Persönlichkeit: was uns ausmacht und warum
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Buchvorschau
Persönlichkeit - Jens B. Asendorpf
Teil IWas uns ausmacht
© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018
Jens B. AsendorpfPersönlichkeit: was uns ausmacht und warumhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-56106-5_1
1. Persönlichkeit: Ganz normale Unterschiede
Jens B. Asendorpf¹
(1)
Institut für Psychologie, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland
Was verstehen wir im Alltag unter Persönlichkeit, und wie wird Persönlichkeit durch die empirische Persönlichkeitspsychologie definiert? Ist aggressives Verhalten in einer bestimmten Situation ein Hinweis auf eine aggressive Persönlichkeit? Haben schon Neugeborene eine Persönlichkeit, aus der sich langfristige Prognosen auf ihre spätere Entwicklung ableiten lassen? Wann sind Auffälligkeiten noch normal, wann signalisieren sie ein ernsthaftes Problem? Gibt es eine ideale Persönlichkeit? Dieses einführende Kapitel behandelt solche grundlegenden Fragen zum Gegenstand der Persönlichkeitspsychologie. Dabei zieht sich die Normalität der großen beobachtbaren Unterschiede im menschlichen Verhalten wie ein roter Faden durch das Kapitel. Die großen normalen Unterschiede sind Gegenstand der Persönlichkeitspsychologie und dieses Buches.
Das Wort „Persönlichkeit hat seinen Ursprung im lateinischen „persona
. Dort hat es eine interessante Doppelbedeutung, nämlich im antiken Theater die Maske, die eine bestimmte Rolle kennzeichnet, und im sozialen Leben die Rolle, der Status oder die Würde einer Person. In beiden Fällen geht es zwar darum, die Person zu charakterisieren, aber durch Bezug auf ein Stereotyp oder eine soziale Rolle.
Heutzutage hat „Persönlichkeit in der Umgangssprache ebenfalls eine doppelte Bedeutung, aber anderer Art. Zum einen bezeichnet „Persönlichkeit
das Charakteristische, Individuelle einer Person hinter der Maske der Selbstdarstellung und jenseits der bloßen Rolle. Das zeigt sich in Redensarten wie „hinter der Maske des Filmstars verbarg sich eine ganz andere Persönlichkeit, „an diesem Abend zeigte sich ihre wahre Persönlichkeit
. Zum anderen wird „Persönlichkeit auch benutzt, um besondere Qualitäten zu betonen wie „er ist eine wirkliche Persönlichkeit
.
In der empirischen Psychologie geht es um die Beschreibung, Vorhersage und Erklärung von Fakten, nicht um Bewertung. Deshalb wird „Persönlichkeit " dort nur im ersteren Sinn benutzt, nämlich zur Beschreibung der individuellen Besonderheiten, in denen sich jemand von anderen unterscheidet:
Erste vorläufige Definition der Persönlichkeit
Persönlichkeit ist die Gesamtheit aller individuellen Besonderheiten, in denen sich jemand von anderen unterscheidet.
Allerdings muss dabei genauer gesagt werden, wer denn „die anderen" sind, auf die sich die Unterschiede beziehen. In der Psychologie spricht man hier von der Bezugsgruppe, wobei im Falle von Persönlichkeitsbeurteilungen meistens Gleichaltrige der gleichen Kultur gemeint sind. Denn im Alltag würden wir ja auch nicht die Leistung eines 24-Jährigen in einem Intelligenztest direkt mit der Testleistung eines Vierjährigen vergleichen, um deren Persönlichkeit zu charakterisieren, sondern würden den Altersunterschied mit einbeziehen. Und die meisten würden sich hüten, das Gestikulieren eines Süditalieners als Zeichen besonderer Extraversion zu interpretieren. Im Vergleich zu anderen Süditalienern ist es vielleicht ganz durchschnittlich. Im Alltag vollziehen wir diese Relativierungen implizit und intuitiv aufgrund unseres Alltagswissens über die Veränderung von Persönlichkeitseigenschaften mit wachsendem Alter und aufgrund sozialer Stereotype über die typische Persönlichkeit in anderen Kulturen. In der empirischen Persönlichkeitspsychologie geschieht dies explizit, und Grundlage dafür sind in der Realität gefundene Belege. Sie beruhen auf der beobachteten Variation einer Persönlichkeitseigenschaft innerhalb einer Bezugsgruppe, auf der Veränderung des Mittelwerts der Eigenschaft mit wachsendem Alter und auf kulturellen Unterschieden im Mittelwert der Eigenschaft. Das führt zu der zweiten, präziseren Definition der Persönlichkeit:
Zweite vorläufige Definition der Persönlichkeit
Persönlichkeit ist die Gesamtheit aller individuellen Besonderheiten, in denen sich jemand von Gleichaltrigen derselben Kultur unterscheidet.
Aber auch diese Definition ist noch nicht befriedigend, weil darin ja auch alle pathologischen Merkmale enthalten wären. Wenn jemand geistig behindert ist, an einer psychiatrischen Erkrankung leidet oder starke Flugangst hat, wird das gemeinhin nicht als Merkmal der Persönlichkeit angesehen, sondern als Behinderung, Krankheit oder Angststörung. Persönlichkeit wird im Alltag auf normale, nichtpathologische individuelle Besonderheiten bezogen, und so ist es auch in der Persönlichkeitspsychologie. Mit Persönlichkeit sind nichtpathologische Persönlichkeitseigenschaften gemeint. Extrem stark ausgeprägte Eigenschaften, an denen die Betroffenen oder ihre Mitmenschen leiden, wie z. B. starke zwanghafte Tendenzen oder eine starke Tendenz zu antisozialem Verhalten bis hin zu Kriminalität, werden als Persönlichkeitsstörungen bezeichnet und nicht mehr als Teil der normalen Persönlichkeit angesehen. Das führt zu einer weiteren Präzisierung des Persönlichkeitskonzepts:
Dritte vorläufige Definition der Persönlichkeit
Persönlichkeit ist die Gesamtheit aller nichtpathologischen individuellen Besonderheiten, in denen sich jemand von Gleichaltrigen derselben Kultur unterscheidet.
Obwohl diese dritte Definition schon recht gut den Persönlichkeitsbegriff der empirischen Psychologie und damit auch den Gegenstand dieses Buchs beschreibt, muss er noch in einer Hinsicht weiter präzisiert werden: Welche individuellen Besonderheiten sind gemeint? Im Alltag würden wir das Genom oder das Lungenvolumen nicht als Persönlichkeitsmerkmal ansehen, wohl aber Merkmale der körperlichen Erscheinung wie Körperbau und Schönheit des Gesichts. Ersteres sind auch körperliche Merkmale, sie sind aber nicht direkt wahrnehmbar. Weil Persönlichkeit alle Besonderheiten einschließt, die wir im Alltag direkt wahrnehmen können, wird die körperliche Erscheinung auch in der Persönlichkeitspsychologie als Persönlichkeitseigenschaften betrachtet. Den Großteil der Persönlichkeit machen aber charakteristische Regelmäßigkeiten im Erleben und Verhalten aus: Jemand ist neugierig, schlampig, extravertiert, aggressiv oder von stabiler Gemütslage.
Es muss sich dabei um charakteristische Regelmäßigkeiten, stabile Eigenschaften, handeln, die nicht nur in einer Situation beobachtbar sind, sondern immer wieder in vielen Situationen. Jede solide Persönlichkeitsdiagnose bezieht sich auf eine längere Beobachtung eines Menschen in vielen Situationen. Wer nur einmal in einen Kindergarten geht und das Verhalten der Kinder im Freispiel beobachtet, wird über Persönlichkeitsmerkmale der Kinder wenig erfahren. Beurteilungen nach einer solchen Stunde hängen mit dem Urteil der Erzieher, die das Kind über lange Zeit kennen, nur geringfügig zusammen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass aber nach 3 Wochen Beobachtung die gemittelten täglichen Urteile von Beobachtern schon gut mit den Urteilen der Erzieher in der Gruppe übereinstimmen [1].
Persönlichkeitseigenschaft en sind deshalb jedenfalls über kürzere Zeiträume hinweg zeitlich stabil. Das rechtfertigt auch die Bezeichnung „Eigenschaft" – sie sind einer Person eigen, charakterisieren die Person. Das ist auch die Grundvoraussetzung jeder Persönlichkeitsdiagnostik. Weil Persönlichkeitseigenschaften stabile Merkmale sind, sind sie abgesehen von körperlichen Merkmalen nicht unmittelbar beobachtbar – sie lassen sich nur aus vielen Beobachtungen erschließen. Das führt zur endgültigen Persönlichkeitsdefinition, wie sie auch in Lehrbüchern der Persönlichkeitspsychologie verwendet wird [2]:
Definition der Persönlichkeit
Persönlichkeit ist die Gesamtheit aller nichtpathologischen Persönlichkeitseigenschaften, nämlich individueller Besonderheiten in der körperlichen Erscheinung und in Regelmäßigkeiten des Verhaltens und Erlebens, in denen sich jemand von Gleichaltrigen derselben Kultur unterscheidet.
Anders gesagt beschäftigt sich die Persönlichkeitspsychologie mit ganz normalen Unterschieden innerhalb einer Altersgruppe und Kultur. Diese enge Betrachtungsweise wird später erweitert auf die Veränderung von Persönlichkeitseigenschaften im Verlauf des Lebens und auf kulturelle Unterschiede in der Persönlichkeit. In diesem ersten Teil betrachten wir aber nur Persönlichkeitsunterschiede innerhalb einer Altersgruppe in westlichen Kulturen (Europa, Nordamerika und Australien). Kulturelle Unterschiede in Bezug auf die Persönlichkeit innerhalb westlicher Kulturen sind vergleichsweise gering, sodass wir im Folgenden nur noch die Altersabhängigkeit von Persönlichkeitseigenschaften beachten werden.
Beginnen wir mit zwei Fragen, die alle Eltern beschäftigen: Lassen sich im Verhalten meines Kindes schon früh charakteristische Verhaltenstendenzen erkennen, eine frühkindliche Persönlichkeit , die Prognosen auf die weitere Entwicklung erlaubt, und handelt es sich um altersgemäßes, normales Verhalten oder um Auffälligkeiten, die auf eine ernst zu nehmende Störung hinweisen? Diese Fragen stellen sich Eltern beim ersten Kind, aber oft auch beim zweiten, weil sie überrascht feststellen, dass das zweite Kind in vieler Hinsicht ganz anders ist als das erste. Tatsächlich sind sich Geschwister derselben Familie gar nicht so ähnlich, wie vielfach angenommen wird, aber dieses Thema wird erst in Teil III behandelt. Hier geht es um die allgemeinere Frage, welche Bedeutung Verhaltensunterschiede in der frühen Kindheit haben.
Schon Neugeborene unterscheiden sich sehr stark in ihrem Temperament und ihrer motorischen Aktivität. Die Dauer des Schlafens, die Reaktivität gegenüber Berührungen, Tönen und dem Anblick eines menschlichen Gesichts, der Muskeltonus beim Hochnehmen – wer einmal die Gelegenheit hatte, auf einer Geburtsstation viele Neugeborene in ähnlichen Situationen zu beobachten, wird von ihrer Unterschiedlichkeit im Verhalten beeindruckt sein. Diese Unterschiede sind vom ersten Tag an vorhanden. Da einige Unterschiede von der Art des Geburtsverlaufs abhängen, ist die Variabilität in den ersten Tagen etwas höher als in den darauf folgenden Wochen, aber insgesamt bleibt eine hohe Variabilität des Verhaltens bestehen.
Im Kindesalter wird die frühe Variabilität unter anderem dann deutlich, wenn wir uns fragen, wann Kinder zum ersten Mal bestimmte motorische Fertigkeiten zeigen („motorische Meilensteine"), z. B. alleine sitzen, stehen, laufen. In den meisten Elternratgebern werden Mittelwerte für den Erwerb solcher Fertigkeiten berichtet. In Abb. 1.1 wird zusätzlich die Variabilität motorischer Meilensteine bei kinderärztlich nicht auffälligen Kindern angegeben, wie sie in einer weltweiten Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO gefunden wurde [3].
../images/442834_1_De_1_Chapter/442834_1_De_1_Fig1_HTML.gifAbb. 1.1
Altersbereich für das Erreichen motorischer Fertigkeiten im Normalfall. Angegeben sind Minimum und Maximum beim Erreichen jedes Meilensteins
Die Abbildung macht deutlich, dass es eine große Variationsbreite für das Erreichen eines jeden Meilensteins gibt. Längsschnittstudien, in denen dieselben Kinder vom ersten Lebensjahr bis ins Erwachsenenalter hinein untersucht wurden, zeigen, dass eine beschleunigte oder verzögerte motorische Entwicklung in dem in Abb. 1.1 angegebenen Normalbereich kaum nachweisbare langfristige Konsequenzen hat, weder auf motorischem Gebiet noch hinsichtlich Intelligenz. In einer niederländischen Studie kinderärztlich unauffälliger Kinder konnte man aufgrund des Erreichens motorischer Meilensteine im ersten Lebensjahr die motorische Leistung und Intelligenz im Alter von 6 Jahren nur minimal vorhersagen [4]. Ganz ähnliche Ergebnisse zeigten sich in einer britischen Studie an über 5000 Kindern, die bis ins mittlere Erwachsenenalter hinein beobachtet wurden. So sagte z. B. 1 Monat früheres Laufen einen um 0,5 Punkte höheren IQ im Alter von 8 Jahren vorher und zeigte noch geringere Effekte auf sprachliche Intelligenzleistungen im Erwachsenenalter [5]. Obwohl die Altersbereiche für die Meilensteine der motorischen Entwicklung enorm breit sind, hat der Zeitpunkt ihres Erreichens so gut wie keinen prognostischen Wert für die spätere Persönlichkeit. Die frühen großen Unterschiede in der motorischen Entwicklung sind vielmehr Ausdruck der normalen Variation in der Entwicklung, sie „wachsen sich aus". Das gilt auch für viele andere frühe Meilensteine der Entwicklung, z. B. wann Kinder zum ersten Mal lächeln, fremdeln, sich im Spiegel erkennen und die ersten Mehrwortsätze sagen. Das alles ist Ausdruck der enormen Variabilität der frühkindlichen Entwicklung, aus der noch nicht auf spätere Persönlichkeitsunterschiede geschlossen werden kann.
Auch Unterschiede im frühen Temperament wie z. B. Ablenkbarkeit, Reaktionsintensität und Stabilität des Tagesrhythmus, die sich bereits im ersten Jahr deutlich zeigen, sind prognostisch von nur begrenztem Wert. Die erste systematische Untersuchung zu frühen Temperamentsunterschieden wurde in New York von Thomas und Chess durchgeführt, die die Eltern von 138 Kindern zwischen dem Alter von 2 Monaten und 8 Jahren immer wieder ausführlich über das Verhalten ihres Kindes befragten. Zwei Nacherhebungen im Alter von 16 bis 17 und 18 bis 22 Jahren sollten Langzeitfolgen des frühen Temperaments untersuchen [6]. Aufgrund der frühesten Interviews entwickelten Thomas und Chess neun Temperamentsdimensionen, die auf einer dreistufigen Skala (niedrig – durchschnittlich – hoch) beurteilt wurden. Für jede Altersgruppe wurden typische Verhaltensbeispiele für die drei Ausprägungen angegeben (vgl. Tab. 1.1).
Tab. 1.1
Verhaltensbeispiele für hohe Ausprägungen der neun Temperamentsdimensionen von Thomas und Chess auf drei Altersstufen. (Aus Asendorpf [7])
Bereits Thomas und Chess fanden, dass das Temperament in den ersten beiden Jahren kaum stabil war und dass überzufällige Vorhersagen der sozialen Anpassung und psychiatrischer Symptome im frühen Erwachsenenalter erst ab dem Alter von 3 Jahren möglich waren. Nachfolgende Längsschnittstudien bestätigten das. So zeigte sich in einer sehr großen australischen Studie erst ab dem Alter von 2 Jahren eine zunehmende Stabilität der von Eltern beurteilten Temperamentsmerkmale [8]. Temperamentsunterschiede sind zu instabil, um sie vor dem Alter von 3 Jahren als Persönlichkeitseigenschaften auffassen zu können. Das lässt sich mit einiger Vorsicht verallgemeinern: Vor dem dritten Lebensjahr gibt es – vielleicht mit Ausnahme früher Intelligenzunterschiede – noch keine ausreichend stabilen Persönlichkeitseigenschaften.
Ab dem 3. Lebensjahr lassen sich jedoch einigermaßen stabile Temperamentseigenschaften beobachten, die überzufällige Prognosen bis ins Erwachsenenalter hinein erlauben; entsprechende Befunde werden in Teil III dargestellt. Stabiler als andere früh beobachtbare Persönlichkeitsmerkmale sind Temperamentseigenschaften ab diesem Alter aber auch nicht, und sie sind auch nicht stärker genetisch beeinflusst [2].
Die empirischen Untersuchungen zu frühen Unterschieden im Verhalten machen die enorme Variabilität des Verhaltens und der individuellen Entwicklungsverläufe deutlich. Abweichungen vom Durchschnitt der Altersgruppe und von der durchschnittlichen Entwicklung sind also ganz normal. Je größer die Abweichungen in einem betrachteten Merkmal sind, desto seltener sind sie. Aber selbst eine starke Abweichung vom Mittelwert der Altersgruppe kann normal sein, wenn wir den Blick nicht mehr wie bisher auf ein einziges Merkmal richten, sondern viele unterschiedliche Merkmale gleichzeitig betrachten.
Das macht die klassische Studie von Achenbach zu Verhaltensauffälligkeit en von Kindern deutlich (vgl. Kasten zu Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter).
Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter
Achenbach und Edelbrock (1981) interviewten in den USA 1442 repräsentativ ausgewählte Eltern von 4 bis 16 Jahre alten Kindern zu Verhaltensauffälligkeiten ihrer Kinder [9]. Hierzu wurde ihnen eine Liste von 112 typischen Verhaltensauffälligkeiten vorgelegt mit der Bitte jeweils anzukreuzen, ob ihr Kind die Auffälligkeit gar nicht (0 Punkte), manchmal (1 Punkt) oder durchgängig (2 Punkte) zeigt. Der Mittelwert dieser repräsentativen Gruppe von Kindern lag in jeder Altersgruppe bei 20 Punkten. Zum Beispiel wurden bei über 20 % der 4 bis 6-jährigen Kinder folgende Auffälligkeiten berichtet: Macht ins Bett, hat Konzentrationsschwierigkeiten, Ängste, Alpträume, Wutausbrüche, lügt, isst nicht gut, ist hyperaktiv, schüchtern, einsam, zu sehr von Erwachsenen abhängig, ungehorsam, wird von anderen Kindern gehänselt, hänselt andere Kinder. Wurden die 20 % der Kinder mit den meisten Auffälligkeiten ausgeschlossen, zeigten die restlichen nun wirklich als normal zu betrachtenden Kinder immer noch zwischen 8 und 28 Verhaltensauffälligkeiten.
Nichts ist normaler als einige deutliche Abweichungen vom Durchschnitt. Hier zeigt sich die Tücke des üblichen Normalitätsbegriffs, der auf Abweichungen eines einzelnen Merkmals vom Durchschnitt beruht. Strenger formuliert: Mit wachsender Zahl untersuchter Persönlichkeitseigenschaften geht die Wahrscheinlichkeit, dass jemand in allen Eigenschaften nur mäßig bis gar nicht vom Mittelwert der Altersgruppe abweicht, gegen null. Das liegt daran, dass viele Eigenschaften unabhängig voneinander auftreten. Intelligenz sagt über Sportlichkeit, Extraversion und Ängstlichkeit nichts aus. Problematisch werden Abweichungen nur dann, wenn sie sich häufen. Aber auch eine Häufung vieler starker Abweichungen muss noch nicht unbedingt ein wirkliches Problem signalisieren. Sind die Abweichungen von kurzer Dauer, kann es sich um eine kurzlebige Entwicklungsstörung handeln, die keine weiteren Konsequenzen hat. Nur wenn Abweichungen extrem sind, stabil sind und sich häufen, stellen sie wirklich ein Problem dar. Das gilt nicht nur für das Kindesalter, sondern für alle Altersgruppen.
Wie in Kap. 19 deutlich werden wird, sind Unterschiede in der Persönlichkeit nicht nur kein Problem, sondern notwendig dafür, dass wir langfristig alle überleben. Nicht nur in westlichen Kulturen besteht aber eine starke Tendenz, nicht die vorhandene Vielfalt der Persönlichkeit, sondern ein Persönlichkeitsideal als erstrebenswert anzusehen. Ob „gottesfürchtig, „nordisch
, allseits entwickelte „sozialistische Persönlichkeit oder „dynamischer Unternehmer
– die gerade vorherrschende Ideologie einer Kultur beinhaltet mit großer Regelmäßigkeit auch ein bestimmtes Persönlichkeitsideal. Das gilt auch für Kinder, die heutzutage selbstbewusst, aber auch sozial, intelligent und kreativ, lernfreudig, konzentrationsfähig und dennoch spielerisch sein sollen – Erwartungen der Eltern, die manchmal einen offenkundigen, ein andermal einen subtilen Druck auf die Kinder ausüben. Die empirische Persönlichkeitspsychologie dagegen erklärt weder Mittelmäßigkeit noch bestimmte Abweichungen davon zu einem erstrebenswerten Ziel. Betrachten wir also aus dieser nichtwertenden Perspektive, was die empirische Persönlichkeitspsychologie zu der Frage beitragen kann, was uns ausmacht, wer wir sind.
Zusammenfassung
Persönlichkeit ist die Gesamtheit aller nichtpathologischen Eigenschaften, in denen sich jemand von Gleichaltrigen derselben Kultur unterscheidet. Bereits Neugeborene zeigen deutliche Unterschiede im Verhalten, die jedoch erst ab dem dritten Lebensjahr so stabil sind, dass man von Persönlichkeitseigenschaften sprechen kann und aus ihnen überzufällige langfristige Prognosen auf die weitere Entwicklung ableiten kann. Verhaltensauffälligkeiten im Kindesalter sind fast immer normal, wie auch generell der ganz überwiegende Teil der beobachtbaren stabilen Unterschiede im Erleben und Verhalten ganz normale Abweichungen vom Mittelwert der Altersgruppe und Kultur sind. Welches sind die wichtigsten Eigenschaften, in denen Menschen sich unterscheiden? Damit beschäftigt sich das nächste Kapitel.
Literatur
1.
Moskowitz, D. S. & Schwarz, J. C. (1982). Validity comparison of behavior counts and ratings by knowledgeable informants. Journal of Personality and Social Psychology, 42, 518–528.
2.
Neyer, F. J. & Asendorpf, J. B. (2018). Psychologie der Persönlichkeit (6. Aufl.). Berlin: Springer-Verlag.
3.
Onis, M. (2006). WHO Motor Development Study: Windows of achievement for six gross motor development milestones. Acta Paediatrica, 95(S450), 86–95.
4.
Roze, E., Meijer, L., Van Braeckel, K. N. J. A., Ruiter, S. A. J., Bruggink, J. L. M. & Bos, A. F. (2010). Developmental trajectories from birth to school age in healthy term-born children. Pediatrics, 126, e1134–e1142.Crossref
5.
Murray, G. K., Jones, P. B., Kuh, D. & Richards, M. (2007). Infant developmental milestones and subsequent cognitive function. Annals of Neurology, 62, 128–136.Crossref
6.
Thomas, A. & Chess, S. (1977). Temperament and development. New York: Brunner & Mazel. (deutsch: Temperament und Entwicklung. Stuttgart: Enke, 1980).
7.
Asendorpf, J. B. (2011). Temperament. In H. Keller (Hrsg.), Handbuch der Kleinkindforschung (4. Aufl., S. 466–485). Bern: Huber, Tab. 2.
8.
Pedlow, R., Sanson, A., Prior, M. & Oberklaid, F. (1993). Stability of maternally reported temperament from infancy to 8 years. Developmental Psychology, 29, 998–1007.Crossref
9.
Achenbach, T. M. & Edelbrock, C. S. (1981). Behavioral problems and competencies reported by parents of normal and disturbed children aged four through sixteen. Monographs of the Society for Research in Child Development, 46(1, Whole Serial No. 182).
© Springer-Verlag GmbH Deutschland 2018
Jens B. AsendorpfPersönlichkeit: was uns ausmacht und warumhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-56106-5_2
2. Sedimente: Faktoren und Typen der Persönlichkeit
Jens B. Asendorpf¹
(1)
Institut für Psychologie, Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Deutschland
Im Alltag nutzen wir Eigenschaftswörter zur Beschreibung der Persönlichkeit, vor allem Adjektive wie hilfsbereit, ängstlich, aggressiv, intelligent. Hierfür steht uns ein großes Repertoire an Eigenschaftswörtern zur Verfügung. Kann man dieses Repertoire auf wenige grundlegende Eigenschaften reduzieren, durch deren Kombination sich die beobachtbaren Persönlichkeitsunterschiede gut beschreiben lassen? Ausgehend von der Sedimentationshypothese, nach der alle wichtigen Persönlichkeitseigenschaften in einer Kultur ihren Niederschlag in der Sprache der Kultur gefunden haben, hat die empirische Persönlichkeitsforschung aus vielen Sprachen wenige Hauptfaktoren und Haupttypen der Persönlichkeit destilliert, mit denen sich Menschen in allen Kulturen in ihrer Persönlichkeit beschreiben lassen. Wie dies gelungen ist, um welche Hauptfaktoren und -typen es sich handelt und wie sie sich praktisch nutzen lassen, wird in diesem Kapitel erläutert.
Die Persönlichkeit anderer richtig einzuschätzen ist wichtig im sozialen Alltag und der beruflichen Praxis. „Kann ich ihr vertrauen?, „Wird er das verstehen, oder muss ich ihm das ausführlicher erklären?
, „Ich weiß, dass sie da besonders empfindlich reagiert, und werde es ihr deshalb möglichst schonend beibringen., „So wie dieser Kunde da ankommt, biete ich ihm mal unser Ökomodell an, dem geht es nicht nur um den Preis.
Damit wir in unserer Einschätzung richtig liegen, nutzen wir unsere Alltagspsychologie, die auf kulturell tradierten Überzeugungen beruht und die wir tagtäglich zur Beschreibung, Erklärung und Vorhersage des Erlebens und Verhaltens anderer nutzen, aber auch auf uns selbst anwenden können. „Erkenne dich selbst!" stand am Tempel des Apollon in Delphi geschrieben – der Wahlspruch der meisten Philosophen, aber auch ein ganz praktischer Ratgeber, um im Alltag Fehler aus falscher Selbsteinschätzung zu vermeiden.
Zur Einschätzung der Persönlichkeit stellt uns die Alltagspsychologie ein großes Repertoire an Eigenschaftswörtern – meist Adjektive – zur Verfügung. Wie viele Wörter gibt es, die Persönlichkeitseigenschaften beschreiben? Die erste systematische Studie hierzu führten 1936 Allport und Odbert durch. Sie durchforsteten Webster’s New International Dictionary von 1925, ein umfassendes Wörterbuch der englischen Sprache mit 550.000 Wörtern, nach Wörtern, die eine Person beschreiben. Nach Ausschluss von Wörtern zur Beschreibung aktueller Stimmungen und Gefühle verblieben 13.412 Wörter, die zur Persönlichkeitsbeschreibung genutzt werden können, darunter allerdings auch viele veraltete oder selten verwendete [1].
Ausgehend von der Sedimentationshypothese , nach der alle wichtigen Persönlichkeitseigenschaften in einer Kultur ihren Niederschlag in der Sprache der Kultur gefunden haben, machten sich mehrere Psychologen daran, aus diesen 13.412 Wörtern eine überschaubare Liste gebräuchlicher, nichtsynonymer Wörter zu erstellen. Am zielführendsten erwies sich der Versuch von