt leer, inhaltslos und ohne Substanz, wenn er nicht durch breite und ausdifferenzierte Wirtschaftsbeziehungen unterfüttert wird. (…) Ich sehe es als eine der größten Herausforderungen der Mongolei an, sich gegenüber dem südlichen Nachbarn zu behaupten. Gegenüber dem südlichen Nachbarn kann man das nur, wenn man die Wirtschaftsbeziehungen zum Westen und zu den anderen demokratischen Staaten in Asien ausbaut.«

    Ein eigenes Kapitel ist den BEZIEHUNGEN DEUTSCHLAND-MONGOLEI gewidmet. Die Beziehungen sind problemlos, wie dies meine Rede Anmerkungen zu 40 Jahren diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Mongolei zeigt. Auch die Ausführungen zu Freundschaft oder Interessen – Was bestimmt eigentlich das deutschmongolische Verhältnis? verdeutlichen dies. Aber es gibt ein großes Manko: Der bilaterale Wirtschaftsaustausch befindet sich seit Jahren auf einem niedrigen Niveau. Es ist nicht gelungen, das Potential auszuschöpfen. Zwar wurde jahrelang über diverse Großprojekte wie zum Beispiel eine Kohleverflüssigungsanlage gesprochen, und auch erste Schritte zum Kohleabbau in Tavan Tolgoi wurden umgesetzt, aber nichts wurde verwirklicht. Die Mongolei ist nicht der Rohstofflieferant geworden, von Seltenen Erden ganz zu schweigen, wie dies beide Seiten mit dem Rohstoffabkommen induzieren wollten. Die Gründe, weshalb dies nicht gelungen ist und dieser Zustand sich auf absehbare Zeit kaum ändern wird, sind vielfältig. Auf deutscher Seite dürfte der Hauptgrund sein, dass die deutsche Wirtschaft ihren Bedarf auf den Weltmärkten decken kann und davor zurück schreckt, sich langfristig mit Großprojekten in der Mongolei zu engagieren.

    Die mongolische Seite hat diese Einschätzung selbst mit verursacht. Der andauernde Streit um Oyu Tolgoi, die fehlende Rechtssicherheit und Unabhängigkeit der Gerichte, Korruption und fehlende beziehungsweise eine marode Infrastruktur, die die Erschließungskosten für Rohstoffvorkommen in die Höhe treibt, sowie Finanzierungsfragen haben ein wenig förderliches Investitionsklima für deutsche Firmen geschaffen.

    Ein Erfolg ist die Deutsch-Mongolische Hochschule, deren Aufbau nach dem Besuch von Bundeskanzlerin Merkel 2011 in Angriff genommen wurde. Für mich ist diese Hochschule eines der wichtigsten Felder der bilateralen Kooperation mit positiven, langfristigen Wirkungen für die mongolische Wirtschaft und Gesellschaft. Der Artikel Deutsch-Mongolische Hochschule für Rohstoffe und Technologie (DMHT) beschreibt Gründung und Aufbau der Universität und das Interview German-Mongolian Institute for Resources and Technology (GMIT) vermittelt Details zu Zielsetzung und Arbeitsweise der Universität.

    In den letzten Jahren wurde deutlich, dass die Mongolei innerhalb der außenpolitischen Prioritäten Deutschlands einen untergeordneten Platz einnimmt. Das ändert nichts daran, dass es weiterhin in unserem Interesse liegt, mit der Mongolei ein »normales« und wohlwollendes diplomatisches Verhältnis der Kooperation, auch in internationalen Organisationen und der vor allem auch gesellschaftlichen Kontakte zu unterhalten. Nur muss man anerkennen, dass die Mongolei keinen bevorzugten Platz (mehr) einnimmt. Dies zeigt sich deutlich an der Neuordnung der weltweiten deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ), wo die Mongolei nicht mehr direkter Partner ist. Der Aufsatz The old days are over: Germany’s Development Cooperation with Mongolia and Foreign Policy untersucht dies.

    Der letzte Abschnitt enthält Aufsätze zu touristischen Aspekten der Mongolei. Am Anfang diese Kapitels steht die Schilderung meiner Versetzungsreise mit der Bahn von St. Petersburg, wo ich drei Jahre als Generalkonsul tätig war, über Moskau nach Ulan Bator 2011. Jeder, der ein wirkliches Gespür für die Entfernung zwischen Europa und der Mongolei bekommen möchte, sollte bei einer Reise in die Mongolei eine Richtung per Bahn zurücklegen.

    Vor 2011 war ich zweimal in der Mongolei, nämlich 1984 und 1993. Aus 1993 zeige ich eine Anzahl Bilder, die auch die damalige schwierige Situation des Landes verdeutlichen, und wie sich zaghaft eine neue Gesellschaft entwickelte. Zwei äußere Zeichen zeigten den Aufbruch in die neue Zeit: Es gab die ersten westlichen Autos, und in Ulan Bator kleideten sich die Menschen in aus China und Russland herbei geschaffte Jeans und Freizeitjacken. Mit diesen Farbtupfern wurde die ehemalige sozialistische Tristesse nur umso deutlicher. Die Hauptstadt war weiterhin ein grau-braunes, wenig inspirierendes großes Dorf, das eine Laune der Geschichte in die Steppe gesetzt hatte. Auf dem Lande hatte sich noch weniger als in der Hauptstadt geändert.

    2011 bot Ulan Bator ein ganz anderes Bild. Die Stadt war lebendig, dynamisch und bunt geworden. Überall wurde gebaut, der Verkehr war kaum noch zu bändigen, und die Stadt platzte aus allen Nähten. Das Kapitel Die Mongolei - gestern und heute zeigt diesen Wandel.

    Die Mongolei ist keine gewöhnliche touristische Destination und noch nicht vom Massentourismus erobert. Der von den entwickelten Zielen in der Welt verwöhnte Besucher wird von der touristischen Infrastruktur mitunter enttäuscht sein und muss Abstriche machen. Aber gerade diese Unzulänglichkeiten sind der Reiz. Der Massentourismus und der forcierte Ausbau der Infrastruktur hätten das Risiko, gerade das zu gefährden, weshalb man in die Mongolei kommt, nämlich ihre Ursprünglichkeit in den ländlichen Gebieten, die Einsamkeit und die grandiose Natur und Landschaft und die damit verwobenen materiellen und immateriellen Zeugnisse ihrer Geschichte, die in dieser Kombination einmalig sind.

    Je ausgiebiger man sich mit einem Land beschäftigt, desto komplexer stellt es sich dar. Man erkennt neue Zusammenhänge, die Perspektiven und Gewichtungen verschieben sich. Dies spiegelt sich auch in den hier präsentierten Beiträgen.

    Meine Artikel sind kritisch, und ich nehme kein Blatt vor den Mund. Die Kritik ist keine Abwertung. Ich beschreibe die Mongolei so, wie sie ist. Dieses Buch enthält sich der Reiseführer-Prosa. Ich muss die Verhältnisse nicht schönschreiben, um Touristen in die Mongolei zu locken und meine Arbeit zu verkaufen. Ich versuche einfach, ein realistisches Bild zu vermitteln, und dazu gehört Lob wie auch Kritik.

    In der Mongolei war mir meine Frau Angelika, wie schon in den zwanzig Jahren zuvor, eine treue und hilfreiche Begleiterin. Ihr ist dieses ungewöhnliche Land an’s Herz gewachsen, genau wie mir, und nicht zuletzt deshalb widme ich ihr dieses Buch.


    ¹ Schaller, Peter: Beziehungen zwischen Deutschland und der Mongolei - Stand und Perspektiven. Schlusswort (Audio-Mitschnitt). In: Barkmann, Udo (Hg.): Mongolisch-deutsche Beziehungen – gegenwärtiger Stand und Perspektiven. Ulaanbaatar 2013, S. 301f (Text leicht überarbeitet).

    ² Götz, Roland: Postsowjetischer Ressourcenfluch? Reichtum und Autoritarismus. In: Osteuropa, 61. Jahrgang, Heft 7, Juli 2011, S. 3-23.

    ³ Götz a.a.O., S. 6.

    ⁴ Der bekannte Journalist und unermüdliche Kritiker der mongolischen Politik D. Jargalsaikhan drückt dies so aus: »There is a Mongolian saying ‚You will not go hungry, if you follow the live-stock‘. It is now said that one will not go hungry if one follows a political party.« Jargalsaikhan, Dambardajaa: The secret of smart government. Discussions on the making of good public governance. Ulaanbaatar 2014, S. 278.

    ⁵ Götz, a.a.O., S. 6.

    ⁶ Götz, a.a.O., S. 7.

    ⁷ Jargalsaikhan, a.a.O., S. 302, stellt fest: »When the world economy catches a cough, Mongolia directly catches a cold. Furthermore, when the world economy has a cold, Mongolia is already in the emergency room on a life support machine. It is all because Mongolia is too vulnerable.«

    ⁸ Schaller, Peter: Beziehungen zwischen Deutschland und der Mongolei - Stand und Perspektiven. Schlusswort (Audio-Mitschnitt). In: Barkmann, Udo (Hg.): Mongolisch-deutsche Beziehungen – gegenwärtiger Stand und Perspektiven. Ulaanbaatar 2013, S. 300f. (Der Text wurde leicht überarbeitet).

    ALLGEMEINES

    Steckbrief Mongolei

    Die Mongolei ist ein recht unbekanntes Land. Deshalb möchte ich einen Überblick zu den grundlegenden Fakten von Geographie, Geschichte, Wirtschaft,

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1