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Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende: High Fantasy
Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende: High Fantasy
Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende: High Fantasy
eBook949 Seiten12 Stunden

Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende: High Fantasy

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Über dieses E-Book

"Amalea im Jahre 349 nach Gründung Fiorinde.

Die goldenen Zeiten sind vorüber. Die Anhänger des Chaos ziehen in den Krieg, um die Weltordnung zu zerstören und die Herrschaft über Amalea endgültig an sich zu reißen.
Das dunkle Zeitalter kehrt zurück ..."

Die Expeditionsflotte, die Al'Jebal über die Grenzen Amaleas geschickt hat, um Verbündete für den Krieg gegen das Chaos zu finden, stößt auf Land. Weit südlich des Großen Abgrundes trifft die vierzigtausend Mann starke Besatzung auf fremdes Leben, mit tödlichen Konsequenzen.

Indes hadern die Kommandanten der Flotte mit ihrem jeweiligen Schicksal. Während Siralen als Befehlshaberin der Landstreitkräfte einer harten Prüfung unterzogen wird, geht Chara einmal mehr einen Schritt zu weit. Telos muss sich fragen, wie weit er für seine alte Mitstreiterin gehen kann, ohne seinen Glauben zu verraten. Und der Barde Irwin MacOsborn lernt, dass es auf Dauer unbefriedigend ist, nur in seichten Wassern zu waten.

Einmal mehr erkennen die Helden der Allianz, dass sie im Grunde nichts über die Welt und ihre Ursprünge wissen. Denn das Neuland tief im Süden entpuppt sich als ein Ort, an dem ein dunkles Geheimnis verborgen liegt. Auf ihrem Weg in die Vergangenheit bringen Chara, Siralen, Kerrim, Darcean und Irwin ans Licht, dass selbst die Magie ihre eigene düstere Vorgeschichte hat. Einzig Al'Jebal scheint klar zu sein, dass das verborgene Wissen das Spiel der Mächte entscheiden wird. Dabei kocht das Chaos wie eh und je sein eigenes Süppchen.

"Was aber richtig ist und was falsch, müssen wir danach erst die Götter fragen?"
SpracheDeutsch
HerausgeberLindwurm
Erscheinungsdatum16. Nov. 2021
ISBN9783948695712
Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6: Irwin MacOsborn. Legende: High Fantasy

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    Buchvorschau

    Chroniken von Chaos und Ordnung. Band 6 - J. H. Praßl

    Widmung

    Wie üblich widmen wir den neuen Band unseren Spielern und Mitspielern, die dafür gesorgt haben, dass die Geschichte über Chaos und Ordnung so einmalig wurde. Den Figuren den richtigen Schliff zu verpassen und zugleich die Seele zu bewahren, die der Spieler diesen irgendwann eingehaucht hat, ist manchmal ganz schön herausfordernd. Aber genau das macht die Sache ja so spannend – für uns und vielleicht auch für unsere Leser, die den echten Menschen hinter unseren „Helden" hoffentlich immer mal wieder zu spüren bekommen.

    Mit diesem Band wollen wir im Besonderen folgenden Spielern danken

    Katharina Prexl alias Kathi für Corpus Dippeas Prima Kambe

    Manche können nicht oft genug sterben, andere kehren immer wieder, egal, wie oft man sie auch ins Jenseits befördert. Auf dich, liebe Kathi, trifft beides zu. Dass du und deine Figuren eine Bereicherung für diese Geschichte sind, müssen wir nicht erst betonen. An dieser Stelle wollen wir dir einfach noch einmal für deine Treue und stete Wiederkehr danken. Schön, dass du nicht von uns lassen kannst.

    Irgendwann werden wir hier alle deine Figuren beim Namen nennen, damit auch unsere Leser wissen, mit wem sie es tatsächlich zu tun haben.

    Markus Raith alias Max für Telos Malakin alias Gottesfeind, oder auch „Agramon hämmere sie alle!"

    Du hast ihn zu früh gehen lassen und doch ist er noch immer hier. Kann sein, dass er zu echt ist, um einfach zu verblassen. Kann sein, dass wir ihn brauchen, damit wir eine Konstante haben – einen sich wiederholenden Lichtblick anstatt einer ewigen Dunkelheit. Und so lassen wir ihn auch nicht ziehen. Zumal sein Auftrag, oder treffender, seine Prophezeiung noch nicht erfüllt ist. Danke, dass du diesem Freund so viel Leben eingehaucht hast, Max. Andernfalls hätten wir ihn wohl schon irgendwo auf dem Weg verloren.

    Mirjam Hierzegger alias Mio für Siralen alias Versprechen des Blitzes

    Auch wenn dies nicht dein Band ist, so ist es dennoch das Kernstück deiner, oder anders, der Geschichte deiner geliebten Siralen. Es ist ihr Höhepunkt, ob licht oder dunkel, ihre Bühne, auch wenn vor jeder Bühne irgendwann der Vorhang fällt, ihre Sternstunde, auch wenn du lieber den Tag und die Sonne für sie gewählt hättest, hättest du nur wählen können. Danke für dieses Geschenk, das nur ein Spieler aus Leidenschaft geben kann!

    Robin Hoffmann alias Robin für Grimnir Rotbart alias Der Scheißer:

    Dagegen hilft dir keine Weisheit der Welt, was?

    Ganz genau, gegen Grimnir und seine Macken ist kein Kraut gewachsen, schon gar kein elfisches. Man muss diesen Zwerg einfach über sich ergehen lassen. Dann ist einem aber auch der eine oder andere Lacher sicher. Und so geht er auch in die Geschichte ein – als ein Zwerg, ohne den es viel zu düster zuginge in unseren Chroniken. Danke dafür, Robin!

    Thomas Strauß alias Thomas für Darcean Dahoccu alias Zweiauge: Seine Reden ufern aus und seine überbordende Umsicht mag manch Eine zur Weißglut bringen. Aber er ist auch so authentisch, wie eine erfundene Figur nur sein kann und so unverrückbar in seinen Anschauungen, dass er uns immer wieder vor unerwartete Herausforderungen stellt. Und klar, er ist weise, und die Weisheit ist eben nichts, das schnell schießt oder immer ein klares Wort parat hat. Sie ist, im Gegenteil, von der langsamen Sohle. Nichts desto trotz trifft sie meistens ins Schwarze. So wie dein Darcean, der immer mehr war als nur ein Elf. Herzlichen Dank für dein Ilf Epren, Thomas!

    Veit Kramer alias Veit für Irwin MacOsborn alias Meistersinger, oder auch Rettet den Barden!:

    Dieser, dein Band ist im Grunde ein recht tragischer, Veit. Aber weil du uns Irwin geschenkt hast, liest er sich nicht ganz so schwer, wie man meinen möchte. Im Gegenteil, Irwins Perspektive auf das, was passiert, macht alles erträglich, ja fast leicht und beschwingt. Wir danken dir für den adeligen Barden aus Alba, der weiß, wann es Zeit ist aufzufallen, der aber auch gelernt hat, dass es ganz selten auch mal nötig ist, die Arschbacken zusammenzukneifen. Irwin ist ein kleines Highlight der Chroniken geworden und uns allen ans Herz gewachsen.

    Wie immer danken wir auch allen Voraus- und Teilzeitspielern. Wir werden euch nie vergessen! Und einige von euch sind, wie Telos, noch immer da – ganz nah …

    An dieser Stelle erwähnen wir nur diejenigen, die auch im vorliegenden Band erwähnt werden:

    Chris (Bargh Barrowsøn), Dominik (Thorn Gandir), Hoink (Fusulos Konfusius und Mahoon), Moritz (Kauri Akureysan), Peter (Gaan), Roland (Freon Eisfaust und Jagan Kerme), Stefan (Langeladeon), Tom (Herkul Polonius Schroeder)

    Musikempfehlung

    Musik zu einzelnen Szenen, im fortlaufenden Roman an den betreffenden Stellen mit ♫ markiert:

    1) Traum in der Wüste (Kapitel „Die Wüste"): Das Auge Gottes – Das Ding das durch den Wind geht

    2) Schlacht gegen die Scorpios

    - Aufmarsch der Scorpios (Kapitel „Trommeln in der Ferne"): Tambourx Du Bronx – Live 2006, T 09

    - Aufstellung der Scorpios (Kapitel „Trommeln in der Ferne"): Tambourx Du Bronx – Live 2006, T12

    - Vorrücken der Scorpios (Kapitel „Trommeln in der Ferne"): Tambourx Du Bronx – Live 2006, T15

    - Angriff der KEZS (Kapitel „Trommeln in der Ferne"): Eisbrecher – Die durch die Hölle gehen

    - Angriff der MacDragul (Kapitel „Trommeln in der Ferne"): Eisbrecher – Komm süßer Tod

    3) Erinnerung an Lomonds Traum in Valland (Kapitel „Der Morgen danach …"): Deine Lakaien – Lass mich

    4) Stimme des Slarpons in Darceans Kopf (Kapitel: „Herzenswunsch"): Oomph – Ich bin du

    5) Gesang Irwins und der Elfe auf Siralens und Taurons Hochzeit (Kapitel „Geliebter Mensch")

    Asp – Mein Herz erkennt dich immer

    7) Der Traum von der Schwarzen Frau (Kapitel „Schwitzen"): Schweißer – Verwählt

    8) Koljas Traumbotschaft 1 (Kapitel „Alle gegen alle"): Die Verlorenen Söhne – Wenn Brüder sterben

    9) Koljas Traumbotschaft 2 (Nicht explizit im Buch erwähnt): Die Verlorenen Söhne – Verlorene Söhne

    10) Koljas Traumbotschaft 3 (Kapitel „Alle gegen alle"): Die Verlorenen Söhne – Im Namen des Vaters

    11) Im Dschungel der Blaks

    - Erste Warnung der Blaks (Kapitel „Im Dschungel der Blaks"): Yello – Takla Makan

    - Zweite Warnung der Blaks (Kapitel „Lautloser Tod"): Hybrids – Sjamanistic Dream (Ravemix)

    - Angriff auf den Allianzstützpunkt (Kapitel „Lauffeuer"): Hybrids – Sjamanistic Dream (Rave-mix)

    12) In der unterirdischen Anlage Kuirs (Kapitel „Das verbotene Wissen"): Sigur Rós – Svefn-G-Englar

    13) In Nunahr (Kapitel „Fanju"): Yello – Liquid Mountain

    14) Botschaft von den Dragatisten (Kapitel „Am Rand der Welt"): Die Krupps – Für einen Au-genblick

    15) Tyreans Warnung (Kapitel „Kumal"): Stahlhammer – Grabesnacht

    16) Totschas Botschaft (Kapitel „Denn diese Liebe wird nicht untergehen"): Stahlhammer – Für immer

    Die Welt

    Detailkarte El’Chan

    Detailkarte „Kuir und „Nunahr

    Reiseroute

    Detailkarte „Wafnin"

    Allianzflotte

    Durchschreitet man die Nebel, die aufziehen,

    wenn man an den Rand von alledem kommt,

    was im Weltenkreis liegt, so begegnet man dem Edh-Rashu.

    Sein sengendes Auge blickt einem mitten in die bebende Seele.

    Und seine donnernde Stimme fragt:

    Amiainun,

    was bist du, wenn du alles, was deiner Seele äußerlich ist, ablegst?

    Vor den ascheübersäten Feldern stehst du dann

    und siehst die Gescheiterten, die vor dir waren,

    verbrannt im Staub.

    Was bist du?

    Ein Kind.

    Das zitternde Kind blickt dann ins Innerste seines Selbst

    und sieht das hohle Nichts, das dort, hinter der pompösen Fassade,

    sich versteckt.

    „Einheit",

    sagt das Kind.

    „Geh hindurch!",

    spricht der Edh-Rashu

    und das Kind durchschreitet das Tor der Ewigkeit,

    und verschwindet in den Nebeln.

    Amalea im Jahre 349 nach Gründung Fiorinde

    Tausend und dreihundertfünfzig Jahre

    nach Beginn der Chaoszeit.

    Fünfhundert und siebzig Jahre

    nach dem Höhepunkt der Chaosherrschaft.

    Zweihundert Jahre nach der Vertreibung der Chaosmächte

    aus den Gebieten des Nordens, des Ostens,

    des Südens und des Westens.

    Das Dritte dunkle Zeitalter nimmt seinen Lauf. Während die Chaos-Armeen durch die Lande ziehen und Amalea Stück für Stück unterwerfen, zerfällt die Bevölkerung in zwei Parteien. Allianz und Chaosbündnis ziehen in einen letzten großen Krieg.

    In Alba passieren Horden von Orks immer wieder aus dem Norden kommend die Grenzen und beginnen, das Land Stück für Stück zu besiedeln. König Adrian MacGythrun kämpft indes mit einem Problem anderer Art. Trotz seiner allumfassenden Herrschaft bleibt ein kleines Fleckchen Erde von seinen Truppen uneingenommen. Als er mit seinen besten Kriegern und einer Reibarmee aus Orks in besagtes Gebiet, auch als Wald der Dunkelheit bekannt, vordringt, gerät er in einen blutigen Kampf gegen eine kleine Streitmacht von adeligen Rittern, die von einer Armee aus Wölfen und lebenden Skeletten begleitet wird. Adrian MacGythrun stirbt in jener Schlacht. Nach seinem Tod übernimmt seine Schwester und Ehefrau Sirion den Thron für ihren gemeinsamen fünfjährigen Sohn, und öffnet auf Anraten ihres engsten Beraters Jarog Mordo die Grenzen aller Gebiete für eine Besiedelung durch Orks. Den Wald der Dunkelheit lässt sie vollständig abriegeln.

    In Erainn löste der Fall Caeir Isaharas den Untergang der Herrschaft der Menschen aus. Nach dem Verrat durch die Töchter der Schlange wurde das Heer der Vereinigten Erainnischen Fürstentümer in einer alles entscheidenden Schlacht restlos vernichtet. Nun werden die letzten Städte und Festungen von Orks erobert und alle Menschen, denen die Flucht aus ihrer Heimat misslingt, versklavt.

    An den Grenzen Dragatistans herrscht Krieg. Das Land wird immer wieder von den Tulurrim angegriffen, doch die Dragatisten schlagen jeden Eroberungsversuch erfolgreich zurück. Das Land nördlich des Jenisvoi bleibt in den Händen der Anhängerschaft des neuen Gottes Dragati.

    Auf den Kabugna-Inseln endet die Zeit des Friedens. Mehrere Flottenverbände aus Nahualeanca landen und erobern nach und nach einzelne Inseln an der Grenze zu Huatla. Widerstand gegen die Besetzung wird mit dem Tod bestraft. Die mit Huatla verbündeten Stämme der Kabugna-Inseln eilen ihren Bündnispartnern zu Hilfe, doch sie werden von der nahuatlanischen Flotte vernichtend geschlagen. Andere Stämme der Kabugna-Inseln nutzen deren durch die Niederlage verursachte Schwäche und greifen an. Auf den Inseln kommt es zu einem blutigen Krieg der Stämme.

    Im Valianischen Imperium schickt Cäsara Rosmerta dem Bund von Kroisos zehn Legionen zur Unterstützung, wodurch der Bürgerkrieg zwischen diesem und dem Chryseischen Städtebund zugunsten des Bundes von Kroisos ausfällt. Die Kriegsbeute geht größtenteils an die Cäsara. Des Weiteren schickt sie Truppen in einige andere vorwiegend mit ihr verbündeten Teile Amaleas, sodass selbige die Kontrolle über die mit ihnen verfeindeten Gebiete übernehmen können. Ebenso wie das Wermland unterstellen sich die drei Fürstentümer der Küstenstaaten in einer gemeinsamen Erklärung der Oberherrschaft der Cäsara Rosmerta. Als Dank lässt diese den Großen Gryphos, dessen Religion ursprünglich aus den Küstenstaaten stammt, zum einzigen Gott und seine Religion als Staatsreligion im Valianischen Imperium ausrufen. Das Wermland und die Küstenstaaten werden in mehrere Provinzen unterteilt und in das Valianische Imperium eingegliedert.

    Nachdem 348 nGF die reichen Händlerfamilien des nördlichen Aschrans in einem blutigen Überfall auf Billus ihre gesamte militärische Streitmacht verloren haben, lässt Rosmerta sieben an der Grenze zum Wermland stationierte Legionen in den Norden Aschrans einmarschieren, der sich weitestgehend kampflos besetzen lässt. Im Laufe des Jahres wird der Norden Aschrans in zwei valianische Provinzen unterteilt und in das Imperium eingegliedert. Die reichen Händlerfamilien, Adelshäuser und Großgrundbesitzer werden enteignet und versklavt. Jeglicher Widerstand wird brutal niedergeschlagen.

    Bereits 348 nGF griff in Aschran ein riesiges Heer aus valianischen Söldnern, Stadtwachen und Leibgardisten, ausgesandt von den reichen Händlerfamilien des Nordens, die Küstenstadt Billus an und besetzte diese widerstandslos. Gerüchten zufolge hatten Verräter vom Inneren der Stadt aus die Tore geöffnet. Bei der darauffolgenden Eroberung der Festung zu Billus soll Al’Jebal schwer verletzt worden sein. Die Streitmacht der aschranischen Händlerfamilien wurde kurz darauf von einem orkischen Entsatzheer und Al’Jebals Piratenflotte unter Admiral Herkul Polonius Schroeder aus Billus wieder vertrieben und bei ihrem Rückzug von den Targar unter der Führung der Sonnenkönigin vollständig vernichtet.

    Nach seiner Zerstörung im Jahre 348 nGF wird Billus nun wiederaufgebaut. Unterdessen bereitet sich die Allianz unter ihrem Sprecher Al’Jebal auf das Eintreffen der valianischen Legionen unter Cäsara Rosmerta vor und rüstet sich für die Schlachten, die im Gebiet rund um den Hauptstützpunkt Tamang erwartet werden.

    El’Chan

    Im Schatten der Helden

    Orsen Talbot aus der sechsten Kompanie des zweiten Bataillons war ein mustergültiger Soldat. Er befolgte seine Befehle ohne Widerrede. Seine Waffen waren stets sauber und einsatzbereit. Seine Berichte waren exakt so, wie der Hauptmann sie haben wollte: knapp, präzise und vollständig. Er kam pünktlich zum Rapport, zur Wachablöse und er fiel bei Laufübungen nie zurück. Er hatte nur ein einziges Mal aufbegehrt. Das hatte wiederum gereicht, um seinen Dienst in der Sechsten zum täglichen Überlebenskampf zu machen.

    Heute war nichtsdestotrotz ein guter Tag. Orsen befand sich auf dem Weg zur Wachablöse bei Tor Eins, wobei er penibel darauf achtete, einen großen Bogen um das Quartier zu machen. Denn dort widmeten sich die freigestellten Soldaten seiner Einheit gerade einem ihrer fragwürdigen Würfelspiele, die vielmehr darauf abzielten, ihren ohnehin nur rudimentär vorhandenen Verstand im Schnaps zu ertränken, als sich ein goldenes Ohr zu verdienen. Das war nicht seine Welt. Und wenn er es sich genau überlegte, waren Spieler auch nicht seine Art von Leuten.

    Einige seiner Kollegen waren ganz in Ordnung. Ein Großteil der sechsten Kompanie bestand aus Vallandern. Die waren zwar ungebildet und häufig etwas einsilbig, aber man konnte mit ihnen auskommen. Was sie sagten, meinten sie auch. Es gab da allerdings auch ein paar andere Landsmänner, zum Beispiel aus Urruti. Mehr war dazu eigentlich nicht zu sagen. Die Hurruti waren rückständig, sowohl was ihre politischen als auch ihre sozialen Systeme anbelangte. Sie waren für ihre tyrannischen Regierungsformen bekannt und, so zumindest in Orsens Heimat Leeum, als religiöse Fanatiker verrufen.

    Orsen prüfte den Sitz seines Einhandschwertes und lockerte den Gürtel um seine Hüften. Es war kurz vor Sonnenuntergang und seine Schicht begann in einem viertel Glas. Was bedeutete, er war wieder mal zu früh dran. Mit einem verstohlenen Blick auf die Kommandozentrale setzte er seinen Weg zum ersten Tor des Hauptstützpunktes fort.

    Gestern hatte ihm der Große Gryphos einen Blick auf die liebreizende Gestalt der Kommandantin der Landstreitkräfte gewährt. Das hatte ihm den Tag gerettet. Wäre er kein Freigeist aus den Küstenstaaten, sondern ein unkultivierter Rohgeist aus Urruti, hätte er nichts als Verachtung für eine Elfe in Kommandoposition übrig. Aber da er aus Leeum kam und nicht nur ein Faible für Gesetz und Ordnung hatte, sondern auch eine besondere Liebe zur Artenvielfalt, hatte er schon in jüngsten Jahren davon geträumt, einmal einer Frau aus dem Volk der Elfen zu begegnen. Der Große Gryphos hatte ihm diesen Wunsch nie erfüllt, bis er nach seinem Einsatz während der Evakuierung der vallandischen Bevölkerung und seiner anschließenden Ausbildung in Tamang zu dieser Expedition abkommandiert worden war. Zum ersten Mal sah er sich Auge in Auge der Anmut und Schönheit des Elfenvolks gegenüber. Und so geheimnisvoll ihr Antlitz auch in seinen Träumen gewesen sein mochte, die Wirklichkeit machte kein Geheimnis daraus, dass eine menschliche Frau der Schönheit der weiblichen Elfen nicht das Wasser reichen konnte. Nicht eine.

    Siralen Befendiku Issirimen Desin Suren Illju Kogena Senambra – ja, er konnte ihren Namen auswendig, wenn diese Gabe ihm auch kaum die Bewunderung seiner Kameraden einbrachte … Sie war möglicherweise nicht ganz so makellos wie ihre Artgenossen. Aber gerade die kleinen Anomalien in ihrem Gesicht hatten es ihm angetan. Die Narbe auf ihrer Wange, die nicht ganz so reinen Züge, die fast kristalline Oberfläche ihrer Haut …

    Mit einem versteckten Lächeln bog Orsen zwischen zwei Zelten nach Süden ab, wo er an den patrouillierenden Wachen vorbei die Palisade entlang Richtung Strand stiefelte. Die Sonne stand bereits tief. Das während des Tages grelle Licht fiel nun in einem satten Rot wie ein feuerspeiender Drache über ein palmenähnliches Gewächs her, das einige Schritte vor ihm aus dem Boden wuchs. Schwarz zeichneten sich seine gerippeartigen Blattwedel von ihrem blutigen Hintergrund ab und schienen die Umarmung der kühlen Nacht herbeizusehnen. Die Nacht war allerdings nur für die spärlich wachsenden Pflanzen hier in dieser götterverlassenen Gegend ein gern gesehener Gast. Sämtliche Insassen des Stützpunktes fürchteten sie. Denn in der Nacht hatten die Kreaturen aus der Wüste zugeschlagen. Und das konnte jederzeit wieder passieren.

    „Na, wen haben wir denn da?", vernahm Orsen eine ihm wohlbekannte Stimme von hinten. Verdammt! Der Tag war bisher so gut gelaufen. Jetzt nahm er eine unglückliche Wendung.

    Ohne sich umzudrehen, beschleunigte Orsen seinen Schritt und griff nach dem Dolch an seinem Waffengurt. Leichtsinn ist aller Tode Vorspiel.

    „Aber, aber … wer wird denn gleich die Hosen voll haben?", kam es jetzt direkt von vorne. Also waren sie zu zweit, wie meistens. Bevor er erkennen konnte, wer ihm da entgegenkam, packte jemand von hinten seine Waffenhand und bog sie ihm auf den Rücken. Er stöhnte vor Schmerz auf. Dann traf sein Blick auf den Kompaniekameraden, dem er am allerwenigsten über den Weg laufen wollte.

    „Istar. Seine Stimme bebte, und er betete still, dass das sanfte Timbre weder Istar noch seinem Kumpel Jandras auffiel, der sich hinter ihm aufgebaut hatte und seinen Arm fixierte. „Ich dachte, deine Wache beginnt erst nach Mitternacht.

    Gehofft, wolltest du wohl sagen. Ein dreckiges Grinsen legte Istars Pferdegebiss frei. „Aber nein, ich habe meine Schicht getauscht, süßer, kleiner Orsen. Wie lange hatten wir beide schon nicht mehr das Vergnügen, uns Seite an Seite die Füße plattzustehen? Du weißt ja, wie gerne ich deinen Geschichten über die Spitzohren aus Albion lausche. Und dass ich gar nicht genug von deinen Lobliedern auf die Weisheit, Güte und geistige Überlegenheit unserer viel geschätzten Kommandantin der Landstreitkräfte bekommen kann.

    Nur einmal! Er hatte nur einmal widersprochen, als ein paar aus seiner Truppe, darunter selbstverständlich auch das urrutische Großmaul Istar und die hirn- und fleischlose Wurst von seinem Kumpel Jandras über Siralen hergefallen waren. Leider war Istar nicht nur wortführend innerhalb der sechsten Kompanie, er war auch die Krönung der Schöpfung, sobald es darum ging, ihm, Orsen, die Hölle heiß zu machen.

    „Sag mal, Issi", mischte sich jetzt Würstchen Jandras ein, und Orsen war kurz versucht, sich umzudrehen. Das allerdings wäre sein Todesurteil gewesen. Wie zur Bestätigung ließ Jandras sein Handgelenk los, und einen Lidschlag später spürte er, wie sich von vorne die Spitze eines Dolchs in seine Achselhöhle bohrte.

    „Oh nein, süßer Orsen. Schön stillgestanden jetzt. Und du, Jandras, nennst mich gefälligst nicht Issi! Hast du vergessen, was der Name bei mir auslöst?"

    Orsen konnte es nicht sehen, aber er verwettete seine Rüstung darauf, dass sich Jandras gerade die Kauleiste rieb.

    Jetzt trat Istar so nahe an ihn heran, dass Orsen seinen schnapsschweren Atem riechen konnte. „Weißt du eigentlich, dass deine geliebte Elfenkommandantin demnächst ziemlich den Arsch offen haben wird?"

    Orsen zog das Gesicht zurück – gerade soweit, dass Istar sich nicht provoziert fühlte. „Nein. Und ich kann mir auch keinen Grund dafür vorstellen. Aber ich bin sicher, du wirst mir die Sachlage gleich erörtern."

    „Hast recht. Ich will unserem Musterknaben doch keine relevanten Informationen vorenthalten. Wo er doch so scharf darauf ist, alles, was er weiß, brühwarm unserem Brigadier zu verklickern. Zum Beispiel, dass die Jungs und ich gelegentlich gerne ein bisschen dem Glücksspiel frönen. Das hast du nicht für dich behalten können, was, Orsen? Er nickte Jandras zu, der umgehend seinen Hintern in Bewegung setzte. „Und als Strafe hab ich diesen bescheuerten Wachdienst ausgefasst, obwohl ich so viel Besseres zu tun gehabt hätte. Jetzt packten ihn beide an den Schultern, und er wurde zwischen zwei Zelte gezerrt. Kein gutes Zeichen. Sollten sie vorhaben, ihm eine Lektion zu erteilen, würde es wahrscheinlich niemand mitbekommen. In diesem Teil des Lagers war gerade nicht viel los. Um Hilfe zu schreien, war unter den Soldaten wiederum verpönt. Und Orsen dachte nicht daran, als feige Memme dazustehen.

    „Also … ich musste Brigadier Ragna MacGythrun kürzlich zu einer Besprechung mit dem Brigadiersanwärter begleiten, begann Istar leise. „Und weißt du, worüber die beiden geplaudert haben?

    „Ich nehme an, über die Kommandantin der Landstreitkräfte."

    „Volltreffer. Einen Handschlag für deine unsagbare Gerissenheit, Orsilein."

    Jandras stieß ein bescheuertes Lachen aus, und Istars Grinsen weitete sich. „Sie haben also über das Spitzohr geredet, auf das du so abfährst. Sie haben sich darüber unterhalten, dass das Elfenweib keine Kampfmoral hätte, dass sie lieber redet als kämpft und dass sie, wenn sie endlich doch zur Waffe greift, lieber erst dann zuschlägt, wenn der Feind keine Gefahr mehr darstellt. Hast du von dem Kampf auf der Blaurochen gehört, Orsen? Wahrscheinlich nicht. Ich will dir mal auf die Sprünge helfen. Dort haben die Expeditionskommandanten die Verräterin Lucretia L’Incarto gestellt und besiegt. Es heißt, dass die Flok den Löwenanteil im Kampf gegen die Magierin geleistet hat. Erst, als die Verräterin kurz davor war, in ihrem eigenen Blut zu ertrinken, kam dein Elfenschätzchen und hat ihr den Rest gegeben. Danach wollte sie sich als eine große Lebensretterin rühmen lassen. Hat aber nicht funktioniert, weil der Kapitän des Drachenboots, mit dem die Kommandanten zur Blaurochen gesegelt sind, geredet hat."

    „Das ist doch nur Gequatsche", presste Orsen hervor. „Keiner weiß, was auf der Blaurochen wirklich passiert ist."

    „Der Brigadier behauptet, es war nicht das einzige Mal, dass die Elfenkommandantin während eines Kampfs im Abseits stand. Kurz, sie hat keinen Mumm."

    „Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gesagt hat. Unser Brigadier ist kein Elfenhasser wie du und deine Kumpel."

    „Und wenn schon, er kann einen guten von einem schlechten Kommandanten unterscheiden. Und eins ist so offensichtlich wie die Macht Arinnas: Elfen sind Weicheier, die ein menschlicher Soldat, der halbwegs bei Verstand ist, niemals als Anführer respektieren wird. Istar schob seinen Mund ganz nahe an Orsens Ohr. „Dein Elfenherzchen ist ihren Posten als Kommandantin der Landstreitkräfte praktisch schon los, Orsilein. Und ich kann mir kaum vorstellen, dass einer von den Spitzohren übernehmen wird. Auch wenn dir das wahrscheinlich gefallen würde, zumal du wahrscheinlich eine ungefähre Vorstellung davon hast, was einem Elfenanbeter wie dir blühen kann, wenn der richtige Albi das Kommando übernimmt.

    Orsen stieß den Atem aus. Und plötzlich hatte er vergessen, dass die Situation, in der er sich gerade befand, lebensbedrohlich war.

    „Ja, meinst du, Issi? Da fällt mir ein, dass ich mich im Kindesalter sehr für ausländische Namen interessiert habe. Und stell dir vor, die urrutische Namensgebung hat mich besonders fasziniert, zumal eure Eltern dazu neigen, die Kinder nach ihren so verehrten Göttern zu benennen, was an und für sich schon peinlich ist. Aber, was erzähle ich dir? Du weißt es bestimmt besser. Immerhin haben deine Eltern nicht nur einen göttlichen Namen für dich ausgesucht, stimmt’s? Erzähl doch mal, Issi – haben sich deine Eltern etwa ein kleines Mädchen gewünscht? Und waren sie, als sie bei der Geburt deine hässliche Visage zu Gesicht bekamen, hernach so enttäuscht, dass sie dich ihre Enttäuschung tagaus tagein haben spüren lassen? Bist du deshalb ein so betont hartes Arschloch geworden? Damit keiner auf die Idee kommt, dass du aufgezogen worden bist wie eine kleine, schwarzgelockte Göttin?"

    Zu Orsens unendlichem Glück hatte sich Istar noch so weit im Griff, dass er nicht mit dem Dolch zustieß. Stattdessen krachte eine Faust hart wie ein Felsbrocken in sein Gesicht, und Orsen taumelte nach hinten. Einen Fußtritt später änderte sich die Richtung, und er nahm den Weg nach vorne in Angriff, wo ihn ein erneuter Fausthieb in Empfang nahm und zu Boden schmetterte. Lichter explodierten in seinem Kopf, und eine Weile sah er gar nichts. Er spürte nur, dass ihn zwei paar Hände packten und irgendwohin schleiften.

    „…hätte … eine Lektion … dieser Arschkriecher", brachen die Worte wie weitere Fausthiebe in sein betäubtes Gehirn ein und hallten schmerzhaft hinter seinen Augen wider. Als die Bilder des abendlichen Lagers endlich wieder scharf und das Gerede vollständig wurden, hielt Orsen den Atem an. Nicht etwa, weil er gespannt war, was sie nun mit ihm vorhatten, sondern weil das Erste, das er sichtete … und roch … die örtliche Latrine war. Nicht schwer zu erraten, was als Nächstes kam.

    „Bitte nicht", schnappte Orsen, wobei sein Kiefer auffällig knirschte. Wahrscheinlich war er gebrochen.

    „Du steckst doch gerne bis über beide Ohren in der Scheiße, oder nicht?", kläffte Istar und drehte ihm erneut den Arm auf den Rücken. Sofort nahm sich Jandras den anderen Arm vor. Orsen saß in der Klemme. Er konnte sich weder vor, noch zurückbewegen. Und irgendwie glaubte er nicht so recht daran, dass die beiden Gnade walten ließen, wenn er sie nur höflich darum bat.

    „Ich wette, als du gerade im Delirium warst, hast du darüber nachgedacht, ob einer deiner Baumficker-Freunde nicht ein schönes Gespann mit dir abgeben würde …"

    Seine Arme wurden schmerzhaft Richtung Nacken gebogen, und er hatte keine Wahl, als sich vorne über zu beugen. Dann drückte eine kräftige Hand seinen Kopf nach unten und kurz darauf wurde ihm erneut schwarz vor Augen. Als er wieder auftauchte, rang er verzweifelt nach Atem. Der Gestank, der ihm in die Nase stieß, ließ ihn augenblicklich würgen. Ganz zu schweigen von dem Geschmack des Zeugs, das ihm in den Mund gekommen war. Orsen spuckte und hustete. Tränen schossen ihm aus den Augenwinkeln und in seinem Magen rumorte es wie in einem überkochenden Kessel.

    „Ich schätze, dann hast du sicher auch nichts dagegen, wenn es dir einer von uns beiden ordentlich besorgt, was, Süßer?", vollendete Istar seine diffamierende Rede.

    Wieder wurde Orsens Kopf nach unten gestoßen, und er versank in der warmen Brühe aus den Fäkalien des ganzen verdammten Bataillons. Von seinem verzweifelten Kampf gegen das Ertrinken abgelenkt, nahm er kaum wahr, wie ihm sein Gambeson nach oben geschoben und die Beinlinge nach unten gerissen wurden. Erst als er nach Luft japsend wieder auftauchte und sein Kopf mit einem Schraubstockgriff knapp über der Latrine festgehalten wurde, schwante ihm, was die beiden sonst noch mit ihm vorhatten.

    „Nein!"

    „Nicht?", kläffte Istar.

    „Bitte …"

    „Ach komm, ich dachte, du würdest dich freuen."

    „Bitte nicht!"

    Orsen konnte es nicht sehen, aber er hatte den Eindruck, dass Istar und Jandras Blicke austauschten. Dann lockerte sich der Griff um seinen Nacken.

    „Hast noch mal Glück gehabt. Wir nageln keine Kerle. Und wenn du willst, dass wir davon absehen, jemanden für dich zu suchen, der doch darauf abfährt, würde ich mir an deiner Stelle sehr gut überlegen, ob du noch einmal einen Kameraden verrätst."

    Damit verpasste Jandras ihm einen Tritt in den Hintern, und Orson sackte neben der Latrine in die staubige Erde. Er bewegte sich nicht und hoffte, dass die beiden genug von ihrem Spielchen hatten. Erst als er sich sicher war, dass sie weg waren, richtete er sich ächzend auf. Er wischte sich mit dem Handrücken über das dreckverschmierte Gesicht und spuckte ein paar Mal aus. Seltsamerweise roch er nichts mehr, obwohl der Gestank heftig sein musste, der an ihm haftete. Offensichtlich hatte ihm der Schock über das, was noch mit ihm passieren hätte können, den Geruchssinn geraubt.

    Seine Kniegelenke schmerzten, als er sich auf den Rücken drehte und in den langsam dunkler werdenden Himmel starrte. Seine Wache würde er diesmal nicht pünktlich antreten, zum ersten und hoffentlich letzten Mal. Wenn er sich bei seinem Hauptmann mit dieser Geschichte hier rechtfertigen würde, gälte er hingegen erst recht als Kameradenschwein. Also eine weitere Lektion ertragen …

    Was machte er aber jetzt mit Istars Geschichte über den Brigadier MacGythrun und seinen Plänen Siralen Befendiku Issirimen betreffend? War sie wahr, oder wollte ihn Istar nur provozieren? Aber wenn sie wahr war, musste er sie dann nicht der Oberkommandierenden der Landstreitkräfte berichten?

    Am Ende der Welt

    Wüste, wohin man auch sah. Düne an Düne an Düne …

    Hier und da ein zerklüfteter Fels … wandernde Dornenkugeln, vertrocknetes Buschwerk … Na immerhin! Blassgelb und endlos erstreckte sich die unwirtliche Gegend aus Sand hinter den Palisaden des Hauptstützpunktes, entblätterte ungeniert ihren ausgemergelten Leib und wollte auch noch Beifall für ihre glanzlose Weite. Die, das musste er zugeben, unermesslich war. Sandkorn an Sandkorn an Sandkorn …

    Und sie alle hier. Und er mittendrin. Wieso er? Am südlichsten Punkt der Welt, in einer Wüste, die so öde war, dass ihm ganz schwindelig von ihrem Anblick wurde, in einem von Palisaden geschützten Stützpunkt, der überhaupt keine Sicherheit bot, weil der Feind im Sand lauerte und jeden Augenblick zuschlagen konnte – von unten. Freilich von unten, einem Ort, dem kein Bollwerk der Welt standhielt. Jedenfalls wenn es nach der Vision dieser vallandischen Schamanin ging:

    „Und während ich nach einem schattenspendenden Baum Ausschau hielt, sah ich, wie der Schatten, den ich ersehnte, aus dem Wüstenboden kroch. Doch seine Dunkelheit war nicht heilsam, sondern tödlich. Und seine Gewalt war unermesslich. Ich sah, wie sich der Schatten teilte. Es wurden derer viele. Sie alle krochen aus dem Boden. Und sie alle waren mehr als bloße Dunkelheit …"

    Irwin MacOsborn war frustriert. Er war es schon, seit sie Fuß auf diese öde Küste gesetzt hatten. Das Kommandoschiff der Allianzflotte dümpelte dort draußen auf dem Wasser und wachte über diesen götterverlassenen Stützpunkt wie eine Mutter über ihren Erstgeborenen. Wie schön könnte doch alles sein, würde ihm das Expeditionskommando etwas Ruhe gönnen und ihn auf der Meerjungfrau bleiben lassen, wo er endlich sein kleines Orchester zusammenstellen könnte: MacOsborns Sechzehn. Seine Musikanten würden in seinem Namen die größten aller Sonaten, Kantaten, Motetten, Choräle, Arien, Sinfonien darbieten. Aber leider … leider saß er hier vor dem Tor des Stützpunktes im kaum erwähnenswerten Schatten eines welken Strauchs und wartete darauf, dass die Flottenoberkommandantin und die Kommandantin der Landstreitkräfte unter ihrem Sonnensegel eine Entscheidung trafen. Bei dieser Hitze! Wenn sie hier länger ausharrten, würde er dringend einen Sonnenschirm brauchen. Herrje, wo bekam er denn jetzt einen Sonnenschirm her?

    Irwin fischte ein Tuch aus seiner staubigen Gürteltasche, zog seine mittlerweile von der Sonne geröteten Beine an und tupfte sich den Schweiß von der Stirn. Seit einem halben Glas saß er jetzt im kärglichen Schatten dieses Wüstenstrauchs und lauschte sehnsüchtig dem Plätschern des schmalen Baches, der hier, außerhalb des Stützpunktes, ins Meer mäanderte. Die Besprechung, die nicht weit von ihm unter erwähntem Sonnensegel stattfand – damit niemand vom Fußvolk innerhalb des Stützpunktes lange Ohren bekam, verstand sich – zog sich wie erwartet hin. Während die Stimmen der Expeditionskommandanten zu Irwin herüberwehten, begutachtete er den Schutzwall, der mühsam aus den Holzvorräten der Allianzflotte zusammengezimmert worden war und sich in einem ausgebeulten Kreis um die Zelte des Brückenpfeilers zog. Nicht einmal einen Graben gab es! Nur den schleusenähnlichen Bereich innerhalb der beiden Doppeltore, von dem das Militär glaubte, es wäre eine Glanzleistung des vierten Jahrhunderts. Dabei wusste es jeder Wasserträger besser! Die Valiani konnten sich derartiger militärischer Errungenschaften schon vor Valians Zeiten rühmen, als das Imperium noch Magromische Republik hieß und Valian nicht mal Cäsarus war.

    Irwins Augenlid zuckte nervös, als er zu dem Grüppchen unter dem Sonnensegel schielte. Von hier aus hatte die Szenerie der debattierenden Kommandanten etwas von einem Theaterstück: Schwarz und Weiß standen einander gegenüber und trugen einmal mehr einen Kampf aus, wenn auch nur verbal. Derbes Leder auf der einen, hauchdünnes Leinen auf der anderen Seite – der Dämon und der Engel. Sie beschlossen die Rettung der Welt, vielleicht auch ihren Untergang. Die Assassinin und die Elfenkommandantin …

    „Ja, ja, ihr redet und redet und redet. Und meinen Rat ignoriert ihr." Genau das war es nämlich, was das werte Kommando tat – seine Wenigkeit ignorieren – ständig und mit wachsender Begeisterung. Er hatte aufs Heftigste protestiert, als wie aus dem Nichts die Idee aufkam, in die Wüste zu gehen. Aber niemand hatte auf ihn gehört. Nicht einmal sein Mäzen, der Brigadier, wollte ihm sein Ohr leihen, dabei hatte er brav und wie aufgetragen immer schön Bericht erstattet und haarklein erzählt, was sich auf dem Kommandoschiff so alles abspielte.

    Irwin presste die Lippen aufeinander. In – die – Wüste – gehen! Zur Kontaktaufnahme mit den fremden Bewohnern dieses trostlosen Landstrichs, bei denen es sich vermutlich um exakt solche Kreaturen handelte, die in der Prophezeiung der Schamanin blutrünstig mordend aus dem Sand krochen. Man stelle sich das vor! Jemand wollte einfach jegliche Vorsicht fahren lassen und der Küste mit den rettenden Schiffen den Rücken kehren, nur um mit diesen Kreaturen in der Wüste ein Schwätzchen zu halten, wenn sie in diesem endlosen Sand überhaupt zu finden waren. Ganz abgesehen davon, dass sie des Sprechens wahrscheinlich gar nicht mächtig waren. Jemand kümmerte es schlicht und ergreifend nicht, dass eben diese Kreaturen ihnen in der vergangenen Nacht so unheimlich zugesetzt hatten, dass es Tote gab, oder doch zumindest Vermisste. So genau hatte Irwin es nicht mitbekommen. Und wer war dieser Jemand? Ja, selbstverständlich die dunkle Seite des Kommandos, der Dämon, den alle nur Sandkorn nannten.

    Chara Pasiphae-Opoulos war wieder einmal zur Höchstform aufgelaufen. Doch Xan zum Dank wollte kaum jemand etwas von ihrem selbstmörderischen Vorschlag wissen, am allerwenigsten Siralen. Die wollte warten, bis diese unheimlichen Wesen zu ihnen ins Lager gekrochen kamen, um das Gespräch zu suchen. Das würde freilich nicht passieren. Wieso auch? Die Kreaturen konnten sich einfach damit begnügen, die Fremden, die ohne zu fragen Fuß auf ihren götterverlassenen Kontinent gesetzt hatten, Mann für Mann verschwinden zu lassen. Die rostroten Flecken, die in regelmäßigen Abständen den Sand zwischen den Zelten dunkel färbten, legten Zeugnis darüber ab, dass sie es bereits erfolgreich getan hatten. Sie waren alle dem Tode geweiht. Ja, alle! Sie alle hatten keinen Plan, wie sie gegen die Schatten aus der Wüste ankommen sollten.

    Irwin rammte verzweifelt seine Sandale in die trockene Erde und eine kleine Staubwolke stieß ihm ins Gesicht. Ein klägliches Husten später kehrte er zu seiner Feldforschung zurück.

    Die Flottenoberkommandantin wandte der Elfenkommandantin gerade den Rücken zu und entlockte ihren beiden tätowierten Affen von den Hula-Hula-Inseln ein warnendes Knurren. Es stand Chara Pasiphae-Opoulos so sehr ins Gesicht geschrieben, dass er es fast hören konnte: Ich will in diese verfluchte Wüste! Das wollte sie wirklich. Zu warten war ja nicht gerade ihre Stärke. Und meistens bekam die Flok, was sie wollte. Das hatte sie während der Reise über den endlosen Ozean bewiesen. Sie hatte es am Großen Abgrund bewiesen, als sie, allen Kommandanten zum Trotz, den Befehl gegeben hatte, sämtliche Schiffe der tausend Schiff großen Armada über der Götter Grenze zu schicken.

    So gesehen … Beim Gedanken daran, was ihm sonst noch alles blühen konnte, saß es sich plötzlich ganz gut in der Hitze auf dem staubigen Wüstenboden. Ja herrlich, hier zu sitzen und zu schwitzen wie ein von den Göttern ausgekotzter Bettler am Bordstein vor dem prächtigen Bordello Casa Del Gioie in Tremona, nur um darauf zu warten, dass der Tod höchstselbst zu Besuch kam. Von niemandem gesehen, von niemandem gehört, ganz sich selbst, der Hitze und den Dämonen der Wüste überantwortet.

    Ein letztes Mal ließ Irwin seinen Blick über die Palisaden gleiten. An der Fahnenstange neben dem Tor flatterte das Wappen der Allianz im verderblichen Wüstenwind –der Letter A im Kreis der kleinen Lilien, die für die verbündeten Völker der alliierten Streitkräfte standen. Dasselbe Banner hatte die Flok vor wenigen Tagen in eine der zahllosen Sanddünen gerammt. Die Botschaft – still, und doch für alle vernehmbar: Wir sind hier! Ab heute ist dieses Land Besitz der Allianz. „Ich gebe ihm den Namen El’Chan!"

    Irwin kämpfte sich auf die Füße und schleppte sich durch den Sand auf das Sonnensegel zu, das am Ufer des Baches eigens für die Besprechung aufgespannt worden war. Dort stand die Flok mit den anderen Würdenträgern der Allianzflotte zusammen, um über Irwin MacOsborns Schicksal zu entscheiden. Unter dem bleichen Sonnensegel zeichnete sich in schmerzhafter Präzision ihre schwarze Silhouette ab. Und hätte er sich nicht längst an den Anblick der derben Gestalt mit dem Gesicht einer Todesgöttin und an ihre beiden stabkeulenschwingenden, von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln tätowierten Leibwachen gewöhnt, er hätte sich vor Angst in die Hosen gemacht.

    „Unser Auftrag ist klar und unsere Zeit begrenzt." Die Flottenoberkommandantin trat zurück, und ihre Gestalt verschwand im Schatten der beiden Dad Siki Na, die starren Blicks alle Anwesenden taxierten. „Wir müssen kampftaugliche Einwohner finden und sie als Verbündete zurück in unsere Heimat bringen. Wir haben sie gefunden. Holen wir sie uns."

    Irwin war gerade unter das Sonnensegel getreten und suchte nach einem Stuhl oder einer Kiste oder irgendetwas anderem, auf das er sich bedenkenlos setzen konnte. Als er eine stabil aussehende Truhe erspäht hatte, ließ er sich seufzend nieder und spähte zu Siralen Befendiku Issirimen.

    „Wer sagt, dass es sich bei den Bewohnern dieses Kontinents um intelligente Wesen handelt, die, abgesehen vom Jagen und Erlegen ihrer Beute, auch in der Lage sind, Gespräche zu führen und politische Entscheidungen zu treffen?", bemerkte die Elfenkommandantin.

    „Wissen wir nicht, erwiderte Chara und beförderte eine Pfeife aus ihrer Gürteltasche. „Nehmen wir aber angesichts dessen, was uns der Großkönig der Fischmenschen gesagt hat, an.

    „Er sprach von primitiven Lebensformen im Süden", gab Siralen zu bedenken, und Irwin hätte ihr fast recht gegeben.

    „Primitiv aber intelligent …"

    „… und in Anbetracht dessen, welche Spuren sie hinterlassen haben, sollten wir tatsächlich mehr als gewarnt sein." Die Elfenkommandantin schüttelte den Kopf, und eine ihrer kinnlangen Silbersträhnen fiel ihr über die Augen. Unter dem Silbervorhang suchte ihr Blick den Blick des Brigadiers Ragna MacGythrun, der bisher keinen Laut gegeben hatte. Das änderte sich auch jetzt nicht.

    „Brigadier MacGythrun, könntet Ihr Euren Bericht für die Flottenoberkommandantin noch einmal wiederholen? Über die Angriffe auf unseren Stützpunkt vorletzte Nacht."

    „Ich kenne den Bericht", erwiderte Chara.

    Siralen ließ sich davon nicht beirren. „Würdet Ihr, Brigadier?"

    Ragna MacGythrun stieß den Atem aus, was ein wenig genervt klang, wie Irwin fand. „Wie Ihr befehlt, Kommandantin. Nachdem die Soldaten, Späher, Heiler, Zauberkundigen und Handwerker aus Flotte Drei und Vier dem Landeprotokoll entsprechend ausgebootet worden waren, begannen sie umgehend mit der Sicherung des Gebiets und dem Bau zweier Brückenköpfe. Wie vom Expeditionskommando verordnet, wurden die Wehranlagen nicht auf bloßem Sand errichtet …"

    „Saadira Haalands Vision, in der die Wesen aus dem Sand gekrochen kamen", unterbrach Siralen, und Chara durchforstete mit den Blicken ihr Gesicht.

    „…, sondern auf festem Boden. Dennoch kam es bereits in der ersten Nacht zu einem feindlichen Übergriff. Der Feind drang an dem noch unvollendeten Abschnitt der Befestigungsanlage Eins ein und griff an. Bei Sonnenaufgang war alles vorbei. Sämtliche Lagerinsassen waren verschwunden." MacGythruns Mundwinkel zuckte nach unten. „Keine Leichen … sie waren einfach wie vom Erdboden verschluckt. 268 Mann!"

    „Den Rest der Geschichte kennen wir", nahm die Flok den Faden auf.

    Die Elfe lächelte halbherzig. „Richtig. Die Spurensuche brachte ernüchternde Ergebnisse und deine Leute haben uns diese in aller Klarheit dargelegt, Chara. Könntest du sie trotzdem wiederholen? Nur, damit wir uns noch einmal ins Bewusstsein rufen, was uns erwarten könnte, wenn wir den Schutz des Brückenkopfs aufgeben und in die Wüste ziehen."

    Chara nahm einen tiefen Lungenzug und sah Siralen direkt in die Augen. „Sicher kann ich das, bemerkte sie einen Deut zu schneidend. „Die Untersuchung der Assassinen ergab, dass die verschwundenen Lagerinsassen aller Wahrscheinlichkeit nach verschleppt wurden. Darauf weisen die zum Teil tiefen Abdrücke im Sand beim Abzug der noch unbekannten Angreifer hin. Demnach waren die Wesen nach Beendigung ihres Angriffs schwerer beladen als bei ihrem Eindringen ins Lager. Sie dürften außerdem unterschiedlicher Größe und weitestgehend paarweise unterwegs gewesen sein, was ebenfalls an den Spuren abzulesen war. Der Angriff auf das Lager verlief von zwei Seiten aus – an eben jenen Stellen des Schutzwalls, die noch nicht fertiggestellt waren. Wir gehen davon aus, dass es sich um große, achtbeinige Wesen handelt, etwa dreißig an der Zahl …

    „Dreißig, die zweihundertachtundsechzig unserer Leute überwältigen konnten", hakte Siralen ein.

    „Und …" Charas Blick wechselte kommentarlos zu Brigadier Ragna MacGythrun. „… sie sind verletzbar. Die Assassinen entdeckten Blutspuren nicht-menschlichen Ursprungs."

    MacGythrun nickte. „Die Späher haben außerdem berichtet, dass ihre Spuren außerhalb des Stützpunktes auffächern und sich danach in allen Richtungen verlieren."

    Jetzt meldete sich der Brigadiersanwärter Agawen O’Hara zu Wort: „Es wäre unklug, dem Gegner in die Wüste zu folgen und sich auf sein Territorium zu wagen. Unsere Soldaten sind nur zum Teil darauf trainiert, in Hitze und Sand zu kämpfen, und niemand von uns weiß, wie genau das Gelände da draußen beschaffen ist."

    „Genau das ist auch mein Standpunkt", pflichtete Siralen dem Soldaten bei, und Irwin erhaschte einen Blick auf MacGythruns finsteres Gesicht. Der Brigradier war mit diesem Standpunkt anscheinend nicht ganz glücklich. Wie Irwin Ragna kannte, und das war, nebenbei bemerkt, ziemlich gut, hielt er nichts davon, sich hier zu verkriechen.

    „Bleibt die Frage, wie es zu einer Kontaktaufnahme kommen soll, wenn weder sie noch wir Kontakt suchen", lautete Charas Gegenargument.

    „Sie haben bereits Kontakt hergestellt, Chara. Und zwar tödlichen."

    „Und sind ohne Worte wieder abgezogen. Was ist die Conclusio daraus? Etwa einpacken und abhauen? Wird dir der Boden zu heiß, Siralen? Wenn ja, haben wir ein Problem."

    „Ich werde unsere Leute nicht ins Verderben schicken, nur weil wir im Augenblick die Alternative nicht sehen. Es gibt andere Möglichkeiten der Kontaktaufnahme. Erst mal abzuwarten erscheint mir hier am vernünftigsten."

    „Aber sicher nicht am erfolgversprechendsten." Die Flottenoberkommandantin schlug Feuerstein und Eisen aneinander, als müsse sie mit einem Steinhammer ein schmiedeeisernes Tor aufbrechen.

    „Wir gehen davon aus, dass sie wiederkehren werden, setzte Siralen fort. „Bieten wir ihnen doch Geschenke als Zeichen unserer Friedfertigkeit und unseres Respekts dar.

    Ein Schnauben erklang zwischen den Klickgeräuschen des Feuersteins. „Warum wohl werden sie zurückkommen? Weil wir ohne Erlaubnis Fuß auf ihr Land gesetzt haben und sie in der Lage sind, uns ohne Risiko zu dezimieren. Das sind Kämpfer, Siralen. Sie tauchen auf, töten und ziehen wieder ab. Wir haben es hier nicht mit einem Volk der Diplomatie zu tun, sondern mit einem, das den widrigen Verhältnissen der Wüste angepasst ist. Wie, denkst du, wird ein Volk des Kampfes es aufnehmen, wenn wir vor ihm auf die Knie fallen und ihm mit Geschenken zu gefallen versuchen?"

    „Und wie, denkst du, können wir sie dann überzeugen?"

    „Einen Kämpfer überzeugen genau zwei Dinge – Angst oder Respekt."

    Endlich bezog auch Brigadier Ragna MacGythrun Stellung: „Ich sage, wir treten ihnen im Kampf gegenüber. Wenn nicht hier, dann in der Wüste. Bleiben wir am Stützpunkt, werden sie uns weiterhin mit Hilfe ihrer überraschenden Attacken zu Leibe rücken. Hier sind wir ihnen nicht nur ausgeliefert, es wäre auch ein Zeichen der Schwäche, sich hinter diesen Palisaden zu verkriechen. Besser, wir machen Jagd auf sie."

    Ein kurzer, heißer Windstoß fegte durch das Sonnensegel und mehrere Hände glitten nach oben, um Sandkörner von den Augen fernzuhalten. Dann wurde es still, und die Blicke schweiften zum Obersten der Lichtjäger, der gerade hinter die Flottenoberkommandantin getreten war.

    „Das ist es, was sie wollen", bemerkte er gelassen. Eine seiner vom Hals abwärts geflochtenen Strähnen fiel ihm über das linke Auge. Mit dem anderen fixierte er Charas Nacken. „Sie wollen, dass wir ihnen folgen."

    „Mag sein, erwiderte Chara, ohne sich zu ihm umzudrehen. „Kommen wir ihnen doch ein wenig entgegen. Das, was sie wollen, ist nicht zwangsläufig das, was ihnen Erfolg beschert.

    Siralens Blick zuckte zwischen Lindawen, Brigadier MacGythrun und Brigadiersanwärter O’Hara hin und her, als suche sie nach einem Ausweg aus einem Dilemma. Gerade als ein Hauch von Unschlüssigkeit ihre Züge überschattete, trat ein Mann in Schwarz an Lindawens Seite.

    „Wenn ihr mich fraget, was wahrschainelich nicht ist die beste aller Ideen, würde ich antworten, was wahrschainelich nicht ist die beste aller Antworten, dass es ist egal, ob wir folgen ihnen in die Wüste oder ob wir blaiben ħier. Kerrim Ben Yussef, seines Zeichens Sprecher der Assassinen und, was mittlerweile unbestritten war, Rechte Hand von Chara Pasiphae-Opoulos, zog sich seinen Schal vors Gesicht und seine sich viel zu schnell bewegenden Lippen verschwanden hinter schwarzem Stoff. „So oder so sie ħaben den Ħaimvortail.

    „Und was genau wollt Ihr uns damit sagen, Kerrim?", fragte Siralen.

    „Na ja, wie main Schwesterchen schon ħat ausgedrücket es recht aindringelich: Wir brauchen Verbündete. Wir ħaben gefunden solche, die kħönnten werden es. Blaiben wir ħier, verlieren wir Żait, die wir nicht ħaben."

    „Also gehen wir in die Wüste", beschloss Chara die Rede ihres Blutsbruders in knappen Worten und klemmte sich den Pfeifenholm zwischen die Zähne.

    „Oh nein … nein, nein, nein!", wimmerte Irwin und presste die Knie zusammen.

    „Niemand verlangt, dass Ihr mitkommt, MacOsborn", antwortete Chara trocken.

    „Ich dachte, die besten Heldenlieder komponierten jene Barden, die persönlich an den Kämpfen der Helden beteiligt waren, fügte Siralen ironisch hinzu. „Oder etwa nicht, MacOsborn?

    „Oh ja. Ja, ja ja …"

    „Dann schlage ich vor, Ihr packt Eure Laute ein und schließt Euch dem Todesmarsch an." Sie spähte zu Chara. „Ich fürchte nämlich, genau das wird unser Zug in die Wüste sein."

    Ragna MacGythrun bedachte seine Vorgesetzte mit einem prüfenden Blick, woraufhin Siralen ihre Lider senkte. Dann wandte sie sich ab und griff nach dem Umhang, den sie über eins der Seile zur Fixierung des Sonnensegels geworfen hatte. „Aber meinetwegen, folgen wir ihrer Spur – wer oder was auch immer sie sein mögen. Brigadier, sollen wir uns heute Abend besprechen, um Truppenstärke und -zusammensetzung festzulegen?"

    „War das eine Frage oder ein Befehl?"

    „Eine Frage. Habt Ihr eine Antwort für mich?"

    Ragna MacGythruns Griff um den Schwertgriff war ein bisschen zu fest, um seinen Ärger tatsächlich kaschieren zu können. Er war anscheinend nicht zufrieden mit dem Gesprächsverlauf. „Ja, wir besprechen uns am Abend."

    Der Pfeifenholm klackerte leise zwischen den Zähnen der Flok. „Ich nehme an der Besprechung teil, wenn’s keinen stört."

    „Einwände?", fragte Siralen den Brigadier. Als Antwort bekam sie ein stummes Kopfschütteln.

    Ein Zauberkundiger in bunter Robe näherte sich zielstrebig, trat unter das Sonnensegel und schickte einen Blick aus zusammengekniffenen Augen in die Runde. „Frau Pasiphae-Opoulos", begann er mit einer Stimme, deren nasaler Klang sogar Irwin an die Nieren ging. „Wie ich sehe, nähert sich diese Besprechung bereits ihrem Ende, was zu erwarten gewesen war." Das war erst der Anfang seiner Rede, wie Irwin nur zu gut wusste. Der Magier hatte einen Hang zur Übertreibung und Akribie.

    „Nun, Tatsache ist, dass ich als Oberster der Zauberkundigen in jede Entscheidungsfindung miteingebunden werden muss, und zwar spätestens, seit mein geschätzter Kollege Darcean Dahoccu den dazugehörigen Passus in unseren Gesetzestext integrierte. Ihr erinnert Euch gewisslich, dass es darin heißt, jedwede Vorabsprache unter Ausschluss eines Kommandomitglieds sei unzulässig. Ich bin ein solches Kommandomitglied, wurde aber zu meinem Leidwesen nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass eine Besprechung stattfinden soll. Und wenn Ihr Euch bitte auch daran erinnern wollt, wie die Konsequenzen auf einen Gesetzesbruch der erwähnten Art aussehen könnten …"

    „Bedanke mich, Ahrsa, unterbrach ihn Chara. „Ihr habt die Konsequenzen hinreichend erörtert.

    Magus Primus Major Ahrsa Kasai hob das Kinn gerade soweit, dass sein leicht ergrautes, schulterlanges Haar die scharfen Konturen seines Gesichts freigab. „Dann muss ich mich fragen, wieso Ihr derart stur daran festhaltet, dass Ihr mit keinerlei Konsequenzen zu rechnen habt."

    Es folgte ein kühler Wortwechsel zwischen dem Magus, Chara Pasiphae-Opoulos und Ragna MacGythrun. Am Ende war Ahrsa Kasai mit dem Vorschlag, den Feind aufzuspüren, einverstanden. Warum er das war, leuchtete zumindest Irwin MacOsborn nicht ein.

    Enttäuscht umfing er seine Brust mit den Armen und wippte vor und zurück. Wodurch er sich vielleicht auch besser gefühlt hätte, wäre ihm nicht der Gedanke gekommen, dass das kindisch aussehen könnte. Also erhob er sich und richtete sich zu seiner vollen Größe auf – einer sehr beachtlichen Größe, wie jeder der Anwesenden hätte bezeugen können, diese es aber schlicht und ergreifend unterließen, ihn eines Blickes zu würdigen.

    „MacOsborn!"

    Irwin wirbelte herum. „Ja, Frau Flottenoberkommandantin?"

    „Leichtes Gepäck."

    „Wofür?"

    „Die Wüste."

    Irwin biss sich auf die Unterlippe. „Ich komme also mit?", fragte er leise.

    „Ihr habt doch Siralen gehört."

    „Schon, aber …"

    Die Flok schenkte ihm ein Lächeln, dessen Strahlen der Sonne Rawindras Konkurrenz gemacht hätte. Wenn es denn nicht so verdammt zynisch gewesen wäre …

    „Der Tod schreibt die größten aller Epen, ist es nicht so, MacOsborn?"

    Die Bürde des Kommandanten

    Wenn Dunkel und Licht einander berühren, gibt es keine Synthese. Wenn das Licht das Dunkel berührt, gibt es keine Einheit. Wo der Tag der Nacht begegnet, sehen wir nichts, erkennen wir nichts, verstehen wir nichts. Wir sehen nichts, weil dort nichts ist. Wir erkennen nichts, weil dort die Antinomie herrscht. Wir verstehen nichts, weil das Paradoxon den Verstand verschlingt.

    Der Tag verdrängt die Nacht, die Nacht verdrängt den Tag. Wenn Licht und Dunkel einander berühren, gibt es nur ein Entweder-Oder. Dann ist es hell oder es ist dunkel. Entweder gewinnt das Licht oder es gewinnt das Dunkel, aber niemals gewinnt beides.

    (Aus den privaten Aufzeichnungen von Chara Pasiphae-Opoulos, 349 nGF)

    Chara saß auf ihrer Lagerstatt im Kommandozelt und wog die schwarze Rose in ihrer Hand. Sie hatte das Gewicht einer gewöhnlichen Rose, sah aus wie eine gewöhnliche Rose, blühte wie Rosen eben so blühten. Nur, sie verblühte nicht, und ihr Geruch war einzigartig – herber als das Aroma üblicher Rosen. Und es war keine gewöhnliche Rose. Es war ein Geschenk Al’Jebals. Es war wie das Wort des Namais, dem sie heute noch genauso folgte, wie es die einstige Hatschmaschin getan hatte. Kehre zu mir zurück …

    Es war so offensichtlich, dass selbst eine Blindgängerin wie sie es nicht übersehen konnte: Al’Jebal kontrollierte sie noch immer. Und er kontrollierte sie bewusst. Er gab ihr, was sie brauchte, um sein Wort zum Alpha und Omega zu erheben, wie es in ihrer einstigen Heimat Chryseia hieß.

    Und doch, der Meister war verletzbar. Sie hatte die Narbe an seinem Hals gesehen. Sie hatte gesehen, dass selbst der Alte vom Berg fehlbar war. Aber wollte sie es glauben? Was wäre, wenn es niemanden gäbe, der es besser wusste als der Rest? Was wäre, wenn niemand wusste, was es wirklich mit dieser Welt auf sich hatte? Ob sie gerettet werden musste, ob das überhaupt möglich war? Oder ob es nicht besser wäre, sie zu vernichten …

    Al’Jebal war nicht hier, um ihr Antworten zu geben. Und vielleicht hatte er auch keine. Fakt war, dass sie auf sich gestellt war.

    Chara hob die Rose an ihre Nase und sog den seltsamen Duft ein. Dann steckte sie Al’Jebals Geschenk in die wasserdichte Lederrolle und schob sie in ihren Rucksack.

    Nicht ganz. Sie hatte Kerrim, und sie hatte Lindawen. Aber selbst wenn die beiden hinter ihr standen, hatte ihr keiner von ihnen je einen Rat erteilt. Und auch wenn Lindawen jene drei Worte gesagt hatte, die sie nie über die Lippen würde bringen können, stand er im Abseits. So jedenfalls fühlte es sich an. Vielleicht sah er das anders. In letzter Zeit taten sie sich etwas schwer damit, miteinander zu reden. Oder sich auch nur nahe zu sein. Wieso, wusste Chara ebensowenig wie eine Antwort auf die Frage, was genau sie hier eigentlich sollte. Überhaupt gab es viel zu viele Fragen und viel zu wenig Antworten. Aber immer mehr setzte sich zumindest ein Gedanke durch. Er weckte sie morgens auf, wenn sie wider Erwarten doch noch eingeschlafen war, und er ließ sie nachts entspannt die Augen schließen, auch wenn der Schlaf sich trotzdem fernhielt. Der Gedanke war heilsam. Der Gedanke war das Steuer, das sie durch jede Ungewissheit, jede Verwirrung führte, weil sie es in der Hand hatte. Unabhängig von allen Akteuren, die sonst noch in dieses Spiel verwickelt waren …

    Alles, was hier oder in Amalea passierte, alles hatte eine zugrundeliegende Ursache. Manche nannten diese Ursache Wahrheit.

    Es gibt eine Wahrheit, die zum Wegweiser werden kann. Und diese Wahrheit konnte man suchen und finden.

    Siralen ließ die Stirn auf ihre über dem offenen Tagebuch gefalteten Hände sinken und schloss die Augen. Tauron Hagegard liebt Siralen Befendiku Issirimen. Es kam noch besser: Tauron Hagegard, Menschensohn und Piratenadmiral, wollte Siralen Befendiku Issirimen aus dem Geschlecht der Elfen, Tochter eines Verräters am eigenen Volk, zur Frau nehmen. Ein Pirat, der für seine launenhaften Affären bekannt und bewundert wurde, wollte sich für sein restliches, zweifelsohne kurzes Leben an nur eine Frau binden. Und diese Frau war sie.

    Gleich, welche Gefahren dort draußen lauerten, gleich, wie sehr ihr die Verantwortung zusetzte, die sie auf sich geladen hatte, oder wie viel der Entbehrung sie alle, die sie hier einer schier unmöglichen Mission folgten, ertragen mussten, der Alleine hatte sie mit einem Wunder gesegnet. Tauron würde sie heiraten. Es würde eine Hochzeit werden, die Menschen- und Elfenherzen gleichermaßen erstrahlen ließe. Ja, wenn es nach ihr ginge, sollten auch die Zwerge ihre Freude daran haben. Und wie sie ihren zukünftigen Mann kannte, teilte er ihre Meinung. Tauron machte keinen Hehl daraus, dass es ihm völlig einerlei war, ob Elf, Zwerg, Kentaur, Fee oder Vogelmensch … ob Wirtsfrau, Kriegsveteran, König, Bootsmann oder Meisterdieb …, wenn er oder sie das Herz nur am rechten Fleck hatte.

    Langsam kam Siralen auf die Beine, schloss das Tagebuch auf der Truhe, vor der sie gehockt hatte, blickte sich im Zelt um und stellte fest, dass sie ihren Leinensack für die Rückkehr auf die Meerjungfrau bereits gepackt hatte. Sie würden erst in ein paar Tagen ihren Gang in die Wüste antreten, dann, wenn der Brückenkopf fertig ausgebaut und weitere Truppen angelandet waren.

    Ihre Hand glitt zu ihrem Hals und ertastete die Kette mit dem in Silberranken eingefassten Samenkorn. Für einen nichtigen Moment schloss sie die Augen. Sie sah sich mit Tauron am Bug des Kommandoschiffs stehen, während die anderen Besatzungsmitglieder grölend den Jahreswechsel feierten, und vernahm die Worte, die das Eis in ihrem Herzen zum Schmelzen gebracht hatten: „Es ist ein Symbol für die aufkeimende Bindung zwischen uns."

    Schön und gut, jetzt mussten sie erstmal die Verbündetensuche vorantreiben. Tauron hatte ebenso alle Hände voll zu tun wie sie und Chara. Schon die logistische Herausforderung, alle Teilflotten der Reihe nach in Küstennähe vor Anker gehen zu lassen, sodass alle Schiffe aufgerüstet und mit dem spärlich vorhandenen Wasser versorgt werden konnten, war Auftrag genug. Dazu kamen all die ungelösten Probleme. Die Angriffe der Schwarzen Schiffe, die laufende Bedrohung durch die noch unbekannten Verräter von Chaosbündnisseite, das Auftauchen der Dragatisten, Lask Cisch und seine schmutzigen Manifeste, die auch jetzt noch für Unruhen im Flottenverband sorgten …

    Der Landgang war wie die Rettung aus der Isolation, in die sie der endlose Ozean gezwungen hatte. Der Wermutstropfen? Wüste! Totes Land. Aber wie Siralen es bereits gesagt hatte: „Es mag eine Wüste sein, aber wir werden Leben in ihr finden."

    Amieprain! Sie hatten es gefunden. Mochte es auch tödlich sein. Nichts, das den Tod bringt, ist gefeit vor der Sehnsucht nach dem Leben.

    Siralen hob den Kopf und entspannte ihre Schultern. Tauron hatte sie mit seiner fraglosen Liebe wiederbelebt. Und nun empfand sie selbst nichts als Liebe. Mochte sie der Alleine davor bewahren, dass ihre Liebe wie jene des Vaters Tote forderte.

    Mit einem leisen Seufzen trat sie neben das Lager und hob ihr Gepäck auf. Sie warf sich den Leinensack über den Rücken, nahm das Schwert in der Lederscheide von der Mittelzeltstange und schob die Zeltplane zurück. Der Morgen graute und empfing sie mit dem ersten Licht der Sonne, deren Strahlen über den Ozean Richtung Ufer gierten …

    … und von einem Meer aus Metallhelmen zurückgeworfen wurden.

    Siralen zwinkerte und machte einen Schritt zurück. Was, beim Alleinen …

    Kaum einen Steinwurf entfernt standen in einem Karree aus rund siebenhundert Kriegern die schwer bewaffneten Truppen des zweiten Bataillons auf dem freien Platz zwischen den Kommandozelten. Finstere Blicke nahmen sie in Empfang und ließen ihren Magen auf die Größe eines Gerstenkorns schrumpfen.

    „Kommandantin!, schmetterte ihr erbarmungslos die Stimme des Brigadiers Ragna MacGythrun entgegen. „Hiermit fordere ich Euch auf, Euer Amt als Befehlshaberin der Landstreitkräfte zurückzulegen!

    Siralens Rucksack rutschte von ihrer Schulter und landete mit einem leisen Flap auf dem Boden. Sie blickte über die angetretenen Soldaten hinweg und erspähte Chara. Die Flottenoberkommandantin schritt gerade mit vier ihrer Leibwachen die linke Flanke der Einheit entlang, die sich hinter Ragna MacGythrun formiert hatte. Während die Dad Siki Na ihre Stabkeulen bereithielten, blieb die Assassinin stehen. Sie befand sich jetzt genau an der Ecke des Karrees aus Soldaten.

    Siralen kämpfte darum, ihr polterndes Herz zu beruhigen. Einen Lidschlag lang hatte sie geglaubt, Chara würde auf Seiten des Brigadiers Position beziehen. Doch …

    „Siralen wird nichts dergleichen tun", sagte die Flok stattdessen und fixierte den Brigadier mit ihrem Blick. Dann blickte Chara langsam über die Köpfe der Soldaten hinweg. Sie stand exakt an der Flanke der ersten Reihe, sodass sie freie Sicht auf Ragna MacGythrun hatte. Hinter den Männern und Frauen der dreißig Kompanien, darunter zehn Schützenkompanien, stand das Strandtor offen und Chara vernahm das leise Glucksen der Wellen in der Ferne.

    Es war erst gestern Abend gewesen, dass der Brigadier sie aufgesucht und ihr erklärt hatte, er wünsche Siralens Rücktritt. Was eigentlich recht anständig von ihm war. Nicht, dass er Siralens Abdankung wollte, sondern dass er sie, Chara, vorgewarnt hatte. Im Gegenzug hatte sie ihm ihr Wort gegeben, sich aus dieser Angelegenheit herauszuhalten. Es war eine Angelegenheit des Militärs und damit Siralens Sache. Vor nicht allzu langer Zeit hatte Chara die Elfenkriegerin noch vor so etwas gewarnt. „Man kann es nicht allen recht machen."

    Ja, man musste es sich verdammt gut überlegen, wem man den Löwenanteil seiner Aufmerksamkeit schenkte. Die Landstreitkräfte bildeten neben den Seefahrern die größte Fraktion innerhalb der Expedition. Und offensichtlich fühlten sie sich von ihrer elfischen Kommandantin ans Bein gepinkelt. Warum? Sicher nicht, weil Siralen das Wohl ihres eigenen Volks über das der Menschen stellte. Die Elfe hatte bewiesen, dass sie mit Menschen ebenso zurechtkam wie mit ihresgleichen – jedenfalls mit den Zivilisten. Aber die menschlichen Militärs suchten nach einem Anführer, der den Kampf suchte, liebte und in der Schlacht verkörperte. Elfische Krieger waren da ganz anders. Sie beugten sich jedweder Autorität, die vom Elfenrat in ihr Amt gehoben worden war. Siralen hatte in den letzten Monden erkennen lassen, dass sie keine Kriegerin war, jedenfalls nicht vom Format, wie es ein Vollblutkrieger wie Ragna MacGythrun von seiner Befehlshaberin erwartete. Sie hatte die Kriegerin in ihr in den Schatten der Diplomatin gestellt. Leider wollten die Soldaten keine Diplomatin als Anführerin. Und das hier war der Beweis dafür: siebenhundert unzufriedene Soldaten, darunter genug Elfenhasser, die unter einem verstimmten Brigadier zu meutern beabsichtigten.

    Ragna MacGythrun hatte sich zusammen mit der Offizierin Sislin Frejasdöttir und dem Brigadiersanwärter Agawen O’Hara vor seinen Truppen aufgebaut und wartete nun darauf, dass Chara ihre Einmischung erklärte …

    Leider hatte Ragna MacGythrun die Sache gerade zu einer des öffentlichen Interesses gemacht. Das war nicht abgemacht gewesen. Eine offene Rebellion gegen ein Kommandomitglied war gleichbedeutend mit Meuterei gegen das gesamte Kommando.

    Bestandsaufnahme: Die Seefahrer hätten vor nicht allzu langer Zeit beinahe gegen die Flottenoberkommandantin gemeutert, mit anderen Worten gegen sie, Chara. Es kam nicht dazu, weil Roella Kalladan sie rechtzeitig warnte, sodass sie, Chara, die Meuterei abwenden konnte. Jetzt meuterte der Brigadier gegen seine Kommandantin. Wenn er damit durchkam, war für jedermann ersichtlich, dass es erstens sehr angesehene unzufriedene Mitglieder in der Allianzflotte gab und zweitens die Möglichkeit zur Rebellion bestand. Man musste sich nur mit den richtigen Leuten verbünden. Schlussfolgerung: Es wird keine Meuterei geben. Weder heute, noch irgendwann.

    Chara registrierte einen Schatten, der förmlich mit der Seitenwand des Kommandozeltes verschmolz, das sich neben Siralens Zelt befand. Es waren höchstens zwanzig Schritt, welche die Gestalt, die sich dort verbarg, vom Brigadier trennten. Wenn sie richtig sah, hatte der Schatten einen Bogen gespannt und auf den Brigadier gerichtet. Und wenn sie den Schützen richtig einschätzte, war die Pfeilspitze vergiftet.

    „Ich würde mich an Eurer Stelle zurückziehen, Frau Flottenoberkommandantin, holte sie die Stimme Ragna MacGythruns in die Wirklichkeit zurück. „Wenn die Kommandantin der Landstreitkräfte von ihrem Posten zurücktritt, werden meine Leute ihre Waffen stecken lassen und die Sache hat sich erledigt.

    Chara ließ Lindawen aus ihrem Gesichtsfeld gleiten und sah den Brigadier an. Doch bevor sie antworten konnte, zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie vernahm das leise Platschen von Rudern in der Ferne. Auf dem Meer jenseits der Palisade tat sich etwas …

    „Leider kann ich mich nicht zurückziehen", erwiderte sie und lauschte angestrengt auf die Rudergeräusche. Tatsächlich. Da näherten sich Boote. Wie viele? Welche Männer? Unter wessen Kommando? „Was Ihr da angezettelt habt, ist Meuterei!"

    „Achtung!, brüllte Ragna MacGythrun. „Zum Strandtor ausrichten!

    Wie ein Mann schwenkten die Soldaten des zweiten Bataillons herum und standen erneut still – dieses Mal mit Blick zum Tor und bedeutend angespannteren Gesichtern als noch vor einem Augenblick. Jetzt hörte man den dumpfen Aufschlag vieler Stiefel, die im Sand landeten. Dann das Knirschen von Sand und das leise Rasseln von vereinzelten Kettenhemden. Wenig später drangen die Geräusche bewaffneter Männer durch die Schleuse des Torbereichs. Und dann tauchten sie auf. Mit gezogenen Krummsäbeln, Schwertern, Äxten und Messern drängten sie zwischen den offenen Torflügeln hindurch auf den freien Platz. Es war davon auszugehen, dass es sich nur um einen Teil der Seemänner handelte. Der andere besetzte sehr wahrscheinlich die Schiffdecks, um die Ballisten und Hornissen zu laden und zum Stützpunkt hin auszurichten.

    An der Spitze der Piraten erkannte Chara die beiden Anführer. Es war der Admiral höchstselbst, und der riesige Vallander und Vizeadmiral der ersten Flotte Alwin Hjellgard.

    Das bewaffnete Gefolge der beiden Seebären bestand aus einfacher Piraten. Doch dann … Chara sah genauer hin. Jetzt erkannte sie die eigentliche Zusammenstellung: Vallander. Tauron Hagegard und Alwin Hjellgard führten ausschließlich Vallander in den Kampf. Ähnlich wie Ragna MacGythrun. Und jeder wusste, dass Vallander sich seit der Eroberung Vallands durch die Tulurrim höchst ungern gegenseitig bekämpften. Natürlich hatte das, wie alles, eine Vorgeschichte. Kurz bevor die Tulurrim in Valland einfielen, hatten sich die bis aufs Blut verfeindeten Stämme der Freden, Aeglier, Godren und Veidaren widerwillig zusammengerauft, um ihr Volk zu retten und, Al’Jebal sei Dank, ein neues Leben in Aschran zu beginnen. Fast wären sie alle draufgegangen. So etwas schweißt bekanntlich zusammen. Bargh wäre stolz gewesen, hätte er die Verbrüderung seiner Landesgenossen noch erleben dürfen. „Ganz und gar

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