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Einzel- und Familientherapie mit Kindern: Kinderpsychodrama Band 3
Einzel- und Familientherapie mit Kindern: Kinderpsychodrama Band 3
Einzel- und Familientherapie mit Kindern: Kinderpsychodrama Band 3
eBook462 Seiten6 Stunden

Einzel- und Familientherapie mit Kindern: Kinderpsychodrama Band 3

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Über dieses E-Book

Die Familie ist der primäre Bezugsrahmen eines Kindes und somit sowohl Ursache der meisten kindlichen Probleme als auch Mittel und Weg zur Heilung. Die Therapie oder Beratung eines Kindes sollte die Familie daher nie unberücksichtigt lassen. In vielen - jedoch nicht allen - Fällen bietet es sich an, die Familie - oder zumindest Teilsysteme - zu den Therapiesitzungen hinzu zu bitten. Das Buch beschreibt ausführlich, wie mit Hilfe der kreativen und kindgerechten Methoden des Psychodramas, Einzel- und Familientherapie mit Kindern in der Praxis erfolgreich umgesetzt werden kann.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum3. Dez. 2012
ISBN9783531943183
Einzel- und Familientherapie mit Kindern: Kinderpsychodrama Band 3

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    Buchvorschau

    Einzel- und Familientherapie mit Kindern - Alfons Aichinger

    Alfons AichingerEinzel- und Familientherapie mit KindernKinderpsychodrama10.1007/978-3-531-94318-3_1© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

    1. Einleitung

    Alfons Aichinger¹

    (1)

    Caritas Ulm, Deutschland

    Zusammenfassung

    Wenn Kinder schweigend, mit verschränkten Armen dasitzen, die Mütze tief über die Augen gezogen, bei jeder Frage die Schulter zucken, „ich weiß nicht oder „passt schon sagen, wenn sie quengeln, stören oder im Beratungszimmer Chaos anrichten, dann ist die Fähigkeit des Kindertherapeuten gefragt, Zugang zu diesen Kindern zu gewinnen.

    „Ich wollte den Kindern die Fähigkeit zum Kampf gegen so ziale Stereotypien, gegen Roboter für Spontaneität und Kreativität geben" (Moreno 1974, S. 45)

    Wenn Kinder schweigend, mit verschränkten Armen dasitzen, die Mütze tief über die Augen gezogen, bei jeder Frage die Schulter zucken, „ich weiß nicht oder „passt schon sagen, wenn sie quengeln, stören oder im Beratungszimmer Chaos anrichten, dann ist die Fähigkeit des Kindertherapeuten gefragt, Zugang zu diesen Kindern zu gewinnen.

    Und wenn Kinder zum xten Mal als omnipotente Helden den Therapeuten als Feind niederschießen und ihn erneut in den aussichtslosen Kampf schicken, wenn sie stereotyp das gleiche Spiel spielen oder keine Spielidee haben, dann ist die Kreativität des Kindertherapeuten herausgefordert, um ihnen zu einem „heilsamen" Spiel zu verhelfen.

    Diese Anforderungen, die Kinder an den Kindertherapeuten stellen, stehen in krassem Widerspruch zu der landläufigen Meinung, mit Kindern zu spielen sei einfach, sei ein „Kinderspiel". Kindertherapie ist jedoch eine hohe Kunst, müssen in ihr doch vielfältige Aufgaben zusammengebracht werden. Der Kindertherapeut muss Zugang zur Begegnung mit Kindern finden, die nicht freiwillig zur Beratung oder Therapie kommen, und sie, die nicht motiviert sind, zur Zusammenarbeit gewinnen. Er muss ernsthafter Mitspieler im Spiel des Kindes sein und darf dabei nicht die therapeutische Distanz verlieren. Er muss das Symbolspiel des Kindes verstehen, auf der Symbolebene antworten und seine Interventionen auf der Symbolebene in Rollen einbringen. Zugleich muss er die Übersicht über das Spiel bewahren und als Spielleiter eingreifen, wenn das Kind über die Grenzen schießt. Dieser ständige Wechsel zwischen Spiel- und Realebene, zwischen Spiel- und Begegnungsbühne verlangt vom Kindertherapeuten eine hohe Flexibilität.

    In den Symbolspielen mit dem Therapeuten inszeniert das Kind immer wieder seine inneren Szenen, um Lösungen für die darin enthaltenen Aufgaben, Konflikte und Probleme zu finden. Diese Erlebniswelt des Kindes kann der Therapeut aber nur dann gut erfassen, wenn er mit dem Kind in die Atmosphäre und in die Szenen eintaucht, Mitspieler in seinen Szenen wird, mit ihm und wie es fühlt. Indem er die ihm vom Kind übertragene Rolle ernsthaft spielt, erspürt er deren Bedeutung und Möglichkeiten. Und indem er die Rolle des Kindes ernst nimmt, z. B. den mächtigen Löwen sieht, den das Kind als Rolle gewählt hat, und nicht das gehemmte Kind, das wie ein scheues Kätzchen daliegt, erfährt er, welche Entwicklung das Kind in der gewählten Rolle anstrebt. Nimmt er seine Rolle und die des Kindes mit allen Sinnen wahr, kann er die in der symbolischen Handlung liegenden Botschaften und Intentionen erspüren und verstehen. Bleibt er aber an der Rollenausführung und an der Medienvorlage, am manifesten Inhalt hängen und versteht nicht die latente Bedeutung, den hintergründigen Sinn dieser Szene, kommt er auch nicht zu den symbolisch-szenischen Interventionen, die sich im ernsthaften Spielen wie von selbst ergeben. Dazu benötigt der Therapeut „ein flexibles Ich, das über die Archive des Leibgedächtnisses verfügen kann, das Regressionen ermöglicht (Petzold 1987, S. 361), damit er auf Kinderweise fühlen und denken kann. Aber auch ein stabiles Ich, das durch „Wechsel in eine innere Distanz im ‚partiellen Engagement‘ die Übersicht gewinnt, aus der heraus die jeweiligen Interventionen kommen (Petzold 19877, S. 391). Das innere Mitvollziehen der Szenen des Kindes ermöglicht wohl, ganzheitlicher zu erfassen, was das Kind beschäftigt. Es birgt jedoch auch die Gefahr, dass der Therapeut von eigenen Gefühlen und Erinnerungen überschwemmt wird. Wo aus dem partiellen Engagement für das Kind ein Involviertsein mit ihm wird, verliert der Therapeut die notwendige Übersicht über das Geschehen und kann nicht mehr richtig intervenieren. Das Mitspielen setzt daher beim Therapeuten ein hohes Maß an geleisteter Durcharbeitung und Reflexion der eigenen Kindheit voraus. Und da er häufig vom Kind auch negative Rollen erhält, die schwer auszuhalten sind, und da der regressive Sog beim Mitspielen große Gefahren birgt, ist neben der Eigenanalyse auch eine ständige Reflexion der Stunden nach dem Spiel notwendig. In Supervisions- und Ausbildungsgruppen erlebe ich immer wieder, dass TherapeutInnen aus einer Eigenproblematik heraus ihre zugewiesenen Rollen oder die Rollen der Kinder nicht ernst nehmen und damit die Weiterentwicklung der Kinder nicht fördern. Genauso schädlich ist es, wenn sie sich im Spiel verlieren, zu sehr ihre Rollen ausspielen und nicht mehr sehen, dass ihr Rollenverhalten eine „Rollenantwort auf die Übertragung des Kindes ist. Es kommt dann zu inadäquaten Antworten, weil sie in der Intensität des Spiels die Kontrolle über ihre eigenen Affekte verlieren oder ihre Abwehrhaltungen nicht mehr registrieren, statt immer wieder die Regieanweisungen des Kindes einzuholen („Könnt’ ich entkommen?, „Tät ich dich sehen?). Wohl muss der Therapeut an der Erlebniswelt der Kinder partizipieren, darf aber nicht sein Therapeutensein, auf das das Kind ja angewiesen ist, aufgeben oder sich in Regression verlieren. „Zwischen lebhaftem Spiel und genauem Horchen auf die imaginäre Welt des Kindes, liegt die goldene Mitte psychodramatischen Verhaltens" (Widlöcher 1974, S. 139).

    Da im Unterschied zur Arbeit mit Erwachsenen nicht die Sprache, sondern das Spiel das primäre Medium der Therapie ist, – nach Dornes (2001) kommen dem therapeutischen Spiel mit Kindern drei Funktionen zu: der „Als-ob-Umgang" mit der Realität, die Kontrolle über die belastende Situation und ihre aktive Modifikation –, hat der Therapeut sein Augenmerk auf nichtsprachliche Prozesse zu legen, muss er eine analoge Kommunikation verstehen und analog in der Symbolsprache antworten können. Auch die Interventionen haben möglichst in den übertragenen oder selbstgewählten Rollen des Therapeuten zu erfolgen. So verhilft er dem Kind zu einem intensiven Spiel und regt therapeutische Prozesse an, denn je tiefer das Kind ins Spiel eintaucht, desto heilungsfördernder ist dies, wie Schmidtchen (1995, S. 15 ff.) aufzeigt. Interventionen in Rollen in der Symbolsprache des Kindes intensivieren das Spielgeschehen, da sie das Kind nicht aus seiner Spielwelt herausholen, und unterstützen den Selbstheilungsprozess. Der Therapeut muss aber auch als Spielleiter strukturierend eingreifen und die zum Teil gering entwickelte Selbststeuerungsfähigkeit des Kindes stützen oder als Mitspieler Handlungsanweisungen einholen. So kann er z. B. in der Rolle des ohnmächtigen Forschers die Angst und Hilflosigkeit dem mächtigen Dinosaurier gegenüber mentalisieren, kann die Rolle wechseln und als hinter einem Felsen versteckter Zuschauer das Geschehen spiegeln. Im nächsten Augenblick muss er eine exzentrische Position als Spielleiter einnehmen, z. B. aus der Rolle des auf dem Boden liegenden Opfers heraustreten und den Jungen fragen, ob jemand dem ohnmächtigen Forscher zu Hilfe kommt, oder nachfragen, ob der Forscher schon tot oder nur schwer verletzt ist, oder er muss als Leiter das Kind an die Regel des So-tun-als-ob erinnern, wenn es von seinen Emotionen überwältigt wird und dem Therapeuten real weh tut.

    Auch wenn Techniken zur störungsspezifischen Intervention wichtig sind, so ist Basis jeder Kindertherapie die therapeutische Beziehung. Nur wenn es gelingt, eine gute Beziehung zum Kind aufzubauen, können Interventionen wirken. Beziehung ist nicht nur das A und O jeglicher Erziehung (Arnold 2007), sondern auch jeder Therapie. Für Moreno beruht therapeutische Wirksamkeit auf der Begegnungsfähigkeit des Therapeuten (Hutter 2010). Auch das „Handbuch der therapeutischen Beziehung belegt, dass Heilung und Wachstum immer auch Beziehungsphänomene sind (Hermer&Röhrle 2008), ebenso die Ergebnisse der Psychotherapieeffektforschung, die zeigen, dass die Messung der therapeutischen Beziehungsvariablen konsistent höher mit den Effekten bei Klienten korrelieren als spezifische Therapietechniken (Hutter 2010, S. 217). In der neuen Beziehungserfahrung mit den Therapeuten werden die Grundbedürfnisse des Kindes und auch bislang nicht befriedigte körperliche Bedürfnisse nach Berührt-, Gestreichelt-, Getröstet- und Gehaltenwerden empathisch und akzeptierend beantwortet und unterdrückte und blockierte Affekte freigesetzt. Über diese verkörperte korrigierende Erfahrung fühlt sich das Kind genährt und unterstützt. Dies bedeutet für den Therapeuten, dass er verkörpern muss, was fehlte. Er muss, wie Petzold (1995) betont, berühren, wo keine streichelnden Hände waren, das Kind liebevoll anschauen, wo abwertender Blick war, und mit guten Worten bestätigen, wo Schweigen oder Kritik vorherrschte. Bei diesem „Reparenting-Prozess (Petzold 1995, S. 440 ff.) geht es aber nicht darum, einen fehlenden Elternteil zu ersetzen und erlittenes Leid durch symbolische Wunscherfüllung wieder gut zu machen, sondern durch eine alternative Verkörperung, durch die Schaffung einer korrektiven Atmosphäre dem Kind neue Wege im Erleben und Verhalten zu ermöglichen und so seine eingeengte Kreativität zu befreien. Und über das Berührtwerden entsteht ein Angenommenwerden, das über eine Veränderung des Selbstbildes zu einem veränderten Selbstbewusstsein führt. Jedoch muss der Therapeut in der Annahme der negativen Übertragungsrolle dem Kind auch Raum für seinen Schmerz und seine Wut geben (vgl. Aichinger 2008) und nicht nur „gute Mutter oder „guter Vater sein wollen.

    Der vorliegende Band soll allen, die mit Kindern und ihren Familien beraterisch und therapeutisch arbeiten, Hilfestellung geben und dazu anregen, selbst kreative Lösungen zu finden und sich in der Kunst des Spielens zu üben. Zugang zu Kindern erhält man nämlich nicht über „Konserven", sondern über Kreativität, Lebendigkeit, Humor und Freude. Um die therapeutische Kreativität anzuregen, habe ich daher den Schwerpunkt des Buches auf die konkrete Praxis gelegt und an Beispielen möglichst detailliert und praxisnah das therapeutische Vorgehen beschrieben. Die theoretische Begründung musste ich aus Platzgründen auf das Nötigste beschränken.

    Ich hoffe, dass ich aus meiner 36jährigen Erfahrung zahlreiche Anregungen vermitteln kann, die in der täglichen Beratungs-und Therapiearbeit hilfreich sind.

    Mein Dank gilt besonders meinem Team der Familien- und Lebensberatung der Caritas Ulm, das mir mit vielfältigen Anregungen zu der Entwicklung meines Ansatzes verholfen hat. Herrn Udo Schleissinger und meiner Frau danke ich für die kritische Durchsicht meines Manuskripts.

    Alfons AichingerEinzel- und Familientherapie mit KindernKinderpsychodrama10.1007/978-3-531-94318-3_2© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

    2. Teilearbeit in der Kindertherapie

    Alfons Aichinger¹

    (1)

    Caritas Ulm, Deutschland

    Zusammenfassung

    Dass jeder Mensch nicht nur eine, sondern mehrere „Seelen in seiner Brust hat, dass er über verschiedene Persönlichkeitsanteile verfügt, die sich in verschiedenen Zuständen mit verschiedenen Erlebensweisen befinden, die über unterschiedliche Erfahrungen verfügen, verschiedene Interessen und Bedürfnisse vertreten, die uneinig sein und miteinander in Konflikt geraten können und Symptome und unangepasste Verhaltensweisen bewirken, ist schon uraltes schamanisches Wissen. Die Wiederentdeckung dieses Wissens, „welches seit Beginn der Psychotherapie in den meisten therapeutischen Ansätzen vorhanden war (Hesse 2000, S. 68), führte dazu, dass in den letzten Jahren zunehmend psychotherapeutische Methoden von einer inneren Vielfalt ausgehen und die Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen in den Mittelpunkt stellen. Die „innere Vielstimmigkeit, die Auffassung, dass ein Mensch kein einheitliches Selbst hat, sondern sich aus vielen eigenständigen Anteilen zusammensetzt, die sich in unterschiedlichen Kontexten zeigen, wurde zu einer Prämisse postmoderner Beratung (Deissler & Gergen 2004). Beobachtungen, dass wir ständig von einem Bewusstseinszustand zum nächsten gleiten „mit jeweils unterschiedlichen physiologischen, kognitiven und emotionalen Mustern, so als ob wir multiple Persönlichkeiten seien, mit multiplen Seiten oder ‚Anteilen‘ (Schmidt 2004, S. 195) und der jeweilige Bewusstseinszustand dann eine vorübergehende Identifikation des bewussten „Ich mit einer der vielen Seiten ist, führten zur Entwicklung von verschiedenen Modellen. Basierend auf psychodynamischen, neurobiologischen und bindungstheoretischen Erkenntnissen wird die Persönlichkeit als ein inneres System von Persönlichkeitsanteilen bzw. Ego States gesehen. Bekannte Beispiele dafür sind die Ego State Therapy (Watkins 2003), die Schematherapie (Young 2005), der Voice Dialogue (Stone), die IndividualSystemik (Wittemann), traumatherapeutische Ansätze (z. B. Reddemann 2004), die systemische Therapie mit der inneren Familie (Schwartz 2000), das Innere Team (Schulz von Thun 1998) und „die innere Familienkonferenz oder „das innere Parlament" (G. Schmidt 2004).

    Dass jeder Mensch nicht nur eine, sondern mehrere „Seelen in seiner Brust hat, dass er über verschiedene Persönlichkeitsanteile verfügt, die sich in verschiedenen Zuständen mit verschiedenen Erlebensweisen befinden, die über unterschiedliche Erfahrungen verfügen, verschiedene Interessen und Bedürfnisse vertreten, die uneinig sein und miteinander in Konflikt geraten können und Symptome und unangepasste Verhaltensweisen bewirken, ist schon uraltes schamanisches Wissen. Die Wiederentdeckung dieses Wissens, „welches seit Beginn der Psychotherapie in den meisten therapeutischen Ansätzen vorhanden war (Hesse 2000, S. 68), führte dazu, dass in den letzten Jahren zunehmend psychotherapeutische Methoden von einer inneren Vielfalt ausgehen und die Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen in den Mittelpunkt stellen. Die „innere Vielstimmigkeit, die Auffassung, dass ein Mensch kein einheitliches Selbst hat, sondern sich aus vielen eigenständigen Anteilen zusammensetzt, die sich in unterschiedlichen Kontexten zeigen, wurde zu einer Prämisse postmoderner Beratung (Deissler & Gergen 2004). Beobachtungen, dass wir ständig von einem Bewusstseinszustand zum nächsten gleiten „mit jeweils unterschiedlichen physiologischen, kognitiven und emotionalen Mustern, so als ob wir multiple Persönlichkeiten seien‚ mit multiplen Seiten oder ‚Anteilen‘ (Schmidt 2004, S. 195) und der jeweilige Bewusstseinszustand dann eine vorübergehende Identifikation des bewussten „Ich mit einer der vielen Seiten ist, führten zur Entwicklung von verschiedenen Modellen. Basierend auf psychodynamischen, neurobiologischen und bindungstheoretischen Erkenntnissen wird die Persönlichkeit als ein inneres System von Persönlichkeitsanteilen bzw. Ego States gesehen. Bekannte Beispiele dafür sind die Ego State Therapy (Watkins 2003), die Schematherapie (Young 2005), der Voice Dialogue (Stone), die IndividualSystemik (Wittemann), traumatherapeutische Ansätze (z. B. Reddemann 2004), die systemische Therapie mit der inneren Familie (Schwartz 2000), das Innere Team (Schulz von Thun 1998) und „die innere Familienkonferenz oder „das innere Parlament" (G. Schmidt 2004).

    Ego-States lassen sich nach Peichl (2007) als komplexe neuronale Netzwerke beschreiben, die Körperempfindungen, Gefühle, Überzeugungen und Verhaltensweisen in einem bestimmten Augenblick oder über einen bestimmten Zeitraum festhalten. Diese voneinander abgrenzbaren psychischen Einheiten haben eine spezifische, protektive Funktion. Wenn Uneinigkeit oder mangelnde Kooperation zwischen den Ego-States auftreten und es keine durchlässigen Grenzen zwischen ihnen gibt, kommt es zu Störungen. Ziel der Ego-States-Therapie ist die Integration, in der die Ich-Zustände in einer guten Kommunikation und in einer kooperativen Beziehung sind.

    Trotz unterschiedlicher Herkunft finden sich in den theoretischen Grundannahmen wie auch im praktischen Vorgehen viele Gemeinsamkeiten: „Das Teilekonzept in der Psychotherapie scheint ein universales Konzept zu sein, in dem Sinne, dass es sich als facettenreiche Grunderfahrung des Menschen über den Menschen in den unterschiedlichsten Betrachtungsweisen wiederfindet. Die Grundidee ist, dass die Einheit der Person, die Ganzheit des Menschen, seine Heilheit über die Verdeutlichung, Auseinandersetzung, Versöhnung und Integration seiner vielfältigen Teile hergestellt werden kann" (Mrochen 1997, S. 25).

    Eine wichtige Wurzel des Multiplizitätskonzeptes und der Psychotherapie mit inneren Teilen stammt aus dem Psychodrama: Moreno ging schon in den 30er Jahren von einem pluralistischen Selbstkonzept aus, wonach das Selbst eine Vielzahl unterschiedlicher und zum Teil widersprüchlicher Anteile enthält, die er als Rollen bezeichnete. Damit knüpfte er an Alltagserfahrungen vieler Menschen an, je nach Lebenssituation, aktuellem Kontext oder im Kontakt mit verschiedenen Menschen unterschiedlich zu reagieren und mehrere, oft widersprüchliche Rollen einzunehmen oder in einer Rolle mit seiner gesamten Persönlichkeit aufzugehen, als Beobachter neben sich zu stehen, unterschiedliche Rollen zur Bewältigung sich verändernder Umweltanforderungen zu nützen oder in neue Rollen hineinzuwachsen. Und dass es passieren kann, dass ein Teil eine derartige Dominanz entwickelt, dass man die Kontrolle zu verlieren glaubt und dem Wirken dieses Teils sich ausgeliefert fühlt.

    Für Moreno stellt sich die Gesamtpersönlichkeit als ein Rollensystem dar mit über- und untergeordneten, dominanten und weniger dominanten Rollen, die wie ein Theaterensemble auf einer inneren Bühne in Haupt- und Nebenrollen, als Gegenspieler oder im Hintergrund agierend spielen (vgl. Zeintlinger 2004, S. 140). Dieses interne Rollenensemble interagiert also wie Mitglieder einer sozialen Gruppe und tritt nach außen mal mehr, mal weniger aktiv in Erscheinung. Je nach Situation, Kontext, Interaktionsmuster, Bühne, die aufgesucht wird oder auf die man gerät, Stück, Inszenierungsstil, Thema oder Bedürfnis übernimmt die eine oder andere innere Person mit ihrer Rolle die Führung und bestimmt das Denken, Fühlen und Handeln. Zu einem anderen Zeitpunkt tritt eine andere innere Person auf der inneren Bühne in den Vordergrund, und man denkt, fühlt und handelt auf eine andere Art und Weise. Daher begegnen sich immer wieder andere Rollen in der Interaktion. Bei manchen Menschen sind diese inneren Personen mit ihren jeweiligen Rollen sehr unterschiedlich. In diesem Fall werden diese Seiten miteinander ringen, denn die Interessen des einen stehen denen des andern diametral entgegen. Und dann gibt es Menschen, in deren Psyche eine innere Person das Regiment fast ganz übernommen hat. Sie beherrscht das Leben der Person nahezu vollständig, die dann nach deren Vorstellung, nach dem, was diese innere Person für wichtig und richtig hält, lebt. Andere innere Personen haben dagegen keine Chance, sind vergessen oder dissoziiert.

    Für die Binnenvermittlung und Außenregulation dieser inneren Personen mit ihren Rollen ist eine steuernde Instanz, das Selbst, erforderlich, die das interne Rollenensemble kontrolliert und lenkt. Diese Funktion eines Regisseurs für das innere Rollenensemble schrieb Moreno dem Selbst zu, das sich aus Rollen entwickelt und damit Ausdruck der individuellen Sozialbiografie ist (vgl. Moreno 1946). „Binnenvermittlung und Außenregulation erfordern die Funktion eines „dirigierenden Komponisten (oder regieführenden Autors) fürs interne Rollenensemble (das „SELBST). Ohne diese Funktion wäre eine Person eine beliebige Ansammlung von Rollen, die ohne innere Verbindung nebeneinanderher existieren, einseitig abhängig von äußeren Rollenerwartungen, ohne Identität … Ein gut funktionierendes Auto-Tele integriert in der Rolle des regieführenden Autors die verschiedenen Rollen des gesamten individuellen Rollenrepertoires zu einem kreativen Ensemble, so dass eine Person spontan und kreativ in unterschiedlichsten Milieus und Beziehungskonstellationen situationsangemessen in passenden Rollen interagieren kann" (Bleckwedel 2000, S. 101). Moreno konzipierte seine Entwicklungstheorie der Persönlichkeit konsequent als Theorie der Rollenentwicklung und betrachtete die kindliche Entwicklung als eine aufeinander aufbauende Entwicklung verschiedener Rollenkategorien: Aus dem körperlichen, psychischen und sozialen Rollenspiel bilden sich immer mehr psychosomatische, psychodramatische und dann soziodramatische Rollen und Rollencluster heraus, in denen alle biografischen Erfahrungen abgespeichert sind (vgl. Hutter 2004, S. 104). Diese Rollentheorie hat Schacht (2003) auf dem Hintergrund neuer entwicklungspsychologischer Erkenntnisse reformuliert und erweitert.

    Da der Mensch für Moreno auch immer ein Beziehungswesen ist, ist der Mensch ein soziokulturelles Atom, wobei dieses „a) als Gesamt der bedeutungsvollen realen Beziehungen mit dem im Rahmen dieser Beziehungen verfügbaren Rollenrepertoire und b) als Gesamt der diese Beziehungen betreffenden inneren Repräsentationen" (Schacht 2003, S. 34) zu sehen ist.

    Und es ist das konstituierende Prinzip des Psychodramas, wie schon der Name sagt, die innere Wirklichkeit des Protagonisten, „das innere Theater der Seele (Dudler 1996) in ein Bühnenarrangement mit Hilfe dramaturgischer Mittel wie Bühne, Requisiten, Mitspieler umzusetzen, um sie über diese Externalisierung von internalisierten mentalen Bildern in der „Surplus-Reality für den Klienten erlebbar, begreifbar und veränderbar zu machen. Diese inneren Anteile, diese Rollen, werden in der Erwachsenenpsychodramatherapie in der Gruppe mit Hilfs-Ichen (Gruppenteilnehmern), in der Einzeltherapie mit leeren Stühlen auf die Bühne gebracht und so externalisiert und verkörpert. Es wird ihnen eine Stimme verliehen, man lässt sie in Interaktion mit den anderen Rollen treten, und sie können durch spezielle psychodramatische Techniken auf handelnde Weise erlebt, exploriert und umgestaltet werden, um zu einem kreativeren Rollenhandeln zu kommen. „So wird die Bühne zum metaphorischen Abbild der eigenen Persönlichkeit, die äußere Handlung im Psychodrama zum Abbild des „inneren Dramas des Protagonisten (von Ameln u. a. 2009, S. 229), wie es auch Schulz von Thun, der wie G. Schmidt auch psychodramatische Wurzeln hat, in seinem Modell des „inneren Teams" umgesetzt und verdeutlicht hat.

    Wie auch immer die persönliche Konstellation in der Psyche eines Menschen sein mag, in der Psychodramatherapie geht es darum, diese inneren Personen mit ihren Rollen kennen zu lernen. „Die Rollen, in denen Menschen handeln, stellen im Psychodrama die elementare Einheit für die Analyse und die Veränderung der Persönlichkeit dar (von Ameln et al. 2009, S. 224). So läuft jede Entwicklung über die Erweiterung des Rollenrepertoires. Da der Mensch im Laufe seines Lebens mit den unterschiedlichsten sozialen Anforderungen konfrontiert wird, wird er in neuen Rollen gefordert, um in der neuen Situation angemessen zu reagieren. Im Psychodrama können neue Rollen kreiert, erprobt und eingeübt werden. Und es kann dazu beitragen, neue Spielräume für die Ausgestaltung eingeengter Rollen aufzuzeigen und die Elastizität des Rollenhandelns zu erhöhen. „So können auch Fixierungen aufgehoben werden, die entstehen, wenn sich bestimmte Rollen (z. B. die des hilflosen Kindes) eingeprägt haben und die Persönlichkeit dominieren, ohne in der jeweils aktuellen Situation angemessen zu sein (von Ameln et al. 2009, S. 225). Und die im Rollenverlust nicht mehr aktiv erlebten und genutzten Rollen werden im Psychodrama wieder zugänglich gemacht. Störungen entstehen durch Überspringen oder Nichterlernen verschiedener Rollencluster, durch Stau der Rollenentwicklung und durch Regression auf ein eingeschränktes Rollenrepertoire (vgl. Stelzig 2004, S. 155 ff).

    Bei der Bearbeitung von Rollenkonflikten kann das Psychodrama dazu beitragen, die widerstreitenden Rollenanforderungen bewusst zu machen und zu einer Neuordnung der einzelnen anregen. Nach Leutz (1974) kann es zu folgenden Beeinträchtigungen kommen:

    Intra-Sender-Konflikt: ein und dieselbe Bezugsperson stellt in sich widersprüchliche Forderungen an das Kind.

    Inter-Sender-Konflikt: zwei verschiedene Bezugspersonen stellen unvereinbare Erwartungen an das Kind.

    Inter-Rollen-Konflikt: Widersprüche zwischen zwei verschiedenen Rollen im Kind.

    Person-Rollen-Konflikt: Widersprüche zwischen den Rollenerwartungen und dem Selbst.

    Rollenambiguität: unpräzise oder mehrdeutige Rollenerwartungen.

    Rollenüberlastungen: Überforderung des Kindes durch widersprüchliche Rollenerwartungen.

    Ziel der Psychodramatherapie ist der kreative Mensch, der eine der Situation angemessene Rolle aus seinem soziokulturellen Atom aktivieren und spontan eine neue angemessene Rolle kreieren kann, und der die vielfältigen Rollen, die er auf den verschiedenen Bühnen der Welten zu spielen hat, integrieren kann.

    Da ich mich nicht nur an eine psychodramatische Leserschaft wende, werde ich im Folgenden nicht von Rollen, sondern von Teilen sprechen, da dieser Begriff in der aktuellen Psychotherapiediskussion geläufiger ist.

    Sind mit Erwachsenen die oben beschriebene Auseinandersetzung mit den Teilen und diese Verhandlungen möglich, stößt man mit ausschließlich sprachlichen Mitteln in der Beratung und Therapie mit Kindern schnell an Grenzen. Viele Kinder, vor allem Kinder unter 10 Jahren, können sich nicht gut verbal ausdrücken, einige sprechen überhaupt nicht, sind schüchtern oder verweigern sich. Will man mit Kindern arbeiten, muss man ihre eigene Ausdrucks- und Verarbeitungsform, das Spiel, nutzen und in der Therapie spielerisch vorgehen.

    Und ganz im Unterschied zu Erwachsenen reinszenieren und bearbeiten Kinder ihre Konfliktsituationen, ohne sich dem mit den Szenen verbundenen Schmerz, Leid, der Trauer und Wut erneut auszusetzen und diese Gefühle erneut zu erleiden. Im Gegenteil, sie stellen lustvoll ihre belastenden Szenen dar und haben viel Spaß bei der Bearbeitung ihrer Erfahrungen. Wie kommen Kinder zu dieser kreativen Leistung? Mit zwei hochtherapeutischen Kunstgriffen verschaffen sie sich Spaß in der Therapie (vgl. Fryzer 1995):

    1.

    Mit einer spezifischen Inszenierungsform, die sich wesentlich von der Art der Konfliktbearbeitung Erwachsener unterscheidet, dem Symbolspiel, können sie schwierige Situationen externalisieren und verfremdet darstellen und aus sicherer Distanz betrachten. Kinder haben nämlich im Symbolspiel die Erfahrung gemacht, durch Expression und Externalisierung Gefühlzustände erfolgreich regulieren zu können. „Die „heilende Kraft des kindlichen Spiels (Zulliger), beruht nicht zuletzt auf dieser regulatorischen Eigenschaft. Das Spiel ist die Externalisierung eines Gefühlzustandes und dessen Verankerung in einer Spielfigur, mit der das Kind sich identifiziert (Dornes 2001, S. 203 f). Dieser Vorgang wirkt beruhigend, weil außerdem auch die Kommentare der Spielgefährten verinnerlicht wurden.

    2.

    erlaubt ihnen der Rollenwechsel und die Rollenumkehr, die sie spontan, von sich aus und ohne Anweisung des Therapeuten vollziehen, aus der Rolle des passiv Erleidenden in die Rolle des aktiv Gestaltenden und Wirkmächtigen zu kommen und so „die Perspektive des schöpferisch Tätigen", wie Moreno es nennt, zu gewinnen.

    Um an dieser kreativen Ausdrucks- und Verarbeitungsform des Kindes anzuknüpfen, arbeite ich seit über 36 Jahren in der Familienberatung und in der Einzeltherapie mit Kindern psychodramatisch mit intermediären und intraintermediären Objekten (vgl. Rojas-Bermúdez 2003), vor allem mit Tierfiguren, Handpuppen und dem Symbolspiel. Im Unterschied zu W. Holl (2002), der in seiner tiefenpsychologischen Ausrichtung mit Kinderrn mit intermediären Objekten oder im Rollenspiel ihren intrapsychischen Konflikt bearbeitet und in der Familientherapie die Teilearbeit einsetzt, um über Konflikt- und Entwicklungsskulpturen seine Hypothese des Konflikts darzustellen, habe ich den Teilearbeit-Ansatz stringenter in der Einzeltherapie (2010), in der Familientherapie (2002) und in der Arbeit mit Kindern in der Trennungs- und Scheidungssituation (2006) kinderpsychodramatisch umgesetzt.

    Indem bedrängende Prozesse dissoziiert – nicht „ich, sondern eine „Seite von mir fühlt sich z. B. hilflos – und auf Tierfiguren mental externalisiert und in Tierfiguren verkörpert werden, können Kinder aus sicherer Distanz den Grad der Betroffenheit regulieren. Außerdem werden über diese Externalisierung die Teile konkret physisch erfahrbar und beobachtbar. Und über einen klärenden und versöhnenden Umgang mit unbekannten, ungelebten oder abgespaltenen Persönlichkeitsanteilen und mit traumatischen Erfahrungen wird eine positive Entwicklung angeregt.

    In diesem entwicklungs- und ressourcenorientierten Modell ist die Achtung der vorhandenen Ressourcen, die Verbesserung der Selbstregulation und Selbstfürsorge sowie die Unterstützung des natürlichen Bestrebens der Psyche des Kindes zur Gesundung durch Integrationsprozesse zentral. Außerdem spricht diese Arbeit mit Tierfiguren und dem Symbolspiel quasi die Sprache des limbischen Systems, das am meisten für unwillkürliche Prozesse zuständig ist, „und die sprechen mal nicht die kognitive Sprache des Cortex" (Schmidt 2004, S. 69).

    Für die Teilearbeit bevorzuge ich die Ostheimer-Tierfiguren, da jede dieser Tierfiguren eine positive Qualität und Ausstrahlung besitzt, und es daher Eltern, Kindern und Jugendlichen schnell einleuchtet, dass dieses schöne und anrührende Tier, das für einen Persönlichkeitsanteil gewählt wurde, wertvoll ist und nicht bekämpft oder weggemacht, sondern integriert werden sollte.

    Zu dieser konstruktiven und stützenden Arbeit mit Tierfiguren und Handpuppen haben sowohl Erwachsene als auch Kinder und Jugendliche gleichermaßen kognitiven und emotionalen Zugang. Vor allem Kinder werden schnell gelöster und erzählen spontaner. Und sie können sich leichter, ohne Beschämung, sondern mit Spaß mit ihren Symptomen auseinandersetzen, nutzt man die spielerische Kommunikationsform über die Tierfiguren. Auch ist es ein verständliches und übersichtliches Vorgehen zur Erfassung der komplexen innerseelischen Dynamik und eine effiziente Bearbeitungsweise. Und die Teilearbeit ist, wie ich in diesem Buch aufzeigen werde, für verschiedene Störungsbilder und Problembereiche eine sehr stützende und konstruktive Methode.

    Bei dieser Teilearbeit können auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln Anteile betrachtet werden, wie Schönborn (2008) zeigt:

    Da Anteile ein vernetztes, dynamisches, sich selbst organisierendes inneres System bilden, können in einer systemischen Sichtweise vertraute Anteile, verbannte oder dissoziierte Anteile oder auch der Chef des inneren Teams befragt und auf die Balance von Anteilen geachtet werden.

    In einer psychodynamischen Sichtweise werden die innere Dynamik der Anteile, Gegenspieler mit einer konflikthaften Beziehung oder Loyalitäten untersucht.

    In einer beziehungsdynamischen, relationalen Sichtweise wird davon ausgegangen, dass die Anteile geprägt sind von den jeweils typischen Bindungserfahrungen und verschiedene gleichzeitig aktivierte Anteile zu komplexen und z. T. widersprüchlichen interpersonellen Beziehungsmustern und Übertragungserleben führen. Daher eröffnet die Arbeit mit den Anteilen einen hilfreichen Umgang mit komplexen Beziehungsmustern in der Beratung/Therapie und äußeren Beziehungen.

    In einer entwicklungspsychologischen Sichtweise kann der Entwicklungsgrad und das „Alter" einzelner Anteile untersucht werden, da die Entstehung und Entwicklung von Teilen auf verschiedene Lebensphasen zurückgehen. Daher kann ein Anteil, der ursprünglich funktional war, heute dysfunktional sein.

    Und in der strukturellen Sichtweise geht es um dissoziative Mechanismen und Integrationsprozesse.

    Alfons AichingerEinzel- und Familientherapie mit KindernKinderpsychodrama10.1007/978-3-531-94318-3_3© VS Verlag für Sozialwissenschaften | Springer Fachmedien Wiesbaden 2013

    3. Zugangsweisen zur Begegnung mit Kindern

    Alfons Aichinger¹

    (1)

    Caritas Ulm, Deutschland

    Zusammenfassung

    Kinder kommen nicht aus Eigenmotivation in die Beratung. Sie werden von den Eltern gebracht, oft gegen ihren Willen, weil meist die Eltern unter der Problemseite des Kindes leiden oder durch Kindergarten oder Schule unter Druck gesetzt werden. Und Kinder befürchten, ihre Eltern könnten den Berater als verlängerten Arm einsetzen, um ein Symptom oder eine Verhaltensstörung weg zu machen. Daher muss ihre „Problemseite befürchten, der Berater verhalte sich parteiisch für die „Wegmacher-Seite der Eltern und werde dadurch zu einer existentiellen Bedrohung für die „Problemseite (z. B. für die ängstliche oder aggressive Seite). Die Eltern könnten dem Berater einen „Mafiaartigen Killerauftrag (G. Schmidt 2004) nach dem Motto „I hired a contract killer gegeben haben, die problematische, ängstliche oder aggressive Seite zu erledigen, beiseite zu schaffen, um die Ecke zu bringen. Daher ist es verständlich, dass diese „Problemseite nicht kooperieren will, sondern mit Verweigerung, Kampf, Rückzug oder mit Angst und Abtauchen reagiert.

    Kinder kommen nicht aus Eigenmotivation in die Beratung. Sie werden von den Eltern gebracht, oft gegen ihren Willen, weil meist die Eltern unter der Problemseite des Kindes leiden oder durch Kindergarten oder Schule unter Druck gesetzt werden. Und Kinder befürchten, ihre Eltern könnten den Berater als verlängerten Arm einsetzen, um ein Symptom oder eine Verhaltensstörung weg zu machen. Daher muss ihre „Problemseite befürchten, der Berater verhalte sich parteiisch für die „Wegmacher-Seite der Eltern und werde dadurch zu einer existentiellen Bedrohung für die „Problemseite (z. B. für die ängstliche oder aggressive Seite). Die Eltern könnten dem Berater einen „Mafiaartigen Killerauftrag (G. Schmidt 2004) nach dem Motto „I hired a contract killer gegeben haben, die problematische, ängstliche oder aggressive Seite zu erledigen, beiseite zu schaffen, um die Ecke zu bringen. Daher ist es verständlich, dass diese „Problemseite nicht kooperieren will, sondern mit Verweigerung, Kampf, Rückzug oder mit Angst und Abtauchen reagiert.

    Da ich Schmidts Grundannahme von der „guten Absicht des problematischen Symptomteils (Schmidt 2004) teile, dass dieser ein wertvoller Informationsträger ist und auf ein anerkennenswertes Bedürfnis hinweist, lehne ich Kampf- oder Kriegsmetaphern im Umgang mit dem Problemteil ab. Mit Prior (1990) gehe ich davon aus, dass der Symptomteil auch Informationen darüber enthält, „welche Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Gefühle, Einstellungen, Rollen, welche Identität, welche Erfahrungen in einem „ganzen, „richtigen Leben mehr gelebt werden sollten (Prior 1990, S. 48). Daher muss zwischen dem Ausdruck und der eigentlichen Intention oder Motivation des Symptomteils unterschieden werden. Und es kann nicht sein, ihn zu eliminieren. Vielmehr muss eine wertschätzende Kooperationsbeziehung zwischen den verschiedenen Ich-Zuständen aktiv hergestellt, genutzt und in einer Reorganisation diesem Problemteil eine neue Funktion übertragen werden. Nur dann können wertschätzende Verhandlungen und Übersetzungsleistungen zwischen den Teilen entstehen und eine ganzheitliche Integration gewährleistet werden (Schmidt 2004).

    Kinder können zur Mitarbeit in der Beratung oder Therapie nur dann gewonnen werden, wenn der Berater nicht mit einer „Wegmach-Haltung reagiert, aber auch nicht einseitig Partei für die Problemseite ergreift, sondern einen anderen Lösungsversuch im Umgang mit der problematischen Seite aufzeigt. Anstelle von Vernichtungskämpfen oder einseitiger Parteinahme muss er die verschiedenen Teile mit ihren verschiedenen und häufig widerstrebenden Bedürfnissen nützen und eine kooperative Haltung und eine Balance zwischen den Seiten anstreben, eine „sowohl-als-auch- Haltung zeigen, ein für beide Seiten offener und ehrlicher Makler sein. Metaphern wie „ein Spitzenteam oder „gute Freunde zeigen das Therapieziel auf, die Teile zu einem guten Team oder zu Freunden sich entwickeln zu lassen.

    Will der Therapeut eine Beziehung zu dem Kind aufbauen, muss er eine spielerische Kommunikationsform benutzen und einen Kontext schaffen, „der zu Veränderungen einlädt und Entwicklungsschritte begünstigt" (Retzlaff 2008, S. 27). Wie achtungsvoll und wertschätzend dabei an die Welt des Kindes angeknüpft und wie spielerisch Kinder zur Kooperation und Begegnung eingeladen werden können, um den Konflikt der Teile auf der inneren Bühne auf die äußere Spielbühne zu bringen, mögen die folgenden Beispiele zeigen:

    Für Kinder mit einer Angststörung ist die Vorstellung an einer Beratungsstelle oder in einer therapeutischen Praxis in zweifacher Weise schwierig: Zum einen ängstigt sie jedes Neue, daher eben auch der Kontakt zu einem fremden Menschen. Zum anderen befürchtet ja die „ängstliche Seite", die für die anerkennenswerte Bedürfnisse nach Sicherheit und Unlustvermeidung sorgt, weggemacht zu werden. Verständlicherweise verstärkt diese Befürchtung das Vermeidungsverhalten des Kindes.

    Beispiel:

    ▼ „Der schlaue Fuchs"

    Als ich die Eltern und Hans, der wegen sozialer Ängstlichkeit angemeldet wurde, aus dem Wartezimmer abholen möchte, zieht der 7jährige Hans schnell den Anorak über den Kopf und verkriecht sich unter den Stuhl. Der Mutter treten Tränen in die Augen, der Vater lächelt hilflos und drängt Hans, mitzugehen. Um diese Stresssituation aufzulockern, frage ich, was das für ein schlaues Tier sei, das sich in eine sichere Höhle zurückziehe und erst mal aus dem sicheren Ort heraus beäuge, wer sich da nähere. Aus dem Anorak hervor antwortet Hans leise: „Ein Fuchs". Ich lobe den klugen Fuchs, dass er sein Bedürfnis nach Sicherheit so gut beachte. Vielleicht sollte auch ich vorsichtiger sein und besser einen Schritt zurück treten, bevor ich noch gebissen werde. Bei diesem Selbstgespräch kichert Hans.

    Da ich schon bei der telefonischen Anmeldung vom Vater erfahren habe, dass Hans auch eine vitale Seite hat, die er im Spiel mit Freunden zeigt, sage ich zu den Eltern, Hans zeige mir gerade seine schlaue Fuchsseite, die klugerweise erst prüfe, ob Gefahr drohe. Ich hätte von ihnen aber auch gehört, dass er auch über eine andere Seite verfüge, die Spaß an Abenteuern mit Freunden habe. Welches Tier wohl diese Seite sei? Hans antwortet spontan: „Ein Löwe". Ich bitte die Eltern, von dieser Löwenseite zu erzählen. Eine Reintegration von Rollen wird nämlich dann erleichtert, wenn das Kind sich an Rollen erinnert, die es bereits in anderen Kontexten erfolgreich eingenommen hat. Während die Eltern über diesen Anteil berichten, öffnet Hans den Reißverschluss, sodass seine Augen zu sehen sind, die im Laufe der Erzählung immer lebhafter werden. Dann frage ich Hans, ob er mir auch seine Löwenseite zeige. Da kommt er aus dem Anorak heraus und faucht mich an, worauf ich mich auf einem Stuhl in Sicherheit bringe, was Hans zum Lachen bringt. Als dann aber andere Eltern und Kinder ins Wartezimmer kommen und sich Hans Eltern sichtlich unwohl fühlen, frage ich ihn, ob der Löwe den Fuchs wie ein Bodyguard in mein Zimmer begleiten könne, um dort herauszufinden, wie die beiden ihre Fähigkeiten zusammenbringen und sich zu einem Superteam entwickeln könnten. Daraufhin folgt Hans mir und den Eltern ins Beratungszimmer. ▲

    Kinder mit aggressiv-dissozialen Störungen, die überall schon die Erfahrung gemacht haben, dass ihre aggressive Seite abgelehnt oder kritisiert wurde, befürchten erst recht, dass in der Therapie ihr aggressiver Anteil dressiert, beschnitten oder wegtherapiert werden soll. Mit ihrer ganzen Kraft können sie sich daher gegen das „Vorgeführtwerden sträuben und lauthals gegen diese „Bedrohung wehren. Wie Kinder dies zeigen, wie ich ihr sichtbares Verhalten als ersten und vagen Anhaltspunkt, als Türe zu seinen Anteilen nutze, und wie das „innere Theater der Seele" auf der äußeren Spielbühne inszeniert werden kann, mag das folgende

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