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Tiergestützte Therapie mit Hunden: Grundlagen, Tierethik und Praxis der therapeutischen Arbeit
Tiergestützte Therapie mit Hunden: Grundlagen, Tierethik und Praxis der therapeutischen Arbeit
Tiergestützte Therapie mit Hunden: Grundlagen, Tierethik und Praxis der therapeutischen Arbeit
eBook356 Seiten3 Stunden

Tiergestützte Therapie mit Hunden: Grundlagen, Tierethik und Praxis der therapeutischen Arbeit

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Über dieses E-Book

Die tiergestützte Therapie ist seit einigen Jahren in aller Munde und wird immer häufiger auch in die psychotherapeutische Behandlung von Menschen integriert. Doch wie genau können Therapiebegleithunde die psychotherapeutische Arbeit erweitern und unterstützen? Wie lassen sich dabei Tierschutz und Menschenwohl vereinen? Welche Hunde eignen sich für den Einsatz als Therapiebegleithund und wie werden sie auf ihren Einsatz vorbereitet?
Mit diesem Fachbuch erhalten Sie einen praxisnahen und lebendigen Einblick in die therapeutische Arbeit mit Hunden. Neben einem Überblick über die Grundlagen sowie tierschutzrechtliche und ethische Aspekte der hundegestützten Therapie von Menschen werden konkrete Übungen im Rahmen eines hundegestützten Selbstsicherheitstrainings bildhaft und per Video beschrieben und geben so Inspiration für die therapeutische Arbeit mit Mensch und Tier in verschiedenen Institutionen und Situationen.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum25. Juni 2020
ISBN9783662614402
Tiergestützte Therapie mit Hunden: Grundlagen, Tierethik und Praxis der therapeutischen Arbeit

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    Buchvorschau

    Tiergestützte Therapie mit Hunden - Katharina Blesch

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    K. BleschTiergestützte Therapie mit Hundenhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-61440-2_1

    1. Tiergestützte Therapie – Grundlagen und mein persönliches Verständnis dieser Disziplin

    Katharina Blesch¹ 

    (1)

    Herrischried, Deutschland

    1.1 Definition und Begrifflichkeiten

    1.2 Wirkfaktoren und Entstehungsgeschichte der tiergestützten Therapie

    1.2.1 Wirkfaktoren der tiergestützten Therapie – warum tun Tiere dem Menschen gut?

    1.2.2 Entstehungsgeschichte der tiergestützten Therapie

    1.3 Neue Wege in der tiergestützten Therapie

    1.3.1 Mein beruflicher Werdegang

    1.3.2 Meine tierischen Kollegen

    1.3.3 Abgrenzung von konservativen Vorstellungen in der tiergestützten Therapie und notwendige Zukunftsfragen

    Literatur

    Zusammenfassung

    In diesem Kapitel wird die tiergestützte Therapie als Disziplin vorgestellt – wobei nach einer Vorstellung der Vergangenheit und des Ist-Zustandes der Fokus vor allem auf die notwendige Weiterentwicklung dieser Disziplin gelegt wird. Als Grundlage wird hierzu zunächst die genaue Definition von tiergestützter Therapie besprochen und es werden korrekte Begriffe in diesem Zusammenhang eingeführt. Zum weiteren Verständnis dieses Fachbereiches folgt ein Überblick über die verschiedenen Wirkfaktoren und über die Entstehungsgeschichte der tiergestützten Therapie. Im nächsten Schritt wird dann am Beispiel meiner eigenen Arbeitsweise eine Weiterentwicklung der tiergestützten Therapie beschrieben, die neue Wege geht und sich ethischer Fragestellungen annimmt.

    1.1 Definition und Begrifflichkeiten

    Tiere¹ spielen in allen Bereichen des menschlichen Lebens eine tragende Rolle. Sie sind dem Menschen Haustiere, dienen ihm als Nutztiere und Nahrungsmittel, waren früher als Arbeitstiere im Einsatz und werden in näherer Zeit dazu ausgebildet und trainiert, dem Menschen in verschiedenen Bereichen zu assistieren. Im Fernsehen sind sie Sympathieträger und Entertainer, in Kunst und Literatur sind sie Symbol, Projektionsfläche, Möglichkeit der Versinnbildlichung. Und das nicht erst in neuerer Zeit.

    Schon in der Höhlenmalerei waren die Tiere nicht nur präsent, sondern das zentrale Motiv des Menschen. Der Kunsthistoriker Seeberg geht davon aus, dass bereits in der Höhlenmalerei die Darstellung der Tiere als Spiegel für die Menschen diente: „wir finden etwas von uns in ihnen wieder" (Seeberg 2008, S. 33). Woher dieser alte und starke Bezug des Menschen zu den Tieren kommt, dazu später mehr. Zusammengefasst sei an dieser Stelle festgehalten: Tiere sind überall dort präsent, wo der Mensch ist – und das seit jeher.

    Es wundert somit wenig, dass Tiere auch in der Therapie des Menschen eingesetzt werden. Dieser Einsatz eines Tieres in der Therapie eines Menschen wird als Tiergestützte Therapie bezeichnet. Mittlerweile gibt es viele verschiedene Definitionen und Umschreibungen dieses Begriffs. Eine gängige und griffige Definition von tiergestützter Therapie lautet wie folgt:

    Gängige Definition der Tiergestützten Therapie

    „Unter tiergestützter Therapie versteht man alle Maßnahmen, bei denen durch den gezielten Einsatz eines Tieres positive Auswirkungen auf das Erleben und Verhalten von Menschen erzielt werden sollen." (Gatterer zitiert nach Pottmann-Knapp 2013, S. 40)

    Tiergestützte Therapie ist jedoch noch keine einheitliche Therapieform. Das liegt unter anderem daran, dass der Begriff Tiertherapeut bisher keine geschützte Berufsbezeichnung ist. Gleichwohl haben die Vertreter dieser Disziplin bestimmte Bedingungen formuliert, die zwar nicht gesetzlich bindend, aber doch allgemein akzeptiert sind. Diese Bedingungen sollen dem Ziel dienen, die Disziplin zu vereinheitlichen und ihre Seriosität zu stärken. Es gibt allerdings Unterschiede in den Formulierungen der verschiedenen Dachverbände. Im Folgenden formuliere ich die Definition von tiergestützter Therapie frei nach der Definition von ESAAT (=European Society for Animal-Assisted Therapy), da diese alle zentralen Aspekte beinhaltet:

    Bedingungen der Tiergestützten Therapie (frei nach ESAAT 2012)

    Tiergestützte Therapie …

    umfasst bewusst geplante pädagogische, psychologische und sozialintegrative Angebote mit Tieren, in denen die Teilnehmer mit Tieren interagieren, über Tiere kommunizieren und/oder für Tiere tätig sind

    hat als mögliche Zielgruppen Menschen jeglichen Alters mit Einschränkungen oder Förderbedarf in den Bereichen Kognition, Psyche und/oder Motorik

    kann auch präventiv zur Gesundheitsförderung eingesetzt werden

    wird immer durch eine Fachkraft für tiergestützte Therapie durchgeführt, d. h. von jemanden, der …

    einen therapeutischen Grundberuf hat (Arzt, Psychologe, Ergotherapeut, etc.),

    gelernt hat, Tiere in die von ihm angebotene Therapie zu integrieren (zum Beispiel im Rahmen einer von ESAAT anerkannten Ausbildung),

    und sich mit der eingesetzten Tierart gut auskennt

    hat ein konkretes und auf den jeweiligen Patienten zugeschnittenes Therapieziel

    wird hinsichtlich ihres Verlaufs dokumentiert

    Diese frei nach ESAAT formulierte Definition ist für mein Verständnis die beste und bündigste Umschreibung von tiergestützter Therapie.

    Die in der Definition genannten Bedingungen grenzen die tiergestützte Therapie von anderen Einsatzgebieten von Tieren ab. Wie zum Beispiel von Aktivitäten mit Tieren. Um von tiergestützter Therapie sprechen zu können, müssen die Angebote, wie oben beschrieben, von einer Fachkraft für tiergestützte Therapie durchgeführt werden, konkrete und auf den Teilnehmer² zugeschnittene Ziele haben sowie in ihrem Verlauf dokumentiert werden. Alle Aktivitäten, in denen Tiere eingesetzt werden, aber die beschriebenen Bedingungen nicht erfüllt werden, sind scharf von der tiergestützten Therapie abzugrenzen. Beispiele hierfür sind Besuchsdienste in Heimen, die von ehrenamtlichen Freiwilligen durchgeführt werden, oder Angebote wie Wanderungen mit Lamas, Besuche auf dem Bauernhof oder Kurse mit Pferden, die von Personen geleitet werden, die keine Fachkräfte für tiergestützte Therapie sind.

    Auch sollte tiergestützte Therapie nicht mit Assistenz durch Tiere verwechselt werden. Sogenannte Assistenzhunde helfen und begleiten Menschen im Alltag. Die wohl bekannteste Untergruppe der Assistenzhund sind die Blindenführhunde, die Menschen mit Sehbehinderung helfen, ihren Alltag besser zu bewältigen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Arten von Assistenzhunden, die entweder durch ihr jeweiliges Training breit aufgestellt sind oder speziell auf einen Aspekt hin trainiert werden. So gibt es beispielsweise Diabetikerwarnhunde, Epilepsiewarnhunde oder Asthmawarnhunde, die dafür ausgebildet sind, Signal zu geben oder auf bestimmte Weise zu reagieren, wenn der Mensch aufgrund einer bestimmten Erkrankung in eine Notsituation gerät. Auch für psychische Erkrankungen oder Erkrankungen mit psychischen Folgestörungen gibt es Assistenzhunde – wie zum Beispiel Demenz-Assistenzhunde. Die Aufgabe eines Assistenzhundes ist es, den Menschen bestmöglich zu unterstützen. Diese Unterstützung kann je nach Beeinträchtigung des Menschen unterschiedlich aussehen. So kann der Assistenzhund entweder bestimmte Aufgaben, die dem Menschen schwer fallen oder nicht möglich sind, übernehmen, oder er kann auf eine für den Menschen bedrohliche Situation mit frühzeitiger Warnung reagieren, oder er kann den Menschen beruhigen. In jedem Fall hat ein Assistenzhund klare Aufgaben und begleitet seinen Menschen durch den Alltag.

    Ein Therapiebegleithund hingegen begleitet nicht eine bestimmte Person, sondern mehrere Patienten. Zudem soll sein Verhalten dabei helfen, im Rahmen einer Therapie eine Erlebens- und Verhaltensänderung beim Therapieteilnehmer hervorzubringen. Konkret bedeutet das: Der Assistenzhund soll die Wünsche und Bedürfnisse einer beeinträchtigten Person erfüllen; der Therapiebegleithund hingegen soll den Patienten zu einer Erlebens- und Verhaltensänderung animieren. Es geht also im Kontakt mit einem Therapiebegleithund nicht darum, dass der Hund bestimmte Übungen automatisiert ausführt. Im therapeutischen Kontakt mit dem Hund geht es stattdessen um Aufbau und Reflexion von Beziehung auf der Basis einer möglichst freien und unverfälschten Begegnung mit dem Hund.

    Wichtig!

    Ein Therapiebegleithund unterscheidet sich von einem Assistenzhund. Therapie bedeutet Veränderung und somit Entwicklung. Der Therapiebegleithund unterstützt den Entwicklungsprozess im Rahmen einer Therapie, indem er durch sein Verhalten und sein Wirken einen Veränderungsprozess im Patienten initiiert und begleitet. Die sich entwickelnde Beziehung zwischen Mensch und Therapiebegleithund bietet dem Therapeuten viele Möglichkeiten, den Patienten zur Reflexion von Beziehung und zur Veränderungen von Interaktionsmuster einzuladen. Eine therapeutisch wertvolle Beziehung zwischen Patient und Therapiebegleithund ist somit nicht hierarchisch, sondern geprägt von möglichst freier und unverfälschter Begegnung.

    Wird ein Hund im Rahmen einer tiergestützten Therapie eingesetzt, so bezeichnet man den Hund als Therapiebegleithund. Manchmal wird stattdessen der irreführende Begriff „Therapiehund" verwendet. Der Hund unterstützt durch seine Präsenz und sein Verhalten die Therapie, führt sie aber logischerweise nicht durch. Es ist vielmehr der Therapeut, der die Therapie durchführt. Somit lautet die korrekte Bezeichnung für den Hund: Therapiebegleithund.

    Auch für die tiergestützte Therapie als Disziplin sollten Begriffe wie „Hundetherapie oder „Tiertherapie vermieden werden. Diese Begriffe sind nicht nur falsch, sondern auch missverständlich, da man annehmen könnte, es gehe darum, dass der Hund oder das Tier therapiert werde. Wie im Weiteren aufgezeigt wird, ist auch der in vergangener Zeit häufiger verwendete Begriff „Pet Therapy" mittlerweile veraltet und wird nicht mehr benutzt. Es werden heutzutage ausschließlich die Begriffe Tiergestützte Therapie oder im Englischen animal-assisted therapy verwendet. Abwandlungen und Ergänzungen hiervon ergeben sich, wenn ein bestimmtes Feld der Therapie eingegrenzt werden soll oder eine konkrete Form von Therapie gemeint ist, dann wird zum Beispiel von tiergestützter Ergotherapie gesprochen.

    1.2 Wirkfaktoren und Entstehungsgeschichte der tiergestützten Therapie

    „Kein Mensch vermag einem anderen die Idylle zum Geschenk zu machen. Das vermag nur ein Tier" (Kundera 1988, S. 286).

    Wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, sind Tiere seit jeher in fast allen Bereichen des menschlichen Lebens präsent. Es wundert vor diesem Hintergrund, wie gesagt, nicht, dass Tiere auch in der Therapie des Menschen eingesetzt werden. Dennoch dient dieses Kapitel zum etwas tieferen Verständnis der Gründe für den Einsatz von Tieren in der Therapie. Des Weiteren soll die Entwicklungsgeschichte der tiergestützten Therapie als Disziplin beleuchtet werden.

    1.2.1 Wirkfaktoren der tiergestützten Therapie – warum tun Tiere dem Menschen gut?

    Es wurde und wird viel über die genauen Faktoren, die dazu führen, dass Menschen den Kontakt zu Tieren suchen, schätzen und davon profitieren, spekuliert und geforscht.

    Die sogenannte Biophilie-Hypothese ist dabei eine der prominenteren Theorien. Diese wurde Mitte der 80er-Jahre von dem Soziobiologen Edward O. Wilson aufgestellt. Wilson erklärt Biophilie als das menschliche Interesse an Tieren im Sinne einer „innate tendency to focus on life and lifelike processes" (Wilson zitiert nach Gullone 2000, S. 293), also einem inneren Bestreben des Menschen, sich auf das Leben an sich und lebensbezogene Prozesse zu fokussieren. Wilson legt dar, dass es in der Entwicklung der Menschheit ein Überlebensvorteil für den einzelnen Menschen war, wenn er die Fähigkeit besaß, das Verhalten von Tieren einschätzen und sich in der Natur zurecht finden zu können. Dies habe das menschliche Gehirn und die menschlichen Sinne so grundlegend geprägt, dass der Mensch selbst in der heutigen Welt – in welcher er in der Regel nicht mehr jagen, sammeln und um sein Überleben in der Natur ringen muss – immer noch diesen starken inneren Bezug zu Tieren und der Natur hat.

    Meiner Ansicht nach, erklärt die Biophilie-Hypothese gut, warum der Mensch sich der Natur verbunden fühlt und mit Neugier oder Interesse natürliche Prozesse und Tiere beobachtet und zu verstehen versucht. Jedoch greift sie in meinen Augen zu kurz, wenn es um die Erklärung enger, individueller Beziehungen zwischen Mensch und Tier geht. Warum baut der Mensch Beziehung zu einzelnen Tieren auf?

    Ein Erklärungsansatz für das menschliche Interesse am Umgang mit Tieren, der sich auf diesen Aspekt konzentriert, stellt das ausgeprägte Streben des Menschen nach Beziehung in den Fokus und erklärt die besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier unter diesem Gesichtspunkt. Die amerikanische Familientherapeutin Virginia Satir erklärt mit folgenden Worten, warum der Kontakt mit Tieren für den Menschen so wohltuend sein kann:

    „Tiere bewerten nicht, sie lehren nonverbale (analoge) Kommunikation, sprechen eine „ehrlichere Sprache, bei der Ausdruck und das, was gemeint ist, einander entsprechen. Sie sprechen die uralte Sprache, die unsere Mutter schon mit uns gesprochen hat. Es ist die Sprache der Liebe, der Trauer, des Kampfes, der Wut. Sie folgt nicht Regeln von Syntax, Logik oder Grammatik, sondern drückt direkt Empfinden für den anderen verstehbar aus. Es ist die Sprache der Beziehung. (Satir zitiert nach Pottmann-Knapp 2013, S. 5)

    Satir setzt, wie gesagt, die Beziehung in den Vordergrund ihrer Erklärungen und benennt in diesem Zitat mehrere Gründe, warum der Mensch vom Kontakt mit Tieren profitieren kann und warum somit die tiergestützte Therapie entstanden ist:

    Zunächst die bedingungslose Annahme, welcher der Mensch durch das Tier erfährt. Ein Tier wertet nicht nach Äußerlichkeiten, interessiert sich nicht für den Status einer Person in der menschlichen Gesellschaft. Manchmal wird dieser Aspekt auch als Aschenputtel-Effekt beschrieben – durch die bedingungslose Annahme kann der Mensch im Kontakt mit dem Tier sein Inneres und somit seine wahre Schönheit zeigen. Oder metaphorisch ausgedrückt: Aus dem grauen Aschenputtel wird durch das Gefühl, angenommen und wertgeschätzt zu werden, eine stolze Prinzessin.

    Statt also primär auf Äußerlichkeiten, reagiert ein Tier auf das menschliche Verhalten, auf das, was der Mensch, dem Tier entgegenbringt. Für Menschen, die Ablehnung oder Diskriminierung aufgrund von Äußerlichkeiten erfahren haben, kann der Umgang mit einem Tier deshalb wohltuend sein: das Tier beachtet keine Äußerlichkeiten, sondern nimmt den Menschen so an, wie er ist. Und da jeder Mensch in seinem Leben mit menschlicher Bewertung – vielleicht auch mit Vorurteilen – konfrontiert wird, ist für die meisten Menschen diese bedingungslose Annahme durch das Tier angenehm:

    „Da, wo ein Lebewesen uns in unserer individuellen Art so annimmt wie wir sind, beginnt eine emotionale Beziehung, die Nähe und Geborgenheit zulässt, die uns öffnet, sich dem anderen emotional anzuvertrauen" (Otterstedt 2001, S. 34–35).

    Ein weiterer Aspekt, der den Umgang mit Tieren, wertvoll für den Menschen machen kann, ist die Tatsache, dass wir mit Tieren analog kommunizieren. Wir Menschen können sowohl analog oder digital kommunizieren. Analoge Kommunikation ist dabei zu verstehen als die Kommunikation mittels der Körpersprache, der Mimik und der Stimmlage. Digitale Kommunikation hingegen umfasst den Inhalt der gesprochenen Sprache. Beschrieben hat diese zwei unterschiedlichen Kommunikationsformen der Psychotherapeut und Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick:

    „Der Unterschied zwischen digitaler und analoger Kommunikation wird [klar], wenn man sich vor Augen hält, dass bloßes Hören einer unbekannten Sprache, z. B. im Radio, niemals zum Verstehen dieser Sprache führen kann, während sich oft recht weitgehende Informationen relativ leicht aus der Beobachtung von Zeichensprachen und allgemeinen Ausdrucksgebärden ableiten lassen, selbst wenn die sie verwendende Person einer fremden Kultur angehört. Analoge Kommunikation hat ihre Wurzeln offensichtlich in viel archaischeren Entwicklungsperioden und besitzt daher eine weitaus allgemeinere Gültigkeit als die viel jüngere und abstraktere digitale Kommunikationsweise" (Watzlawick et al. 1974, S. 62–63).

    Kommunikation mit einem Tier findet bekanntlich nicht über die menschliche Sprache statt, sondern ist immer analog, da sie auf Körperebene geschieht – durch Berührung, durch Blickkontakt, durch den Klang der Stimme, durch Gestik und Körperspannung.

    Diese körperbetonte Ebene der Kommunikation ist, wie Satir es beschreibt, eine „uralte Sprache" (Satir zitiert nach Pottmann-Knapp 2013, S. 5). Denn bevor der Mensch das eigentliche Sprechen erlernt, kommuniziert er ausschließlich auf dieser Ebene, teilt hierüber seine Bedürfnisse mit, empfängt hierüber Rückmeldungen, Trost und Zuwendung. Die analoge Kommunikation, zu der die Tiere den Menschen im Kontakt zu ihnen zurückholen, berührt somit unmittelbar die Gefühle des Menschen und bringt ihn direkt und authentisch in Beziehung zu dem Tier. Diese Gefühlsbezogenheit und Authentizität der Kommunikation mit einem Tier vermitteln dem Menschen Gefühle von Wohlbefinden und Sicherheit. Gerade im Kontrast zu Situationen, die im zwischenmenschlichen Kontakt auftreten und verunsichern können, wie zum Beispiel, wenn halbherzige Aussagen getroffen werden oder ein Widerspruch zwischen dem Gemeinten und dem Gesagten besteht. Das sind sogenannte Doppelbotschaften, die in der zwischenmenschlichen Kommunikation vor allem dann auftreten können, wenn die digitale und die analoge Kommunikation nicht übereinstimmen.

    In der Kommunikation mit dem Tier hingegen kann so ein Widerspruch nicht passieren:

    „Mit Tieren sprechen wir analog, und Tiere reagieren meist prompt und körpersprachlich eindeutig auf unser Kommunikationsverhalten. Schon damit erfüllen sie zwei wichtige Faktoren für menschliches Lernen und Entwicklung: Den der Unmittelbarkeit der Reaktion und den der Klarheit der Reaktion" (Olbrich et al. 2008, S. 55).

    Dies alles führt dazu, dass der gesunde Mensch – möchte er sich darauf einlassen und hat er keine schlechten Erfahrungen mit Tieren gemacht oder vermittelt bekommen – die Begegnung mit einem Tier als wohltuend empfindet (siehe Abb. 1.1).

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    Abb. 1.1

    Kontakt zum Tier findet auf Gefühls- und Beziehungsebene statt

    Ein Mensch, der von körperlicher oder psychischer Erkrankung betroffen ist, kann vom Umgang mit Tieren besonders profitieren. Der Hintergrund hierzu ist: Wer erkrankt ist, hat in aller Regel auch immer mit Belastungen im affektiven Bereich und Veränderungen oder Schwierigkeiten in sozialen Beziehungen zu kämpfen. Psychische Erkrankungen haben fast immer einen Bezug zum affektiven Erleben der Person, und auch körperliche Erkrankungen wirken sich auf das emotionale Wohlbefinden eines Menschen aus. Gleiches gilt in diesem Zusammenhang für die Beziehungen des Betroffenen, welche auch durch die psychische oder körperliche Erkrankung beeinträchtigt werden können. Da der Umgang mit Tieren unmittelbar an die menschlichen Gefühle appelliert und dadurch eine authentische Beziehung zum Tier entsteht, empfinden Menschen mit Belastungen im affektiven und sozialen Bereich diesen Umgang im Allgemeinen als besonders bereichernd (Blesch 2013; Otterstedt 2001; Pottmann-Knapp 2013; Proietti und La Gatta 2005).

    Oder um es anders auszudrücken: Je beeinträchtigter ein Mensch durch seine Erkrankung ist, umso wichtiger wird das Gefühl, von einem Gegenüber angenommen zu werden und sich im Kontakt mit ihm wohl und sicher zu fühlen. Die zuvor beschriebenen zentralen Aspekte des Kontaktes mit einem Tier – nämlich die Authentizität, die bedingungslose Annahme, die analoge Kommunikation und die Gefühlsorientierung – werden vor diesem Hintergrund somit auch und gerade von Menschen mit den körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen wertgeschätzt.

    1.2.2 Entstehungsgeschichte der tiergestützten Therapie

    Die tiergestützte Therapie ist erst in den letzten Jahrzehnten und insbesondere den letzten Jahren zu einem Therapieverfahren geworden, das sowohl von Wissenschaftlern ernsthaft erforscht wird als auch Laien ein Begriff ist. Erste Ansätze und Versuche, Menschen mittels tiergestützter Therapie zu helfen, können jedoch bis ins späte 18. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Damals begann ein englischer Arzt, Wiliam Tuke, damit, seine Patienten dazu anzuhalten, sich um Tiere zu kümmern. Er arbeitete in einem von den Quäkern geförderten psychiatrischen Zentrum und ging davon aus, dass das Versorgen von schwächeren Lebewesen die Impulskontrolle seiner Patienten verbessern könnte. Im 19. Jahrhundert ging ein Epilepsie-Zentrum im deutschen Bielefeld einen ähnlichen Weg. Ein Hof mit Pferden und Kleintieren wurde für die Patienten eingerichtet und es wurde ihnen ermöglicht, auszureiten und sich um die Tiere zu kümmern. Ein weiterer Meilenstein der Entstehungsgeschichte der tiergestützten Therapie ist dann im 20. Jahrhundert zu finden. Auf der Suche nach Möglichkeiten zur Rehabilitation von durch den Zweiten Weltkrieg traumatisierten Soldaten wurden im amerikanischen „Pawling Army Air Force Convalescent Centre" ebenfalls Tiere zu therapeutischen Zwecken eingesetzt. Ob die Tatsache, dass die Psychoanalytiker Sigmund Freud und C. G. Jung jeweils gelegentlich ihre Hunde mit in die Therapien nahmen (Pottmann-Knapp 2013), als weitere Etappe zu werten oder nur eine nette Anekdote in diesem Zusammenhang ist, bleibt wohl Ansichtssache.

    In den 1950er-Jahren entstanden die ersten wirklichen schriftlichen Darstellungen dieses Therapieverfahrens und – in diesem Zusammenhang – die mittlerweile veraltete Bezeichnung Pet Therapy. Der amerikanische Psychiater Boris Levinson bemerkte, dass ein an Autismus leidender Junge sich offener verhielt und er besseren Zugang zu ihm bekam, wenn der Hund von Levinson mit in der Praxis war. Fortan setzte Levinson seinen Hund bewusst als Co-Therapeuten in der Therapie des Jungen ein und verfasste darüber das Buch „The dog as co-therapist", wodurch der Begriff Pet Therapy geprägt wurde. Levinsons’ Ansatz wurde in der 1970er-Jahren vom Psychiater-Ehepaar Corson aufgegriffen und auf die Therapie von Erwachsenen bezogen. Hier entstand die Bezeichnung Pet Facilitated Therapy. In den darauf folgenden Jahrzehnten weitete sich der noch sehr vereinzelte und spezielle Einsatz von Tieren in der Therapie langsam aus. Vereine entstanden, wie die amerikanische Delta Society (1977) oder

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