Über dieses E-Book
In seinen Geschichten liegt die Weisheit des weit gereisten Globetrotters, großen Menschenkenners und Humanisten. Er ist scharfer Beobachter und pointierter Porträtist.
Wer diese Geschichten liest, weiß, warum behauptet wird, die deutsche Sprache wäre schön." TAZ
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Buchvorschau
Gringo - Hans Herbst
Maman
Sie war eine kleine, breit gebaute Frau mit dunklem Gesicht, schwarzen Haaren und Schneidezähnen aus Gold. Ihre großen Augen waren diese besonderen Augen, in deren fast schwarzer Tiefe man sich verlieren kann, und ihr Mund sah ganz so aus, als wären die Küsse und Bisse der jungen Jahre auf ihm zurückgeblieben. Leicht ausgefranst an den Rän dern. Sie thronte am Ende der langen Theke hinter der Kasse und ihre dicken Finger bewegten die Scheine und Münzen mit einer Geschwindigkeit, die Übung verriet. Sie sprach wenig, und wenn sie sprach, hörte man hinter den knappen Sätzen fast immer Ausrufezeichen. Die Kneipe, ein schlauchartiger, rauchdunkler Raum in einer Seitenstraße der Rue St. Denise, gehörte ihr. Die Wände waren mit Plakaten zugepflastert, die vom Boxen bis Juliette Greco alles ankündigten, und an der Decke klebte die übliche Neonlampe. Es war dämmrig und still und früher Nach mittag, als ich mich zum ersten Mal gegen die lange Theke lehnte. Eine junge Hure saß an einem der drei Tische und starrte in ihr Pastisglas, und der Barmann stocherte mit einem Streichholz in dem Rest seiner Zähne herum. Die Frau hinter der Kasse schickte einen kurzen Blick zu mir herüber, den ich deuten konnte, ohne mich anstrengen zu müssen. Ein anderer, der nicht zum ›Milieu‹ gehörte, hätte diesen Blick gar nicht bemerkt. Die Frau hatte mich wahrgenommen und dabei versucht, mich einzuschätzen. Ein Fremder konnte Verdruss bedeuten. Ein Spitzel, den sie nicht kannte, ein Zuhälter aus einem anderen Revier, der sich hier umsah, ein Gangster, der die Bullen im Genick hatte oder der Vorausmann einer Bande, die hier Terrain gewinnen wollte. Dieses Revier war damals, als es ›Les Halles‹ noch gab, ein heißes Revier, und jeder sah zu, dass er über die Runden kam. Ich war nur ein kleiner Dieb mit einer Pechsträhne und einem Mädchen, das mit einem anderen Dieb, der eine Glückssträhne hatte, in den Süden gefahren war. Mir gefiel diese Kneipe, ich wusste nicht, warum, aber ich hatte gleich beim Eintreten ein gutes Gefühl gehabt. Ich nippte vorsichtig an meinem Bier, ich konnte mir nur eins leisten, und horchte in die Stille. Irgendwann erhob sich die junge Hure und sagte: »Wünsch mir Glück, Maman.« Sie trat vor die Theke und die Frau hinter der Kasse beugte sich vor und berührte mit zwei Fingern ihrer rechten Hand fast zärtlich ihre Stirn und ihren Mund. Sie ging hinaus, und ich sah ihr nach und hatte dabei das ganz sichere Gefühl, dass sie Glück haben würde. Ich nuckelte weiter ganz langsam an meinem Bier und als das Glas leer war, zahlte ich und ging auf die Toilette.
Als ich zurückkam, stand ein frisches Bier an meinem Platz. Ich war der einzige Gast, und das Bier konnte nur für mich da stehen. Ich sah den Barmann an. Er nickte und bewegte einen Daumen. »Von Maman.« Die Frau hinter der Kasse lächelte, und ich sah ihre Goldzähne blinken. Ich deutete, sicher mit einiger Überraschung im Gesicht, eine Verbeu gung an und sagte: »Vielen Dank, Maman«, und im selben Augen blick hätte ich mich ohrfeigen können, ich hatte Madame sagen wollen, aber Maman war mir einfach so rausgerutscht. Sie nickte knapp und murmelte »de rien« und widmete sich wieder ihrer Zeitung. Ich stützte wieder die Ellen bogen auf die Theke und fragte mich, warum die Frau mich auf ein Bier eingeladen hatte. Dass sie mich in ihr Bett transportieren wollte, war vollkommen ausgeschlossen. Ich grübelte, und beim Grübeln öffnete sich die Tür, und ein Mann in einem alten Pfeffer- und Salzanzug betrat die Kneipe. Er hatte ein eckiges Kinn und eine eingedellte Nase und seine kleinen Augen huschten flink über mein Gesicht. Ein Blick, den ich auch deuten konnte. Der Barmann sagte »Salut, Jean«, und er nuschelte »Salut« und als er vor der Kasse stand sagte er »Bonjour Maman«.
Die Frau lächelte und ihre großen, fast schwarzen Augen senkten sich in seine kleinen und nach einer Weile sagte sie ruhig: »Schon wieder in Schwierigkeiten, Jean?!« Es klang nicht wie eine Frage, es war eine Feststellung. Er nickte. Sie schüttelte, immer noch lächelnd, leicht den Kopf und nahm ein paar Geldscheine aus der Kasse. »Hier nimm.« Er nahm das Geld, steckte es in die Hosentasche und sagte: »Danke, Maman. Bis zum Wochenende hast du es zurück.«
»Schon gut.«
»Auf Wiedersehen, Maman.«
Er ging und als die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, glaubte ich, etwas kapiert zu haben. ›Maman‹ schien nicht der Spitzname dieser Frau zu sein, dieser Bursche in dem alten Pfeffer- und Salzanzug, vielleicht auch ein kleiner Dieb mit einer Pechsträhne, hatte ihn so ausgesprochen, wie man Mutti oder Mammi oder Mutter oder wie auch immer sagt, und es hatte ganz natürlich geklungen. Spitznamen haben immer einen Unter- oder Nebenton. Bei der jungen Hure hatte ich geglaubt, dass sie ihre Tochter sei, als sie die Frau mit Maman anredete.
Das Öffnen der Tür unterbrach mich in meinen Betrachtungen. Zwei Huren traten ein, eine Afrikanerin, die sich in etwas sehr knappes Weißes gezwängt hatte und eine große Blonde in Leder. Sie waren gut aufgelegt und lachten und wedelten mit Geldscheinen. »Wir haben Glück gehabt«, piepste die Afrikanerin mit Kleinmädchenstimme, »eine Flasche Champagner, Luc.«
»Nein.« Das Nein kam vom Ende der Theke.
»Aber Maman, wir wollen doch nur ...«
»Nein, Kinder.« Die Stimme der Frau war weich. »Ihr müsst für euer Geld zu schwer arbeiten. Lasst den Champagner die Freier bezahlen.« Die Frauen protestierten und als der Protest nicht half, verlegten sie sich aufs Bitten.
»Bitte, Maman, nur eine Flasche.«
Abgelehnt. Kein Champagner. Zu teuer. Spart euer Geld, seid vernünftig. Und die Frauen gehorchten. Sie schmollten ein bisschen, wie kleine Mädchen das so tun, wenn Mami nein sagt, aber sie hockten sich ganz brav an einen Tisch und Luc, der Barmann, brachte ihnen zwei Pastis. Ich hatte auch geschmollt, wenn meine Mutter nein gesagt hatte. Später, als ich richtig fluchen konnte, hatte ich ge flucht. Oder das Nein einfach ignoriert. Meine Mutter war geduldig gewesen.
Am nächsten Tag lehnte ich mich wieder gegen die lange Theke. Luc stellte unaufgefordert ein Bier vor mich hin. Zwei Typen in gutsitzenden Anzügen lehnten sich auch gegen die Theke. Sie hatten harte, wache Augen und trugen Goldketten an den Handgelenken und ein bisschen Gold an den Fingern. Zuhälter. Ein Dritter stand vor Mamans Kasse. Er sah niedergeschlagen aus. Ein großer Bursche in einem gestreiften Maßanzug mit diesen sehr breiten, abfallenden Schultern, wie sie damals, in den frühen Sechzigern, bei den Zuhältern in Paris Mode waren. Er hatte ein scharfgeschnittenes, blasses Gesicht und unter seiner römisch geformten Nase prangte ein sauber ausrasiertes Adolphe-Menjou-Bärtchen. Ein schöner Mann. Aber ein geschlagener Mann.
»Du lügst«, sagte Maman direkt in sein schönes Gesicht und gab sich dabei keine Mühe, besonders leise zu sprechen, »und Lügner sind Feiglinge, und die hasse ich mehr als den Tod. Und ich mag keine Männer, die Frauen schlagen.«
Der Mann zupfte an seinem Bärtchen und starrte auf seine blankpolierten Schuhspitzen. »Bon«, sagte er nach einiger Zeit und hob den Kopf, »ich geb’s zu. Susi’s Veilchen stammt von mir.«
Maman beugte sich vor und tätschelte ihm die Wange. Ego te absolvo, dachte ich. »Tu’s nicht wieder«, sagte sie mit weniger Stimme als vorher, »und vertragt euch wieder, okay?«
»Okay, Maman.«
Der große Zuhälter stellte sich zu seinen Copains an die Theke und sah irgendwie erleichtert aus. Ich nippte an meinem Bier und dachte, wie es scheint, haben diese Leute hier eine richtige Mutter und die Sache funktioniert. Weil Maman wie eine richtige Mutter, ganz ohne Eigennutz, nur ihr Bestes will. Und sie haben es begriffen, und es ist gut für sie.
Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass es schön sein müsste, dazuzugehören, aber diese Wunschvorstellung verscheuchte ich schnell wieder aus meinem Kopf. Dies war nicht mein Revier, mein Revier war auf der anderen Seite der Seine, im 6. Arrondissement hatte ich ein kleines Zimmer und ein paar Copains, mit denen ich kleine Dinger drehte. Eierdiebereien. Ich hatte, seit ich in Paris war, noch nie richtig gearbeitet.
Die Zuhälter verließen die Bar, und jetzt sah ich hinten, im Halbdunkel, an dem letzten der kleinen Tische, eine zahnlose alte Frau, die sich über einen Teller Suppe beugte. Sie machte nicht den Eindruck, als könne sie die Suppe bezahlen. Aber da kann man sich täuschen. Maman kletterte vorsichtig von ihrem Thron hinter der Kasse, drückte sich an Luc hinter der Theke vorbei, legte die massiven Unterarme auf das Zink und sah mir ins Gesicht. »Du bist Deutscher«, sagte sie leise.
Ich nickte. »Ja, Maman, woher wissen Sie?«
»Ich habe es gesehen und an deinem Akzent gehört. Ich mag die Deutschen.«
»Danke, Maman.« Ich sagte ganz automatisch Maman, da bei wäre Madame richtig gewesen. Ich gehörte nicht dazu. Sie lächelte und studierte aufmerksam mein Gesicht. Ich lächelte zurück – und ließ es geschehen. Ich mochte diese Frau. Ich dachte, dass sie mit irgendetwas kommen würde, vielleicht wollte sie etwas von mir, ich wusste es nicht. Aber was es auch sein mochte, es würde nichts Schlechtes sein. Sie machte Luc ein Zeichen, und er stellte ein frisches Bier vor mich hin. Jetzt war ich sicher. Sie wollte etwas von mir. Ihre Goldzähne blinkten, als sie sprach. »Willst du arbeiten?« fragte sie und ihre Stimme hatte einen rauen Unterton.
Es klang wie ein Angebot, aber gleichzeitig auch irgendwie anders. Ich war vollkommen überrascht und bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, nickte ich heftig mit dem Kopf und sagte »Ja, Maman, gerne.«
So wurde ich Barmann in der ›Schwarzen Katze‹. Ich hatte die Tagesschicht und Luc besorgte den Rest. Er ist zu alt für diesen Fulltimejob, hatte Maman gesagt, und Luc war mit der Regelung einverstanden, und wir vertrugen uns großartig. Ich lernte in sehr kurzer Zeit eine Menge Leute kennen und merkte mir die Namen und Gesichter von Dieben, Zuhältern, Huren, Gangstern und Polizisten. Zwei- oder dreimal lehnte sich auch ein weißhaariger, elegant gekleideter alter Herr gegen meinen Tresen und jedes Mal, wenn ich einen Drink vor ihn hinstellte und dabei in seine dunklen Augen sah, spürte ich dieses seltsame Frösteln zwischen den Schulterblättern. Niemand redete ihn, wie das hier üblich war, mit seinem Vornamen an, man sagte, wobei man seine Stimme zurücknahm, Monsieur Paul, oder einfach Patron. Nur Maman nannte ihn Paolo. Er war ein Boss der ›Kor sischen Union‹.
Ich befand mich hier in feiner Gesellschaft, aber ich war ja auch feine Gesellschaft, und somit war alles in Ordnung. Diese Leute waren auf ihre Art ehrlich und geradeheraus, sie benahmen sich tadellos, es gab keine Schlägereien und Messer stechereien, wie ich sie aus anderen Kneipen kannte, und meistens waren sie gut aufgelegt, und es gab immer etwas zu lachen. Und sie hatten mich sehr schnell akzeptiert. Wohl, weil ich meine Arbeit gut machte, nicht zuviel quatschte und mich in nichts einmischte. Und wohl auch wegen Maman. Sie hatten begriffen, dass Maman mich irgendwie an ihre breite Brust gedrückt hatte, und das ge-nügte. Aber keiner wusste genau, warum. Ich auch nicht.
Einmal hörte ich Pierre, ›die Klaue‹, einen Taschendieb, zu Nicole, dem ›Walross‹, sagen: »Dieser Deutsche ist Mamans Liebling.« Und so fühlte ich mich auch. Sie behandelte mich nicht wie einen Angestellten, sie behandelte mich wie einen Sohn, und wer diesem Sohn zu nahe trat, hatte mit ihr zu rechnen. Als Jean-Louis, der ›Henker‹, ein Zuhälter, im Scherz zu mir sagte »He, alter Nazi, gib mir’n Bier«, legte sie ganz ruhig ihre Zeitung zur Seite, blickte dem großen, breiten Mann ohne besonderen Ausdruck ins Gesicht und sagte mit einer Wildheit, die mich erschreckte: »Zügel dein ungewaschenes Maul, du Idiot.«
Der ›Henker‹ stotterte: »Aber Maman, war doch nur’n Scherz.«
»Schon gut«, brummte sie und griff nach der Zeitung. Sie war eine Glucke, und ich wusste, dass mir nichts passieren konnte. Ich liebte sie. Sie hatte mir ihre Wärme und eine Art Zuhause gegeben, und ich war von der Straße weg.
Ich wohnte in einem geräumigen Zimmer über der Bar, trug saubere Klamotten und aß, was Maman mir kochte. Und sie kochte gut. Sie liebte es, mir beim Essen zuzusehen, sie stellte Portionen für Elefanten auf den Tisch und dabei sagte sie »Du musst essen, mein Kleiner, du bist dünn wie ein Straßenköter.«
Na ja, ganz falsch lag sie nicht.
Aber da war noch eine Frage offen, sie bewegte mich die ganze Zeit über, und ich wusste, dass ich sie irgendwann stellen musste, ich musste etwas wissen und ich musste es bald wissen. Aber ich traute mich nicht, die Frage zu stellen, vielleicht hatte ich Angst vor der Antwort, oder vor den Konsequenzen oder Angst davor, Maman zu nahe zu treten oder Angst vor wasweißich. Viel leicht würde ich etwas kaputtmachen. Aber an einem stillen Mittwochnachmittag, ich weiß heute noch, dass es ein Mitt woch war, nahm ich mein Herz in beide Hände und fragte: »Maman, warum hast du das alles für mich getan?«
Sie drehte den Kopf und ein Lächeln, das von sehr weit herzu kommen schien, breitete sich langsam auf ihrem Gesicht aus. Sie strich mir über die Wange, fast scheu, mit einer unendlichen Zärtlichkeit und sagte schlicht: »Weil ich dich mag.«
Ich stand da, still und steif und unbeholfen und war weit davon entfernt zu verstehen. Warum mag sie dich so sehr, dass sie dich wie einen Sohn annimmt und dir diese Zärtlichkeit und diese Wärme gibt? Irgendwann würde ich es erfahren.
»Es sind die Augen«, murmelte sie mehr zu sich selbst, »und, und …« Das Lächeln erstarrte auf ihrem Gesicht. Ihr Blick war jetzt nicht mehr auf mich gerichtet, er ging durch mich hindurch, entfernte sich, war nicht mehr in dieser Bar und durch die Tiefe ihrer Augen kroch langsam eine stumpfe Trauer.
»Maman«, sagte ich leise, erschreckt. Sie holte den Blick zurück, kam zurück wie aus einem anderen Land, zurück in diese Bar und zu mir. »Jetzt weißt du es«, brummte sie und griff wieder nach ihrer Zeitung.
Ich wusste gar nichts. Aber vielleicht ahnte ich etwas. Ich machte mich wieder an meine Arbeit, nachdenklich und besorgt. Die Bar war leer, und ich fegte die Kippen vor der Theke zusammen. Als die Tür geöffnet wurde und zwei schmale, dunkle Männer eintraten, fühlte ich einen kleinen Stoß in der Herzgegend, das sichere Zeichen für Verdruss. Sie waren Korsen aus dem Pigalle-Revier, und ich hatte ihnen vor ein paar Tagen einen geklauten Fotoapparat verhökert. Der Kontakt zu meinen Copains auf der anderen Seite der Seine war nicht ganz abgerissen. Ihre Blicke huschten durch den leeren Raum, und sie grinsten befriedigt. Maman ignorierten sie. Nur eine alte Frau, die hinter der Kasse saß und Zeitung las. »Der Apparat war kaputt«, sagte der Größere der beiden und zupfte dabei spielerisch an meinem linken Ohrläppchen, »nicht zu gebrauchen. Du hast uns Schrott verkauft.«
»Moment mal«, sagte ich und wusste, was kommen würde, »ich guck in die Dinger nicht rein.«
»Solltest du aber, mon ami.« Die Stimme des Kleinen war sehr tief und von vollendeter Sanftheit. »So geht das nicht. Du klaust einen Fotoapparat und bietest ihn an, ohne dich von seiner Qualität überzeugt zu haben.« Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Maman die Zeitung zur Seite legte.
»Ich seh’s anders«, sagte ich schnell und hoffte, dass meine Stimme in Ordnung war. »Der Käufer muss sich von der Qualität der Ware überzeugen, bevor er sie kauft. Tut er das nicht, kann er Pech haben. Ich dachte, ihr seid Profis.«
»Sind wir auch.« Der Große streckte mir seine flache Hand entgegen. »Her mit dem Geld.«
»Nein.« Ich machte eine halben Schritt zurück, um Raum zu haben für das, was jetzt ins Haus stand, und er machte einen halben Schritt nach vorn, und der Kleine versenkte mit einer kaum wahrnehmbaren, gleitenden Bewegung seine rechte Hand in der Außentasche seiner Lederjacke. Meine Güte, dachte ich, die werden doch nicht am hellen Tag mit den Messern hier rumhantieren. Aber bei Korsen weiß man so etwas nie genau, sie haben ihre eigene Logik und sind immer für eine Überraschung gut.
Mir brach der Schweiß überall gleichzeitig aus. Aber ich konnte jetzt keinen Rückzieher machen und auf ihre Forderung eingehen, nicht vor Maman, die gesagt hatte »Feiglinge hasse ich mehr als den Tod«. Ich hörte ein Geräusch und dann das schnelle Schlappen von Mamans Pantoffeln und dann brach ein Wortschwall über die beiden Korsen herein, wie ich ihn noch nie gehört hatte. Maman brüllte auf korsisch. Sie fuchtelte wild mit den Händen, ihre Stimme dröhnte durch den Raum und in ihren schwarzen Augen brannten heiße, gefährliche Lichter. Der Kleine sagte etwas, das ich nicht verstand, schnell und scharf, und Maman schlug ihm so hart ins Gesicht, dass sein Kopf zur Seite gerissen wurde und er stolperte. Dann packte sie die beiden, drängte und schob sie in Richtung Tür, gab ihnen einen Stoß, und sie waren draußen. Sie atmete heftig, und Schweiß lief ihr über das Gesicht. »Strolche und Tagediebe«, schnaufte sie angewidert. Sie baute sich vor mir auf, mit locker herunterhängenden Armen und leicht gespreizten Beinen. In ihren Augen war immer noch ein Rest der heißen, gefährlichen Lichter. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und dann klatschte etwas hart gegen meine linke Wange, und ich flog gegen die Theke. »Tagedieb.« Ihre Stimme schien wie durch Watte zu kommen. Ich kam mit einiger Mühe wieder auf die Füße und versuchte nicht ohne Not, ihr ins Gesicht zu blicken. Sie machte eine Handbewegung, die die ganze Bar einschloss. »Reicht dir das nicht?« Ihre Stimme klang brüchig.
Ich wusste, was sie meinte. Dieser Junge hatte befunden, dass Maman ihm nicht genug gab, es reichte ihm nicht, was Maman ihm gab, von allem bekam er zu wenig, und er ging los, ein kleiner Dieb, klaute eine Kamera und verhökerte sie an billige, korsische Messerhelden. Maman und die Bar sind ihm nicht gut genug, er muss unbedingt wieder auf die Straße. Das kränkte und verletzte sie und tat ihr weh. Ich hatte ihr weh getan! Und diese Frau hatte mir eben vielleicht das Leben gerettet. Wenn ein Korse ein Messer in der Hand hält, benutzt er es auch. Mein Gott, ich hatte mich noch nie so elend gefühlt.
»Es reicht, Maman, es ist mehr, als ich verdient habe.« Mei ne Stimme klang auch brüchig. Ich machte einen Schritt auf sie zu und tat, was ich zuletzt als kleiner Junge getan hatte. Ich warf mich ihr an den Hals und heulte. »Verzeih mir, Maman, ich bin ein Idiot.«
Sie drückte mich an sich und klopfte mir sanft auf den Rücken. »Schon gut, mein Junge«, murmelte sie, »schon gut. Hab’ ich dir sehr weh getan?«
Meine Wange brannte wie die Hölle und in meinem Kopf arbeiteten diese kleinen Männer mit ihren Presslufthäm mern. Sie hämmerten noch, als gegen Abend ein Fremdenlegionär auftauchte. Er war schon ziemlich hinüber und hatte einen jungen Burschen mit langen, fettigblonden Haaren im Schlepptau. Beide machten ganz den Eindruck von Männern, denen man nicht einmal eine Schachtel Zigaretten zum Aufbewahren anvertraut. »Zwei Bier«, nuschelte der Legionär und lehnte sich schwer gegen die Theke. Er hatte breite Schultern, einen hartkantigen Schä del mit einer kurzgeschnittenen, aschfarbenen Bürste und farblose, ungenaue Augen. Ich zog zwei Bier ab und stellte sie auf die Theke.
»Ein Drecksladen ist das hier«, grunzte der Legionär. In mir zog sich einiges zusammen. Der Mann sprach deutsch.
Sein Partner nickte eifrig. »Genau, ein richtiger Drecksladen.«
Du Penner, dachte ich, gegen die Läden, in denen du verkehrst, ist diese Bar ein Palast. Ich hatte heiße Hände und schielte nach dem Eichenknüppel unter der Theke.
Der Legionär heftete einen starren, wässrigen Blick auf Maman und seine Mundwinkel zogen sich verächtlich nach unten.
