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Erforschung und Entwicklung von Communities: Handbuch zur qualitativen Textanalyse und Wissensorganisation mit GABEK®
Erforschung und Entwicklung von Communities: Handbuch zur qualitativen Textanalyse und Wissensorganisation mit GABEK®
Erforschung und Entwicklung von Communities: Handbuch zur qualitativen Textanalyse und Wissensorganisation mit GABEK®
eBook1.205 Seiten10 Stunden

Erforschung und Entwicklung von Communities: Handbuch zur qualitativen Textanalyse und Wissensorganisation mit GABEK®

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Über dieses E-Book

Dieses Buch untersucht die Entwicklung von Communities mit Hilfe des GABEK®-Verfahrens 

Was hält Gemeinschaften zusammen? Diese Frage erforscht dieses Buch über die Entwicklung von Communities. Wichtiges Werkzeug ist dabei das Verfahren GABEK® (GAnzheitliche BEwältigung von Komplexität). Es analysiert u. a. Konzepte, Ontologien, Wertvorstellungen, Meinungen über Ursachen und Wirkungen sowie emotionale Einstellungen, die die Mitglieder einer Community verbinden. Durch eine softwareunterstützte Textanalyse werden sie in Form linguistischer Netze systematisiert. Diese Netze werden wiederum als Meinungslandkarten in unterschiedlichen Komplexitätsstufen dargestellt. 

Das Buch zeigt, wie Sie auf diese Weise Denk- und Handlungsmuster ableiten, die bei der Entwicklung von Communities oder auch bei der Organisationsentwicklung eine große Rolle spielen. Durch qualitative Textanalysen ermöglicht GABEK das Verständnis der Gesamtsituation und die Theoriebildung. Das Verfahren erleichtert die Konfliktlösung und eine Ausrichtung der Community auf strategische Ziele und Zukunftsvisionen, die von den meisten Betroffenen akzeptiert werden, auch wenn es um Erneuerung und Reformen geht.

Theoretische Grundlagen werden mit Anwendungsbeispielen verknüpft 
Nach einer kurzen Beschreibung der qualitativen Methoden des GABEK-Verfahrens, untersucht dieses Buch die Entwicklung von Communities am Beispiel des Stadtteils Tepito in Mexico City. Anschließend befasst sich dieses Werk mit speziellen Themen, die mit der Gemeinschaftsbildung verbunden sind wie etwa:
  • Sinn- und Bedeutungszusammenhänge
  • Begriffsanalysen durch Bedeutungszusammenhänge
  • Von Begriffsnetzen zu Ontologien durch Komplexitätsreduktion
  • Linguistische Gestaltbildung
  • Bewusste und unbewusste Wissensverarbeitung
  • Problemlösung durch den simulierten Dialog
Um die Entwicklung von Communities aufschlussreich zu untersuchen, liefert Ihnen dieses Buch neben theoretischen Grundlagen auch immer wieder konkrete Anwendungsbeispiele des Verfahrens GABEK, das Sie bei der Entscheidungsfindung und Organisationsentwicklung unterstützt. Abschließend beschreibt der Autor eine Zukunftsvision über die Entwicklung von Communities durch ein System der dynamischen Wissensorganisation. Auf diese Weise zeigt Ihnen dieses Werk mögliche Wege zu einer zukunftsorientierten Entwicklung von Organisationen, Gemeinden, Regionen oder Vereinen und Interessensgemeinschaften auf. 

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Vieweg
Erscheinungsdatum18. Feb. 2020
ISBN9783658270995
Erforschung und Entwicklung von Communities: Handbuch zur qualitativen Textanalyse und Wissensorganisation mit GABEK®

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    Buchvorschau

    Erforschung und Entwicklung von Communities - Josef Zelger

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    J. ZelgerErforschung und Entwicklung von Communitieshttps://doi.org/10.1007/978-3-658-27099-5_1

    1. Einführung

    Josef Zelger¹ 

    (1)

    Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich

    Zusammenfassung

    Was hält die Personen einer Community zusammen? Wie können wir Grundwerte, Ziele und Handlungsdispositionen eines Vereins, einer Interessengemeinschaft, einer Organisation, eines Unternehmens, einer Gemeinde oder einer Region beschreiben? Was strebt die Gemeinschaft an? Wie kann sie sich entwickeln? Welche Folgen sind bei der Umsetzung von Maßnahmen für die Gemeinschaft zu erwarten? Welche Auswirkungen werden externe Personen betreffen? Wie können Konflikte gelöst werden?

    Um solche Fragen zu beantworten, wird im ersten Abschnitt der Einführung eine qualitative Analyse von Texten der Mitglieder der Community vorgeschlagen. Als verbale Datengrundlage dienen Interviews, Notizen, Dokumente der Organisation, Fehlerberichte, Internetseiten oder andere schriftliche Unterlagen. Sie werden mit dem Verfahren GABEK® (GAnzheitliche BEwältigung von Komplexität) in Form semantischer Netze dargestellt, die wie Meinungslandkarten der Orientierung dienen. Bewertungen und Kausalannahmen, die in den Texten zum Ausdruck kommen, führen zur Gewichtung der linguistischen Netze. Es ergeben sich Denk- und Handlungsmuster, die von den Mitgliedern der Community weitgehend akzeptiert werden, sodass sie auch bereit sind, bei der Umsetzung mitzumachen.

    Im zweiten Abschnitt der Einführung wird das Verfahren GABEK® kurzgefasst und schematisch als qualitative Textanalyse beschrieben. Darauf folgt im dritten Abschnitt eine Übersicht über die Inhalte des Buches gegeben.

    Die Anwendung von GABEK® führt zur Analyse von Sinn- und Bedeutungszusammenhängen in Texten, zur systematischen Darstellung von Grundwerten und Zielen, zur Klärung von Handlungsdispositionen und zur logisch-hierarchischen Systematisierung von Überzeugungen der Mitglieder einer Community. Damit werden mögliche Wege zu einer zukunftsorientierten Entwicklung von Organisationen, Gemeinden, Regionen oder Vereinen und Interessensgemeinschaften aufgezeigt.

    Das Buch stellt erstmals die Gesamtergebnisse einer 25-jährigen Entwicklung des Verfahrens GABEK® an der Universität Innsbruck dar. Bisherige Ergebnisse, die in der Buchreihe GABEK® I (1999) bis GABEK® VII (2016) im Studienverlag und in anderen Büchern erschienen sind, werden wesentlich erweitert und vertieft. Jedem Kapitel wird eine Zusammenfassung vorangestellt. Einzelne Kapitel können für sich isoliert gelesen oder übersprungen werden. Auf deren Zusammenhänge untereinander wird hingewiesen. Jedes Kapitel enthält – in unterschiedlicher Gewichtung – theoretische Grundlagen, Beschreibungen der Methode und wenigstens eine Anwendung mit einem praktischen Beispiel.

    Leser (zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch überwiegend die männliche Form verwendet), die an eigenen Anwendungen des Verfahrens GABEK® (© Josef Zelger, Innsbruck) interessiert sind, finden unter www.​GABEK.​com Hinweise auf die für GABEK® entwickelte Software WinRelan® (© Josef Zelger, Innsbruck) GABEK® wurde von Josef Zelger, die Software WinRelan® (1992–2018) von Josef Schönegger und Josef Zelger entwickelt), für die Handbücher und Videotutorials verfügbar sind.

    1.1 Was hält eine Gemeinschaft zusammen?

    Da niemand ganz allein und autonom leben kann, setzt ein gutes Leben Beziehungen zwischen Personen voraus. Das heißt, dass zum Wohlbefinden eines Menschen immer auch die Verwirklichung seiner sozialen Anlagen in einer guten Gemeinschaft gehört. Gemeinschaften sind Personengruppen, die durch institutionelle Bindungen und Verträge, aber auch durch Überzeugungen, Ziele, Handlungen und Emotionen verbunden sind. Gemeinsames wird durch Gespräche zwischen den Individuen und Gruppen geformt, immer wieder erneuert oder neu ausgehandelt. Es gibt kognitive, emotive und volitive Prozesse, die zu typischen Strukturen des Denkens, Bewertens und Handelns führen. Gemeinschaften entwickeln sich durch Interaktionen zwischen den Mitgliedern.

    Wenn wir eine Gemeinschaft beschreiben wollen, so müssen wir die Bindungen erkennen, die deren Mitglieder zusammenhalten. Ich werde mich im Folgenden nicht mit Organisationsformen und gesetzlichen oder vertraglichen Vereinbarungen befassen. Ich werde vielmehr zeigen, wie sich unterschiedliche Überzeugungen und Ziele gegenseitig ergänzen, sodass sie den Zusammenhalt der Mitglieder bewirken. Wenn es um die Aufrechterhaltung einer Gemeinschaft geht, so wäre auch die Frage zu beantworten, unter welchen Umständen eine Auflösung droht. Unter welchen Bedingungen reichen die Bindungen nicht mehr dafür aus, dass eine Community nachhaltig bestehen kann?

    Als empirische Grundlage der Beschreibung einer Gemeinschaft dienen Erfahrungen und Urteile von Einzelpersonen, die sprachlich geäußert werden. Aber selbst diese lassen sich in ihrer Vielfalt nicht vollständig darstellen, ist doch die Welt einer einzelnen Person bereits ein geistiges Universum, das sich ständig verändert. Individuelle Meinungen und Verhaltensweisen werden in der sozialen Lebenspraxis nachgeahmt, verstärkt, gefiltert, verändert oder auch zu neuen Komplexen verbunden. Dadurch ergeben sich in der Gemeinschaft strukturelle Zusammenhänge zwischen Meinungen, Bewertungen und Dispositionen zum Handeln. Was ist aber wesentlich zum Verstehen einer Gemeinschaft und was sind bloß zufällige kontingente Meinungen?

    Wir können die Frage auch anders stellen und danach fragen, was zur „sozialen Identität einer Gemeinschaft gehört. Damit wird die Frage aber nicht klarer, denn „soziale Identität ist ein Konstrukt, bloß ein theoretischer Begriff, der nicht einfach durch Verhaltensbeobachtungen oder durch Introspektion erklärt werden kann. Außerdem ist auch die „soziale Identität" einer Gemeinschaft nicht etwas konstant Gleichbleibendes. Sie umfasst spezifische Prozesse, durch die sich die Zustände der Gemeinschaft entwickeln.

    Wir können geistige Prozesse einer Gruppe nicht einfach beobachten. Doch sind sie intentional auf Objekte gerichtet. Daher analysieren wir die Objekte, auf die sie sich beziehen, um indirekt etwas über die soziale Identität der Gruppe zu erschließen.

    Ich vertrete hier die wissenschaftstheoretische Position von Julius Moravcsik (1983, S. 249), der Professor für Philosophie an der Stanford University war. Er unterscheidet zwischen Oberflächentheorien („shallow views), durch die Fragen über beobachtbare Sachverhalte beantwortet werden, und Tiefentheorien, die sich mit nicht beobachtbaren Sachverhalten befassen. Er schlägt vor, über mentale Prozesse objektivistische Tiefentheorien („deep objectual theories) zu entwickeln. Theorien über kognitive, emotive und volitive Prozesse müssen objektivistisch sein, da sie von der Analyse intentionaler Objekte ausgehen. Es sollen aber auch Tiefentheorien sein, da die empirischen Daten nur dazu genutzt werden, theoretische Annahmen über mentale Prozesse zu entwickeln, zu rechtfertigen oder zu kritisieren, die nicht beobachtbar sind.

    Ich werde daher versuchen, intentionale Objekte einer zu untersuchenden Gemeinschaft zu identifizieren, die es erlauben, indirekt eine Theorie über die Leistungen der Gemeinschaft zu konstruieren. Wir untersuchen Objekte der Gemeinschaft, um die Community zu verstehen. Dabei denke ich an jede Art von Gemeinschaft, sei es ein Familienclan, ein Verein, eine Interessengemeinschaft, ein Unternehmen, eine Gemeinde, eine Region oder ein ganzes Land. Deswegen spreche ich auch von „Community".

    Auf welche Objektbereiche sollen wir bei der Erforschung der sozialen Identität einer Community achten?

    Eine erste Art von Objekten sind geschichtliche Ereignisse, die die Personen einer Gemeinschaft gemeinsam erlebt haben. Sie werden in Form von Geschichten und Erzählungen dargestellt, die den subjektiv erlebten Einfluss von Ereignissen auf die weitere Entwicklung der Gemeinschaft ausdrücken.

    Eine zweite Art von Objekten, die in Frage kommt, umfasst begriffliche Strukturen und Ontologien, die von der Gemeinschaft über lange Zeit entwickelt wurden und angewendet werden. Spezielle Begriffe können typisch sein für eine Community. Semantische Netze stellen die Beziehungen zwischen Begriffen dar, die häufig verwendet werden.

    Eine dritte Art von Leistungen einer Gemeinschaft sind Bewertungen von Sachverhalten. Es handelt sich um teilweise übereinstimmende Einstellungen der betroffenen Personen zu Sachverhalten und Zuständen, die auch mental repräsentiert werden. Bewertungen können im Gedächtnis bleiben oder wiedererinnert werden. Sie können auf verschiedene Weise durch Listen und Gewichtungen der bewerteten Objekte oder Sachverhalte dargestellt werden.

    Eine vierte Art von Objekten, die durch Leistungen der Gemeinschaft zustande kommen, sind Handlungsdispositionen, die die Agenden der Gemeinschaft vorzeichnen. In normalsprachlichen Gesprächen werden sie ausgedrückt durch Intentionen über Schwerpunkte oder Ziele und durch Annahmen über Folgen von Maßnahmen. Es geht aber auch hier wieder nicht um einzelne Ziele sondern um ein System von Maßnahmen-Ziel-Wirkungsvermutungen, das sich aus einer Vielzahl von Gesprächen und Entscheidungsprozessen ergibt. In einem solchen System sind die einzelnen Maßnahmen und Ziele miteinander durch Rückkoppelungen kausal vernetzt, sodass die Veränderung eines Zieles die Veränderung von anderen Zielen nach sich zieht. Es setzt also ein synergetisch effektives System von Wirkungsvermutungen voraus.

    Die fünfte Art von Objekten einer Gemeinschaft sind Ideale und Visionen über die Zukunft. Zukunftsvisionen umfassen Vorstellungen über eine gewünschte Zukunft und Beschreibungen von noch nicht existierenden Produkten und Situationen. Solche Visionen können konkretisiert werden in Form von Leitbildern. Sie werden vermittelt durch Festreden, durch literarische oder künstlerische Werke, die vor allem Metaphern, Symbole und emotional geprägte Ausdrücke als Stilmittel verwenden.

    Da die Mitglieder von Gemeinschaften in ihren normalen Gesprächen über alle fünf Arten von Objekten sprechen, ob bewusst oder implizit und unbewusst, ist es möglich, einige dieser Objekte der Gemeinschaft durch Textanalyse zu identifizieren (Abb. 1.1). Wir versuchen also, typische Objekte einer zu beschreibenden Community auf der Grundlage von Einzelmeinungen zu rekonstruieren und in einem sinnvollen theoretischen Gesamtzusammenhang darzustellen.

    ../images/460677_1_De_1_Chapter/460677_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Objektbereiche einer Gemeinschaft, die zur Entwicklung einer objektivistischen Tiefentheorie der sozialen Identität analysiert werden

    Objekte und Leistungen einer Gemeinschaft hängen miteinander eng zusammen und werden auch in sprachlichen Interaktionen zwischen den Gruppenmitgliedern wiederholt angesprochen. Gemeinsame historische Ereignisse liegen der begrifflichen Ontologie zugrunde, die von der Gemeinschaft meist unbewusst zur Strukturierung der Erinnerungen entwickelt wurde. Objekte, Sachverhalte und Prozesse, die in der Ontologie an zentralen Stellen vorkommen, werden meistens auch bewertet. So entsteht ein Bewertungssystem, das typisch ist für die soziale Identität der Gemeinschaft. Des Weiteren können aus den verbalen Daten der Gemeinschaft Überzeugungen über kausale Zusammenhänge identifiziert werden, von denen mögliche Handlungsdispositionen herausgelesen werden können. Handlungsdispositionen und Bewertungen beeinflussen die Visionen und Leitbilder, die ihrerseits wieder die Entwicklung des Bewertungs- und Handlungssystems der Gemeinschaft beeinflussen (Abb. 1.1).

    Alle Objekte aus den fünf Bereichen können durch einzelne Mitglieder der Gemeinschaft mental rekonstruiert und in neuen Situationen angewendet werden. Viele davon kommen in verbalen Interaktionen der Mitglieder häufig zum Ausdruck. Dadurch verstärken die Mitglieder mentale Objekte aus den fünf Bereichen und deren Beziehungen zueinander so lange, bis die Relationen zwischen den Objekten von fast jedermann als gegeben oder gerechtfertigt angesehen werden. Ein solcher Prozess der übereinstimmenden Verfestigung von Beziehungen zwischen Objekten kann indirekt auch zur Festigung der Gemeinschaft führen.

    Mit der Weiterentwicklung der Wissensorganisation wird es möglich, sich in der qualitativen Sozialforschung nicht nur den stabilen Einsichten über Organisationen, Gemeinden und Regionen zuzuwenden. Man wird sich auch mit den ständigen Entwicklungen von Meinungen befassen. Dabei geht es um ein Fließgleichgewicht zwischen Orientierung und Veränderung. Mit GABEK® werden stabile Begriffe und Ontologien, Grundwerte und Visionen von Communities analysiert. Erkenntnisse werden in ihrer logisch-hierarchischen Ordnung als regional gültige Theorien dargestellt. Doch werden auch die immer wieder neuen Ideen und Erfahrungen der Einzelnen erhoben, durch die Prozesse der Innovation und Veränderung eingeleitet werden.

    1.2 Kurzbeschreibung des qualitativen Verfahrens GABEK®

    Im Folgenden wird das Textanalyseverfahren GABEK® (GAnzheitliche BEwältigung von Komplexität) als Methode zur qualitativen Erforschung und Entwicklung von Communities in Kurzfassung beschrieben. GABEK® wird zur Darstellung der fünf Objektarten von Gemeinschaften verwendet, wie ich im Kap. 2 anhand eines Beispiels zeigen werde. Das Verfahren wird aber auch zur Reflexion über Grundwerte von Organisationen verwendet, zur Entscheidungsunterstützung über Schwerpunkte und zur Auswahl von Maßnahmen und Zielen, wenn es um die Umsetzung geht. GABEK® fördert das Verstehen verschiedener Meinungsgruppen, dient der Wahrnehmung von Unterschieden, der Konfliktbearbeitung und der Orientierung.

    Die verbale Datenbasis

    Als verbale Datenbasis für jede GABEK®-Analyse dienen Texte. Es kann sich um transkribierte Interviews handeln, aber auch um Protokolle, Briefe, Tagebücher, Reklamationen, Zeitungsabschnitte, Internetnachrichten oder um andere Erfahrungsberichte. Sie werden in kurze Textabschnitte zerlegt, sodass „gedankliche Einheiten entstehen. Diese so gefertigten Textabschnitte oder „Sinneinheiten enthalten stets drei bis neun wichtige Begriffe. Es handelt sich um jene Begriffe, die man kennen muss, um den Inhalt eines Textabschnittes zu erfassen.

    In der Textbearbeitung werden zuerst die Schlüsselbegriffe jedes Textabschnittes markiert. Diese Tätigkeit wird auch „Grundkodierung" genannt (Abb. 1.2). Wenn zwei Texte einen oder mehrere gleiche Schlüsselbegriffe enthalten, so hängen die Texte inhaltlich miteinander zusammen.

    ../images/460677_1_De_1_Chapter/460677_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Vier Textabschnitte mit kodierten Schlüsselbegriffen

    Mit der Grundkodierung der vorhandenen verbalen Daten wird automatisch eine Ausdrucksliste erzeugt, die alle wesentlichen Begriffe der verbalen Datenbasis enthält. Dabei werden zu jedem Begriff alle Textabschnitte angegeben, in denen er vorkommt. Durch diese Zuordnung können alle Texte aufgefunden werden, die einen gesuchten Begriff enthalten, und zu jedem Text können alle weiteren Texte gefunden werden, mit denen er inhaltlich zusammenhängt. Es ist das Indexierungssystem eines Projekts (Abb. 1.3).

    ../images/460677_1_De_1_Chapter/460677_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Ausdrucksliste, die alle Begriffe und die Bezeichnungen aller Textabschnitte enthält. Sie wird als Indexierungssystem der verbalen Daten verwendet

    Da das Erfassen von Zusammenhängen wesentlich ist für jede Erkenntnis, wird die Grundkodierung genutzt, um zu prüfen, ob sich Sätze oder Sinneinheiten gegenseitig ergänzen, oder ob gleichlautende Texte vorhanden sind, die redundant sind und daher im Vergleich mit anderen nichts Neues enthalten.

    Inhaltliche Zusammenhänge werden grafisch durch „Begriffs - oder Assoziationsnetze" abgebildet. Dabei kann die Komplexität so reduziert werden, dass nur jene sprachlichen Verbindungen wiedergegeben werden, die in den Texten wiederholt vorkommen. Damit entstehen linguistische Netze, bei denen die Knoten Begriffe sind und die Linien zwischen den Knoten Textabschnitte, in denen die Begriffe miteinander verbunden sind.

    Linguistische GABEK®-Netze dienen wie Landkarten zur Orientierung in der Meinungslandschaft. Oft verwendete Begriffe sind wie Städte, in denen sich viele Leute treffen, selten verwendete wie Dörfer, wo einige Nachbarn zusammenkommen. Wiederholte Assoziationen sind wie stark befahrene Straßen, seltene wie Wege, die die Ortschaften verbinden. Wenn wir uns von einem Orientierungspunkt ausgehend anderen Begriffen annähern, lernen wir die Vielfalt der Meinungslandschaft kennen. Die Linien zwischen den Begriffen repräsentieren die Textabschnitte. Es kann ein Maßstab gewählt werden, in dem nur die häufigsten Assoziationen zwischen Begriffen dargestellt werden. Oder der Maßstab kann so verkleinert werden, dass alle Assoziationen rund um einen ausgewählten Begriff abgebildet werden. So wird das Assoziationsnetz einer Community verwendet, um einen Überblick über Meinungen zu erhalten, um Begriffe zu klären, um Widersprüche zu identifizieren oder um themenbezogene Texte auszuwählen (Abb. 1.4).

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    Abb. 1.4

    Begriffs- oder Assoziationsnetz

    Zyklisch zusammenhängende Begriffsgruppen im Netz geben Bedeutungszusammenhänge an, die schwerpunktmäßig als mentale Modelle Verwendung finden. Die Textabschnitte, die ihnen zugrunde liegen, können im Programm WinRelan® angezeigt werden.

    Bewertungskodierung

    Die Textautoren verwenden Begriffe zur Bezeichnung von Objekten, Attributen, Sachverhalten und Prozessen. Darüber hinaus werden diese in den Texten aber auch häufig bewertet. Die Methode GABEK® unterstützt eine systematische Darstellung dieser Bewertungen durch eine „Bewertungskodierung".

    Wie in der Abb. 1.5 zu sehen ist, können die in einer Texteinheit überwiegend positiv bewerteten Objekte grün, die überwiegend negativ bewerteten Gegenstände rot dargestellt werden. Nicht bewertete bleiben blau.

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    Abb. 1.5

    Bewertungskodierung. Grün: überwiegend positiv, rot: überwiegend negativ bewertete Objekte und Attribute

    Durch die Bewertungskodierung werden Bewertungslisten erzeugt, in denen alle Bewertungen zusammengestellt sind. Dies erfolgt mit der Software WinRelan® automatisch.

    So werden Listen der überwiegend positiv und der überwiegend negativ bewerteten Objekte und Sachverhalte erzeugt, aber auch Listen ausschließlich positiv und ausschließlich negativ bewerteter Aspekte und Eigenschaften (Abb. 1.6).

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    Abb. 1.6

    Bewertungslisten

    Dabei sind drei Typen von Listen zu unterscheiden. „Ist-Listen geben Bewertungen von Objekten, Eigenschaften und Abläufen der bestehenden Situation wieder. „Soll-Listen geben Veränderungswünsche an. Eine dritte Liste zeigt die emotiven Aspekte von Bewertungen auf. Hierher gehören emotional geladene Begriffe, Symbole, Metaphern und körpersprachliche Ausdrücke.

    Im Bewertungsindex werden alle positiven und negativen Bewertungen der gesamten Datenbasis aufsummiert. Er ist ein sehr zuverlässiger Index für die Zufriedenheit mit der Gesamtsituation einer Organisation, wie sie von den befragten Personen beurteilt wird. Darüber hinaus gibt es weitere Arten der Darstellung, nämlich das Bewertungsprofil und den Bewertungssaldo. Damit können Bewertungen unterschiedlicher Teilgruppen auch verglichen werden.

    Wenn die Bewertungen der Ist-Situation mit einem Assoziationsnetz kombiniert werden, so entsteht eine landkartenähnliche Darstellung von Erfolgsgebieten und Problemfeldern aus Sicht der befragten Personen (Abb. 1.7). Sie zeigen, wo überwiegend Zufriedenheit herrscht und in welchen Bereichen Veränderungen gewünscht werden.

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    Abb. 1.7

    Assoziationsnetz, gewichtet durch Bewertungen

    Rot: Problemfelder, grün: Erfolgsgebiete

    Die Festlegung von Schwerpunkten

    Durch Komplexitätsreduktion werden Assoziationsnetze übersichtlich dargestellt. So treten zentrale Gesichtspunkte hervor, die die Textautoren immer wieder zum Ausdruck gebracht haben. Im Rahmen eines „Feedback-Workshops werden diese Schwerpunkte von den Entscheidungspersonen in der Gesamtgrafik ermittelt. Die Workshopteilnehmer wählen „Schwerpunktthemen aus, zu denen über WinRelan® kleine, aber detailliertere Assoziationsgrafiken erstellt werden, die zusätzlich aufzeigen, woran auch noch gedacht werden muss, wenn konkrete Veränderungen geplant werden (Abb. 1.8).

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    Abb. 1.8

    Assoziationsgrafik zu einem Schwerpunktthema

    In Assoziationsgrafiken werden Schwerpunkte in der Regel durch zyklisch verbundene Begriffe dargestellt. Hinter den Linien, die die Begriffe verbinden, verbergen sich die Aussagen der Textautoren. Um zu verstehen, was sie mit dem Schwerpunkt verbinden, ist es notwendig, diese Texte zu lesen, bevor sie zusammengefasst werden (Abb. 1.9). Denn: Schwerpunkte, Grundwerte oder Ziele können von verschiedenen Personen unterschiedlich verstanden werden. Diese Differenzen werden für weitere Erörterungen aufgezeigt.

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    Abb. 1.9

    Erklärung eines Schwerpunktes durch Zusammenfassung von Texteinheiten

    Zusammenfassungen über alle Schwerpunktthemen werden darauf erneut zusammengefasst. Dadurch ergibt sich eine systematische Gesamtübersicht möglicher Schwerpunkte die als „Gestaltenbaum" bezeichnet wird (Abb. 1.10).

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    Abb. 1.10

    Systematisierung ausgewählter Schwerpunkte im Gestaltenbaum

    Die Erklärung von Schwerpunkten durch Zusammenfassungen von Originalaussagen der befragten Personen führt zu einer vertiefenden Übersicht über die aktuell vorherrschenden Problemfelder und kann darüber kollegiale Entscheidungen über die gewählten Schwerpunkte erleichtern: Alle Beteiligten finden nicht nur ihre eigenen Meinungen im Gestaltenbaum wieder, sondern auch die Meinungen anderer Personen und Gruppen.

    Auswahl von Maßnahmen und Zielen

    Neben Beschreibungen und Bewertungen enthalten Texte auch Aussagen über Wirkungsbeziehungen, über mögliche Folgen von Maßnahmen oder über unerwünschte Nebenwirkungen. Da gerade diese Kausalmeinungen eine praktisch nutzbare Basis für die Auswahl und Umsetzung von Maßnahmen liefern, werden in der „Kausalkodierung" jene Aussagen hervorgehoben, die etwas über Folgen oder über Einflüsse zum Ausdruck bringen. In der folgenden Abb. 1.11 werden günstige Folgen grün und ungünstige rot markiert. Einflüsse werden im Folgenden gelb und Auswirkungen blau dargestellt. Werden alle Kausalmeinungen aller befragten Personen übereinandergelegt, ergeben sich zu vielen Schwerpunkten auch Vorschläge für eine günstige Entwicklung. Sind einmal die Schwerpunkte oder Ziele ausgewählt, können zahlreiche Einflüsse aufgezeigt werden, die die Planung von Veränderungen maßgeblich unterstützen. Grundsätzlich wird empfohlen, nur die Maßnahmen zu planen und umzusetzen, die viele günstige Auswirkungen erwarten lassen.

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    Abb. 1.11

    Mögliche Maßnahmen für einen Schwerpunkt. Grüne Kanten: günstige Folgen, rote Kanten: ungünstige Nebenwirkungen

    Eine eingehende Analyse komplexer Wirkungsgefüge zeigt, dass sich manche Schwerpunkte und Ziele gegenseitig so beeinflussen, dass die Veränderung einer einzigen Variablen indirekt auf alle anderen Auswirkungen hat. Die Analyse von Rückkoppelungen zwischen Wirkungsbeziehungen zeigt, dass es viele Einflussmöglichkeiten gibt. In einem solchen kausalen Gesamtsystem (Abb. 1.12) kann es genügen, nur bei einer oder bei wenigen Variablen einzugreifen, wenn diese Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben.

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    Abb. 1.12

    Ein rückgekoppeltes System von Maßnahmen und Zielen

    Anhand von Grafiken, die die Wirkungsvermutungen der Textautoren darstellen, werden nun zur positiven Veränderung der ausgewählten Schwerpunkte und Ziele einige wenige Maßnahmen ausgewählt. Es werden Maßnahmen sein, die nicht zu aufwendig sind und die unter den gegebenen Rahmenbedingungen auch realisiert werden können. Wichtig ist, dass die gewählten Maßnahmen von allen beteiligten Personen akzeptiert werden.

    Die konkrete Auswahl von Maßnahmen erfolgt im Rahmen eines sogenannten „Umsetzungsworkshops".

    Bildung von Arbeitsgruppen

    Erfolgt die Umsetzung verschiedener Maßnahmen isoliert voneinander, so kann dies zur gegenseitigen Blockade führen. Vor allem, wenn sich die zu erwartenden Folgen überschneiden, muss mit Interferenzen und Koordinationsproblemen gerechnet werden. Daher ist es nötig, dass vor der Umsetzung von Maßnahmen in einem komplexen System zunächst die Nebenwirkungen der Maßnahmen untersucht werden. Da durch die Kausalkodierung alle Wirkungsvermutungen der befragten Personen kodiert worden sind, können auch die erwarteten Folgen und Nebenwirkungen im Datenmaterial dargestellt werden (Abb. 1.13).

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    Abb. 1.13

    Vermutete Folgen und Nebenwirkungen einer Maßnahme

    Wenn die intendierten Maßnahmen verschiedener Personen Überschneidungen in den Folgen und Nebenwirkungen erwarten lassen, ist es wichtig, dass sich diese Personen im Laufe des Umsetzungsprozesses immer wieder gegenseitig über ihre Arbeitsschritte informieren. Deswegen werden für einzelne oder mehrere Schwerpunkte Teams gebildet (Abb. 1.14). Wesentlich ist, dass in Teams die Verantwortlichkeiten für die Durchführung von Maßnahmen geklärt werden, dass Zeit und Ressourcen ausgehandelt werden und dass die Personen, die in Teams zusammenarbeiten, bekannt sind.

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    Abb. 1.14

    Bildung von zwei Teams bei Überschneidungen von Folgen

    Sichtung der Relevanzliste

    Da bei einem durchschnittlichen GABEK®-Projekt Hunderte von Kausalvariablen benannt werden, müssen sie nach Relevanz geordnet werden. „Relevant" ist eine Variable, wenn der entsprechende Zustand, das Objekt oder der Prozess in den Texten sehr oft bewertet worden ist und wenn von einer Veränderung der Variablen viele Folgen erwartet werden. Nach der Bewertungs- und Kausalkodierung wird eine Reihung der Variablen nach Relevanz automatisch erzeugt. Damit wird es möglich, zunächst nur wenige hoch relevante mögliche Ziele oder Maßnahmen zur Auswahl zu stellen.

    Umsetzung von Maßnahmen in einem kollegialen Entwicklungsprozess

    Um eine umfassende Mitarbeit bei der Problemlösung zu fördern, wird die beabsichtigte Umsetzung von Zielen und Maßnahmen in der Community diskutiert. Diskussionen unter allen Betroffenen können weitere Anregungen zur Folge haben und eine von allen getragene Entwicklung fördern.

    Qualitatives Monitoring von Veränderungen

    Um Verbesserungen, die durch die Umsetzung eines GABEK®-Projekts eingeleitet wurden, auch zu beobachten, kann nach etwa einem Jahr auf einfache Weise ein qualitatives Monitoring-Projekt durchgeführt werden. Damit können Veränderungen des Gesamtsystems überprüft und evaluiert werden. Dazu benötigen wir „qualitative Messstellen im Gesamtsystem, die wir als Indikatoren verwenden. Wir bestimmen sie, indem wir die Ergebnisse des GABEK®-Projekts als Referenzdaten verwenden. Zur Überprüfung von Veränderungen müssen wir nicht alle einzelnen Veränderungen beobachten. Vielmehr verfolgen wir nur jene speziellen Merkmalsveränderungen, die auftreten müssen, wenn sich das Gesamtsystem verändert. Damit verfügen wir über ein „Frühwarnsystem, das anzeigt, ob Gegenmaßnahmen nötig sind.

    Im Ergebnis werden qualitative Verbesserungen aufgezeigt und auf Problemstellen wird hingewiesen, die man weiterhin im Auge behalten wird, sodass man einige Details nachjustieren kann. Damit wird es möglich, wenigstens bei groben negativen Abweichungen zeitgerecht zu reagieren.

    GABEK® ist ein Verfahren, das eine Entwicklung der Community „von unten" fördert. Das beginnt bereits mit der Datenerhebung, bei der die Situation mit den Augen der Betroffenen betrachtet wird. Vorhandenes Wissen wird informell ausgetauscht und weiterverarbeitet. Dabei entwickelt sich gemeinsames Wissen, das meistens nicht systematisch dargestellt wird. GABEK® dient der Unterstützung der Wissensverarbeitung und der -systematisierung. Die Perspektiven der Beteiligten werden miteinander verbunden, ganzheitlich dargestellt und in Innovationsprozesse einbezogen. Es können Maßnahmen identifiziert und umgesetzt werden, die zu einer günstigen Entwicklung führen, solange der Informationsfluss zwischen den Beteiligten aufrechterhalten wird.

    1.3 Inhaltsübersicht

    Beispiel eines GABEK®-Projekts

    Ich beginne im Kap. 2 mit einem Beispiel. Es werden Kurzinterviews über Tepito, einen Stadtteil im Zentrum von Mexico City, analysiert. Durch die Darstellung von Erzählungen, Meinungen, Bewertungen, Wünschen, Zielen und einer möglichen zukunftsorientierten Vision soll der Stadtteil besser verstanden werden. Dadurch gebe ich einen ersten Überblick über das Verfahren GABEK®.

    GABEK®-Netze und deren Anwendung

    Im Kap. 3 zeige ich, wie Sinn- und Bedeutungszusammenhänge durch semantische Netze dargestellt werden. Texte werden im Verfahren GABEK® zunächst durch Begriffsnetze repräsentiert, in denen die verwendeten lexikalischen Begriffe die Knoten und Sätze die Kanten zwischen den Knoten darstellen. Ich vergleiche die formale Struktur von GABEK®-Netzen mit jener von linguistischen Netzen, die in der Literatur beschrieben werden, und erkläre, wie Begriffsnetze durch neue verbale Daten wachsen.

    Kap. 4 befasst sich mit der wissenschaftstheoretischen Frage, wie theoretische Begriffe durch GABEK®-Netze analysiert werden können. Als Beispiel verwende ich Texte über zwei Modelle der Arbeitszeitregelung, über die zwischen der Personalleitung der Daimler AG im Bereich der Forschung in drei Niederlassungen und dem Betriebsrat ein Konflikt entstanden war. Die Analyse der Begriffe der Arbeitszeitregelung – wie sie von den Daimler-Mitarbeitern verstanden wurden – führte zur Lösung des Konflikts zwischen Personalleitung und Betriebsrat einerseits und zwischen den drei Niederlassungen andererseits. Es wurde ein verändertes neues Arbeitszeitmodell entwickelt, das zur Zufriedenheit aller eingeführt werden konnte.

    Im Kap. 5 zeige ich, wie durch die Selektion jener Kanten im Begriffsnetz, die durch viele Texte belegt werden, stabile Überzeugungen ausgewählt werden können, wenn sie in den analysierten Texten widerspruchsfrei verwendet werden. Solche Überzeugungen bezeichne ich als „regionale Ontologien". Als Beispiel werden zunächst Überzeugungen der österreichischen Landwirte dargestellt, die von fast allen befragten Personen vertreten wurden. Dann analysiere ich längere Texte aus dem Alten und Neuen Testament, da es viele Leser gibt, die die Heilige Schrift kennen, sodass sie die nach GABEK®-Regeln formulierten Ergebnisse in Bezug auf deren Adäquatheit beurteilen können.

    Wissensorganisation durch Konstruktion von Gestaltenbäumen

    Nach der Darstellung dieser grundlegenden Verwendung von GABEK®-Netzen stelle ich im Kap. 6 die Frage, ob es spezielle formale Strukturen in sprachlichen Netzen gibt, die als Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissensorganisation aufgefasst werden können. Ich knüpfe hier zunächst an Carl Stumpf (1939) an, den Begründer der Berliner Gestaltpsychologie, der Wahrnehmungsgestalten als abstrakte Beziehungsgefüge zwischen Sinnesempfindungen auffasst. Sein Konzept übertrage ich auf linguistische Textgruppen und zeige empirisch, dass spontan niedergeschriebene Tagträume als Beziehungsgefüge zwischen Vorstellungsbildern gesehen werden können. Eine formale Analyse der Tagträume führt zu möglichen Strukturen für die Wissensorganisation. In einem weiteren Abschnitt des Kapitels zeige ich, dass Bilddarstellungen in einer Kirche gestalthaft strukturiert sind und sinnvoll miteinander in Zusammenhang stehen. So stelle ich die Vermutung auf, dass die Struktur der Tagträume allgemein als formales Muster der Orientierung dienen kann.

    Im 7. Kapitel wende ich die Struktur der Wissensorganisation – wie sie in den Tagträumen aufgetaucht ist – auf eine sehr kleine verbale Datenbasis an. Es handelt sich um Kurzinterviews, die Studierende in Bars geführt hatten, um herauszufinden, unter welchen Bedingungen Cafés als „In-Lokale besonders gut besucht werden. Wir kamen zum Ergebnis, dass die Antworten der Barbesucher zu widerspruchsfreien Texten gruppiert werden konnten. Deren Zusammenfassungen wurden auf einer übergeordneten Ebene wieder zusammengefasst. So entstand eine linguistische Hierarchie, die von „Originaltexten über „linguistische Gestalten zu einer „Hypergestalt führte, die als Ergebnis der pragmatischen Handlungsorientierung dienen kann.

    Es folgen im 8. Kapitel wissenschaftstheoretische Überlegungen über die formale Struktur und die semantischen und pragmatischen Bedingungen, die von linguistischen „Gestalten, „Hypergestalten und „Gestaltenbäumen erfüllt werden müssen, sodass man sie als theorieähnlich auffassen kann. Ich zeige, dass eine „Hypergestalt alle notwendigen Kriterien erfüllen kann, die Mario Bunge (1967) für naturwissenschaftliche Theorien fordert – wenn man deren Geltungsbereich auf anzugebende soziale Gruppierungen einschränkt. Es wird auch gezeigt, wie das Aussagensystem der Hypergestalt anhand einer verbalen Datenbasis überprüft, das heißt bestätigt oder widerlegt wird, und wie die Begriffsstruktur der Hypergestalt dazu verwendet werden kann, neue partielle potenzielle Anwendungen zu suchen, die eine Weiterentwicklung der sozialwissenschaftlichen Forschung kennzeichnen.

    Im Kap. 9 präsentiere ich ein Beispiel für die Anwendung der GABEK®-Methodologie auf Arbeitserfahrungen einer einzelnen Person. Durch eine neu entwickelte Fragetechnik, bei der Begriffs- oder Assoziationsnetze anstelle von strukturierten Fragen verwendet wurden, konnte das Erfahrungswissen des technischen Leiters der Firma GIKO erhoben werden, der nach 42 Dienstjahren in Pension geht. Sein Erfahrungswissen kann dadurch dem Unternehmen erhalten bleiben. Die Auswertung seiner Antworten mit GABEK® führte zu einem Handbuch, das im Unternehmen zur Einführung jüngerer Mitarbeiter als Lernbuch verwendet wird.

    Obwohl sich GABEK® als Verfahren mit der Integration von Wissen vieler Personen befasst, wird im Kap. 10 zunächst ein Modell der Wissensorganisation des einzelnen Menschen vorgestellt. Es ist ein spekulatives Kapitel über die Interaktion des Bewusstseins mit einem unbewusst arbeitenden Informationsverarbeitungssystem im Menschen. Ausgehend vom physiologischen Modell von V. Ya. Sergins (1992) und Erkenntnissen neurophysiologischer Ergebnisse von Ernst Pöppel (1989) werden Grundprinzipien über die Wissensverarbeitung des Menschen besprochen, die sich für eine softwareunterstützte Textanalyse als forschungsleitend erweisen werden. Dabei vertrete ich die spekulative These, dass das ständig aktive unbewusste Informationsverarbeitungssystem im Menschen fortlaufend Integrationsleistungen erbringt, indem „Pregestalten" erzeugt werden – das sind mögliche Aussagengruppen, die durch bewusst werdende Sinnesreize oder linguistische Bedeutungszusammenhänge angesprochen und abgefragt werden können.

    Im Kap. 11 präsentiere ich ein empirisches Argument für die spekulative These des vorangehenden Kapitels. Ich zeige, dass Träume – wie sie D. von Uslar (2003) publiziert hat – manchmal eine gestalthafte formale Struktur aufweisen. Da Träume unbewusst erzeugt werden, ist dies ein Argument für die Fähigkeit des Unbewussten, gestalthafte Strukturen zu erzeugen. Kurze Träume erfüllen das Kriterium der gestalthaften Struktur nicht. Sie können aber zu Gestalten aggregiert werden. Für die Synthese von Träumen zu personenbezogenen Traumgeschichten, die in der therapeutischen Praxis anwendbar sind, ergeben sich Hypothesen und Anwendungsvorschläge.

    Im Kap. 12 stelle ich die Frage, wie die Wissensverarbeitung in einer Gruppe oder einer Gemeinschaft unterstützt werden kann. Ich vertrete die Ansicht, dass die Grundform des Lernens das Gespräch ist. Da sich Personengruppen aber häufig auch voneinander abgrenzen und nicht miteinander ins Gespräch kommen wollen oder können, schlage ich ein durch GABEK® unterstütztes Verfahren vor: eine Simulation von Gesprächen zwischen Gruppen. Als Beispiel präsentiere ich eine Anwendung zur Evaluierung einer großen Sozialinstitution in Australien, die sich mit der Eingliederung von gestrandeten Jugendlichen in den Arbeitsprozess befasst. Die mit WinRelan® unterstützte Simulation von Gesprächen zwischen den Jugendlichen und dem Staff der Organisation „Boystown – die 2016 in „Yourtown umbenannt wurde, nachdem nun auch Mädchen betreut werden – führte zu einem konsistenten Leitbild, das der offiziell geltenden Vision der Organisation inhaltlich sehr nahe kommt und von Mitarbeitern und betreuten Jugendlichen mitgetragen wird.

    GABEK®-Anwendungen zur Entwicklung von Communities

    Im nächstfolgenden Kap. 13 wird anhand eines Beispiels gezeigt, wie eine politische Entscheidung durch einen simulierten Dialog zwischen Konfliktpartnern vorbereitet werden kann. Als verbale Datenbasis werden 300 Kurzinterviews mit deutschsprachigen, italienischen und ladinischen Südtirolern verwendet, die über die Beziehungen zwischen den Sprachgruppen befragt worden waren. Im Ergebnis des simulierten Dialogs zwischen den Sprachgruppen ergaben sich Vorschläge zur Reform des Zweitsprachenunterrichts in Südtirol.

    In den Kap. 14 und 15 wird die praktische Durchführung eines GABEK®-Projekts zur Organisationsentwicklung beschrieben. Im Rahmen einer umfassenden Strukturreform ist den beruflichen Schulen des Landes Bremen mehr Eigenverantwortung übertragen worden. So erhielten die Schulen des Landes Bremen die Möglichkeit, von den gesetzten Normen teilweise abzuweichen und sich z. B. durch eigene Satzungen verschiedene Strukturen zu geben. Diese gesetzliche Regelung ist als Individualrecht der Einzelschule definiert. Sie eröffnet den Schulen neue Handlungsspielräume und neue Möglichkeiten zur Organisationsentwicklung. Die erfolgte Stärkung der Schulleitungen sowie die Erweiterung der finanziellen Eigenverantwortung führten dazu, dass über veränderte Formen der Partizipation und Delegation von Verantwortung für die Arbeit in den Schulen nachgedacht wurde. Zur Entwicklung einer spezifischen Organisationskultur wurden im Projekt „ReBiz III" im Land Bremen an sechs Projektschulen 64 Interviews durchgeführt und mit GABEK® ausgewertet. Die Zielsetzung des Projekts wurde durch den Senator für Bildung und Wissenschaft des Landes Bremen vorgegeben. Im Zentrum stand dabei das Ziel, einerseits die Unterrichtsentwicklung und die Unterrichtsqualität zu fördern und andererseits Möglichkeiten zur Partizipation der Lehrpersonen an den zentralen schulinternen Entscheidungsprozessen zu schaffen. Der Verlauf des Projekts wird als Beispiel für eine GABEK®-Anwendung ausführlich dargestellt. Im Kap. 14 wird gezeigt, wie auf der Grundlage der Befragungsergebnisse in den einzelnen Schulen in einem Feedbackworkshop Schwerpunkte für die zukünftige Entwicklung ausgewählt wurden. Im Kap. 15 wird die Auswahl von Maßnahmen im Umsetzungsworkshop besprochen, die anhand von Kausalnetzen getroffen wurde.

    Im Gegensatz zur Organisationsentwicklung von unten wird im Kap. 16 ein Beispiel für eine Strukturreform von oben besprochen. Zur Implementierung des österreichischen Universitäts-Organisationsgesetzes 1993 beschlossen Senat und Rektor der Universität Innsbruck eine Zusammenlegung von kleinen Instituten. An einer Fakultät wurde dazu eine Befragung von Mitarbeitern und Studierenden durchgeführt, die zu einer wesentlichen Problemverschiebung führte. Es wurde eine flexible, von den Instituten unabhängige Struktur der Zusammenarbeit vorgeschlagen, wodurch ein Leitbild der Kooperation nahegelegt wurde. Das Projekt ist ein Beispiel dafür, wie Reformvorschläge von oben durch die Erfahrung von Mitarbeitern und Betroffenen zu einer erfolgreichen Organisationsentwicklung weitergeführt werden können. Denn wenn auch das UOG 1993 längst durch neue Universitätsorganisationsgesetze aufgehoben wurde, ist das Konzept der Mitarbeiter, eine Universität der Zusammenarbeit zu entwickeln, als eine weiterführende Vision für die Zukunft noch gültig.

    Es folgen im Kap. 17 fünf Abschnitte, in denen weitere praktische Anwendungen des Verfahrens GABEK® zur Lösung unterschiedlicher Probleme beschrieben werden. Sie dienen als Beispiele für verschiedene Weisen der Umsetzung von Projektergebnissen.

    Anhand eines Projekts der Abfallwirtschaft Tirol Mitte wird gezeigt, wie ein Bericht immer wieder als Katalysator für Veränderungen wirksam wurde.

    Das Projekt „Grundwerte und Ziele im Krankenhaus Brixen" führte über eine Reihe von Seminaren und Workshops zur Entwicklung eines Leitbildes.

    Das Projekt „Regionale Identität im Zillertal" beschäftigte sich mit einer ausgeglichenen Regionalentwicklung zwischen Wirtschaft, Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsbildung. Dessen Ergebnisse wurden durch die Aufführung eines Theaterstücks in der ganzen Region verbreitet und diskutiert.

    Im Projekt „Assistenzplattform zur Betreuung alter Personen" wurde ein organisatorischer Vorschlag zur Unterstützung von Senioren und von betreuenden Familienmitgliedern in vier abgelegenen Dörfern in Südtirol entwickelt, der durch ein Pilotprojekt umgesetzt und überprüft werden konnte.

    Schließlich wurden im Projekt „Kops II" die Arbeitserfahrungen von leitenden Mitarbeitern der Illwerke beim Bau eines riesigen Pumpspeicherwerks reflektiert. Dessen Ergebnisse wurden vier Jahre später beim Bau des Obervermuntwerkes II, eines weiteren Großprojekts, zur Optimierung der Organisation angewandt.

    Zukunftsvision der Organisationsentwicklung durch Wissensorganisation

    In Analogie zur Wissensverarbeitung des einzelnen Menschen (vgl. Kap. 9) wird im Kap. 18 gezeigt, wie das aktuelle Erfahrungswissen mit GABEK® in einer großen Institution flexibel organisiert werden kann. Es wird ein System der Wissensorganisation vorgeschlagen für Unternehmen oder große Institutionen, in denen die Veränderungen ständig ablaufende parallele Integrationsprozesse erfordern. Es ist ein im Intranet unterstütztes Informationssystem, bei dem jeder Teilnehmer jederzeit Informationen aus der verbalen Datenbasis der Institution abfragen und neue Texte in die Datenbasis einfügen kann. Im Unterschied zu sozialen Medien entstehen aus den Texten des Gesamtsystems ständig aktualisierte Gestaltenbäume. Leitungspersonen der Institution beobachten das Wachstum von Hypergestalten ständig, das automatisch verarbeitet (vgl. Kap. 5) und durch Mitarbeiter überprüft wird. Gestaltenbäume repräsentieren zu jedem Zeitpunkt die kognitive Ordnung der Institution. Sie wachsen von unten nach oben, das heißt von Gestalten über Hypergestalten zu Hyperhypergestalten und verändern sich nur sehr langsam.

    Es handelt sich um ein System der Wissensverarbeitung, das mit einem ständigen Dialog zwischen Mitarbeitern, Experten, Management, Organisationsführung, Qualitätsbeauftragten und Kunden verglichen werden kann (vgl. Kap. 12 und 13). Die Speicherung des Wissens der Institution in Form eines Waldes von Gestaltenbäumen wird flexibel immer wieder an die aktuelle Situation der Institution angepasst. Sie erlaubt eine sehr schnelle zielgerichtete Wissensabfrage. Dadurch verkürzen sich Lernwege und Lernzeit (vgl. Kap. 9) aller Beteiligten.

    Der Hauptvorteil des Systems liegt in der Nutzung der Erfahrung der Mitarbeiter und Kunden zur Steuerung der Organisation, in der Integration durch Selbstorganisation des Wissens, in einer schnellen Wissensabfrage und in der Kohärenz und Aktualität der Informationen, die immer auf dem neuesten Stand sind.

    Literatur

    Bunge M (1967) Scientific research II. The search for truth. Springer, Berlin/Heidelberg/New York

    Moravcsik J (1983) Can there be a science of thought? Conceptus 17(40–41):239–262

    Pöppel E (1989) Eine neuropsychologische Definition des Zustands ‚bewusst‘. In: Pöppel E (Hrsg) Gehirn und Bewusstsein. VHC, München, S 17–32

    Sergin VY (1992) A global model of human mentality. In: Trappl R (Hrsg) Cybernetics and systems research, Proceedings of the 11th European meeting on Cybernetics and Systems Research, Bd 1. World Scientific, Wien/Singapore/London/Hong Kong, S 882–890

    Stumpf C (1939) Erkenntnislehre, Bd 1. Johann Ambrosius Barth, Leipzig

    Von Uslar D (2003) Tagebuch des Unbewussten – Abenteuer im Reich der Träume. Würzburg, Königshausen & Neumann

    Von 1999 bis 2016 erschienen die folgenden acht Sammelbände, die die Ergebnisse von zehn Internationalen GABEK®-Symposien zusammenfassen, die von 1994 bis 2014 meist in Sterzing durchgeführt wurden

    Buber R, Zelger J (Hrsg): GABEK® II (2000) Zur qualitativen Forschung. On qualitative research. Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen

    Herdina P, Oberprantacher A, Zelger J (Hrsg): Learning and development in organizations. GABEK® (2007). Contribution to knowledge organization, Bd 2. LIT, Münster

    Müller J, Zelger J (Hrsg): GABEK® VII (2016) GABEK® als Lernverfahren für Organisationen. GABEK® as a Learning Procedure for Organizations. Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen

    Raich M, Schober P, Zelger J: GABEK® IV (2010) Sprachliche Strukturen, Theorie und Anwendung. Linguistic structures, theory and practice. Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen

    Schober P, Zelger J, Raich M (Hrsg): GABEK® V (2012) Werte in Organisationen und Gesellschaft. Values in organizations and society. Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen

    Zelger J, Maier M: GABEK® I (1999) Verarbeitung und Darstellung von Wissen. Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen

    Zelger J, Raich M, Schober P (Hrsg): GABEK® III (2008) Organisationen und ihre Wissensnetze. Organisations and their knowledge nets. Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen

    Zelger J, Müller J, Plangger S (Hrsg): GABEK® VI (2013) Sozial verantwortliche Entscheidungsprozesse. Socially responsible decision making processes. Studienverlag, Innsbruck/Wien/Bozen

    Teil IBeispiel eines GABEK®-Projekts

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019

    J. ZelgerErforschung und Entwicklung von Communitieshttps://doi.org/10.1007/978-3-658-27099-5_2

    2. Ist der Stadtteil Tepito in Mexico City eine Gemeinschaft?

    Josef Zelger¹ 

    (1)

    Universität Innsbruck, Innsbruck, Österreich

    Zusammenfassung

    Wie können wir eine Community verstehen? Wir führen mit Bewohnern Gespräche und fragen sie einfach „Was ist für dich Tepito?" Eine offene Kurzbefragung von ca. 50 Personen war die Datenbasis, die von Märk (1995) durchgeführt und von Märk und Zelger (1999) mit GABEK® analysiert wurde. Für alle fünf Bereiche intentionaler Objekte wird wenigstens ein Ergebnis dargestellt. Darauf werden die Ergebnisse über Tepito zu einer einheitlichen logisch zusammenhängenden Gesamtsicht vereinigt.

    Mit diesem ersten Beispiel wird gezeigt, dass bereits eine einfache Kurzbefragung zu einem klaren Bild einer komplexen sozialen Situation führen kann, wenn die Texte systematisch ausgewertet werden.

    Mit GABEK® werden die verbalen Daten zuerst analysiert, dann systematisiert und schließlich zu einer Gesamtsynthese zusammengefasst.

    Tepito ist ein Stadtteil im Zentrum von Mexico City mit ca. 120.000 Einwohnern, der sich von seiner Umgebung auffallend abhebt. Die Häuser sind niedrig mit großen Innenhöfen, in denen Kinder Fußball spielen, die Straßen sind große Märkte, es finden mehrtägige Feste statt mit Tanz auf der Straße, die Wirtschaft ist geprägt von illegalen Aktivitäten und vom Verkauf kopierter Markenartikel. Der Stadtteil hat eigene Formen der Selbstorganisation entwickelt und verhindert die Realisierung von Modernisierungsplänen der Stadtverwaltung von Mexico City. Eine Künstlergruppe, die von den Händlern unterstützt wird, hat eigene Sanierungspläne geschaffen. Man nimmt ein Gefühl der Zusammengehörigkeit wahr. „Tepito ist offenbar eine „Community.

    Es soll hier gezeigt werden, wie der Stadtteil mithilfe des Verfahrens GABEK® beschrieben werden kann. Als Datengrundlage dienten kurze Gespräche mit Bewohnern von Tepito, die Johannes Märk 1993 in den Straßen des Stadtteils führte (Märk 1995; Märk und Zelger 1999). Offene Fragen erlaubten fast beliebige Antworten, in denen die Befragten auf eigene Erlebnisse, Sichtweisen und Präferenzen eingehen konnten. Da ich den Bericht kurz halten möchte, werde ich mich nur auf je ein Ergebnis aus jedem der fünf Objektbereiche beschränken, die in der Einführung (Kap. 1) dargelegt wurden. Später werde ich zeigen, wie weitere Ergebnisse dargestellt werden können bei entsprechendem Einsatz weiterer Tools der Software WinRelan®, die für GABEK®-Anwendungen entwickelt wurden.

    2.1 Welche gemeinsam erlebten historischen Ereignisse werden erzählt?

    Die historischen Ereignisse des ersten Bereiches intentionaler Objekte, über die gesprochen wurde, konzentrieren sich in Tepito auf das große Erdbeben, das 1985, also acht Jahre vor der Befragung stattfand. Über historische Ereignisse wird meistens in Form von subjektiv geprägten Geschichten berichtet. Obwohl in den Kurzinterviews nicht nach dem Erdbeben gefragt wurde, wird es in 25 kurzen Texten erwähnt. Wenn wir einige der Antworten zusammenfügen, entsteht eine paradigmatische Kurzgeschichte:¹

    Das wirklich Schrecklichste waren die Hilferufe, die uns aus den eingestürzten Häusern entgegendrangen (B04). Am Tag des Erdbebens organisierten sich ohne Aufforderung spontan die ersten Brigaden, kleine Heere von 20 bis 100 Freiwilligen, die die ersten Opfer bargen (B01). Ja, die Tage des Erdbebens waren wirklich einmalig: Die Buschauffeure und die Taxler transportierten gratis ihre Passagiere, die Handwerker stellten Werkzeug zur Verfügung und die Ärzte boten kostenlos ihre Dienste an (B02). Die Tepiteños verhielten sich vorbildlich. Sie stellten Zeltlager auf und retteten Verschüttete (B96). Sie waren die einzigen, die innerhalb kürzester Zeit Brigaden aufstellen konnten, um den Verschütteten zu helfen (A90), auch in anderen Barrios (Stadtvierteln) (A10). Dort habe ich zum ersten Mal echte Solidarität und Kooperation zwischen uns „kleinen Leuten" gesehen (B04).

    Das Erdbeben hat ganz deutlich gezeigt, dass auf die staatlichen Autoritäten kein Verlass ist. Es gab einfach zu viele Pannen. Die Behörden waren korrupt (B04). So wurde die Zahl der Opfer falsch angegeben, korrupte Politiker haben ausländische Spendengelder veruntreut und wir wurden bei den Rettungsarbeiten behindert und gegängelt (A33). Die schon bestehende große Korrumpierbarkeit der Behörden wurde noch weiter verschärft. Dadurch, dass viele Spenden und Hilfsgüter ins Land kamen, wurde den Behörden die Möglichkeit eröffnet, sich noch schamloser zu bereichern (D88).

    Das Erdbeben war ein Wendepunkt hier im Tepito. Wir stellten fest, dass uns niemand hilft – wir waren auf uns selbst gestellt und konnten zudem noch den Bewohnern in anderen Stadtteilen helfen (B57). Das Erdbeben von 1985 hat gezeigt, dass wir Tepito-Bewohner uns selbst organisieren können. Wir waren schneller und effizienter als die Behörden, die uns sogar manchmal störten und gängelten (A14). Doch konnten der Staat und die Oberschicht das unabhängige Agieren der Tepiteños nicht verhindern (A97). Es hat uns zusammengeschweißt, und auch heute noch ist von diesem Zusammengehörigkeitsgefühl etwas übriggeblieben. Das hilft uns im Kampf gegen die Behörden (A32). Die Leute im Tepito haben gesehen, welche Organisationskraft und welches Organisationstalent sie besitzen (C38). Unser Selbstbewusstsein und unsere Identität wurden gestärkt. Wir haben gesehen, dass wir vieles selber auf die Beine stellen können, ohne die Behörden zu berücksichtigen (D89).

    Die Zusammenfassung vieler bruchstückhafter Einzelberichte zu einer paradigmatischen Quasigeschichte war in unserem Beispielfall nicht schwierig. Sie führte zu den drei wiederholt angesprochenen Themen: Hilfsbereitschaft beim Erdbeben, Korruption der Behörden, Selbstorganisation. Sehen wir nun, wie intentionale Objekte im zweiten Bereich, dem Bereich begrifflicher Strukturen und Ontologien, analysiert werden können.

    2.2 Gibt es allgemein vertretene Meinungen und Einstellungen, die von den meisten Tepiteños für richtig angesehen werden, sodass wir sie als „Ontologie" ansehen können?

    Die obige Quasigeschichte setzt sich aus einer Reihe kurzer Interviewantworten über das Erdbeben zusammen. Dabei wurden die verbalen Daten in kurze Texteinheiten aufgespaltet. Texteinheiten sind im Verfahren GABEK® so lang, dass sie eine abgeschlossene semantische Sinneinheit bilden. Sie sind aber so kurz, dass man sie für kurze Zeit im Bewusstsein behalten kann. Normalerweise enthalten sie zwischen drei und neun lexikalische Begriffe. In einem ersten Bearbeitungsschritt der Grundkodierung werden diese inhaltlich bestimmenden Begriffe markiert. Es sind die Begriffe, auf die man nicht verzichten kann, wenn man den Text verstehen will. Es werden aber keine logischen, keine grammatikalischen und keine Zahlbegriffe kodiert, sondern ausschließlich Begriffe, die eine selbstständige Bedeutung haben, deren Bedeutung man im Lexikon nachschlagen kann, ob es Hauptwörter, Zeit- oder Eigenschaftswörter sind. Bei kleinen Projekten – wie bei diesem Beispielprojekt – wurden die Begriffe händisch kodiert, bei größeren Projekten kann die Grundkodierung auch automatisch erfolgen (siehe dazu die Abschn. 5.​3, 5.​4 und 5.​5).

    Nach der Grundkodierung stellen wir alle verfügbaren Texte der verbalen Datenbasis als Begriffsnetz dar. Es enthält eine Art von Knoten und eine Art ungerichteter Kanten. Die Schlüsselbegriffe bilden die Knoten. Kanten werden zwischen zwei Begriffen dann gezogen, wenn beide in wenigstens einer Texteinheit gemeinsam vorkommen. Wir haben oben gesehen, dass „Erdbeben in mehreren Texteinheiten zusammen mit „Behörden vorkommt. Unabhängig davon, ob es sich um einen assoziativen, einen empirischen oder einen logischen bzw. einen kausalen Zusammenhang handelt, führt dies im Begriffsnetz zu einer ungerichteten Kante zwischen den zwei Begriffen (Abb. 2.1).

    ../images/460677_1_De_2_Chapter/460677_1_De_2_Fig1_HTML.png

    Abb. 2.1

    Zusammenhang zwischen „Erdbeben und „Behörden durch sechs Texteinheiten

    Der Begriff „Erdbeben" hängt insgesamt in 25 verfügbaren Texteinheiten mit 73 anderen Begriffen assoziativ zusammen. Wenn wir alle Zusammenhänge aller in der Datenbasis vorkommenden Begriffe in einem Begriffsnetz darstellen, ergibt sich ein sehr unübersichtliches linguistisches Netz. Wir vereinfachen das Netz dadurch, dass wir nur jene Kanten herausgreifen, die durch wenigstens drei Texteinheiten belegt sind. Damit erhalten wir ein Netz mit Zusammenhängen, die von mehreren befragten Personen in den Interviewantworten hergestellt worden sind. Kanten, die in weniger als drei Texten vorkommen, werden gelöscht.

    In einem weiteren Schritt der Vereinfachung löschen wir auch noch jene Begriffe, die nur durch eine Kante mit dem Netz verbunden sind. Dadurch erhalten wir ein übersichtliches Begriffsnetz, das nur mehr zyklisch verbundene Begriffe enthält. Es handelt sich um Sinnzusammenhänge zwischen wenigstens je drei Begriffen, die durch sich ergänzende Aussagen mehrerer Personen gebildet wurden. Für das kleine Tepito-Projekt ergibt sich automatisch im Programm WinRelan® das folgende Begriffsnetz (Abb. 2.2):

    ../images/460677_1_De_2_Chapter/460677_1_De_2_Fig2_HTML.png

    Abb. 2.2

    Begriffsnetz mit zyklischen Begriffsclustern bei einer Kantenauswahl mit wenigstens je drei Texten, jedoch ohne „Tepito". Das Gewicht der Kanten bezieht sich auf die Anzahl der zugrunde liegenden Texte. Kanten, die durch mehr als drei Texte belegt werden, sind fett. Die Länge der Kanten spielt keine Rolle

    Wir können jetzt der Reihe nach zyklische Begriffscluster auswählen und die Texte lesen, die ihnen zugrunde liegen. Sofern sie widerspruchsfrei sind, können wir sie zusammenfassen. Dadurch erhalten wir thesenhaft die wichtigsten Aussagen der verbalen Datenbasis.

    Z. B. ergibt das Cluster „Behörden – „Korruption – „Erdbeben" die folgende zusammenfassende Aussage (Abb. 2.3):

    ../images/460677_1_De_2_Chapter/460677_1_De_2_Fig3_HTML.png

    Abb. 2.3

    Beispiel eines zyklischen Begriffsclusters

    Behörden und Politiker waren korrupt und haben sich nach dem Erdbeben durch Veruntreuung von Spendengeldern bereichert.

    Wenn wir alle weiteren zyklischen Begriffscluster abarbeiten, deren Texte lesen und zusammenfassen, erhalten wir die folgenden Thesen, die wir insgesamt als „Ontologie" der Tepiteños zur Zeit der Befragung auffassen können. Es handelt sich um feststehende Aussagen, die in Tepito zur Zeit der Befragung nicht weiter in Frage gestellt wurden. Auf diese Weise können wir die zentralen Überzeugungen in einer Gemeinschaft identifizieren. Die Überschriften der folgenden Absätze ergeben sich aus den gewählten Begriffsclustern der Abb. 2.2.

    Behörden, Zusammenhalt, Selbstorganisation, Kampf

    Das Erfolgsgeheimnis von Tepito ist, dass die Leute zusammenhalten, sich nicht von den Behörden beirren lassen und versuchen, ihrem Lebensstil treu zu bleiben. Vor allem das Erdbeben hat einen starken Zusammenhalt der Tepiteños den Behörden gegenüber zur Folge gehabt. Hätten die Tepiteños nicht zusammengehalten und sich selbst organisiert, so wäre der Stadtteil in ein großes Banken- und Geschäftsviertel umgewandelt worden. Auch der Kampf um das Verhindern der Stadtautobahn mitten durch Tepito war erfolgreich.

    Lebensstil, Wirtschaft, Kampf, Selbstorganisation, informelle Wirtschaft

    Die Tepiteños haben es sehr weit gebracht – sie haben ihren Lebensstil bewahrt und in Selbstorganisation eine informelle Form der Wirtschaft geschaffen. Sie hoffen, dass sie noch lange ihre eigentümliche Lebensweise am Rande des Legalen und Formellen verteidigen können und sind bereit, dafür zu kämpfen.

    Selbstorganisation, Konvivialität, Selbsthilfe

    Der Primat der Ökonomie wurde in Tepito ersetzt durch den Primat der Konvivialität, der Selbsthilfe, der Nachbarschaftshilfe und der Selbstorganisation.

    Konvivialität, besserer Stadtteil, menschliche Wärme, in Tepito bleiben, Freunde

    Viele ziehen Tepito einer besseren Wohngegend vor oder kehren wieder dahin zurück, weil sie ohne ihre Freunde und die Konvivialität nicht leben können. Hier erleben sie echte Freundschaft und spüren menschliche Wärme. Hier gibt es die beste Wohnqualität der Stadt. „Tepito ist ein Juwel und eine Blume inmitten der Großstadtwüste".

    Tanz, Fiesta, Musik

    Tepito ist ein Bündel von Lebensformen, die sich auf magische Weise selbst organisieren. Die eigentliche Grundlage des Tepitos ist nicht die Ökonomie, sondern die Musik – allen voran Salsa. Es gibt alles, was das Herz begehrt – Konvivialität, Musik, Fiestas und billige Konsumartikel. Ein Konzert im Tepito ist etwas Außergewöhnliches – die Leute lassen sich von der Musik anstecken und sind wundervolle Tänzer.

    Tanz, Straße, Leute

    Die Straßen in Tepito sind nicht nur Ausstellungsfläche für die Schmuggelwaren, sondern auch Treffpunkte und Tanzflächen. Hier passiert alles auf der Straße: Straßenhandel, Straßentheater, Straßentanz.

    Theater, Arte Acá, Kunst, Leute

    Das Theater und die Galerie der Künstlergruppe Arte Acá hat uns „kleinen Leuten" die Kunst nähergebracht. Wir können jetzt auch über unser eigenes Leben reflektieren. Das ist ein Verdienst der Leute um die Gruppe Arte Acá. Die Leute sind bereit, Kunst zu unterstützen. Es wurden ein Theater und eine Galerie gebaut. Straßentheater und Ausstellungen werden organisiert.

    Schmuggel, illegale Aktivitäten, Kunst, Leute

    Tepito hat sich gewandelt – vom armen Slumviertel zum blühenden Stadtviertel, das durch Schmuggel und andere illegale Aktivitäten wirtschaftlich mächtig aufholte. Dadurch können viele Leute ihre Familien ernähren. Tepito beschränkt sich nicht auf das Schmuggeln und Fälschen von Markenartikeln – hier wird auch versucht, auf dem Gebiet der Kunst neue Wege zu gehen. Tepito vereint Kunst mit Kommerz, Schmuggel mit Lebensfreude.

    Schmuggler, Händler, Fälscher, Prostitution

    Tepito ist ein Konglomerat von Schmugglern, Fälschern, Musikern, Theaterleuten, Malern, Autospenglern, Händlern aller Art und Prostituierten. Wir leben hier eigentlich ohne Chef und Staat. Jeder ist ein Freiberufler. Es gibt zur Interessenvertretung Organisationen der Schmuggler, Mechaniker, Fälscher, Händler usw.

    Barrio, Fälschung, Markenartikel, Schmuggel

    Tepito stellt eine permanente Herausforderung für die Stadtregierung dar. Doch bis jetzt hat sie es nicht geschafft, die Grundpfeiler des Barrios (Schmuggel und Fälschung von Markenartikeln) zu erschüttern. Die Tepiteños haben den Ruf, sehr arbeitsam und tüchtig zu sein. Hier wird gehandelt, gefälscht und verkauft. Dadurch ist der Stadtteil (Barrio) von der übrigen Stadt beinahe ökonomisch unabhängig geworden. Doch dies ist nicht alles – die Kultur (Theater, Tanz, Musik) und die legendären Fiestas sind ebenso wichtig. Mexico City wird sich auf die Dauer nicht mehr leisten können, dass ein Barrio mitten in der Stadt sich auf Schmuggel, Fälschung und Prostitution stützt und so viele Millionen von Pesos an Steuergeldern verloren gehen.

    Barrio, Handel, Arbeit

    Tepito ist in erster Linie ein Barrio der Arbeit, des Handels und der Manufaktur. Die Tepiteños haben den Ruf, sehr arbeitsam und tüchtig zu sein. Hier kann jeder versuchen, sich mittels Arbeit und Handel aus seiner Armut zu befreien. Trotz der Arbeit sind aber Fiestas, Salsa-Tanz und die Kneipen (Cantinas) sehr wichtig.

    Stolz, Selbstorganisation, Behörden, Leute, Arte Acá

    Die Tepiteños sind stolz darauf, nicht nur wirtschaftlich erfolgreich zu sein, sondern auch die Kunstbewegung – Arte Acá – zu haben, die ohne Experten einen Stadterneuerungsplan geschaffen hat, der in Warschau mit dem UNESCO-Preis ausgezeichnet wurde. Die Tepiteños haben die Fähigkeit zur Selbstorganisation unter Beweis gestellt, indem sie die Erneuerung des Barrios gegen die Intention der Behörden selbst in die Hand genommen haben. Du kannst dich in Tepito nach Herzenslust mit anderen verbünden und etwas Neues auf die Beine stellen. Das ist das Geheimnis des Erfolges.

    Die obigen Aussagen können als ontologische Kernsätze der Tepiteños aufgefasst werden, die zur Zeit der Befragung von fast allen für wahr angesehen wurden. Sie gehen aber nicht sehr ins Detail. Vielmehr wurden nur zentrale Meinungen dargestellt, die sich wiederholen oder sich gegenseitig ergänzen und die allgemein akzeptiert wurden. Ich werde später – im Kap. 5 – auf die theoretischen Grundlagen einer begrifflichen Ontologie eingehen und werde weitere Beispiele präsentieren, in denen größere Datenmengen als Grundlage verwendet werden. Die obigen Aussagen wurden in der Objektsprache der befragten Personen formuliert. Sie beschreiben Sachverhalte in Tepito, wie sie die Tepiteños sehen. Dazu gibt es in der Datenbasis keine Widersprüche.

    Dies heißt aber nicht, dass alle Tepiteños diese Sachverhalte übereinstimmend bewerten. Vielmehr gibt es sehr wohl Widersprüche in der evaluativen Beurteilung der beschriebenen Sachverhalte. Deswegen ist es notwendig, dass wir auch die Bewertungen analysieren, die in den Interviews zum Ausdruck kommen.

    2.3 Wie werden Sachverhalte und Zustände in Tepito von den befragten Personen bewertet?

    Um eine Gemeinschaft zu verstehen, sollten wir auch die Bewertungen von Sachverhalten, Prozessen und Zuständen kennen. Dadurch erfahren wir, ob die betroffenen Personen mit der aktuellen Situation zufrieden sind, ob es wesentliche Konflikte zwischen den Personen gibt, die gegensätzliche Bewertungen ausdrücken. Wir sollten auch wissen, worauf sich auffällige Konflikte beziehen und welche Veränderungswünsche geäußert werden.

    Dazu lesen wir noch einmal alle Texte der Datenbasis durch und markieren für einzelne Objekte, Zustände, Sachverhalte, die in den verfügbaren Texten beschrieben werden, positive oder negative Bewertungen. Die Summen aller positiven und negativen Bewertungen führen zu einem Bewertungsindex, der sehr zuverlässig ist als Index für die allgemeine Zufriedenheit (Abb. 2.4).

    ../images/460677_1_De_2_Chapter/460677_1_De_2_Fig4_HTML.png

    Abb. 2.4

    Der Bewertungsindex, der die allgemeine Zufriedenheit anzeigt

    So ergibt sich im Tepito-Projekt eine überraschend positive Gesamtbewertung:

    Statistik

    Die folgenden Listen zeigen, wie sich die allgemeine Zufriedenheit der Tepiteños zusammensetzt. Dabei ist zu beachten, dass nicht nach einzelnen Items gefragt worden ist. Die ganz offene Frage lautete einfach: „Was ist für dich Tepito?" Darauf konnten die Befragten Themen ansprechen, die ihnen persönlich wichtig waren, oder mit denen sie besondere Erfahrungen gemacht hatten.

    Ich präsentiere zuerst die Liste der ausschließlich positiv beurteilten Sachverhalte. Es folgen die Listen der überwiegend positiv und der überwiegend negativ bewerteten Objekte und schließlich der ausschließlich negativ bewerteten Sachverhalte. Die erste und die letzte Liste zeigen den konsensuellen Bereich der Werturteile auf, die zwei mittleren über ambivalent bewertete Sachverhalte weisen auf eventuelle Konflikte hin.

    Eine genauere Interpretation der einzelnen Themen erhält man durch Anklicken der Textindizes im Programm WinRelan®. Man erhält dann die authentischen Texte der befragten Personen, die eine entsprechende Bewertung zum Ausdruck bringen.

    Bewertungslisten über die Ist-Situation

    1)

    Ausschließlich positiv bewertete Sachverhalte

    2)

    Überwiegend positiv bewertete Sachverhalte

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