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Inklusion durch digitale Medien in der beruflichen Bildung: Eine explorative Organisationsanalyse in Werkstätten für behinderte Menschen
Inklusion durch digitale Medien in der beruflichen Bildung: Eine explorative Organisationsanalyse in Werkstätten für behinderte Menschen
Inklusion durch digitale Medien in der beruflichen Bildung: Eine explorative Organisationsanalyse in Werkstätten für behinderte Menschen
eBook575 Seiten6 Stunden

Inklusion durch digitale Medien in der beruflichen Bildung: Eine explorative Organisationsanalyse in Werkstätten für behinderte Menschen

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Über dieses E-Book

Bei der Implementierung digitaler Bildungsangebote spielt die Lebenswelt der Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) mit ihrem Selbstentwurf als „Familie“ sowie als Schutz- und Lebensraum eine entscheidende Rolle. Julia Hartung-Ziehlke betrachtet in diesem Buch die Organisationsform der WfbM vor dem Hintergrund der Implementierung digitaler Bildungsangebote. Sie prüft, wie sich die Situation, die formale Struktur sowie die Kultur der Organisation auf das Verhalten der Organisationsmitglieder und deren Einstellung gegenüber digitalen Bildungsprozessen auswirken und welche organisationalen Konzepte dabei eine wesentliche Rolle spielen. Für die Implementierungspraxis digitaler Bildungsangebote in der WfbM empfiehlt die Autorin die Implementierung eines neuen Beziehungsmodells.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer VS
Erscheinungsdatum2. März 2021
ISBN9783658317508
Inklusion durch digitale Medien in der beruflichen Bildung: Eine explorative Organisationsanalyse in Werkstätten für behinderte Menschen

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    Buchvorschau

    Inklusion durch digitale Medien in der beruflichen Bildung - Julia Hartung-Ziehlke

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH , ein Teil von Springer Nature 2020

    J. Hartung-ZiehlkeInklusion durch digitale Medien in der beruflichen BildungPerspektiven Sozialwirtschaft und Sozialmanagementhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-31750-8_1

    1. Ausgangspunkt der Arbeit

    Julia Hartung-Ziehlke¹  

    (1)

    Wolfenbüttel, Deutschland

    Julia Hartung-Ziehlke

    Email: j.hartung-ziehlke@ostfalia.de

    „In den letzten Jahren ist Bildung zu einem Phantasma unserer Gesellschaft geworden, das entschieden hysterische Züge und die Gestalt eines säkularen Erlösungsglaubens angenommen hat." Diese Aussage von Nüchtern (2009, S. 7, zit. nach Lederer 2015a, S. 9) verdeutlicht, dass Bildung, wie kaum eine andere soziale Kategorie als Bedingung der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben deklariert wird (vgl. Miethe/Tervooren 2017, S. 2) und – betrachtet man die Zielsetzungen der Bundesregierung – „ein unverzichtbares Allzweckmittel (Lederer 2015a, S. 9) für Inklusion, Partizipation und für die Zukunftsfähigkeit des einzelnen Menschen zu sein scheint. Denn nur wer gebildet sei, sei auch in der Lage, den Anforderungen moderner Lebensverhältnisse gerecht zu werden (vgl. Miethe/Tervooren 2017, S. 2). In Anbetracht der engen Verzahnung der Bildung des Menschen mit Teilhabemöglichkeiten verwundert es nicht, dass politische Forderungen entwickelt wurden, um auch Bildungs- und Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigung zu verbessern (vgl. ebd.). Mit der Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) durch Deutschland im Jahre 2009 erfolgte eine tiefgreifende Veränderung des bundesdeutschen Bildungssystems. Der Inklusionsbegriff legitimiert heute nicht nur die Forderung zur grundlegenden Teilhabe aller, sondern er repräsentiert die Selbstverpflichtung einer Zivilgesellschaft, Inklusion in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens herzustellen. Dabei werden die Notwendigkeit zur Teilhabe aller und die Bereitschaft aller für eine Teilhabe vorausgesetzt. In diesem Prozess der Inklusion steht das Bildungssystem im Fokus, da es einerseits selbst inklusiv werden und zum anderen die notwendigen inklusiven Haltungen fördern soll (vgl. Tervooren 2017, S. 11). Darüber hinaus wird auch die Frage des Zugangs zu Bildung und die Teilhabe an den Möglichkeiten des deutschen Bildungssystems als wesentlicher Faktor gelingender Inklusion aufgefasst und die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigung am lebenslangen Lernen als wichtiges behindertenpolitisches Ziel der Bundesregierung erklärt (vgl. Grampp/Jackstell/Wöbke 2013, S. 31). So fordert die UN-BRK in Artikel 24 Absatz 5, dass die Vertragsstaaten sicherstellen, „dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung und gleichberechtigt mit anderen Zugang zu […] Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen haben. Artikel 27 Absatz 1d fordert ergänzend, „Menschen mit Behinderungen wirksamen Zugang zu […] Berufsausbildung und Weiterbildung zu ermöglichen." Ziele der Bildung sind u. a. die Entwicklung der Persönlichkeit, der Kreativität, der Begabungen, der geistigen und körperlichen Fähigkeiten sowie der Erwerb lebenspraktischer Fertigkeiten und sozialen Kompetenzen als Grundlage einer gleichberechtigten Teilhabe an Bildung und damit die volle Entfaltung aller menschlichen Möglichkeiten (vgl. ebd.). Wenn aber Bildung auf soziale Teilhabe abzielt, dann ist auch Teilhabe an Bildung selbst unverzichtbar und ein systematisches Erfordernis, da der Ausschluss von Bildung unweigerlich den Ausschluss aus der Gesellschaft bedeutet (vgl. Miethe/Tervooren 2017, S. 2).

    Bildung und Medien sind in vielfacher Weise miteinander verbunden. Daher scheint es nicht verwunderlich, dass der Begriff der Medienbildung heutzutage vielerorts Verwendung findet, sei es im bildungspolitischen Bereich, wenn es um die Digitalisierung der Gesellschaft sowie Teilhabechancen geht, im medienpädagogischen Praxisalltag oder auch in der wissenschaftlich-theoretischen Auseinandersetzung, wenn die Konzeption von Bildung unter medialen Bedingungen fokussiert wird (vgl. Verständig/Holze/Biermann 2016, S. 6). Zur Umsetzung der Forderungen der UN-BRK erfasst in diesem Zusammenhang die Digitalisierung – einer der Megatrends und umfassender Prozess des gesellschaftlichen Wandels – auch die Einrichtungen der Sozialwirtschaft (Behindertenhilfe). Bildungspolitik, Forschung und Öffentlichkeit beschäftigen sich seit über zwei Jahrzehnten im Rahmen der Digitalisierung mit den „Neuen Medien, deren Bedeutung in der Bildung kontinuierlich wächst. Der Begriff „Neue Medien steht im pädagogischen Kontext weniger für einen Computer als technisches Gerät an sich, sondern vielmehr für die Möglichkeiten, die sich in der Nutzung von Computerprogrammen ergeben, etwa um das Lernen sowie die zu lernenden Inhalte ansprechend zu gestalten (vgl. Boenisch 2013, S. 250 f.). Hierzu zählen verschiedene Informationsträger, die auf digitaler Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) basieren (s. hierzu Abschnitt 3.​2.​1). Diese „Neuen Medien" bieten einen heute wesentlichen Zugang zur Welt und ermöglichen damit Teilhabe am kulturellen und öffentlichen Leben (vgl. Bosse 2016, o. S.).

    Computer, Tablet oder Smartphone als digitale Medien ermöglichen mit ihrer Fähigkeit, Daten digital zu verarbeiten, eine umfassende Bereitstellung, Sicherung, Anpassung und (bedarfsgerechte) Darstellung verschiedener Bildungsinhalte. Der Zugang zu diesen aktuellen digitalen Instrumentarien und die Fähigkeit, sie zu nutzen, können als wichtige Voraussetzungen für eine gesellschaftliche und berufliche Inklusion und Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigung beschrieben werden. In diesem Zusammenhang bezeichnet der Begriff „E-Partizipation ganz konkret die Möglichkeit, mithilfe digitaler Medien gesellschaftliche Prozesse zu gestalten, und bezieht sich damit auf die verschiedensten Ebenen gesellschaftlicher Beteiligung (vgl. Freese/Mayerle 2015, S. 382 f.). Vor diesem Hintergrund werden digitale Bildungsangebote als ein wichtiges Instrument beschrieben, um Menschen mit Beeinträchtigung eine Qualifikation zu ermöglichen, welche die Chancen für eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erhöht (vgl. MMB 2011, S. 39). Somit wird den digitalen Medien eine signifikante Rolle bei der Umsetzung von Inklusion und Partizipation zugeschrieben und die Förderung sogenannter digitaler Teilhabe als notwendige Voraussetzung deklariert (vgl. Freese/Mayerle 2015, S. 382 f.). Auch Sonnenberg und Arlabosse (2015, S. 75 f.) schreiben der Nutzung digitaler Medien für Bildungsprozesse erhebliche Potenziale zu, um Menschen mit geistiger, psychischer und körperlicher Beeinträchtigung in ihren Bestrebungen nach einer selbstbestimmten Teilhabe zu unterstützen. Sie tragen dazu bei, individuelle Bildungspotenziale zu erschließen und vorhandene Qualifikationen auszubauen. Die Möglichkeit, an digitaler Bildung bzw. an digitalen Bildungsprozessen teilzuhaben, beschreibt Bosse (2012a, S. 184) als Teil eines „tiefgreifenden Veränderungsprozesses, der entscheidend dazu beiträgt, die Partizipationschancen von Menschen mit Beeinträchtigung in der Gesellschaft zu verbessern. Tatsächlich sind digitale Zugangs- und Teilhabeansprüche in den vergangenen Jahren verstärkt Gegenstand politischer Auseinandersetzungen geworden (vgl. Freese/Mayerle 2013, S. 4). Dies wird in den Artikeln 24 und 27 und auch durch Artikel 9 der UN-BRK deutlich, der den Zugang zu Informationssystemen als Voraussetzung für eine „unabhängige Lebensführung und […] Teilhabe in allen Lebensbereichen" deklariert. Diese Informationssysteme können die Teilhabechancen jedoch nur dann verbessern, wenn Menschen mit Beeinträchtigung ein barrierefreier Zugriff auf entsprechende Angebote tatsächlich möglich ist (vgl. Reichstein 2016, S. 82). In der Realität sind der Zugang zu und die Nutzung von digitalen Medien jedoch häufig mit verschiedenen Barrieren verbunden (vgl. Bosse 2016, o. S.). Barrierefreiheit meint einerseits eine informelle Partizipation, die es Menschen mit Beeinträchtigung erlaubt, sich Informationen selbstständig zu beschaffen und impliziert den Anspruch, digitale Angebote in einer Art und Weise zu entwerfen, dass sie für Menschen mit Beeinträchtigung nutzbar sind (vgl. Bosse 2012b, S. 50 f.). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) verweist in diesem Zusammenhang auf das Erfordernis, Bildungsangebote an besondere visuelle, auditive und haptische Bedürfnisse anzupassen, also an Faktoren der Wahrnehmung, die vor allem für den Lernprozess von Menschen mit Beeinträchtigung besonders wertvoll sind. Eine entsprechend angepasste Bildungsvermittlung über digitale Medien ermögliche ihnen somit einen Zugriff auf Lernangebote, die ihnen sonst verwehrt blieben (vgl. BMBF 2017a, o. S.). Bereits an dieser Stelle zeigt sich, dass die Teilhabe an digitaler Bildung im Rahmen der Diskussion um die Partizipation und Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung ein äußerst relevantes gesellschaftliches und politisch verhandeltes Thema darstellt. Die Umsetzung von Inklusion, verstanden als die Möglichkeit für Menschen mit Beeinträchtigung, an allen für sie relevanten Lebensbereichen teilzuhaben, bedeutet zugleich auch, gesellschaftliche Prozesse und persönliche Einstellungen zu hinterfragen, auf marginalisierende und diskriminierende Strukturen und Handlungsweisen aufmerksam zu machen und diese zu verändern. Veränderung meint in diesem Zusammenhang die Anpassung bestehender Strukturen und Systeme an die individuellen Bedürfnisse von Personen einer Gesellschaft (vgl. Hinz 2004, S. 247 ff.). Allerdings wird trotz vorhandener gesetzlicher Regelungen in der Praxis deutlich, dass die Teilhabe an digitalen Medien und damit auch die Teilhabe an digitaler Bildung für Menschen mit Beeinträchtigung teilweise an schwer zu überwindende Hürden gebunden ist (vgl. Freese/Mayerle 2015, S. 388) und dass trotz weitgehend umgesetzter formaler Gleichheit im Bildungssystem bis heute Ungleichheit – und damit Nicht-Teilhabe – fortgesetzt wird, was die Grenzen formaljuristischer und politischer Ansätze verdeutlicht (vgl. Miethe/Tervooren 2017, S. 1 f.). Bisherige Untersuchungen und Studien beschäftigen sich dabei ausschließlich mit anwendungsbedingten¹, behinderungsbedingten sowie technischen Barrieren (vgl. Berger u. a. 2010). So haben sich in den letzten Jahren zahlreiche Projekte und Netzwerke etabliert, die das Bewusstsein für ein „universelles Design² deutlich geschärft haben. Dazu zählen für Deutschland z. B. das Aktionsbündnis für barrierefreie Informationstechnik (vgl. AbI 2010), die Aktion Mensch mit ihrer Initiative für ein barrierefreies Internet (vgl. Aktion Mensch e. V. o. J.) sowie das Webangebot des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales – www.​einfach-teilhaben.​de (vgl. BMAS 2019). Ergänzend ist auf das Institut für Medien und Kompetenzforschung zu verweisen, das mit seiner Studie „E-Learning für Inklusion belegt, dass es nur eine geringe Anzahl spezieller Lern- und E-Learning-Angebote für Menschen mit Beeinträchtigung gibt, die dauerhaft in Institutionen verankert sind. Weitgehend handelt es sich um geförderte Projekte, die zeitlich begrenzt sind und damit nur einen kurzfristigen Nutzen bringen (vgl. MMB 2011, S. 24 ff.; Sonnenberg/Arlabosse 2015, S. 20).

    Die vorliegende Untersuchung richtet ihren Fokus auf Menschen mit Beeinträchtigung, die in der Organisationsform der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM, im Folgenden auch kurz Werkstätten genannt) arbeiten. Die WfbM arbeiten seit mehreren Jahren an einer konzeptionellen Weiterentwicklung ihrer Einrichtungsform und stehen auch wegen der kritischen Haltung der UN-BRK gegenüber als Sonderformen der Teilhabe am Arbeitsleben unter „Modernisierungsdruck (vgl. BMAS 2016a, S. 27). Die genannten gesetzlichen Forderungen gelten auch für die Werkstätten. Die sogenannten Werkstattbeschäftigten nehmen aus Sicht der Verfasserin eine besondere Rolle unter den beeinträchtigten Menschen ein und zwar dahingehend, dass Studien, die sich mit Menschen mit Beeinträchtigung beschäftigten, i. d. R. nicht diejenigen Personen berücksichtigen, die als nicht erwerbsfähig gelten und daher auf einen Arbeits- und Bildungsplatz in der WfbM „angewiesen sind. Vor allem in Bezug auf die gesetzlich normierte Forderung der Übergangsförderung aus den WfbM in den allgemeinen Arbeitsmarkt und der damit verbundenen Forderung der Qualifizierung stellt sich die besondere Frage, wie es mithilfe digitaler Medien bzw. digitaler Bildungsangebote gelingen kann, Teilhabe- und Inklusionsprozesse zu unterstützen. Vor allem vor dem Hintergrund der steigenden Zugangszahlen und der aktuell 312.389 beeinträchtigten Menschen (vgl. BAG WfbM 2018b, o. S.) in dieser Einrichtungsform wird die Bedeutung digitaler Medien in diesem Kontext hervorgehoben. Bisher sind die WfbM „gezwungen", auf alternative digitale Bildungsangebote auszuweichen, die gar nicht für den Personenkreis der Werkstattbeschäftigten gedacht, geschweige denn für diesen angepasst sind.³

    Zusammenfassend ist festzustellen, dass die vorhandene Literatur sowie vorhandene Studien zwar auf unterschiedliche Barrieren zur Nutzung digitaler Bildungsangebote verweisen, der Fokus wird hierbei jedoch ausschließlich auf die bereits genannten anwendungsbedingten, behinderungsbedingten sowie technischen Barrieren gelegt. Barrierefreiheit meint jedoch viel mehr als nur die Adaption an bestimmte visuelle, auditive und haptische Bedürfnisse (vgl. Bosse 2012b, S. 50). Die WfbM finden in diesen wissenschaftlichen Untersuchungen bisher keine Beachtung. Um das Ziel der Inklusion und Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigung durch den Einsatz digitaler Bildungsangebote zu erreichen, formuliert die Verfasserin die These, dass die Betrachtung organisationaler Konzepte in der Organisationsform WfbM von besonderer Bedeutung ist. Organisationale Konzepte meinen in diesem Kontext alle Rahmenbedingungen, Prozesse sowie kulturellen Aspekte, welche die Organisationsform der Werkstätten für behinderte Menschen prägen und darüber entscheiden, ob überhaupt und, wenn ja, wie dort digitale Bildungsprozesse ermöglicht werden können.

    Ausgangspunkt des Forschungsprojekts und der damit einhergehenden Forschungsfrage ist die bereits durchgeführte Bildungsstudie „Zur Entwicklung von passgenauen Bildungsangeboten für Menschen mit Behinderung"⁴ der Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen in Norddeutschland e. G. (gdw nord). Aufgrund des Bezugs zu der Bildungsstudie, die als einleitende Untersuchung und Vorstufe dieser Arbeit anzusehen ist, war es der Verfasserin nicht möglich, die Anonymität der genossenschaftlichen Organisation umfassend zu garantieren. Hinzu kommt, dass der Feldzugang für das Forschungsvorhaben in den Mitgliedseinrichtungen der gdw nord erfolgte. Auch vor dem Hintergrund, dass die gdw nord zum aktuellen Zeitpunkt eine Veröffentlichung ihrer Bildungsstudie plant, können Rückschlüsse nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Dieser Umstand wurde auch unter den gültigen Datenschutzbestimmungen mit den geschäftsführenden Vorständen der gdw nord beraten. Im Ergebnis erteilte der geschäftsführende Vorstand der gdw nord der Verfasserin die Erlaubnis, die Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen in Norddeutschland e. G. als Dachorganisation der insgesamt 83 Mitgliedseinrichtungen namentlich zu nennen. Mit diesem Vorgehen bleibt die forschungsethisch geforderte Anonymität der an dem Forschungsprojekt teilnehmenden drei Mitgliedseinrichtungen und der Personen, die teilgenommen haben, absolut gewährleistet.

    1.1 Einleitende Untersuchung

    Die Genossenschaft der Werkstätten für behinderte Menschen in Norddeutschland e. G. (gdw nord) ist ein genossenschaftlicher Zusammenschluss von gemeinnützigen Werkstätten für behinderte Menschen in Norddeutschland.⁵ Die gdw nord ist als gemeinnützig anerkannte Organisation im Verbund mit ihren Mitgliedseinrichtungen tätig. Gegründet wurde die gdw nord mit dem Ziel, Kräfte zu bündeln, Synergien zu erzeugen und gemeinsam mit den WfbM und ihren Kunden Erfolge zu erzielen. Die gdw nord unterstützt ihre 83 Mitgliedseinrichtungen dabei, sich im Sinne der Kundenorientierung miteinander zu vernetzen, Aufträge zu generieren und abzuwickeln, führt Beratungsleistungen für die WfbM aus und organisiert Fortbildungen für die Mitarbeitenden der WfbM. Als Zusammenschluss einer Vielzahl anerkannter Einrichtungen der Behindertenhilfe in den nördlichen Bundesländern verfolgt sie somit das Ziel, Arbeitsplätze für etwa 40.000 Menschen mit Beeinträchtigung langfristig zu sichern und zukunftsorientiert zu gestalten (vgl. gdw nord o. J., o. S.).

    Die Gemeinnützigkeit hat bei der gdw nord einen hohen Stellenwert. Zur Umsetzung und Stärkung ihrer gemeinnützigen Aufgaben möchte die gdw nord, ergänzend zu ihren bisherigen Angeboten und gemeinnützigen Aktivitäten, digitale Bildungsangebote (s. hierzu auch digitale Assistenzsysteme, Abschnitt 3.​2.​2) auf den Weg bringen, die in ihren Mitgliedseinrichtungen implementiert werden und direkt den Menschen mit Beeinträchtigung zu Gute kommen sollen. Das Vorhaben berücksichtigt die Problematik, dass Menschen mit Beeinträchtigung häufig ortsgebunden sind und es oft keine ortsungebundenen Bildungsangebote gibt. Aus diesem Grund soll die Bildungsvermittlung über PCs, Tablets oder Smartphones erfolgen. Im Sinne des Ziels der UN-Behindertenrechtskonvention, welche die Stärkung der Inklusion und Partizipation von Menschen mit Beeinträchtigung fordert, steht im Fokus dieses Vorhabens die Autonomieerhöhung von Menschen mit Beeinträchtigung im Sinne einer Inklusionsunterstützung. Das Vorhaben der gdw nord orientiert sich an der Lebensrealität der Menschen mit Beeinträchtigung in den WfbM, weshalb sich das Vorhaben ergänzend an die Fachkräfte in den Einrichtungen und die Angehörigen der Menschen mit Beeinträchtigung richtet.⁶ Sie sind als unmittelbare Kontaktpersonen die wichtigste Ressource, die es zu qualifizieren gilt, um Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigung zu schaffen. Damit die digitalen Bildungsangebote dem Qualifizierungs- und Praxisbedarf der Zielgruppen gerecht werden, hat die gdw nord im Vorfeld eine Bildungsstudie in Auftrag gegeben (vgl. Kolhoff/Hartung/Frankenstein 2017). Das Vorhaben der gdw nord zielt nicht darauf ab, einen neuen weiteren konventionellen Bildungsträger aufzubauen, sondern es soll eine Ergänzung zu bestehenden Angeboten für die Mitglieder der gdw nord entstehen. Die Bildungsstudie umfasste ein Sekundär- und eine Primärerhebung (s. hierzu ausführlich ebd., S. 14 ff.). Um zu ermitteln, welche Bildungsbedarfe die Menschen mit Beeinträchtigung haben, wurde im Rahmen der Primärerhebung die Methode des World Cafés angewandt. Hier kamen Menschen mit Beeinträchtigung aus unterschiedlichen Abteilungen der jeweils teilnehmenden Einrichtung zusammen. Durch diese Art der „Gruppendiskussion" konnte es gelingen, die individuellen Meinungen Einzelner zu erfassen (vgl. ebd., S. 103 ff.).

    1.2 Ausgewählte Ergebnisse und erste Vorannahmen

    Die Vorstudie lieferte einerseits Erkenntnisse über die Bildungsbedarfe der befragten Zielgruppen, zum anderen verdeutlichte die Auswertung der Interviews erste Barrieren, die der Einführung und Implementierung digitaler Bildungsangebote entgegenstehen können, auch wenn dies nicht das eigentliche Ziel der Vorstudie war. Diese Tatsache ist bereits ein erster Hinweis auf die Bedeutsamkeit der Thematik. Erläutert wurden dabei hauptsächlich vorherrschende allgemeine und organisationale Bedingungen in der Organisationsform der WfbM, die nachfolgend durch einige Auszüge aus dem Abschlussbericht (vgl. Kolhoff/Hartung/Frankenstein 2017, S. 182 ff.) verdeutlicht werden sollen:

    Eine befragte Vertreterin der Mitarbeitenden beschrieb, dass ergänzende Bildungsangebote als Belastung „on top empfunden würden und fehlende Zeit im Werkstattalltag eine Nutzung nicht möglich machen würde. Fehlende zeitliche Ressourcen werden als „Grundproblem beschrieben: „Also bei uns ist es ja, das arbeitsbegleitende Angebote stattfinden während der Arbeitszeit. […]. Es ist natürlich klar, wenn das obendrauf kommt, denn es ist natürlich noch wieder ein bisschen mehr. Wichtig für die Mitarbeitenden ist, dass sie nicht das Gefühl bekommen, dass immer „was obendrauf kommt […], „weil die Zeit manchmal auch einfach ein bisschen fehlt in diesem ganz normalen Alltag. Ergänzend zu dem zeitlichen Faktor wurde auch auf die generelle Bereitschaft der Mitarbeitenden verwiesen, digitale Bildungsangebote zu nutzen. Beschrieben wurde die Notwendigkeit, „[…] dass alle Menschen Lust haben oder überhaupt die Bereitschaft haben, sich mit einem Tablet einzulassen, was so ein bisschen Computeraffinität verlangt, technikaffin. Also da haben viele ganz viel Angst vor. Bei einer „ablehnende[n] Haltung gegenüber digitalen Bildungsangeboten könne die Implementierung „problematisch werden. Die Nutzung digitaler Bildungsangebote in den WfbM wird in diesem Zusammenhang als „unpraktikabel beschrieben: „Man braucht auch einen Raum, wo das alles stattfindet und man braucht gegebenenfalls einen Beamer und lauter solche Sachen, für die Werkstatt ist der Technikaufwand auch dann relativ hoch. […] Bei behinderten Mitarbeitern geht auch mal was kaputt, wenn jemand einen epileptischen Anfall hat, dann geht so ein Tisch oder ein Monitor kaputt oder was weiß ich nicht alles. Auch der steigende Pflegebedarf der Menschen mit Beeinträchtigung würde scheinbar die Einführung digitaler Bildungsprozesse erschweren: „[…] Pflegebedarf, Assistenzbedarf bei unseren Beschäftigten, was die Pflege angeht, Essen reichen, Toilettengänge usw. immer mehr wird. Und dass das auch ein großer Zeitfaktor ist. Zudem gebe es viele „Beschäftigte, die fast eine Eins-zu-eins-Betreuung brauchen. In diesem Zusammenhang wird betont, dass es wichtig sei, dass „man dann auch wirklich rausgehen kann, um das Angebot zu nutzen, dass man dann „aber […] natürlich auch wieder jemanden brauche, „der dann da ist und ein bisschen die Aufsicht hat. Digitale Bildungsangebote in den Werkstattalltag zu integrieren, wird grundsätzlich als „schwierig erachtet, „weil gerade die Fachkräfte haben nicht die Ruhe, sich mal einen bestimmten Zeitraum auf so etwas zu konzentrieren […]. Bei der Implementierung digitaler Bildungsangebote müsse die Haltung der Mitarbeitenden grundsätzlich „überdacht werden. Problematisch sei auch die Tatsache, dass „[…] die Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten bei uns im Unternehmen sind, die einfach auch noch hier reingekommen sind zu Zeiten, wo hier noch ein anderes Menschenbild herrschte und das merkt man […]. Es wird die Bedeutsamkeit hervorgehoben, ein gemeinsames Verständnis davon zu schaffen, was unter Inklusion in diesem Kontext zu verstehen ist und mit welcher Grundhaltung die Einrichtung Menschen mit Beeinträchtigung begegnet. Zudem sei ein technisches Fachwissen wichtig und es müssten „Zeiten […] geschaffen werden. Denn „oftmals hängt auch ein Produktionsdruck dahinter, wo man einfach auch gar nicht die Zeit für hat, sowas zu machen. Es wird zu bedenken gegeben, dass bisher noch nicht geklärt ist, wer die Kosten für die Nutzung der Angebote übernimmt, sodass eine fehlende Finanzierung eine Implementierung nicht möglich mache: „Die Frage ist natürlich, wer trägt die Kosten dafür. Das wäre so ein Punkt, der da Schwierigkeiten macht. Auch der reglementierte Internetzugang in den Einrichtungen steht der Umsetzung digitaler Bildungsprozesse aktuell im Weg: „[…] die Werkstatt […] gehört ja zum öffentlichen Dienst und es gibt da ganz strenge Vorgaben, was Internetnutzung betrifft. Und die können nicht frei im Internet recherchieren. Als größte Herausforderung wird zudem beschrieben, Bildung und betriebliche Interessen miteinander zu vereinbaren und Bildungsziele zu erreichen. „Es ist schwierig, Bildung und betriebliche Interessen unter einen Hut zu bringen. Zudem sei es wichtig, dass die Mitarbeitenden geschult werden, damit diese die Nutzung durch die Menschen mit Beeinträchtigung „vernünftig begleiten könnten. Gefordert werden technisches Equipment und personelle Ressourcen: „Und natürlich muss das technische Equipment natürlich parat sein, […] und es muss natürlich jemand auch da sein […]. Es wird auf mögliche Widerstände bei einigen Mitarbeitenden verwiesen, die der Ansicht seien, dass Menschen mit Beeinträchtigung „zu oft digitale Medien nutzten: „Ich kann mir vorstellen, dass es in vielen Einrichtungen immer mal ein Thema ist, die Menschen sind zu viel, zu oft an den Geräten […]."

    In Anbetracht dieser ausgewählten Ergebnisse stellte sich für die Verfasserin die Frage, wie es gelingen kann, digitale Bildungsprozesse in den WfbM zu ermöglichen und das Ziel der Autonomieerhöhung der Menschen mit Beeinträchtigung zu erreichen. Die ausgewählten Ergebnisse der Vorstudie veranlassten die Verfasserin zu folgenden Vorannahmen, die es im Rahmen dieser Arbeit zu überprüfen galt:

    1.

    Der Handlungsspielraum der Fachkräfte zur Umsetzung digitaler Bildungsangebote scheint aufgrund struktureller Hindernisse, die vor allem fehlende räumliche, zeitliche und personelle Ressourcen betreffen, eingeschränkt.

    2.

    Die Einführung digitaler Bildungsangebote würde bei den Fachkräften zu Widerständen führen. Gründe hierfür ist ein verschieden geformtes Menschenbild, das sich u. a. durch die Historie der WfbM begründet und die Kultur der Organisation bestimmt und damit zu einem anderen Verständnis von Inklusion und Autonomie führt.

    3.

    In den Einrichtungen besteht ein Zielkonflikt zwischen dem Rehabilitationsauftrag (Bildung) und dem Produktionsauftrag. Der Bildungsauftrag spielt eine untergeordnete Rolle, da vorherrschende Prozessabläufe es nur schwer ermöglichen, Bildung und betriebliche Interessen miteinander zu verbinden.

    4.

    Digitalen Medien wird zur Bildungsvermittlung eine untergeordnete Rolle zugewiesen und ihre Nutzung wird als nicht praktikabel bezeichnet. Gründe hierfür liegen in der fehlenden Internetaffinität der Fachkräfte, dem fehlenden Fachwissen über digitale Medien aufseiten der Mitarbeitenden, der unklaren Finanzierung der Umsetzung, den reglementierten Internetzugängen sowie in dem fehlenden technischen Equipment.

    1.3 Forschungsfrage der Arbeit

    Bezugnehmend auf die ausgewählten Ergebnisse geht die Untersuchung zunächst von der Hypothese aus, dass es neben medialen Nutzungskonzepten vor allem passende organisationale Konzepte in den Werkstätten für behinderte Menschen geben muss, welche die Nutzung digitaler Bildungsangebote und die Einführung digitaler Bildungsprozesse ermöglichen, um diese nachhaltig zu implementieren und das Ziel der Stärkung der Partizipation zu erreichen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, den Einfluss der genannten Vorannahmen näher zu betrachten, deren Ursachen in der Situation, in der formalen Struktur und in der Kultur der Organisationsform WfbM vermutet werden. Vor diesem Hintergrund ist zu überprüfen, wie sich die Situation, die formale Struktur und die Kultur auf das Verhalten der Organisationsmitglieder und deren Einstellung gegenüber digitalen Bildungsprozessen auswirken und welche organisationalen Konzepte dabei eine wesentliche Rolle spielen. Demnach lautet die Forschungsfrage:

    „Welche organisationalen Konzepte existieren in der Organisationsform der Werkstatt für behinderte Menschen, die eine Umsetzung digitaler Bildungsprozesse erschweren?" Weiterhin gilt es folgender Frage nachzugehen: „Welche Auswirkungen haben diese Konzepte auf die Umsetzung digitaler Bildungsprozesse für Menschen mit Beeinträchtigung?"

    Diese Fragen behandeln eine Forschungslücke und leisten zudem einen wesentlichen Beitrag zur Inklusionsforschung, indem kulturtheoretische Konzepte und Organisationsentwicklungsansätze beschrieben werden, die es ermöglichen, inklusive Bildungsprozesse in den Werkstätten umzusetzen. Mithilfe dieser Fragestellungen gilt es zu überprüfen, inwiefern die WfbM in ihrer bestehenden Form, also ihrer bestehenden Kultur mit ihren vorhandenen organisationalen Konzepten, dem Inklusionsparadigma und den Forderungen der UN-BRK gerecht werden können. Zur Beantwortung dieser Fragen erscheint es unabdingbar, organisationale Konzepte der WfbM vor dem Hintergrund kulturtheoretischer Aspekte (die erst im Verlauf dieser Arbeit wesentlich an Bedeutung gewonnen haben) unter Bezugnahme auf die ausgewählten Ergebnisse der Vorstudie in den Werkstätten für behinderte Menschen im Sinne einer Organisationsanalyse näher zu betrachten.

    Abgrenzung der Vorstudie zur Forschungsfrage der Dissertation:

    An dieser Stelle ist zu betonten, dass im Forschungsmittelpunkt der einleitenden Untersuchung (Bildungsstudie) die Ermittlung der Bildungsbedarfe der Menschen mit Beeinträchtigung, der Fachkräfte und der Angehörigen der Menschen mit Beeinträchtigung stand, um bildungsbedarfsorientiert digitale Bildungsangebote zu entwickeln. Demgegenüber steht im Mittelpunkt dieses Forschungsprojekts die Betrachtung der organisationalen Konzepte der Organisationsform der WfbM zur Nutzung eben dieser Bildungsangebote bzw. zur Implementierung digitaler Bildungsprozesse in der Organisationsform der WfbM.

    Bedeutsamkeit der Bildungsstudie zur Beantwortung der Forschungsfrage:

    Im Rahmen der Bildungsstudie wurde aus Sicht der Verfasserin schnell deutlich, dass das Wissen über die Bildungsbedarfe allein nicht genügt, um digitale Bildungsangebote in den WfbM auch zu nutzen. Vor allem die Mitarbeitenden in den befragten Einrichtungen wiesen auf erste Barrieren bei der Umsetzung des Vorhabens hin. Damit hatte die Bildungsstudie zwar einen anderen Fokus, liefert dennoch wichtige Erkenntnisse, die für das Forschungsprojekt der Verfasserin bedeutsam sind. Sie ist damit nicht nur Ausgangspunkt der Dissertation, sondern trug wesentlich zur Motivation der Verfasserin bei, sich mit den genannten Fragestellungen zu beschäftigen.

    Fußnoten

    1

    Wesentliche Aspekte einer barrierefreien Gestaltung digitaler Angebote beschreiben Hellbusch und Probiesch (2011).

    2

    Universelles Design meint die Auslegung von Produkten und Umgebungen und bezieht sich auf u. a. folgende Prinzipien: breite Nutzbarkeit, einfache und intuitive Benutzung, sensorisch wahrnehmbare Informationen (vgl. Forschungsinstitut Technologie und Behinderung 2019, o. S.).

    3

    Als Beispiel ist hier das Programm COGPACK zu nennen. COGPACK ist ein PC-gestütztes Hirnleistungstraining zur Verbesserung neuropsychologischer Teilleistungen und kommt häufig im Bereich der Ergotherapie zur Anwendung (vgl. marker software o. J.). Dieses Programm wird z. B. als digitales Lernangebot in der Einrichtung Perlstatt, einer Untersuchungseinrichtung dieser Arbeit, verwendet.

    4

    Die Bildungsstudie „Zur Entwicklung von passgenauen Bildungsangeboten für Menschen mit Behinderung" erfolgte im Zeitraum vom 01.07.2016 bis zum 31.10.2017.

    5

    Bei einer Genossenschaft handelt es sich um eine Körperschaft mit dem Zweck, den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder durch einen gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb zu fördern (vgl. Nowotny 2013, S. 193).

    6

    Das Forschungsprojekt bezieht sich auf organisationale Konzepte zur Nutzung digitaler Bildungsangebote innerhalb der Einrichtungsform der WfbM. Da die Angehörigen der Menschen mit Beeinträchtigung digitale Bildungsangebote nicht innerhalb der Einrichtungsform nutzen, fokussiert das Forschungsprojekt die Personengruppen der Fachkräfte und der Menschen mit Beeinträchtigung. Die Angehörigen werden daher nachfolgend nicht näher betrachtet.

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH , ein Teil von Springer Nature 2020

    J. Hartung-ZiehlkeInklusion durch digitale Medien in der beruflichen BildungPerspektiven Sozialwirtschaft und Sozialmanagementhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-31750-8_2

    2. Aufbau der Arbeit

    Julia Hartung-Ziehlke¹  

    (1)

    Wolfenbüttel, Deutschland

    Julia Hartung-Ziehlke

    Email: j.hartung-ziehlke@ostfalia.de

    Zur Umsetzung der Organisationsanalyse wurde ein dreistufiges Verfahren gewählt. Auf die erste Stufe wurde bereits in Kapitel 1 und Abschnitt 1.​1 unter Bezug auf die Bildungsstudie hingewiesen, die als einleitende Untersuchung anzusehen ist und den Ausgangspunkt dieser Arbeit darstellt. Diese Studie lieferte in bisherigen qualitativen Untersuchungen erste einschlägige empirische Erkenntnisse über die notwendigen strukturellen Bedingungen zur Implementierung digitaler Bildungsprozesse, die in Abschnitt 1.​2 vorgestellt wurden. Die theoretische Annäherung an das Forschungsprojekt erfolgt im dritten Kapitel. Um die Bedeutsamkeit der (beruflichen) Bildung für beeinträchtigte Menschen hervorzuheben, erfolgt in Abschnitt 3.​1 eine Darstellung der gesellschaftlichen Entwicklungen, auch unter Einbezug der aktuell relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen. Neben einem geschichtlichen Rückblick soll vor allem durch die Erläuterung der Forderung nach inklusiver (digitaler) Bildung der Bezug zum aktuellen Geschehen hergestellt werden. Um dieses zu konkretisieren, stellt Abschnitt 3.​2 Deutschland als sogenannte Informations- und Wissensgesellschaft vor und zeigt in dem Zuge die Chancen auf, die Informations- und Kommunikationssysteme und sogenannte digitale Assistenzsysteme in der beruflichen Bildung für Menschen mit Beeinträchtigung mit sich bringen. Auch die digitale Ungleichheit wird in dem Zusammenhang thematisiert. Hier wird deutlich, dass der Zugang, aber auch die Nutzung digitaler Medien an vielerlei Faktoren gebunden ist. Abschnitt 3.​3 stellt die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) als Organisation der Sozialwirtschaft, als eine spezifische Einrichtung für voll erwerbsgeminderte Menschen, mit ihren rechtlichen Rahmenbedingungen sowie den konkreten Organisationsstrukturen vor. Auch die sogenannten Werkstattbeschäftigten werden in den Blick genommen sowie das Konzept der beruflichen Bildung in der WfbM genauer erläutert. Aus den Ergebnissen der Bildungsstudie sowie auf Basis der theoretischen Annäherung an das Forschungsprojekt, konkretisieren sich die Forschungsfragen in Kapitel 4. In Kapitel 5 erfolgen der Zugang zur Organisationsanalyse und die Einleitung der zweiten Stufe des Vorhabens. Dazu erfolgt zunächst die Begründung für die qualitative Forschungsentscheidung sowie die Auswahl des ethnografischen Vorgehens. Im Rahmen der zweiten Stufe wird ausgehend von den auf der ersten Stufe generierten Erkenntnissen folgenden Fragen nachgegangen: „Welche organisationalen Konzepte existieren in der Organisationsform der Werkstatt für behinderte Menschen, die eine Umsetzung digitaler Bildungsprozesse erschweren?" Und: „Welche Auswirkungen haben diese Konzepte auf die Umsetzung digitaler Bildungsprozesse für Menschen mit Beeinträchtigung?" Dazu werden in der Lebenshilfe Perlstatt die Folgen von organisatorischen Strukturen, organisationstypischen Prozessen und deren Ergebnisse im Zusammenhang mit der Implementierung und Ermöglichung digitaler Bildungsprozesse in der Organisationsform der WfbM eingehend erforscht. Der theoretische Zugang der Organisationsanalyse im Rahmen der hypothesengenerierenden und hypothesenüberprüfenden Untersuchung erfolgt über den situativen Ansatz, der in Kapitel 6 vorgestellt wird. Vor allem das Konzept des situativen Ansatzes ist für das Organisationsmanagement geeignet. Dieser Ansatz beschränkt sich nicht – wie andere Organisationstheorien – auf eine relativ enge Perspektive, sondern setzt die in der Realität beobachteten Strukturen mit einer Vielzahl von Einflussfaktoren in Beziehung. Die Untersuchung erfolgt mithilfe qualitativer Forschungsmethoden. Die Verfasserin hat sich dazu entschieden, auf ein allgemeines Methodenkapitel zu verzichten und statt dessen das jeweilige methodische Vorgehen immer unmittelbar im Zusammenhang der Forschungsergebnisse vorzustellen. Diese Strukturierung erschient notwendig und sinnvoll, um den Forschungsprozess nachvollziehbar zu präsentieren, indem jede methodische Entscheidung im Verlauf der Arbeit vermittelt und begründet wird. Vorgestellt werden in Kapitel 7 die teilnehmende Beobachtung sowie das Gruppendiskussionsverfahren als methodischer Zugang sowie die jeweiligen Forschungsergebnisse und deren Zusammenführung. Auf Basis der Forschungserkenntnisse wird eine Hypothese formuliert, wobei die Ergebnisse der Masterarbeit der Verfasserin (Hartung 2016) unterstützend miteinbezogen werden. Kapitel 8 formuliert aufbauend auf den bis dahin ermittelten Erkenntnissen das Zwischenfazit. Um Rückschlüsse auf die Validität der Hypothese ziehen zu können und die Ergebnisse weiter zu verdichten, erfolgt in der dritten Stufe die Überprüfung der Hypothese mittels einer ergänzenden qualitativen Untersuchungsmethode, dem problemzentrierten Interview, in zwei weiteren Einrichtungen, der Lebenshilfe Traumstatt und der Lebenshilfe Glückstatt. Das methodische Vorgehen sowie die zentralen Orientierungen der hypothesenüberprüfenden Untersuchung werden in Kapitel 9 vorgestellt. Die Organisationsanalyse schließt mit einem Zwischenfazit und einer thematischen Überleitung in Kapitel 10. Dieses Kapitel fasst die gewonnenen Erkenntnisse in einer Kategorienübersicht zusammen und beschreibt die Situation der Organisation auf der Makroebene, die formale Organisationsstruktur auf der Mesoebene sowie das Verhalten der Organisationsmitglieder auf der Mikroebene im Zusammenhang mit der Umsetzung digitaler Bildungsangebote. Es wird deutlich, dass die Kultur der Organisation den zentralen Ausgangspunkt des Forschungsprojekts darstellt. Demnach bedarf die Organisationsform der WfbM einer innovativen Neukonzeptionierung und Identitätsentwicklung (Corporate Identity), damit digitale Bildungsprozesse gemäß den in der UN-BRK niedergelegten Anforderungen und Zielsetzungen der Bildung und Partizipation implementiert werden können. Nachdem der theoretische Zugang in der zweiten Stufe und dritten Stufe dieser Arbeit über den situativen Ansatz erfolgt, wird die WfbM im Folgenden aus organisationssoziologischer Perspektive weiter betrachtet. In der Soziologie geht die Annahme der „sozialen Konstruktion von Wirklichkeit" und damit auch der sozialen Konstruktion von Gesellschaft auf die Phänomenologie von Schütz (1974/2016), Berger und Luckmann (1966/2018) zurück. Dieser Ansatz nimmt im weiteren Verlauf der Arbeit eine zentrale Rolle ein. So wird in Kapitel 11 das Wissen in der Alltagswelt aus einer wissenssoziologischen Perspektive orientiert an Berger und Luckmann (1966/2018) herausgearbeitet und damit ein Fokus auf die Kultur der Organisationsform WfbM gelegt. Im Rahmen der zwei herausgearbeiteten kulturtheoretischen Konstrukte in Abschnitt 11.​1 und Abschnitt 11.​2 der Organisationsform WfbM wird deutlich, dass sich die WfbM in ihrem Organisationsentwurf¹ als eine große Familie präsentiert, in der sich alle verstehen und in der man auch Freunde findet. Der Mikrokosmos der WfbM erscheint als eine Gemeinschaft, in der sich keiner verstellen muss und alle sein dürfen, wie sie sind, wie eine bunte Tüte Gummibärchen. Im gegebenen Kontext wird das Theoriekonstrukt von Berger und Luckmann gewählt, da es besonders geeignet ist, um die Organisationskultur und Alltagswelt der WfbM in ihrem Organisationsentwurf als „große Familie zu analysieren. Mithilfe von Berger und Luckmann kann es gelingen, die soziale Bindung der Organisationsmitglieder auf der Metaebene in den Fokus zu rücken. Mit diesem Vorgehen kann festgestellt werden, dass die Wirklichkeit der Alltagswelt der WfbM bereits objektiviert erscheint, sie ‚verdichtet‘ sich kontinuierlich und wird ‚verhärtet‘ an nachfolgende Generationen weitergegeben (Berger/Luckmann 1966/2018, S. 63). Durch die Interaktion der Organisationsmitglieder entstehen „wirklichkeitssichernde Beziehungen (ebd., S. 161). Die Organisation WfbM erscheint als legitime Organisation mit allen Handlungen, allen Abläufen und Prozessen. Schlussfolgernd wird in Kapitel 12 festgestellt, dass eine erfolgreiche Implementierung digitaler Bildungsprozesse eine innovative Neukonzeptionierung und Identitätsentwicklung bzw. Entwicklung einer Corporate Identity und Institutionalisierung einer neuen Handlungspraxis im Alltag der WfbM bedarf. Für die Praxis der Implementierung digitaler Bildungsangebote in der Organisationsform WfbM wird die Implementierung eines neuen Beziehungsmodells empfohlen. Bis hierhin hat sich das Theoriekonzept von Berger und Luckmann als hinreichend differenzierte Grundlage erwiesen, um das Wissen in der Alltagswelt aus einer wissenssoziologischen Perspektive herauszuarbeiten und den Zusammenhang von Wirklichkeit und Wissen in seiner Bedeutung für das Zusammenleben in der WfbM zu erörtern. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der wissenssoziologische Ansatz nicht über die Frage der Beziehungsgestaltung hinausgeht (streng genommen konstituiert sich nach diesem Ansatz eine Organisation lediglich aus der Interaktion sozialer Beziehungen), wird im weiteren Verlauf der wissenssoziologische Ansatz ergänzt. Ebenso wird das Ziel verfolgt, für die erfolgreiche Implementierung digitaler Bildungsprozesse in der WfbM über den wissenssoziologischen Ansatz hinausgehende Erkenntnisse zu generieren. Hier sind ergänzende theoretische Zugänge erforderlich, die geeignet sind, um auch diese Prozesse im Kontext der Organisationskultur herauszuarbeiten und in Handlungsempfehlungen zur Umsetzung einer Modellgruppe zu überführen. Daher erfolgt der Wechsel von einer soziologischen Betrachtung in eine technische Herangehensweise der Implementierung auf der Grundlage eines systemisch-kybernetischen Verständnisses. Dieses Vorgehen ist geeignet, um die vorherrschenden organisationalen kulturtheoretischen Konzepte der WfbM, die mit Berger und Luckmann entfaltet wurden, in praktische Handlungsempfehlungen zu übersetzen, wohl wissend, dass dieser Ansatz in der Praxis auch an seine Grenzen stößt. Anhand der Kybernetik wird daher in Kapitel 13 der theoretische Zugang für die Implementierung eines neuen Beziehungsmodells vorgestellt mit dem Ziel, die Wirklichkeit der Organisation WfbM zu irritieren und gezielt Handlungsempfehlungen für das Implementierungsvorhaben abzuleiten. Dazu werden in diesem Kapitel zwei weitere Zugänge entfaltet: Zunächst werden in Abschnitt 13.​1 die notwendigen Entwicklungsmaßnahmen vor dem Hintergrund eines systemtheoretisch-kybernetischen Verständnisses konzipiert. Hierfür wird die Organisation der WfbM unter einem systemtheoretisch-kybernetischen Verständnis als lebensfähiges (Familien-)System vorgestellt. Im Anschluss erfolgt

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