Case Management in der Adipositaschirurgie: Manual für die perioperative Patientenbetreuung
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Über dieses E-Book
Erfolgreiche Adipositaschirurgie beginnt bereits vor dem operativen Eingriff und setzt sich nach der Operation als lebenslange Nachsorge fort. Vom ersten Kontakt im Adipositaszentrum an begleiten die Case Manager die Patienten, sie motivieren sie zur Einhaltung der Ernährungspläne, beraten sie in zahlreichen Alltagsaspekten und unterstützen sie bei den erforderlichen Anträgen und Formularen.
Die Autorinnen haben ein praxisorientiertes Beratungs- und Betreuungsmanual verfasst, das auf den Erfahrungen aus zwei etablierten Adipositaszentren basiert:
- Hintergrundwissen und praktische Empfehlungen zu allen Gesichtspunkten der Patientenbegleitung
- Alltagstipps für die Zeit nach dem Eingriff
- Umgang mit typischen Folgeerscheinungen und Risiken
46 Musterformulare erleichtern dem Therapeuten die Betreuung der Patienten im Behandlungsablauf:
- Patientengerechte Informationen zu den Operationsmethoden und Patientenanleitungen zu den wichtigsten Beratungsschwerpunkten
- Tageskostpläne, Supplementations- und Nachsorgeschemata
- Erfassungsbögen und Formulare für den klinikinternen Ablauf
Profunde Sachkenntnisse und die gebotene Empathie lassen die Arbeit der Case Manager zu einem zentralen Teil der Adipositasbehandlung werden.
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Buchvorschau
Case Management in der Adipositaschirurgie - Hanna Dörr-Heiß
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Hanna Dörr-Heiß und Eva Wolf (Hrsg.)Case Management in der Adipositaschirurgie10.1007/978-3-662-43477-2_1
1. Einleitung
H. Dörr-Heiß¹
(1)
Adipositaszentrum Nordhessen, Marienkrankenhaus, Marburger Straße 85, 34127, Kassel, Deutschland
H. Dörr-Heiß
Email: hannadh@gmx.de
Dieser Leitfaden richtet sich an alle Fachkräfte, die in das perioperative Management von krankhaft übergewichtigen Menschen im Rahmen einer adipositaschirurgischen Therapie involviert sind, oder eine Orientierung für den Aufbau eines Therapiekonzepts suchen. Es handelt sich hierbei um keine wissenschaftlich-theoretische Abhandlung, sondern um ein praxisorientiertes Manual mit konkreter Anleitung zur Beratung.
Herzstück des Manuals sind Patientenbroschüren zu den verschiedenen gängigen Operationsmethoden und Arbeitsblätter zu den wichtigsten Beratungsschwerpunkten. Weiterhin vervollständigen Tageskostpläne, Supplementations- und Nachsorgeschemata die Beratungsunterlagen.
Es finden sich Handouts und Formulare , die von exemplarischen Erfassungsbögen für die Erstberatung über die präoperative Flüssigkostphase bis zum postoperativen Kostaufbau reichen und schließlich den Übergang zur Normalkost ermöglichen. Hier sind einfach umsetzbare Anleitungen formuliert, die Patienten bei nachhaltigem und substanziellem Gewichtsverlust begleiten und die Beratungs- bzw. konzeptionelle Arbeit strukturieren und leicht umsetzbar machen. Die Dokumentationsbögen wurden in der praktischen Arbeit mit den Patienten zur Vereinfachung der Kommunikation im multimodalen Team erstellt und können auf die jeweilige Klinik- oder Praxissituation individuell zugeschnitten werden.
Eine Ernährungsberatung bei bariatrischen Operationen anzunehmen, erscheint manchen Patienten paradox und wird unter Umständen vehement abgelehnt. Die Patienten haben nur zu oft Diäten aller Art hinter sich und waren von mehr oder weniger versierten Fachkräften angeleitet und unter Umständen für viel Geld falschen Hoffnungen und immer neuen Frustrationen ausgesetzt. Ernährungstherapeuten sollten sich dieser schwierigen Ausgangssituation bei der Betreuung adipositaschirurgischer Patienten bewusst sein. In vielen Fällen bleibt diesen Patienten als „letzte Station im verzweifelten Kampf gegen ständig steigendes Körpergewicht schließlich nur der Gang zum Chirurgen. In diesem Sinne wird die Entscheidung für die Operation als Ultima Ratio angesehen. Dieser Begriff findet in den Leitlinien und auch bei der Begutachtung durch den MDK Verwendung. Sprachlich korrekt aus dem lateinischen übersetzt, bedeutet „Ultima Ratio
aber nicht „die letzte Lösung, sondern vielmehr auch die „höchste oder äußerste Vernunft
. Angesichts weit fortgeschrittener Komorbiditäten ist eine Operation tatsächlich oft unter Abwägung aller Risiken und Nutzen die vernünftigste Lösung.
Wir sind als Therapeuten in besonderer Weise gefordert, denn Adipöse sind keine „gemütlichen Dicken", sondern extrem sensible und häufig auch traumatisierte Menschen. Der fröhliche, lebensbejahende Lustesser ist hier selten zu finden, sondern eher verzweifelte Persönlichkeiten, für die Adipositas bisher eine Kompensation für viele Probleme war, aber nicht als deren Ursache angesehen wurde. Viele Frauen sind Missbrauchsopfer, bei Männern ist oft der Verlust des Arbeitsplatzes in der Biografie zu finden; aber auch traumatische Partnerbeziehungen, Soziophobien und andere Angststörungen, Schichtarbeit oder übergroßer Stress können Auslöser der krankhaften Adipositas sein.
Es wird oft nach Zahlen, Daten und Fakten gefragt. Ab welchem BMI darf wie operiert werden und welcher Gewichtsverlust ist in welcher Zeit realisierbar? Das Leid der Betroffenen, die Scham, Ausgrenzung oder die Ächtung im soziokulturellen Umfeld sind jedoch kaum in Zahlen zu fassen.
Wenn alle anderen multimodalen Therapieansätze gescheitert sind, kann die Chirurgie als wahrhaft einschneidende Maßnahme lebensverändernd einen neuen Abschnitt einleiten. Mit allem notwendigen Sachverstand, aber auch mit der gebotenen Empathie soll dieser Leitfaden den langersehnten Weg zum verringerten Körpergewicht unserer Patienten begleiten und vereinfachen, um Risiken rechtzeitig detektierbar und damit abwendbar machen zu können. Erfolgreiche Zusammenarbeit und verantwortliche Einbindung der Hauptpersonen in die Nachsorge sind obligat und ermöglichen eine nachhaltige Gewichtsreduzierung und deutliche Verbesserung sowohl der medizinischen als auch der psychosozialen Befindlichkeit der Patienten.
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Hanna Dörr-Heiß und Eva Wolf (Hrsg.)Case Management in der Adipositaschirurgie10.1007/978-3-662-43477-2_2
2. Aufgabenstellung
H. Dörr-Heiß¹ und E. Wolf²
(1)
Adipositaszentrum Nordhessen, Marienkrankenhaus, Marburger Straße 85, 34127, Kassel, Deutschland
(2)
Adipositaszentrum Vest, Knappschaftskrankenhaus, Dorstener Straße 151, 45657, Recklinghausen, Deutschland
H. Dörr-Heiß (Korrespondenzautor)
Email: hannadh@gmx.de
E. Wolf
Email: wolf-eva@web.de
Vom Erstkontakt im Adipositaszentrum bis zur lebenslangen Nachsorge sollte die Betreuung adipöser Patienten geplant und strukturiert erfolgen. Das ist zum einen zur Erfüllung der Kriterien der S3-Leitlinie für bariatrische Chirurgie für die Kostenübernahme durch die Kostenträger notwendig. Andererseits ist langfristig der Erfolg der operativen Methoden zu sichern und es gilt, ernährungsabhängige Komplikationen beim Patienten zu vermeiden (Abb. 2.1).
A321631_1_De_2_Fig1_HTML.jpgAbb. 2.1
Patientin, 35 Jahre alt, 178 cm groß; a vor Sleeve-OP 173 kg, BMI 54; b 23 Monate später 99,7 kg. (Bildrechte: HDH)
Das vorliegende Manual zeigt in nachvollziehbaren Schritten, wie dies gelingen kann. Dokumentationsbögen, Patienteninformationsblätter und viele Fotos veranschaulichen die Beratungs- und Prozessschritte. Sie sind leicht anwendbar, wenn das grundsätzliche Ernährungswissen und eine Beraterqualifikation vorliegen.
Um den Erfolg quantifizierbar und erlebbar zu machen, sollte präoperativ mit den Patienten ein Erfolgskriterium definiert werden. In der Literatur wird „Erfolg" oftmals am prozentualen Übergewichtsverlust (EWL = excessive weight loss) festgemacht und für die jeweiligen adipositaschirurgischen Operationsverfahren definiert. Der prozentuale Übergewichtsverlust wird folgendermaßen berechnet:
EWL = Operationsgewicht – aktuelles Gewicht / Übergewicht × 100
Nach einer Magenband-Operation (LAGB) wird ein durchschnittlicher prozentualer Übergewichtsverlust von 45–55% angenommen, nach einer Schlauchmagen-Bildung (LSG) sowie nach einer Magenbypass-Anlage (RYGB) von 60% bzw. 60–70% (CA-ADIP 2010).
Neben diesen statistischen Prognosen sollte im Beratungsgespräch aber vor allem auf die persönlichen Ziele und Vorstellungen des Patient en eingegangen werden. Dies kann z. B. individualisiert werden auf die Remission medikamentös therapierter Komorbiditäten, den Zugewinn an körperlicher Beweglichkeit oder einer Erweiterung der schmerzfreien Gehstrecke. Diese Ziele und besonders die Ausgangssituation des Patienten sollten individuell besprochen und für Beratungsgespräche im postoperativen Verlauf dokumentiert werden.
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Hanna Dörr-Heiß und Eva Wolf (Hrsg.)Case Management in der Adipositaschirurgie10.1007/978-3-662-43477-2_3
3. Adipositas und adipositaschirurgische Operationsmethoden
H. Dörr-Heiß¹ und E. Wolf²
(1)
Adipositaszentrum Nordhessen, Marienkrankenhaus, Marburger Straße 85, 34127, Kassel, Deutschland
(2)
Adipositaszentrum Vest, Knappschaftskrankenhaus, Dorstener Straße 151, 45657, Recklinghausen, Deutschland
H. Dörr-Heiß (Korrespondenzautor)
Email: hannadh@gmx.de
E. Wolf
Email: wolf-eva@web.de
3.1 Definition und Bedeutung der Adipositas
3.2 Die gängigsten adipositaschirurgischen Operationsmethoden
3.2.1 Der Magenballon (gastric ballon)
3.2.2 Das Magenband oder LAGB (laparoscopic adjustable gastric banding)
3.2.3 Der Schlauchmagen oder sleeve gastrectomy (laparoscopic gastric sleeve resection )
3.2.4 Der Magenbypass (gastric bypass)
3.2.5 BPD /BPD-DS (biliopankreatische Diversion /mit duodenalem Switch )
3.2.6 Weitere Verfahren
3.1 Definition und Bedeutung der Adipositas
Übergewicht beschreibt die Differenz zwischen dem aktuellen Gewicht und dem idealen Gewichtsbereich. International werden Übergewicht und Adipositas nach dem Body-Mass-Index (BMI) graduiert. Der BMI beschreibt das Verhältnis des Gewichts zur Körperoberfläche.
Beispiel
Ein Patient ist 170 cm groß und wiegt 130 kg:
1,70 m x 1,70 m = 2,89 m²
130 kg: 2,89 = BMI 44,9 kg/m²
Der ideale BMI liegt zwischen 20 und 25 kg/m².
BMI 25–30 Übergewicht
BMI 30–35 Adipositas Grad 1
BMI 35–40 Adipositas Grad 2
BMI > 40 Adipositas Grad 3
Eine weitere wichtige Größe ist der Taillenumfang, der besonders das viszerale Fettgewebe erfasst. Er sollte bei Frauen 88 cm und bei Männern 102 cm nicht überschreiten. Der Taillenumfang im Verhältnis zum Hüftumfang ergibt die Waist-Hip-Ratio . Dieser Wert korreliert mit ansteigenden Komorbiditäten. Bei Frauen gilt ein Wert über 0,85 und bei Männern über 1,0 als kritisch (Abb. 3.1).
A321631_1_De_3_Fig1_HTML.jpgAbb. 3.1a,b
Patienten mit unterschiedlichem Fettverteilungsmuster. (Bildrechte: HDH)
Beispiele
Patient 1: männlich, Taillenumfang 125 cm, Hüftumfang von 100 cm
Berechnung: 125 : 100 = 1,25
Der Patient hat also ein deutlich erhöhtes Risiko für kardiovaskulären Erkrankungen. Dies entspricht dem bauchbetonten Fettverteilungsmuster („Apfeltyp").
Patient 2: weiblich, Taillenumfang 100 cm, Hüftumfang von 125 cm
Berechnung: 100 : 125 = 0,8.
Die Patientin hat zwar einen absolut gemessen zu großen Bauchumfang, auf Grund der günstigeren Fettverteilung („Birnentyp") jedoch kein erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Tab. 3.1).
Tab. 3.1
Waist-Hip-Ratio
Typische Folgeerkrankungen von Übergewicht sind beispielsweise
arterielle Hypertonie,
Diabetes mellitus,
arthrotische Gelenkbeschwerden,
obstruktives Schlafapnoesyndrom,
Dyslipidämie und anderes mehr.
Auch das metabolische Syndrom ist eine typische Folge der Adipositas. Es bezeichnet keine eigenständige Erkrankung, sondern setzt sich aus verschiedenen Krankheitsbildern zusammen. Wenn mindestens 3 der folgenden 5 Kriterien erfüllt sind, spricht man von einem metabolischen Syndrom:
1.
Taillenumfang von ≥ 88 cm bei Frauen, ≥ 102 cm bei Männern
2.
Arterielle Hypertonie
3.
Nüchtern-Blutglucose-Spiegel von ≥ 100 mg/dl
4.
Hohe Blutfettwerte: Triglyzeridwerte ≥ 150 mg/dl
5.
und/oder HDL-Cholesterin ≤ 40 mg/dl
Übergewicht wird in vielen gesellschaftlichen Bereichen eher als persönlicher Makel der Betroffenen und weniger als Krankheit wahrgenommen. Unser Gesundheitswesen ist in vielerlei Hinsicht mehr darauf ausgerichtet die Folgeerkrankungen des Übergewichtes zu behandeln oder zu „verwalten" als die Ursachen frühzeitig zu beeinflussen. Da die Ursachen sehr vielfältig und die Symptome individuell unterschiedlich ausgeprägt sein können, ist die Behandlung nach einem allgemeingültigen Therapiekonzept sehr schwierig.
Die Erkenntnis, dass bariatrische Operationen die besten Erfolgsaussichten zur Behandlung der fortgeschrittenen Adipositas bieten, hat inzwischen in nahezu allen Industrienationen dazu geführt, dass betroffenen Patienten Operationen in Verbindung mit einem entsprechendem Therapiekonzept angeboten werden. Allerdings muss die Kostenübernahme für eine Operation in Deutschland immer noch für jeden Patienten einzeln beantragt und durch die Krankenkasse genehmigt werden, was Therapeuten und Patienten gleichermaßen vor schwierige Aufgaben