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Frauen im Kriegsdienst: Südtirolerinnen bei Wehrmacht und SS
Frauen im Kriegsdienst: Südtirolerinnen bei Wehrmacht und SS
Frauen im Kriegsdienst: Südtirolerinnen bei Wehrmacht und SS
eBook307 Seiten3 Stunden

Frauen im Kriegsdienst: Südtirolerinnen bei Wehrmacht und SS

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Über dieses E-Book

Krieg ist Männersache?

Nein, auch Frauen sind Kriegs-Akteurinnen. Im Zweiten Weltkrieg gehörten sie ebenso wie Männer zu SS und Wehrmacht. Ob als Flakhelferinnen, Aufseherinnen, SS-Helferinnen oder Funkerinnen: Frauen hielten die NS-Maschinerie am Laufen – und viele reihten sich aus Überzeugung ein.
Thomas Hanifle porträtiert Südtirolerinnen, die auf unterschiedlichen Wegen in den Dienst von SS und Wehrmacht kamen, und geht den Beweggründen für den Dienstantritt ge-nauso nach wie der Frage nach ihrer Mitverantwortung.

» Frauen als Täterinnen im Zweiten Weltkrieg
» Erstmalige Auseinandersetzung mit dem Thema in Südtirol
» Journalistisch aufgearbeitete Frauenbiografien
SpracheDeutsch
HerausgeberEdition Raetia
Erscheinungsdatum21. Apr. 2022
ISBN9788872838419
Frauen im Kriegsdienst: Südtirolerinnen bei Wehrmacht und SS

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    Buchvorschau

    Frauen im Kriegsdienst - Thomas Hanifle

    Thomas Hanifle

    Frauen im Kriegsdienst

    Südtirolerinnen bei Wehrmacht und SS

    Gedruckt mit Unterstützung der Südtiroler Landesregierung, Abteilung Deutsche Kultur

    Bildnachweis:

    Günther Matscher (Anna Ruepp), Privatarchiv: S. 8, 18, 74, 97, 120, 123 | Pfarrarchiv St. Leonhard i. P. / Karl Gögele: S. 10 | Wikipedia / gemeinfrei: S. 12 o., 27 | Flickr / Sergey G: S. 12 u. | Hilde Kerer, Privatarchiv: S. 3, 15, 28, 91, 95, 101, 110 | Hanns Fliri: S. 16 | National Archives and Records Administration (NARA): S. 19 | Verena Neubauer (Therese Marchetti), Privatarchiv: S. 21, 154 | Costantino di Sante, „Criminali del campo di concentramento di Bolzano", Bozen 2019: S. 25, 59 (Aussme), 65 (Aussme) | United States Holocaust Memorial Museum (USHMM): S. 30 | Bundesarchiv Berlin: S. 33 | Landesarchiv Tirol: S. 50 | Klara Wieser (Claire French Wieser), Privatarchiv: S. 72, 77, 87 | Rebekka Rungg, Privatarchiv: S. 93, 149 | Bundesarchiv Koblenz: S. 161, 175 | Martha Flies, Privatarchiv: S. 165, 167

    © Edition Raetia, Bozen 2022

    Projektleitung: Magdalena Grüner

    Korrektur: Helene Dorner, Gertrud Matzneller

    Umschlaggestaltung: Philipp Putzer, www.farbfabrik.it

    Umschlagfoto: Hilde Kerer, Privatarchiv

    Grafisches Konzept: Dall’O & Freunde

    Druckvorstufe: Typoplus, Frangart

    Druck: Tezzele by Esperia

    ISBN 978-88-7283-719-1

    ISBN E-Book 978-88-7283-841-9

    Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.

    Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.

    Inhalt

    Einleitung: Kämpfende und kampfunterstützende Frauen

    Weibliche Kriegshilfe in der Geschichte und Südtirolerinnen im Kriegsdienst

    „Die Frau gehört mit zur SS"

    Frauen als Zivilangestellte der SS und Angehörige der Waffen-SS

    „Über Durchschnitt"

    Hedwig Zonta, Funkerin im SS-Helferinnenkorps

    „Überall einzusetzen"

    Cäcilie „Cilli" Ladstätter, Fernsprecherin im SS-Helferinnenkorps

    „Die Edeldeutsche"

    Maria von Sölder, Sekretärin der Lehr- und Forschungsgemeinschaft SS Deutsches Ahnenerbe und Funkerin bei der Luftwaffe der Wehrmacht

    „Donna uomo"

    Paula Plattner, Sekretärin im Polizei-Durchgangslager in Bozen

    „Ehrendienst am deutschen Volk"

    Weibliche Arbeitsdienste als Vorbereitung für den Kriegsdienst

    Zwischen den Welten

    Klara Wieser, Reichsarbeitsdienst und Kriegshilfsdienst in einem deutschen Reservelazarett

    Die vergessenen Helferinnen und Soldatinnen

    Frauen als Zivilangestellte der Wehrmacht

    Das Blitzmädel

    Hilde Kerer, Nachrichtenhelferin bei der Wehrmacht

    „Wir konnten keine Nacht durchschlafen"

    Anna Ruepp, Flakhelferin bei der Wehrmacht in München

    „Eine schöne Zeit"

    Olga Mellauner, Flakhelferin der Wehrmacht in Sommerrein an der Leitha im Burgenland

    „Da durftest du nichts sagen"

    Zita Ladurner, Flakhelferin bei der Wehrmacht in München

    „Dann erschießen Sie mich doch"

    Aloisia Pechlaner, Kriegsdienst in Soldatenheimen und bei der NS-Volkswohlfahrt

    „Ich habe schön verdient"

    Rebekka Rungg, Mitarbeiterin in einem Offizierskasino sowie Dolmetscherin und Telefonistin bei der Luftwaffe

    „Das Beste herausholen"

    Therese Marchetti, Verpflegungsveranwortliche eines Reservelazaretts in Thüringen

    Die Organisation Todt

    Hitlers Bautrupp und seine Aufgaben in Italien

    Angst als ständiger Begleiter

    Martha Flies, Sekretärin bei Reh & Co. (Organisation Todt)

    Dreckig, anstrengend und asozial

    Frauen in der NS-Kriegswirtschaft

    „Was sollte ich machen?"

    Johanna Giuliani, für die Rüstungsindustrie zwangsverpflichtet

    „Man war eine Null"

    Weitere Südtirolerinnen im Kriegsdienst

    Anmerkungen

    Einleitung

    Kämpfende und kampfunterstützende Frauen

    Weibliche Kriegshilfe in der Geschichte und Südtirolerinnen im Kriegsdienst

    Als Mann verkleidet stand Victoria Savs im Ersten Weltkrieg aufseiten Österreichs gegen die Italiener. Bei einem Angriff in den Sextner Dolomiten soll die Tirolerin, die zeitweilig in Meran lebte, 20 italienische Gefangene trotz feindlichem Artilleriefeuer hinter die österreichische Linie gebracht haben, so die Legende. Dafür erhielt sie die Tapferkeitsmedaille. Die Propaganda entlarvte nach der heldenhaften Aktion ihre wahre Identität und machte aus ihr das Heldenmädchen aus Tirol, umso mehr als sie bei einem Angriff ein Bein verlor. Nach dem Krieg wurde sie vergessen, später schenkte ihr Hitler ein Holzbein und sie ließ sich für die NS-Propaganda einspannen.¹ Jeanne d’Arc, bekannt als Johanna von Orléans, schaffte es im 15. Jahrhundert sogar zur Nationalheldin, als sie es gegen die Engländer aufnahm, die große Teile Frankreichs besetzt hatten. Mit den Truppen des Königs, die sie anführte, befreite sie die Stadt Orléans und den südlichen Teil des Landes von den Aggressoren. Jeanne D’Arc wurde von den Engländern gefangen genommen und hingerichtet, ihr Mythos ist seither ungebrochen.²

    Mit solchen Heldinnengeschichten kann es Anna Ruepp nicht aufnehmen. Die Südtirolerin war gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Flakhelferin der Deutschen Wehrmacht und bediente ein Horchgerät, um feindliche Flugzeuge zu orten. Nachts bewachte sie abwechselnd mit ihren Kameradinnen und bewaffnet mit einer Pistole das Areal ihrer Flakscheinwerfer-Abteilung bei München und hoffte, die Waffe nicht benutzen zu müssen. Über der Uniform der Luftwaffe trug sie die Lammfelljacke des Vaters, damit sie nicht fror. So wie Anna Ruepp ging es Tausenden jungen Frauen, die bei Kriegsende für den Abwehrkampf verpflichtet wurden. Die NS-Elite um Hitler wollte nichts unversucht lassen, um die drohende Niederlage noch abzuwenden.³

    Männer geben, Frauen brauchen Schutz

    Kriegsheldinnen wie Jeanne d’Arc oder Victoria Savs wurden von der Propaganda häufig überhöht dargestellt und sind die Ausnahme in der Geschichte, kämpfende oder kampfunterstützende Frauen wie Anna Ruepp dagegen nicht. Beispiele dafür reichen bis in die Antike zurück: So nahmen Frauen bereits an den Feldzügen Alexanders des Großen teil. Im Dreißigjährigen Krieg versorgten sie im Tross nicht nur die Männer, sondern sie kämpften auch an ihrer Seite. Die Palastwachen im Mongolischen Reich im 14. Jahrhundert und die Kriegerinnen im afrikanischen Dahomey im 18. und 19. Jahrhundert waren als rein weibliche Kampftruppen gefürchtet. Der weibliche Kriegseinsatz war dabei breit gefächert und reichte von der Krankenpflege bis hin zu Frauen, die auch als Scharfschützinnen eingesetzt wurden.

    Anna Ruepp (li.) am Horchgerät in Baden bei Wien

    Der Kriegsraum ist seit jeher jedoch männlich bestimmt. Männer tragen Waffen, kämpfen an der Front, verteidigen die Heimat und erzählen Heldengeschichten. Frauen sind vor allem Opfer und stehen für Heimat und Frieden, vom Krieg erzählen sie kaum. Männer geben, Frauen brauchen Schutz, so der Dualismus, der bis in die Antike zurückreicht und in vielen Kulturkreisen verankert ist.⁵ Im 19. Jahrhundert wurde dieser Dualismus durch die Nationalisierung der Massen nochmals verstärkt, wobei sich die kulturellen Vorstellungen entlang der Koordinaten Volk und Nation orientierten. Im Entwurf von Nation bildete sich eine spezifische Form „des antagonistischen Militarismus mit seinem kriegerischen, heroischen Männlichkeitsentwurf heraus, der die Frau nicht nur vom militärischen, sondern auch vom politischen Bereich ausschloss, weiß die Historikerin Siglinde Clementi.⁶ Militarisierung und Politik ergänzten sich: Die Forderung nach politischen Rechten für alle männlichen Bürger war an die allgemeine Wehrpflicht gebunden, die im Europa des 19. Jahrhunderts in allen Staaten eingeführt wurde. So wurden Militär und Politik zur alleinigen Domäne des Mannes, der Vaterland, Familie und Heimat verteidigen sollte.⁷ Die Praxis sah aber anders aus, denn bei kriegerischen Auseinandersetzungen waren Frauen weiterhin unersetzlich. Außerdem stützten sich die Vorstellungen von Nation und Volk auf die Volksfamilie und hier nahm die Frau unweigerlich eine wichtige Rolle ein. So bekamen Männer und Frauen „auf der Basis des bürgerlichen, polarisierten Geschlechtermodells dichotome Rollen und unterschiedliche Sphären, Identitäten und Aufgabengebiete zugewiesen, die sich zwar hierarchisch gestalteten, sich aber auch komplementär aufeinander bezogen und funktional ergänzten, so Siglinde Clementi.⁸

    Frauen sind unverzichtbare Akteurinnen in der Kriegsmaschinerie. In Lazaretten und Spitälern sind sie mit der Pflege von Verwundeten betraut. Im Bild eine Szene in einem Verwundetenspital in Galizien, 1914/15

    Spätestens mit dem Ersten Weltkrieg wurde die weibliche Beteiligung zu einem Massenphänomen. Hunderttausende Frauen waren nicht nur an der Heimatfront und in der Rüstungsindustrie tätig, sie dienten auch in der englischen Royal Air Force oder wurden in Frankreich, Russland, Deutschland oder Österreich in Feldlazaretten oder Militärhospitälern eingesetzt. Im Zweiten Weltkrieg weiteten sich die Aufgabengebiete der Frauen im Kriegsdienst aus – ihre Anzahl ging in die Millionen. In der amerikanischen Armee dienten rund eine halbe Million, in der Sowjetarmee über eine Million und auch die englische Armee beschäftigte mehr als 200.000 Frauen.⁹ Bis auf die Sowjetunion war es allen Nationen wichtig, dass diese als Helferinnen und Unterstützerinnen der kämpfenden Männer wahrgenommen würden. „Nicht der Militärdienst per se war nun das zentrale Kennzeichen der Geschlechtsunterschiede, sondern der Kampfeinsatz selbst. Waffentragende weibliche Soldaten blieben undenkbar, schreibt die Historikerin Karen Hagemann.¹⁰ Und Hitler-Deutschland? Dort schuf das Nazi-Regime bereits 1935 die rechtliche Grundlage für eine weibliche Wehrpflicht. So sah die allgemeine Wehrpflicht für den Mann eine Klausel vor, dass im Kriegsfall „über die Wehrpflicht hinaus jeder deutsche Mann und jede deutsche Frau zur Dienstleistung für das Vaterland verpflichtet sei.¹¹ Darauf brauchten sich die Kriegsplaner vor allem zu Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht zu berufen, denn viele Frauen meldeten sich aus Kriegsbegeisterung freiwillig. Bis zum Kriegsende waren einige Millionen Frauen nicht nur als Krankenschwestern beim Deutschen Roten Kreuz, als Reichsluftschutzhelferinnen an der Heimatfront, im Reichsarbeitsdienst oder in der Kriegs- und Landwirtschaft tätig, sondern auch in der Gestapo, Wehrmacht und SS. Die Frauen ersetzten die frontkommandierten Männer, sie „agierten mitten im Krieg, fanden sich an nahezu allen Kriegsschauplätzen, weiß die Historikerin Franka Maubach, die den Erfahrungen der Wehrmachtshelferinnen nachgespürt hat.¹² Die Wehrmacht bildete eine halbe Million Frauen zu Nachrichten- und Flakhelferinnen, Funkerinnen oder Bürokräften aus – viele davon begleiteten die deutschen Truppen in die von den Nazis eroberten Gebiete. Vor allem in Osteuropa, in Polen oder in Russland, unterstützten viele Frauen in unterschiedlichen Funktionen auch Verbrechen. „Sie waren ganz in der Nähe der Tatorte; die Entfernungen zwischen den Kleinstädten, wo die Frauen ihrer täglichen Routine nachgingen, und den Schrecken der Ghettos, Lager und Massenhinrichtungen waren nicht groß, urteilt die Historikerin Wendy Lower, die zur Komplizen- und Täterschaft von deutschen Frauen im europäischen Osten geforscht hat.¹³ In der SS peinigten und mordeten KZ-Aufseherinnen unschuldige Gefangene, die NS-Eliteorganisation gründete sogar einen Helferinnenkorps, der sich in die Sippengemeinschaft einfügte. Aber nur wenige Frauen wurden für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen. Die Nachkriegsjustiz traute ihnen weitgehend weder aktives Handeln noch Verantwortung zu, deshalb galten sie „als Statistinnen des Verbrechens", urteilt die Historikerin Marita Krauss.¹⁴

    Vier Pilotinnen der U.S. Air Force vor ihrem Flugzeug, ca. 1944. Derartige Bilder waren häufig propagandistisch ausgeschlachtet.

    Die Sowjetarmee beschäftigte über eine Million Frauen, im Bild Angehörige der sogenannten Nachthexen, eines Nachtbombenfliegerregiments.

    Der Umgang mit den Erinnerungen

    Wie gingen die Frauen mit ihren Erfahrungen um? Die russische Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch hat die Stimmen von Frauen eingefangen, die in der Roten Armee gekämpft haben. Auch solche, die an der Front waren, hätten viele Jahre kaum oder überhaupt nicht über diese Zeit erzählt. Und wenn schon berichteten die Frauen „nicht ihren ‚weiblichen‘ Krieg, sondern den ‚männlichen‘, schreibt Alexijewitsch. Sie passten sich dem festgeschriebenen männlichen Kanon an, der von Heldengeschichten, Technik oder Generälen bestimmt war. Die Journalistin sprach mit Dutzenden Zeitzeuginnen und fand heraus: „Der ‚weibliche‘ Krieg hat seine eigenen Farben und Gerüche, seine eigenen Empfindungen und seinen Raum für Gefühle. Seine eigenen Worte. Darin kommen keine Helden und keine ihrer unglaublichen Taten vor, sondern einfach Menschen, die eine unmenschliche menschliche Arbeit tun.¹⁵

    Diese Stimmen hatten in der Nachkriegszeit bis herauf in die 1990er-Jahre keinen Platz, natürlich auch in Deutschland nicht, weder in der Öffentlichkeit noch in der Forschung. Die allermeisten Frauen, die für Hitler-Deutschland Kriegsdienst geleistet hatten, fügten sich dort mehr oder weniger unbehelligt in die Nachkriegsgesellschaft ein. Wenn ihre Rolle während des Krieges überhaupt thematisiert wurde, wurden sie als unschuldige Kriegsopfer dargestellt, wie häufig in der Geschichte. In der deutschen Nachkriegsgeschichte wurden aus ihnen sogar Heldinnen, „die den Trümmerhaufen beseitigen mussten, welchen Deutschlands beschämende Vergangenheit hinterlassen hatte", urteilt die Historikerin Lower.¹⁶ Und auch für Karen Hagemann versuchte Westdeutschland seine „Verantwortung und Schuld mit einer Opfer-Erzählung bewältigen zu können, die sich auf die alliierten Flächenbombardements, Nachkriegsvertreibungen und Massenvergewaltigungen durch die Sowjets konzentrierte"¹⁷.

    Die Kriegskameradinnen blieben auch nach dem Krieg in Kontakt, sie trafen sich regelmäßig in kleinen Gruppen und erinnerten sich an die gemeinsame Zeit. Es mag befremdlich klingen, aber für viele dieser Frauen waren es die schönsten Jahre ihres Lebens: Sie waren jung, ungebunden, sie konnten reisen und neue Länder kennenlernen, viele von ihnen verliebten sich im Krieg das erste Mal.¹⁸

    Auch Südtirolerinnen, die für NS-Deutschland Kriegsdienst leisteten, berichteten von schönen Momenten im Krieg. Aloisia Pechlaner arbeitete in einem Soldatenheim in Neapel und verbrachte ihre Freizeit gerne am Strand, deutsche Soldaten führten sie in der Stadt aus. Olga Mellauner war als Flakhelferin im Burgenland stationiert, Anfang 1945 flüchtete sie vor den heranrückenden Russen. Die Zeit blieb der Brixnerin trotzdem gut in Erinnerung, vor allem die weibliche Kameradschaft. Zita Ladurner feierte ihren 18. Geburtstag während der Ausbildung zur Flakhelferin in Baden bei Wien. Es war Winter, täglich gab es Fliegeralarm, aber „Sorgen hattest du keine", kommentierte die Algunderin noch Jahrzehnte später, im Gegenteil: Es gab sehr schöne Momente und sie gingen sogar ins Kino.¹⁹ Hilde Kerer war zuerst in Minsk und später in Poitiers in Frankreich als Nachrichtenhelferin für die Wehrmacht tätig. Dort kaufte sie sich im Mai 1944 einen Tennisschläger und spielte in jeder freien Minute mit ihren Kolleginnen. Mit diesen machte sie außerdem Ausflüge in der Gegend oder ging paddeln, am Pfingstmontag 1944 plante sie einen Reitausflug. Die Notizen in ihrem Tagebuch lesen sich wie ein Urlaubsaufenthalt. Erst als die Alliierten in der rund 300 Kilometer entfernten Normandie landeten, hält auch der Krieg darin Einzug. „Die Arbeit ist ins Vielfache gestiegen. Die Terroristen machen unser Gebiet unsicher", schrieb Hilde Kerer.²⁰ Anfang August verließ die Brixnerin fluchtartig mit ihrer Abteilung das von den Nazis besetzte Land.

    Die meisten der Südtirolerinnen im Dienst der SS und Wehrmacht kehrten nach Kriegsende in ihre Heimat zurück. Von ihren Erfahrungen als Nachrichten- und Flakhelferinnen, Sekretärinnen und Funkerinnen, Mitarbeiterinnen von Soldatenheimen oder Verpflegungsverantwortliche eines Lazaretts berichteten sie kaum etwas, es wollte auch niemand etwas davon wissen. Warum auch? Der Krieg war endlich vorbei, in Südtirol stand das zähe Ringen um eine echte Autonomie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Eine selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit stand über Jahrzehnte nicht zur Debatte. Die Nachkriegsgeneration wuchs damit auf, sich als Opfer der Diktaturen von Mussolini und Hitler zu verstehen.

    Kameradschaft spielte auch unter Frauen im Krieg eine große Rolle. Im Bild die Brixnerin Hilde Kerer (re.) mit ihrer Kollegin Elfriede Zeidler.

    Dass die Väter und Großväter als Soldaten der Wehrmacht und SS auch an Kriegsverbrechen beteiligt waren, wurde lange Zeit überhaupt nicht oder nur in Ansätzen thematisiert²¹ – bis heute fehlt eine breite öffentliche Diskussion darüber. Im Gegenteil: Die Südtiroler Soldaten wurden in Todesanzeigen, Nachrufen und vor allem bei Gedenkfeiern vor Kriegerdenkmälern und auf Soldatenfriedhöfen heroisiert, die Gefallenen als Kriegsopfer mythisiert, die lediglich ihre Pflicht erfüllt hatten.²² Ehemalige SS- und Wehrmachtssoldaten trugen bei solchen und ähnlichen Anlässen sogar ihre Tapferkeitsmedaillen zur Schau.²³ Bis heute geben die Sinnsprüche auf den Kriegerdenkmälern in den Ortschaften ein verzerrtes und einseitiges Geschichtsbild wieder. Südtiroler Deserteure aus der Wehrmacht, Widerständler, Verfolgte und Ermordete des NS-Regimes finden darin keinen Platz. Und die Frauen, die Kriegsdienst geleistet hatten? Auch sie kommen bei der Heldenschau und bei Gedenkveranstaltungen nicht vor. Wenn schon finden sie sich als steinerne Witwen bei den Kriegerdenkmälern dargestellt, die um ihre gefallenen Männer trauern – und entsprechen so eben jenem Bild der Frau in einem männlich dominierten Kriegsraum, das über Jahrhunderte hinweg transportiert wurde.

    Während Männer auf Kriegerdenkmälern heldenhaft mythisiert werden, werden Frauen, wenn überhaupt, als trauernde Witwen und Mütter dargestellt. Im Bild das Kriegerdenkmal in Naturns

    Optantinnen als Kriegshelferinnen

    Aber was hatten die Südtirolerinnen überhaupt zu erzählen? Wie kam es dazu, dass sie Kriegsdienst für das Nazi-Regime leisteten? Meldeten sie sich freiwillig oder wurden sie zwangsverpflichtet? Welche Aufgabengebiete und welche Handlungsspielräume hatten sie in diesem männlich dominierten Kriegsraum? Waren einige nahe an den NS-Verbrechen dran oder vielleicht sogar daran beteiligt? Was bekamen sie mit? Welche Verantwortung tragen sie? Diesen Fragen geht dieses Buch nach. Es beschäftigt sich mit den Biografien von Südtirolerinnen, die im Unterschied zu ihren deutschen Kameradinnen nicht in Hitler-Deutschland, sondern hauptsächlich in Südtirol sozialisiert wurden, das seit 1919 zu Italien gehörte. Der italienische Faschismus, der die deutsch- und ladinischsprachige Minderheit seit 1922 unterdrückte, war dabei prägend. Die meisten der porträtierten Frauen besuchten ausschließlich italienischen Unterricht, da die deutsche Sprache verboten war. Wenn überhaupt erlernten sie das Lesen und Schreiben in der deutschen Sprache in einer der Geheimschulen, die es in fast allen Ortschaften Südtirols gab. Als Hitler in Deutschland die Macht ergriff, wuchs bei vielen Südtirolerinnen und Südtirolern nicht nur das Selbstvertrauen, sondern bald auch die Hoffnung, dass Hitler Südtirol wie das Saarland zurück ins Reich holen würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich längst der Völkische Kampfring Südtirol VKS als nationalsozialistische Volksgruppenorganisation formiert, die bald in fast allen Dörfern einen Ableger hatte. Mindestens drei Frauen, die später in den Kriegsdienst für NS-Deutschland eintraten, bewegten sich als Jugendliche und junge Frauen in den VKS-Kreisen, waren regelmäßig bei Treffen dabei oder führten sogar eine Jugendgruppe. Der VKS war nicht nur wie die NSDAP organisiert und strukturiert, er übernahm auch die nationalsozialistische Weltanschauung und vermittelte diese bei Schulungen und Treffen weiter.²⁴ Maria von Sölder, die später für die SS und die Wehrmacht tätig war,

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