Geschwisterliebe
Von Theodor Fontane
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Wenige Jahre waren seit dem großen Brande vergangen, welcher eine der ältesten Städte der Mark Brandenburg in Schutt und Asche legte; allgemach erhob sie sich wieder gar zierlich und nett aus ihren Trümmern, und wie noch vor Kurzem die grauen, mittelalterlichen Giebelhäuser, als die toten Überreste einer schöneren Zeit, Achtung und Ehrfurcht eingeflößt hatten, so machten jetzt die stattlichen Gebäude mit ihren hellen, heiteren Farben den freundlichsten Eindruck auf den Fremden.
Theodor Fontane
Der weltbekannte Autor Theodor Fontane (1819-1898) ist bis heute einer der wichtigsten deutschsprachigen Autoren und wird immer noch gern gelesen. Effi Briest ist das bekannteste Werk von ihm.
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Buchvorschau
Geschwisterliebe - Theodor Fontane
Kapitel 1
Wenige Jahre waren seit dem großen Brande vergangen, welcher eine der ältesten Städte der Mark Brandenburg in Schutt und Asche legte; allgemach erhob sie sich wieder gar zierlich und nett aus ihren Trümmern, und wie noch vor Kurzem die grauen, mittelalterlichen Giebelhäuser, als die toten Überreste einer schöneren Zeit, Achtung und Ehrfurcht eingeflößt hatten, so machten jetzt die stattlichen Gebäude mit ihren hellen, heiteren Farben den freundlichsten Eindruck auf den Fremden.
Nur einen kleinen Teil der Stadt, und zwar denjenigen, welcher der kreisförmigen Mauer zunächst gelegen war, hatten die Alles verzehrenden Flammen verschont. Hier standen nur Fischerhütten, die sich durch ihr klägliches Äußere stets unvorteilhaft ausgezeichnet hatten und jetzt nun gar, wo die größeren Straßen so sauber und prächtig erschienen, wurde der Unterschied so fühlbar, daß selbst ein letzter Rest der feinen Spießbürgerwelt das verpönte Revier verließ, um seinen Aufenthalt mehr im Mittelpunkt der Stadt zu wählen. Nur Wenige wagten es, gegen den Strom zu schwimmen und blieben in den alten Quartieren, wo sie und ihre Väter glücklich gewesen waren. Zwar sanken diese Märtyrer ihrer vernunftgemäßen Ansichten in der Gunst und Achtung der eitlen, prunksüchtigen Kleinstädter; – der Schnittwarenhändler und erste Senator lüftete kaum den Hut, wenn er dem Einen oder dem Andern jener plebejischen Mitbürger begegnete und ganz unmöglich in ein nahe gelegenes Haus entschlüpfen konnte, und ging gar der Herr Kämmerer, ein ehemaliger Apotheker, mit seinen schnippischen Töchtern durch die unanständige Vorstadt, so drückte er den Filz, fast so spitz wie seine gedrehten Düten, in das noch spitzere Gesicht, das in dem Adler vor der Apotheke auf das Prächtigste konterfeit war. Auch sprach er dann gar eifrig und anhaltend mit den beiden rotköpfigen Töchtern, die wie verschämt zu Boden blickten, und das Alles geschah nur um das hübsche Clärchen nicht grüßen zu müssen, die ohnweit des Seetores gemeinhin am Fenster ihres zwar alten, doch freundlichen Wohnhauses saß mit weiblichen Handarbeiten, oder beim Lesen einzelner Lieblingsschriftsteller fleißig beschäftigt; – denn ein so liebes, gutes Mädchen das anspruchslose Clärchen war, – sie wohnte ja in der Vorstadt, Grund genug, sich ihrer zu schämen.
Jenes Haus, großenteils aus Fachwerk bestehend, zeigte über seiner Tür die frommen Worte: »Gott mit uns!« und wahrlich es gab wohl kein Gebäude in der großen Stadt, das in Bezug auf seine Bewohner diese Inschrift mehr verdient hätte. So groß und umfangreich es auch war, wurde es dennoch nur von zwei Personen bewohnt, von Clärchen und ihrem blinden Bruder Rudolph, der nie das Licht der Welt erblickt hatte.
Ihre Eltern waren vor einigen Jahren gestorben. Der Vater, vormals ein wohlhabender Kaufmann, hatte nach und nach durch schlechte Spekulationen viel von seinem Reichtum eingebüßt, so daß, als er seiner vor Gram dahin geschiedenen Gattin folgte, dem blinden Sohne die schutzbedürftige Tochter, oder richtiger dieser letztem ein blinder Bruder fast als die einzige Hinterlassenschaft anheimgefallen war. Auch das ziemlich wertlose Haus und ein kleiner Rest des einst bedeutenden Vermögens war ihnen geblieben, nur eben hinreichend, um sie