Forensische Psychiatrie: Leitfaden für die klinische und gutachterliche Praxis
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Über dieses E-Book
Forensische Psychiatrie und Rechtswissenschaft, gesetzliche Bestimmungen und Rechtsprechung entwickeln sich ständig weiter. In den letzten Jahren wurden wesentliche Änderungen in den Bereichen Unterbringung, freiheitsentziehende sowie Behandlungsmaßnahmen unter Zwang vorgenommen. Der forensisch-psychiatrisch Tätige muss sich daher stets von neuem mit den Inhalten seines Fachgebietes auseinandersetzen und seine Kenntnisse auf dem neuesten Stand halten.
Dieses Buch hält sich an allgemein akzeptierte Grundsätze und Standards der Forensischen Psychiatrie und wurde für die Neuauflage überarbeitet und aktualisiert. Es enthält eine fundierte und überschaubare Einführung ins Fachgebiet und bietet praktische Hilfe für Psychiater, die ihre Tätigkeit als Gutachter beginnen. Auch erfahrene Gutachter profitieren von der übersichtlichen Zusammenfassung der wichtigsten Grundlagen. Angehörige anderer Berufe mit Vorkenntnissen, z. B. Juristen, Sozialarbeiter und Psychologen, finden hier forensisch-psychiatrische Grundkenntnisse.
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Buchvorschau
Forensische Psychiatrie - Konrad von Oefele
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
Konrad von OefeleForensische Psychiatriehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-58849-9_1
1. Begriffsbestimmung und Aufgabenbereiche der forensischen Psychiatrie
Konrad von Oefele¹
(1)
Landgericht München I, München, Deutschland
Konrad von Oefele
Email: konrad.oefele@olg-m.bayern.de
1.1 Begriffsbestimmung
1.2 Aufgabenbereiche
1.3 Aus- und Weiterbildung
Literatur
1.1 Begriffsbestimmung
Die forensische (gerichtliche) Psychiatrie ist ein Teilgebiet der Psychiatrie. Sie hat die Anwendung psychiatrischen Fachwissens auf Angelegenheiten des Rechts zum Gegenstand und wird daher auch als „Psychiatrie im Dienste der Rechtsprechung" (Mechler 1985) oder als „spezielle Rechtsmedizin und spezielles Medizinrecht" (Mende und Schüler-Springorum 1989) definiert.
Die forensische Psychiatrie ist – wie die forensische Psychologie oder die Rechtsmedizin – eine forensische Hilfswissenschaft. Sie leistet in erster Linie Hilfe bei der Entscheidung rechtlicher Fragen; auch therapeutische Aktivitäten unterliegen primär rechtlichen (generalpräventiven) und erst danach individualbezogenen (spezialpräventiven) Gesichtspunkten. In der Mehrzahl der Fälle ist der forensische Psychiater nicht ausschließlich als Arzt tätig, und selbst dort, wo er therapeutisch tätig ist, nämlich im Maßregelvollzug (Abschn. 4.8), steht er in einem besonderen Spannungsfeld zwischen Behandlungsauftrag und Rechtsnormen (Venzlaff 1978).
Durch die zweiseitige Gebundenheit als Arzt und als Berater (Sachverständiger) des Gerichts befindet sich der forensische Psychiater in einer Doppelfunktion, und es bedarf Erfahrung, Sensibilität und Verantwortungsgefühl, die damit verbundenen Problemsituationen zu erkennen und ihnen angemessen zu begegnen (Barbey 1988; Kröber 2007).
1.2 Aufgabenbereiche
Das Aufgabengebiet der forensischen Psychiatrie ist nicht einheitlich definiert. Im Hinblick auf die historische Entwicklung der forensischen Psychiatrie wird in einem sehr engen Sinn die Aufgabe nur in der Begutachtung und Behandlung psychisch kranker und gestörter Straftäter gesehen. Auf der anderen Seite gibt es eine sehr weitgehende Auffassung, nach der jede Beziehung zwischen Recht und Psychiatrie in den Aufgabenbereich der forensischen Psychiatrie gehört. Die heute überwiegend vertretene Auffassung bewegt sich in der Mitte: Zentrale Aufgabe der forensischen Psychiatrie ist die Begutachtung und Behandlung von Straftätern; die Beurteilung psychischer Störungen in anderen rechtlichen Angelegenheiten (Zivilrecht, Betreuungsrecht, Verkehrsrecht, Verwaltungsrecht, Sozialrecht u. a.) ist aber ein ebenso wichtiger Bestandteil des Aufgabenspektrums, das unter anderem auch die Beurteilung von Haftfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit sowie der Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen umfasst Tab. 1.1.
Tab. 1.1
Beziehungen zwischen Recht und Psychiatrie
Wegen des ihm zugewiesenen Aufgabenspektrums ist die Tätigkeit des forensischen Psychiaters im Strafrechtsbereich täterorientiert. Die Viktimologie (Opferlehre) ist als Wissenschaftsgebiet in der Kriminologie etabliert.
Abzugrenzen ist die forensische Psychiatrie von dem Bereich, den man als „Recht in der Psychiatrie" umschreiben kann. Es handelt sich hierbei um die Anwendung geltenden Rechts auf die Psychiatrie, z. B. ärztliche Schweigepflicht, Patientenaufklärung, Einsichtnahme in Krankenunterlagen. Diese Rechtsprobleme sind nicht spezifisch für die Psychiatrie; sie sind für alle klinischen Fachgebiete von Bedeutung, selbst wenn sie zum Teil – wie Offenbarungsbefugnis und Einsichtnahme in Krankenakten – in der Psychiatrie komplizierter sein können Tab. 1.1.
1.3 Aus- und Weiterbildung
Im Rahmen der ärztlichen Ausbildung gehört die forensische Psychiatrie nicht zu den Pflichtfächern. Der Medizinstudent erfährt etwas über forensische Psychiatrie in der Vorlesung über allgemeine Psychiatrie und im Psychiatrischen Kurs.
In der Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie nimmt der Erwerb von Kenntnissen und Fertigkeiten in forensischer Psychiatrie eher eine Randposition ein. Forensische Aufgaben werden von Psychiatern wahrgenommen, die in forensisch-psychiatrischen Kliniken und Klinikabteilungen, in forensisch-psychiatrischen und rechtsmedizinischen Universitätsinstituten, in gerichtsärztlichen Diensten, Gesundheitsämtern und in freier Praxis tätig sind. Durch die Tätigkeit in forensisch- psychiatrischen Einrichtungen und spezielle Fortbildung ist es in der Praxis inzwischen bei einer zunehmenden Anzahl von Psychiatern zu einer Spezialisierung gekommen, sodass es nicht nur notwendig, sondern auch angemessen war, die Voraussetzungen einer einheitlichen, gebietsergänzenden Weiterbildung zu schaffen (Nedopil und Saß 1997).
Mittlerweile ist es möglich, nach der Facharztweiterbildung im Rahmen einer Spezialisierung die Schwerpunktbezeichnung „Forensische Psychiatrie" über die Ärztekammern zu erwerben. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) vergibt nach eigenen Kriterien ein Zertifikat für Forensische Psychiatrie.
Literatur
Barbey I (1988) Fragen zur ethischen Problematik forensisch-psychiatrischer Begutachtung. Psychiat Prax 15:176–181
Kröber H-L (2007) Was ist und wonach strebt Forensische Psychiatrie? In: Kröber H-L, Dölling D, Leygraf N, Saß H (Hrsg) Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd 1. Steinkopff, Heidelberg
Mechler A (1985) Forensische Psychiatrie. In: Kaiser G, Kerner H-J, Sack F, Schellhoss H (Hrsg) Kleines kriminologisches Wörterbuch, 2. Aufl. C.F. Müller, Heidelberg
Mende W, Schüler-Springorum H (1989) Aktuelle Fragen der forensichen Psychiatrie. In: Kisker K, Lauter H, Meyer J-E, Müller C, Strömgren E (Hrsg) Psychiatrie der Gegenwart, Bd 9, 2. Aufl. Springer, BerlinCrossref
Nedopil N, Saß H (1997) Schwerpunkt „Forensische Psychiatrie"? Nervenarzt 68:529–530
Venzlaff U (1978) Der psychisch Kranke im Spannungsfeld zwischen Behandlungsauftrag und Rechtsnorm. In: Lauter H, Schreiber H-L (Hrsg) Rechtsprobleme in der Psychiatrie. Rhein-Verlag, Köln
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
Konrad von OefeleForensische Psychiatriehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-58849-9_2
2. Grundlagen der forensisch-psychiatrischen Begutachtung
Konrad von Oefele¹
(1)
Landgericht München I, München, Deutschland
Konrad von Oefele
Email: konrad.oefele@olg-m.bayern.de
2.1 Begriff und Aufgaben des gerichtlichen Gutachters
2.2 Pflichten und Rechte des Gutachters
2.3 Pflichten und Rechte des Probanden
2.4 Forensisch-psychiatrische Diagnostik
2.4.1 Psychiatrische Untersuchung
2.4.2 Zusätzliche Untersuchungen
2.4.3 Zusätzliche Informationen
2.4.4 Operationale Diagnostik
2.5 Das Gutachten
2.5.1 Das schriftliche Gutachten
2.5.2 Das mündliche Gutachten
2.5.3 Gutachtenfehler
Literatur
2.1 Begriff und Aufgaben des gerichtlichen Gutachters
Der gerichtliche Sachverständige (gerichtlicher Gutachter) gehört, wie der Zeuge und der sachverständige Zeuge, zu den Beweismitteln in einem Gerichtsverfahren. Er erhebt durch seine Sachkunde Tatsachen (Befundtatsachen) und zieht daraus Schlussfolgerungen; Entscheidungen in Rechtsfragen stehen ihm nicht zu. Als Gerichtsgutachter hat der Arzt im Verfahren die Stellung eines Helfers („Gehilfen" laut BGH-Rechtsprechung), das heißt, er übermittelt dem Gericht die fachlichen Entscheidungsgrundlagen, die es mangels eigener Sachkunde nicht selbst erheben kann (v. Oefele 1997).
Der psychiatrische Sachverständige wird vor allem für die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei bestimmten Fragestellungen tätig:
Strafgerichte (Schuldfähigkeit, jugendstrafrechtliche Verantwortlichkeit, strafrechtliche Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus oder in einer Entziehungsanstalt, Haftfähigkeit, Verhandlungsfähigkeit);
Zivilgerichte (Geschäftsfähigkeit, Prozessfähigkeit, Testierfähigkeit);
Freiwillige Gerichtsbarkeit (Betreuung, nicht strafrechtliche Unterbringung).
Im Bereich der besonderen Gerichtsbarkeit beauftragen ihn:
Sozialgerichte (Erwerbsfähigkeit u. a.);
Verwaltungsgerichte (Prozessfähigkeit, Dienstfähigkeit).
Die Tätigkeit des Sachverständigen wird im Strafverfahren, im Jugendstrafverfahren und im Disziplinargerichtsverfahren durch die Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Im Zivilverfahren und in der Sozialgerichtsbarkeit gelten die Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO), im Betreuungsverfahren die Regelungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG).
Die Hinzuziehung eines Sachverständigen ist im Strafverfahren in folgenden Fällen vorgeschrieben:
vor der Unterbringung eines Beschuldigten zur stationären Begutachtung in einem psychiatrischen Krankenhaus;
vor Anordnung einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung (Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung), vor der Anordnung der Fortdauer oder der Aufhebung, teilweise auch bei Lockerung der Unterbringung;
vor Aussetzung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung;
wenn ein Angeklagter aktiv seine Verhandlungsunfähigkeit herbeigeführt hat und die Hauptverhandlung deshalb ohne ihn stattfinden muss.
Darüber hinaus liegt es im Ermessen des Richters, ob er einen Sachverständigen hinzuzieht. In strafrechtlichen Ermittlungsverfahren kann auch der Staatsanwalt einen Gutachter mit der Untersuchung des Beschuldigten beauftragen.
In Zivilverfahren gibt es seit Abschaffung der Entmündigung keine Vorschriften mehr, wann das Gericht einen psychiatrischen Sachverständigen hinzuziehen muss. Dagegen ist im Betreuungsverfahren genau festgelegt, wann das Gutachten eines Sachverständigen bzw. eines psychiatrischen Sachverständigen eingeholt werden muss.
2.2 Pflichten und Rechte des Gutachters
Eine Pflicht zur Gutachtenerstattung haben
Ärzte, die als Gutachter öffentlich bestellt sind;
Ärzte, die die Wissenschaft, deren Kenntnis Voraussetzung für die Begutachtung ist, öffentlich zum Erwerb ausüben (§ 75 StPO, § 407 ZPO);
Ärzte, bei denen die Erstellung von Gutachten zu den Dienstpflichten gehört (z. B. Ärzte der Gesundheitsämter, Ärzte gerichtlicher Dienste, Gerichtsärztliche Dienste bei den Oberlandesgerichten in Bayern).
Danach kann jeder berufstätige (selbstständige, angestellte, beamtete) Psychiater oder Nervenarzt mit einer Begutachtung beauftragt werden.
Straf- und Zivilprozessordnung schreiben dem Sachverständigen vor, sein Gutachten „unparteiisch und nach bestem Wissen und Gewissen zu erstatten. Objektivität und Neutralität gelten als die wichtigsten Gutachterpflichten. Zweifel an der Unparteilichkeit des Gutachters können zur Ablehnung des Gutachters wegen „Besorgnis der Befangenheit
führen.
Der Gutachter ist verpflichtet, die im Rahmen seiner Begutachtung erhobenen Tatsachen (Angaben des Probanden zur Vorgeschichte, Untersuchungsbefunde u.a.) im Gutachten mitzuteilen; er hat dem Auftraggeber gegenüber keine Schweigepflicht. Die Offenbarungspflicht ist jedoch nicht unbegrenzt; sie bezieht sich nur auf diejenigen Tatsachen, die für die Beantwortung der Gutachtenfragen von Bedeutung sind. Gegenüber anderen Personen und Institutionen ist der Gerichtsgutachter dagegen zur Verschwiegenheit verpflichtet. Weiter sind die aktuellen Bestimmungen zum Datenschutz zu beachten (Europäische Datenschutzgrundverordnung - DSGVO).
Die Aufklärung des zu Untersuchenden (Probanden) über den Ablauf der Untersuchung, über das andersartige Verhältnis zwischen ihm und dem psychiatrischen Gutachter und über seine Rechte (s. Abschn. 2.3) ist für den forensischen Psychiater keine gesetzliche, sondern eine berufsethische Pflicht. Der Weltverband für Psychiatrie schreibt in der Deklaration von Hawaii II (DGPN 1986) dem Psychiater bei der Durchführung von forensischen Begutachtungen diese Aufklärung ausdrücklich vor.
Weitere Pflichten des gerichtlichen Sachverständigen sind:
rechtzeitige Gutachtenerstattung,
persönliche Gutachtenerstattung,
gewissenhafte Gutachtenerstattung,
Erscheinen vor Gericht nach Ladung,
Eidesleistung (sofern vom Gericht angeordnet),
keine Beurteilung von Rechtsfragen,
Fortbildung.
Der Gutachter hat aber auch verschiedene Rechte. So kann er unter bestimmten Voraussetzungen den Gutachtenauftrag an den Auftraggeber zurückgeben, nämlich wenn er
mit dem Probanden verwandt ist,
behandelnder Arzt des Probanden war oder ist und der Proband ihn nicht von der ärztlichen Schweigepflicht entbindet,
in fachlicher Hinsicht nicht kompetent ist,
andere triftige Hinderungsgründe (z. B. Krankheit) hat.
Der Gutachter hat auch ein Recht auf Information durch den Auftraggeber des Gutachtens. Diese Information geschieht allgemein mit dem Gutachtenauftrag und den mitübersandten Gerichtsakten, aber auch durch Teilnahme an der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung oder durch Anwesenheit bei einer richterlichen Vernehmung.
Schließlich hat der gerichtliche Gutachter auch ein Anrecht auf angemessene Vergütung seiner Leistungen. Die Vergütung richtet sich nach der für die Erstellung des Gutachtens aufgewendeten Zeit; die Stundensätze sind im Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) geregelt.
2.3 Pflichten und Rechte des Probanden
Auch der forensische Proband hat Pflichten und Rechte. So ist er bei einer gerichtlich angeordneten Untersuchung verpflichtet, den Untersuchungstermin beim Gutachter wahrzunehmen. Reagiert er auf die Einbestellung durch den Gutachter nicht, so kann er im Strafverfahren, in einem verwaltungsrechtlichen Unterbringungsverfahren und im Betreuungsverfahren zwangsweise einer psychiatrischen Untersuchung zugeführt werden.
Der Proband hat aber das Recht, vor dem Gutachter keine Angaben zu machen; er muss bei den Untersuchungen auch nicht mitarbeiten. Der Proband hat ein Anrecht, nicht nur über den Ablauf der Begutachtungsuntersuchung, sondern auch über sein Schweigerecht und die Offenbarungspflicht des Gutachters gegenüber dem Auftraggeber informiert zu werden.
Schließlich hat der Proband das Recht, den Gutachter unter bestimmten Voraussetzungen abzulehnen. Er kann auch weitere Gutachten beantragen.
Rechtsgrundlagen der forensisch-psychiatrischen Untersuchung
Rechtsgrundlage der Untersuchung eines Beschuldigten im Strafverfahren ist § 81a StPO:
(1)
Eine körperliche Untersuchung des Beschuldigten darf zur Feststellung von Tatsachen angeordnet werden, die für das Verfahren von Bedeutung sind. Zu diesem Zweck sind Entnahmen von Blutproben und andere körperliche Eingriffe, die von einem Arzt nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu Untersuchungszwecken vorgenommen werden, ohne Einwilligung des Beschuldigten zulässig, wenn kein Nachteil für seine Gesundheit zu befürchten ist.
(2)
Die Anordnung steht dem Richter, bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch der Staatsanwaltschaft und ihren Hilfsbeamten (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zu.
Diese Bestimmung regelt zwar nur die körperliche Untersuchung; jedoch fällt nach der Rechtsprechung auch die Untersuchung des psychischen Zustands des Beschuldigten unter § 81a StPO. Während der Beschuldigte aber die körperliche Untersuchung gegebenenfalls dulden muss, braucht er bei Untersuchungen, die seine aktive Mitarbeit erfordern (Untersuchungsgespräch, Testdiagnostik), nicht mitzuwirken. Die psychiatrische Untersuchung kann gerichtlich angeordnet, aber nicht zwangsweise durchgesetzt werden. Auch die psychiatrische und psychologische Untersuchung von Zeugen (§ 81c StPO) kann nicht ohne Einverständnis bzw. Mitwirkung der Betroffenen durchgeführt werden.
Lehnt der Proband die psychiatrische Untersuchung ab, so hat der Gutachter nach dem Strafprozessrecht die Möglichkeit, an einer richterlichen Vernehmung und/oder an der Hauptverhandlung teilzunehmen und während derselben Fragen an den Beschuldigten zu stellen. Die Befragung in diesem Rahmen ist aber kein Ersatz für ein Untersuchungsgespräch und lässt vielfach nur eine begrenzte Beurteilung zu.
Die Befragung von Angehörigen durch den Gutachter ist an sich nur durch Anwesenheit bei einer richterlichen Vernehmung möglich, da diese Personen ein Zeugnisverweigerungsrecht haben und darüber vom Gutachter nicht rechtswirksam belehrt werden können. Die Rechtsprechung gestattet es dem Gutachter aber, diese Personen in Absprache mit dem Auftraggeber auch außerhalb des Gerichtssaals informatorisch zu befragen. Wenn sich die Angehörigen vor dem Gutachter äußern, später aber von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, dürfen die Angaben im Gutachten nicht mehr verwendet werden.
Die meisten forensisch-psychiatrischen Begutachtungen im Strafverfahren werden ambulant durchgeführt. Erfordern Diagnose und Beantwortung der Fragestellung eine umfassende Untersuchung und eine Beobachtung des Probanden, so kann die Begutachtung nach § 81 StPO auf Anordnung des Gerichts auch stationär in einer psychiatrischen Klinik durchgeführt werden. Vor der Anordnung muss das Gericht einen Sachverständigen über die Notwendigkeit der Unterbringung zur stationären Begutachtung anhören. Die Unterbringung darf die Dauer von sechs Wochen nicht