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Praxis der Anästhesiologie: konkret - kompakt - leitlinienorientiert
Praxis der Anästhesiologie: konkret - kompakt - leitlinienorientiert
Praxis der Anästhesiologie: konkret - kompakt - leitlinienorientiert
eBook2.943 Seiten25 Stunden

Praxis der Anästhesiologie: konkret - kompakt - leitlinienorientiert

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Über dieses E-Book

Dieses Buch enthält das geballte Praxiswissen für die gesamte Anästhesiologie. Konkret, kompakt, leitlinienorientiert – so vermitteln Herausgeber und ein hochkarätiges Autorenteam sehr gut verständlich alle Inhalte zu Theorie und Praxis der Anästhesiologie. Das Buch ist explizit für Berufsanfänger geschrieben und soll sie erfolgreich zur Facharztprüfung führen, aber auch erfahrene Anästhesisten erhalten eine komplette und detaillierte Übersicht über ihr Fachgebiet. Alle Kapitel beginnen mit einem ganz alltäglichen Fallbeispiel, dann wird das jeweilige Thema konkret behandelt. Aktuelle Leitlinien sind das Rückgrat dieses Buchs, kurze Repetitorien zu Anatomie, Physiologie oder Pharmakologie erläutern die klinischen Zusammenhänge und zahlreiche Praxistipps mit konkreten Handlungsempfehlungen runden es ab. 

SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum22. März 2018
ISBN9783662545683
Praxis der Anästhesiologie: konkret - kompakt - leitlinienorientiert

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    Buchvorschau

    Praxis der Anästhesiologie - Wolfram Wilhelm

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017

    Wolfram Wilhelm (Hrsg.)Praxis der Anästhesiologiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-54568-3_1

    1. Anamnese, Voruntersuchungen und Aufklärung in der Anästhesiologie

    Wolfram Wilhelm¹

    (1)

    Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, RTH Christoph 8, Klinikum Lünen – St.-Marien-Hospital, Lünen, Deutschland

    1.1 Perioperatives Risiko

    1.2 Anästhesiologische Visite

    1.3 DGAI-Empfehlung »Präoperative Evaluation erwachsener Patienten«

    1.4 Anamnese und körperliche Untersuchung

    1.5 Technische Untersuchungen

    1.6 ASA-Risikogruppen

    1.7 Praktische Aufklärung für die Anästhesie

    Literatur

    Fallbeispiel Teil 1

    Ein 82-jähriger Patient wird in der Prämedikationsambulanz vorgestellt, weil bei ihm in 2 Tagen eine transurethrale Resektion der Prostata (TUR-P) geplant ist. Die medizinische Fachangestellte (MFA) gibt dem Patienten den Anästhesiefragebogen, hilft ihm bei einigen Fragen und bereitet gleichzeitig die Prämedikationsunterlagen vor. Außerdem misst sie Blutdruck (151/88 mmHg), Puls (64/min) und die pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung (psO2 = 96%). Nach 5 min erscheint der Anästhesist, der gerade im anderen Ambulanzraum prämediziert hatte. Bei Anamnese und Durchsicht des Fragebogens erfährt er, dass der Patient über 30 Jahre als Bergmann unter Tage gearbeitet hat, seit etwa 5 Jahren Metoprolol wegen Bluthochdrucks einnimmt und ansonsten körperlich den Alltag zuhause gut bewältigen kann. Bei der Auskultation von Herz und Lunge ist allein ein 3/6-Systolikum im 2. Interkostalraum (ICR) rechts auffällig. Das präoperative Routinelabor war bereits in der urologischen Ambulanz abgenommen worden. Der Anästhesist überlegt nun, ob bzw. wenn ja, welche Zusatzuntersuchungen erforderlich sind.

    1.1 Perioperatives Risiko

    Anamnese, Voruntersuchungen und anschließende Patientenaufklärung gehören zu den Basismaßnahmen vor jeder Anästhesie und Operation. Risikofaktoren und Erkrankungen des Patienten müssen erkannt werden, um das perioperative Risiko durch ein geeignetes Vorgehen zu vermindern. Dabei gibt es Risikofaktoren, die allein das anästhesiologische Vorgehen betreffen wie Hinweise für eine schwierige Intubation. Die meisten Erkrankungen aber haben gleichermaßen Bedeutung für das anästhesiologische und das operative Vorgehen. Ein typisches Beispiel ist der kardiale Risikopatient mit koronarer Herzkrankheit (KHK) und Herzinsuffizienz: Der Operateur muss die Vorerkrankungen bei der Indikationsstellung sowie bei Art und Umfang der Operation berücksichtigen, der Anästhesist wird Anästhesietechnik, Monitoring und postoperative Überwachung danach ausrichten. Daher ist es wichtig, dass sich Operateur und Anästhesist bei besonders kritischen Patienten vorher absprechen. In Einzelfällen kann es erforderlich sein, dass Anästhesist, Operateur und Patient (ggf. mit Angehörigen) gemeinsam entscheiden, welches Risiko für welchen Zweck eingegangen werden soll. Ein denkbares Beispiel ist ein hochbetagter Patient mit einer an sich operationspflichtigen Aortenklappenstenose, bei dem nun ein Kolonkarzinom festgestellt wird.

    Das individuelle perioperative Gesamtrisiko ergibt sich aus den patienteneigenen Risikofaktoren (Vorerkrankungen, anatomische Besonderheiten etc.), dem operativen Risiko sowie dem Anästhesierisiko.

    1.2 Anästhesiologische Visite

    Die präoperative anästhesiologische Visite wird auch »Prämedikationsvisite« oder abgekürzt «Prämedikation« genannt, weil früher – aufgrund der schlechter steuerbaren und nebenwirkungsbehafteten Anästhetika – eine vorbereitende Medikation verordnet werden musste, die den Speichelfluss reduzieren und die Anästhesieeinleitung vereinfachen sollte. Aufgrund der Weiterentwicklungen der Anästhetika, der Anästhesietechniken und der immer kränkeren Patienten ist die eigentliche, sedierende Prämedikation heute deutlich in den Hintergrund getreten, der Name ist geblieben. Für das praktische Vorgehen gilt:

    Ort

    Sofern es der Zustand des Patienten erlaubt, sollte die anästhesiologische Visite in einer Prämedikationsambulanz stattfinden. Die Patienten können gezielt einbestellt und untersucht werden, Bürotätigkeiten können durch eine medizinische Fachangestellte (MFA, »Arzthelferin«) übernommen werden, dies spart erheblich Zeit und damit Geld.

    Zeitpunkt

    Aus medikolegalen Gründen soll der Patient vor Wahleingriffen eine ausreichende Bedenkzeit erhalten. Bei stationären Eingriffen gilt die Anästhesieaufklärung am Vorabend der Operation als ausreichend. Im klinischen Alltag ist es meist besser, den Patienten einige Tage vorher aufzuklären, organisatorisch am einfachsten unmittelbar nach der chirurgischen Indikationsstellung und OP-Terminvergabe. So können noch Unklarheiten zu Vorerkrankungen beseitigt oder alte Arztbriefe besorgt werden etc.

    Bei ambulanten Eingriffen kann die Anästhesieaufklärung auch am Operationstag erfolgen, hier dürften 30–60 min vor OP-Beginn meist ausreichen. Wichtig ist, dass der Patient frei und ohne Zeitdruck entscheiden kann! Zudem darf der Patient zum Zeitpunkt der Aufklärung nicht erkennbar unter dem Einfluss von Drogen, Alkohol oder sedierenden Medikamenten stehen.

    Selbst für »kleine« ambulante Wahleingriffe gilt: Eine Patientenaufklärung »zwischen Tür und Angel« oder sogar erst auf dem Operationstisch ist nicht statthaft!

    Sind seit der Prämedikationsvisite mehr als 4–6 Wochen vergangen, sollte noch einmal kurz geklärt werden, ob es in der Zwischenzeit zu wesentlichen Änderungen des Patientenzustands gekommen ist. Üblicherweise kann man davon ausgehen, dass die damalige schriftliche Einwilligung des Patienten weiter Bestand hat.

    1.3 DGAI-Empfehlung »Präoperative Evaluation erwachsener Patienten«

    Aufgrund der erheblichen Bedeutung für Patientensicherheit und Arbeitsablauf haben die Deutschen Gesellschaften für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), für Chirurgie sowie für Innere Medizin eine gemeinsame, 2017 aktualisierte Empfehlung zur präoperativen Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nicht herz-thorax-chirurgischen Eingriffen veröffentlicht. Ähnliche Empfehlungen gibt es von der amerikanischen und der europäischen Anästhesiegesellschaft. Hierbei erfolgt insbesondere eine differenzierte Betrachtung des individuellen kardialen Risikos, sodass die verwendeten Begriffe hier kurz erklärt werden.

    Kardiales Risiko durch die Operation

    Verschiedene operative Eingriffe gehen mit einer unterschiedlichen Gewebetraumatisierung und ggf. bei Gefäßabklemmung mit Ischämie-Reperfusion einher; die begleitende Inflammationsreaktion führt – neben anderen Effekten – zu Kapillarleck und Thrombogenität. Daher unterscheidet sich das kardiale Risiko verschiedener Operationen (Tab. 1.1): Das höchste Risiko für einen Myokardinfarkt oder postoperativen Herztod mit einer Letalität >5% besitzen z. B. Aortenchirurgie, große arterielle Gefäßchirurgie sowie große Viszeralchirurgie, die somit als »Hochrisikoeingriffe« bezeichnet werden. Andererseits sind z. B. Augenoperationen wie die Katarakt-OP mit einem minimalen Gewebetrauma verbunden, sodass sich viele hochbetagte und teilweise multimorbide Patienten nahezu risikofrei einer Katarakt-OP unterziehen können (»Niedrigrisikoeingriffe«).

    Tab. 1.1

    Kardiales Risiko für Myokardinfarkt oder postoperativen Herztod bei verschiedenen Operationen. (Mod. nach DGAI-Empfehlung 2017)

    EVAR = Endovaskuläre Aneurysmaaussschaltung (»endovascular aneurysm repair«)

    Kardiale Risikofaktoren des Patienten

    Zudem sind in der DGAI-Empfehlung 2017 auf der Basis des Revised Cardiac Risk Index nach Lee et al. 5 kardiale Risikofaktoren definiert worden:

    Herzinsuffizienz,

    koronare Herzkrankheit (KHK): Angina pectoris und/oder Z. n. Myokardinfarkt,

    zerebrovaskuläre Insuffizienz: Z. n. Schlaganfall oder TIA,

    insulinpflichtiger Diabetes mellitus,

    Niereninsuffizienz mit Kreatininwert >2 mg/dl.

    Körperliche Leistungsfähigkeit und metabolisches Äquivalent

    Schließlich wird die körperliche Leistungsfähigkeit des Patienten anhand des sog. metabolischen Äquivalents (engl. »metabolic equivalent«; MET) abgeschätzt. Hierbei entspricht 1 MET dem Ruheenergieumsatz des Patienten. Eine ausreichende körperliche Belastbarkeit wird angenommen, wenn der Patient mindestens 4 MET leisten kann, was im täglichen Leben leichter Hausarbeit oder Treppensteigen über 2 Stockwerke oder bei der Ergometrie 100 W entspricht. Zu weiteren Details der kardialen Risikoeinschätzung Kap. 43.

    1.4 Anamnese und körperliche Untersuchung

    Anamnese und körperliche Untersuchung stellen die entscheidende Grundlage für die präoperative Einschätzung des Patienten dar und werden vom Anästhesisten selbst durchgeführt und dokumentiert. Sie sind zielgerichtet und kein allgemeiner »Gesundheitscheck«. Ergänzende Untersuchungen wie Labor, EKG, Thoraxröntgenbild, Echokardiographie u. a. sind aus anästhesiologischen Gründen nur erforderlich, wenn bei Anamnese und körperlicher Untersuchung Risikofaktoren oder Hinweise für Erkrankungen gefunden wurden.

    Eine sorgfältige Anamnese und gründliche körperliche Untersuchung besitzen die höchste Aussagekraft. Jede weitere Untersuchung ist eine Ergänzung.

    Erhebt der Anästhesist jedoch – ggf. auch zufällig – bisher unbekannte pathologische Befunde, so muss er deren Abklärung veranlassen. Typische Beispiele wären tumorverdächtige Veränderungen im Mund-Rachen-Raum oder am Larynx oder ein bisher unbekannter Rundherd auf dem Thoraxröntgenbild. Am besten ist es, den Operateur und den Patienten zu informieren und dies zu dokumentieren.

    1.4.1 Anamnese

    Die Befragung des Patienten erfolgt möglichst standardisiert, z. B. anhand eines Anästhesiefragebogens. So werden wesentliche Vorerkrankungen und Risikofaktoren identifiziert und anschließend durch gezieltes Nachfragen genauer erfasst. Zudem besitzt die Anamnese eine herausragende Bedeutung für die präoperative Erfassung von Gerinnungsstörungen (s. u.). Neben den Fragen nach den Organsystemen wie Herz-Kreislauf-System, Atmung, Leber etc. sowie nach Schwangerschaft, Rauchen, Alkohol und Drogeneinnahme sind v. a. folgende Fragen wichtig:

    Schwierigkeiten bei früheren Operation und Narkosen inkl. Probleme bei Familienmitgliedern. Merke: Starke Halsschmerzen nach der Operation sind ein dringender Hinweis auf Intubationsschwierigkeiten.

    Zahnstatus: lockere Zähne, Prothese;

    gastroösophagealer Reflux (Sodbrennen);

    Nierenerkrankungen: Hier muss genau nachgefragt werden: Befindet sich der Patient im Stadium der kompensierten Retention, soll also ggf. viel trinken, oder hat er eine terminale Niereninsuffizienz mit beschränkter Trinkmenge? Die ist für die perioperative Infusionstherapie von entscheidender Bedeutung!

    Muskelerkrankungen oder maligne Hyperthermie, auch in der Familie;

    Allergien und Unverträglichkeiten: Auslöser, Symptomatik, Schweregrad. Hier sollten nicht nur die Angaben des Patienten aufgeschrieben werden (z. B. Diclofenacallergie), sondern es sollte auch gezielt nachgefragt werden, welche Alternativmedikamente (z. B. Nichtopioidanalgetika) vertragen werden. Ein Allergiepass wird kopiert und zu den Anästhesieunterlagen gelegt.

    Thrombose, Embolie oder Erkrankungen der Blutgerinnung, auch in der Familie;

    Bewegungseinschränkung von Armen oder Beinen.

    Beruf: Hier erfährt man viel über die körperliche Belastung im Alltag, über Stimmberufe (z. B. Sänger, Lehrer, Verkäufer) u.v.a.m.

    1.4.2 Körperliche Untersuchung

    Im Rahmen der Prämedikationsvisite wird bei allen Patienten eine begrenzte körperliche Untersuchung durchgeführt. Hierzu gehören:

    Untersuchung der oberen Atemwege: Mundöffnung, Inspektion des Oropharnyx, Zahnstatus, Unterkiefer- und Halsbeweglichkeit (s. u.).

    Auskultation von Herz und Lunge,

    dabei Inspektion von Haut und Thoraxgeometrie sowie Einschätzung der Atemmechanik.

    Einschätzung der Atemwegssituation

    Diese gehört zu den wichtigsten Aufgaben der anästhesiologischen Visite, unabhängig davon, ob eine Allgemein- oder Regionalanästhesie geplant ist. Einzelne Parameter sind kaum in der Lage, eine schwierige Intubation mit hoher Sicherheit vorherzusagen oder auszuschließen, sodass immer eine Gesamtbeurteilung der Atemwegssituation erfolgen muss.

    Schwierige Maskenbeatmung

    Risikofaktoren in der Reihenfolge ihrer Bedeutung sind

    Bartträger,

    Body-Mass-Index >26 kg/m²,

    keine Zähne,

    Alter >55 Jahre,

    Schnarcheranamnese.

    Liegen mehrere dieser Risikofaktoren vor, ist eine schwierige Maskenbeatmung wahrscheinlicher. Darüber hinaus ist bei Patienten mit schwieriger Maskenbeatmung auch die Intubation häufiger erschwert.

    Schwierige Intubation

    Folgende Befunde können auf Intubationsprobleme hinweisen:

    Eingeschränkte Mundöffnung

    Zahnstatus, z. B. große vorstehende obere Schneidezähne (»Hasenzähne«), ggf. mit Jacketkronen;

    Kieferproportionen: ein kleiner Unterkiefer (»mandibuläre Retrognathie«, auch als »Retrogenie« bezeichnet);

    Halswirbelsäulen (HWS)-Länge und -Beweglichkeit: »kurzer Hals« oder Einschränkungen der HWS-Beweglichkeit: Kann der Patient den Kopf in den Nacken neigen oder bewegt er stattdessen die Brustwirbelsäule?

    Ein »Stiernacken« oder bei adipösen Patienten viel Nackenfett, wodurch die Reklination des Kopfs beeinträchtigt wird.

    Intubationsprobleme sind zu erwarten, wenn ein Befund besonders ausgeprägt ist oder bei der Kombination mehrerer Phänomene. Zu Details: Kap. 15.

    Praxistipp

    Bei der Prämedikationsvisite und vor der Narkoseeinleitung Atemwege des Patienten untersuchen! Der Aufwand ist gering, dauert nur etwa 15 s und schützt vor Katastrophen.

    Auskultation von Herz und Lunge

    Herz und Lunge werden bei jedem Patienten auskultiert; gleichzeitig kann der Anästhesist Haut, Thoraxgeometrie und Atemmechanik beurteilen. In der Praxis wird sinnvollerweise mit der Auskultation der Lunge begonnen und der Patient aufgefordert, mit offenem Mund tief ein- und auszuatmen. Anschließend kann der Patient kurze Zeit die Luft anhalten (am besten in Exspiration), nun wird das Herz abgehört.

    Weitere körperliche Untersuchungen

    Diese erfolgen individuell und narkosebezogen, z. B. abhängig von der Krankengeschichte des Patienten oder dem beabsichtigten Anästhesieverfahren.

    Regionalanästhesieverfahren

    Hier wird die spätere Einstichstelle inspiziert und die lokale Beweglichkeit, z. B. der Wirbelsäule, festgestellt; bei Lähmungen oder Sensibilitätsstörungen kann auch eine neurologische Statuserhebung erforderlich werden.

    Lagerungen

    Für die Operationslagerung ist primär der Operateur verantwortlich. Dennoch sollte sich auch der Anästhesist vergewissern, dass bestimmte Lagerungspositionen für den Patienten überhaupt möglich sind. Auch müssen Risikofaktoren wie z. B. Osteolysen oder Knochenmetastasen vorher bekannt sein. Im Einzelfall kann es – gemeinsam mit dem Operateur – sinnvoll sein, beim wachen Patienten komplexe Lagerungen auf dem Operationstisch vorher zu simulieren.

    1.5 Technische Untersuchungen

    Hierzu urteilt die DGAI in ihrer Empfehlung 2017 (nahezu wörtliche Wiedergabe):

    Grundlage jeder präoperativen technischen Untersuchung ist dabei eine sorgfältige Anamnese einschließlich einer Blutungsanamnese, eine orientierende körperliche Untersuchung sowie die Ermittlung der körperlichen Belastbarkeit des Patienten. … Ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine relevante, das perioperative Vorgehen potenziell beeinflussende Vorerkrankung, sind – unabhängig von Art und Dauer des Eingriffs oder dem Alter des Patienten – weiterführende Untersuchungen nicht erforderlich.

    Risiken

    Unnötige Untersuchungen bergen eigene Risiken! So bedeutet eine Thoraxröntgenaufnahme eine Strahlenbelastung für den Patienten. Bei Laborwerten können durch die Definition des »Normalbereichs« (Mittelwert ±2 Standardabweichungen) pathologische Befunde bei an sich gesunden Patienten entstehen, was wiederum zu unnötigen und risikobehafteten Untersuchungen führen kann. Daher müssen reine »Routineuntersuchungen« immer kritisch betrachtet werden.

    Optimierung klinischer Abläufe

    Neben allen theoretischen Überlegungen sollte im klinischen Alltag die präoperative Routinevorbereitung möglichst nach einem festgelegten Ablaufschema erfolgen, weil dies eine erhebliche Arbeitserleichterung darstellt und gleichzeitig für den Patienten die Sicherheit bietet, dass nichts vergessen wird. Im Folgenden wird daher die o. g. DGAI-Empfehlung 2017 besprochen und erläutert, wie man diese am besten in die klinische Praxis umsetzen kann.

    1.5.1 Laborwerte

    Der Nutzen eines ungerichteten Laborscreenings für die präoperative Einschätzung ist nicht erwiesen. Darüber hinaus gibt es kein wissenschaftlich bewiesenes Alter, ab dem eine Routinelaboranalyse erforderlich wäre. Die DGAI-Empfehlung 2017 definiert daher einen Minimalstandard von Laborwerten, die bei Patienten mit (vermuteten) Erkrankungen bestimmt werden sollten (Tab. 1.2)

    Tab. 1.2

    Minimalstandard von Laborwerten, die bei Patienten mit (vermuteter) Erkrankung bestimmt werden sollten. (Mod. nach DGAI-Empfehlung 2017)

    ASAT Aspartat-Aminotransferase, aPTT aktivierte, partielle Thromboplastinzeit, INR International Normalized Ratio

    Anstelle der ASAT (= GOT) kann auch die Alanin- Aminotransferase (ALAT = GPT) bestimmt werden

    Allerdings sollten in bestimmten Situationen auch weitere Laborwerte analysiert werden: Infektionsparameter sind nötig bei V. a. eine HIV- oder Hepatitisinfektion. Blutzuckerwerte sollten bei Patienten mit Diabetes mellitus bestimmt werden, außerdem vor Hochrisikoeingriffen, bei einem BMI >30 kg/m² oder wenn weitere kardiale Risikofaktoren vorliegen. Zudem sollte der Hb-Wert bestimmt werden, wenn durch die OP ein relevanter Blutverlust möglich und ggf. eine Fremdblutgabe erforderlich ist bzw. Maßnahmen zum »Patient Blood Management« eingeleitet werden sollen.

    Gerinnungsstatus

    Entscheidend für die präoperative Erfassung von Gerinnungsstörungen ist v. a. eine exakte Anamnese.

    Gerade die häufigsten Gerinnungsstörungen wie von-Willebrand-Syndrom oder Thrombozytenfunktionsstörungen werden im »Routinegerinnungslabor« aus Thrombozytenzahl, Quickwert (oder INR) und PTT nicht erfasst!

    Neben der genauen Medikamentenanamnese dienen zur Erfassung des Gerinnungsstatus folgende Fragen¹:

    Kommt es bei Ihnen gehäuft zu »blauen Flecken«, Zahnfleisch- oder Nasenbluten oder zu Gelenkblutungen?

    Dauert es, auch bei Schnittverletzungen, ungewöhnlich lange, bis die Blutung steht?

    Kam es bei vorangegangenen Operationen oder Zahnbehandlungen zu Nachblutungen bzw. war eine Bluttransfusion erforderlich?

    Gab es in Ihrer Familie (Blutsverwandtschaft) Fälle von Blutungsneigung?

    Haben Sie in den letzten 2 Wochen gerinnungshemmende Medikamente bzw. Schmerzmittel eingenommen?

    In der Praxis ergibt sich daraus folgendes Vorgehen:

    Symptomfreie Patienten ohne spezifische Risikoanamnese

    Hier ist eine Routinebestimmung des Gerinnungsstatus nicht erforderlich, also auch nicht, wenn eine Spinalanästhesie oder Periduralanästhesie geplant ist. Dabei sei allerdings auf folgenden Fallstrick hingewiesen:

    Cave

    Wurde präoperativ eine Thromboembolieprophylaxe mit Heparin über mehr als 5 Tage durchgeführt, dann soll die aktuelle Thrombozytenzahl bestimmt werden, um eine heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT 1 und 2) auszuschließen. Dies gilt insbesondere vor rückenmarknaher Regionalanästhesie!

    Patienten mit positiver Gerinnungsanamnese oder Symptomen

    Hier ist eine präoperative Gerinnungsanalyse erforderlich, z. B. beginnend mit Thrombozytenzahl, Quick-Wert oder INR, PTT, Fibrinogen und ggf. ein Thrombozytenfunktionstest. Abhängig von den Analyseergebnissen und der geplanten Operation bzw. dem geplanten Anästhesieverfahren kann eine weitergehende hämostaseologische Abklärung erforderlich werden. Weiterhin gilt: Äußerste Vorsicht bei der Indikationsstellung zur rückenmarknahen Regionalanästhesie!

    Präoperativer Schwangerschaftstest

    Studienergebnisse bei Frauen im gebärfähigen Alter zeigen, dass mit einem präoperativen Schwangerschaftstest in etwa 0–2% der Fälle eine (unerwartete) Schwangerschaft festgestellt werden kann. Die Konsequenzen waren dann in allen Fällen gleich: Bei Elektiveingriffen wurde die Operation verschoben, Notfalleingriffe wurden durchgeführt.

    Die Amerikanische Anästhesiegesellschaft kommt derzeit zu folgender Einschätzung:

    Die Literatur lässt momentan keine sichere Auskunft zu, ob Anästhesie einen schädigenden Einfluss auf die Frühschwangerschaft besitzt oder nicht. Ein Schwangerschaftstest kann Frauen im gebärfähigen Alter angeboten werden, wenn ein positives Testresultat das weitere Vorgehen verändern würde.

    Der Test selbst erfolgt möglichst kurz vor dem Eingriff durch Bestimmung von humanem Choriongonadotropin (HCG) im Serum oder im Urin, wobei der Serumwert etwas sensitiver ist. Die DGAI-Empfehlung 2017 nimmt hierzu nicht Stellung.

    Präoperative Laboranalyse

    Vorschlag zum praktischen Vorgehen:

    Patienten mit leerer Anamnese und unauffälligem Untersuchungsbefund vor Niedrigrisikoeingriffen: keine Laboranalyse

    In allen anderen Fällen: »Basislabor« mit Hb, Leukozyten, Thrombozyten, Kalium, Kreatinin, Bilirubin, ALAT (= GPT), y-GT, Blutzucker, Quickwert (oder INR) und PTT

    Weitere Laborwerte bedürfen der speziellen Indikationsstellung

    Bei bisher ungeklärter positiver Blutungsanamnese hämostaseologische Abklärung in Absprache mit dem Operateur

    Dieses Vorgehen ist recht einfach; der präoperative Hämoglobinwert dient als Ausgangswert bei perioperativen Blutverlusten sowie als Planungsgrundlage für die Bereitstellung von Erythrozytenkonzentraten bzw. zur Einleitung von Maßnahmen zum »Patient Blood Management«.

    1.5.2 Elektrokardiogramm

    Entsprechend der DGAI-Empfehlung 2017 ist ein präoperatives 12-Kanal-EKG indiziert

    vor Operationen mit hohem oder mittlerem kardialen Risiko, sofern der Patient mindestens einen kardialen Risikofaktor nach Lee et al. (Herzinsuffizienz, KHK, zerebrovaskuläre Insuffizienz, insulinpflichtiger Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz, s.o.) aufweist,

    bei Patienten mit kardialen Symptomen wie Herzrhythmusstörungen, Luftnot u. a.

    bei Patienten mit implantiertem Kardioverter/Defibrillator (ICD).

    Hingegen ist bei Patienten mit einem Herzschrittmacher kein präoperatives EKG erforderlich, wenn sich der Patient in regelmäßiger Schrittmacherkontrolle befindet und kardial beschwerdefrei ist. Außerdem gilt:

    Ein EKG ist bei anamnestisch unauffälligen und kardial asymptomatischen Patienten – unabhängig vom Alter – nicht zwingend erforderlich.

    Die DGAI-Empfehlungen 2017 zum EKG sind in Abb. 1.1 zusammengefasst.

    A978-3-662-54568-3_1_Fig1_HTML.jpg

    Abb. 1.1

    DGAI-Empfehlung 2017 zur präoperativen Durchführung eines 12-Kanal-EKG. (Mod. nach DGAI-Empfehlung 2017)

    In der klinischen Praxis sind einfache und verlässliche Absprachen zur präoperativen EKG-Diagnostik aus organisatorischen Gründen essenziell. Hinzu kommt, dass eine präoperative EKG-Aufzeichnung für den Patienten keine Gefährdung darstellt; außerdem kann das präoperative EKG als Ausgangsbefund für die Beurteilung postoperativer Veränderungen dienen. Folgendes Vorgehen erscheint praktikabel:

    Präoperatives 12-Kanal-EKG

    Vorschlag zum praktischen Vorgehen:

    Vor allen herz-, thorax- und gefäßchirurgischen Operationen (Ausnahme: kleine Venenchirurgie)

    Vor allen kardiologischen Interventionen mit Anästhesie

    Bei allen Patienten mit kardialen Beschwerden oder kardialen Risikofaktoren

    Bei allen Patienten mit ICD oder Herzschrittmacher

    Bei allen Männern und Frauen ab dem 65. Lebensjahr

    Wiederholungs-EKG

    Ein Wiederholungs-EKG wird empfohlen, wenn sich der Gesundheitszustand des Patienten gegenüber dem Vorbefund geändert hat, z. B. bei neuen Beschwerden oder nach Beginn bzw. Umstellung einer antiarrhythmischen Therapie. Ansonsten sollte ein neues EKG angefertigt werden, wenn der Vorbefund älter als 6 Monate ist.

    Wer wertet das EKG aus?

    Die EKG-Beurteilung gehört zum Inhalt der Facharztweiterbildung »Anästhesiologie«, sodass der Anästhesist – wenn er ein EKG anordnet – auch primär für dessen Beurteilung zuständig ist. In schwierigen Fällen kann ein Kardiologe hinzugezogen werden.

    1.5.3 Thoraxröntgenbild

    Eine präoperative Thoraxröntgenaufnahme ist heute aus Strahlenschutz- und Kostengründen nur noch bei speziellen Fragestellungen gerechtfertigt, z. B. wenn ein Pleuraerguss, eine Atelektase oder eine Pneumonie vermutet werden. In Sonderfällen kann eine Thoraxröntgenaufnahme auch aus anderen Gründen indiziert sein, z. B. zur Abschätzung einer Trachealverlagerung bei Struma. Eine bestimmte Altersgrenze als alleinige Begründung zur präoperativen Thoraxröntgenaufnahme ist heute nicht mehr gerechtfertigt. Die DGAI-Empfehlung 2017 urteilt folgendermaßen (Abb. 1.2):

    A978-3-662-54568-3_1_Fig2_HTML.jpg

    Abb. 1.2

    DGAI-Empfehlung 2017 zur präoperativen Durchführung einer Thoraxröntgenaufnahme. (Mod. nach DGAI-Empfehlung 2017)

    Bei symptomfreien Patienten und unauffälligem Untersuchungsbefund ist ein Routine-Thoraxröntgenbild unabhängig vom Alter nicht erforderlich.

    Wird eine Thoraxröntgenaufnahme angefertigt, dann ist häufig eine Aufnahme im posterior-anterioren Strahlengang (»p.a.-Aufnahme«) ausreichend; die seitliche Röntgenaufnahme wird nur dann durchgeführt, wenn sie zur Befundung zusätzlich erforderlich ist. Wird bei dem Patienten präoperativ eine Computer- oder Kernspintomographie durchgeführt, dann kann in den meisten Fällen auf eine konventionelle Röntgenaufnahme verzichtet werden.

    1.5.4 Lungenfunktionsprüfung

    Früher wurde der Lungenfunktionsprüfung (»Spirometrie«) große Bedeutung zugemessen. Heute weiß man, dass ihr alleiniger Vorhersagewert gering ist, weil Patienten mit erhöhtem pulmonalen Risiko durch Anamnese und körperliche Untersuchung ausreichend gut identifiziert werden können. Die DGAI-Empfehlung 2017 fasst unter dem Begriff »Lungenfunktionsprüfung« folgende Untersuchung zusammen:

    pulsoxymetrische Messung der Sauerstoffsättigung,

    Spirometrie bzw. Spiroergometrie,

    Body-Plethysmographie sowie

    arterielle Blutgasanalyse.

    Gemäß DGAI-Empfehlung 2017 ist eine präoperative Untersuchung der Lungenfunktion bei nicht herz-thorax-chirurgischen Patienten nur selten erforderlich, meist bei Patienten mit einer neu aufgetretenen pulmonalen Erkrankung, also z. B. Pleuraerguss, Atelektase oder Pneumonie. Zudem sollte eine präoperative Untersuchung der Lungenfunktion erwogen werden, wenn eine große Oberbauchoperation geplant ist.

    Zur präoperativen Risikoeinschätzung vor thoraxchirurgischen Eingriffen Kap. 54.

    Präoperative Lungenfunktionsdiagnostik

    Vorschlag zum praktischen Vorgehen:

    Vor allen lungenresezierenden Eingriffen – die Lungenfunktionsdiagnostik wird vom Operateur für die OP-Planung herangezogen

    Vor allen großen Oberbauchoperationen, z. B. Ösophagusresektion, Whipple-OP, großer Magen- und Leberchirurgie u. a.

    Bei Patienten mit einer neu aufgetretenen pulmonalen Erkrankung zur Einschätzung des Schweregrads oder zur Therapiekontrolle

    Sehr selten bei ausgeprägter Thorax- oder Wirbelsäulendeformität oder bei verschiedenen Lungenerkrankungen (schwere Silikose, Mukoviszidose usw.) als Ergänzung zur klinischen Einschätzung

    Die Auswahl des geeigneten Verfahrens (Pulsoxymetrie, Spirometrie oder arterielle Blutgasanalyse) erfolgt individuell

    1.5.5 Sonographie der arteriellen Halsgefäße

    Wird bei der körperlichen Untersuchung ein Strömungsgeräusch über der A. carotis auskultiert, so muss man wissen, dass Lautstärke des Strömungsgeräuschs und Schweregrad der Stenose nicht miteinander korrelieren. Wird nun bei einem Patienten erstmalig ein Strömungsgeräusch diagnostiziert, so orientiert sich das weitere Vorgehen an der Klinik:

    Ist der Patient bisher beschwerdefrei, so sollte dem Patienten empfohlen werden, dies ggf. durch den Hausarzt untersuchen zu lassen.

    Gibt der Patient allerdings in den letzten 6 Monaten Symptome wie Schwindel, Sehstörungen o. ä. an, dann sollte präoperativ eine entsprechende Diagnostik der arteriellen Halsgefäße erfolgen.

    Wird dabei eine therapiebedürftige Stenose festgestellt, dann erfolgt dieselbe Behandlung, wie sie auch ohne die geplante Operation erfolgen würde.

    Zudem kann – völlig unabhängig von Beschwerden oder Auskultationsbefund – eine präoperative Diagnostik der Halsgefäße erwogen werden bei Patienten vor großen arteriellen Gefäßeingriffen, vor Eingriffen im Kopf-Hals-Bereich oder in sitzender Position.

    Hat der Patient bereits eine TIA oder einen Schlaganfall erlitten oder wurde eine Operation bzw. Intervention im Bereich der Hals- oder Gehirngefäße durchgeführt, so empfiehlt die DGAI 2017:

    Nach TIA oder Schlaganfall 6 Monate Mindestabstand bis zu einer Elektivoperation,

    bei dualer Thrombozytenaggregationshemmung sollte diese – je nach operativem Blutungsrisiko – möglichst weitergeführt werden. Ansonsten gelten die Wartezeiten wie bei kardialen Stents (Abschn. 3.​12).

    Im Einzelfall sollte eine Absprache mit einem Neurologen oder Neuroradiologen erfolgen.

    1.5.6 Echokardiographie

    Mithilfe der Echokardiographie können Pumpfunktionsstörungen und Klappenvitien diagnostiziert werden. Gemäß DGAI-Empfehlung 2017 ist eine präoperative Echokardiographie in folgenden Situationen gerechtfertigt:

    bei Patienten mit neu aufgetretener Dyspnoe unklarer Ursache,

    bei Patienten mit bekannter Herzinsuffizienz und Verschlechterung der Symptomatik innerhalb der letzten 12 Monate,

    Sind die Diagnosen »Herzinsuffizienz«, »stabile KHK« oder »Pumpfunktionsstörung« bereits gesichert, bietet die erneute Echokardiographie keinen zusätzlichen Informationsgewinn.

    Was tun bei einem erstmals entdeckten oder bisher nicht abgeklärten Herzgeräusch?

    In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass bei Patienten mit normaler Belastbarkeit im Alltag präoperativ erstmals ein Herzgeräusch entdeckt wird oder ein Herzgeräusch zwar bekannt war, aber bisher nicht abgeklärt wurde. Die DGAI empfiehlt hier ein Vorgehen, das sich an dem kardialen Eingriffsrisiko (Tab. 1.1) orientiert:

    Ist ein Eingriff mit einem hohen oder mittleren kardialen Risiko geplant, sollte vorher eine echokardiographische Abklärung erwogen werden.

    Bei Eingriffen mit einem niedrigen kardialen Risiko kann vermutlich darauf verzichtet werden. Dann sollte dem Patienten empfohlen werden, dies durch den Hausarzt abklären zu lassen.

    Inzwischen verfügen einige anästhesiologische Abteilungen über sehr gute Kenntnisse der perioperativen Echokardiographie und auch über entsprechend gute Ultraschallgeräte. Daher ist es aus Sicht des Autors durchaus statthaft, dass Anästhesisten mit ausgewiesenen Kenntnissen der Echokardiographie, z. B. dokumentiert durch das DGAI-TEE-Zertifikat, eine transthorakale echokardiographische Ersteinschätzung vornehmen, um z. B. eine hochgradige Aortenklappenstenose oder Mitralklappeninsuffizienz festzustellen oder auszuschließen. Wird ein relevanter Befund festgestellt, gehört das weitere »work-up« in die Hände der kardiologischen Fachabteilung. So können viele Auskultationsbefunde »großzügig« und noch zeitnah vor der Operation auf ihre Relevanz abgeklärt und die Ressourcen der kardiologischen Fachabteilung geschont werden. Das Vorgehen sollte zwischen den Krankenhausabteilungen für Anästhesiologie und Kardiologie so abgestimmt sein. Zudem muss dem Anästhesisten klar sein, dass an Qualität und Belastbarkeit seiner Aussage hohe Anforderungen gestellt werden und auch eine adäquate Bild- und Befunddokumentation erforderlich ist.

    1.5.7 Erweiterte kardiale Diagnostik

    In seltenen Fällen ist eine differenzierte kardiologische Abklärung bei Patienten mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sinnvoll, z. B. mit folgenden Untersuchungen:

    Transthorakale (TTE) und transösophageale Echokardiographie (TEE);

    zur Ischämiediagnostik ein Belastungs-EKG oder alternativ eine Dobutamin-Stress-Echokardiographie oder eine Adenosin-Myokardszintigraphie; hierbei richtet sich das Vorgehen nach der körperlichen Belastbarkeit des Patienten und nach Kenntnisstand bzw. Methodenverfügbarkeit vor Ort;

    Koronarangiographie bei auffälliger Ischämiediagnostik, ggf. mit Koronarintervention (»percutaneous coronary intervention«, PCI).

    Da eine differenzierte kardiologische Diagnostik, ggf. mit Intervention, präoperativ aufwändig, kostenintensiv und ggf. auch risikobehaftet ist und zudem der Nutzen wissenschaftlich nicht eindeutig belegt ist, sollte die Indikation streng gestellt werden. Die DGAI-Empfehlung 2017 urteilt:

    Bei einer akut symptomatischen Herzerkrankung soll eine kardiologische Abklärung durchgeführt werden (Tab. 1.3). Elektivoperationen werden solange verschoben, bei dringlichen oder Notfalleingriffen erfolgt eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung.

    Tab. 1.3

    Akute symptomatische Herzerkrankungen, bei denen präoperativ eine kardiologische Abklärung und Therapie durchgeführt werden sollte. Elektivoperationen werden meist verschoben, bei dringlichen oder Notfalleingriffen erfolgt eine individuelle Nutzen-Risiko-Abwägung. (Mod. nach DGAI-Empfehlung 2017)

    AV atrioventrikulär, KÖF Klappenöffnungsfläche

    Ansonsten gilt für alle Patienten, die sich einer Elektivoperation unterziehen müssen und keine akut symptomatische Herzerkrankung aufweisen:

    Eine kardiologische Abklärung erscheint sinnvoll bei Patienten mit mindestens 3 kardialen Risikofaktoren und eingeschränkter Belastbarkeit (<4 MET) vor einer Hochrisikooperation.

    Eine kardiologische Abklärung kann erwogen werden bei Patienten mit 1–2 kardialen Risikofaktoren und eingeschränkter Belastbarkeit (<4 MET) vor einer Operation mit hohem oder mittlerem kardialen Risiko.

    Eine kardiologische Abklärung ist nicht erforderlich vor Operationen mit geringem kardialen Risiko, auch nicht, wenn bei dem Patienten kardiale Risikofaktoren vorliegen.

    Wird nun eine KHK festgestellt, dann erfolgt dieselbe medikamentöse und ggf. interventionelle Behandlung, wie sie auch ohne die geplante Operation erfolgen würde. Für die perioperative anästhesiologische Betreuung können sich daraus u. a. folgende Konsequenzen ergeben: erweitertes (invasives) hämodynamisches Monitoring, etwas höhere Hb-Schwellenwerte, ab denen eine Transfusion durchgeführt wird, postoperative Überwachung auf einer IMC- oder Intensivstation.

    Ob eine präoperative Koronarangiographie, ggf. mit PCI, wirklich das perioperative Outcome verbessert oder ob ggf. Patienten mit mehreren kardialen Risikofaktoren oder vor Gefäßoperationen doch von einer Routine-Koronarangiographie profitieren, ist momentan unklar.

    1.6 ASA-Risikogruppen

    Nach Anamnese, körperlicher Untersuchung und ggf. weiteren Zusatzuntersuchungen führt der Anästhesist eine abschließende Risikoeinstufung des Patienten durch, wozu am häufigsten das Schema der American Society of Anesthesiologists (ASA) verwendet wird (Tab. 1.4).

    Tab. 1.4

    ASA-Risikogruppen (modifiziert nach ASA 2014 und Irlbeck et al. 2017)

    BAA Bauchaortenaneurysma, BMI Body Mass Index, EF Ejektionsfraktion, ICP intrakranieller Druck, TIA transitorisch ischämische Attacke

    Das perioperative Risiko steigt parallel zur ASA-Klassifizierung an und kann, basierend auf einer Untersuchung des American College of Surgeons National Surgical Quality Improvement Program (ACS NSQIP) zur 30-Tage-Letalität, in folgenden Relativzahlen ausgedrückt werden (Hackett et al. 2015):

    ASA 1 mit Letalität = 1,

    ASA 2 mit Letalität = 6,

    ASA 3 mit Letalität = 47,

    ASA 4 mit Letalität = 293,

    ASA 5 mit Letalität = 2.012.

    Neben der ASA-Klassifikation scheint auch noch zusätzlich die funktionelle Leistungsfähigkeit des Patienten, also die Fähigkeit, selbstständig an Aktivitäten des täglichen Lebens teilnehmen zu können oder nicht, die perioperative Letalität wesentlich zu beeinflussen. So ist das perioperative Risiko bei funktionell eingeschränkten Patienten (also denjenigen, die im täglichen Leben teilweise oder ständig auf fremde Hilfe angewiesen sind), deutlich erhöht: bei ASA 2 etwa um den Faktor 7, bei ASA 3 etwa um den Faktor 3 und bei ASA 4 um den Faktor 2. Zu weiteren Details: Kap. 4.

    1.7 Praktische Aufklärung für die Anästhesie

    Im Rahmen der anästhesiologischen Visite erfolgt auch die Aufklärung des Patienten.

    Aus Erfahrung und nach persönlicher Meinung des Autors sollten dem Patienten bei der Aufklärung folgende Hinweise gegeben bzw. der Patient auf folgende Risiken hingewiesen werden. Außerdem erscheint es empfehlenswert, folgende »Kernbegriffe« handschriftlich auf dem Aufklärungsbogen zu vermerken:

    Bei allen Anästhesieformen: Risiko- und Alternativaufklärung², Nüchternheit, Aspiration, ggf. Rauchverbot; Prämedikation, Bettruhe; Herz-Kreislauf-Stillstand, Allergien, Lagerungsschaden;

    Bei Allgemeinanästhesie: Heiserkeit, Halsschmerzen, Schäden an Mund, Nase, Zähnen und Stimmorgan, besonderer Hinweis bei »Stimmberufen«;

    Bei rückenmarknaher Regionalanästhesie (Spinal-/Periduralanästhesie):Blutung, Infektion; Kopf-, Rückenschmerzen; Nervenschäden, (bleibende) Lähmung, Querschnittlähmung, Hirnblutung; vorübergehende »Blasenlähmung« mit Blasenkatheter, Nicht-/Teilgelingen, dann Allgemeinanästhesie; erstes Aufstehen nur mit Hilfe wegen Sturzgefahr;

    Bei peripherer Regionalanästhesie: Blutung, Infektion; Nervenschaden, (bleibende) Lähmung; Nicht-/Teilgelingen, dann Analgosedierung oder Allgemeinanästhesie; erstes Aufstehen nur mit Hilfe wegen Sturzgefahr;

    Bei invasiven Maßnahmen (arterielle Kanüle, zentralvenöser Katheter, Blasenkatheter, Magensonde, Pulmonalarterienkatheter etc.): Blutung, Infektion; Durchblutungsstörung, Nekrose; Nervenschäden, Lähmungen; Schäden an Lunge oder Herz, ggf. Operation erforderlich;

    Bluttransfusion³: HIV/Aids, Hepatitis, andere Infektionen, Unverträglichkeit, Schock;

    Bei bestimmten Lagerungen⁴³: Sehverlust (Beach-chair-Lagerung und Bauchlage), Luftembolie mit Lebensgefahr (sitzende Position).

    Zu den Details aus medizinjuristischer Sicht: Kap. 62.

    Fallbeispiel Teil 2

    Da bekannt ist, dass mit zunehmendem Alter auch mehr kardiale Erkrankungen auftreten, hatte man sich im Krankenhaus geeinigt, bei allen Patienten ab 65 Jahren ein 12-Kanal-EKG zu schreiben, was die MFA schon erledigt hatte. Der Anästhesist befundet: »Sinusrhythmus, 63/min, Linkstyp, keine Erregungsrückbildungsstörungen, im langen Streifen 1 ventrikuläre Extrasystole.« Aufgrund des Auskultationsbefunds vermutet der Anästhesist eine Sklerosierung oder Stenose der Aortenklappe. Die aktuellen DGAI-Empfehlungen lauten hierzu (nahezu wortwörtlich): »Derzeit erscheint es sinnvoll, vor Eingriffen mit einem mittleren oder hohen Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen bei Patienten mit nicht (vor-)bekannten oder bislang nicht abgeklärten Herzgeräuschen auch bei normaler Belastbarkeit eine Echokardiographie zu erwägen.« Da es sich bei der TUR-P um einen endoskopischen Eingriff mit niedrigem kardialen Risiko handelt, wäre eine Echokardiographie nicht erforderlich. Der Patient berichtet auf Nachfrage, dass bereits vor einem Jahr ein »Herzecho« durchgeführt worden sei. Die MFA lässt sich den Befund vom Hausarzt faxen: »Aortenklappensklerose mit geringgradiger Aortenklappenstenose, ansonsten im Wesentlichen unauffällig«. Da keine Beschwerden vorliegen, kann auf eine Wiederholung der Echokardiographie verzichtet werden. Eine Thoraxröntgenaufnahme oder eine weitergehende Lungenfunktionsprüfung sind nach DGAI-Empfehlung nicht indiziert. Der Anästhesist erklärt dem Patienten die verschiedenen möglichen Anästhesieverfahren. Der Patient entscheidet sich für eine Spinalanästhesie, sodass der Anästhesist auch noch den Rücken untersucht und eine Gerinnungsanamnese durchführt – beides ist unauffällig. Nach der Risikoaufklärung unterschreibt der Patient die Einwilligungserklärung.

    Anmerkung: Der Autor der Buchkapitel 1 und 2 im vorliegenden Lehrbuch ist gleichzeitig Mitautor der Buchkapitel »Anästhesiologische Visite« und »Medikamentöse Prämedikation«, die im Lehrbuch »DIE ANÄSTHESIOLOGIE« (Hrsg. Rossaint R, Werner C, Zwißler B), 4. Aufl., Springer-Verlag, erscheinen. Da sich diese Buchkapitel mit gleichen Inhalten beschäftigen, liegt es in der Natur der Sache, dass sich die Kapitel inhaltlich und in Textteilen überschneiden.

    Literatur

    American Society of Anesthesiologists Task Force on Preanesthesia Evaluation (2012) Practice advisory for preanesthesia evaluation: an updated report. Anesthesiology 116: 522–538

    American Society of Anesthesiologists (2014) ASA Physical Status Classification System. www.​asahq.​org/​resources/​clinical-information/​asa-physical-status-classification- system. Zugriff 02.04.2017

    Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) (2017) Präoperative Evaluation erwachsener Patienten vor elektiven, nicht Herz-Thorax-chirurgischen Eingriffen. Gemeinsame Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie und der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin. Anaesthesist 66: 442–458

    Hackett NJ, De Oliveira GS, Jain UK, Kim JY (2015) ASA class is a reliable independent predictor of medical complications and mortality following surgery. Int J Surg 18:184–190

    Irlbeck T, Zwißler B, Bauer A (2017) ASA-Klassifikation: Wandel im Laufe der Zeit und Darstellung in der Literatur. Anaesthesist 66: 5–10

    Kristensen SD, Knuuti J, Saraste A et al (2014) ESC/ESA Guidelines on non-cardiac surgery: cardiovascular assessment and management. The Joint Task Force on non-cardiac surgery: cardiovascular assessment and management of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Society of Anaesthesiology (ESA). Eur Heart J 35: 2383–2431

    Lee TH, Marcantonio ER, Mangione CM et al (1999) Derivation and prospective validation of a simple index for prediction of cardiac risk of major noncardiac surgery. Circulation 100: 1043–1048

    Strauß J, Becke K, Schmidt J (2006) Gerinnungsstörungen – auf die Anamnese kommt es an. Dtsch Ärztebl 103: A1948

    Visnjevac O, Davari-Farid S, Lee J et al (2015) The effect of adding functional classification to ASA status for predicting 30-day mortality. Anesth Analg 121: 110–116

    Wappler F (2016) Präoperative Evaluation des kardiopulmonalen Risikopatienten.Anästh Intensivmed 57: 258-273

    Internetlinks

    www.​dgai.​de:​ Homepage der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI). Unter »Publikationen« findet man eine Vielzahl von Leitlinien und Empfehlungen

    www.​oegari.​at:​ Homepage der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI). Unter »Bereiche« findet man u. a. die »ARGE Perioperative Gerinnung« und die »ARGE Präoperatives Patientenmanagement«. Dort sind mehrere aktuelle und sehr gut geschriebene Empfehlungen zu den genannten Themen verfügbar

    Fußnoten

    1

    Zudem haben der Wissenschaftliche Arbeitskreis Kinderanästhesie der DGAI (Literatur, Strauß et al. 2006) und die Österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (Internetlinks) Empfehlungen und Fragebögen zur Anamnese von Gerinnungsstörungen erarbeitet.

    2

    Zur Erklärung: Der Patient muss bspw. für eine Knie-OP auf die beiden Möglichkeiten »Allgemeinanästhesie« und »Spinalanästhesie« hingewiesen werden. Die Entscheidung erfolgt dann nach Bewertung von Anamnese und Untersuchungsbefund und – sofern dann noch die Wahl bleibt – dem Wunsch des Patienten.

    3

    Die Aufklärung hierzu ist primär die Aufgabe des Operateurs, sollte aber auch durch den Anästhesisten erfolgen.

    4

    Die Aufklärung hierzu ist primär die Aufgabe des Operateurs, sollte aber auch durch den Anästhesisten erfolgen.

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017

    Wolfram Wilhelm (Hrsg.)Praxis der Anästhesiologiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-54568-3_2

    2. Prämedikation und Nüchternheit

    Wolfram Wilhelm¹

    (1)

    Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, RTH Christoph 8, Klinikum Lünen – St.-Marien-Hospital, Lünen, Deutschland

    2.1 Medikamentöse Prämedikation

    2.2 Nüchternzeiten

    Literatur

    Fallbeispiel Teil 1

    Bei einem 67-jährigen, deutlich übergewichtigen Patienten soll am nächsten Tag eine laparoskopische Fundoplicatio durchgeführt werden. Der Patient wiegt 121 kg bei einer Köpergröße von 178 cm und gibt als Vorerkrankungen – neben dem starken Sodbrennen – einen arteriellen Bluthochdruck und ein Schlafapnoesyndrom an, weswegen er zuhause ein CPAP-Gerät verwendet. Die Anästhesistin überlegt nun bei der präoperativen Visite, wie sie diesen Patienten prämedizieren soll.

    2.1 Medikamentöse Prämedikation

    Hauptziel der medikamentösen Prämedikation ist heute die Anxiolyse: Der Patient soll möglichst angstfrei in den OP kommen und die ersten Maßnahmen tolerieren. Zudem kann die Prämedikation ggf. den präoperativen Nachtschlaf verbessern. Ein präoperativ stark sedierter Patient ist heute meist unerwünscht, zudem müssen eine Reihe relevanter Nebenwirkungen und Kontraindikationen beachtet werden.

    Durch eine gute und empathische Gesprächsführung können Anästhesist und Pflegepersonal die Angst des Patienten vor Operation und Narkose erheblich mindern¹. Dies betrifft sowohl die Erklärungen in der Prämedikationsambulanz als auch die Zeitphase im OP bis zur Anästhesieeinleitung.

    Aktuelle Untersuchungen und die klinische Erfahrung lassen vermuten, dass der Nutzen der medikamentösen Prämedikation überschätzt wird. So konnte aktuell gezeigt werden, dass Lorazepam 2,5 mg p.o. nicht die Patientenzufriedenheit und kaum das individuelle Angstbefinden verbessert, dafür aber die Extubationszeiten verlängert, die kognitive Erholung verzögert und in einem deutlich höheren Maße zu perioperativer Amnesie führt. Zudem ist von ambulanten Patienten bekannt, dass diese meist sehr gut ohne eine Prämedikation auskommen. Daher ist es heute sicherlich akzeptabel, wenn auch bei stationären Patienten die medikamentöse Prämedikation sehr zurückhaltend und niedrig dosiert verordnet oder im Zweifelsfall ganz auf sie verzichtet wird.

    Medikamentöse Prämedikation

    Ohne vorherige Visite darf keine Prämedikation verordnet werden. Eine Dosisreduktion oder ein vollständiger Verzicht auf die Prämedikation ist sinnvoll:

    bei geriatrischen oder schwerkranken Patienten,

    bei bestimmten Vorerkrankungen, insbesondere, wenn Bewusstsein, Atmung oder Muskelkraft beeinträchtigt sind,

    bei gleichzeitiger Dauermedikation mit anderen Sedativa oder Analgetika.

    Auswahl der verwendeten Substanzen

    In der Vergangenheit wurden nahezu alle Medikamente mit sedierenden Eigenschaften auch zur Prämedikation eingesetzt, u. a. Barbiturate, Benzodiazepine und Neuroleptika, aber auch Histamin-1(H1)-Rezeptorantagonisten, Opioide oder α2-Agonisten. Im klinischen Alltag sollte man sich aber – v. a. aus Sicherheitsgründen – auf einige wenige Substanzen beschränken, um die Prämedikationsverordnung für Stationsarzt, Stationspflegepersonal etc. möglichst plausibel und nachvollziehbar zu gestalten.

    Applikationsweg

    Die Prämedikation erfolgt heute in der Regel oral, d. h. die Patienten können die verordneten Medikamente mit etwas klarer Flüssigkeit einnehmen. Danach sollte Bettruhe eingehalten werden. Um eine Prämedikationswirkung sicherzustellen, müssen die Medikamente am Operationstag rechtzeitig eingenommen werden: Midazolam etwa 30–60 min, andere Substanzen etwa 1–2 h vor Beginn der Narkoseeinleitung.

    Soll der Patient eine Prämedikation erhalten, dann gibt es nur wenige Gründe, die gegen eine orale Zufuhr sprechen, z. B. Notfallsituationen oder Ileus bzw. Stenosen im Bereich des Magen-Darm-Trakts. Dagegen ist die früher übliche intramuskuläre Prämedikation heute nicht mehr zeitgemäß und sollte dem absoluten Ausnahmefall vorbehalten bleiben. Ist eine orale Prämedikation nicht möglich (Notfall, Ileus) oder nicht sinnvoll (kurze, ambulante Operation), so kann man entweder darauf verzichten oder z. B. im Anästhesieeinleitungsraum 1–2 mg Midazolam intravenös geben.

    Nach i.v.-Prämedikation müssen die Patienten kontinuierlich überwacht werden! Besondere Vorsicht gilt bei der Kombination mit einem Opioidanalgetikum.

    2.1.1 Benzodiazepine

    Benzodiazepine sind die heute zur Prämedikation am häufigsten eingesetzten Pharmaka. Sie wirken sedierend und teilweise anxiolytisch, sollen den Nachtschlaf fördern und besitzen von allen zur Prämedikation verwendeten Medikamenten die größte therapeutische Breite. Nach ihrer Eliminationshalbwertszeit werden die Benzodiazepine in kurz, mittellang oder lang wirkende Substanzen eingeteilt (Tab. 2.1). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass gerade beim Abbau von Diazepam und Dikaliumclorazepat weitere langwirkende Hauptmetaboliten entstehen, sodass deren Wirkdauer bei der Gesamtbetrachtung mitberücksichtigt werden muss.

    Tab. 2.1

    Benzodiazepine zur Prämedikation: Einteilung anhand der Eliminationshalbwertszeiten der Muttersubstanz bzw. des Hauptmetaboliten. Klinisch übliche Dosierung der oralen Einzeldosis beim Erwachsenen. Die o. g. Kontraindikationen müssen beachtet werden

    a Diese Substanzen sind explizit zur Prämedikation vor diagnostischen und operativen Eingriffen zugelassen.

    b Beim Abbau von Diazepam entsteht neben Oxazepam und Temazepam auch der pharmakologisch aktive Metabolit N-Desmethyldiazepam, dessen Eliminationshalbwertszeit mit bis zu 100 h angegeben wird.

    c Dies ist die klinisch relevante Eliminationshalbwertszeit des Hauptmetaboliten N-Desmethyldiazepam.

    d Nur mit Betäubungsmittelrezept erhältlich.

    Diazepam

    Diazepam (z. B. Valium) wird nach Tabletteneinnahme fast vollständig resorbiert. Die Bioverfügbarkeit liegt bei etwa 80%, nach 30–90 min werden maximale Plasmakonzentrationen erreicht. Die Einzeldosis zur Prämedikation von ansonsten gesunden Erwachsenen beträgt 5–10 mg Diazepam p.o. Diazepam wird dann in der Leber zu N-Desmethyldiazepam (= Nordiazepam oder Nordazepam), Temazepam und Oxazepam abgebaut, diese Abbauprodukte sind alle pharmakologisch aktiv. Die Eliminationshalbwertszeit von Diazepam beträgt bis zu 48 h, die von N-Desmethyldiazepam bis zu 100 h. Die Abbauprodukte Temazepam (z. B. Planum) und Oxazepam, die auch als »eigenständige« Benzodiazepine erhältlich sind, werden dann an Glukuronsäure gebunden (»glukuronidiert«), dadurch wasserlöslich und mit dem Urin ausgeschieden. Die Eliminationshalbwertszeit ist bei älteren Patienten und bei Patienten mit Lebererkrankung verlängert. Sehr stark vereinfachend gilt: Die klinische Wirkdauer von Diazepam beträgt beim 20-Jährigen 20 h und beim 80-Jährigen 80 h. Zu den Abbauwegen der wichtigsten Benzodiazepine: Abb. 2.1.

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    Abb. 2.1

    Benzodiazepinmetabolismus. * Nordazepam wird auch als Nordiazepam oder als N-Desmethyldiazepam bezeichnet und hat eine HWZ von 100 h und mehr!

    Dikaliumclorazepat

    Dikaliumclorazepat (z. B. Tranxilium) ist explizit zur Prämedikation vor diagnostischen und operativen Eingriffen zugelassen, besitzt aber einige Nachteile: Dikaliumclorazepat ist eigentlich ein »Pro-Drug«, da es nach oraler Einnahme im Magen-Darm-Trakt weitgehend in die hauptsächliche Wirksubstanz N-Desmethyldiazepam umgewandelt wird. Die empfohlene Einzeldosis zur Prämedikation von ansonsten gesunden Erwachsenen wird mit 20–50 mg Dikaliumclorazepat angegeben. Wie oben bereits dargestellt beträgt die Eliminationshalbwertszeit der eigentlichen Wirksubstanz N-Desmethyldiazepam bis zu 100 h, sodass nach Dikaliumclorazepatgabe von einer besonders langen Wirkdauer ausgegangen werden muss. Der Abbau erfolgt dann in der Leber zu Oxazepam, was wiederum glukuronidiert und dann über die Niere ausgeschieden wird.

    Oxazepam

    Oxazepam ist eigentlich ein Abbauprodukt von Diazepam und besitzt den großen Vorteil, dass es keine eigenen aktiven langwirkenden Metaboliten besitzt, sondern lediglich glukuronidiert und über die Niere ausgeschieden wird. Damit wird der Abbau von Oxazepam auch nicht durch hohes Alter oder Leberinsuffizienz wesentlich verzögert². Die Einzeldosis zur Prämedikation von ansonsten gesunden Erwachsenen beträgt 5–10 mg Oxazepam p.o.

    Lorazepam

    Lorazepam (z. B. Tavor) ist explizit zur Sedierung vor diagnostischen und operativen Eingriffen zugelassen, die Einzeldosis zur Prämedikation von ansonsten gesunden Erwachsenen beträgt 1–2,5 mg p.o. Erhältlich ist Lorazepam als Tablette oder als lyophilisiertes Pulverplättchen (»Expidet«), das sofort im Mundraum zergeht, aber nicht teilbar ist. Lorazepam wird nach oraler Gabe rasch und nahezu vollständig resorbiert, maximale Plasmaspiegel werden nach 1–2 h erreicht. Auch Lorazepam besitzt den Vorteil, dass es keine eigenen aktiven langwirkenden Metaboliten besitzt, sondern lediglich glukuronidiert und über die Niere ausgeschieden wird.

    Midazolam

    Midazolam (z. B. Dormicum) ist ebenfalls explizit zur Sedierung vor diagnostischen und operativen Eingriffen zugelassen, die Einzeldosis zur Prämedikation von ansonsten gesunden Erwachsenen wird mit 7,5(–15) mg p.o. angegeben. Ältere und geschwächte Patienten sowie Patienten mit Adipositas oder hirnorganischen Veränderungen, Herzinsuffizienz, Ateminsuffizienz, Niereninsuffizienz, Leberinsuffizienz und auch Intensivpatienten weisen eine (deutlich) höhere Empfindlichkeit auf, sodass Midazolam in diesen Fällen sehr vorsichtig angewandt werden sollte; die Dosierung beträgt dann – wenn überhaupt – nur 3,75 mg. Midazolam wird nach oraler Einnahme schnell und vollständig resorbiert, unterliegt dann aber einem ausgeprägten First-Pass-Effekt³, sodass die Bioverfügbarkeit nur 30–50% beträgt. Maximale Plasmaspiegel werden nach 1 h beobachtet, weshalb Midazolam 30–60 min vor der Maßnahme eingenommen werden sollte. Bei gesunden Probanden wird die Eliminationshalbwertszeit mit 1,5–2,5 h angegeben. Allerdings gibt es bei Midazolam noch 2 klinisch relevante Probleme:

    Midazolam wird in der Leber nahezu ausschließlich durch die Cytochrom-P450-3A-Isoenzyme, CYP3A4 und CYP3A5, hydroxyliert, sodass starke Inhibitoren der P450-3A-Isoenzyme auch zu einer deutlich stärkeren und längeren Midazolamwirkung führen können. Sehr starke Inhibitoren dieser P450-3A-Isoenzyme sind z. B. Ketoconazol, Itraconazol, Voriconazol sowie HIV-Proteaseinhibitoren, bei denen eine Prämedikation mit Midazolam kontraindiziert ist! Mittelstarke Inhibitoren sind Fluconazol, Clarithromycin, Telithromycin, Erythromycin, Diltiazem, Verapamil, Aprepitant u. a., bei denen Midazolam zur Prämedikation nur mit äußerster Vorsicht gegeben werden sollte.

    Midazolam wird abgebaut zu dem aktiven Metaboliten α-Hydroxymidazolam, der etwa zu einem Drittel der Wirkung beiträgt, anschließend glukuronidiert und über die Niere ausgeschieden wird. Deshalb können schwere Nierenfunktionsstörungen auch zu relevanten Nebenwirkungen führen.

    Praxistipp

    Midazolam »besticht« bei ansonsten gesunden Erwachsenen durch seine rasche und kurze Wirkung. Im klinischen Alltag müssen aber meist alte und sehr kranke Patienten versorgt werden, bei denen erhebliche Nebenwirkungen auftreten können. Im Klinikum Lünen wird Midazolam daher in der Routine nur als Saft zur Prämedikation im Kindesalter verwendet (Kap. 38).

    Die für Erwachsene üblichen Benzodiazepindosierungen sind in Tab. 2.1 angegeben.

    Kontraindikationen

    Auch wenn Benzodiazepine allgemein als gut verträglich angesehen werden, müssen bei der Prämedikation folgende Kontraindikationen berücksichtigt werden:

    Schlafapnoesyndrom,

    schwere chronisch-obstruktive Atemwegserkrankungen,

    neuromuskuläre Erkrankungen, z. B. Myasthenia gravis, Muskeldystrophie etc.,

    vorbestehende Bewusstseinsstörungen.

    Auch bei gleichzeitiger Dauermedikation mit anderen Sedativa oder Analgetika ist Vorsicht geboten.

    Vorgehen in der Praxis

    Für welches Benzodiazepin man sich letztlich entscheidet, hängt auch von den Begleitumständen ab: Bei ambulanten Eingriffen wird in der Regel keine Prämedikation verabreicht, im Einzelfall werden möglichst geringe Mengen einer kurzwirksamen Substanz wie Midazolam verwendet. Ist hingegen der Operationszeitpunkt am nächsten Tag schwer vorhersehbar, kann bei stationären Patienten die morgendliche Gabe eines mittellang wirkenden Benzodiazepins, z. B. Lorazepam, Lormetazepam oder Oxazepam, sinnvoll sein.

    Praxistipp

    Im Klinikum Lünen hat sich folgendes Vorgehen bewährt:

    Ambulante Patienten erhalten keine medikamentöse Prämedikation.

    Stationäre Patienten erhalten abends meist keine Prämedikation.

    Stationäre Patienten erhalten morgens 1 mg Lorazepam oder 5–10 mg Oxazepam p.o., danach muss Bettruhe eingehalten werden!

    Alte, geschwächte oder verwirrte Patienten oder Patienten mit den o.g. Kontraindikationen erhalten keine Prämedikation.

    2.1.2 Opioide

    In der Vergangenheit waren Opioide häufig Bestandteil der Prämedikation, oft in Kombination mit einem Neuroleptikum. Eine Mischung beider Substanzen wurde meist intramuskulär injiziert. Damit sollte eine intra- und postoperative »Basisanalgesie« erreicht werden, jedoch traten – schon präoperativ – wesentliche Nebenwirkungen wie Atemdepression, Dysphorie, Übelkeit und Erbrechen sowie eine verzögerte Magenentleerung auf. Heute gilt:

    Eine generelle Prämedikation mit Opioiden ist nicht mehr zeitgemäß. Bei präoperativen Schmerzen erfolgt stattdessen eine adäquate Schmerztherapie.

    2.1.3 α2-Agonisten

    Hauptvertreter der α2-Agonisten sind die Substanzen Clonidin (z. B. Catapresan) und Dexmedetomidin (z. B. Dexdor); zur oralen Anwendung steht nur Clonidin zur Verfügung. α2-Adrenozeptoragonisten wirken sedierend und analgetisch, können den Narkosemittelverbrauch senken sowie die hämodynamische und endokrine Stressantwort dämpfen. Nach oraler Clonidin-Prämedikation kann nach 60–90 min mit maximalen Plasmaspiegeln gerechnet werden, die Eliminationshalbwertszeit beträgt 6–23 h. Die analgetische Wirkung von 150 µg Clonidin i.v. entspricht in etwa der von 5 mg Morphin. Der intraoperative Anästhetikabedarf kann individuell um 20–70% reduziert werden.

    Einige Anästhesisten verordnen 150–300 µg Clonidin p.o. bei bestimmten Patientengruppen, z. B. herz- oder gefäßchirurgischen Patienten, um so die hämodynamische und endokrine Stressantwort zu dämpfen und damit (hoffentlich auch) das perioperative Myokardinfarktrisiko zu vermindern. Eine aktuelle Untersuchung mit 200 µg Clonidin p.o. bei nicht kardiochirurgischen Patienten mit Atherosklerose(risiko) konnte allerdings zeigen, dass durch Clonidin zwar nicht die Rate perioperativer Myokardinfarkte vermindert wird, dafür aber relevante Blutdruckabfälle und sogar Herzstillstände häufiger auftreten.

    Der Einsatz von α2-Agonisten zur Routineprämedikation wird nicht empfohlen. Hauptnachteil der α2-Agonisten sind ihre Nebenwirkungen Hypotension und (schwerwiegende) Bradykardie.

    2.1.4 Weitere Substanzen

    Barbiturate

    Barbiturate wie Phenobarbital (z. B. Luminal) werden heute nicht mehr zur Prämedikation verwendet. Barbiturate wirken hypnotisch-sedierend und antikonvulsiv, jedoch nicht anxiolytisch. Klinisch sind sie durch eine sehr lange Wirkdauer gekennzeichnet. Auch ist ihre therapeutische Breite geringer als die der Benzodiazepine.

    Neuroleptika

    Neuroleptika wie Promethazin (z. B. Atosil) oder Droperidol (= Dehydrobenzperidol = DHB) wurden früher häufig zur Prämedikation eingesetzt, insbesondere wegen ihrer sedierenden, antiemetischen und z. T. auch antiallergischen H1-Rezeptor-blockierenden Eigenschaften. Sie erschienen damals als ideale Kombinationspartner von Opioiden.

    Cave

    Neuroleptika besitzen eine Reihe unerwünschter Nebenwirkungen, u. a. wurde von Dysphorie und Angstzuständen berichtet. Frühdyskinesien können auftreten und die Krampfschwelle wird gesenkt. Darüber hinaus können insbesondere Haloperidol (z. B. Haldol) und Droperidol die QT-Zeit verlängern und das Auftreten von Torsades de pointes begünstigen.

    Daher sollten Neuroleptika heute im Routinefall nicht mehr zur Prämedikation verwendet werden.

    Anticholinergika

    Zu dieser Substanzgruppe gehören Atropin, Glycopyrronium (z. B. Robinul) und Scopolamin. Insbesondere Atropin war viele Jahre fester Bestandteil der i.m.-Prämedikation vor Äthernarkosen, um Bradykardien zu verhindern und die Speichel- und Bronchialsekretion zu vermindern. Bei den heute verfügbaren Anästhetika ist eine generelle Atropin-Prämedikation nicht mehr erforderlich und auch nicht sinnvoll, da Atropin relevante Nebenwirkungen hervorrufen kann, z. B. Hemmung der gastrointestinalen Motilität, Öffnung des unteren Ösophagussphinkters, Tachykardie, Steigerung des Augeninnendrucks und zentrales anticholinerges Syndrom. Atropin und Glycopyrronium werden heute nur noch bei gegebener Indikation eingesetzt:

    Prophylaxe oder Therapie von Bradykardien und bradykarden Herzrhythmusstörungen: Atropin führt zu einer stärkeren Herzfrequenzsteigerung als Glycopyrronium.

    Prophylaxe oder Therapie einer gesteigerten Salivation, z. B. vor fiberoptischer Intubation oder bei Anwendung von Ketamin: Glycopyrronium hemmt die Sekretion stärker als Atropin.

    Kombination mit Cholinesteraseinhibitoren (z. B. Neostigmin) bei der Antagonisierung von Muskelrelaxanzien.

    Glycopyrronium (z. B. Robinul) besitzt gegenüber Atropin den Vorteil, dass es die Blut-Hirn-Schranke nicht passiert und daher zentralnervöse Nebenwirkungen nicht zu erwarten sind. Es ist allerdings teurer als Atropin und konnte sich nie richtig durchsetzen. Scopolamin wirkt stärker sedierend als Atropin und spielt als Anticholinergikum keine Rolle.

    2.2 Nüchternzeiten

    Seit Beginn des Fachgebiets der Anästhesie gehört die pulmonale Aspiration von Mageninhalt zu den gefürchteten Komplikationen mit potenziell letalem Ausgang. Häufig wird in diesem Zusammenhang das »Mendelson-Syndrom« genannt, das 1946 als Aspiration von saurem Magensaft während geburtshilflicher Anästhesie beschrieben wurde. Um diese Komplikation zu verhindern, müssen folgende Fragen beantwortet werden:

    Wann ist ein Patient »nüchtern«?

    Wann ist ein Patient aspirationsgefährdet?

    Welche Maßnahmen können zur Reduktion des Aspirationsrisikos ergriffen werden?

    2.2.1 Wann ist ein Patient nüchtern?

    Die präoperative Nüchternzeit vor elektiven Eingriffen hängt von der Zusammensetzung der aufgenommenen Nahrung ab. Starre Nüchternheitsgrenzen von 6 h für flüssige und feste Nahrung wurden zugunsten eines differenzierteren Vorgehens aufgegeben. So gilt heute bei elektiven Eingriffen ohne zusätzliche Risikofaktoren eine Nüchternheitsgrenze von 2 h für klare Flüssigkeiten und von 6 h bei Milchprodukten und leichter Nahrung mit geringem Fettanteil als akzeptabel. Bei fettreicher Nahrung oder Fleisch muss mit längeren Magenentleerungszeiten von ≥8 h gerechnet werden; möglicherweise hängt die Magenentleerungszeit auch von der Menge des Mageninhaltes ab.

    Deutsche, europäische und amerikanische Anästhesiegesellschaften (DGAI, ESA und ASA) haben im Jahr 2011 bzw. 2016 Leitlinien veröffentlicht und Nüchternzeiten für ansonsten gesunde Patienten vor Elektiveingriffen empfohlen:

    Empfohlene Nüchternzeiten für ansonsten gesunde Patienten vor Elektiveingriffen

    (nach den Empfehlungen von ESA und ASA 2011 und der DGAI 2016)

    2 h: Klare Flüssigkeiten (1–2 Gläser oder Tassen): Wasser, Sprudel, Fruchtsaft ohne Fruchtfleisch, kohlenhydratreiche Flüssigkeiten, Kaffee, Tee. Vermutlich kann ein wenig Milch im Kaffee oder Tee sein, maximal aber ein Fünftel der Flüssigkeitsgesamtmenge.

    4 h: Muttermilch

    6 h: Leichtes Essen, Kuhmilch, Kindernahrung

    8 h: Frittiertes oder sehr fetthaltiges Essen, Fleisch

    Zudem sei auf Folgendes hingewiesen:

    Eine Verlängerung der Nüchternzeit für klare Flüssigkeiten über 2 h führt nicht etwa zu »mehr Nüchternheit«, sondern offensichtlich eher zu »mehr Magensäure«.

    Die »erlaubte Menge« an klarer Flüssigkeit ist schlecht definiert. Im klinischen Alltag spricht man von »kleinen Mengen«, also 1–2 Gläsern oder Tassen (à 200 ml) zuletzt 2 h vor Anästhesieeinleitung.

    Durch die Einhaltung der o. g. Nüchternzeiten kann keine 100% sichere Magenentleerung bei allen Patienten garantiert werden.

    Was tun, wenn der Patient unmittelbar präoperativ geraucht hat o.ä.?

    Nach Ansicht von DGAI bzw. ESA müssen Anästhesie und Operation nicht verschoben werden, wenn der Patient unmittelbar vor der Anästhesieeinleitung geraucht, Kaugummi gekaut oder ein Bonbon gelutscht hat.

    Wann dürfen Patienten nach einer Operation wieder trinken und essen?

    Gemäß der ESA-Leitlinie 2011 dürfen Erwachsene und Kinder nach elektiven Eingriffen wieder trinken, sobald sie das möchten. Zum Essen wird nicht Stellung genommen. Aus klinischer Erfahrung können Patienten nach elektiven Eingriffen auch essen, wenn

    Grunderkrankung und Operation dies zulassen und keine operativen Komplikationen erkennbar sind,

    die Patienten vollständig wach und die Vitalfunktionen stabil sind und

    die Patienten nicht über PONV oder starke Schmerzen klagen.

    2.2.2 Wann ist ein Patient aspirationsgefährdet?

    Prinzipiell hat jeder nicht nüchterne Patient ein erhöhtes Aspirationsrisiko. Weiterhin muss in folgenden Situationen mit einem erhöhten Aspirationsrisiko gerechnet werden:

    Akutes Abdomen, z. B. Ileus, Peritonitis,

    erhöhter intraabdomineller Druck, z. B. Aszites, intraperitoneale Raumforderung,

    mangelnder Verschluss des unteren Ösophagussphinkters, z. B. Hiatushernie, gastroösophagealer Reflux,

    Veränderung der Ösophagusanatomie, z. B. Ösophagusdivertikel, Achalasie⁴, Z. n. Ösophagektomie mit Magen- oder Kolonhochzug,

    Veränderung der Magenanatomie, z. B. Zustand nach Magenresektion, Magentumor,

    Störung der Magenentleerung,

    Anatomisch, z. B. Pylorusstenose, Darmtumoren,

    durch Medikamentenwirkung, z. B. durch Opioide,

    durch autonome Neuropathie mit Gastroparese bei Diabetes mellitus oder Nephropathie,

    durch akute Erkrankungen mit gesteigertem Sympathikotonus, Schmerz, Fieber, z .B. bei Traumapatienten,

    in der Schwangerschaft ab der 12. Schwangerschaftswoche bis 2 Wochen nach der Geburt.

    Praxistipp

    Verunfallte Patienten gelten immer als nicht nüchtern! Für eine differenzierte Betrachtung ist die Zeit zwischen der letzten Nahrungsaufnahme und dem Trauma entscheidend. Grob vereinfachend gilt: Je schwerer das Trauma, umso ausgeprägter ist die begleitende Magen-Darm-Atonie.

    Repetitorium Pathophysiologie

    Durch eine (schwere) Unfallverletzung kommt es zu einer starken Sympathikusaktivierung, die Magen-Darm-Durchblutung wird vermindert und die Peristaltik sistiert. Wird der Patient mit Opioiden behandelt, führen diese ebenfalls zu einer weiteren Beeinträchtigung der Magen-Darm-Motilität.

    Adipositas

    Adipositas wird vielfach als Risikofaktor für eine Aspiration angesehen, die Studienlage ist aber unklar. Zur Risikoeinschätzung werden anamnestische Hinweise auf Nahrungsaufnahme, Sodbrennen bzw. Reflux, Übelkeit, Erbrechen, Vorerkrankungen, aktuelle Medikation sowie Untersuchungsbefunde zu Allgemeinzustand, Peritonitiszeichen sowie die vorhandene bildgebende Diagnostik verwendet.

    Im Zweifel gilt ein Patient als aspirationsgefährdet.

    2.2.3 Maßnahmen zur Reduktion des Aspirationsrisikos

    Zur Minimierung des Aspirationsrisikos werden – je nach Situation – verschiedene Maßnahmen angewandt:

    Medikamentöse Prophylaxe zur Reduktion von Magensäure und ggf. Magensaftvolumen,

    Auswahl des Anästhesieverfahrens, z. B. Plexus-axillaris-Regionalanästhesie statt Allgemeinanästhesie bei frischer Unterarmfraktur,

    Anlage einer Magensonde und Absaugen des vorhandenen Mageninhalts,

    Einleitung der Allgemeinanästhesie als »Ileuseinleitung« (Kap. 48).

    Medikamentöse Prophylaxe

    H2-Blocker und PPI

    Durch die präoperative Gabe von H2-Rezeptorenblockern (z. B. Ranitidin) oder Protonenpumpeninhibitoren (PPI, z. B. Pantoprazol) wird der Magensaft-pH-Wert angehoben und gleichzeitig die Magensaftproduktion vermindert, wobei die H2-Rezeptorenblocker offensichtlich etwas wirkungsvoller sind. Bei festen Nahrungsbestandteilen sind die Substanzen erwartungsgemäß wirkungslos.

    Natriumzitrat

    Natriumzitrat ist ein lösliches Antazidum und hat den Vorteil, dass es bei Einnahme sofort wirkt und den pH-Wert des Magensafts anhebt. Nachteilig sind der schlechte Geschmack und eine geringe Zunahme des Magensaftvolumens. Natriumzitrat ist derzeit das Mittel der Wahl, wenn bei dringenden Operationen der Magen-pH-Wert sofort angehoben werden soll und wird daher auch von der ESA-Leitlinie 2011 für die Notfall-Sectio empfohlen.

    Hierzu werden 30 ml einer 0,3 molaren Natriumzitratlösung p.o. verabreicht. Dadurch wird die Azidität des Magensekrets für einen Zeitraum von 1–3 h deutlich reduziert.

    Praxistipp

    Im Klinikum Lünen wird Natriumzitrat von der Krankenhausapotheke hergestellt und in kleinen Einmalflaschen mit 30 ml der 0,3 molaren Natriumzitratlösung im Kreißsaal und im OP gebrauchsfertig vorgehalten.

    Andere Antazida

    Unlösliche Antazida, z. B. Präparate auf Aluminium-Magnesium-Basis (z. B. Riopan, Talcid), können zwar durch Bindung der Magensäure den pH-Wert anheben, es besteht aber die Sorge, dass die Substanz selbst bei einer Aspiration zusätzliche pulmonale Komplikationen hervorrufen könnte. Daher sollen unlösliche Antazida perioperativ nicht verwendet werden.

    Erythromycin

    Erythromycin ist eigentlich ein Antibiotikum, besitzt aber auch starke propulsive Eigenschaften und kann in der Dosierung von 3 mg/kg die Magenentleerung etwas verbessern, wenn es bei nicht traumatologischen Notfallpatienten mindestens 15 min vor Anästhesieeinleitung gegeben wird.

    Das sinnvolle Vorgehen im klinischen Alltag ist in der folgenden Merkbox zusammengefasst:

    Medikamentöse Prophylaxe zur Reduktion von Magensäure und ggf. Magensaftvolumen

    Vorschlag zum praktischen Vorgehen:

    Bei Routinepatienten ohne erkennbares Aspirationsrisiko wird gemäß ESA-Leitlinie 2011 auf eine präoperative medikamentöse Aspirationsprophylaxe verzichtet.

    Wird ein erhöhtes Aspirationsrisiko für sauren Magensaft befürchtet, z. B. bei elektiver Sectio caesarea, axialer Gleithernie oder erwartet schwieriger Intubation, erhalten die Patienten am Abend und am Morgen etwa 2–4 h vor der Operation je 150 mg Ranitidin p.o.

    Patientinnen zur Notfall-Sectio erhalten 30 ml einer 0,3 molaren Natriumzitratlösung p.o.

    Patienten, die bereits präoperativ H2-Blocker oder PPI einnehmen, sollen diese perioperativ unbedingt weiternehmen.

    Fallbeispiel Teil 2

    Die prämedizierende Anästhesistin bespricht mit dem Patienten sehr einfühlsam alle anstehenden Probleme. Wegen des Schlafapnoesyndroms wird grundsätzlich auf eine sedierende Prämedikation verzichtet, stattdessen soll der Patient bitte unbedingt sein CPAP-Gerät mit zum OP bringen, damit es unmittelbar postoperativ im Aufwachraum eingesetzt werden kann. Wegen der starken Refluxbeschwerden erhält der Patient in der Dauermedikation 40 mg Pantoprazol abends und morgens. Der Patient wird unterrichtet, dass er Pantoprazol sowohl am Vorabend der Operation als auch am OP-Morgen unbedingt weiternehmen soll. Auf dem Prämedikationsprotokoll vermerkt die Anästhesistin unter Besonderheiten: »CPAP-Gerät mit in den OP, starke Refluxbeschwerden!«

    Literatur

    American Society of Anesthesiologists (2011) Practice guidelines for preoperative fasting and the use of pharmacologic agents to reduce the risk of pulmonary aspiration: application to healthy patients undergoing elective procedures. Anesthesiology 114: 495–511

    Broscheit J, Kranke P (2008) Prämedikation – Charakteristika und Auswahl der Substanzen. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 43: 134–142

    DGAI et al (2016) Perioperative Antibiotikaprophylaxe, präoperatives Nüchternheitsgebot und präoperative Nikotinkarenz. Gemeinsame Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin, der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, des Berufsverbandes Deutscher Anästhesisten und des Berufsverbandes der Deutschen Chirurgen. Anästh Intensivmed 57: 231-233

    Maurice-Szamburski A, Auquier P, Viarre-Oreal V et al (2015) Effect of sedative premedication on patient experience after general anesthesia - a randomized clinical trial. JAMA 313: 916–925

    Seemann M, Zech N, Graf BM, Hansen E (2015) Das Prämedikationsgespräch – Anregungen zu einer patientenfreundlichen Gestaltung. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 50: 142–146

    Smith I, Kranke P, Murat I et al (2011) Perioperative fasting in adults and children: Guidelines from the European Society of Anaesthesiology. Eur J Anaesthesiol 28: 556–569

    Weiß G, Jacob M (2008) Präoperative Nüchternheit 2008. Ärztliches Handeln zwischen Empirie und Wissenschaft. Anaesthesist 57: 857–872

    Internetlinks

    www.​esahq.​org:​ Homepage der European Society of Anaesthesiology. Ganz unten auf der Seite sind auch die »Guidelines« aufgelistet. Hier findet man u. a. die ESA-Leitlinie zur präoperativen Nüchternheit aus dem Jahr 2011

    Fußnoten

    1

    Zu Details der Gesprächsführung beim Prämedikationsgespräch sei der Übersichtsartikel von Seemann et al. empfohlen (Literatur).

    2

    Die Tatsache, dass die Elimination von Oxazepam nicht durch hohes Alter oder Leberinsuffizienz wesentlich verzögert wird, ist damit zu erklären, dass die Glukuronidierung im Alter oder bei Leberinsuffizienz weitgehend unbeeinträchtigt bleibt. Dies ist ein pharmakokinetischer Effekt. Trotzdem muss natürlich – aus pharmakodynamischer Sicht – damit gerechnet werden, dass alte oder leberinsuffiziente Patienten empfindlicher auf eine definierte Dosis Oxazepam reagieren als gesunde Personen.

    3

    Tabletten gelangen nach oraler Einnahme in Magen und Darm und müssen dort aufgelöst werden. Anschließend wird der Wirkstoff über die Darmschleimhaut resorbiert und gelangt über die Pfortader in die Leber. Hier kann es sein, dass bereits ein relevanter Prozentsatz des Medikaments verstoffwechselt wird, bevor es überhaupt seinen Zielort erreicht, dies wird als »First-Pass-Effekt« bezeichnet. Werden z. B. 70% eines Medikaments in der Darmschleimhaut und v. a. in der Leber abgebaut, beträgt der First-Pass-Effekt 70%, die Bioverfügbarkeit liegt dann nur bei 30%. Dies erklärt, warum bei Midazolam-i.v.-Gabe deutlich geringere Dosierungen erforderlich sind: Durch i.v.-Gabe werden Darmschleimhaut und Leber »umgangen«, Midazolam gelangt direkt an die GABA-Rezeptoren im Gehirn.

    4

    Bei der Achalasie öffnet der untere Ösophagussphinkter nicht richtig, entweder, weil die Relaxation beim Schluckakt fehlt (primäre Achalasie), oder bei Tumoren im gastroösophagealen Übergang (sekundäre Achalasie) Gockel et al. (2012) Dtsch Ärztebl 109: 209–214.

    5

    Die Ranitidin-Dosierung zur Aspirationsprophylaxe sauren Magensafts beträgt im Kindesalter 2 mg/kg p.o. Hierzu wird am einfachsten die Ampullenlösung verwendet und als »Saft« verabreicht. Beispiel: 5-kg-Säugling mit Pylorusstenose: Verabreicht werden jeweils 10 mg Ranitidin, also 1 ml der Ampullenlösung p.o.

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017

    Wolfram Wilhelm (Hrsg.)Praxis der Anästhesiologiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-54568-3_3

    3. Dauermedikation

    Wolfram Wilhelm¹

    (1)

    Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin, RTH Christoph 8, Klinikum Lünen – St.-Marien-Hospital, Lünen, Deutschland

    3.1 Patienteneigene Medikation

    3.2 Herz-Kreislauf-Medikamente

    3.3 Statine

    3.4 Medikation mit Wirkung auf das Bronchialsystem

    3.5 Kortikoide

    3.6 Antidiabetika inkl. Insulin

    3.7 H2-Blocker und Protonenpumpenhemmer

    3.8 Antiepileptika

    3.9 Psychopharmaka

    3.10 Medikamente zur Behandlung des M. Parkinson

    3.11 Kontrazeptiva

    3.12 Substanzen mit Einfluss auf das Gerinnungssystem

    Literatur

    Fallbeispiel Teil 1

    Ein 83-jähriger, noch sehr rüstiger Patient (176 cm, 98 kg) stellt sich am Freitagmorgen in der Anästhesiesprechstunde vor, weil bei ihm ein Kolonkarzinom festgestellt wurde und nun – nach Beratung in der Tumorkonferenz – am kommenden Montag eine Hemikolektomie links durchgeführt werden soll. Das mitgebrachte aktuelle 12-Kanal-EKG zeigt einen Sinusrhythmus und keine relevanten Auffälligkeiten, eine Indikation zur Durchführung einer Thoraxröntgenuntersuchung besteht nicht. Der Patient nimmt wegen Diabetes mellitus Typ 2 Metformin 3×850 mg und Acarbose 3×100 mg ein, außerdem wegen arterieller Hypertonie Bisoprolol 1×5 mg und Enalapril 1×20 mg, wegen Hypercholesterinämie Atorvastatin 1×20 mg sowie zur Sekundärprophylaxe nach einer TIA vor 3 Jahren ASS 1×100 mg. Der prämedizierende Anästhesist bespricht mit dem Patienten folgende Anästhesiemaßnahmen: Allgemeinanästhesie, Magensonde, Blasendauerkatheter, arterielle Druckmessung und ZVK-Anlage, außerdem tiefthorakale Periduralanästhesie zur Schmerztherapie. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung untersucht der Anästhesist auch den Rücken des Patienten und erwartet unkomplizierte Punktionsbedingungen. Nun muss festgelegt werden, wie mit der Dauermedikation verfahren werden soll.

    3.1 Patienteneigene Medikation

    Ein Großteil der operativen Patienten nimmt gleichzeitig eine Dauermedikation ein, sodass sich Anästhesist und Operateur mit der Frage beschäftigen müssen, welche Medikamente unbedingt weitergenommen und welche abgesetzt werden müssen. Bei dieser Entscheidung werden Nutzen und Risiko der Dauermedikation individuell gegeneinander abgewogen und folgende Überlegungen angestellt:

    Argumente zum Fortführen der Dauermedikation können sein

    Die Dauermedikation »stabilisiert« ein Organsystem oder eine Erkrankung und sollte daher (oder muss ggf. sogar) fortgeführt werden, z. B. Thrombozytenfunktionshemmer bei Koronarstents, β2-Mimetika bei COPD-Patienten, Psychopharmaka bei schweren Psychosen, Insulin bei Diabetes mellitus Typ 1.

    Ein Absetzen des Medikaments kann mit gefährlichen Nebenwirkungen verbunden sein, z. B. bei β-Blockern, Nitraten, Statinen oder α2-Agonisten.

    Argumente zum Absetzen der Dauermedikation können sein

    Die Dauermedikation kann perioperativ zu relevanten Nebenwirkungen führen, z. B. hämodynamische Instabilität bei Weitergabe von ACE-Hemmer und Angiotensin-II-Rezeptor-Antagonist, evtl. Risiko der Laktatazidose bei Metformin.

    Die Dauermedikation führt zu einer wesentlichen Steigerung des Blutungsrisikos.

    Perioperative Aufgabenteilung

    Durch die zunehmende Komplexität von operativem Eingriff und perioperativem Management hat sich in den letzten Jahren im klinischen Alltag häufig folgende Aufgabenverteilung entwickelt:

    Die operative Station übernimmt die Dauermedikation des Patienten von der hausärztlichen Verordnungsliste.

    In einigen Kliniken wird dies durch Mitarbeiter der jeweiligen Krankenhausapotheke unterstützt. Hintergrund ist, dass in der Klinik häufig Präparate mit gleichem Wirkstoff, aber anderer Hersteller verwendet werden. Zudem kann die Medikation auf mögliche Interaktionen durchgesehen werden und es werden Vorschläge erarbeitet, wie eine Dauermedikation auch (ähnlich) parenteral fortgeführt werden kann, wenn der Patient eingriffsbedingt einige Zeit keine orale Medikation einnehmen kann.

    Der Anästhesist beurteilt die Dauermedikation und legt meist die perioperative Medikation fest.

    Der Operateur muss insbesondere auf jegliche blutgerinnungshemmende Medikation achten

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