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Und wehe ihr holt mich hier raus
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eBook300 Seiten4 Stunden

Und wehe ihr holt mich hier raus

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Über dieses E-Book

Ein Altenheim ist sicher das allerletzte, womit man überhaupt nur in Kontakt kommen will … dachte sich auch der alleinstehende, ehemalige Bankdirektor Georg, als er, kurz vor seinem sechzigsten Lebensjahr, nach seiner genauso eleganten, wie hinterlistigen Eliminierung aus dem Bankwesen, bei maximaler Reduzierung seiner Abfindungsansprüche aus über dreißig Jahren, in einer kleinen Provinzstadt in Bayern landet. Wo er ohne Status und bei bescheidenen finanziellen Möglichkeiten, vereinsamt, auf der Suche nach neuen Lebensinhalten, durch den Kontakt mit der attraktiven, lebenslustigen Marina, ausgerechnet in einem Seniorenzentrum landet. Entgegen all seinen Vorstellungen, taucht er, nachdem er dort als Fahrer eingestellt wird, immer tiefer und weiter in den überaus bunten Kosmos dieser alten Leutchen ein. Was er in skurrilen, wie heiter, bis ergreifenden Geschichten wie über »Drugs – Sex und – Rock ‘n’ Roll« im Altenheim schildert, sowie einigen anderen, wundersamen Erlebnissen, die er mit diesen verblüffend interessanten Menschen dort erlebt. Bis es ihn letzten Endes, durch die große Liebe zu jener Frau, die ihn in diese Welt geholt hatte, sogar ganz und für immer in diesen »Sonnenhof« zieht – und das so gerne, dass er, wie andere Bewohner auch, nach einigen Jahren unmissverständlich bekennt: »… und wehe ihr holt mich hier raus …«
Michael Kern wird am 21.07.1960 in Gleisdorf bei Graz in Österreich geboren. Als Maschinenbauingenieur und Kaufmann lebt er seit 1985, mit mehrjährigen Unterbrechungen im In- und Ausland, in wechselnden Wohnorten im Raum München. Michael Kern schreibt seit seinem dreizehnten Lebensjahr und beschließt nach einer fünfunddreißigjährigen Karriere als Manager in der Automobilindustrie, sich in Zukunft ganz der Schriftstellerei zu widmen. Diese startet er im Sommer 2020 mit dem Debüt seines Gesellschaftsromans „Die Stunde der Politiker – Corona der Anfang vom Ende“: Einer fiktiven Erzählung, die, im Rückblich auf die Entstehung der Coronapandemie, unseren Umgang damit möglichst vielschichtig hinterfragt. Mit seinem neuen Roman beleuchtet er sein zentrales Thema, der unerschöpflichen Vielfalt unserer Menschlichkeit, in bunten und anziehenden Begebenheiten aus einem Altenheim. Basierend auf persönlichen Erfahrungen, zeichnet er ein überraschen positives, heiteres bis zutiefst ergreifendes Bild des Alters und der Pflegewelt, auch um damit der einseitig negativen öffentlichen Darstellung entgegenzutreten.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Juli 2022
ISBN9783969405895
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    Buchvorschau

    Und wehe ihr holt mich hier raus - Michael Kern

    EIN DIREKTOR STÜRZT AB

    Schon seit Längerem hatte ich geahnt, dass, wie wahrscheinlich bei jedem früher oder später auch bei mir bald dieser Knickpunkt kommen könnte. Jenes Schlüsselereignis, durch das dieses Leben, das man sich in jahrzehntelangem Kampf mühevoll aufgebaut hatte, einfach in sich einstürzen würde; um danach dem Ende zuzugehen oder ein kürzeres, neues, wesentlich bescheideneres Lebenskapitel zu eröffnen. Natürlich dachte ich, wenn man wie ich erfolgreich und mit nicht mal sechzig quasi noch voll im Saft stand, in erster Linie dabei an einen Herzinfarkt, ein gesundheitliches Urteil wie eine Krebsdiagnose oder an einen Unfall mit schrecklichen Folgen. Aber es kam wie meistens – weit weniger spektakulär – jedoch einfach völlig trivial, gewöhnlich, aber dafür umso niederschmetternder und bedrückender.

    Obwohl es sich, wenn ich ehrlich war, eigentlich schon länger, schleichend, für andere sicherlich nachvollziehbar und sichtbar abgezeichnet hatte. Die Erfolge vergangener Tage waren mittlerweile eben nicht mehr und nicht weniger als deren wörtliche Bedeutung ‚Erfolge – vergangener – Tage‘ geworden. Auf die ich mich genauso wie meine Umgebung, je weiter sie vergangen waren, immer häufiger und hartnäckiger berief – sie waren mein Markenzeichen geworden. Denn die Welt, die Zeit, die Umstände und Usancen hatten sich auch für mich und meine Branche verändert, während ich immer weiter zurückgeblieben war in meinen Ansichten, Regeln, Handlungsweisen und Aktionen. Bis eben zu jenem Punkt, da mich das System, in dem ich mich seit Jahrzehnten so sicher und selbstverständlich wie ein Fisch im Wasser bewegt hatte, wie ein überflüssiges, abgenutztes, abgestorbenes Stück Haut einfach abstieß. Was natürlich für mein Umfeld wie für die Welt an und für sich nicht nur gänzlich bedeutungslos war, sondern im Gegenteil eben nur lästig und unangenehm wie jedes Müllentsorgungsproblem. Doch für mich fühlte es sich genauso schmerzhaft an wie ein Herzinfarkt, ein Schlaganfall oder eine schwerwiegende Krebsdiagnose – ja wie ein Todesurteil. Mit dem einzigen Unterschied, dass ich nicht den Heldentod sterben durfte wie einige meiner Kollegen. An deren Ende alle Namhaften sie in ihrem Universum umgebenden, würdevoll am Sarg standen, um bedeutungsschwangere Reden von Tragik und Größe zu halten.

    Während ich unter den niederschmetternden, billigen, nutzlos abschätzigen Beschwichtigungen und heuchlerisch stumpfsinnigen Aufmunterungsfloskeln von Kollegen und Freunden, die sich allesamt unter dem Begriff ‚Ehemalige‘ zusammenrotteten, mich auf immer niedrigere Ebenen des Daseins niedergedrückt sah. Wobei das Gottlob unter immer weniger Anteilnahme stattfand, da sich die Gemeinschaft dieser ‚Bekannten‘, von denen man gemeint hatte, dass es vielleicht sogar Freunde wären, zusehends für mich wie in Luft aufzulösen schien. Ob aus Scham oder Rücksichtnahme mir gegenüber konnte ich mir selbst wohl nur aus Sarkasmus und Ironie beantworten. Aber davon hatte sich in mir ohnehin genug über die letzten Jahre aufgebaut. Vor allem seit dem Ausverkauf meiner Bank vor sieben Jahren, den man damals ironisch oder auch durchaus sarkastisch unter öffentlichem Blitzlichtgewitter als zukunftsweisendes Joint Venture gefeiert hatte. De facto war es aber nicht nur der Beginn meines unausweichlichen beruflichen Absturzes, sondern auch jener für die zwanzigtausend anderen Kollegen, die für diese gewinnträchtige Schlankheitskur der neuen Superbanken ihre Stellen räumen durften. Unter denen ich mich im ersten Schritt damals Gott sei Dank nicht befand, da ich mit zweiundfünfzig gerade noch zu jung gewesen war, um in Frührente geschickt werden zu können. Andererseits war ich aber nach über fünfundzwanzig Dienstjahren auch zu teuer für eine Kündigung mit Abfindung. So befand ich mich damals im Schockzustand und aus Angst hauptsächlich froh darüber, einer der Überlebenden dieser ersten Übernahmewelle gewesen zu sein. Als solcher war ich es als relativ erfolgreicher Karrierist gewohnt, wortlos die Arschbacken zusammenzukneifen und meine Fahne so gut es ging, lächelnd in die neue Windrichtung zu drehen, um möglichst zu den Siegern unter den neuen Gegebenheiten zu avancieren. Aber entweder hatte ich dabei nicht mehr diese Überzeugungskraft wie bei früheren ähnlichen Richtungswechseln und Konsolidierungsaktionen ausstrahlen können, oder ich hatte einfach das Pech, in meinem Alter nicht mehr für zukunftsträchtige Veränderungskonzepte als Führungsfigur tauglich zu erscheinen. Wahrscheinlich war es aber auch dem Umstand geschuldet, dass ich mein abgrundtiefes Entsetzen über die Veränderungen und Handlungsweisen des neuen Vorstandes sowie meine hundertprozentige Überzeugung, dass sämtliche Neuausrichtungen und -orientierungen auf Sicht gesehen einzig negative Folgen für das Unternehmen haben würden, nicht in dem Maße unterdrücken konnte, dass man es mir bei all meiner guten Miene zum bösen Spiel nicht anmerkte.

    Aber was hätte ich tun können? Ich war zweiundfünfzig. Ich war seit dem Beginn meines Berufslebens nach dem Studium ausschließlich bei dieser Bank gewesen. Alle Banken schlossen sich zu immer größeren Geldinstituten zusammen und bauten dabei weltweit ausschließlich Niederlassungen und Stellen ab, anstatt neue zu schaffen. Auf einem Direktorenlevel wie dem meinem war das Gehaltsniveau so hoch wie die Anzahl der Positionen niedrig. Ich war weder international erfahren noch fremdsprachenbewandert oder uneingeschränkt umzugswillig. Also hatte ich mich wohl oder übel mit aufgesetztem Grinsen und ohne jegliche Gegenwehr, um nur ja niemandem auf die Füße zu treten, seit damals immer weiter, jeder Stufe meiner schrittweisen Demontage gefügt. Bis ich knapp zwei Jahre nach der Fusionierung als Direktor mit dem Zusatz ZBV (zur besonderen Verwendung) letztlich all meiner Kompetenzen sowie aller mir unterstellten Mitarbeiter und der garantierten Boni aus meinem Portfolio beraubt worden war. Einzig und allein mich an meinen Schreibtisch in dem mir zustehenden Einzelbüro klammernd und an meine Berechnung der mir mittlerweile zustehenden Abfindung für über dreißig Dienstjahre. Wovon ich mir für den Fall der Fälle eine mehr als ausreichende finanzielle Ausstattung ausgerechnet hatte, auch bis zu einem möglichen Lebensende über meinen hundertsten Geburtstag hinaus.

    Obwohl ich ein wirklich erfahrener Bankkaufmann alter Schule war und mich als solcher nicht leicht in Geldangelegenheiten verrechnete – schon gar nicht, wenn es um meine eigenen ging – hatte ich nicht damit gerechnet, dass diese erste Fusionierung fünf Jahren davor damals nur ein erster Schritt gewesen war, um so bald wie möglich, danach im zweiten entscheidenden Move von einer anderen Bank übernommen zu werden, was sich zu meinem Glück aufgrund politischer und anderer Umstände um zwei Jahre verzögert hatte. Denn niemandem war bei der ersten Fusionierung irgendetwas aufgefallen, weil alle nur auf die seitenlangen Ausführungen geguckt hatten, die darauf ausgerichtet waren, dass die neue Gesellschaft alle Pensions-, Abfindungs-, Kündigungsschutz- und was weiß ich noch für -ansprüche und -Zusagen aller Angestellten meiner alten SB-Bank uneingeschränkt übernehmen musste. Doch in genauso weiser wie böser Absicht war in diesem Vertrag unter einem völlig anderen Punkt, irgendwo dreißig Seiten dahinter geschickt versteckt verklausuliert, die heimtückische Bestimmung eingebaut worden, dass bei einem weiteren Verkauf dieser neuen Bank diese Altansprüche je nach den gesetzlichen Bestimmungen des Landes der neuen Eigentümer nicht mehr zwingend übernommen werden mussten. Im Klartext hatte man also von vorneherein geplant, die SB Bank mehr oder weniger aufzulösen und den Großteil ihrer Mitarbeiter zu günstigsten Konditionen loszuwerden. Da das aber weder politisch noch finanziell tragbar gewesen wäre, deren über zehntausend Angestellte derart zu entsorgen, war man auf das perfide Konstrukt gekommen, die SB in zwei Schritten zu veräußern. Wobei man im ersten Schritt gleich Mal zwei- bis dreitausend Mitarbeiter, bei denen es einigermaßen billig war, eliminieren konnte. Um dann im zweiten Schritt, wenn die Zeit dafür reif war, alles von einer neuen, noch größeren Bank übernehmen zu lassen, was für die SB-Mitarbeiter den finalen Cut bedeutete – zumindest finanziell. Denn die neue Gesellschaft hatte zufälligerweise ihren Hauptsitz auf Malta und brauchte so, nach den dort geltenden gesetzlichen Bestimmungen, nicht mehr die Altlasten aus der Zeit der ehemaligen SB gegenüber deren ursprünglichen Mitarbeitern in Deutschland zu übernehmen. In meinem Fall bedeutete das, dass sich meine Abfindungs- genauso wie meine Firmenpensionsansprüche ausschließlich auf meine fünf Jahre in der direkten Nachfolgebank der SB reduzierten, was natürlich ein Pappenstiel von dem war, was mir aus meinen achtundzwanzig Jahren zuvor bei meiner Sparbank zugestanden wäre.

    Selbstverständlich hatte ich wie die meisten meiner alten Kollegen mithilfe von verschiedensten Rechtsberatern alles versucht, um unsere Ansprüche aus der Zeit der SB geltend zu machen. Aber selbst die öffentliche Bekanntmachung in etlichen Artikeln aller großen Tages- und Wirtschaftszeitungen war völlig ins Leere gelaufen. Ebenso wie die Kontaktierung etlicher Politiker bis hinauf zum Finanz- und Wirtschaftsminister, die sich gewohnt geschickt aus der Sache rauszureden verstanden. Was sollte man auch tun? Seit der letzten Finanzkrise vor acht Jahren, von der alle meinten, dass sich dabei ausschließlich die Banken auf Kosten der Allgemeinheit bereichert hatten, war die öffentliche Meinung gegenüber dem Bankwesen ohnehin auf das niederste Niveau gesunken.

    Aber was bitte hatte das mit den Angestellten der Sparbank, einem der ältesten und solidesten deutschen Bankhäuser zu tun? Warum wurden Leute wie ich schlussendlich sogar öffentlich in der Presse als typisch geldgieriger Banker dargestellt? Nur weil ich mich dagegen wehrte, nach dreiunddreißig Dienstjahren mit siebenundfünfzig billigst mit sieben Monatsgehältern über eine Transfergesellschaft ins Nirwana geschickt zu werden? Bei völligem Verfall sämtlicher ursprünglicher Firmenrentenansprüche? Etwas, das für jeden Siemens-, BMW-, Allianz- oder sonstigen Angestellten eines größeren Unternehmens eine selbstverständliche Lebensgrundlage darstellte! Aber ich war ja in der allgemeinen Wahrnehmung nur einer dieser habgierigen Finanzgauner, die ohnehin jahrelang mehr als genug Geld gescheffelt hatten.

    Hatte ich auch – Gott sei Dank – aber 1. bei Weitem nicht in dem Ausmaß, wie sich manche das gemeinhin vorstellten; und 2. hatte ich mir meine Position und die damit verbundene Entlohnung hart und ehrlich über viele Jahre erarbeitet. Als ehemaliger Leiter der Kreditabteilung für die Sparte Industrie war ich mitnichten einer dieser großartigen Finanzjongleure geworden, die im Zickzack der Derivate und Aktien wendig wie ein Fisch durch die wundersame Vermehrung ihres Einsatzes zu einem millionenschweren Vermögen gelangen konnten. Denn ich hatte von meinem Fachwissen geleitet, mein Erspartes nur genauso geschickt wie solide in altehrwürdigen Industrieunternehmen angelegt, um es nachhaltig zu einem kleinen Vermögen heranreifen zu lassen. Welches mir, anders als gedacht, zwar nicht zu einem luxuriösen, aber wenigstens zu einem abgesicherten, bescheidenen Auskommen bis ins hohe Alter gereichen sollte. Denn jetzt musste dieses Vermögen erst einmal dazu dienen, um mich für die nächsten vier bis fünf Jahre ohne zusätzliches Einkommen über Wasser halten zu können, bevor ich in den Genuss meiner staatlichen Rente kommen würde. Denn wo hätte ich wie noch welche Art von Job bekommen können? Nach über dreißig Jahren Bank?

    „Ja, listen Sie hier einfach mal alle Ihre Kenntnisse auf, hatte mich dieser Yuppie-Typ von der Auffanggesellschaft geringschätzig herablassend belehrt. „Daraus können Sie sich dann ein möglichst scharfes Profil schaffen.

    „So ein A…", hatte ich mir nur gedacht.

    Aber woher sollte so ein überheblicher Grünschnabel auch schon wissen, dass man nach über dreißig Jahren durch entsprechenden Ehrgeiz, Einsatz und Erfolg sein berufliches Profil so weit geschärft hatte, dass es eben nur noch ganz speziell auf eine Branche und dabei auch noch auf nur einen gewissen Teilbereich dieser zugeschnitten war? Was bei mir ganz eindeutig auf das Bankwesen und hierbei das Kreditwesen fokussiert war. Und welche Bank würde bei dem seit Jahren anhaltenden generellen Stellenabbau in diesem Bereich einen Achtundfünfzigjährigen mit meinen Kenntnissen egal zu welchem Gehalt einstellen?

    Die nette Dame im Arbeitsamt hatte das sofort begriffen, wie wahrscheinlich der junge Schnösel von der Auffanggesellschaft auch. Aber in Zeiten von political correctness war er im Unterschied zu ihr wie alle mittlerweile zu aalglatt und taktisch raffiniert, um das zugeben zu können, da er nur darauf bedacht war, keinerlei Unannehmlichkeiten durch irgendwelche angreifbaren Äußerungen zu riskieren. Deshalb war ich umso mehr erfreut und ausgesprochen erleichtert über die offene Ehrlichkeit der netten Fachfrau des Arbeitsamtes. Nicht nur, weil ich dadurch relativ rasch und unkompliziert zur Genehmigung meines Arbeitslosengeldes für die nächsten zwei Jahre gelangte, aber vor allem, weil es mir diesen bis dato völlig unvorstellbaren Canossagang zum örtlichen Arbeitsamt, der für mich extrem erniedrigend war, ungemein erleichterte. Ich hatte mich tagelang davor gefürchtet. Ich hatte mich extrem unwohl gefühlt, schon beim Eintreten, weil ich nicht einmal wusste, wohin. Zudem wurde ich erst einmal mit einem zehnseitigen Fragebogen in irgendein Wartezimmer verwiesen, zu einer Gruppe von Menschen, die mir so fremd waren, dass ich nur noch Scham empfand in dieser unangenehmen Umgebung. Es war schlimmer als beim Zahnarzt.

    Aber was hätte ich machen sollen? Meine Aktien warfen bei Weitem nicht genug an Dividende ab, um selbst mit dem Arbeitslosengeld meine monatlichen Ausgaben zu decken. Die zusätzlichen Mieteinnahmen aus den zwei Wohnungen, die ich besaß, gingen beinahe gänzlich für die Kreditrückzahlungen drauf, mit denen die Objekte noch belastet waren. Und dann musste ich ja mindestens noch vier Jahre irgendwie ohne jegliches Einkommen auskommen, bis endlich die staatliche Rente monatlich kam. Ich empfand zum ersten Mal in meinem Leben so etwas wie echte Existenzangst. Gott sei Dank war ich durch meine beruflich bestgeschulten Rechenkünste in der Finanzierungsplanung in der Lage, bei all meinen Untergangsvisionen und Beklemmungsgefühlen soweit einen kühlen Kopf zu behalten, um mir alle Optionen genau auszurechnen. Auch wenn es bei den Berechnungen, die ich dabei anzustellen hatte, nicht mehr wie gewohnt um Hunderttausende und Millionen Euro ging, die ich für abstrakte Konstrukte hin und herschieben konnte. Sondern ich musste jetzt wie mein Vater seinerzeit als einfacher Arbeiter sprichwörtlich um jeden Cent feilschen. Aber ganz egal, wie ich es auch drehen und wenden wollte, es war klar, dass ich mich in all meinen Ausgaben so rasch wie möglich erheblich einschränken würde müssen, und das wohl auf Dauer.

    Damit verbunden war auch die unweigerliche Erkenntnis, dass ich so rasch wie möglich aus meiner, unter den jetzigen Umständen, luxuriösen Wohnung raus musste. In zwei Monaten endeten die Gehaltszahlungen, das Arbeitslosengeld deckte nicht einmal die Miete und meine Barreserven waren nicht übermäßig groß. Nach mehrmaliger Durchsicht der Immobilienangebote wurde ich rasch in meiner Befürchtung bestätigt, dass ich mir in München maximal eine winzige Ein-Zimmer-Wohnung in einer miesen Gegend leisten könnte. Aber musste, wollte ich eigentlich in München bleiben? Jetzt, da ich in dieser Stadt nur noch eine Ex-Frau hatte, zu der ich mehr oder weniger keinen Kontakt mehr pflegte, außer an inzwischen äußerst selten gewordenen Familienfesten? Sowie mehr oder weniger ehemalige, geschäftliche Beziehungen wie zu einigen Ex-Kollegen, mit denen ich mich maximal über die guten alten Zeiten und die Schweinereien im modernen Bankbusiness unterhalten konnte? Mir wurde schnell klar, dass ich nicht nur aus der Wohnung, sondern auch aus München wegmusste. Dabei war größte Eile angesagt, denn bis dato konnte ich noch ordentliche monatliche Einkünfte und eine tadellose finanzielle Ausstattung nachweisen, was gemeinhin unerlässliche Voraussetzungen zum Erhalt eines Mietvertrags waren. Da ich in Zukunft über mehr als genügend Freizeit verfügen würde, wofür eine schöne, ländliche Umgebung sicherlich einen günstigen Umstand darstellte, ich dabei aber trotzdem nicht in irgendein entlegenes Kaff ziehen wollte, hatte ich mich alsbald für eine recht nette Zwei-Zimmer-Wohnung in Bad Bailing entschieden. Es war zwar schade, dass ich dort nicht einmal die Hälfte meiner Möbel und Utensilien unterbringen konnte, aber nach drei gescheiterten Lebenspartnerschaften hatte ich inzwischen Übung darin alles zurückzulassen, um wieder einmal ganz von vorne anzufangen.

    So war ich damals im Frühjahr vor vier Jahren, kurz nachdem ich offiziell mein Leben als Arbeitsloser begonnen hatte, und nachdem ich mich von fast allem, was mein Leben bisher ausmachte, getrennt hatte, mit einem kümmerlichen Rest an Möbel, Kleidung und sonstiger persönlicher Habe, in diese nette aber mir völlig fremde Kleinstadt gekommen, in der ich seither lebe. In Rekordzeit hatte ich mich von allen Mitgliedschaften und Abonnements befreit, meine Golfausrüstung für einen lächerlichen Preis verkauft, weil ich mir ausgerechnet hatte, dass ich mir keine neue Golfmitgliedschaft mehr leisten können würde. Alle meine Anzüge bis auf zwei verbliebene hatte ich bereits verschenkt, weil mir klar war, dass ich nie wieder als Direktor auftreten würde. Auf diese Weise hatte ich mich in kürzester Zeit rigoros so kostengünstig es ging, aller Dinge entledigt, die ich in mein neues Leben nicht mitnehmen konnte. Es war schon eine äußerst eigenartige Gefühlsbreite zwischen Befreiung und Entspannung einerseits sowie Befremdung, Einsamkeit und Niedergeschlagenheit auf der anderen Seite, durch die ich mich da schlingernd in mein neues Leben einfinden musste.

    Doch ich hatte mir ganz fest vorgenommen, mich weder von der Bescheidenheit meiner neuen Lebensumstände und -verhältnisse noch von jeglicher Verbitterung über die Vergangenheit oder Gedanken im Sinne von „Was wäre, wenn …" nach unten ziehen zu lassen, sondern mich nur auf das jetzt und hier zu konzentrieren, um die Augen ausschließlich auf das Positive vor mir zu richten. Selbst wenn es mir vor allem anfangs nicht immer leichtgefallen war, so hatte ich es mit der mir eigenen Disziplin – Bekannte würden es positiv als meine typische Hartnäckigkeit oder negativ als Sturheit bezeichnen – alsbald geschafft, meine neue Umgebung dahingehend so sorgfältig zu erkunden, dass ich es mir darin immer besser einzurichten verstand. Was mir zu meiner Verwunderung dabei schon nach kürzester Zeit am wenigsten aus meinem früheren Leben abging, war mein Berufsleben und alles damit Verbundene. Denn eigentlich wurde mir erst jetzt so richtig bewusst, wie lange und wie sehr ich mich persönlich schon nicht mehr im Einklang mit der Art meiner Tätigkeit, den Vorgaben und Abläufen im Unternehmen, und den Ansichten meiner immer jüngeren Kollegen befunden hatte. Selbst wenn ich die Umstände und den verfrühten Zeitpunkt meines Ausscheidens mit der damit verbundenen Bescheidenheit meiner Lebensumstände bedauerte, wuchs in gleichem Maße meine Freude und Dankbarkeit über meine gewonnene Freiheit, und die vielen kleinen Annehmlich- und -Möglichkeiten, die sich mir dadurch Schritt für Schritt eröffneten. Ich fand mich rasch und gut in meine neue Wohnung und meinen geänderten Tagesablauf ein, den ich immer besser auszufüllen wusste; ohne, dass ich wie früher das nötige Kleingeld dafür benötigte. Ich war überrascht, wie gut und schnell ich mich umstellen und umdenken konnte. Ich brauchte bald keinen Restaurantbesuch mehr und kein Fünfsternehotel mit allen Annehmlichkeiten, um mich gut oder zufrieden zu fühlen. Ich lernte schon bald, gerne und immer besser zu kochen. Ich verspürte immer weniger den Drang, möglichst weit oder aufwendig zu verreisen. Ich hatte den Gardasee oft genug, London öfter als mir lieb war, und auch die Malediven und vieles mehr in Amerika und sonst wo gesehen. Eine Wanderung unter der Woche auf die Almen über dem Tegernsee, mit einer selbst gemachten Jause, brachte mir jetzt mindestens den gleichen Erlebniswert – aber, wichtiger noch: Es verbesserte meinen körperlichen Zustand und mein Wohlbefinden. Denn obwohl ich bei rücksichtsloser Begutachtung meines Spiegelbildes feststellte, dass ich mit achtundfünfzig bei zwar überwiegend ergrautem, aber fast noch vollem Haar, noch immer recht respektabel aussah, musste ich mir eingestehen, dass ich nach vierzig Jahren Tätigkeit in beinahe ausschließlich sitzender Position selbst durch gelegentliche frühere Tennis- und spätere Golfaktivitäten trotz meiner fast Einmeterneunzig, wie man so sagte, gewissermaßen eine Bayer Drei Figur – also mit Stau am mittleren Ring – bekommen hatte; die sich bisher immer in Anzug mit Krawatte einigermaßen kaschieren hatte lassen. Ganz zu schweigen vom Fehlen jeglicher echter Muskelkraft. Was mich auch dazu bewogen hatte, mich in einem dieser mir so verhassten Fitnessstudios anzumelden. Wohin ich mich zu meinem Erstaunen, beflügelt von den sicht- und spürbaren Erfolgen nach einigen Wochen suchtartig hingezogen fühlte. Denn ich machte jetzt auch in Jeans und T-Shirt eine gute Figur und empfand sogar beim gemütlichen Dauerlauf am Flussufer eine beglückende Befreiung, anstatt mich wie früher dabei völlig erschöpft bis zur absoluten Schmerzgrenze zu verausgaben. Mit dieser neuen körperlichen Ertüchtigung – ich fühlte mich um weit mehr als die zehn Kilogramm leichter, die ich im Laufe der Zeit abgenommen hatte – steigerte sich in gleichem Ausmaß auch mein geistiges und seelisches Wohlbefinden, da ich immer weniger an die Vergangenheit dachte, und vor allem auch immer weniger davon bedauerte oder vermisste. So lernte ich in relativ kurzer Zeit, dass mit dieser neuen Bescheidenheit und der damit verbundenen Konzentration auf meine nächste Umgebung, meine Aufmerksamkeit und Empfindsamkeit für alles und auch für das Kleinste, was mich umgab, in einem unglaublichen Ausmaß gewachsen war. Mit dem Wegfall so vieler Einflüsse von außen, mit der relativen Stille um mich herum und in mir, wenn kein Telefon mehr läutete, kein Termin mehr anstand, tauchten plötzlich so viele früher nie bemerkten Kleinigkeiten überall für mich auf, die ich teils verstörend wie beglückend empfand, aber in jedem Fall bereichernd und erstaunlich interessant.

    Andererseits musste ich aber auch mit der Zeit feststellen, dass ich aufgrund der fehlenden Kontakte in der Arbeit, so oberflächlich sie auch sein mochten, genauso wie die privaten auf dem Golfplatz und mit meinen Bekannten in München, nicht nur immer weiter in diese eintönig zeitlosen, immer gleichen Tages- und Wochenabläufe eintauchte, die mich, obwohl ich noch nicht einmal ein richtiger Rentner war, in diese typisch traurige dumpfe Einsamkeit einhüllte, die ich immer für mich im Alter befürchtet hatte. Denn nachdem alle meine Lebenspartnerschaften gescheitert waren, und meine familiären Bindungen sich auf einige wenige Treffen im Jahr reduziert hatten, war mir schon bald klar geworden, dass die Wahrscheinlichkeit als mehr oder weniger alter Mann in dieser für mich neuen, fremden Stadt irgendwo Anschluss zu finden, wahrscheinlich genauso gering war, wie vielleicht sogar noch einmal eine Frau kennenzulernen, mit der sich noch einmal so etwas wie eine Liebesbeziehung entwickeln könnte. Aber das hatte ich ohnehin schon in den letzten Jahren in München in meiner aktiven Zeit zunehmend feststellen müssen. Es war mir ja schon damals, selbst unter wesentlich günstigeren Bedingungen, immer unmöglicher geworden, irgendwelche neuen Kontakte zu knüpfen oder gar diese enorme Spannkraft und diesen unbedingten Willen aufzubringen, um all diesen notwendigen Aktionismus zu entfalten, der eben notwendig gewesen wäre, um so eine Beziehungskiste mit einer geeigneten Frau noch mal so richtig in Fahrt zu bringen. Dabei durfte ich mich eigentlich nicht beschweren. Ich hatte genug Beziehungschancen im Leben gehabt, ob mit meinen Frauen oder auch mit meinen Kindern, und sogar mit eigentlichen ganz netten Bekannten. Die ich jedoch allesamt durch meinen tatkräftigen Einsatz dagegen oder vielleicht wirklich, wie einige behaupten durch meine Verweigerung jeglichen Einsatzes dafür, nie nutzten konnte. Demgemäß hatte ich mir, getreu meinem Naturell, in diesem ersten Jahr in Bad Bailing ein wohldurchdachtes, gut funktionierendes, aber relativ freud- und emotionsloses, frühpensionäres Alltagsleben eingerichtet, in der Hoffnung, dass ich mich bald daran so gewöhnen würde, dass mich die Traurigkeit über die Trostlosigkeit dieses Treibens nicht mehr belasten würde.

    EINE FRAU TAUCHT AUF

    Das erste Mal, dass ich sie wahrgenommen hatte, war an der Kasse im Supermarkt. Ich stand gerade als dritter oder vierter in der Reihe zum Zahlen an. Mein Einkaufswagen war relativ voll, denn ich ging nicht so gerne zum Einkaufen. Deshalb versuchte ich, meine Einkäufe so effizient wie möglich zu gestalten, um diesen Gang zum Supermarkt so selten wie möglich machen zu müssen. Die Frau stand hinter mir und trug nur eine kleine Tüte mit Backwaren und etwas zum Trinken in der Hand. Sie rief über meine Schulter offensichtlich dem Hund, der hinter der Kasse aufgeregt bellte, etwas zu. Ich

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