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Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen VII: Impulse für die Pharmaindustrie
Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen VII: Impulse für die Pharmaindustrie
Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen VII: Impulse für die Pharmaindustrie
eBook660 Seiten6 Stunden

Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen VII: Impulse für die Pharmaindustrie

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Über dieses E-Book

Die Pharmaindustrie erfährt durch die digitale Transformation gegenwärtig einen großen Entwicklungsschub. Verkäufer von Arzneimitteln bieten ihre Produkte und Dienstleistungen verstärkt im Internet und über andere Kommunikationskanäle an. Patienten erhalten benötigte Informationen in kurzer Zeit und können Angebote und Preise vergleichen und für sich die jeweils passende Leistung auswählen. Durch die Digitalisierung ergeben sich darüber hinaus Chancen für neue Therapieansätze, für die Therapieauswahl und für stärker personalisierte Medizin. Künstliche Intelligenz wird künftig die Prozesse der Arzneientwicklung verändern und einen Einfluss auf das Datenmanagement bewirken. Für Unternehmen wird die strategische und digitale Ausrichtung zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor. Das Buch gibt einen Überblick über aktuelle Trends, Entwicklungen und die Märkte der Zukunft in der Pharmabranche sowie in ihren angrenzenden Bereichen.
SpracheDeutsch
HerausgeberSpringer Gabler
Erscheinungsdatum3. Feb. 2020
ISBN9783658266707
Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen VII: Impulse für die Pharmaindustrie

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    Buchvorschau

    Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen VII - Mario A. Pfannstiel

    © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    M. A. Pfannstiel et al. (Hrsg.)Digitale Transformation von Dienstleistungen im Gesundheitswesen VIIhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-26670-7_1

    1. Das digitale patientenzentrierte Pharmaunternehmen

    Werner Bleilevens¹   und Julia Schenk¹  

    (1)

    UCB Pharma GmbH, Monheim, Deutschland

    Werner Bleilevens (Korrespondenzautor)

    Email: werner.bleilevens@ucb.com

    Julia Schenk

    Email: julia.schenk@ucb.com

    1.1 Einleitung

    1.2 Patientenzentrierung

    1.3 Digitalisierung zum Wohle des Patienten

    1.4 Digitalisierung in der klinischen Forschung

    1.5 Herausforderungen der Digitalisierung in der Pharmaindustrie

    1.6 Schlussbetrachtung

    Literatur

    Zusammenfassung

    Digitalisierung ist einerseits ein Modewort unserer Zeit, andererseits die am schnellsten voranschreitende spürbare gesellschaftliche Veränderung in unserem täglichen Leben. Wie können pharmazeutische Hersteller diesen Megatrend nutzen? Müssen sie ihn nutzen um ihrer selbst willen? Welcher Nutzen entsteht für die Patienten? Ist das klassische Geschäftsmodell der Pharmabranche hinfällig? Welche Möglichkeiten hat ein Pharmaunternehmen überhaupt, die Digitalisierung gewinnbringend, sinnstiftend und patientenzentriert einzusetzen? Nicht zu vergessen: Welche Rolle spielt bei all diesen Fragen die Unternehmenskultur? Der Beitrag erläutert anhand vieler Beispiele, dass sich eine traditionelle Branche in einem Paradigmenwechsel befindet, bei dem der Patient als „Gewinner" hervorgehen wird. Gleichzeitig beschreibt er die Risiken der Digitalisierung sowie die Notwendigkeit einer kulturellen Identität in einer äußerst schnelllebigen Zeit.

    Werner Bleilevens

    ist seit November 2015 Leiter der Unternehmenskommunikation in Zentraleuropa und fungiert zudem als Pressesprecher für die UCB Pharma GmbH. Darüber hinaus vertritt er die Interessen des Unternehmens in den Verbänden vfa (Verband forschender Arzneimittelhersteller) und BAH (Bundesverband der Arzneimittelhersteller).

    Julia Schenk

    ist seit Januar 2016 bei der UCB Pharma GmbH und derzeit als Manager Communications und Ausbildungsleiterin tätig. Frau Schenk hat nach einem Bachelorstudium in Betriebswirtschaftslehre an der Universität Göttingen einen Masterstudiengang im Bereich Communication Management and Leadership an der University of Southern Denmark in Odense, Dänemark absolviert.

    1.1 Einleitung

    Das Umfeld im Gesundheitswesen ändert sich vom versorgergetriebenen Markt hin zu einem patientenzentrierten Gesundheitsökosystem. Grund dafür ist u. a. die alternde Bevölkerung mit zunehmenden chronischen Erkrankungen, die Druck auf die finanzielle Tragfähigkeit und die Kapazität des Gesundheitssystems ausübt. Politiker und Entscheidungsträger setzen auf Kostenkontrolle und verlangen dafür Nachweise für Nutzen und Wirksamkeit. Neue Technologien, Genomics, mobile Endgeräte, Big Data und künstliche Intelligenz sorgen dafür, dass wir eine große Menge an Daten und Einblicke generieren, die zu besseren und schnelleren Diagnosen und sachkundigeren Behandlungsentscheidungen führen. Ein zusätzlicher Faktor ist die Weiterentwicklung des Gesundheitsökosystems, bei dem Grenzen verschwinden und sich neue Partnerschaften und Kollaborationen entwickeln. Vor allem aber der informierte, vernetzte Patient mit hohen Erwartungen an personalisierte Dienstleistungen und seine Rolle als aktiver Entscheider bezüglich der eigenen Gesundheit treibt diese Entwicklung voran (Deloitte 2017a).

    Der Aufstieg des selbstbestimmten Patienten ist einer der anhaltenden Trends der letzten Jahre im Gesundheitswesen. Die Patienten sind mündiger, sachkundiger und selbstbewusster als je zuvor, da die technische und wissenschaftliche Weiterentwicklung der letzten Jahre einen permanenten und ortsunabhängigen Zugang zu Informationen ermöglicht hat. Weiterhin beinhaltet das auch den Informationsaustausch mit Gleichgesinnten, beispielsweise über Social Media oder Foren (Du Plessis et al. 2017). So entwickelt sich eine gemeinsame Patientenstimme, die Leistungen von Pharmaunternehmen erwartet, die über die alleinige Bereitstellung von Medikamenten hinausgeht.

    Die Patienten werden nicht nur mündiger und informierter, sie werden in Zukunft auch gemeinsam mit Ärzten und anderen Beratern über ihre eigenen Behandlungspläne entscheiden. Umso wichtiger ist es für die Pharmaindustrie, die Entscheidungsgewalt der Patienten anzuerkennen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Patienten werden zunehmend als wichtige Stakeholder im Gesundheitswesen anerkannt und in zahlreiche wichtige Prozesse einbezogen (Perfetto et al. 2015).

    Diese Entwicklung sowie der Patentverfall, weiterhin ansteigende regulatorische Anforderung und wachsende Kosten stellen die Industrie vor große Herausforderungen. Eine Grundvoraussetzung, um trotz und aufgrund dieser Veränderungen profitabel zu bleiben, ist die Digitalisierung, denn diese bietet offenkundig viele Chancen.

    Digitale Gesundheitslösungen können allen Akteuren entscheidende Vorteile bringen. Sie können Patienten helfen, die eigene Gesundheit selbst zu kontrollieren und Unterstützung in der Zeit zwischen den Arztbesuchen zu erhalten. Ärzte und Wissenschaftler profitieren von zuverlässigen Informationen durch digitale Daten oder können durch kontinuierliche Analysen dieser in Akutsituationen schneller reagieren.

    Der Megatrend Digitalisierung fördert den Markteintritt von Technologiekonzernen und wird das Geschäftsmodell der Pharma- und Gesundheitsbranche nachhaltig verändern. Um den Herausforderungen dieser neuen Trends gerecht zu werden und wettbewerbsfähig zu bleiben, muss die Pharmaindustrie das eigene Geschäftsmodell überdenken. Die Digitalisierung bietet Pharmaunternehmen neue Möglichkeiten, mit den Patienten in Kontakt zu treten. Oftmals beschränkt sich die Patientenwahrnehmung der Pharmaunternehmen auf ein aufgedrucktes Logo auf der Medikamentenverpackung. Durch einen gezielten Einsatz von digitalen Innovationen kann das Ziel der Patientenorientierung vorangetrieben werden (Dillmann und Kahl 2017).

    Bei vielen Pharmaunternehmen ist Patientenzentrierung schon im Unternehmensleitbild und den Werten verankert. Dies sollte idealerweise in einer Unternehmenskultur münden, die von der Forschung über die Entwicklung bis hin zur Kommerzialisierung gelebt wird und sinnstiftend ist. Dennoch ist Patientenzentrierung oft nur vage definiert und erschwert es dadurch, Ziele zu erreichen (Walrath 2017).

    Vor diesem Hintergrund stellt sich für die Entscheider in der Pharmaindustrie die Frage, wie sie digitale Innovationen nutzen können, um das eigene Unternehmen patientenzentriert zu gestalten.

    Im folgenden Abschnitt geht dieser Beitrag darauf ein, worum es sich bei dem Begriff Patientenzentrierung handelt und wie er sich im Laufe der Zeit in der Pharmaindustrie entwickelt hat. Anschließend stellen wir digitale Lösungen für den Patienten wie Apps und Wearables, Patientenportale und Patientenunterstützungsprogramme vor. Gesondert wird die Digitalisierung bei klinischen Studien, also der Ansatz ganz zu Beginn der Entwicklung eines Medikaments, betrachtet. Abschn. 1.5 befasst sich mit den Risiken der Digitalisierung im Pharmabereich. Abschließende Betrachtungen und ein Ausblick auf mögliche zukünftige Trends finden sich im Abschn. 1.6.

    1.2 Patientenzentrierung

    Traditionelle Entscheidungswege in der pharmazeutischen Industrie sind tendenziell zentriert auf den Arzt – er oder sie ist der Kunde und die Unternehmen verbreiten ihre Therapien durch Kanäle, deren Zielgruppen Ärzte sind, wie bspw. Anzeigen in medizinischen Fachzeitschriften (Amaldoss und He 2009). Das klassische Businessmodell sieht demnach auch Ärzte als Key Opinion Leader sowie die Segmentierung von Ärztepopulationen und Marketingmaterialien für den Arzt als Grundlage für Entscheidungen (Stremersch und Van Dyck 2009).

    Neue Medikamente werden entwickelt, um das Leben von Patienten zu verbessern. Bis vor kurzer Zeit spielte die Einbindung von Patienten in die biopharmazeutische Entwicklung allerdings eine untergeordnete oder gar keine Rolle, abgesehen von der direkten Teilnahme an klinischen Studien und Informationen über neue Produkte. Unter anderem ist dies der Komplexität und den hoch regulatorischen Prozessen von Innovationen in diesem Bereich geschuldet. Der Fokus lag entsprechend auf der Sicherstellung der Patientensicherheit, der Messung von klinischen Ergebnissen und der Entwicklung von Vertraulichkeitserklärungen für Patienten. Das führte dazu, dass der Prozess vor allem regulatorisch fokussiert war und sich an den Gesundheitsdienstleistern, der Effizienz und Sicherheit der Produkte sowie der Einreichung der Daten orientierte. Die Beteiligung von Patienten wurde schon immer anerkannt, allerdings auf geradezu „paternalistische" (European Medicine Agency 2013) Art, in dem die Patienten lediglich instruiert, ihnen darüber hinaus aber keine Informationen aufgebürdet wurden. Daraus resultierte organisch eine Kultur, in der wissenschaftliche Forschung „an, „über oder „für Patienten durchgeführt wurde, nicht aber „mit Patienten (healthTalk 2017). Letztendlich gab es eine klare Differenzierung zwischen der biopharmazeutischen Industrie und dem Endverbraucher, dem Patienten (Yeoman et al. 2017).

    Im Laufe der Zeit haben sich allerdings weitere Stakeholder als immens wichtig für den Entscheidungsprozess in pharmazeutischen Unternehmen herausgestellt. Neben den Kostenträgern (Krankenversicherungen, Regierung) und regulatorischen Institutionen sind das vor allem die Patienten. Das verringert den Einfluss von Ärzten bei der Auswahl von Therapieoptionen und entsprechend auch die Möglichkeit von Firmen, über das direkte Arztmarketing diese Entscheidung zu beeinflussen. Entscheidungen für bestimmte Therapieoptionen sind mehr und mehr Produkt eines gemeinsamen Entscheidungsprozesses zwischen Patient und Arzt.

    Patientenzentrierung steht für ein tief gehendes Verständnis der Erfahrungen, die Patienten mit ihrer Erkrankung machen. Der Sinn ist, zu verstehen, was der Patient schätzt und benötigt, welche Einstellungen und Verhaltensweisen er an den Tag legt und wie die Gesundheitsergebnisse am ehesten positiv beeinflusst werden können (Lamberti und Awatin 2017).

    Mit Blick auf Patientenzentrierung drängen sich sofort Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Disease-Management auf. Doch wahrhaftige Patientenzentrierung fängt schon viel früher an. Sie beschreibt im Kern einen holistischen Ansatz des Disease-Managements. Der Patient und sein Wohlbefinden stehen im Zentrum aller Initiativen und Projekte und gilt als Ansprechpartner und Berater (Du Plessis et al. 2017). Dabei versteht jedes Unternehmen Patientenzentrierung unterschiedlich und setzt dementsprechend andere Maßnahmen um.

    1.3 Digitalisierung zum Wohle des Patienten

    Die Digitalisierung ist ein omnipräsenter Trend, der in nahezu jeder Branche eine große Rolle spielt. Obwohl die Pharmaindustrie sich bisher schnell an wissenschaftliche Innovationen anpasste, reagiert die Branche vergleichsweise langsam auf die technologische Revolution des 21. Jahrhunderts. In den letzten Jahren haben aber auch Pharmaunternehmen erkannt, dass sich die erstrebte patientenzentrierte Ausrichtung durch die Digitalisierung umsetzen lässt.

    Durch digitale Innovationen und Quantensprünge in der Informationstechnologie ergeben sich neue digitale Geschäftsmodelle und Plattformen, die zuvor nicht denkbar waren. Die Nutzung von mobilen Technologien für das Messen und Verbessern von Gesundheitsleistungen, genannt M-Health gewinnt zunehmend an Bedeutung (Nilsen et al. 2012).

    Durch die Digitalisierung können Pharmaunternehmen als Dienstleister unmittelbar Informationen über die Bedürfnisse der Patienten erhalten und deren Interessen mehr in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stellen. Das befähigt sie dazu, die Strategie der Patientenzentrierung wahrhaftig zu verfolgen (Dillmann und Kahl 2017). Die Digitalisierung wird allgemein als ein Schlüssel gesehen, den Herausforderungen, denen sich die Pharmaindustrie stellen muss, entgegenzutreten. Im Zusammenhang damit fallen häufig Begriffe wie E-Health und M-Health, die im Folgenden kurz definiert werden.

    Unter E-Health werden die Anwendungen zusammengefasst, die moderne Informations- und Kommunikationstechnologien für die Behandlung und Betreuung von Patienten bieten. Beispielsweise kann das die Kommunikation medizinischer Daten sein, die mit der elektronischen Gesundheitskarte verfügbar gemacht werden (Notfalldaten, Medikationsplan), die elektronische Patientenakte oder auch Anwendungen der Telemedizin (BGM 2018).

    M-Health ist Bestandteil von E-Health. Darunter versteht man medizinische Unterstützung in der Behandlung und Betreuung von Patienten, die von mobilen Geräten wie Smartphones, persönlichen digitalen Assistenten und weiteren kabellosen Geräten geleistet wird. Dazu gehört ebenfalls die Nutzung von Kurznachrichten-Services sowie komplexere Funktionalitäten wie GPS und Bluetooth-Technologie (WHO 2011).

    Neue digitale Technologien im Bereich Gesundheit haben ein großes Potenzial dazu, die Zusammenarbeit mit den Patienten zu stärken. Damit können integrierte, nachhaltige und patientenzentrierte Services entwickelt werden, mit denen sich alle Stakeholder im Gesundheitswesen austauschen können (Eysenbach 2001). Die zunehmende Digitalisierung hat eine beispiellose Menge an klinischen und kommerziellen Daten generiert. Durch einen klugen Umgang mit diesen Daten und mithilfe von moderner Analytik sowie künstlicher Intelligenz kann die Industrie aussagekräftige und handlungsfähige Einblicke gewinnen. Diese können dabei helfen, Patientenbedürfnisse zu identifizieren und entsprechend zukünftige Strategien festzulegen, um dem Patienten nachhaltig zu helfen.

    Patienten werden stetig vernetzter. Die prognostizierte Marktdurchdringung von Smartphones liegt im Jahr 2018 weltweit bei 66 %, in weit industrialisierten Ländern sogar deutlich höher (Zenith 2017). Diese Zahlen haben einen großen Einfluss darauf, wie Pharmaunternehmen zukünftig mit den Patienten in Kontakt treten. Mobile Applikationen (Apps) sind allgegenwärtig und bieten somit eine schon existierende Plattform für Patient Engagement und koordinierte Versorgung. Im Jahr 2017 waren schätzungsweise 325.000 M-Health-Apps auf dem Markt (Pohl 2017). Jeden Tag kommen ungefähr 200 neue Apps dazu (IQVIA Institute 2017). Pharmaunternehmen sind als Anbieter darunter, liegen aber deutlich hinter anderen Stakeholdern zurück: Nach Untersuchung von Deloitte (2017a) produzierten die Top-12-Pharmaunternehmen knapp unter 1000 Apps in 2016, mit lediglich 5,6 Mio. Downloads.

    Doch es gibt viele Gründe, die für die Nutzung von Smartphone-Apps als Kommunikations- und Interaktionskanal sprechen: Die Nutzung der Reichweite, den Aufbau neuer Beziehungen mit dem Gesundheitspersonal, Differenzierung der Marke bzw. des Produkts von der Konkurrenz, Unterstützung der Patienten, um den optimalen Behandlungserfolg zu erreichen, Verbesserung der Produktivität und des Profits, Verstehen, wie Patienten die Therapie nutzen und wie sie darauf ansprechen und nicht zuletzt das gezielte Anpassen von Marketingstrategien auf verschiedene Zielgruppen (Jahns 2014).

    Gesundheits-Apps können in zwei Hauptkategorien unterteilt werden: „Wellness Management und „Management des Gesundheitszustandes. Die erstgenannte Kategorie umfasst Apps, die Fitness, Lifestyle, Stress und Ernährung messen. Bei der zweiten Kategorie liefern die Apps Informationen zur Erkrankung, Zugang zur Behandlung und Behandlungsprotokolle wie beispielsweise Erinnerung an die Medikamenteneinnahme. Seit 2015 hat die Zahl der „Wellness-Apps deutlich abgenommen, gleichzeitig wurde eine Zunahme der Apps mit Fokus „Management des Gesundheitszustandes zugenommen (IQVIA Institute 2017).

    Ziel der Entwicklung zu einem patientenorientierten Unternehmen sollte eine stärkere Verbindung zwischen der Pharmaindustrie und dem Patienten sein. Dies ist einfach und effektiv durch die Nutzung von Smartphone-Apps zu erreichen, da die Patienten mittlerweile an den Gebrauch gewöhnt sind bzw. diesen sogar verlangen. Für Patienten bieten diese Apps eine leicht zu erreichende Möglichkeit, sich über die Krankheit zu informieren und die Behandlung über den ärztlichen verschriebenen Therapieplan hinaus zu optimieren. Mithilfe von digitalen Services kann dies auch zwischen zwei Arztbesuchen geschehen.

    Für Pharmaunternehmen bedeuten Apps eine wichtige Chance, um patientenzentriert zu arbeiten. Allerdings reicht es nicht, Informationen einfach nur in „App-Form zu verpacken und als digitale Patientenzentrierung zu verkaufen. Das wäre nichts anderes als die Nutzung eines weiteren Kommunikationskanals. Zum einen braucht es einen wirklichen individuellen Mehrwert für den Patienten und zum anderen die Einbindung von Patienten schon bei der Entwicklung der Services. Bei der Tagebuch-App „RLS Monitor der UCB Pharma GmbH beispielsweise wurden Patienten in Workshops gezielt nach ihren Ideen und Meinungen gefragt, um sicherzustellen, dass der Service aus Sicht der Patienten einen Nutzen bringt. Auch bei Updates und Weiterentwicklungen sind Patienten involviert. In der App können Patienten ein Tagebuch zur Krankheit führen und erhalten eine Übersicht ihrer Symptomatik im Kurz- und Langzeitverlauf sowie über einzunehmende Medikamente. Über die Erinnerungsfunktion können sie an die Medikamenteneinnahme und an Arzttermine erinnert werden (UCB 2018a).

    Tragbare technologische Geräte, sogenannte Wearables, können ebenso wie Apps bzw. oftmals in Verbindung mit ihnen zu einem verstärkten Engagement mit Patienten beitragen. Sie werden am Körper getragen oder implantiert und können beispielsweise Änderungen der Vitalzeichen frühzeitig erkennen. Dazu gehören unter anderem Smartwatches, Smart Clothing, Sensing Tattoos, Brillen sowie medizinische Pflaster. Mit ihnen lassen sich Echtzeitdaten sammeln und kontinuierlich überwachen. So kann die Sicherheit der Behandlung gewährleistet werden und die Patienten nutzen die Tools als Motivation. Wenn sie regelmäßig genutzt werden, können Pharmaunternehmen aus den gesammelten Daten Trends ableiten und ihre Bemühungen entsprechend anpassen. Momentan wird der Markt vorrangig von Smartwatches und Fitness-Armbändern beherrscht, dazu kommen in den nächsten Jahren vor allem Brillen und weitere Geräte (Deloitte 2017a).

    Das Pharmaunternehmen Abbott hat einen daumengroßen Monitor für Herzpatienten entwickelt, der unter die Haut implantiert wird und via Bluetooth und mobiler App den Herzrhythmus an den Arzt übermittelt. Dadurch kann der Arzt aus der Entfernung einfach diagnostizieren, ob es sich womöglich um eine ernst zu nehmende Unregelmäßigkeit im Herzschlag handelt. Dies kann geschehen, ohne dass der Patient zur Untersuchung vor Ort erscheinen und ohne, dass er ein zusätzliches und umständliches Erfassungsgerät nutzen muss. Nach der Implantation – ein ambulanter minimalinvasiver Eingriff – verbinden die Patienten den Monitor über die myMerlin™-App mit ihrem Smartphone. Der Monitor überwacht den Herzrhythmus kontinuierlich und kann so Unregelmäßigkeiten feststellen. Die gesammelten Daten werden über eine sichere Verbindung via App an den behandelnden Arzt übermittelt (Abbott 2017).

    Ein weiterer Trend bei mobilen Apps ist Gamification. Dies ist die Übertragung von spieltypischen Elementen und Vorgängen in spielfremde Zusammenhänge mit dem Ziel der Verhaltensänderung und Motivationssteigerung bei Anwendern (Hamari et al. 2014).

    Pfizer hat mit Hemocraft™, einer Abwandlung des beliebten Videospiels Minecraft® und HemMobile® Striiv®Wearable, einem personalisierten Armband, eine Anwendung geschaffen, die Patienten mit Hämophilie in den USA dabei helfen soll, besser über die Krankheit aufgeklärt zu werden und ihre Aktivitäten, die im Zusammenhang mit der Krankheit stehen, zu messen. Das soll die Patienten dazu befähigen, konstruktive Gespräche mit ihren Ärzten führen zu können. Hemocraft™ ist für junge Patienten von 8–16 Jahren konzipiert. Sie lernen auf spielerische Weise, wie sie die Behandlung in den Alltag integrieren. Das Spiel wurde in Partnerschaft mit dem Entrepreneurial Game Studio der Drexel University und Vertretern der Hämophilie-Community entwickelt. Das personalisierte Armband lässt den Anwender seine Aktivität sowie die Herzfrequenz messen. Durch die Verbindung mit der HemMobile® App kann der User beispielsweise Blutungen und Infusionen aufschreiben und Erinnerungen an Arzttermine einstellen (Pfizer 2017).

    Eine weitere Möglichkeit, sich über Erkrankungen und Behandlungsmöglichkeiten auszutauschen, sind Patientenportale. Die Generierung und auch Bereitstellung von Informationen war lange Zeit den Pharmaunternehmen vorbehalten. Durch das Zeitalter der Digitalisierung haben Patienten andere Möglichkeiten, mit Gemeinschaften in Kontakt zu treten. Diese Portale haben den Vorteil, dass sie 24 Stunden und von überall erreichbar sind und der Patient mit einer Internetverbindung jederzeit auf persönliche Gesundheitsdaten zugreifen kann. In den USA müssen die Leistungserbringer seit 2015 mit Patienten über diese Portale in Kontakt treten, in Deutschland ist ein Start für 2019 geplant (Gehring et al. 2018). Von Pharmaunternehmen bereitgestellte Patientenportale könnten Patienten, Providern und Kostenträgern dabei helfen, die Vorteile von speziellen Therapien zu verstehen und das Image des Unternehmens zu stärken.

    Dass Patienten ärztliche Ratschläge nicht befolgen, ist seit Jahrhunderten bekannt. Beispielsweise nehmen ca. 50 % der Patienten ihre antihypertensiven Medikamente nach einem Jahr überhaupt nicht mehr ein, die Adhärenz für Langzeittherapien liegt bei 50 % (Mitka 2007). Dafür gibt es laut Weltgesundheitsorganisation verschiedene Einflussfaktoren, wie beispielsweise sozioökonomische Faktoren, patientenabhängige Faktoren, krankheitsbedingte Faktoren, therapiebedingte Faktoren sowie gesundheitssystem- und therapeutenabhängige Faktoren (WHO 2003).

    Nichtadhärenz führt zu suboptimalen Behandlungsergebnissen und enormen Kosten für die Wirtschaft. Daher versuchen Pharmaunternehmen mit Patientenunterstützungsprogrammen aufzufangen, was die Arzt-Patientenbeziehung nicht leisten kann. Bei einem durchschnittlichen Arztgespräch bleibt dem Arzt nach Untersuchung, Diagnose und Verschreiben der Therapie wenig Zeit, um dem Patienten die Einnahme bzw. Applikation des Medikaments genauer zu erklären. An dieser Stelle setzen Patientenunterstützungsprogramme (Patient Support Program, abgekürzt PSP) an. Es gibt hier verschiedene Modelle, die den Patienten in seiner Therapie unterstützen können. Diese können auch von digitalen Innovationen profitieren.

    Selbstmanagementprogramme sind so entwickelt, dass Patientenaufklärung den Kern der Initiative bildet. Dadurch soll den Patienten geholfen werden, ihre eigene Erkrankung zu managen, komplexe Medikationspläne einzuhalten, die Adhärenz zu erhöhen und damit zusammenhängende Komplikationen und Kosten zu minimieren (Kessler und Liddy 2017). „Jojnts", eine digitale Plattform für Patienten mit klinischer Osteoarthritis, biete mehrere Videos mit Informationen zum Krankheitsbild und dem damit verbundenen Selbstmanagement sowie neuromuskuläre Übungen, die die Funktion der unteren Extremitäten verbessern können. Für die Übungen gibt es verschiedene Schwierigkeitsgrade. Nach jedem Modul absolviert der Patient ein Quiz, um zu bestätigen, dass die relevanten Informationen verstanden wurden. Die Übungen und Informationsmodule werden täglich über einen Zeitraum von sechs Wochen an den Patienten übermittelt und nach einem Algorithmus zusammengestellt, der sich nach dem Fortschritt und etwaigen Problemen, die beim Patienten auftreten, zusammensetzt (Dahlberg et al. 2017).

    UCB’s Programm coach@home, das für Patienten mit rheumatoider Arthritis entwickelt wurde, ist ein Patient-Support-Programm, bei dem die Patienten telefonisch durch Coaches kontaktiert werden, um Fragen rund um die Anwendung des Medikamentes zu besprechen und die Therapietreue zu erhöhen. Innerhalb von 52 Wochen werden die Patienten achtmal telefonisch kontaktiert und haben darüber hinaus die Möglichkeit, ihre Coaches unter der Woche telefonisch zu erreichen. Nach den Telefonanrufen erhalten die Patienten per Post oder per E-Mail Informationsmaterial. Zusätzlich erhalten Patienten im Programm Zugang zur coach@home-Website mit umfassendem Angebot zu Informationen rund um die Erkrankung und die Behandlung, beispielsweise Videos zur richtigen Applikation (UCB 2018b).

    Ein weiteres Beispiel ist AstraZeneca’s Day-by-Day, ein Service für Patienten, die sich von einem Herzinfarkt erholen, ebenfalls eine Kombination von digitalen Inhalten und persönlichem Coaching. In Zusammenarbeit mit der Duke University und Herzinfarktpatienten und Betreuern wurde eine App entwickelt, in der die Patienten Zugang zu Informationen in Form von Artikeln, Aktivitäten und Patientenvideos haben. Weiterhin können sie mit einem persönlichen Coach über die App oder per Telefon kommunizieren (Lorenzetti 2015).

    1.4 Digitalisierung in der klinischen Forschung

    Die Forschung und Entwicklung in der biopharmazeutischen Industrie ist für zahlreiche medizinische Innovationen verantwortlich, hat zuvor tödliche Krankheiten in behandelbare chronische Krankheiten umgewandelt und das Krankheitsmanagement in den letzten Jahren verändert. Das vorherrschende risikohohe und kostenintensive F & E-Modell ist allerdings nicht nachhaltig. Wenn es um die Nutzung von digitalen Technologien geht, liegt die klinische Forschung noch weit hinter ihren Möglichkeiten zurück.

    Die Digitalisierung hat das Potenzial, zu verändern, wie Forschungsorganisationen mit Patienten kollaborieren können, um ihre Versorgung zu verbessern und Prozesse effizienter zu gestalten. Das ist besonders wichtig, wenn man bedenkt, dass die Stimme der Patienten stetig an Einfluss gewinnt und Studienteilnehmer dementsprechend patientenfreundlichere klinische Studien verlangen werden. Auch wenn die digitale Transformation ein komplexes, ressourcenintensives und langwieriges Unterfangen ist, sind die Ergebnisse vielversprechend (Anderson et al. 2018).

    Unternehmen können viel mehr Einblicke von klinischen Studien erhalten, wenn sie Patienten als Partner anstatt als „Testpersonen" im Studienverlauf ansehen. Dazu müssen Einblicke von Patienten in den Ablauf der Studie integriert werden. Das kann bspw. erreicht werden durch die Vertretung von Patienten in Advisory Boards, Studienpiloten, Umfragen, Fokusgruppen und Crowdsourcing-Technologien. Zusätzlich wird auch das Feedback der Teilnehmer zur Studie analysiert und daraus weitere Schritte abgeleitet. Hier kann die Digitalisierung der Einbindung der Patienten zu besseren Einblicken führen, da sie weniger an räumlichen und zeitlichen Limitationen gebunden sind. Das gilt bspw. für digitale Advisory Boards und virtuelle Umfragen.

    Ein Weg die klinische Forschung patientenzentrierter zu gestalten und Patienten als Partner im Forschungsprozess anzusehen, ist die Nutzung von Mobile Services, mithilfe derer Clinical Trial Assessments beim Patienten zuhause oder an weiteren Orten außerhalb des Forschungszentrums durchgeführt werden können (beispielsweise Schule, Arbeitsplätze, Urlaubsort) (Stergiopoulos et al. 2016).

    UCB ist dazu eine Kollaboration mit Science 37 eingegangen, einem amerikanischen klinischen Forschungsunternehmen. Anstatt die Studien im Krankenhaus durchzuführen, was möglicherweise nicht bequem zu erreichen ist, wohin die Patienten aber für die Behandlung und Analyse eingeladen werden, verfolgt Science 37 den Ansatz, die klinische Forschung dezentral durchzuführen und die Studien zu den Patienten zu bringen. Durch eine Kombination von telemedizinischer Technologie arbeitet ein Netzwerk von Klinikern und Wissenschaftlern mit Patienten direkt von Zuhause. Durch diese Online-Verbindung soll die Retentionsrate hoch sein, die Diversität der Studien erhöht und das Recruiting signifikant beschleunigt werden. Die Patienten teilen Studiendaten durch die sichere cloudbasierte mobile Forschungsplattform NORA (Network Oriented Research Assistant). Das System entspricht den höchsten branchenüblichen Qualitäts- und Regulierungsstandards. Weiterhin können die Wissenschaftler durch dieses Modell zu jedem Zeitpunkt der Studienteilnahme direkt mit den Patienten kommunizieren. Dieser Ansatz ist bereits in einigen klinischen Studien zum Einsatz gekommen, beispielsweise in der Dermatologie und bei seltenen Erkrankungen und wird bei UCB in den Bereichen der Neurologie und Immunologie verwendet werden (UCB S.A. 2018).

    Diese Sichtweise beeinflusst auch die Rekrutierung der Studienteilnehmer. Die Anreise zu Forschungszentren oder Kliniken, manchmal mehrmals im Monat, ist eine große Bürde für Studienteilnehmer. In den USA beispielsweise leben 70 % der potenziellen Teilnehmer mehr als zwei Stunden vom nächsten Studienzentrum entfern. Das beeinflusst die Bereitschaft und Möglichkeit, an Studien teilzunehmen. Bei den virtuellen Studien in Zusammenarbeit mit Sanofi und Science 37 konnten Patienten für Studien zu seltenen Krankheiten 20- bis 30-mal schneller rekrutiert werden als mit traditionellen Recruiting-Methoden (Adams 2017).

    Klinische Studien erfordern ein hohes Maß an Engagement und Verpflichtung von Teilnehmern. Gründe für ein Ausscheiden sind beispielsweise, dass Termine vergessen werden, finanzielle Restriktionen, Angst und falsche Erwartungen. Eine einfache und verbesserte Kommunikation zwischen Studienteilnehmer und Forscher kann die Retentionsrate deutlich verringern. Digitale Technologie bieten umfassende Möglichkeiten für die Betreuung von Patienten über den gesamten Verlauf der Studien. Über Smartphone Apps und Text Messages können die Patienten an die Medikamenteneinnahme erinnert werden. Weiterhin werden so Gesundheitsdaten erfasst, Fragen von Studienteilnehmern können in Echtzeit beantwortet und notwendige Besuche im Studienzentrum ausgemacht werden (Anderson et al. 2018).

    Ein weiterer Ansatzpunkt für digitale Innovationen sind Einwilligungserklärungen von Teilnehmern klinischer Studien, die wesentlich für die ethisch korrekte Durchführung sind. Offenlegung, Freiwilligkeit und Entscheidungsbefugnis sind der Kern des Prozesses der Einwilligungserklärung. Obgleich des herrschenden Konsenses über die Wichtigkeit, stellt die umfassende Information der Studienteilnehmer Sponsoren und Wissenschaftler vor eine große Herausforderung. In vielen Studien wird das Verständnis von zentralen Elementen, wie bspw. das Ziel der Behandlung bzw. der Studie, die Freiwilligkeit der Teilnahme, die Möglichkeit des Wiederrufs sowie die Vorteile und Risiken der Teilnahme bei nur der Hälfte der Studien als angemessen eingestuft. Als Gründe für den geringen Level an Verständnis werden unter anderem geringe Bildung, Probleme mit der Sprache und psychische Erkrankungen genannt. Jedoch ist über verschiedene demografische Gruppen mangelndes Verständnis der Informationen zu beobachten (TransCelerate 2017).

    Mobile Plattformen versprechen eine Verbesserung der Einwilligungserklärungen, da sie durch visuelle, auditive und taktile Informationspräsentation eine große Anzahl von Interaktionsmöglichkeiten bereitstellen. Dadurch ist es auch möglich, einen messbaren und personalisierbaren Ansatz zu Einwilligungserklärungen umzusetzen. Durch innovative Technologien können Echtzeitinformationen zur Verfügung gestellt werden. Weiterhin kann der zukünftige Studienteilnehmer selbstbestimmt lernen und bei Bedarf Themen mehrfach betrachten (Anderson et al. 2018).

    Adhärenz kann Studienergebnisse verfälschen und die Kosten erheblich in die Höhe treiben. Auch da kann die moderne Technologie Abhilfe schaffen, wie eine Pilotplattform von Janssen zeigt. Im Studienzentrum erhält die Plattform Daten von Scannern, die das Erhalten, die Verteilung und Zurückgabe von Medikamentensets verfolgt. Das eliminiert die Papierdokumentation und verringert die manuelle Fehlerquote. Um die Adhärenz zu erhöhen, werden Dosierungsangaben und Instruktionsvideos auf die Smartphones der Teilnehmer gesendet. Intelligente Blisterpackungen registrieren jede Tablette, wenn sie entfernt wird und ermöglichen so kontinuierliche Überwachung und frühzeitiges Eingreifen bei Nichtadhärenz. Zusätzlich nutzt die Plattform elektronische Labels (elektronische mehrsprachliche Booklets), um etwaige Änderungen im Protokoll an die Teilnehmer in ihrer Muttersprache zu kommunizieren. Das erspart einen kostenintensiven Neudruck und Verzögerungen (Comstock 2017). Adhärenztools wie AiCure beispielsweise nutzen Gesichtserkennung, um zu bestätigen, dass das Medikament aufgenommen wurde. Nichtadhärenz wird den Forschern sofort mitgeteilt (AiCure 2018).

    Roche benutzt eine Mobile App, die mit Smartphone-Sensoren verbunden ist (Accelerometer, Gyroscope, Magnetometer), um Teilnehmer an einer Multiple-Sklerose-Studie aus der Ferne zu beobachten. Diese Ergebnisse werden mit vor Ort gesammelten Daten verglichen. Über die App werden die Patienten dazu aufgefordert, motorische Übungen (Drehen der Hand bzw. des Handgelenks, Gang- und Gleichgewichtsübungen) sowie kognitive Test zur Beurteilung der neurologischen Aktivität durchzuführen. Durch die App konnten ebenfalls passive Messungen des Gangs und der Mobilität gesammelt werden. Die Sensordaten erschaffen ein umfassendes Bild vom Fortschritt der Erkrankung. Eine Analyse der Daten zeigt, dass die Ferndatenerfassung vergleichbar mit den im Forschungszentrum gesammelten Daten und in manchen Fällen sogar genauer waren (Taylor 2017).

    Reale Daten oder Real World Data (RWD) schaffen im Geschäftsmodell von Pharmaunternehmen neue Möglichkeiten. Im traditionellen Prozess der Wirkstoffentdeckung bzw. -entwicklung ist das Ziel die regulatorische Genehmigung für ein Medikament zu erhalten, erst danach folgt die Berücksichtigung von realen Daten (Differenzierung, Mehrwert, Zusammenspiel mit anderen Modalitäten). Zukünftig sollten die Modelle auf den Weiterentwicklungen im Bereich Big Data wie beispielsweise Multiomics, Sensoren, Tomografie und weiteren relevanten Daten aus Apps und sozialen Netzwerken aufbauen. Dadurch werden RWD gesammelt, die gleichzeitig auch für die regulatorischen Genehmigungen wichtig sind. Die Daten befähigen ein Pharmaunternehmen dazu, die Produktidentität vom einfachen Verkaufen eines Medikaments zum Angebot einer umfassenden therapeutischen Lösung weiterzuentwickeln (Anderson et al. 2018).

    1.5 Herausforderungen der Digitalisierung in der Pharmaindustrie

    Patientenzentrierung ist kein Trend, sondern die nachhaltige Wirklichkeit für Pharmaunternehmen, wenn es sie zukünftig noch geben soll. Digitalisierung und Patientenzentrierung sind gegenseitige Antreiber und bedingen sich. Die Pharmaindustrie, wie anfangs erwähnt, steht allerdings einigen Herausforderungen gegenüber, wenn es um die Implementierung digitaler Technologien und patientenzentrierter Ansätze geht.

    Um echte Patientenzentrierung zu erreichen, müssen Pharmaunternehmen einen Kulturwandel durchlaufen. Das bedeutet beispielsweise langfristiges finanzielles Denken: Margen, die durch digitale Gesundheitswirtschaft erzielt werden, sind klein verglichen mit denen eines Blockbuster-Produktes. Es muss also langfristig gedacht werden. Vom Beginn bis zum Launch eines Produktes vergehen durchschnittlich mehr als 13 Jahre (vfa 2018), ist das Produkt allerdings auf dem Markt, ist die Mehrheit der Arbeit getan. Das steht im großen Widerspruch zu digitalen Dienstleistungen, die fortlaufend aktualisiert und weiterentwickelt werden müssen, um Mehrwert zu bieten (Deloitte 2017a). Weiterhin werden Initiativen zum Thema Patientenzentrierung häufig als Imagekampagnen von Pharmaunternehmen wahrgenommen und nicht als wirklicher Kulturwandel.

    Eine weitere Herausforderung ist die regulatorische Unsicherheit im Zusammenhang mit digitaler Technologie und Patientenzentrierung. Die Pharmaindustrie ist eine der regulatorisch komplexesten Branchen weltweit (Philipp und Hettinger 2017). Durch die Digitalisierung wird diese Komplexität noch erhöht, da der Umgang mit mobilen Apps, Health IT, Telemedizin und kabellosen Geräten nicht in allen Fällen festgelegt ist (Deloitte 2017b). In Zukunft werden Pharmafirmen und regulatorische Behörden verstärkt zusammenarbeiten müssen, um digitale Strategien zu integrieren. Regulatorische Veränderungen werden die Benutzung von digitalen Technologien beeinflussen und dementsprechend auch die Möglichkeiten von Pharmaunternehmen, diese Technologien für die Verfolgung ihrer Ambitionen im Bereich Patientenzentrierung zu nutzen.

    Ein Thema, das stets im selben Atemzug wie Digitalisierung genannt wird, ist der Datenschutz. Die Sicherheit der persönlichen Daten und wie sie gewonnen, verarbeitet und gespeichert werden, ist besonders im Bereich Gesundheit ein wichtiges Thema. Verstärkt wird das Thema Datenschutz zusätzlich aktuell durch die Einführung des neuen Datenschutzgesetzes, das weitere Verpflichtungen für Unternehmen beinhaltet. Es muss sichergestellt werden, dass jede App, sei sie noch so grundlegend, das höchste Maß an Datensicherheit bereitstellt. Auf jeden Bruch mit diesem Grundsatz folgen nicht nur finanzielle, sondern auch Imageschäden, die das Verhältnis zwischen Pharmaindustrie und Patient negativ beeinflussen könnten (Deloitte 2017a).

    Weiterhin haben große Pharmaunternehmen häufig mit Imageproblemen zu kämpfen. Dies liegt vor allem an vergangenen Erfahrungen mit der Industrie, bspw., dass die Bedürfnisse von bestimmten Patientengruppen nicht erfüllt werden konnten, hohe Preise, fehlender Transparenz und medienwirksame Skandale. Das kann dazu führen, dass Ambitionen, die Zusammenarbeit mit Patienten bzw. die Patientenzentrierung zu intensivieren, untergraben werden. Das Vertrauen in digitale Apps ist beispielsweise deutlich höher, wenn sie von Patientengruppen produziert werden als von Pharmaunternehmen (Anderson et al. 2018). Gleiches gilt für die Bereitstellung von persönlichen Daten. Zuständigkeit für den medizinischen Fortschritt in Deutschland beispielsweise werden vor allem den Ärzten und der Gesundheitspolitik zugeschrieben, nur 16 % der Befragten sehen die Pharmaindustrie verantwortlich (UCB 2018c).

    Die oben genannte Herausforderung bezüglich des Images begrenzt sich nicht nur auf Patienten, auch die Suche nach fähigen Arbeitskräften könnte beeinflusst werden. Für die Digitalisierung und die Weiterentwicklung des digitalen patientenzentrierten Unternehmens, sind die Firmen auf digitale Talente angewiesen. Dazu muss das traditionelle Businessmodell der Pharmaindustrie sich weiterentwickeln, um mit der Agilität der digitalen Innovationen mitzuhalten.

    Die Gesundheitskompetenz sowie digitale Kompetenz der Patienten spielen ebenso eine große Rolle. Um mit den Pharmaunternehmen über digitale Kanäle zu kommunizieren, braucht es eine Patientenpopulation, die kompetent sowohl im Umgang mit den medizinischen Fachbegriffen rund um ihre Erkrankung sowie der Technologie, die zum Management der Krankheit gebraucht wird, ist. Doch die Gesundheitskompetenz ist insgesamt verhältnismäßig niedrig. Dies wird unter anderem in Verbindung gebracht mit höherem Gebrauch von medizinischen Leistungen, geringeren Vorsorgemaßnahmen, größeren Schwierigkeiten, Langzeiterkrankungen zu managen, schlechterem Gesundheitszustand und höherer Sterblichkeit bei älteren Menschen. Zusätzlich korreliert eine niedrige Gesundheitskompetenz mit geringer Nutzung von digitalen Gesundheitsservices (Deloitte 2017a).

    1.6 Schlussbetrachtung

    Entscheider in der Pharmaindustrie verstehen mehr und mehr, dass ein neues Geschäftsmodell, welches Patienten stärker einbindet, alternativlos ist. Durch die Zusammenarbeit mit Patienten als Partnern entlang der gesamten Wertschöpfungskette, können Pharmaunternehmen ihr Betriebsmodell neu erfinden – man kann von einem Paradigmenwechsel sprechen. Die Transformation hin zu mehr Patientenzentrierung hat das Potenzial, die Branche neu zu beleben, sodass diese relevant und profitabel bleibt, vor allem aber eine Win-win-Situation hervorbringt: Patienten werden mündiger und zunehmend in Entscheidungsprozesse eingebunden, sodass sie letztlich das für sie beste Produkt, respektive die beste Medizin und den ganzheitlichen Therapieprozess erhalten werden. Eine Grundvoraussetzung dafür ist die Digitalisierung.

    Digitale Technologien werden die Gesundheitsbranche und die Pharmaindustrie in den nächsten Jahren nachhaltig verändern. Deshalb müssen sich Pharmaunternehmen für die Zukunft (die bereits begonnen hat) entsprechend präparieren.

    Ein maßgeblicher Schritt für jedes Pharmaunternehmen muss es sein, die richtigen Rahmenbedingungen sowohl für digitale Innovationen als auch für eine patientenzentrierte Ausrichtung zu schaffen. Dafür ist ein Top-Down-Ansatz notwendig, der den Patienten in den Kern aller Handlungen stellt. Dies sind die Pfeiler für die Unternehmenskultur der Zukunft. Das Fundament dieser Kultur muss das Verständnis der Sinnhaftigkeit der Patientenzentrierung sein. Nur wer sich vor jedem Handeln die Frage stellt: „Wie wird mein Handeln das Leben von Menschen verändern, die mit schweren Erkrankungen leben?", wird dauerhaft den patientenzentrierten Gedanken glaubhaft von innen nach außen transportieren können. Zudem muss diese Unternehmenskultur Raum für Innovationen geben und ein agiles Arbeitsumfeld schaffen, um digitale Talente anzuziehen und zu halten.

    Ein weiterer Schritt wird sein, vermehrt mit Technologieunternehmen und Start-ups zusammenzuarbeiten, da nicht das gesamte Know-how bei den Pharmaunternehmen liegen muss bzw. kann. Dadurch können Pilotprojekte schneller umgesetzt werden und die Risiken sind für alle Parteien geringer. Daneben werden Pharmaunternehmen auch weiterhin eigene digitale Produkte anbieten.

    Neben der Zusammenarbeit mit Partnern im Bereich technologische Innovationen ist auch die enge Zusammenarbeit mit regulatorischen Behörden eine Voraussetzung dafür, dass digitale Technologie für Patienten keinen Nachteil hat.

    Schlussendlich befindet sich die Branche in einem extremen Wandel, dessen finale Auswirkungen noch nicht absehbar sind. Sicher ist, dass der Patient von der digitalen Ausrichtung nur profitieren kann und die Unternehmen, die bereit sind sich vom „klassischen" Pharmageschäft zu verabschieden und den Paradigmenwechsel zu akzeptieren und zu gestalten, weiterhin am Markt erfolgreich sein werden.

    Literatur

    Abbott (2017) Abbott launches the first and only smartphone compatible insertable cardiac monitor in the U.S. https://​www.​prnewswire.​com/​news-releases/​abbott-launches-the-first-and-only-smartphone-compatible-insertable-cardiac-monitor-in-the-us-300540963.​html. Zugegriffen am 27.08.2018

    Adams B (2017) Sanofi launches new virtual trials offering with Science 37. https://​www.​fiercebiotech.​com/​cro/​sanofi-launches-new-virtual-trials-offering-science-37. Zugegriffen am 29.08.2018

    AiCure (2018) AiCure, Aicure (Hrsg.). https://​aicure.​com/​. Zugegriffen am 30.08.2018

    Amaldoss W, He C (2009) Direct-to-consumer advertising of prescription drugs: a strategic analysis. Market Sci 28(3):472–487

    Anderson D, Fox J, Elsner N (2018) Digital R&D, transforming the future of clinical development. https://​www2.​deloitte.​com/​insights/​us/​en/​industry/​life-sciences/​digital-research-and-development-clinical-strategy.​html#endnote-sup-8. Zugegriffen am 30.08.2018

    BGM (Hrsg) (2018) E-health, Bundesgesundheitsministerium. https://​www.​bundesgesundheit​sministerium.​de/​service/​begriffe-von-a-z/​e/​e-health.​html. Zugegriffen am 26.08.2018

    Comstock J (2017) Janssen set to launch clinical trial system that uses smartphone app, smart blister packs. https://​www.​mobihealthnews.​com/​content/​janssen-set-launch-clinical-trial-system-uses-smartphone-app-smart-blister-packs. Zugegriffen am 29.08.2018

    Dahlberg LE, Grahn D, Dahlberg JE, Thorstensson C (2017) The introduction of a digitalized supported self-managing program for patients with osteoarthritis. Osteoarthr Cartil 24(1):490

    Deloitte (Hrsg) (2017a) Pharma and the connected patient: how digital technology

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