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Coaching als mitmenschliche Begegnung: Die Kunst zu verweilen
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Coaching als mitmenschliche Begegnung: Die Kunst zu verweilen
eBook415 Seiten4 Stunden

Coaching als mitmenschliche Begegnung: Die Kunst zu verweilen

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Über dieses E-Book

Das Buch wendet sich an Professionelle, die ihre Fähigkeiten als kooperativ orientierter Gesprächspartner zu stärken wünschen. Nicht alle Gespräche sind hilfreich und nützlich für die hilfesuchende Person. Es ist wichtig, den sozialen Rahmen und organisatorischen Kontext als Hintergrund für das Gespräch zu verstehen und mit einzubeziehen, damit das Gespräch als wertvoll und sinnstiftend erlebt wird. Transformative Dialoge sind identitätsstiftend und geben dem Menschen Stabilität, Verankerung und Integrität in einer Welt, die als immer komplexer erlebt wird. Reinhard Stelter im Dialog mit Uwe Böning wollen Mut machen, Coaching und andere professionelle Dialoge nicht als bloßes Motivations- und Optimierungsinstrument zu sehen, sondern als offene und nachhaltige Begegnung zweier oder mehrerer Menschen, die Interesse haben, sich weiter zu entwickeln. 
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum18. Juni 2019
ISBN9783658226770
Coaching als mitmenschliche Begegnung: Die Kunst zu verweilen

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    Buchvorschau

    Coaching als mitmenschliche Begegnung - Reinhard Stelter

    Reinhard Stelter und Uwe Böning

    Coaching als mitmenschliche BegegnungDie Kunst zu verweilen

    Aus dem Dänischen übersetzt von Lea Marie Franck

    Anschließend weitere Überarbeitung und Anpassung des Originalmanuskripts durch den Autor Reinhard Stelter, basierend auf zahlreichen Kommentaren zum Text von Uwe Böning

    Ergänzt um einen Dialog zwischen Uwe Böning und Reinhard Stelter in Form eines Briefwechsels in Kap. 12

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    Reinhard Stelter

    NEXS, University of Copenhagen, Copenhagen N, Dänemark

    Uwe Böning

    Böning-Consult GmbH, Frankfurt, Hessen, Deutschland

    ISBN 978-3-658-22676-3e-ISBN 978-3-658-22677-0

    https://doi.org/10.1007/978-3-658-22677-0

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://​dnb.​d-nb.​de abrufbar.

    Übersetzung des dänischen Originals „Kunsten at dvæle i dialogen", veröffentlicht beim Dansk Psykologisk Forlag. Übersetzung von Lea Marie Franck nach einer weiteren Überarbeitung und Anpassung des Originalmanuskripts durch den Autor, Prof. Dr. Reinhard Stelter, basierend auf zahlreichen Kommentaren zum Text von Dr. Uwe Böning.

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

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    Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature

    Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

    Der Mensch wird im Du zum Ich

    Martin Buber: Ich und Du

    (Erstausgabe 1923)

    Vorwort

    Seit der steigenden Verbreitung von Coaching vor etwa dreißig Jahren hat sich unsere Gesellschaft radikal weiterentwickelt. Dies schlägt sich auch in meiner eigenen Autorenschaft zum Thema nieder. Mein erstes Coaching-Buch erschien in Dänemark und Schweden kurz nach der Jahrtausendwende und wurde ein Bestseller mit fast 30.000 verkauften Exemplaren. Ein Jahrzehnt später erschien es mir notwendig, mit einem neuen Werk dem Geist der Zeit in neuer Weise gerecht zu werden. Um Wirkung und Einfluss des Coachings und anderer Entwicklungsgespräche auf verschiedene gesellschaftliche Bereiche zu bewahren, war es mir wichtig, Coaching als Dialogform weiterzuentwickeln und zu erweitern. Coaching sollte sich stärker als Reflexionsraum – als Raum des Verweilens – entfalten, um den Menschen Zeit zu geben, über sich in ihrer Welt nachdenken zu können. Als Ausdruck meines Strebens erschien im Jahre 2014 mein Übersichtswerk A Guide to Third Generation Coaching bei Springer als Übersetzung des dänischen Originals von 2012. In diesem Jahr (2018) wird das Buch nun auch auf Koreanisch und später vielleicht auch auf Chinesisch erscheinen.

    Mein Streben geht nun dahin, den verschlissenen Begriff von Coaching zu erweitern. In dem hier vorgelegten Buch möchte ich viel mehr von transformativen und fruchtbaren Dialogen sprechen – Dialoge, die die größtmögliche Kooperation aller Beteiligten voraussetzen und Augenblicke von Symmetrie und Mit-Menschlichkeit anstreben, ohne den professionellen Anspruch der Dialogführer (Coaches, Mentoren, Supervisierende, Führungskräfte, Psychologen, Pädagogen, Gesundheitspersonal usw.) aufgeben zu wollen. Coaching der dritten Generation setzt den Fokus nachdrücklich auf gemeinsames Sinnschaffen, auf Wertereflexion und auf eine narrative Praxis, die beide oder alle Dialogteilnehmer in einen Prozess gegenseitiger Bereicherung einbezieht. Gleichzeitig möchte ich unterstreichen, dass ich weiterhin die Dialogpraxis der ersten und zweiten Coachinggeneration in meine Arbeit mit einbeziehe, das heißt ein Coaching der ersten Generation mit Fokus auf klar definierte Ziele oder Probleme und ein Coaching der zweiten Generation , das mögliche und vorstellbare Lösungen und Zukunftsperspektiven einbezieht und stark von systemischer Theorie beeinflusst ist. Dennoch sind meine Prioritäten klar: Das Miteinander-Reflektieren, um die Kunst des Verweilens in neuer Weise zu entfalten, ist für mich die zentrale Ambition. Deshalb ist mein Third Generation Coaching oft nur der theoretische und methodologische Rahmen für Gespräche, die man nicht in jedem Fall als Coaching, sondern breit gefasst als transformativen oder fruchtbaren Dialog bezeichnen kann. Ein Sich-Öffnen für die Kunst des Verweilens lädt die Teilnehmer zu einem Gespräch ein, das die Möglichkeit gibt, sich in neuer Weise zu verstehen. Solch ein Dialog kann die Grundlage dafür sein, den beteiligten Personen ein neues Fundament und eine erweiterte Integrität zu ermöglichen. Coaching der ersten Generation gaukelt oft einen quick fix vor, man arbeitet sich ab an einem fest vorgelegten Ziel und denkt am Ende des Gesprächs, wieder alles im Griff zu haben. Mir ist die Nachhaltigkeit des Dialogs am wichtigsten – einem Dialog, bei dem Verstehen, Tiefsinnigkeit, Unsicherheit, Dilemma, Zweifel und oft erst später – ja manchmal nicht einmal in selbiger Sitzung – zu einem Gefühl von Verstehen und Neuorientierung, ja zur Befreiung führen kann.

    Ich lade hiermit alle ein, die anderen helfen möchten, sich mit sich, anderen und ihrer Welt konstruktiv und erneuernd auseinanderzusetzen. Im vorliegenden Buch spreche ich nicht so sehr von Coach und Coachee, sondern von Dialogführern und Dialogpartnern, um dadurch auch die Verbreiterung meines Dialogverständnisses auszudrücken. Dialogführer haben die Verantwortung, driver oder Steuermann des Gesprächs zu sein. Auch wenn ich der Überzeugung bin, dass die aktive und mitmenschliche Teilnahme am Dialog mit Augenblicken von Symmetrie entscheidend zur produktiven Entwicklung des Gespräches beiträgt, so ist es gleichzeitig absolut wichtig, diese Form von Entwicklungsdialog nicht mit einem Alltagsgespräch zu vergleichen. Die Klarheit über die Rollenverteilung und der psychologische Kontrakt sind entscheidende Voraussetzungen für diese Art von Entwicklungsdialogen. Gleichzeitig ist die mitgestaltende, kooperative und mitmenschliche Teilhabe der Dialogführer das A und O, um die Kunst des Verweilens im Dialog voll zu entfalten. Ich wünsche meinen Lesern viel Erfolg auf dieser Reise!

    Danke!

    Mein Dank gilt in erster Linie meinem mir freundschaftlich verbundenen deutschen Kollegen Uwe Böning, der sich auf generöse Weise dazu bereit erklärt hat, diese Übersetzung durch viele Kommentare und Reflexionen zu bereichern und sich abschließend auf einen längeren Dialog mit mir einzulassen, der mich sehr bereichert hat (siehe dazu das Abschlusskapitel statt eines Nachwortes ). Weiterhin möchte ich mich bei meinem Kollegen Ole Fogh Kirkeby, Professor Emeritus der Copenhagen Business School, für die jahrelange enge Zusammenarbeit bedanken. Mit seinen bahnbrechenden Gedanken und seiner innovativen Denkweise ebnet er Wege, die zu einem ganz neuartigen Verständnis von Dialog führen. Mein Verständnis von transformativen Dialogen ist stark bereichert von Oles Ideen. Mit diesem Buch fühle ich mich in gewisser Weise als Sprachrohr für meine deutschen Landsleute. Ich danke auch meiner Frau Shereen Horami, die mir nach meinen vielen Jahren in Dänemark in dieses Land gefolgt ist und mich seitdem mit ihrer psychologischen Erfahrung und Weisheit und ihrem Menschenverständnis bereichert. Pia Søltoft, ehemalige Dozentin an der Universität Kopenhagen und Kierkegaard Expertin, bin ich einen großen Dank schuldig. Pia ist die Vermittlerin von Kierkegaards Werk in Dänemark und – zusammen mit mir – seit Jahren Leiterin eines Kurses zum Thema Coaching, Kierkegaard und Führen an der Copenhagen Summer University. Ich bedanke mich auch bei meinen vielen Institutskollegen an der Universität Kopenhagen und meinen Kollegen vom Copenhagen Coaching Center für ihre jahrzehntelange Unterstützung und die wohlwollende Begleitung meiner Forschung. Abschließend gilt mein Dank meinen vielen internationalen Kollegen: Kenneth Gergen, Sheila McNamee, John Shotter (inzwischen leider verstorben), Stephen Palmer, Siegfried Greif, Antony Grant, Michael Cavanagh, Tatiana Bachkirova, Ho Law, Jonathan Passmore, Chené Swart, Alleta Odendal und vielen anderen, mit denen ich im Laufe der Jahre zusammengearbeitet habe und von denen ich durch Gespräche bereichert wurde. Und nicht zu vergessen: Ein Dank an alle, die ich coachen, unterrichten, betreuen und durch mein Wissen bereichern durfte. Ohne Euch wäre ich nicht dort, wo ich heute stehe.

    Abschließend möchte ich sagen, dass ich den Wunsch hatte, das Buch im generischen Feminium zu veröffentlichen. Dies scheiterte bereits am Wort Coach, für das es die Femininum-Form gar nicht gibt. Nun bleibt es doch beim generischen Maskulinum, was bedeutet, dass in der männlichen Form ebenfalls das weibliche Geschlecht zum Ausdruck kommen soll.

    Reinhard Stelter

    Kopenhagen

    Februar 2019

    Über dieses Buch

    Dieses Buch ist eine bearbeitete und erweiterte Übersetzung meines Buches „Kunsten at dvæle i dialogen", veröffentlicht beim Dansk Psykologisk Forlag. Ich danke Lea Marie Franck für die Übersetzung. Die weitere Überarbeitung und Anpassung des Manuskripts wurde von mir durchgeführt, zum Teil auf der Grundlage von Dr. Uwe Bönings Kommentaren und Anmerkungen. Das abschließende Dialogkapitel ist Resultat der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Uwe Böning und mir, für die ich mich bei dir, lieber Uwe, herzlich bedanke.

    Reinhard Stelter

    Inhaltsverzeichnis

    I Theoretische Voraussetzungen

    1 Third Generation Coaching als nachhaltiger, fruchtbarer Dialog – zentrale Merkmale 3

    1.​1 Erfahrungen im Bereich des Third Generation Coachings und die aktuelle Kritik 4

    1.​2 Der Dialog als kooperativ sinnschaffendes Werkzeug 5

    1.​3 Mein Coaching-Forschungsabente​uer 8

    1.​4 Die zentralen Merkmale fruchtbarer Dialoge 9

    1.​5 Third Generation Coaching als Dialogform in Bezug auf eine breite soziale Perspektive betrachten 12

    1.​6 Wie sollte Third Generation Coaching definiert werden?​ 13

    1.​7 Third Generation Coaching und der zentrale Zweck fruchtbarer Dialoge 14

    2 Kurze Gesellschaftsana​lyse:​ Die Entstehung des Leistungssubjekt​es und die Entwicklung der Müdigkeitsgesell​schaft 17

    2.​1 Neoliberalismus und New Public Management fördern Selbstkritik und Selbstkontrolle 18

    2.​2 Das Freiheitsparadox​on 19

    2.​3 Die Müdigkeitsgesell​schaft 20

    2.​4 Das Verschwinden von Zeit und Raum 21

    2.​5 Das gleichzeitige Erleben von Beschleunigung und Stillstand 22

    2.​6 Die Wiedereinführung​ des Verweilens 23

    3 Auf der Suche nach sich selbst – Identität als zentrale Herausforderung unserer Zeit 25

    3.​1 Die Identitätsforsch​ung ist aktuell und höchst relevant 26

    3.​2 Die Entstehung der Identitätstheori​en 27

    3.​3 Identität und Selbstreflexivit​ät in der spätmodernen Gesellschaft 30

    3.​4 Die soziale Konstruktion des Selbst 31

    3.​5 Die performative Seite des Selbst 33

    3.​6 Die Schattenseiten des postmodernen Entwicklungs- und Selbstdarstellun​gsdrangs 36

    3.​7 Der Machtdiskurs und die Subjektivierung 37

    3.​8 Utopische Träume von Authentizität 38

    3.​9 Heteroentizität – die Möglichkeit, durch den anderen bei sich selbst zu sein 39

    II Basisthemen für fruchtbare Dialoge

    4 Sinnschaffen im Dialog 43

    4.​1 Das Streben nach dem Sinn und nach Grundfesten 44

    4.​2 Sinn als höchste Ebene der Intentionalitäts​hierarchie 46

    4.​3 Durch Coaching Sinn finden 47

    4.​4 Sinn – Ergründung des Begriffs 49

    4.​5 Zwei Prozesse des Sinnschaffens 51

    4.​6 Intentionalität und Tatkraft als Grundlage für das Sinnschaffen 54

    4.​7 Die Doppelperspektiv​e auf die Intentionalität bewahren 57

    5 Werte – Handlungsfundame​nte 59

    5.​1 Vita contemplativa 60

    5.​2 Die Bedeutung von Werten – damals und heute 61

    5.​3 Wert – Versuch einer Definition 65

    5.​4 Werte als die ethische und handlungsorienti​erte Grundlage des Dialogs 68

    5.​5 Die Wertearbeit als Teil des Coachings und anderer fruchtbarer Dialoge 69

    6 Das Narrative – Veränderung schaffen durch den anderen 75

    6.​1 Erzählung – Narration – eine Definition 76

    6.​2 Die zentralen Annahmen des narrativen Zugangs 80

    6.​3 Grundhaltungen in der Erzählsituation 82

    6.​4 Das Narrative als Element in kollaborativen Dialogen 83

    III Reflexionen über die Dialogpraxis

    7 Aufmerksamkeit fördern 87

    7.​1 Das Dreieck der Aufmerksamkeit 89

    7.​2 Das Schärfen des Fokus auf die impliziten Elemente der Situation 89

    7.​3 Das Vertiefen in die Komplexität der Situation 91

    7.​4 Sich-Wundern und Sich-Fragen, Interesse und Anerkennung im Untersuchen 92

    7.​5 Das Erhöhen der Aufmerksamkeit auf sich selbst und den anderen 94

    7.​6 Die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem richten – statt auf Defizite der Person 97

    7.​7 Das Schärfen der Aufmerksamkeit auf die ethische Werteperspektive​ 98

    8 Die narrativ-kollaborative Praxis 103

    8.​1 Dem Erzählen anderer zuhören – und selbst erzählen 104

    8.​2 Die Erzählung spiegelt ein Weltbild wieder 106

    8.​3 Mitgestalten und Kollaborieren im Dialog 108

    8.​4 Symmetrie im Dialog 113

    9 Das Dialogfundament und die Tugenden des Dialogführers 117

    9.​1 Klärung der Begriffe und die Voraussetzungen für den transformativen Dialog 118

    9.​2 Forschung im Bereich der gemeinsamen Faktoren 120

    9.​3 Der reflektierende Praktiker 122

    9.​4 Eine Tiefe im Gespräch schaffen – die Prämissen des anderen als eigene erleben 124

    10 Dialogpraktiken 129

    10.​1 SNAK – ein Gesellschaftsspi​el 130

    10.​2 Gesprächssalons 131

    10.​3 Gruppencoaching dreier junger Männer mit Minoritätshinter​gründen 134

    10.​4 Dialogprozess in der Abteilung nach der Fusion 135

    10.​5 Ein „Second Opinion"-Dialog zur Verbesserung der Behandlungen in einem psychiatrischen Zentrum 137

    11 Abschließende Reflexion 141

    IV Statt eines Nachwortes

    12 Dialog zwischen Uwe Böning und Reinhard Stelter 147

    Serviceteil

    Weiterführende Literatur 174

    Stichwortverzeic​hnis 181

    Teil ITheoretische Voraussetzungen

    In den folgenden drei Kapiteln verfolge ich die Ambition, ein grundlegendes Verständnis dafür zu schaffen, was in unserer Gesellschaft auf dem Spiel steht, und dafür, welche Bedeutung Third Generation Coaching und andere nachhaltige, fruchtbare und transformative Dialoge für den Einzelnen und für unser Zusammenleben haben – privat sowie am Arbeitsplatz. Transformative Dialoge sind identitätsentwickelnde Gespräche. Die Dialogpartner streben dabei danach, ein wenig am Selbstbild, an der Lebensanschauung und am Wertesystem der um Unterstützung suchenden Dialogpartner zu rütteln. Transformative Dialoge sind nachhaltig und fruchtbar, da sie die Grundlage dafür schaffen, langfristig mit den großen Herausforderungen umgehen zu können, die unsere momentane Gesellschaftssituation mit sich bringt.

    Die folgenden drei Kapitel vermitteln Ihnen die theoretischen Grundlagen, die nötig sind, um die besondere Bedeutung der Dialoge in Bezug auf die gesellschaftlichen Veränderungen sowie die dadurch entstehenden Konsequenzen für die Identitätsentwicklung des Einzelnen verstehen zu können:

    In Kap. 1 werde ich zunächst einen Überblick darüber geben, was Third Generation Coaching als besondere Dialogform eigentlich ist. Hier werde ich ebenfalls zu der berechtigten Kritik Stellung nehmen, die im Laufe der Jahre bestimmten Arten des Coachings gegenüber laut geworden ist. Denn tatsächlich sind nicht alle Gespräche und Dialogformen hilfreich und nützlich für den Einzelnen. Es ist wichtig, sowohl den sozialen als auch den organisatorischen Rahmen des Gesprächs zu verstehen. Coaching sollte daher als Zugang gesehen werden, um fruchtbare und transformative Dialoge zu schaffen.

    In Kap. 2 werde ich den sozialen Rahmen verdeutlichen, in dem das Coaching stattfindet. Wir leben in einer Burn-out-Gesellschaft, in der sich Stress gerade zur meist verbreiteten Krankmeldungsursache entwickelt. In diesem Zusammenhang ist die Entwicklung einer Dialogkultur entscheidend, die mit der bereits bestehenden Entwicklungsagenda bricht, immer noch mehr schaffen und leisten zu können. Third Generation Coaching soll als fruchtbarer und transformativer Dialog die Kunst des Verweilens und damit auch der Verlangsamung wieder einführen.

    In Kap. 3 beschäftige ich mich mit der Identität als zentralem Thema in unserer Gesellschaft. In der heutigen Zeit sind wir als Menschen in unseren Grundfesten erschüttert. Wir müssen fortlaufend zu einem niemals endenden Informationsfluss Stellung beziehen und uns in Netzwerken sozialer Beziehungen verankern, in dem das Setzen von Prioritäten wesentlich schwieriger ist als zuvor. Der Traum, sich selbst als authentischen Menschen zu erleben, bleibt aufgrund des Machtdiskurses, der unser soziales Handeln bestimmt, häufig nur ein Traum. „Heteroentizität" (eine Wortschöpfung meines dänischen Kollegen Prof. Ole Fogh Kirkeby), d. h. die Möglichkeit, durch den anderen bei sich selbst sein zu können, wird als Begriff und Konzept zur Entwicklung nachhaltiger, fruchtbarer und transformativer Dialoge vorgestellt.

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel 1 Third Generation Coaching als nachhaltiger, fruchtbarer Dialog – zentrale Merkmale 3

    Kapitel 2 Kurze Gesellschaftsana​lyse:​ Die Entstehung des Leistungssubjekt​es und die Entwicklung der Müdigkeitsgesell​schaft 17

    Kapitel 3 Auf der Suche nach sich selbst – Identität als zentrale Herausforderung unserer Zeit 25

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    Reinhard Stelter und Uwe BöningCoaching als mitmenschliche Begegnunghttps://doi.org/10.1007/978-3-658-22677-0_1

    1. Third Generation Coaching als nachhaltiger, fruchtbarer Dialog – zentrale Merkmale

    Reinhard Stelter¹   und Uwe Böning²  

    (1)

    NEXS, University of Copenhagen, Copenhagen N, Dänemark

    (2)

    Böning-Consult GmbH, Frankfurt, Hessen, Deutschland

    Reinhard Stelter (Korrespondenzautor)

    Email: rstelter@nexs.ku.dk

    Uwe Böning

    Email: boening@boening-consult.com

    1.1 Erfahrungen im Bereich des Third Generation Coachings und die aktuelle Kritik

    1.2 Der Dialog als kooperativ sinnschaffendes Werkzeug

    1.3 Mein Coaching-Forschungsabenteuer

    1.4 Die zentralen Merkmale fruchtbarer Dialoge

    1.4.1 Der Dialog als Ort der Begegnung

    1.4.2 Der Dialog als Entdeckungsreise

    1.4.3 Das Engagement und Fachwissen des Coachs/Dialogführers ist entscheidend

    1.4.4 Das Interesse und Engagement der Gesprächsteilnehmers sollte unterstützt werden

    1.4.5 Die Allianz zwischen den Dialogpartnern

    1.4.6 Der Dialog als Bildungsreise

    1.5 Third Generation Coaching als Dialogform in Bezug auf eine breite soziale Perspektive betrachten

    1.6 Wie sollte Third Generation Coaching definiert werden?

    1.7 Third Generation Coaching und der zentrale Zweck fruchtbarer Dialoge

    In diesem Kapitel nehme ich Stellung zu einigen aktuellen Positionen, die das Coaching kritisch beurteilt haben. Ich beschäftige mich mit den unterschiedlichen Nuancen des Coachingbegriffs und verdeutliche die nötige Neuorientierung, bei der Coaching als offener, fruchtbarer und transformativer Dialog beschrieben wird. Damit beziehe ich die berechtigte Kritik mit ein, indem ich Third Generation Coaching als eine Art Dialog darstelle, der ein innovativer Beitrag für Menschen sein kann, die als entscheidende Voraussetzung, um dem heutzutage in unserer Gesellschaft vorherrschenden Druck auf den Einzelnen standhalten zu können, das Bedürfnis haben, sich selbst zu finden. Ich stelle die zentralen Merkmale des Third Generation Coachings klar dar, definiere und beschreibe ihren Zweck und bahne den Weg für ein Verständnis des Coachings als besondere Form eines partnerschaftlichen Dialogs.

    1.1 Erfahrungen im Bereich des Third Generation Coachings und die aktuelle Kritik

    Durch mein langjähriges Wirken im Coachingbereich ist mir zunehmend klar geworden, wie wichtig es ist, die Entwicklung in eine Richtung zu leiten, in der der Coach als Mitmensch und mitgestaltender Partner agiert. Coaching sollte sich nicht ausschließlich mit Performance und vorab definierten Zielsetzungen beschäftigen. Es ist die eigene Agenda und Bereitschaft der Dialogpartner, die für die ethisch vertretbare Entwicklung des Dialogs maßgeblich entscheidend ist. In einer Welt, in der wir uns zunehmend voneinander abgrenzen und isolieren, und in der wir im Verhältnis zum Umgang mit den Anforderungen, die an uns gestellt werden, häufig zum Sololauf gezwungen werden, wird die Etablierung analoger sozialer Räume und Gemeinschaften, in denen Raum für fruchtbare Gespräche ist – ohne dass man Dinge sagen muss, um „Likes" zu erhalten –, zu einem bedeutungsvollen Gegengewicht. Wir müssen die Kunst des Verweilens im Dialog neu etablieren. Echtes Selbstwertgefühl entwickelt sich nur in vertrauensvollen Beziehungen, einer kritischen und selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Realität und der übergewichtigen Stärke von unterstützender Rückmeldung in der relevanten sozialen Umgebung auf die wesentlichen Themen, Werte und Aktivitäten des Einzelnen.

    Meine größte Ambition in Bezug auf dieses Buch ist die Darstellung des Coachings als nachhaltige Dialogform. Das Wort Nachhaltigkeit wurde bewusst ausgewählt und hat im diesem Kontext die folgende Bedeutung: Letztlich ist es das Ziel, die Dialogpartner (z. B. den Coachee bzw. den Coaching-Partner oder die Fokusperson) vom Dialogführer (z. B. dem Coach) zu befreien, indem die Dialogpartner ihre Position und Verankerung in einigen persönlichen Werten finden, welche eine übergeordnete Wichtigkeit in ihrem Leben haben. Der Dialog sollte den Einzelnen bei seiner Suche nach dem Sinn stärken und ihm damit einen Halt und eine Integrität bieten, die ihm dabei hilft, „er selbst zu sein, „sich selbst zu finden oder – wie Kierkegaard einst schrieb – „sich selbst zu wählen"¹. Dieses Suchen nach sich selbst geschieht im Zusammenspiel und in der Auseinandersetzung mit anderen. In einer Zeit, in der der Einzelne zunehmend die Kontrolle über sein Leben verliert und ein Anker in stabilen und bleibenden sozialen Beziehungen fehlt, sollten Dialoge zwischen Menschen den Zweck haben, die Identität und das Selbstverständnis des Einzelnen zu stärken – wohlwissend, dass das Selbst nicht als stabiler Kern besteht, sondern sich weitestgehend im Kontext unseres sozialen Lebens sowie in den Dynamiken unserer Beziehungen entwickelt.

    2014 erschien das viel beachtete Buch meines dänischen Kollegen Svend Brinkmann, „Pfeif drauf" (2018 auf Deutsch), das ein ähnliches Ziel verfolgt wie dieses Buch, nämlich den Menschen sich selbst sein und finden zu lassen.² Unter Fachkollegen, die als Psychologen, Coaches oder Achtsamkeitstrainer arbeiten, löste Brinkmann große Unsicherheit und Verärgerung aus. Eine seiner sieben Lebensregeln war sogar: „Feuere deinen Coach!". In der darauffolgenden Debatte wurde mir klar, dass viele Brinkmanns Agenda, die sich eben gegen diesen permanenten Veränderungszwang und Selbstoptimierungswahn unserer Zeit richtet, nicht verstanden haben. Brinkmann reicht denjenigen die Hand, die alles versuchen, um mit der Entwicklung schrittzuhalten, und dabei am Ende einen Burn-out riskieren. Was er versucht, ist das Angebot einer Alternative. Und er liegt richtig damit! So lange Coaches sich selbst als unterstützende Pädagogen für den missverstandenen Wunsch der Menschen, immer mithalten zu können, anbieten, sollte man sie feuern. Ein engstirniger und oftmals ausschließlicher Fokus auf Ziele, Selbstoptimierung und Performance führt zu nichts Gutem. Wir müssen den Dialog als Kunst des Verweilens neu erschaffen – zu unserem eigenen und zum gegenseitigen Wohl und als Möglichkeit, näher zu uns selbst und zueinander zu kommen. Meiner Meinung nach gilt dies auch für Führungskräfte in der Wirtschaft, die gut beraten sind, sich mehr an nachhaltigen Leitwerten zu orientieren als nur an Zahlen und Key-Performance-Indikatoren.

    1.2 Der Dialog als kooperativ sinnschaffendes Werkzeug

    Third Generation Coaching hat zum Ziel, Reflexionsräume zu erschaffen, in denen man zusammen mit dem Coach nach dem Sinn des Lebens oder dem Sinn bestimmter Ereignisse oder Situationen sucht, in denen man sich wiederfindet. Die Antwort findet sich häufig nicht in der Person selbst, sondern in der Beziehung – im Zusammenspiel und Dialog zwischen zwei Menschen oder in der Gemeinschaft beim Gruppencoaching. Als anerkennende Stütze für Brinkmanns Buch möchte ich Folgendes festhalten: Manchmal muss man zu sich selbst zurückfinden und sich in einem Reflexionsprozess darüber klar werden, wer man ist. Das Coaching hat also eine neue Agenda. Es soll Menschen nicht einfach nur an einen anderen Punkt bringen, sondern den Menschen auch erzählen, wo sie eigentlich sind, um ihnen Sicherheit und ein Grundverständnis in Bezug auf sich selbst zu geben. Erst im Dialog, im Zusammenspiel mit einem oder mehreren anderen, werden wir zu dem, was wir sind.

    Martin Buber³ schrieb Folgendes: „Der Mensch wird am Du zum Ich." In einer Gesellschaft, die sich durch zunehmende Individualisierung auszeichnet und in der jeder Einzelne oft seinen eigenen Überlebenskampf führt, müssen wir eine Solidarität und eine Gesprächskultur, ja eine Gesprächskunst entwickeln, die alle Dialogpartner stärken kann.

    Coaching in seiner ersten Generation hat seine ursprünglichen Wurzeln im Sport. Diese Form von Coaching ist ziel- und problemorientiert. Im Coaching der zweiten Generation – in der systemisch-sozialkonstruktionischen Theorie⁴ verankert – geht es um die Entwicklung möglicher und denkbarer Lösungen und um anerkennende Dialoge. Große Teile dieser Coaching-Ansätze können nach wie vor genutzt werden. Doch die Zeiten haben sich geändert, und Coaching muss neu gedacht werden. Dies geschieht sogar im Sport, wo man sich mittlerweile davon entfernt, ausschließlich Resultate zu betrachten, und wo die Entwicklung und große Leistungen in einem guten Umfeld mit versierten Trainern geformt werden.⁵ Das Coaching, das sich ausschließlich auf bestimmte Ziele konzentriert und nur den Zweck hat, die Probleme des Einzelnen durch die Stärkung seiner Arbeits- und Leistungsfähigkeit zu lösen, kann als Konsequenz ein Gefühl von Unzulänglichkeit auslösen und letzten Endes zu Stress und Verzweiflung führen. Die Leistungsanforderung im Arbeitsleben – die eigene ebenso wie die fremde – wird mitunter als unmenschlich und völlig unerreichbar wahrgenommen. Eine Individualisierung im

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