Praxisbegleitung: Perspektiven für die berufliche und akademische Pflegebildung
Von Johannes Kemser
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Über dieses E-Book
Pädagogische Kompetenz in der Praxisbegleitung! Dieses Buch bietet Lehrenden im Pflegebereich an Berufsfachschulen und Hochschulen sowie Studierenden von pflegepädagogischen Studiengängen fundierte Konzepte für eine gelungene Praxisbegleitung. Die Rolle der Ausbildenden und die damit verbundenen Aufgaben werden identifiziert und klar herausgestellt. Wie können Pädagogen ihre Auszubildenden und Studierenden erfolgreich und gezielt unterstützen und anleiten? Welche Vorgehensweise fördert den Lernprozess in der Praxis? Die erfahrenen Autoren geben wichtige Impulse zu den Entwicklungsmöglichkeiten der Praxisbegleitung in der beruflichen und akademischen Pflegebildung und legen konkrete sowie erprobte Konzepte zur Umsetzung vor.
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Buchvorschau
Praxisbegleitung - Katharina Lüftl
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2019
Katharina Lüftl, Andrea Kerres und Bettina Felber (Hrsg.)Praxisbegleitung https://doi.org/10.1007/978-3-662-57926-8_1
1. Wie findet Praxisbegleitung an Berufsfachschulen in Bayern statt? Eine Ist-Analyse
Bettina Felber¹ und Andrea Kerres²
(1)
Untere Hauptstraße 29 b, 85368 Volkmannsdorf, Deutschland
(2)
Fakultät Pflege, Katholische Stiftungshochschule München, Preysingstraße 83, 81667 München, Deutschland
Bettina Felber
Email: bemevefelber@aol.com
1.1 Ziele und rechtliche Grundlagen der Praxisbegleitung
1.1.1 Ziele von Praxisbegleitungen
1.1.2 Rechtliche Grundlagen
1.2 Ausgewählte Forschungsergebnisse zur Praxisbegleitung
1.3 Vorgehensweise und Ergebnisse der Ist-Analyse
1.3.1 Messinstrumente
1.3.2 Auswertung
1.3.3 Ausgewählte Ergebnisse der Fragebogenerhebung
1.3.4 Ausgewählte Ergebnisse der Telefoninterviews
1.4 Zusammenfassung der Ergebnisse
1.5 Welche Entwicklungsaufgaben lassen sich aus den Ergebnissen ableiten?
Literatur
Wie findet Praxisbegleitung durch Lehrende von Schulen der Gesundheits- und Krankenpflege sowie von Altenpflegeschulen in Bayern statt? Vorgestellt wird eine entsprechende Erhebung, die u. a. zu folgenden Ergebnissen geführt hat: Die Mehrzahl der Schulen geben im Fragebogen an (anders als im Telefoninterview), ein schriftliches Konzept zu haben, möchten ihr Konzept allerdings nicht öffentlich machen. Inhaltlich wird dazu gesagt, dass die Konzepte eine Art Leitfaden für die Besuche beinhalten sowie Praxisaufgaben und Zielvereinbarungen. Was dann wirklich vor Ort passiert (so die Schulleitungen), ist geprägt durch die Erfahrungen der Lehrkraft zum Thema „Was ist Praxisbegleitung?" Für beide Schularten gilt, dass der Prozess der Praxisbegleitung sehr individuell abläuft. Die Lehrkraft muss ihren eigenen Weg finden. Eine Fortbildung zum Thema wird von der Schulleitung als nicht wirklich unterstützend und notwendig angesehen.
1.1 Ziele und rechtliche Grundlagen der Praxisbegleitung
Veränderte Anforderungen in der Versorgung von pflegebedürftigen Menschen zeigten die Notwendigkeit, die Ausbildung von Pflegefachkräften neu zu strukturieren. Die Lockerung der strengen Trennung zwischen Gesundheits- und Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege wird durch die Verabschiedung des Krankenpflegereformgesetzes im Juli 2017 möglich. Die hochschulische Pflegeausbildung gewinnt in Deutschland bereits seit 2004 an Bedeutung (Reuschenbach und Darmann-Finck 2017) und die Gesetzesreform von 2017 sieht eine primärqualifizierende Erstausbildung an Hochschulen vor. Die Gesetzesänderung erforderte in Folge eine Überarbeitung der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des vorliegenden Buches liegt diese als Referentenentwurf vor (Bundesministerium für Gesundheit [BMG] und Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [BMFSFJ] 2018).
Die Lehrenden in Pflegeberufen sowohl an Berufsfachschulen als auch an Hochschulen sehen sich infolge dessen mit Veränderungen konfrontiert, auf welche es zu reagieren gilt (hierzu ausführlich ► Kap. 3 von Lüftl in diesem Buch). Die Verantwortlichen an Pflegeschulen müssen sich auf eine Neuinterpretation ihrer Aufgaben einstellen, Hochschulen stehen vor der Herausforderung, einen Studiengang zu konzipieren. Allen gemeinsam ist, dass es zu ihren Aufgaben gehört, am Lernort Pflegeschule oder Hochschule theoretische und fachpraktische Inhalte zu vermitteln und die Kompetenzentwicklung von Lernenden in Praxisbegleitungen zu unterstützen. Letztgenanntem widmet sich dieser Beitrag.
Die praktische Ausbildung in den Einrichtungen wird unterstützt von Praxisanleitern. Zur Differenzierung im Sinne der neuen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung sei auf ► Kap. 2, Wissing und Lüftl verwiesen.
Indirekte Regelung quantitativer Aspekte von Praxisbegleitungen
Dass Praxisbegleitungen eine Besonderheit innerhalb der schulischen Ausbildung darstellen, lässt sich anhand der Vorgaben des Schulfinanzierungsgesetzes in Bayern feststellen: Während es keinerlei gesetzliche Vorgaben oder Richtlinien zur Dauer von Praxisbegleitungen gibt, wird den Pflegeschulen der Personal- bzw. Zeitaufwand nur zu einem bestimmten Aufwand refinanziert (Die Häufigkeit der Praxisbegleitungen ist geregelt, allerdings nur in der Mindestvorgabe, ► Kap. 3). Durch diese Tatsache findet in Bayern eine indirekte Regelung statt, was die Dauer und in Abhängigkeit davon die Frequenz von Praxisbegleitungen anbelangt. Praxisbegleitungen müssen dokumentiert, und diese Dokumente zur Refinanzierung an das Kultusministerium weitergeleitet werden. In der dreijährigen Ausbildung wird pro Schülerin oder Schüler derzeit eine Begleitung im Rahmen von 1,3 Stunden/Schüler/Woche in der Gesundheits- und Krankenpflege rückvergütet, in der Altenpflege sind es zum derzeitigen Stand 0,9 Stunden/Schüler/Woche. Eine Änderung mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes wird diskutiert, ist im Augenblick aber noch nicht beschlossen. Es liegt deshalb im Interesse der Pflegeschulen, diesen Rahmen auf der einen Seite auszuschöpfen und auf der anderen Seite nicht zu überschreiten, da beides im Ergebnis eine Defizitfinanzierung zur Folge hat.
1.1.1 Ziele von Praxisbegleitungen
Pekuniäre Gründe beeinflussen die quantitativen Aspekte von Praxisbegleitungen, sagen aber nicht zwingend etwas über den qualitativen Charakter der Begleitungen. Lehrende gestalten Lehr-Lern-Einheiten mit dem Wunsch, pädagogisch wirken zu können. Den Lernenden soll Entwicklung ermöglicht werden, welche sich in einem Zuwachs an Kompetenzen zeigt: Entwicklung ist beispielsweise in den Bereichen der Fach-, der Kommunikations- und der Handlungskompetenz denkbar, aber auch soziale, ethische und personelle Kompetenz finden Berücksichtigung im aktuellen Entwurf der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe (BMG und BMFSFJ 2018).
Pädagogen eignen sich zu diesem Zweck in ihrer Ausbildung an, wie Lehr-Lern-Einheiten so zu gestalten sind, dass Lernende aus dem Unterrichtsgeschehen heraus Kompetenzen entwickeln können. Vermittlung von Inhalten soll nicht planlos geschehen, es können Strukturen zugrunde gelegt werden. Pädagogen lernen – um auf diese Strukturen zurückgreifen zu können – diverse Modelle der Didaktik kennen. Lernziele spielen in den derzeit vorherrschenden Modellen der Didaktik eine Rolle, Pädagogen werden bereits im Studium im Umgang mit ihnen geschult. Lehrende für Pflegeberufe haben in der Anwendung dieser Modelle die Möglichkeit, theoretischen und fachpraktischen Unterricht und auch Praxisbegleitungen zielgerichtet zu planen und durchzuführen. Beispielhaft seien hier in aller Kürze die klassischen Modelle von Wolfgang Klafki und Paul Heimann dargestellt, auf welche Lehrende in der Alltagspraxis aufbauen können.
Das bildungstheoretische/kritisch-konstruktive Modell von Wolfgang Klafki plädiert dafür, dass Unterrichtsinhalte nicht beliebig dargeboten werden, sondern sich – stark vereinfacht ausgedrückt – an den Bedürfnissen von Lernenden, aber auch der Gesellschaft orientieren müssen. Folgerichtig sieht Klafki damit die Entwicklung der Fähigkeiten zur Selbstbestimmung, zur Mitbestimmung und zur Solidarität als Ziel von Lehr-Lern-Einheiten (Jank und Meyer 2011, S. 216 ff.). Unter dem Begriff der Selbstbestimmungsfähigkeit erachtet es Klafki als Aufgabe der Pädagogen, den Lernenden zu ermöglich, über „Lebensbeziehungen und „Sinndeutungen zwischenmenschlicher, beruflicher, ethischer und religiöser Art selbst bestimmen zu können
(Klafki 1991, S. 52). Mitbestimmungsfähigkeit im Sinne Klafkis ist die Fähigkeit, verantwortlich in kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Kontexten zu handeln. Zur Solidarität ist ein Mensch dann befähigt, wenn er sich für jene einsetzt, die die Selbstbestimmungsfähigkeit und die Mitbestimmungsfähigkeit aufgrund vorherrschender Verhältnisse jedweder Art nicht erreichen können (Jank und Meyer 2011, S. 216 ff.).
Heimann setzt in seinem Modell andere Schwerpunkte. Gelingender Unterricht kann für ihn nur unter Berücksichtigung von sechs Komponenten entstehen. Auf die ersten beiden haben Pädagogen keinen oder nur geringen Einfluss: Dies sind die anthropogenen und die soziokulturellen Voraussetzungen, die die Lernenden mitbringen. Es darf nicht unberücksichtigt bleiben, was die Lernenden bereits wissen, welche Erfahrungen sie haben (anthropogene Voraussetzungen), auch die Frage nach Geschlecht und Alter müssen bei der Planung von Unterricht beachtet werden. Die Kultur, aus welcher die Menschen kommen, welche Sprachen sie sprechen ist ebenfalls von Bedeutung (soziokulturelle Voraussetzungen). Hier müssen Pädagogen mit dem Gegebenen arbeiten. Die vier weiteren Komponenten dagegen liegen laut Heimann im Verantwortungsbereich der Pädagogen. Dies betrifft:
die Intentionen,
die Inhalte,
die Methoden und
die Medien einer Lehr-Lern-Einheit.
Dabei ist zu beachten, dass die sechs Komponenten nicht unabhängig voneinander zu sehen sind, sondern in einer Interdependenz (Jank und Meyer 2011, S. 276 ff.).
Obwohl Heimann sein Modell in Abgrenzung zu Klafkis entwickelte, ist festzuhalten, dass beide Modelle eines gemeinsam haben: Ziele stellen einen wichtigen Anhaltspunkt zur Planung und Durchführung von Unterrichtseinheiten dar, die der Entwicklung von Kompetenzen dienen.
Beiden Modellen zu eigen ist die hohe Eigenverantwortung in der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen, die sie Lehrpersonen zugestehen. Wie angehende Pädagogen dieser Verantwortung gerecht werden, wird in ► Abschn. 2.1 von Kerres diskutiert.
Völlig frei in ihren Entscheidungen sind Lehrende nicht: qualitätssichernd greifen gesetzliche Rahmenbedingen, auf welche Pädagogen zur Unterstützung zurückgreifen können. Da diese umfassend in der Darlegung von Lüftl in diesem Buch erörtert werden, beschränkt sich dieser Beitrag auf die gesetzlichen Vorgaben in Zusammenhang mit Zielen der Praxisbegleitung.
1.1.2 Rechtliche Grundlagen
Pflegeschulen haben laut § 2 Absatz 3 des Referentenentwurfs des BMG und des BMFSFJ das Recht, schulinterne Curricula „unter Berücksichtigung der Empfehlungen im Rahmenlehrplan nach § 48" zu erstellen (BMG und BMFSFJ 2018, S. 8). Hochschulen wird für die Erstellung der modularen Curricula in § 30 Absatz 4 (ebd., S. 24) dasselbe Recht eingeräumt, allerdings auf Grundlage des § 37 des Pflegeberufegesetzes (Bundestag 2017). § 37 des Pflegeberufegesetzes regelt die Ausbildungsziele der hochschulischen Pflegeausbildung.
In § 48 wird auf Anlage 6 des Referentenentwurfes verwiesen (BMG und BMFSFJ 2018, S. 37). Hier wird die Stundenverteilung für den theoretischen und praktischen Unterricht empfohlen (ebd., S. 77). Die Stundenverteilung der praktischen Ausbildung wird in Anlage 7 aufgezeigt, dies ist insofern von Bedeutung, als die Praxisanleitungen eindeutig den „Einrichtungen der praktischen Ausbildung" zugeordnet werden (ebd., § 4, S. 9), Praxisanleitung findet während der praktischen Ausbildung statt.
Eine Berücksichtigung von Praxisbegleitungen findet weder im Rahmenplan für theoretischen und praktischen Unterricht noch für die praktische Ausbildung statt. Dies mag dem Umstand geschuldet sein, dass die Praxisbegleitungen zwar von Lehrenden an den Pflegeschulen bzw. an den Hochschulen zu leisten sind, aber in den Einrichtungen der praktischen Ausbildung stattfinden.
Praxisbegleitung untersteht laut dem Referentenentwurf der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (BMG und BMFSFJ 2018) den Pflegeschulen (§ 5) bzw. den Hochschulen (§ 31, Absatz 2).
§ 5 BMG
„Die Pflegeschule stellt durch ihre Lehrkräfte für die Zeit der praktischen Ausbildung die Praxisbegleitung in den Einrichtungen der praktischen Ausbildung in angemessenem Umfang sicher. Aufgabe der Lehrkräfte ist es, die Auszubildenden insbesondere fachlich zu betreuen und zu beurteilen sowie die Praxisanleiterinnen oder Praxisanleiter zu unterstützen. Hierzu ist eine regelmäßige persönliche Anwesenheit der Lehrkräfte in den Einrichtungen zu gewährleisten. Im Rahmen der Praxisbegleitung soll daher mindestens ein Besuch einer Lehrkraft je Orientierungseinsatz, Pflichteinsatz und Vertiefungseinsatz in der jeweiligen Einrichtung erfolgen."
§ 31 BMG Absatz 2
„Die Hochschule stellt für die Zeit der Praxiseinsätze die Praxisbegleitung der Studierenden in angemessenem Umfang sicher. Sie regelt über Kooperationsverträge mit den Einrichtungen Praxiseinsätze die Durchführung der Praxisbegleitung in den Einrichtungen und die Zusammenarbeit mit den Praxisanleiterinnen und Praxisanleitern."
Ziele für die Praxisbegleitung sind, über jene des Pflegeberufereformgesetzes hinaus, nicht weiter definiert. Selbst die genannten Aufgaben bleiben für die Umsetzung des gesetzlichen Auftrages unklar und bedürfen einer Differenzierung an den Lehr-/Lernstätten vor Ort. Dies bedeutet (pädagogische) Freiheit und Verantwortung zugleich. Die Aufgabe der Pflegeschulen und Hochschulen ist es, Konzepte für die Praxisbegleitungen zu entwickeln. Beispiele für hochschulische Konzepte von Praxisbegleitungen im Studium Pflege finden sich in diesem Buch für die Hochschulen Deggendorf (Rester ► Kap. 4) und Rosenheim (Lüftl ► Kap. 3). Der Beitrag von Kerres (► Abschn. 2.1) zeigt die Notwendigkeit, dass Hochschulen nicht nur Konzepte für Praxisbegleitungen in den Bereichen duale bzw. grundständige Pflegestudiengänge – also Praxisbegleitungen, die sie selbst zu leisten haben – konzipieren müssen: es scheint ein Defizit in der hochschulischen Ausbildung von Pflegepädagogen zu geben. Pflegepädagogen benötigen für Praxisbegleitungen Kompetenzen, deren Entwicklung bisher an den Hochschulen nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Die Katholische Stiftungshochschule München hat darauf reagiert und ein Modul für die Studierenden der Pflegepädagogik entwickelt. Ziel des Moduls ist es, den Studierenden Kompetenzen zu vermitteln, welche es erlauben, die Rolle als Praxisbegleitung wahrnehmen zu können (Wissing und Lüftl ► Kap. 2). Die Relevanz der hochschulischen Vorbereitung auf diese Aufgabe ist begründet in der Tatsache, dass Studierende der Pflegepädagogik während des Praxissemesters relativ unreflektiert die Handlungen von Pflegelehrern imitieren (Kerres ► Abschn. 2.1). Gerade die Handhabung von Praxisbegleitungen der Pflegelehrer in Bayern ist bisher wenig erforscht.
Wie Pflegeschulen in Bayern Praxisbegleitungen im Hinblick auf Anforderungen und Rahmenbedingungen ausgestalten und was Pflegelehrer in dieser Tätigkeit leitet, waren die Fragen, die zur folgenden Untersuchung Impulse gaben.
1.2 Ausgewählte Forschungsergebnisse zur Praxisbegleitung
Die Begleitung der Lernenden im praktischen Teil ihrer Berufsausbildung war schon immer ein Thema im Diskurs. Der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit – auch für die Forschung – lag bisher auf der klassischen Anleitungssituation in der Praxis durch die Praxisanleitung (PA). Arens (2015, S. 9 ff.) zeigt in seinem Beitrag die Rolle der Lehrenden in einem geschichtlichen Abriss in diesem Handlungsfeld auf, worauf aber nicht weiter eingegangen werden soll.
Im Folgenden sollen exemplarisch die Ergebnisse dreier Forschungsdesigns zum Thema Praxisanleitung (PA) – Praxisbegleitung (PB) aufgeführt werden. Eine gute Übersicht über den aktuellen wissenschaftlichen Stand zu diesem Thema gibt Arens (2015) bzw. Lüftl in diesem Band. Deutlich soll dabei werden, dass die Zielgruppe der Erhebungen in erster Linie die Lernenden waren, die ihr Erleben zum Thema PA und PB wiedergeben sollten.
1.
Im Ausbildungsreport Pflegeberufe 2015 (ver.di 2015) wurden 3410 Auszubildende aus 13 Bundesländern zur Qualität ihrer Ausbildung befragt. Zwei Ergebnisse, die für diese Arbeit von Bedeutung sind, lauten zum einen, dass über die Hälfte der Befragten „… Theorie und Praxis nicht gut aufeinander abgestimmt erleben (ebd., S. 13). Praxisbegleitung, das als „Bindeglied zwischen theoretischer und praktischer Ausbildung dient und Praxisanleitung sinnvoll ergänzt, sollte gestärkt werden (ebd., S. 13).
12,1 % der Befragten geben an, ihre Lehrkräfte in der Einrichtung nie zu Gesicht bekommen zu haben (ebd., S. 42). Nur ein gutes Viertel aller Auszubildenden (26,1 %) sagen, dass die Lehrkräfte einmal pro Einsatz vor Ort sind.
2.
Schramm befragte 2011 online Schüler der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zum „Erleben" von Praxisbegleitung. An der Befragung nahmen 963 Personen aus 16 Bundesländern teil. Für diese Erhebung sind folgende Ergebnisse von Bedeutung (Schramm 2015, S. 178): 30 % der Schüler werden nur ein oder zwei Mal pro Ausbildungsjahr begleitet. Knapp 9 % erfahren keine Praxisbegleitung. Die Dauer der Praxisbegleitung beträgt bei ca. 55 % der Befragten bis zu 2 Stunden, bei etwas über 30 % bis zu 4 Stunden und bei etwa 5 % bis zu 6 Stunden. 50 % der Befragten äußern sich dahingehend, dass die Praxisbegleitung ähnlich wie die Praxisanleitung durchgeführt wird. Bei 45 % der Befragten handelt sich dabei um ein Einzel-Reflexionsgespräch ohne die PA, bei knapp 20 % wurde ein Gruppen-Reflexionsgespräch geführt. Etwa 35 % der Befragten geben zudem an, dass die Erarbeitung von Lernaufgaben im Mittelpunkt der Gespräche stand. Bei mehr als 60 % wurde die PA nie oder nur manchmal in die Begleitung eingebunden.
3.
Ergebnisse der Studie von Schwab und Fritz (2017): 59,9 % der Befragten erleben die Praxisbegleitung durch Lehrende der Schule als unterstützend. Lediglich 41 % sind mit der Häufigkeit der PB durch die Lehrenden im Praxiseinsatz oft oder immer zufrieden. 76,7 % der Befragten geben nach Schwab und Fritz an, dass sie sich „oft oder „immer
eine praktische Anleitung in Form eines klinischen Unterrichts durch die Lehrkraft wünschen würden. Auf die Frage, was sich Auszubildende und Studierende bezogen auf die Praxisbegleitung wünschen würden, geben 75,4 % der Befragten an, dass sie sich mehr Praxisbegleitung durch die Lehrenden wünschen würden. In ihrem Fazit schreiben die beiden Autoren (ebd., S. 360) u. a., dass die Einrichtung einer Schülerstation das Problem der Anleitung nur dann lösen kann, wenn z. B. die Berufsfachschulen beteiligt werden, „… um den didaktischen und pädagogischen Aspekten einer solchen Methode gerecht zu werden."
1.3 Vorgehensweise und Ergebnisse der Ist-Analyse
Als die Idee des Buches entstand, tauchten Fragen auf wie:
Wie erleben die Lehrer Praxisbegleitung?
Welche Konzepte gibt es dazu in Schulen?
Was erleben Lehrer für Schwierigkeiten bei der Praxisbegleitung?
Unsere ersten Recherchearbeiten ergaben wenig Datenmaterial zu den Themen, unsere Neugierde war geweckt.
Wir kamen zu dem Schluss, eine Erhebung an Berufsfachschulen zu folgender Schwerpunktfrage durchzuführen:
Wie findet Praxisbegleitung durch Lehrende von Schulen der Gesundheits- und Krankenpflege sowie von Altenpflegeschulen in Bayern statt?
Da Praxisbegleitung durch die Schulen nicht nur für Auszubildende stattfindet, sondern auch für Pflege Dual Studierende, interessierte uns, inwieweit hier mit unterschiedlichen Konzepten gearbeitet wird.
Durchführung der Datenerhebung
Nach einem Zufallsprinzip wurden 40 Schulleitungen in Bayern per Mail angefragt, ob sie an einer Befragung zum Thema Praxisbegleitung teilnehmen möchten. Sie erhielten einen Fragebogen mit einem frankierten Rückumschlag, um die Anonymität der Befragung zu gewährleisten. Ebenso erhielten sie mit gleicher Post ein Schreiben mit der Anfrage, ob sie bereit wären, an einem Telefoninterview teilzunehmen. Bei Zustimmung wurde versucht, zeitnah einen Termin festzulegen.
Es wurden 13 Fragebögen von SL der Altenpflegeschulen (AP) und 19 Fragebögen von SL der Gesundheits- und Krankenpflegeschulen (GuKP) zurückgeschickt. Der Rücklauf lag damit bei 80 %.
31 Telefontermine wurden vereinbart, 24 Interviews konnten geführt werden. 10 Interviews in der AP und 14 in der GuKP mit der Schulleitung (SL) oder der stellv. SL. Bei jeweils einem weiteren Befragten aus den beiden Gruppen handelte es sich um eine Lehrkraft. Da sich bei der Interviewerin „ein Gefühl der Sättigung" einstellte, kam es nicht zu einer Nachfassaktion.
1.3.1 Messinstrumente
Bei der Erstellung des Fragebogens haben wir uns u. a. an den rechtlichen Vorgaben des Deutschen Bildungsrates für Pflegeberufe, den Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen für die Berufe in der Krankenpflege orientiert. Wir verzichten hier auf eine inhaltliche Ausführung dieser Quellen, da dies in dem Beitrag von Lüftl in diesem Band vorgenommen wird (Der Fragebogen kann bei den Autoren nachgefragt werden).
Schwerpunkt der Telefoninterviews war die Frage nach einem Schulkonzept zur Praxisbegleitung sowie nach spezifischen Kompetenzen, die Lehrer für eine Praxisbegleitung mitbringen sollten. Die Antworten wurden während des Telefonats mitgeschrieben.
1.3.2 Auswertung
Die Auswertung des Fragebogens fand nach Häufigkeiten sowie einer Gegenüberstellung der Schularten statt. Die Auswertung der Interviews wurde in Anlehnung an Mayring (2002) vorgenommen.
Die Interviews dauerten im Durchschnitt 20 Minuten. Es gab hier eine große Variationsbreite in der Dauer der Interviews. Manche SL waren sehr kurz angebunden, weil im Gespräch möglicherweise deutlich wurde, dass die Schule hier noch ein Arbeitspaket vor sich hat. Bei manchen Interviewteilnehmern wurde aber auch deutlich, dass ihnen das Thema „unter den Nägeln brennt" und sie gerne in einen Austausch kommen wollten. So dauerte ein Gespräch dann auch schon einmal über eine Stunde.
Im Folgenden werden Auszüge der quantitativen Erhebung dargestellt. Im Anschluss folgt die Auswertung der Telefoninterviews, bevor dann aus den Ergebnissen Handlungsmöglichkeiten zur Diskussion gestellt werden.
1.3.3 Ausgewählte Ergebnisse der Fragebogenerhebung
Angaben zur Beschreibung der Stichprobe: In den Altenpflegeschulen (AP) waren 84 % der Befragten aus der Schulleitung. 62 % dieser Befragten waren über 10 Jahre als Lehrer tätig, 23 % über 5 Jahre und 15 % unter 5 Jahre. In den Gesundheits- und Krankenpflegeschulen (GuKP) waren 95 % der Befragten aus der Schulleitung. Davon waren 84 % der Befragten bereits seit über 10 Jahren als Lehrkraft tätig, 11 % über 5 Jahre und 5 % unter 5 Jahren (◘ Tab. 1.1).
Tab. 1.1
Jahre der Berufstätigkeit der Befragten aus der Gesundheits- und Krankenpflegeschule (GuKP) bzw. der Altenpflegeschule (AP)
Angaben zur Praxisbegleitung
Auf die Frage, wie oft Lernende während eines Praxiseinsatzes von der praxisbegleitenden Lehrperson der AP Schule in der Praxis besucht werden, gaben 6 der Befragten an über 2-mal (46 %), 1 Person 2-mal (8 %) und 6 Personen 1-mal (46 %).
Die Ergebnisse der Befragten aus der GuKP: Hier gaben 3 Personen (16 %) an, dass sie die Lernenden mehr als 2-mal besuchen, 6 gaben an 2-mal (32 %) und 10 Befragte (53 %) gaben an, dass die Lernenden 1-mal pro Einsatz besucht werden (◘ Tab. 1.2).
Tab. 1.2
Anzahl der Besuche der praxisbegleitenden Lehrperson während eines Einsatzes je nach Schulform
Der Praxisbesuch dauerte bei allen Befragten der AP über 60 Minuten. Dies antworteten auch 16 Personen (84 %) der Gesundheits- und Krankenpflegeschulen, circa 60 Minuten gaben 3 Personen (16 %) an (◘ Tab. 1.3).
Tab. 1.3
Dauer des Praxisbesuchs je nach Schulform
Den Schwerpunkt der Praxisbegleitung (◘ Abb. 1.1) sahen die Praxisbegleiter (PB) der Altenpflegeschulen (AP) wie folgt (zur Wahrung der Übersicht werden immer nur die häufigsten Ergebnisse aufgeführt):
../images/437676_1_De_1_Chapter/437676_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1.1
a, b Was ist der Schwerpunkt der Praxisbegleitung (PB)? a Teil I (AP), b Teil II (AP)
12-mal (92 %) wurde als Schwerpunkt der PB die Pflegequalität genannt. Jeweils 9 Nennungen (69 %) bekamen die Items: Wissenszuwachs, Evaluation des eigenen Handelns und der Informationsaustausch zwischen den Lernorten.
Den Schwerpunkt der Praxisbegleitung sahen die PB in der Gesundheits- und Krankenpflegeschule wie folgt (◘ Abb. 1.2):
../images/437676_1_De_1_Chapter/437676_1_De_1_Fig2_HTML.pngAbb. 1.2
a, b Was ist der Schwerpunkt der Praxisbegleitung (PB)? a Teil I (GuKP), b Teil II (GuKP)
Ebenfalls am häufigsten wurde mit 18-mal (95