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Traumerzählungen in Psychotherapie und Supervision: Traumtheorie und Implikationen für die klinische Praxis
Traumerzählungen in Psychotherapie und Supervision: Traumtheorie und Implikationen für die klinische Praxis
Traumerzählungen in Psychotherapie und Supervision: Traumtheorie und Implikationen für die klinische Praxis
eBook473 Seiten4 Stunden

Traumerzählungen in Psychotherapie und Supervision: Traumtheorie und Implikationen für die klinische Praxis

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Über dieses E-Book

Traumtheorie und Traumdeutung bilden das Fundament der Psychoanalyse und gehören deshalb zum Basiswissen tiefenpsychologisch und psychoanalytisch arbeitender Psychotherapeut*innen. In diesem Buch wird das Spannungsfeld zwischen dem Erleben einer unsichtbaren Wirklichkeit bei Nacht und dem Nachdenken bei Tage über die Psychoanalyse als „traumhafter“ Wissenschaft beleuchtet. Dabei werden empirische Forschungsergebnisse der Schlaf- und Traumforschung, sowie theoretische und konzeptionelle Zugänge zum Traum auf ihre klinische Relevanz geprüft und anhand klinischer Praxisbeispiele dargestellt.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer
Erscheinungsdatum6. Apr. 2021
ISBN9783662625408
Traumerzählungen in Psychotherapie und Supervision: Traumtheorie und Implikationen für die klinische Praxis

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    Buchvorschau

    Traumerzählungen in Psychotherapie und Supervision - Jutta Kahl-Popp

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021

    J. Kahl-PoppTraumerzählungen in Psychotherapie und Supervisionhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62540-8_1

    1. Einleitung: Der Traum ist das Aquarium der Nacht

    Jutta Kahl-Popp¹  

    (1)

    Kiel, Deutschland

    Jutta Kahl-Popp

    Email: Jutta.Kahl-Popp@t-online.de

    Übersicht

    Der erste Streifzug durch die Landschaft des Traumlebens in Psychotherapie und Supervision berührt einige Wesensmerkmale des Traums. Bereits in den kulturellen Vorläufern der Traumdeutung wurde der Traum als besonderer Bewusstseinszustand betrachtet. Danach wird erkundet, wie Traumerzählungen konstruiert sind, welche klassischen philosophischen Ansichten vom Traum in den letzten 200 Jahren en vogue waren und, was man unter einer virtuellen Traum-Wirklichkeit verstehen kann. Der Streifzug endet mit dem Psychotherapeuten¹ als Empfänger der Traumerzählung, mit dem Ausdruck des Traum-Narrativs der Patientin, und formuliert kurz gefasst die Ausgangsbasis für die folgenden Kapitel.

    „Doch in diesem schläfrigen Kopf, der weniger träge ist als man denkt, öffnen sich andere Augen: Das Unbekannte tritt in Erscheinung. Diese unbekannten, dunklen Dinge nähern sich nun dem Menschen, teilen sich ihm entweder unmittelbar mit oder treten als visionäre Vergrößerungen der fernen Abgründe auf. … Der Schläfer sieht mit völlig geschlossenen Augen, aber nicht völlig ohne Bewusstsein diese seltsamen Tierwesen vorbei huschen, diese wundersamen Vegetationen, diese furchterregenden oder grinsenden bleigrauen Erscheinungen, diese Larven, Masken, Fratzen, Hydren, Konfusionen, jenes Mondlicht ohne Mond, die finsteren Zerfallserscheinungen des Wunderbaren, dieses Werden und Vergehen in verwirrender Dichte, dieses Dahintreiben von Gestalten in der Finsternis, dieses ganze Geheimnis, das wir Traum nennen und das doch nichts anderes ist als das Nahen einer unsichtbaren Wirklichkeit. Der Traum ist das Aquarium der Nacht" (Hugo 2017, S. 45).

    „Am Anfang der Psychoanalyse steht der Traum und mit ihm die Entscheidung für eine bestimmte psychologische Sicht des seelischen Geschehens. In der Wissenschaft geht es nicht um eine Glaubenswahrheit, sondern um eine entschiedene wissenschaftlich begründete Perspektive auf die Wirklichkeit. Die Traumdeutung konstituiert die Psychoanalyse als „traumhafte Wissenschaft (Giesers 2013, S. 119/120).

    Das Wesen des Traums

    Der Schlaf öffnet den Vorhang zum bunten Treiben nächtlicher Vorstellungswelten. Darin spielt der Träumende mehrere Rollen gleichzeitig: Er ist Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler, Statist, Beleuchter und Rezensent seiner Stücke, die im Traum zur Aufführung gelangen. Auch wenn in Schlaf- und Traumforschung raffinierte Techniken und Versuchsanordnungen erprobt werden, um dem Träumen auf die Spur zu kommen, ist es bis heute nicht gelungen, das nächtliche „Kino im Kopf" aufzunehmen und bei Tage für jedermann sichtbar abzuspielen.

    In der Vorzeit wurden Träume als göttliche oder teuflische Eingebungen betrachtet; Träume erleuchteten den Träumer oder suchten ihn heim. Das Traumleben faszinierte die Menschen von jeher. Es verführte die Träumenden – situativ oder ritualisiert – dazu, ihr Empfindungs- Gefühls- und Vorstellungserleben mithilfe biochemischer Substanzen zu intensivieren und so das Bewusstsein zu „erweitern". Nicht selten hat die Drogen-induzierte Manipulation der Traumwelt den schmalen Grat zum Wahn offenbar werden lassen.

    Heute ist der Traum fester Bestandteil unserer Alltagspsychologie. Aussagen wie „Der Alltag liefert den Stoff für das Kino der Nacht und „Oft hilft das Kino im Kopf, schmerzhafte Erlebnisse zu verarbeiten aus populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen (Psychologie Heute 2014, GEO kompakt 2016) belegen, dass die Welt der Träume, ihre Erforschung und die Möglichkeiten ihrer Entschlüsselung verbreitetes Interesse finden.

    Ein Traum aus dem Alltag von Frau Claudia² dient als roter Faden für die einleitenden Aspekte des nächtlichen Geschehens.

    Claudia, eine Frau in höherem Lebensalter, schreckte aus einem Traum hoch. Im Zustand des halb wach Seins trieben einige Szenen verschwommen zu ihr heran. Manche entglitten ihrem Zugriff, andere blieben haften. Sie wurde der Bilder und Worte einer Traumhandlung gewahr und vergegenwärtigte sich die Ereignisse einige Male hintereinander wie in einer Selbsterzählung. So blieb die Traumerinnerung in ihrem Gedächtnis haften. Ihr träumte, urplötzlich stand ein LKW in ihrem Zimmer. Der Fahrer stieg aus, um nebenan mit Claudias Mann einen Kaffee zu trinken. Während sie die Männer plaudern hörte, war Claudia von dem riesigen Gefährt, das sich vor ihr auftürmte, eingesperrt. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie sah und hörte, wie sie nach ihrem Mann um „Hilfe" schrie. Dabei fürchtete sie, überhaupt nicht gehört zu werden. Endlich befreite ihr Mann sie aus der Enge. Im Moment des Erwachens empfand Claudia den Traum wie ein echtes Erlebnis, wie faktische Realität.

    Welche alltäglichen und schmerzhaften Probleme könnten Claudias Traum ausgelöst haben?

    Claudias Mann war am Tag vor dem Traum zu einer langen Autofahrt ins Ausland aufgebrochen. Es war die erste größere Reise nach einem chirurgischen Eingriff an der Wirbelsäule mit langwieriger Rehabilitationsphase. Außerdem hatte Claudia am gleichen Abend einen Krimi gesehen, in dem ein Mann im Kühlraum eines Labors eingeschlossen worden war. Seine Hilferufe waren ungehört verhallt. Am Ende war er an der Erfrierung gestorben. Es ist offensichtlich, dass sich Claudias Traum mit Gefühlen von Überwältigung und Ohnmacht, sowie mit Verlust- und Todesängsten beschäftigt. Aus alltagspsychologischer Sicht wird Claudias Traumerinnerung als eine Metapher bedrohlicher Gedanken und Gefühle verstanden, die mit der ersten Reise ihres Mannes und ihrer ersten Trennung nach seiner Operation zusammenhängen.

    Kulturelle Vorläufer der Traumdeutung

    In früher Zeiten hätte Claudia möglicherweise eine weise Frau, einen Seher, einen Priester oder einen anderen Sachverständigen für Träume aufgesucht, um ihn deuten zu lassen. Individuelle, überlieferte und artifizielle, d. h. kunstvoll erfundene Traumberichte waren hoch angesehen, um die „richtigen Entscheidungen zu treffen oder Zukunftsaussichten zu erkunden. Im Islam, im Judentum und im frühen Christentum war das Traumreich dem „Göttlichen zugeordnet (Näf 2004). In unserer Zeit sind es besonders die Angehörigen der Kriegs- und Nachkriegsgeneration, die sich daran erinnern, dass sie – vor allem die Frauen – auf ihre Träume achteten, um das Wohlergehen und Überleben ihrer Angehörigen intuitiv zu erspüren.

    Bereits in der Antike wurden Träume zur Heilung von Krankheiten eingesetzt. In Griechenland waren die Priesterärzte des Asklepius für ihre Traumkuren hoch angesehen. Sie unterwiesen die Patienten im Schlafen und Träumen. In ihrer Lehre wurde das Phänomen Krankheit als eine den Körper beherrschende Phantasie angesehen, die einer Chimäre gleich den Menschen mit Symptomen und Beschwerden befallen konnte. So wurde die Seele, die auch als Wahrnehmungsorgan des Göttlichen galt, in den Mittelpunkt der Behandlung gestellt. Die Asklepius-Kur zielte darauf ab, der Seele des Erkrankten durch ein verändertes Bewusstsein im Traum zum Ausdruck zu verhelfen. Priesterärzte deuteten diesen Traum und leiteten daraus individuelle Therapieempfehlungen für den Patienten ab (Struckmann 1990, Papadakis 1997).

    Im Alten Testament ist die Geschichte von Joseph überliefert: Schon als Kind achtete Joseph auf seine Träume, erzählte sie seiner Familie und erhielt dafür besondere Aufmerksamkeit. Darum beneideten ihn seine Brüder. Sie trachteten nach Josephs Leben, erklärten ihn für tot und verkauften ihn als Sklaven nach Ägypten. Dort ins Gefängnis geworfen erwarb sich Joseph im Kreis der Mitgefangenen den Ruf eines kundigen Traumdeuters.

    Der ägyptische Herrscher Pharao hatte eines Tages zwei Träume:

    „Er stand am Nil. Im ersten Traum stiegen sieben fette Kühe aus dem Nil. Ihnen folgten sieben magere Kühe, die die fetten Kühe verschlangen. Im zweiten Traum wuchsen sieben Ähren auf einem Halm. Nach ihnen sah er sieben dünne Ähren, die die dicken Ähren verschlangen".

    Pharao war tief beunruhigt. Er versammelte seine Wahrsager und Weisen um sich, um die Träume zu verstehen. Aber er wies ihre Deutungsvorschläge zurück, weil er sie für unzutreffend und nicht plausibel hielt. Dann wandte sich Pharao an Josef, damit der ihm seine Albträume auslegte. Josefs Erklärungen leuchteten ihm ein. Und sie erwiesen sich in den folgenden sieben fetten und sieben mageren Jahre als zutreffend. Weil Pharao Josefs Deutung anerkannte und ihr folgte, rettete er sein Land. Dafür würdigte er Josef mit Freiheit, Amt und Vermögen (Züricher Bibel 17. Auflage 1980, S. 40 ff).

    In der biblischen Geschichte schien Joseph einen passenden „Schlüssel zum Verständnis der königlichen Traumbilder gefunden zu haben. Joseph griff den Bezugsort auf, mit dem Pharao`s Traumbericht begann: Pharao stand am Nil. Sein Ansehen war davon abhängig, wie gut er für sein Volk sorgte. Der Nil, dessen Wasserstände durch unterschiedliche Zuflüsse alle sieben Jahre wechselten, bestimmte Fruchtbarkeit und Dürre im alten Ägypten. Mit diesem „Schlüssel interpretierte Joseph die beiden Träume als Ausdruck einer unbewussten Sorge des Pharao um die Ernährung seiner Untertanen. Pharao fand diese Deutung stimmig und handelte ihr entsprechend. Sie wurde bestätigt, indem sich die darin enthaltene Vorhersage in den folgenden Jahren bewahrheitete.

    Die Auffassung, dass der Traum im Kontext seiner Entstehung und seiner Mitteilung verstanden werden kann, hat Sigmund Freud in seinem epochalen Werk „Die Traumdeutung (1900) systematisiert. Freud war davon überzeugt, dass „Tagesreste zur Traumbildung beitragen, und die Einfälle des Träumers zur Entschlüsselung des Traums führen können. Freud begründete einen zentralen Unterschied seiner Technik der Traumdeutung zur vorherrschenden antiken Traumdeutung, denn sie:

    weicht von der antiken in dem einen wesentlichen Punkt ab, dass sie dem Träumer selbst die Deutungsarbeit auferlegt. Sie will nicht berücksichtigen, was dem Traumdeuter, sondern was dem Träumer zu dem betreffenden Element des Traumes einfällt" (Freud 1900, S. 119)³.

    Wenn man sich mit antiken Traumerzählungen beschäftigt, sind die Einfälle der Träumer nicht mehr zugänglich. Im Fall der Märtyrerin Perpetua, einer jungen Frau, die im Jahr 203 von Schergen verhaftet und als Opfer der Christenverfolgung im römischen Reich hingerichtet werden sollte, sind vom Zeitpunkt ihrer Inhaftierung bis zu ihrem Tod schriftliche Traumberichte und Tagebucheintragungen überliefert (von Franz 1982, Kahl-Popp 2007b).

    Für eine „historische Deutung schriftlich oder mündlich überlieferter Traumberichte von längst verblichenen Träumern wie Perpetua lassen sich alle, im Rückblick erhältlichen Hinweise auf den unmittelbaren Traumkontext sammeln. Im nächsten Schritt werden Hypothesen über die mögliche emotionale und soziale Bedeutung dieser Kontextbezüge für die Träumerin aufgestellt und geordnet. Daraus erschließt sich eine „Messlatte, die zur Auslegung des Traumberichts angewendet werden kann (Kahl-Popp 2007b). Mit einer solchen, tiefen-hermeneutischen Vorgehensweise kann sich je nach Quellenlage eine relativ plausible Exegese des Traums ergeben. Dennoch bleibt das so gewonnene Traumverständnis spekulativ, weil die Träumerin die Interpretation ihrer Traumerzählung nicht mehr bestätigen kann (Freud 1937, Langs 1994).

    Bewusstseinszustand „Traum"

    Zeitgenössische Resultate der empirischen Traum- und Entwicklungsforschung postulieren, dass die Fähigkeit zu träumen parallel zur kognitiven und emotionalen Entwicklung verläuft. Erst mit ca. 13 Jahren ähnelt die Ich-Aktivität im Traum derjenigen von Erwachsenen.

    „Kinder träumen nur solche Inhalte, welche sie von der Welt verstanden und symbolisch (sprachlich) repräsentiert zur Verfügung haben" (Hau 2018).

    Das, so Hau, der sich auf die Traumforschungen von David Foulkes (1993, 1999) und auf die Traumforschung bei Menschen mit angeborener Blindheit beruft, weise deutlich darauf hin, dass es sich beim Traum primär um Gedankenprozesse handele und nicht um Wahrnehmungsprozesse (Hau in Krovoza/Walde 2018, S. 277). Visualisierungen im Traum entstehen durch eine Umkehrung der Wahrnehmungsverarbeitung des Wachzustands: Während bei Tage optische, akustische, olfaktorische und haptische Wahrnehmungen in Gedanken umgewandelt werden, läuft dieser Vorgang des Nachts quasi in umgekehrter Reihenfolge ab: In der Traum-Bilderschmiede werden Gedanken, die in den Gedächtnissystemen gespeichert sind, in „Wahrnehmungen"⁴ umgeformt (Hierdeis 2018, S. 66).

    Sigmund Freuds Überzeugung, dass Erlebnisse bei Tage den Tagesrest bilden, der den größten Teil des Traummaterials ausmacht, wird von der experimentellen Traumforschung betätigt (Freud 1900). Für mehr als 70 % der unterschiedlichen Traumkomponenten – Menschen, Dinge, Handlungsabläufe – kann ein Bezug zu Ereignissen aus der dem Traum vorangegangenen Woche hergestellt werden. Daraus wurde das Kontinuitäts-Prinzip des Träumens abgeleitet, das besagt: Bedeutungsvolles und Unerledigtes vom Tage wird in der folgenden Nacht im Traum „bearbeitet". Dieses Prinzip sei durch das Prinzip formaler Diskontinuität zu ergänzen, weil sich die kognitiven Prozesse im Traum erheblich von denen des Wachbewusstseins unterscheiden (Hau a. a. O. S. 276).

    Umfang und Fülle der seit Freuds Traumdeutung publizierten Forschungsergebnisse aus Sozial, Geistes- und Humanwissenschaften⁵ bringen auf vielen verschiedenen Bühnen quasi zur Aufführung, was Freud in seinem, die Psychoanalyse begründenden Drehbuch niedergeschrieben hat: Träume sind wesentliche Elemente der psychischen Realität des Menschen. Ihre Entstehungsbedingungen in der Traumarbeit verweisen auf die unbewusste Dimension menschlichen Daseins (Deserno/Hau in Krovoza/Walde 2018, S. 258 ff).

    Sigmund Freuds Traumtheorie ist ein Modell unbewusst ablaufender psychischer Arbeit, das Freud an seiner Selbstanalyse entlang entwickelt hat⁶. Die unbewusste Dimension der Traumbildung wird durch Vorgänge nahe am Wachbewusstsein ergänzt, damit der Traum „erzählbar" wird. Freuds Postulat, dass jeder Traum der halluzinatorischen Erfüllung infantiler Wünsche dient, kann auf die wechselseitige Verquickung von Traum und Schlaf zurückgeführt werden: beide hüten sich gegenseitig. In ergänzenden Arbeiten nach 1920 widmete sich Freud den Träumen von Menschen, die von einem überwältigenden seelischen Ereignis getroffen worden sind. Wiederkehrende schwere Traumata in den Träumen veranlassten Freud zur Relativierung seiner Wunscherfüllungsthese. Träume spiegelten den Versuch der Erfüllung eines Wunsches, der auch darin bestehen könnte, das traumatische Erlebnis zu überwinden⁷.

    In der neueren psychoanalytischen Traumforschung, in der klinisch-therapeutische, konzeptuelle und experimentelle Ansätze zusammengeführt werden, ist die These von der Wunscherfüllung erweitert worden: Träume haben eine übergeordnete Funktion zur Entwicklung, Aufrechterhaltung und notfalls auch zur „Reparatur" psychischer Prozesse und Strukturen. Analog zur Arbeitsweise des Gehirns, die sich in unterschiedlichen Arealen, Zuständen und Abläufen vollzieht, lassen sich Schlaf, Traum und Wachsein als unterschiedliche Bewusstseinszustände kategorisieren (Deserno/Hau a. a. O. S. 269–271). Quasi vom Schiffsbug des Wachzustands aus wirft der Träumer den Blick in die Tiefe und erinnert den manifesten Traum als Abbild unbewusster Vorgänge im Traum-Bewusstsein.

    Freud war von der Sinnhaftigkeit und der Deutbarkeit der Träume überzeugt (Freud 1900, Mertens 2009, Hierdeis 2018 u. a. m.). Ausgehend vom manifesten Traum-Inhalt sollten sekundäre Bearbeitung, Verschiebung, Verdichtung und Symbolisierung „rückläufig" entschlüsselt und Erinnerungswiderstände überwunden werden, um den Zusammenhang zwischen Tagesrest und latentem Traumgedanken zu erfassen. Auf diesem Wege wird ermöglicht, die im manifesten Traum verschlüsselten Wünsche sowie ihren aktuellen und biographischen Kontext zu erkennen.

    Freuds Auffassung, dass der Traum wie ein neurotisches Symptom im Kontext seiner Entstehung und seiner Mitteilung verstanden werden kann, beeinflusste die besonderen Rahmenbedingungen der psychoanalytischen „Kur" (1900). Im psychoanalytischen Behandlungsraum auf der berühmten Couch liegend und der Psychoanalytikerin dahinter sitzend, führten die freien Assoziationen des Analysanden und die gleichschwebende Aufmerksamkeit der Psychoanalytikerin zur Entschlüsselung des Traums sowie der neurotischen Symptome und Beschwerden.

    Der Traum als asoziale Sinnprovinz

    Das Interesse an Traumerzählungen und Traumdeutungen überdauert die Zeiten. Der beständige Anreiz, Träume zu verstehen scheint in der eigenartigen Unverfügbarkeit des Traums begründet zu sein. Um diese zu „bezwingen" haben philosophische, theologische und literarische Kräfte vielfältige Deutungsmodelle und Traumklassifizierungen entwickelt; jede neue phantastische Ära des Träumens und der Trauminterpretation löste die vorangegangene ab (Näf 2000). Sigmund Freud hat diesen Formeln eine eigene Theorie hinzugefügt, für deren Ausarbeitung er die eigenen Träume, oder die seiner Analysanden verwendete. Er verstand den Traum als:

    vollkommen asoziales seelisches Produkt; er hat einem anderen nichts mitzuteilen; innerhalb einer Person als Kompromiss der in ihr ringenden seelischen Kräfte entstanden, bleibt er dieser Person selbst unverständlich und ist darum für eine andere völlig uninteressant" (Freud 1905, S. 204).

    Aus soziologischer Sicht gilt der Traum deshalb als asozial, weil seine Gestaltung nicht den sozial geteilten Regeln des Denkens, Erinnerns und Interpretierens folgt, sondern aus eigentümlichen undurchsichtigen Vorgängen hervorgeht (Bergmann 2000). Die Welt des Träumens bilde eine eigene Sinnprovinz, meint Jörg Bergmann, die er mit drei Bedeutungslinien kartographiert: Erstens sei der Träumende prinzipiell allein in seiner Welt, zweitens unterliege die Traumwirklichkeit keinem sozial akzeptierten Regelwerk und drittens geschehe der Traum im Zustand der Verantwortungslosigkeit, unwillkürlich, unkontrolliert und ungesteuert (Bergmann 2000 S. 45). Träume seien lediglich durch ihre Mitteilung zugänglich. Im Prozess der Versprachlichung finde eine Narrativierung⁸ des Trauminhalts statt (Bergmann a. a. O.). Das Geträumte wird inhaltlich konsistent und temporal logisch aufbereitet und nimmt so die Form einer Erzählung an.

    Dabei kann die Traumerzählung im Moment ihrer Mitteilung eine kommunikative Komponente enthalten: Verpackt in ihren Traumbericht vermittelt die Träumerin dem Adressaten des Berichts einen verborgener Sinn. Dieser Sinn kann sich auf den gegenwärtigen Kontext ihres Austausches beziehen. Eine solche Traumerzählung enthält die unbewusste Bedeutungsanalyse der Träumerin, die in den Subtext der Konversation „geschmuggelt" wurde (Dorpat/Miller 1992, Smith 1991).

    Aus Bergmanns sozialwissenschaftlichen Studien ergibt sich, dass Traumerzählungen in der alltäglichen Konversation keine Rolle spielen; sie werden ausgespart. Es könnte riskant sein, im üblichen sozialen Umfeld Träume zu berichten. Die Authentizität einer Traumerzählung sei fraglich, weil nicht nachprüfbar, und der Berichterstatter laufe Gefahr Intimitätsgrenzen zu verletzen und aufdringlich zu wirken. Für Traumdarstellungen werde deshalb typischerweise ein besonderer institutioneller Rahmen geschaffen, das psychotherapeutische Setting oder eine „Traumgruppe" (Bergmann a. a. O., S. 56).

    Die Konstruktion der Traumerzählung

    Traumerzählungen sind Konstrukte. Diese bestehen aus den inneren Prozessen der Traumgenerierung, die die Form einer Erzählung annehmen, und aus den kommunikativen Prozessen der Traumdarstellung. Üblicherweise offenbart sich ein Traum dem Träumer zuerst als Bild oder auch als Aneinanderreihung oder Überlagerung von Bildern. Darin lassen sich mitlaufende kognitiv-reflexive und affektive Prozesse erahnen. Bilder und mental-affektive Strukturen des Träumenden treffen aufeinander. So entstehen weitere Traumbilder. Im internen Netzwerk der Traumgenerierung beginnt die Narrativierung der geträumten Gedankenbilder: Im Vorgang des gewahr Werdens wird das Traumbild von der mentalen Struktur in ein Proto-Narrativ transformiert. Der Träumer „erzählt sich – spätestens in einer Wach-Schlaf-Phase – das im Traum Wahrgenommene und Erlebte, um ihm eine Form zu geben und es festzuhalten. Traumbilder werden in eine Traumerzählung umgearbeitet, die dazu dient, das Geträumte im Gedächtnis einzulagern und bei Tage zu erinnern. Eine solche Selbst-Aneignung des Traums hat auch einen sozialisierenden Aspekt: Sie führt dazu, einen Traumbericht „salonfähig zu machen.

    Auch Claudia hat ihren Traum vor dem Vergessen „gerettet". Dabei diente ihre Selbsterzählung nicht nur der temporalen Ordnung und inhaltlichen Markierung der visuellen Halluzination, sondern auch der affektiven Beruhigung: Es ist nur ein Traum! Die Bilder wurden gleichsam lokalisiert und im Gedächtnis abgelegt.

    Freud hat den Entstehungsprozess des manifesten Traums als „Traumarbeit" bezeichnet und ihre Mechanismen erkannt: Ersetzung, Verschiebung, Verdichtung und Symbolisierung seelischer Inhalte in den unbewussten Denk- und Verarbeitungsvorgängen. Aus Ergebnissen der experimentellen Traumforschung folgert Wolfgang Leuschner, dass die Traumarbeit als ein psychisches Wechselspiel der Zerlegung und Wiederzusammenfügung zu begreifen ist (Leuschner 2000). Durch reizstimulierende Experimente im Schlaflabor lasse sich dieses Wechselspiel nachvollziehen: In der Vorstellungswelt werden Bilder und Gedanken dissoziiert und fragmentiert. Unterschwellige Bedeutungen werden gesperrt, mentale Abläufe werden sequenziert und reassoziiert. Wahrnehmungs- und Erinnerungsrepräsentanzen würden quasi zerlegt, ersetzt und damit die Bedeutung des ersetzten Elements gehemmt. Sperrung breche die weiterführende Darstellung einer Vorstellung oder eines Affekts ab. Die umgearbeiteten Fragmente würden auf verschiedene Traumsequenzen, mehrere Träume einer oder mehrerer Nächte umverteilt und durch Reassoziierungen zu einem sinnvollen gedanklichen Erzeugnis synthetisiert.

    Wendet man diese vielschichtigen mentalen Mechanismen der Traumarbeit auf Claudias Traumerzählung an, dann wäre der LKW in Claudias Schlafzimmer das Ergebnis einer solchen Bearbeitung vorangegangener Wahrnehmungs- und Erinnerungsrepräsentanzen. Ein Lasten transportierender Kasten auf Rädern füllt das Schlafzimmer aus. Für das Traum-Ich wird es eng und bedrohlich. Die Bedeutung aufkommender Assoziationen und Affekte wird jetzt gesperrt. Stattdessen wird ein harmloser Anlass konstruiert: der Fahrer will nebenan lediglich mit ihrem Mann einen Kaffee trinken. So wird ein Szenario der Hilfsmöglichkeiten kreiert die Männer befinden sich in Rufweite das die bildliche Darstellung von Claudias emotionaler Not ermöglicht.

    Nach Leuschner gehört zur Traumarbeit eine spezifische Gestaltungskraft, die in einem Ordnungssystem gedanklicher Konstrukte zum Ausdruck kommt. Dieses Konzept der Traumkonstruktion beinhaltet die Annahme, dass Traumarbeit auch bei Tage stattfindet, weil unsere Wahrnehmungen immer vor- oder unbewusst bearbeitet würden, mit individueller Bedeutung aufgeladen, in die subjektive Erfahrung eingeordnet und deshalb immer selektiv seien (Leuschner 2000 S. 699 – 720).

    Traumerzählungen regen Zuhörende wiederum zu eigenen inneren Bildern und bildhaften Erinnerungsrepräsentanzen an. Als ich in einem Ausbildungs-Seminar für Psychotherapeuten von Claudias Traum berichtete, griff eine Teilnehmerin spontan zum Handy und rief: „Hier habe ich die Verfilmung Ihres Traums". Sie zeigte ein Video in dem ein Schlafender mit dem klingelnden Wecker kämpft, der sich nicht abstellen lässt, dann die Decke über den Kopf zieht und träumt, dass er aufschreckt, weil ein LKW durch die berstende Mauer in sein Schlafzimmer eindringt.

    Es wird zu fragen sein, welchen Begriff man den in der Traumerzählung aufgehobenen Traumbildern und Traumbildsequenzen geben sollte? Handelt es sich um Einbildungen, um Selbsttäuschungen, um Halluzinationen, Illusionen oder um Imaginationen?

    Philosophische Ansichten vom Traum

    In der klassischen Philosophie hat man versucht, den Traum mit diesen Begriffen konzeptionell dingfest zu machen. Die Frage nach der Wirklichkeit ist eine zentrale philosophische Fragestellung. Weil im Traum nicht nur bizarre Bilder und Phantasmen, sondern auch rationale Gedanken, kritische Begründungen und Rechtfertigungen, sowie logische Handlungsabläufe vorkommen können, fällt die Abgrenzung zwischen Traum und Wirklichkeit schwer. Nach René Descartes (1641) beweisen Träume die Unzuverlässigkeit menschlicher Wahrnehmung und die Möglichkeit des sensorischen Betrugs¹⁰. Dichotome Kategorien, wie falsch/richtig oder wahr/unwahr können nicht auf den Traum angewendet werden. Aus einer anderen philosophischen Perspektive, der ontologischen, wird der Traum als ein besonderer Bewusstseinszustand eingestuft. Zweifellos beinhalten viele Traumbilder auch halluzinatorische Aspekte, wie etwa die generell veränderte Wahrnehmung der räumlichen Ausdehnung oder Verengung der Umgebung in Fieberträumen.

    In Claudias Traum befinden sich ein LKW, der Fahrer und ihr Mann. Selbst wenn sie im Traum das Bett sehen würde, in dem sie gerade schläft und träumt, würde das Traumbild nicht als sensorische Wahrnehmung gelten können.

    Es gehört zum Wesen des Traums, dass der Träumer das Bett nicht „sieht, sondern halluziniert. Er bildet sich das Bett ein. Zufällig würden der reale Gegenstand und das Traumbild übereinstimmen. Gegen die Halluzinations-Definition des Traums spricht: Auch wenn alle sensorischen Erfahrungen des Träumers „falsch sind, weil er träumt, ist es sicher, dass er im Traum z. B. Licht sieht, ein Geräusch hört oder Hitze empfindet. In diesem Moment erlebt der Träumer das Geschehen im Traum wie eine subjektive Wahrnehmung.

    Bertrand Russell (1948/2009) traf die Unterscheidung zwischen einem psychischen Bereich und einem extrapsychischen Bereich, wenn er schrieb:

    „In Träumen erfahre ich alles, was ich zu erfahren scheine. Es sind lediglich die Dinge außerhalb meiner Psyche, die nicht so sind, wie ich glaube, dass sie sind, während ich träume" (Russel zitiert in Stanford Encyclopedia of Philosophy).

    Demnach wären die Empfindungen und Gefühle, die Claudia im Traum erlebte, authentische, z. B. das Erleben des Eingesperrt-Seins, die Angst, nicht gehört zu werden und keine Hilfe zu erleben. Der LKW neben dem Bett, sein Fahrer und ihr Mann im Nebenzimmer werden in diesem Bewusstseinszustand als faktische Realität erlebt und erst nach dem Erwachen als Illusion.

    Aus phänomenologischer Sicht beschrieb Edmund Husserl (1904/1905) den Traum als Imagination. Während Illusion und Halluzination der Welt der Vorstellung und Phantasie zugeordnet werden, haben Imaginationen einen Bezug zur Wahrnehmung, besonders dann, wenn „Wahrnehmung" nicht zwangsläufig mit Wahrhaftigkeit verknüpft wird. Träume seien deshalb als Imaginationen zu bezeichnen, weil sie als real erlebt werden¹¹.

    Weil Claudia das Einbrechen des LKWs im Traum erlebt, wird ihr Empfinden, eingesperrt zu sein, ausgelöst. Allerdings wird dem Fahrer danach eine harmlose und freundliche Absicht unterlegt: der will lediglich mit Claudias Mann Kaffee trinken. Wahrscheinlich dient diese Ausgestaltung der Regulierung ihrer überwältigenden Angst. Überfallartiges bedrohliches Handeln und freundliche Absicht werden zeitgleich und real erlebt.

    Claudias Traum wirkt an diesem Punkt besonders befremdlich und undurchdringlich. Wie kann man sich die Steuerung des imaginativen Ablaufs vorstellen?

    Virtuelle Traum-Wirklichkeit

    Aus kognititonspsychologischer Sicht¹² wird zwischen Traum-Wirklichkeit und faktischer Realität unterschieden, indem man das Erleben im Traum als virtuelle Wirklichkeit des Träumens begreift. So können eine Fata Morgana in der Wüste als Halluzination im „online-Wachzustand und ein Traum als „offline-Halluzination eingeordnet werden. Die virtuelle Traum-Wirklichkeit bezeichnet den besonderen Bewusstseinszustand des Träumens, in dem sich eine Mikrowelt offenbart, deren Zustände, Vorgänge und Handlungsvollzüge simuliert werden. Mit dem Begriff der virtuellen Traum-Wirklichkeit lassen sich psychoanalytisches und philosophisches Traumverständnis mit neurobiologischen und kognitionspsychologischen Erkenntnissen aus der empirischen Schlaf- und Traumforschung verknüpfen. Trauminhalte und Traumbilder werden vordringlich als Imagination eingestuft, da die „innere Wahrnehmung" im Traum auf den gleichen neurobiologischen Abläufen beruht, wie die Wahrnehmungstätigkeit im Wachbewusstsein, vor allem beim räumlichen Sehen.

    Je nach dem, aus welcher subjektiven Erfahrung, empirischen oder theoretischen Orientierung heraus ein einzelner Traum untersucht wird, bestimmt dies seine Aufladung mit Sinn und Bedeutung. Träumer, Traumerzähler und Empfänger eines Traums können ganz unterschiedliche Einstellungen zum selben Traum haben. Darüber sollte sich die Psychotherapeutin in der klinischen Praxis klar sein. Außerdem sollte sie über ein breites Basis-Wissen verfügen und dieses in der Zusammenarbeit mit dem Patienten in individuelles psychotherapeutisches Handeln umsetzen können, wenn es darum geht, Traumerzählungen zu verstehen.

    Der Psychotherapeut als Empfänger der Traumerzählung

    Wenn im psychotherapeutischen Behandlungsraum ein Traum erzählt wird, offenbart sich dessen doppelte asoziale Sinnprovinz (Bergmann a. a. O.). Sender und Empfänger der Traum-Mitteilung bewegen sich am Rande des Verstehens oder in Zuständen des Nicht-Verstehens. Sinnfreiheit, Unzugänglichkeit und Fremdheit der Trauminhalte bergen die Erfahrung tiefer Verunsicherung, aus der ein Impuls entstehen kann, die Kluft, zwischen Träumer, Traumbericht und Psychotherapeutin rasch und nahtlos zu überbrücken. Womöglich wird eine (zu) schnelle Deutung des Traums generiert, um Sozialität und Interaktion im therapeutischen Dialog aufrechtzuhalten bzw. wiederherzustellen.

    Theoretisches Arbeiten stärkt die Kompetenz-Disposition des Psychotherapeuten, den Raum offen zu halten – den eigenen Innenraum wie den Arbeits-Beziehungsraum mit dem Patienten – gerade dann, wenn eine Traumerzählung zum Innehalten zwingt. Hieraus ergibt sich die klinische Relevanz humanwissenschaftlicher Erkenntnisse über Traum und Träumen. Theoretisches Arbeiten schärft die Begriffsbildung, sensibilisiert die subjektive Wahrnehmung und stärkt die Enthaltsamkeit des Psychotherapeuten gegenüber den eigenen Deutungsimpulsen während der Traumerzählung des Patienten (Kahl-Popp 2007a). Dabei scheint die Vielfalt der Traumtheorien auf der einen Seite der Vielfalt an Typen von Träumen auf der anderen Seite zu entsprechen.

    Indem der Psychotherapeut seine eigene virtuelle Traum-Realität erkundet, intensiviert er außerdem die Fähigkeit, inneres Erleben, intersubjektiven Austausch und faktische Realität zu differenzieren. Seine halluzinatorischen Gegenübertragungsempfindungen¹³ können assoziative, dissoziative und Bedeutungs-sperrende Vorgänge erhellen.

    Die Arbeit am Traum – am eigenen, an dem der Patientin und an dem des Supervisanden – ermöglicht auch dem erfahrenen Psychotherapeuten, sich mit seinen (Vor)Einstellungen zu befassen. Psychotherapeutinnen neigen zu der alltagspsychologischen Vorstellung, dass die subjektive seelische Innenwelt unsichtbare Gesetzmäßigkeiten enthielte, die in Form von Bedeutung oder Deutung „lediglich" aufzufinden seien. Jede Traumerzählung kann den Psychotherapeuten mit der Illusion konfrontieren, Wahrheit finden zu wollen, statt nach dem Sinn zu suchen.

    Seit Sigmund Freud vom Traum ausgehend die Psychoanalyse entwickelt hat, gilt der Traum als Fenster zum Unbewussten. Sich mit dem Traum, mit Traumtheorien sowie mit Forschungsergebnissen über das Träumen auseinanderzusetzen, trainiert die mentale und emotionale Liquidität des Psychotherapeuten. Der

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