Systemisches Business-Coaching: Lösungsorientiert Veränderungen herbeiführen
Von Jessica Andermahr und Boris Jermer
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Über dieses E-Book
Wohin die "Reise" gehen soll, bestimmt immer der Coachee. Sein Anliegen, seine Ressourcen und seine Lösungen stehen im Mittelpunkt eines jeden Coachings. Der Coach ist ein Begleiter, der "Reiseerfahrung" und einen vollen Methodenkoffer einbringt. Was er aus diesem Koffer hervorholt, braucht ein feines und erfahrenes Gespür für den Menschen und seine Situation. Keine noch so erprobte Methode hat ein Recht auf Selbstzweck.
Die Kunst des Coachings liegt nicht nur in einem reichhaltigen Fundus an Methoden. Sie liegt vor allem darin, die in diesem einen Moment für diesen besonderen Menschen mit seinem individuellen Anliegen beste Methode auszuwählen und gekonnt anzuwenden.
Mit diesem Buch richten wir uns an Menschen, die ihre neue Rolle als Coach strukturiert kennenlernen und aufbauen möchten. Es dient als Begleitbuch zu unserer Coaching-Ausbildung und als Basis, um die eigene Entwicklung voranzutreiben. Auch für Fortgeschrittene ist es eine Einladung, an eigenen inneren Bildern, am Methodenrepertoire und an der eigenen Haltung weiter zu feilen.
Jessica Andermahr & Boris Jermer
Jessica Andermahr
Jessica Andermahr arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten im Bereich der Personal-, Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung. Die studierte Soziologin und Kommunikationsforscherin hat besonders die Wechselwirkung von Individuum und Kontext im Fokus. Menschen und Organisationen mit ihrer primären Aufgabe in Kontakt zu bringen und in deren Realisierung wirksam zu sein - das ist nicht nur ihr Beruf, sondern ihre Berufung.
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Buchvorschau
Systemisches Business-Coaching - Jessica Andermahr
VORAB
Dieses Buch ist aus der Praxis für die Praxis geschrieben. Für uns ist Coaching Beruf und Berufung. Auch nach vielen Jahren und ungezählten Gesprächen mit Menschen, die sich uns anvertraut haben, ist jeder neue Coachee wie der Beginn einer neuen Reise - zu neuen Ufern und neuen Lösungen, zu Veränderung und Entwicklung, zu Kontakt und Beziehung. Bei diesen Reisen dabeizusein und zu beobachten, wie sich immer wieder neue Etappen, Erfahrungen und Ausblicke ergeben, macht das Coaching für uns zu einer stets aufs Neue spannenden und erfüllenden Aufgabe.
Wohin die „Reise gehen soll, bestimmt immer der Coachee. Sein Anliegen, seine Ressourcen und seine Lösungen stehen im Mittelpunkt eines jeden Coachings. Der Coach ist ein Begleiter, der „Reiseerfahrung
und einen vollen Methodenkoffer einbringt. Was er aus diesem Koffer hervorholt, braucht ein feines und erfahrenes Gespür für den Menschen und seine Situation. Keine noch so erprobte Methode hat ein Recht auf Selbstzweck.
Die Kunst des Coachings liegt nicht nur in einem reichhaltigen Fundus an Methoden. Sie liegt vor allem darin, die in diesem einen Moment für diesen besonderen Menschen mit seinem individuellen Anliegen beste Methode auszuwählen und gekonnt anzuwenden.
Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.
Paul Watzlawik, Kommunikationswissenschaftler
Mit diesem Buch richten wir uns an Menschen, die ihre neue Rolle als Coach strukturiert kennenlernen und aufbauen möchten. Es dient als Begleitbuch zu unserer Coaching-Ausbildung und als Basis, um die eigene Entwicklung voranzutreiben. Auch für Fortgeschrittene ist es eine Einladung, an eigenen inneren Bildern, am Methodenrepertoire und an der eigenen Haltung weiter zu feilen.
Jessica Andermahr & Boris Jermer
Inhalt
1. BEGRIFFSKLÄRUNG
Coaching
Systemisches/systemischeres Coaching
Lösungsfokussiertes Coaching
Menschenbild und Haltung
Rolle des Coaches und Abgrenzung
2. WAS MACHT EIGENTLICH EIN COACH?
3. COACHINGANLIEGEN UND -KONTEXTE
Konflikte
Zielbestimmung
Rollenwechsel
Resilienz
Diversity
Querschnittsthema: Kompetenzentwicklung
Querschnittsthema Transformation & Change
Zwei statt Einem: Dyadencoaching
Teamcoaching
4. AUSGANGSLAGEN: BEVOR ES ÜBERHAUPT LOSGEHEN KANN
Eigenes Konzept
Das System des Kunden
Betriebswirtschaftliche Grundlagen
5. PHASEN DES COACHINGPROZESSES
Vor dem Coaching – Beteiligte und Fallstricke
Erstgespräch – Verbindung herstellen
Auftragsklärung – Klarheit schaffen
Angebotserstellung
Vorbereitung auf die Gespräche
Coachinggespräche
6. SPRACHE UND KOMMUNIKATION
Arten der Kommunikation
Die Welt des Spiegelns
Gespräche voranbringen
Schweigen nutzen
Interventionspyramide
7. PSYCHOLOGISCHE UND NEUROBIOLOGISCHE GRUNDLAGEN
Vorbemerkung zum Gehirn
Realität als Konstruktion
Spiegelneuronen
Embodiment
Somatische Marker
Priming
Bewältigungsstrategien (Coping)
8. FRAGEN ALS GRUNDELEMENT DES COACHINGS
Zuhören und Beobachten als Voraussetzung
Systemische Fragen
Weitere Arten von Fragen
9. LÖSUNGSFOKUSSIERUNG ALS HALTUNG UND METHODE
Grundsätzliches
Die Welt der Lösungen
Ablauf des lösungsfokussierten Interviews
10. DEN LEIB EINBEZIEHEN
Perls: Gestalttherapie
Moreno: Psychodrama und Soziodrama
Satir: Skulpturarbeit
Satir: Parts Party
Arbeit mit dem inneren Team
Somatische Marker
11. HYPNOTHERAPEUTISCHE ELEMENTE
Grundbegriffe der Hypnotherapie
Was ist eigentlich Trance?
Problem- und Lösungstrance
Umdeuten/Umerzählen
Innere Einstellungen/Glaubenssätze und der kleine Unterschied
Arbeit mit der Timeline
Arbeit mit Submodalitäten
Geschichten und Metaphern
12. TRANSVERBALE SPRACHE
Grundlagen transverbaler Sprache
Elemente und Ablauf von systemischen Strukturaufstellungen
Einzelarbeit und transverbale Sprache
Tetralemma
Syst-Dreieck®
Problemaufstellung
Zielannäherungsaufstellung
Partielle Strukturaufstellung
13. SCHWIERIGE SITUATIONEN
Intransparente Auftragslage
Übertragung
Blaming
Ungeduld
Rubikon-Prozess
Energielosigkeit
Stakeholdermanagement
14. SELBSTSORGE COACH
Selbstreflexion
Resilienz
Grenzen setzen
Grundbedürfnisse
Entspannungstechniken - Körper & Geist im Gleichklang
AUF EIN WORT: GENDERGERECHTE SPRACHE
„Der*die Coach*in ist - wie ein*e Gärtner*in - ein*e Begleiter*in für seine*n/ihre*n Klienten*in."
Vor diesem und ähnlichen korrekt gegenderten Sätzen standen wir, als wir uns daran gemacht hatten, in diesem Buch die Teilhabe aller Geschlechter auch in der Sprache umzusetzen. Letztendlich haben wir uns gegen eine konsequente Umsetzung entschieden. Aber wir haben uns diesen Entschluss nicht einfach gemacht.
Unsere Organisation heißt SPRACHKULTUR, und in der Sprache spiegelt sich für uns alles, was Menschen und Organisationen prägt. Wir sind sicher, dass Sprache das Bewusstsein verändern kann. Den Argumenten, verschiedenen Geschlechtern in der Sprache Gleichberechtigung verschaffen zu wollen, können wir gut folgen.
Auf der anderen Seite ist Sprache unser Hauptwerkzeug, um miteinander zu kommunizieren und in Beziehung zu treten. Sollen unsere Botschaften ankommen, muss Sprache klar und verständlich sein. In diesem Spannungsfeld haben wir versucht, einen gangbaren Weg für dieses Buch zu finden.
Wir haben sie alle Ernst genommen: Gender-Gap, Doppelpunkte, Sternchen, Binnen-I, Verlaufsform und kontinuierliche Doppelnennung. Wir haben mit ihnen gearbeitet und gespielt und sie offen und wertfrei ausprobiert.
Bislang haben uns alle diese Lösungen noch nicht überzeugt. Nehmen wir die Grammatik ernst, wird der Text überfrachtet von Genderzeichen-Konstruktionen und Bandwurmsätzen. Verständlichkeit, Lesefluss und Lesespaß leiden darunter. Wir haben uns daher dazu entschieden, das „generische Maskulinum, das die deutsche Sprache uns anbietet, zu nutzen. Generisch bedeutet, ein Wort (für Personen oder Berufsbezeichnungen) soll als allgemeingültiger Oberbegriff für alle Geschlechter verstanden werden. Wenn wir von „Coach
schreiben, meinen wir coachende Menschen jeden Geschlechts. Wo es sprachlich gut möglich ist, insbesondere bei unseren Beispielen und Übungen, verwenden wir gezielt unterschiedliche Geschlechter.
Wir stellen uns damit nicht auf eine „Seite" der Befürworter oder Gegner gendergerechter Sprache. Im Gegenteil. Wie auch in unserer Beratungs- und Coachingtätigkeit sehen wir in Spannungsfeldern immer Energie für Veränderungen. Es gilt, diese Spannung auszuhalten und zu nutzen, um aus ihr heraus zu sinnvollen Lösungen zu gelangen. Irgendwann wird sprachlich eine Lösung entstehen, über die unsere Nachfahren nicht mehr diskutieren werden, weil Realität und Sprache übereinstimmen. Bis dahin sollte es erlaubt sein, auszuprobieren und das individuell Passende ohne Ideologie und Schublade verwenden zu können. Dazu gehört auch, es immer wieder zu reflektieren und zu hinterfragen.
Wir bei SPRACHKULTUR stehen im täglichen Miteinander unserer Arbeit für eine Kommunikation, die auf Respekt und Wertschätzung fußt - unabhängig vom Geschlecht oder einem der vielen anderen Unterschiede bei unseren Gesprächspartnern. Stellen Sie sich bitte jetzt vor Ihrem geistigen Auge eine Gruppe von Coaches unterschiedlichen Geschlechts vor, die alle fröhlich miteinander kommunizieren. Mit diesem Bild wünschen wir Ihnen viel Vergnügen beim Lesen!
1. BEGRIFFSKLÄRUNG
» Was ist überhaupt Coaching, und was muss ich als Coach können?
» Warum setzen wir auf systemisch(eres) und lösungsorientiertes Coaching – und was genau ist das eigentlich?
» Warum machen das Menschenbild und die persönliche Haltung des Coaches den entscheidenden Unterschied?
» Wie unterscheidet sich der Coach von Trainer, Berater, Moderator und Führungskraft
Die Kraft des Gedanken ist unsichtbar wie der Same, aus dem ein riesiger Baum erwächst. Sie ist aber der Ursprung für die sichtbaren Veränderungen im Leben des Menschen.
Leo Tolstoi, Schriftsteller
Coaching
Wortherkunft
Coaching leitet sich ab von engl. coach, der „Kutsche, was wiederum auf Französisch „coche
und ungarisch kocsi zurückgeht. Es hat die Bedeutung „von einer Kutsche bewegt werden
. Im Englischen meint Coaching ursprünglich „trainieren" und bezieht sich auf die Entwicklung von Fertigkeiten im Sport und Beruf.
Der Begriff Coaching wurde zunehmend in den allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen. Das ist gut, weil es Coaching zu etwas macht, was im Alltag eine Rolle spielt. Weniger gut ist, dass der Begriff zunehmend unscharf geworden ist. An jeder Ecke meint man, Coaching-Angebote für jede Lebenslage erhalten zu können. Aber ist das wirklich alles Coaching?
Eine allgemeingültige wissenschaftliche Definition für Coaching gibt es nicht. Wir halten es daher für wichtig, Ihnen einige grundlegende Merkmale an die Hand zu geben, um unser Verständnis vom „Wesen" des Coachings greifbarer zu machen. Los geht’s:
Coaching ist freiwillig und begrenzt
Grundsätzlich ist Coaching freiwillig und kann vom Coachee jederzeit ohne sichtbare Konsequenzen beendet werden. Es ist ein zeitlich begrenzter Prozess, der endet, wenn das vom Coachee definierte Coachingziel erreicht ist, kann jedoch mit gleicher, ähnlicher oder neuer Zielsetzung verlängert oder zu einem späteren Zeitpunkt fortgeführt werden. Bei einem guten Vertrauensverhältnis kann ein Coach seine Coachee durch weite Teile seines Arbeitslebens begleiten.
Coaching bedeutet Veränderung
Sie als Coach unterstützen Ihren Klienten (auch Coachee genannt) dabei, neue Lösungen und Wege zu finden. Es geht beim Coaching also immer darum, einen aktuellen Zustand in einen zukünftigen zu führen, der vom Coachee als besser, angenehmer, zielführender empfunden wird. Sie wirken als Begleiter Ihres Coachee und bieten ihm einen Raum, in dem Veränderung möglich ist und Menschen über sich hinauswachsen können.
Coaching zielt auf „Hilfe zur Selbsthilfe"
Die Inhalte des Coachings bestimmt der Coachee. Es liegt auch nicht beim Coach, die „richtige oder „beste
Lösung zu kennen oder gar zu nennen. Über diese entscheidet nur der Klient selbst. Ziel des Coachings ist es dementsprechend, den Coachee zu unterstützen, eigene Lösungen finden zu können. Dafür bieten Sie ihm zum Beispiel Reflexionsfläche und Sparring für sein Handeln, Denken und Verhalten, helfen ihm, seine eigenen Stärken und Ressourcen zu entdecken sowie Blickwinkel zu wechseln.
Coaching ist Interaktion
Coaching geht immer nur im persönlichen Kontakt. Es braucht (mindestens) zwei Menschen, die zusammensitzen und kommunizieren. Das klingt selbstverständlich, aber es ist wichtig, sich explizit darüber im Klaren zu sein, dass Coaching immer eine intensive Beziehung zwischen Coach und Coachee erfordert, die im permanenten Wechselspiel den Veränderungsprozess vorantreiben. Kommunikation auf verschiedenen Ebenen ist das A und O des Coachings, weil Kommunikation im „Dazwischen entsteht. Auch ein „Out-of-the-Box-Denken
ist nur möglich, wenn eine Beziehung zwischen Coach und Coachee besteht.
Coaching ist individuell
Kein Klient ist wie der andere. Selbst wenn die Ausgangssituationen sich stark ähneln sollten, ist die relevante Komponente die individuelle Wahrnehmung des Coachee – und die kann von Mensch zu Mensch äußerst unterschiedlich sein. Als Coach werden Sie also keine 08/15-Gespräche führen können, die alle beim gleichen Ergebnis enden. Jede neue Konstellation fordert ein neues Einstellen auf die Situation und den Coachee und wird mit anderen Resultaten enden.
Coaching ist professionell
Coaching ist anspruchsvoll und muss von Verantwortung getragen sein. und praktische Ausbildung, die Ausgangspunkt für die weitere pratische Übung, Erfahrung uns permanent Selbstreflexion ist. Coaching braucht daher eine theoretische und praktische Ausbildung, die Ausgangspunkt für Übung, Erfahrung und permanente Selbstreflexion ist. Ein Coachinggespräch ist immer methodisch geleitet und bei weitem nicht „einfach nur reden" – egal für wie einfühlsam Sie sich halten. Coaching erfordert fundiertes Wissen über Kommunikation, Psychologie, Soziologie und Neurobiologie und neben Lebenserfahrung verschiedene Quellen, aus denen methodisch geschöpft werden kann. Zur Professionalität gehört auch, von einem bestimmten Menschenbild und bestimmten Werten geleitet zu werden, und nicht von eigenen unreflektierten Meinungen.
Darüber hinaus ist die Fähigkeit, einen antreiberfreien Raum entstehen zu lassen, ein Kennzeichen für professionelles Coaching. Antreiberfrei bedeutet, eigene Themen der eigenen Biografie sind weitestgehend aufgearbeitet und der Coach begegnet dem Klienten offen und frei.
Business Coaching und Life Coaching
Coaching wird abhängig von Anlass und Zielgruppe nach Business Coaching und Life Coaching unterschieden. Beim Business Coaching stehen berufliche Themen im Vordergrund, und es wird meist über ein Unternehmen bezahlt. Beim Life Coaching geht es eher um Themen aus dem privaten Umfeld. Scharf lassen sich die beiden Lebensbereiche nicht trennen, da sie sich gegenseitig beeinflussen können und die Grenzen fließend sind. In diesem Handbuch befassen wir uns dennoch explizit mit dem Business Coaching.
Einzelcoaching und Teamcoaching
Neben dem „traditionellen" Coachen von Einzelpersonen kann es auch vorkommen, dass zwei oder mehr Personen Unterstützung erhalten möchten. Dies kann beispielsweise ein neues Führungsduo sein, dass besser zusammenfinden möchte, oder auch ein ganzes Team. Häufig gehen Einzel- und Teamcoaching Hand in Hand (systemisch!). Ein Teamcoaching ist komplexer und setzt noch mehr Erfahrung voraus, weil Sie gleich verschiedene Systeme im Raum sind. Dies braucht als Coach besonders viel Freude an Komplexität, der methodisch klar und durch gute Prozessbegleitung begegnet werden sollte. Trotz Interaktion und Gruppendynamik bleiben die Grundlagen und Methoden beim Teamcoaching die gleichen wie beim Einzelcoaching. Wir werden das Teamcoaching in diesem Handbuch berücksichtigen und wenn nötig auf Besonderheiten hinweisen.
Systemisches/systemischeres Coaching
Auch „systemisch" ist ein Wort, das im Beratungs- und Coachingumfeld schon seit geraumer Zeit immer häufiger genannt und angeboten wird – ebenfalls häufig unscharf definiert und ebenfalls mit unterschiedlich professionellem Background in der Umsetzung.
Systemisches Denken ist eine Denkschule, die mittlerweile weite Teile der westlichen Wissenschaftstheorie durchdrungen hat. Es ist keine modische Attitüde, sondern ein seit den 1950er Jahren die Sozial-, Geistes- und Naturwissenschaften gleichermaßen prägendes Denkmuster (für tieferes Eintauchen finden Sie Materialien in den Literaturtipps am Ende des Buches).
Auf den Punkt gebracht bedeutet systemisches Coaching, dass Sie als Coach nicht nur Ihren Coachee und sein inneres System betrachten, sondern sein ganzes soziales Umfeld, seinen Kontext (äußeres System) mit in den Blick nehmen – und zwar wiederum nicht so, wie Sie es sehen, sondern so, wie Ihr Klient es wahrnimmt.
Auch ohne „systemisch" im Namen wird Coaching nie das Umfeld ausklammern können, denn jeder Coachee wird sich mit seinem Anliegen innerhalb seiner Organisationsstruktur und in Beziehung zu anderen Menschen orientieren (müssen). Coaching -Erfolg wird immer in Handlungen und Haltungen sichtbar. Diese wiederum zeigen sich erst in Kontexten, in Situationen und relevanten Beziehungen
Systemisch oder „systemischer" zu arbeiten, bedeutet für uns, die Wirkungsweisen innerhalb von Systemen bewusst, systematisch und methodisch in die Arbeit mit dem Coachee einzubeziehen. Wir sehen den Coachee, sein Denken und sein Handeln immer im Zusammenhang mit anderen Menschen und Einflüssen in Vergangenheit und Zukunft sowie unterschiedlichen äußeren wie inneren Refenzsystemen.
Für die Arbeit als Coach haben wir die folgenden Prämissen als Grundlage, auf denen wir dieses Handbuch aufbauen:
» Wir legen den Blick nicht nur auf Einzelpersonen oder Probleme, sondern immer auch auf Kontexte und Wirkzusammenhänge im Innen und im Außen.
» Dass wir systemisch arbeiten, erkennt man am besten an unseren Fragen. Wir arbeiten weniger kausal (Warum? Weil x so, muss y so), sondern unsere Frage ist: Welche Intention hat X, und inwieweit ist das zieldienlich? Durch was an X fühlt sich Y gestört? Was ist das Ziel von Y? Gab es Zeiten wo X und Y in einer anderen, vielleicht besseren Form, verbunden waren?
» Es gibt keine objektive Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist das, was jeder Einzelne – speziell unser Coachee – beim Betrachten der Elemente und ihrer Verbindungen als wahr erachten. Ob wir als Coaches anderer Meinung sind oder nicht, spielt eine untergeordnete Rolle.
Systemisches Arbeiten setzt eine sehr klare, antreiberfreie Arbeitshaltung voraus – sie braucht viel Reflexion, Übung, Erfahrung und Energiearbeit. Je klarer wir dem Coachee antreiberfreie Gesprächsräume bieten können, desto mehr Erkenntnis ist für ihn möglich, und desto besser wird er für sich neue Möglichkeiten und Lösungen sehen. Als systemisch arbeitender Coach sind Sie demnach sozusagen „Möglichkeitskonstrukteure".
Unsere Arbeit bei SPRACHKULTUR und auch dieses Handbuch fußen unter anderem auf den Theorien und Methoden des Konstruktivismus, der Lösungsfokussierung, der Kybernetik, der System- und Kommunikationstheorie sowie der Systemischen Strukturaufstellung nach Insa Sparrer und Matthias Varga von Kibéd. Sie werden die systemischeren Gedanken in jedem Kapitel wiederfinden, und wir sind sicher, dass Sie sie am Ende spielend verinnerlicht haben.
Erfahrung ist nicht das, was mit einem Menschen geschieht.
Sie ist das, was ein Mensch aus dem macht,
was mit ihm geschieht.
Aldous Huxley, Schriftsteller
Lösungsfokussiertes Coaching
Woher kommt es?
Der lösungsfokussierte Ansatz entstand vollständig in der Praxis. Er wurde durch die Psychotherapeuten und Sozialarbeiter Steve de Shazer und Insoo Kim Berg am Brief Family Therapy Center in Milwaukee weltweit bekannt. Philosophische Anleihen nahmen sie bei Ludwig Wittgenstein. Der lösungsfokussierte Ansatz, der sich fundamental von etablierten Ansätzen wie Problemanalyse unterscheidet, findet nach und nach auch Eingang in Wirtschaft und moderne Organisationsentwicklung.
Natürlich will jeder Coach für seinen Coachee Lösungen finden – Sie werden aber nicht wesentlich weiterkommen, wenn Sie sich endlos von Ihrem Coachee seine Probleme erzählen lassen und dann versuchen, diese detailliert zu analysieren. Das lösungsfokussierte Coaching setzt von Beginn an auf die Lösung. Theoretisch ist es dabei sogar möglich, dass der Coachee eine Lösung findet, ohne das Problem überhaupt zu thematisieren. In der Praxis wird Ihnen der Coachee meist zunächst das Problem zur Sprache bringen. Ihre Aufgabe besteht dann darin, sich nicht an diesem Problem festzufressen, und auch bei einer spannenden Lebensgeschichte nicht Ihrer eigenen „literarischen Neugierde zu verfallen, sondern immer wieder vom Problem- in den Lösungsraum zu wechseln. Je besser es gelingt, das „Stattdessen
mit allen Sinnen zu erleben, desto wahrscheinlicher wird die Umsetzung
Anstatt die Konzentration auf ein Problem und damit auf die Vergangenheit oder die Gegenwart zu richten, nehmen Sie die Lösung und die erwünschte Zukunft in den Blick – und nehmen in Gedanken an eine bestimmte erwünschte Situation, ein erwünschtes Ziel oder einen erwünschten Zeitraum die zukünftige Veränderung vorweg. Wie das geht und welche Fragen Sie dabei weiterbringen, erfahren Sie ausführlich im Rahmen dieses Handbuchs.
Erste Grundannahmen der Lösungsfokussierung können Sie sich schon merken:
» Die Zukunft wird erschaffen und ist verhandelbar, da wir nicht Sklaven unserer Vergangenheit sind.
» Menschen haben alle Ressourcen, Fähigkeiten und das Wissen, um ihr Leben besser zu machen, wenn sie entscheiden, dass dies gut für sie ist, und sie es wollen.
Zur Lösungsfokussierung gehört auch, Lösungen immer wieder in Frage zu stellen, beziehungsweise in ihrer Wirkung zu überprüfen. Wenn eine vermeintliche Lösung zu keiner positiven Veränderung führt, ist es kontraproduktiv, dieses Verhalten noch weiter zu verstärken. An dieser Stelle ist es Ihre Aufgabe als Coach, mit Ihrem Klienten danach zu suchen, welche Alternativen eher hilfreich wären.
„Nun bist du mit dem Kopf durch die Wand.
Und was wirst du in der Nachbarzelle tun?"
Stanislaw J. Lec, Lyriker und Aphoristiker
Mit systemischem, lösungsorientierten Blick helfen Sie dem Coachee, weitere, vielleicht unbewusste, Netzwerke zu aktivieren, in denen er mehr Handlungsmöglichkeiten und Kompetenzen sieht. Aus diesem Lösungsraum heraus lassen sich Fragestellungen, die sich vielleicht im ursprünglichen Zustand als Problem gezeigt haben, anders lösen und auflösen. Lösungsmöglichkeiten in Systemen entstehen nämlich meist im „Dazwischen" und weniger in der einen oder anderen Position. Auch dies wird ein Schwerpunkt dieses Handbuchs sein.
Menschenbild und Haltung
Die innere Haltung
Als innere Haltung ist ein Begriff aus der Psychologie. Er steht für die Einstellung, mit der ein Mensch anderen Menschen und Situationen begegnet, und wie er sie aufgrund dieser Einstellung bewertet. Die innere Haltung findet ihren Ausdruck in Verhalten, Emotionen und Wertesystem. Mit Aspekten wie Kommunikation und subjektive Wahrnehmung greift sie tief in alles ein, was wir tun – und was wir lassen.
Eine Einstellung oder Haltung entsteht dadurch, dass wir Erfahrungen immer wieder machen. Unsere innere Haltung, mit der wir durch unser Leben gehen, ist durch positive und negative Erfahrungen und Situationen in der Vergangenheit entstanden und teilweise tief und fest in unserem Denken, in unseren inneren Bildern, die wir von uns und der Welt haben, und in unserem Verhalten verankert.
Wie unter dem Begriff Coaching erläutert, ist es der Coachee, der sowohl die Inhalte des Coachings bestimmt als auch die Lösungen findet und bewertet. Unter Lösungsfokussierung haben Sie gelesen, dass jeder Mensch Ressourcen und Fähigkeiten hat, um positive Veränderungen herbeizuführen. Aus diesen Prämissen ergibt sich, dass der Coach dem Coachee dies alles auch zutrauen muss. Sobald Sie glauben, mehr (besser) zu wissen als Ihr Klient, ist es ratsam, vorsichtig zu werden, und sich auf das zu besinnen, was Sie im Coachee als Menschen sehen und wie Sie ihm entgegentreten.
Mein Coachee schafft das!
Im Menschenbild, das dem systemischen, lösungsfokussierten Coaching zugrunde liegt, steht ganz obenan der Glaube, dass jeder Mensch Ressourcen und Stärken hat, die sich so ordnen lassen, dass die Lebensqualität des Coachee sich verbessert. Mit anderen Worten: Trauen Sie Ihrem Coachee mit einer ermutigenden, staunenden Haltung richtig viel zu!
Ich trete einen Schritt zurück!
Wenn Sie Ihren Coachee unterstützen wollen, als eigener Experte seines Lebens seine eigenen Lösungen zu finden, dann braucht dies eine Haltung, die Ihren eigenen Bezugsrahmen weitestgehend beiseitestellt. Für diesen Zustand haben die US-amerikanischen Psychologen Harlene Anderson & Harold A. Goolishian 1992 im Buch „The Client ist the Expert den Begriff „Nicht-Wissen
geprägt. Er drückt aus, dass der Coach die Erfahrungen, Handlungen und Bedeutungen seines Coachee nie vorab kennen kann. Er muss sich auf die Wahrnehmung und Erklärung seines Klienten verlassen. Die Haltung des „Nicht-Wissens beschreiben die Autoren mit „aufrichtiger Neugier
. Der Coach positioniert sich dabei selbst in einer Weise, die es ihm erlaubt, durch den Coachee „informiert" zu werden.
Im Gegensatz etwa zu Nichtstun erfordert Nicht-Wissen eine gehörige Portion Übung und Erfahrung. Auch hierbei sind Fragetechniken das A und O. Wir werden Ihnen in diesem Handbuch noch viele Möglichkeiten geben, das Wesen des Nicht-Wissens zu verstehen.
Ich bin kein Richter!
Nicht nur im Artikel 1 unseres Grundgesetzes, auch in unserem Artikel 1 der Coachee-Haltung, steht das Respektieren der menschlichen Würde. Jeder Mensch hat das Recht, als wertvolles Wesen behandelt zu werden. (Nicht nur) im Coaching bedeutet dies, die Menschen so zu akzeptieren „wie sie sind – mit ihren Stärken und Grenzen, ihrem augenscheinlich gesunden oder ungesunden Verhalten, ihren individuellen Haltungen und Gewohnheiten. Akzeptanz ist dabei nicht gleichbedeutend mit Billigung. Ein Coach kann akzeptieren, ohne zustimmen zu müssen.Zum Nicht-Wissen kommt nun noch das Nicht-Urteilen. Für das Coaching spielt es keine Rolle, ob der Coachee in den Augen des Coaches „schuldig oder nicht schuldig
an seinem Problem oder seiner Situation ist. Akzeptanz und eine nicht-urteilende Haltung sind beste Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Coach und Klient.
„Wer die Welt bewegen will, sollte erst sich selbst bewegen."
Sokrates, Philosoph
Rolle des Coaches und Abgrenzung
Zum Abschluss des Kapitels möchten wir nochmal genauer abgrenzen, was einen Coach von anderen, vermeintlich oder tatsächlich ähnlichen, Rollen unterscheidet.
Zur Erinnerung: Coaching ist freiwillig und auf Augenhöhe. Es kann jederzeit ohne sichtbare Konsequenzen beendet werden. Den