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Phonetische und phonologische Störungen bei Kindern: Aussprachetherapie in Bewegung
Phonetische und phonologische Störungen bei Kindern: Aussprachetherapie in Bewegung
Phonetische und phonologische Störungen bei Kindern: Aussprachetherapie in Bewegung
eBook646 Seiten5 Stunden

Phonetische und phonologische Störungen bei Kindern: Aussprachetherapie in Bewegung

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Über dieses E-Book

Dieses Lehrbuch bietet im Bereich der Kindersprache tätigen Logopäden umfassendes Praxiswissen zur Diagnostik und Therapie kindlicher Aussprachestörungen. 
Die erfahrenen Autorinnen vermitteln kompakt die Grundlagen zu Phonetik und Phonologie sowie zum physiologischen Lauterwerb und erläutern die genaue Befunderhebung auch unter Aspekten von ICF. Sie stellen bewährte Therapiemethoden vor und zeigen das konkrete Vorgehen in der individuellen Therapiegestaltung.  Profitieren Sie von zahlreichen praktischen Anregungen und Spielideen zur Lautbildung und –Verwendung. So gelingt die vielfältige und erfolgreiche Behandlung von Aussprachestörungen, die gleichzeitig die Sprachverarbeitungsfähigkeiten des Kindes miteinbezieht.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum12. Dez. 2016
ISBN9783662527733
Phonetische und phonologische Störungen bei Kindern: Aussprachetherapie in Bewegung

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    Buchvorschau

    Phonetische und phonologische Störungen bei Kindern - Martina Weinrich

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2017

    Martina Weinrich und Heidrun ZehnerPhonetische und phonologische Störungen bei KindernPraxiswissen Logopädie10.1007/978-3-662-52773-3_1

    1. Kindlicher Lauterwerb und Aussprachestörungen

    Martina Weinrich¹   und Heidrun Zehner²

    (1)

    Staatl. BFS für Logopädie am Universitätsklinikum Regensburg, Universitätsstr. 84, 93053 Regensburg, Deutschland

    (2)

    BFS für Logopädie/Studiengang B.Sc. Logopädie, Waldstr. 14, 91054 Erlangen, Deutschland

    Martina Weinrich

    Email: martina.weinrich@klinik.uni-regensburg.de

    1.1 Begriffsklärung

    Phonetische und phonologische Störungen zählen zu den kindlichen Aussprachestörungen. Diese Begriffe werden im Folgenden näher erläutert und ihre Verwendung dargestellt.

    Das Wissen um physiologische Zusammenhänge, die die Aussprache betreffen, erleichtert das Verständnis und Analysieren von auftretenden Störungsformen. Immer noch existieren national und international unterschiedliche Begriffe, die je nach theoretischem Ansatz anders definiert, häufig jedoch trotzdem synonym für das gleiche Erscheinungsbild der Ausspracheauffälligkeit verwendet werden. Teilweise werden Begriffe für Störungsformen voneinander abgegrenzt, die aus anderer Sicht als Oberbegriff für jegliche Auffälligkeit in der Aussprache gelten. Dies verdeutlicht die Komplexität des Störungsbildes. Aktuell trifft man im deutschsprachigen Raum meistens auf die Begriffe Aussprachestörung, phonetische bzw. phonologische Störung sowie Artikulationsstörung. Deshalb wird die Verwendung dieser Begriffe im Folgenden näher erläutert. Die Bedeutung des Begriffs „Dyslalie" wird im Exkurs „Dyslalie" erläutert.

    Exkurs

    Vorrangig können zwei Arten lautlicher Einschränkungen unterschieden werden. So ist es möglich, dass ein Kind bestimmte Laute aufgrund von artikulationsmotorischen Schwierigkeiten nicht richtig bildet. Es kann also den Laut phonetisch nicht realisieren, das Sprechen ist beeinträchtigt. Bei dieser Form der Aussprachestörung handelt es sich um eine phonetische Störung bzw. Artikulationsstörung. Andere Kinder können Laute zwar richtig bilden, setzen diese aber im Wort nicht korrekt ein. Sie haben Schwierigkeiten, die Laute gemäß den sprachsystematischen phonologischen Regeln richtig anzuwenden. Hierbei handelt es sich um sprachliche Schwierigkeiten, die auch als phonologische Störung bezeichnet werden (Dodd 1995). Vereinfachend lassen sich phonetisch-artikulatorische Schwierigkeiten auch als Lautbildungsstörung begreifen. In Abgrenzung dazu kennzeichnen phonologisch-sprachsystematische Probleme eine Lautverwendungsstörung.

    Bedingt durch die aktuelle psycholinguistische Sichtweise auf Aussprachestörungen hat sich im logopädisch-sprachtherapeutischen Kontext mittlerweile die Unterscheidung dieser beiden Störungsformen etabliert. Möchte man übergreifend über Auffälligkeiten im Bereich der Lautbildung und -verwendung sprechen, so wird gerne der Begriff Aussprachestörung verwendet. Er entwickelte sich analog zum englischsprachigen Begriff „speech sound disorder" (ASHA 2004), vermeidet eine zu einseitige Sichtweise auf das komplexe Störungsbild und grenzt es recht stimmig von Störungen anderer sprachlicher Ebenen ab (z. B. Wortschatz-/Wortfindungs- oder Grammatikerwerbsstörung). Nach Möglichkeit wird im Folgenden trotzdem zwischen Lautbildung (stellvertretend für die sprechmotorische Fertigkeit) und Lautverwendung (stellvertretend für die regelhafte Anwendung der Laute) unterschieden. Als Oberbegriff und Synonym zu Aussprachestörungen wird außerdem auch der Begriff phonetisch-phonologische Störung genutzt.

    Eine Aussprachestörung umfasst Einschränkungen im Bereich der Lautbildung und -verwendung.

    Prinzipiell kommen beide beschriebene Phänomene auch in der normalen Sprachentwicklung vor. Erst wenn sie außerhalb der Altersnorm auftreten, spricht man von einer Aussprachestörung.

    Exkurs

    Dyslalie

    Der in der Vergangenheit lange verwendete Begriff Dyslalie kommt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus der Vorsilbe „dys und dem Wort „lalein. Dys meint immer eine Einschränkung einer Fähigkeit, während lalein mit „sprechen" übersetzt werden kann. Dyslalie steht somit im Sinne seiner eigentlichen Bedeutung für eine eingeschränkte Sprech-/Artikulationsfähigkeit. Damit ist ursprünglich gemeint, dass bestimmte Laute motorisch nicht richtig gebildet werden können. Im Laufe der Zeit wurde der Begriff Dyslalie jedoch teilweise als Oberbegriff für verschiedene Arten von artikulatorischen Auffälligkeiten verwendet. Auch heute noch findet er sich unter anderem im Heilmittelkatalog für Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie und wird demzufolge in ärztlichen Verordnungen als Diagnose angegeben (Gemeinsamer Bundesausschuss 2011).

    Fazit

    Aussprachestörungen lassen sich in zwei Untergruppen unterteilen:

    Phonetische Störung: Die motorische Fertigkeit, einen Laut korrekt zu artikulieren, ist nicht gegeben. Es handelt sich um eine Lautbildungs- und damit Sprechstörung. Diese wird auch Artikulationsstörung genannt.

    Phonologische Störung: Die Fähigkeit, einen artikulatorisch richtig gebildeten Laut korrekt im Wort anzuwenden, ist eingeschränkt. Es handelt sich um eine Lautverwendungs- und damit Sprachstörung.

    1.2 Physiologische Lautbildung und -verwendung

    Die Laute sowie das Lautsystem der deutschen Sprache werden unter phonetischen und phonologischen Gesichtspunkten beschrieben. Es wird dargestellt, wie sich der physiologische Lauterwerb beim Kind vollzieht und welche Voraussetzungen dafür nötig sind.

    1.2.1 Basiswissen Phonetik

    Phonetische Untersuchungen beschäftigen sich mit den physiologischen Gegebenheiten bei der Lautbildung (z. B. Pompino-Marschall 2009). Man analysiert anhand folgender Fragestellungen:

    Artikulatorische Phonetik: Wie werden die Laute artikulationsmotorisch gebildet?

    Akustische Phonetik: Welche physikalischen Eigenschaften weisen sie auf?

    Auditive Phonetik: Wie funktioniert die Aufnahme und Weiterleitung der lautlichen Reize?

    Gegenstand der Phonetik ist immer der Einzellaut in seiner materiellen Beschaffenheit, das sog. Phon .

    Phone werden üblicherweise in eckigen Klammern [ ] notiert, dies bezeichnet die konkrete lautliche Äußerung. Da es im sprachtherapeutischen Alltag immer um die Arbeit mit realen kindlichen Äußerungen geht, wird im Folgenden hauptsächlich diese Schreibweise verwendet (Abschn. 1.2.2).

    Natürlich treten einzelne Laute im normalen Gespräch nicht isoliert auf. Das Sprechen besteht vielmehr aus einer kontinuierlichen Abfolge von Einzellauten, die sich in ihren Artikulationsbewegungen gegenseitig beeinflussen. Man spricht von Koartikulation oder auch assimilatorischen Vorgängen. Somit wird jedes Phon abhängig von seiner lautlichen Umgebung immer etwas anders ausgesprochen werden. Bei [z] in „Sonne werden beispielsweise die Lippen schon leicht gerundet sein, während sie bei „Sieb eher breit gezogen sind. Eine schematische Einteilung gesprochener Sprache, wie sie im Folgenden vorgestellt wird, ist also immer schwierig. Deshalb gibt jede Unterteilung die tatsächliche Lautrealisation nur annähernd wieder.

    Bei der Betrachtung der verschiedenen im Deutschen existierenden Laute unterscheidet man zunächst Vokale und Konsonanten.

    Einteilung der Vokale

    Die Vokale sind von Fehlbildungen weniger häufig betroffen als Konsonanten. In der Therapie jedoch spielen sie als Koartikulatoren eine nicht zu unterschätzende Rolle.

    Bei der physiologischen Bildung der im Deutschen verwendeten Vokale kann der Luftstrom ohne Hindernis den Mundraum passieren, der Nasen-Rachen-Raum wird durch das Velum weitgehend abgeschlossen.

    Vokale sind immer stimmhaft. Sie erhalten ihren charakteristischen Klang durch die Lage der Zunge und die Stellung von Lippen und Kiefer. Diese Kriterien sind in Übersicht 1.1 dargestellt.

    Übersicht 1.1

    Hauptordnungskriterien für Vokale

    Rundungsgrad der Lippen

    Gerundet wie in „rot"

    Ungerundet wie in „Katze"

    Öffnungsgrad des Kiefers

    Geschlossen wie in „schief"

    Offen wie in „Katze"

    Mehrere Zwischenwerte

    Zungenhöhe

    Hoch wie in „schief"

    Tief wie in „Schaf"

    Mehrere Zwischenwerte

    Zungenhebung bezogen auf die horizontale Artikulationsstelle der Zunge

    Vorne wie in „See" (Vorderzungenvokale)

    Zentral wie in „Ball" (Mittelzungenvokale)

    Hinten wie in „Huf" (Hinterzungenvokale)

    Vokalviereck

    Das in Abb. 1.1 dargestellte Vokalviereck verdeutlicht die oben genannten Parameter. So können die einzelnen Vokale bezüglich ihres Bildungsortes und der Stellung der Zunge zugeordnet werden. Der Vollständigkeit halber sind auch die Diphthonge aufgeführt.

    A67100_5_De_1_Fig1_HTML.gif

    Abb. 1.1

    a Vokalviereck, b Diphthonge. (Ergänzt nach einer Vorlage von Pompino-Marschall 2009, S. 266)

    Die Vokale sind phonetisch transkribiert. Tab. 1.1 verdeutlicht deren Aussprache. Im Folgenden werden die Vokale entsprechend der hier dargestellten Transkription notiert. Auf eine zusätzliche Kennzeichnung der Vokallänge (außer bei [a:]/[a] und [ε:]/[ε]) wird verzichtet.

    Tab. 1.1

    Aussprache deutscher Vokale

    Einteilung der Konsonanten

    Im Gegensatz zur Bildung der Vokale ist die Bildung der Konsonanten dadurch gekennzeichnet, dass bei ihrer Produktion eine Verengung oder ein Verschluss im Ansatzrohr den Luftstrom hemmt. Der Phonationsstrom muss ausreichend kräftig sein, damit er die gebildete Enge passieren oder den Verschluss sprengen kann. Eine physiologische Zwerchfellspannung ermöglicht die kontrollierte und dosierte Luftführung. Das Zwerchfell wird (nicht nur bei der Artikulation!) gezielt aktiviert (Abb. 1.2).

    A67100_5_De_1_Fig2_HTML.gif

    Abb. 1.2

    Zwerchfellbeherrschung ist alles. (Aus Watterson 1995b; CALVIN AND HOBBES © Watterson. Reprinted with permission of UNIVERSAL PRESS SYNDICATE. All rights reserved)

    Für die exakte Realisation des Lautmusters wird außerdem eine physiologische orale Muskelfunktion benötigt. Auf eine detaillierte Beschreibung der am Artikulationsvorgang beteiligten Muskelgruppen wird hier nicht näher eingegangen.

    Die Beschreibung der Konsonanten erfolgt in der Regel anhand folgender Kriterien:

    Artikulationsstelle (Ort der lautbildenden Hemmstelle)

    Artikulierendes Organ (hemmstellenerzeugendes Organ)

    Artikulationsmodus (Art der Hemmstellenbildung)

    Überwindungsmodus (Art der Überwindung der Hemmstelle)

    Stimmlosigkeit/Stimmhaftigkeit

    Artikulationsstelle und artikulierendes Organ bilden dabei den Artikulationsort , Artikulationsmodus und Überwindungsmodus kennzeichnen die Artikulationsart .

    Tab. 1.2 erleichtert das Verständnis der phonetischen Transkription für die Konsonanten des Deutschen. Aufgeführt werden gängige Phoneme mit ihren allophonischen Varianten (Abschn. 1.2.2).

    Tab. 1.2

    Aussprache deutscher Konsonanten

    Artikulationsart

    Bei den Konsonanten unterscheidet man, ob die zu deren Bildung erzeugten Hemmstellen den Luftstrom völlig unterbrechen oder nur behindern. Außerdem wird berücksichtigt, in welcher Form der Phonationsstrom das Hindernis überwindet (z. B. durch Reibung oder Sprengung). Die Konsonanten lassen sich dadurch in verschiedene Lautgruppen einteilen (Übersicht 1.2). Die Nasale nehmen eine gewisse Sonderstellung innerhalb der Konsonanten ein. Sie sind die einzige Konsonantengruppe, bei deren Bildung die Luft nicht durch den Mund, sondern durch die Nase entweicht.

    Übersicht 1.2

    Artikulationsarten von Konsonanten*

    Plosive (Verschlusslaute, Explosivlaute)

    Ein vollständiger oraler Verschluss staut den Phonationsstrom, bevor die Luft plötzlich freigegeben wird (Sprengung des Hindernisses). Der Luftstrom entweicht durch den Mund. Man unterscheidet stimmhafte (Lenes) und stimmlose (Fortes) Plosive.

    Stimmlose Plosive: [p], [t], [k]

    Stimmhafte Plosive: [b], [d], [g]

    Nasale

    Wie bei den Plosiven erfolgt ein totaler oraler Verschluss, gleichzeitig ist das Velum jedoch gesenkt. Die Luft entweicht durch die Nase und erzeugt damit eine nasale Resonanz.

    [m], [n], [ŋ]

    Frikative (Reibelaute, Engelaute)

    Der Phonationsstrom durchstreicht geräuschhaft eine schmale Enge. Die Luft entweicht oral. Auch hier unterscheidet man stimmhafte und stimmlose Frikative (Lenes/Fortes).

    Stimmlose Frikative: [f], [s] [ʃ], [ç], [x], [χ], [h]

    Stimmhafte Frikative: [v], [z], [j], [ʁ]

    Lateral

    Die zentrale Zone des vorderen Mundraumes wird verschlossen. Bei gleichzeitiger Erzeugung einer Enge entweicht die Luft an den beiden Seiten der Zunge. Der Nasenraum ist abgeschlossen.

    [l]

    Vibranten (Schwingelaute)

    Der Phonationsstrom wird durch einen intermittierenden Verschluss unterbrochen. Die Luft entweicht durch den Mund.

    [r], [ʀ]

    Affrikaten (Verschluss-Engelaute)

    Dieser Doppellaut ist aus einem Plosiv und einem Frikativ benachbarter Artikulationsstellen zusammengesetzt. Ein zunächst gebildeter Verschluss geht in eine Engebildung über. Die Luft wird kurzzeitig gestaut und entweicht dann geräuschhaft durch den Mund.

    [pf], [ts], [tʃ]

    * Der Einfachheit halber werden im restlichen Buch nur folgende Laute verwendet:

    Statt der Unterscheidung zwischen [x] und [χ] wird, wie oft üblich, bei Hinterzungenvokalen ausschließlich das [x] notiert.

    Der Frikativ [ʁ] und das [r] werden im Text nicht mehr explizit unterschieden. Beide Laute können regional bedingt an die Stelle des geschriebenen [ʀ] treten.

    Die Schreibweise des Phonems [j] als Frikativ wird beibehalten, obwohl sie nicht ganz korrekt ist (eigentlich [ʝ]). Häufig wird sie in der Literatur jedoch so verwendet.

    Die Einteilung nach der Artikulationsart orientiert sich daran, wie der Luftstrom an den gebildeten Hindernissen vorbeigleitet.

    Manchmal werden die Laterale und Vibranten auch unter dem Ausdruck Liquidae zusammengefasst.

    Nasale und Liquidae bilden die Gruppe der Sonoranten (klangbildende Laute), Plosive, Frikative und Affrikaten werden als Obstruenten (geräuschbildende Laute) bezeichnet.

    Artikulationsort

    Im Gegensatz zur Konsonanteneinteilung nach Artikulationsart wird der Mundraum hier in verschiedene Bereiche unterteilt, die einzelnen Konsonanten werden diesen Bereichen zugeordnet.

    Der Artikulationsort beschreibt, an welcher Stelle der Luftstrom die erzeugte Enge oder den Verschluss passiert und welches Artikulationsorgan das Hindernis verursacht.

    Zur Verdeutlichung der verwendeten Termini veranschaulicht Abb. 1.3 die Einteilung des Mundraums und die Unterteilung der Zunge als wichtigstes Artikulationsorgan.

    A67100_5_De_1_Fig3_HTML.gif

    Abb. 1.3

    Artikulationsbereiche und -organe des Mundraums

    Mithilfe dieser Unterteilung ist es möglich, die Konsonanten des Deutschen nach Artikulationsorten zu klassifizieren. Übersicht 1.3 gibt diese Klassifikation wieder. Die Orientierung hierfür erfolgt am International Phonetic Alphabet (IPA) (► Serviceteil, Abschn. A4 und unter http://​extras.​springer.​com/​978-3-662-52772-6).

    Übersicht 1.3

    Artikulationsorte von Konsonanten

    Bilabiale

    Der Laut entsteht durch den Kontakt von Ober- und Unterlippe.

    [p], [b], [m]

    Labiodentale

    Bei der Lautbildung legt sich die Unterlippe an die oberen Schneidezähne an.

    [f], [v]

    Alveolare

    Die Zungenspitze artikuliert gegen den oberen Alveolardamm.

    [t], [d], [n], [l], [r], [s]/[z]*

    Postalveolare/Präpalatale

    Der vordere Teil der Zunge artikuliert gegen den vorderen Teil des harten Gaumens.

    [ʃ]

    Palatale

    Der mittlere Teil der Zunge artikuliert gegen den harten Gaumen.

    [ç], [j]

    Velare

    Der hintere Teil der Zunge artikuliert gegen den weichen** Gaumen.

    [k], [g], [ŋ], [x]

    Uvulare

    Das Zäpfchen vibriert.

    [ʀ]

    Laryngeale/Pharyngeale/Glottale

    Die Bildung des Lautes erfolgt im Rachen-/Kehlkopfbereich.

    [h]

    * Beim dorsalen [s]/[z] nähert sich die Zungenmitte dem oberen Alveolardamm, während die Zungenspitze an den unteren Schneidezähnen liegt.

    ** Nicht immer kann man alle Laute exakt einem Artikulationsort zuordnen. Das [k] wird z. B. je nach Koartikulator eher palatal (z. B. bei [e] und [i]) oder eher velar (z. B. bei [a] und [u]) artikuliert. In der Regel wird es aber als Velar bezeichnet.

    Artikulationszonen

    Im Rahmen der logopädisch-sprachtherapeutischen Behandlung wird teilweise eine Einteilung der Konsonanten in sog. Artikulationszonen vorgenommen. Dabei werden Konsonanten bezüglich ihres Artikulationsortes in Gruppen zusammengefasst (Übersicht 1.4). Diese Zuordnung ermöglicht, Ersetzungsprozesse von Kindern schnell erfassen und benennen zu können. Vor allem die Vor- oder Rückverlagerung von Lauten lässt sich anhand der Artikulationszonen leicht nachvollziehen.

    Übersicht 1.4

    Artikulationszonen von Konsonanten

    Vordere Artikulationszone: Bilabiale, Labiodentale

    Mittlere Artikulationszone: Alveolare, Postalveolare

    Hintere Artikulationszone: Palatale, Velare, Uvulare, Laryngeale

    Tipp Literatur

    Mayer J (2014) Linguistische Phonetik. http://​praatpfanne.​lingphon.​net/​downloads/​LinguistischePho​netik.​pdf

    Pompino-Marschall B (2009) Einführung in die Phonetik, 3. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin New York

    Kohler KJ (1995) Einführung in die Phonetik des Deutschen, 2. Aufl. Schmidt, Berlin

    Tipp Material

    Im Internet gibt es mittlerweile verschiedene Möglichkeiten, sich mit den Lauten des International Phonetic Alphabet (IPA) vertraut zu machen (z. B. Laute anhören, wiedererkennen, den IPA-Zeichen zuordnen, transkribieren):

    Summer Institute of Linguistics SLI (2008): „IPA Help" (Kostenlose Software zum Downloaden, http://​www.​sil.​org/​resources/​software_​fonts/​ipa-help)

    Greisbach R (2011): „Phonetik interaktiv" (Online-Portal mit deutsch ausgesprochenen Lautbeispielen, http://​phonetik.​sprachsignale.​de/​phonetiklernen.​html)

    Fazit

    Phonetische Kriterien für die Lauteinteilung sind artikulatorischer, akustischer oder auditiver Art.

    Analysiert wird das Phon, der konkret geäußerte Laut, der in eckigen Klammern [ ] notiert wird.

    Man unterscheidet Vokale und Konsonanten, die Konsonanten lassen sich nochmals nach Artikulationsart und -ort einteilen.

    Die einzelnen Laute werden in phonetischer Transkription festgehalten.

    1.2.2 Basiswissen Phonologie

    Die phonologische Sichtweise verdeutlicht die Systematik der Laute einer Sprache (Hall 2011): Wie sind Laute innerhalb bestimmter Segmente angeordnet? Welche Laute kommen in welchen Positionen vor oder nicht vor? Welche Lautkombinationen sind in einer Sprache erlaubt? Wie erfolgt die Anordnung der Laute zu Wörtern oder Phrasen? Phonologie beschäftigt sich also mit der Funktion von Lauten im Sprachsystem sowie mit Regeln der Lautverwendung.

    Während die segmentale Phonologie den Blick auf einzelne Laute richtet, beschäftigt sich die prosodische Phonologie mit lautübergreifenden Besonderheiten und Regeln (Meibauer et al. 2007).

    Phoneme

    Phonetische Untersuchungen beschäftigen sich mit konkret wahrnehmbaren Lauten, den Phonen. In der Phonologie geht es nun um abstrakte Lauteinheiten, die Phoneme. Dazu wird analysiert, welche Laute bedeutungsunterscheidend wirken. Diese bedeutungsunterscheidende Funktion lässt sich mithilfe von Minimalpaaren herausstellen. Ein Minimalpaar besteht aus einem Wortpaar, das nur in einem kleinsten lautlichen Element differiert (z. B. Saal – Schal). Durch dieses Element verändert sich jedoch die Bedeutung des Wortes grundlegend, die beiden Laute (im oben genannten Beispiel [z] und [ʃ]) stehen in Opposition zueinander. Laute, die eine derart bedeutungsunterscheidende Funktion besitzen, werden als Phoneme bezeichnet. Phoneme werden, im Gegensatz zu Phonen, in Schrägstrichen / / notiert, auch hier bedient man sich der phonetischen Transkription (► Serviceteil, ► Abschn. A4 und unter http://​extras.​springer.​com/​978-3-662-52772-6).

    Ein Phonem wird als kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit der Sprache bezeichnet (z. B. Willi 2004; Hall 2011).

    Exkurs

    Betrachtet man Phoneme genauer, so erkennt man, dass sie aus verschiedenen kleineren phonetischen Einheiten bestehen, den sog. distinktiven Merkmalen (Hall 2011).

    Exkurs

    Allophone

    Es gibt Laute, die nicht als Phoneme bezeichnet werden, sondern allophonische Varianten eines bestimmten Phonems darstellen.

    So stehen die Laute [ç] und [x] nicht in Opposition zueinander, da [ç] prinzipiell nur nach Vorderzungenvokalen, im Wort- und Silbenanlaut und nach Konsonanten, [x] hingegen nur nach Hinterzungenvokalen gesprochen wird. Hier handelt es sich um Allophone des Phonems /x/.

    Auch [r] und [ʀ] gelten nicht als Phoneme, da sie nicht bedeutungsunterscheidend wirken. Es handelt sich um regionale Aussprachebesonderheiten, man spricht von den Allophonen des Phonems /r/.

    Distinktive Merkmale

    Das Analysieren einzelner Phoneme ermöglicht, deren wesentliche akustische oder artikulatorische Merkmale zu erkennen. Aufgrund dieser Merkmale können Phoneme in Klassen zusammengefasst werden (z. B. Vokale, Plosive, Frikative, siehe auch Abschn. 1.2.1). Kennzeichen eines distinktiven Merkmals ist, dass es in irgendeiner natürlichen Sprache der Welt kontrastiv wirkt. Damit ist es für die bedeutungsunterscheidende Funktion des Phonems verantwortlich. Je nach Sprache gibt es unterschiedlich viele distinktive Merkmale. Sie werden meist in sog. Merkmalsmatrizen dargestellt, wobei es keine einheitliche Klassifizierung gibt. Die Zusammenstellung der Merkmale erfolgt in der Regel theoriegeleitet. Gedanke dabei ist, jene Merkmale der Sprache aufzulisten und zu benennen, die tatsächlich eine distinktive Funktion zweier Sprachlaute bewirken. Allerdings kommt es häufig vor, dass Laute aufgrund von zwei (oder mehr) Merkmalen bedeutungsunterscheidend sind. Hier wird angenommen, dass eines der Merkmale redundant und durch andere Regeln beschreibbar ist (Hall 2011). Chomsky und Halle (1968) stellten ein System vor, das später von anderen Autoren revidiert und angepasst wurde (für das Deutsche z. B. Wiese 2000). Die meisten Merkmalstheorien gehen davon aus, dass bei jedem Phonem ein Merkmal entweder vorhanden [+] oder nicht vorhanden [–] ist. So lassen sich einzelne Phoneme bezüglich ihrer distinktiven Merkmale unterscheiden.

    Übersicht 1.5 veranschaulicht eine Auswahl an Merkmalen von Phonemen. Sie lehnt sich an die Einteilung von Hall (2011) an und beschreibt Konsonanten (siehe auch Übersicht 1.2 und 1.3). Nicht alle aufgelisteten Merkmale gelten laut dieser Einteilung als distinktiv, sind jedoch für die Beschreibung von Aussprachestörungen hilfreich (z. B. das Merkmal [+/– hinten]).

    Übersicht 1.5

    Therapierelevante Merkmale von Phonemen (Konsonanten)

    Oberklassenmerkmale

    [+/– konsonantisch]

    Alle Konsonanten sind konsonantisch, Vokale sind nicht konsonantisch.

    [+/– sonorant]

    Laute, die klangbildend und damit gleichzeitig spontan stimmhaft sind, sind sonorant (Nasale, Lateral, Vibranten).

    Stimmhaftigkeit (laryngeales Merkmal)

    [+/– stimmhaft]

    Laute, bei denen die Stimmlippen schwingen, sind stimmhaft (Nasale, Lateral, Vibranten, stimmhafte Plosive und stimmhafte Frikative).

    Artikulationsart

    [+/– kontinuierlich]

    Laute, bei denen der Luftstrom im mittleren Bereich nicht blockiert wird, sind kontinuierlich (Frikative, Vibranten).

    [+/– nasal]

    Laute, die mit gesenktem Velum artikuliert werden, sind nasal (Nasale).

    Artikulationsort und -organ

    [+/– labial]

    Laute, die mit den Lippen gebildet werden, sind labial (Bilabiale, Labiodentale).

    [+/– koronal]

    Laute, die mit der Zungenspitze gebildet werden, sind koronal (Alveolare, Präpalatale).

    [+/– anterior]

    Laute, die am Alveolardamm gebildet werden, sind anterior (Alveolare).

    [+/– hinten]

    Laute, bei denen der Zungenrücken nach hinten verlagert wird, haben das Merkmal „hinten" (Velare, Uvulare).

    [+/– hoch]

    Laute, bei denen Zungenmitte und -rücken angehoben werden, haben das Merkmal „hoch" (Präpalatale, Palatale, Velare).

    Beispiel

    Tasse und Tasche unterscheiden sich nur durch die Phoneme /s/ und /ʃ/. Die Merkmale der Phoneme lassen sich wie folgt definieren:

    /s/

    [+konsonantisch], [–sonorant], [–stimmhaft], [+kontinuierlich], [–nasal], [–labial], [+koronal], [+anterior], [–hinten], [–hoch].

    /ʃ/

    [+konsonantisch], [–sonorant], [–stimmhaft], [+kontinuierlich], [–nasal], [–labial], [+koronal], [–anterior], [–hinten], [+hoch].

    Diese Phoneme unterscheiden sich also lediglich in den Merkmalen anterior (Artikulationsort) und hoch (Zungenhöhe).

    Phonotaktik und phonologische Regeln

    Die phonologische Sichtweise beschäftigt sich nicht nur mit dem einzelnen Phonem und seinen distinktiven Merkmalen. Vielmehr betrachtet sie auch, wie Phoneme zu Lautabfolgen kombiniert und wie die Phoneme im Sprachgebrauch realisiert werden.

    In jeder Sprache sind bestimmte Lautkombinationen zulässig, andere hingegen nicht. So ist z. B. im Deutschen die Konsonantenverbindung [bl] wortinitial erlaubt („blau), nicht jedoch die Konsonantenkombination [lb] („lbau). Damit unterliegen Lautkombinationen bestimmten phonotaktischen Bedingungen, die auch als phonotaktische Beschränkung oder „phonotaktischer Constraint" bezeichnet werden (Hall 2011).

    Die Phonotaktik befasst sich mit den möglichen (und unmöglichen) Kombinationen von Einzellauten einer Sprache.

    Während die Phonotaktik zulässige Lautkombinationen betrachtet, werden Besonderheiten, die bei der Lautverwendung auftreten, durch sog. phonologische Regeln beschrieben. Beim Sprechen beeinflussen bestimmte Laute die Verwendung anderer Laute und bewirken, dass Phoneme ersetzt oder an andere im Wort vorkommende Laute angeglichen werden. Auch das Einfügen oder Auslassen von Lauten findet sich im spontanen Sprachgebrauch, ohne dass dadurch die Verständlichkeit beeinträchtigt wird.

    Phonologische Regeln beschreiben die Bedingungen, die dazu führen, dass Laute im Sprachgebrauch verändert werden.

    Im Deutschen finden sich beispielsweise folgende Veränderungen, die sich durch phonologische Regeln definieren lassen (vgl. Meibauer et al. 2007; Hall 2011):

    Neutralisierung (Aufheben des Kontrastes zweier Phoneme), z. B. Auslautverhärtung von stimmhaften Obstruenten

    (z. B. Weg – [vek], aber Wege – [vegə]; brav – [braf], aber brave – [bravə])

    Assimilation (Lautangleichung) durch phonetische Umgebungen

    (z. B. Leben – [lebm] oder [lem] statt [lebn])

    Tilgung (Lautauslassung) von Schwa, jedoch nur vor Sonoranten im Wortauslaut

    (z. B. Faden – [fadn] statt [fadən], Vogel – [fogl] statt [fogəl])

    Tilgung von finalen Lauten

    (z. B. nicht – [nɪç] statt [nɪçt], ist – [ɪs] statt [ɪst])

    Epenthese (Einfügung von Lauten)

    (z. B. schwimmst – [ʃvɪmpst] statt [ʃvɪmst], kommt – [kɔmpt] statt [kɔmt])

    Physiologischerweise existierende Lautveränderungen müssen in der Diagnostik von kindlichen Aussprachestörungen entsprechend beurteilt werden.

    Die Silbe

    Die Silbe gilt als wichtigste segmentübergreifende Einheit. Die Analyse der Silbenstruktur und deren Bedeutung für phonologische Regeln hat eine eigene Forschungsrichtung hervorgerufen, die Silbenphonologie. Hier wird aufgrund der Auftretenshäufigkeit einzelner Phoneme an bestimmten Silbenpositionen versucht, Silbenstrukturbedingungen zu analysieren, Silbengrenzen zu bestimmen (Silbifizierung ) und somit den Aufbau und die innere Organisation der Silbe zu erfassen. Eine zentrale Rolle spielen hierbei sprachspezifische und sprachübergreifende Betrachtungen.

    Bei der nichtlinearen hierarchischen Darstellungsweise der Silbe ergeben sich unterschiedliche Möglichkeiten, von denen im Folgenden eine näher erläutert wird (vgl. Vellemann 2002; Meibauer et al. 2007; Hall 2011).

    Silbenstruktur

    Beim Blick auf die Silbenstruktur lässt sich zunächst der Silbenanlaut (Onset ) vom Reim abgrenzen, der Reim wiederum setzt sich zusammen aus Silbenkern (Nucleus ) und Silbenauslaut (Coda ) (Willi 2004; Fischer 2009; Hall 2011):

    Der Onset kann im Deutschen aus bis zu 3 Konsonanten bestehen, sie bilden den Silbenbeginn. Auch ein Vokal kann am Anfang einer Silbe stehen. In diesem Fall entsteht vor dem Vokal ein „Kehlkopfton" [ʔ], der als Silbenbeginn zählt.

    Das Silbenende (Coda) kann zwischen einem und höchstens vier Konsonanten beinhalten. In diesem Fall handelt es sich um eine geschlossene Silbe. Endet die Silbe mit dem Silbenkern und damit ohne Konsonant, so spricht man von einer offenen Silbe.

    Der Silbenkern (Nucleus) besteht in der Regel aus einem Vokal oder Diphthong. Handelt es sich um eine unbetonte Silbe (z. B. in zweisilbigen Wörtern wie „Leben oder „Segel), so bilden aufgrund phonologischer Regeln die entsprechenden Sonoranten den Silbengipfel, z. B. [le.bn], [se.gl] (Meibauer et al. 2007; Hall 2011).

    Damit ergibt sich vereinfachend linear gedacht folgende Phonemabfolge innerhalb einer Silbe:

    K1–3 – V – K1–4 (K = Konsonant, V = Vokal).

    Eine Silbe besteht aus Onset, Nucleus und Coda. Nucleus und Coda bilden zusammen den Reim der Silbe.

    Abb. 1.4 veranschaulicht die beschriebene Silbenstruktur und führt beispielhaft mögliche Besetzungen der einzelnen Silbenpositionen auf. Im Exkurs „Sonorität und Markiertheit " wird erläutert, aus welchem Grund bestimmte Laute an bestimmten Silbenpositionen vorkommen können.

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    Abb. 1.4

    Die Struktur einer Silbe σ. Zur besseren Lesbarkeit werden die Phoneme ohne Klammern geschrieben. Bei den Zweisilbern sind die zwei Silben des jeweiligen Wortes untereinander notiert ([fo.gl], [ta.ʃə], [haʊs.dax]).

    Um zu entscheiden, welche Laute bei mehrsilbigen Wörtern zu einer oder der anderen Silbe gehören, bildet man ausgehend vom Nucleus zunächst den größtmöglichen Silbenanlaut (Onset-Maximierung ). Hierbei berücksichtigt man Sonorität und Aspekte der Markiertheitstheorie (Exkurs „Sonorität und Markiertheit "). Als Ausnahme gelten lediglich Morphemgrenzen, die immer zu einer Trennung von zwei Konsonanten führen, auch wenn diese als Konsonantenkombination toleriert würden. Abschließend wird der Silbenauslaut festgestellt (Hall 2011).

    Exkurs

    Für die Betonung von Wörtern spielt das sog. Silbengewicht eine wichtige Rolle (Exkurs „Silbengewicht"). In der Regel werden schwere Silben betont, leichte Silben sind eher unbetont. Durch die Silbenabfolge und ihrer Betonungsmuster ergibt sich der Übergang zu den nächsthöheren phonologisch-prosodischen Einheiten.

    Exkurs

    Exkurs

    Sonorität und Markiertheit

    Innerhalb einer Silbe lässt sich eine bestimmte „Klangabfolge" feststellen (Sonorität): Die Silbe beginnt mit Phonemen, die wenig Klang besitzen, der Klanganteil steigert sich bis zum Vokal oder Diphthong im Silbenkern und nimmt zum Silbenende wieder ab. Ausschlaggebend hierfür ist das sog. Sonoritätsprinzip, das sprachübergreifend und universell wirkt. Dieses phonologische Prinzip besagt, dass die Sonorität vom Onset zum Nucleus zunimmt und zur Coda hin wieder abnimmt. Folgende Rangfolgen geben Aufschluss über den zunehmenden Sonoritätsgrad einzelner Phoneme:

    Obstruenten – Nasale – Liquidae – Vokale (Hall 2011),

    Plosive – Frikative – Nasale – /l/ – /r/ – Vokale (Vater 2002).

    Durch dieses Prinzip lassen sich zulässige Konsonantenabfolgen in Konsonantenkombinationen des Deutschen gut erklären, wobei Ausnahmen die Regel bestätigen (z. B. [ʃtr] in „Streit, [kt] in „Takt). Auch die Besetzung des Nucleus mit Vokalen oder Sonoranten (Liquidae und Nasale) wird so nachvollziehbar.

    Die Tatsache, dass bestimmt Konsonantenabfolgen in Silben möglich sind, obwohl sie das Sonoritätsprinzip verletzen, wird durch die Markiertheit dieser Strukturen erklärt. Eine unmarkierte Struktur gilt als basal und tritt in Einzelsprachen und sprachübergreifend in der Regel häufiger als eine markierte Struktur auf. Sie wird von Kindern meist früh erworben und ist artikulatorisch leichter zu bilden.

    Für die Silbenstruktur mit Konsonanten (K) und Vokalen (V) bedeutet das (Hall 2011):

    1.

    Unmarkierte Struktur KV (vor V):

    Ein Konsonant im Onset der Silbe ist unmarkierter als der Beginn einer Silbe mit Vokal.

    2.

    Unmarkierte Struktur KV (vor KKV):

    Ein Konsonant im Onset der Silbe ist unmarkierter als eine Doppel- oder Mehrfachkonsonanz.

    3.

    Unmarkierte Struktur KV (vor KVK):

    Eine offene Silbe ohne Coda ist unmarkierter als eine geschlossene Silbe.

    4.

    Unmarkierte Struktur VK (vor VKK):

    Je weniger Konsonanten in der Coda stehen, desto unmarkierter ist die Silbe.

    5.

    Unmarkierte Struktur Vokal (vor Sonorant):

    Vokale sind als Silbenkern unmarkierter als Sonoranten.

    Für die Abfolge der Phoneme innerhalb der Konsonantenkombinationen gilt: Abfolgen, die das Sonoritätsprinzip beachten, sind unmarkiert, Abfolgen, die das Prinzip verletzen, sind markiert.

    Exkurs

    Silbengewicht

    Die Bestimmung des Silbengewichts ermöglicht, leichte von schweren Silben zu unterscheiden. Hierbei werden die Dauer und Länge von einzelnen Einheiten analysiert. Dieses Vorgehen liefert somit Erkenntnisse über Betonungsmuster von Silbenabfolgen.

    Das Gewicht der Silbe kann anhand der Reimstruktur der Silbe bestimmt werden: Handelt es sich um einen verzweigenden Reim mit Nucleus und Coda (schwere Silbe) oder ist der Reim unverzweigt, die Silbe also offen (leichte Silbe)? Aber auch die sog. Mora μ als Zähleinheit lässt sich als Maß zur Bestimmung des Silbengewichts nutzen. Leichte Silben haben eine Mora (kurzer Vokal), schwere Silben zwei Moren (langer Vokal oder Diphthong) (Hall 2011).

    Penner et al. (2006

    ) kombinieren beide Aspekte und ergänzen die Zuordnung um superschwere Silben mit drei Moren:

    Der Fuß und das phonologische Wort

    Fügt man Silben zusammen, so ergibt sich eine weitere linguistische Einheit, der sog. Fuß . Dieser Begriff entstammt der klassischen Versmetrik. Der Fuß ist eine prosodische Einheit, die aus genau einer betonten Silbe und einer oder mehreren unbetonten Silben besteht. Dabei wird die betonte Silbe als Kopf des Fußes bezeichnet (Hall 2011). Im Deutschen enthalten viele Wörter ein trochäisches Betonungsmuster mit prominenter erster Silbe, z. B. „Name" (Fikkert et al. 1998; Penner et al. 2006). Durch die Kombination von Füßen zu größeren Einheiten entstehen schließlich phonologische Wörter .

    Beim Trochäus besteht die rhythmische Abfolge aus einer betonten Silbe gefolgt von einer unbetonten Silbe.

    Wort- und Satzakzent

    Der Akzent und damit die Betonung von Wörtern lässt sich an unterschiedlichen Parametern festmachen: Handelt es sich beim phonologischen Fuß um einen Trochäus oder nicht? Ist im Wort der erste oder letzte Fuß betont? Bei Nomenkomposita (zusammengesetzten Nomen) lassen sich Haupt- von Nebenakzenten unterscheiden. In der Regel erhält im Deutschen das erste Nomen die Hauptbetonung (Hall 2011).

    Beispiele für Betonungsmuster

    Wörter, die lediglich aus einem phonologischen Fuß bestehen, z. B. [te], [bot] [ha:zə], [tasə), [kanə]

    Wörter, die aus mehr Lauteinheiten als einem Fuß bestehen und am rechten Wortrand einen trochäischen Fuß enthalten, z. B. [ba’na:nə], [ʃoko’la:də], [lɔkɔmo’tivə]

    Wörter mit betonter finaler Silbe, z. B. [pa’ket], [sa’lat], [elε’fant], [krɔkɔ’dil]

    Nomenkomposita, z. B. Fußballfeld, Haustür

    Neben den oben beschriebenen Betonungsregeln ermöglicht das Setzen von Wortakzenten, eine besondere Intention zu verdeutlichen (z. B.: Er wird ihn gleich ´übersetzen. Er wird ihn gleich über´setzen.). Auch durch Satzakzente lässt sich dieser Effekt erreichen (z. B.: Morgen werde ich mein Fahrrad verKAUFen. MORgen werde ich mein Fahrrad verkaufen. Morgen werde ich mein FAHRrad verkaufen.). Ein Akzent wird in der Regel durch eine Änderung der Tonhöhe oder der Lautstärke erzeugt. Aber auch eine Veränderung des Sprechtempos oder kurze Pausen lassen Wort- oder Satzakzente entstehen.

    Tipp Literatur

    Hall TA (2011) Phonologie. Eine Einführung, 2. Aufl. Walter de Gruyter, Berlin New York

    Grassegger H (2010) Phonetik Phonologie, 4. Aufl. Schulz Kirchner, Idstein

    Fischer R (2009) Linguistik für Sprachtherapeuten. ProLog, Köln

    Gadler H (2006) Praktische Linguistik, 4. Aufl. Francke, Tübingen

    Willi U (2004) Phonetik und Phonologie. In: Linke A, Nussbaumer M, Portmann PR Studienbuch Linguistik (Reihe Germanistische Linguistik), 5. Aufl. Niemeyer, Tübingen

    Vater H (2002) Einführung in die Sprachwissenschaft, 4. Aufl. Fink, München

    Fazit

    Phonologie analysiert die Systematik der Lautverwendung. Dabei spielen auch prosodische Aspekte eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zum Phon handelt es sich beim Phonem um eine abstrakte sprachliche Einheit, die in Schrägstrichen / / notiert wird.

    Die Beschäftigung mit den distinktiven Merkmalen von Phonemen ermöglicht, deren bedeutungsunterscheidende Funktion zu erkennen.

    Segmentübergreifend beschreibt die Phonotaktik Kombinationsregeln, nach denen Phoneme verbunden werden.

    Die Silbe als zentrale sprachliche Einheit ist nach speziellen Gesetzmäßigkeiten aufgebaut und spielt eine wichtige Rolle bei der Wortbetonung.

    Durch Wort- und Satzakzente lassen sich sprachliche Äußerungen prosodisch gliedern.

    1.2.3 Sprachverarbeitung

    Um Abläufe bei der Sprachproduktion und dem Sprachverständnis nachvollziehen zu können, das diagnostische Vorgehen zu optimieren sowie eine passende Therapieplanung abzuleiten, werden rezeptive und produktive sprachliche Leistungen und deren mentale Organisationsstrukturen durch Sprachverarbeitungsmodelle dargestellt. Sehr häufig werden Modelle zur Veranschaulichung des Wortabrufs und der Strukturierung des Lexikons verwendet. Andere Modelle beziehen auch die grammatikalische Form von Äußerungen mit ein. Prinzipiell lassen sich autonome Modelle von interaktiven Modellen unterscheiden.

    Autonome Modelle

    Hierbei handelt es sich um Modelle, die

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