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Heroes vs. Wizards
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eBook535 Seiten7 Stunden

Heroes vs. Wizards

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Über dieses E-Book

Willkommen in einer Welt, in der sich zwei Mächte, so alt wie die Zeit selbst, seit Ewigkeiten bekämpfen. Eine niemals endende Schlacht zwischen Helden und Zauberern.
Marcus French lebt mit seiner Familie in der amerikanischen Großstadt Cherryhome. Sein Leben, welches er stets im Schatten seines heldenhaften Vaters gelebt hatte, nimmt eines Abends eine schicksalshafte Wendung. Von Rache getrieben, beschließt er selbst zu dem zu werden, was er sich nie hätte träumen lassen: ein Held.
Unwissentlich betritt er eine Welt, in der seit Anbeginn der Zeit Konflikte herrschen und Gefahren von allen Seiten lauern. Als Marcus und seine Familie einem hinterhältigen Angriff nur knapp mit dem Leben entkommen, beschließen er und seine beste Freundin, Truma Seymour, sich dem geheimnisvollen Bund "Ambrosias Wächter" anzuschließen, um gegen die dunklen Mächte zu kämpfen, die Tag für Tag näher rücken und an Macht gewinnen.
Egal welchen Gefahren er und seine neuen Freunde auch trotzen, das meistgefürchtetste Gefecht scheint sich in der einst so friedlichen Stadt zu bewahrheiten – eine Schlacht um das Schicksal von Cherryhome.
Als das Leben eines Freundes auf dem Spiel steht, wird Marcus ungewollt zu einem Mitspieler im erbitterten Kampf zwischen den Helden und den Zauberern.
Ein Krieg wird kommen… aber kann er noch verhindert werden?
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum17. März 2022
ISBN9783754960783
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    Buchvorschau

    Heroes vs. Wizards - Oliver Kaposi

    H vs W fertig

    HEROES VS. WIZARDS

    OLIVER KAPOSI

    Impressum:

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Veröffentlicht im Tribus Buch & Kunstverlag GbR

    März 2022

    1. Auflage

    Alle Rechte vorbehalten

    Copyright © 2022 Tribus Buch & Kunstverlag GbR

    Texte: © Copyright by Oliver Kaposi

    Lektorat: Daniela Vogel

    Druck: epubli, ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    Coverdesign: Valmont Coverdesign

    Bildmaterial: Canva, Pixabay

    Layout: Verena Valmont

    Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und wird strafrechtlich verfolgt.

    Tribus Buch & Kunstverlag GbR

    Mittelheide 23

    49124 Georgsmarienhütte

    Deutschland

    Besuchen Sie uns auf:

    www.tribusverlag.de

    KAPITEL 1: DAS MÄRCHEN VON HELDEN UND ZAUBERERN

    Ich weiß noch genau, dass ich immer das Märchen vom Helden Balthazar am meisten geliebt habe. Keine andere Geschichte hat mich so sehr in ihren Bann gezogen. Seine Rüstung aus pechschwarzem Stahl und seine Lanze, welche sich in eine lebendige Schlange mit einer messerscharfen Zunge verwandeln konnte, faszinierten mich jedes Mal, wenn Mom mir das Märchen vorlas. Ihre Stimme bebte stets, wenn sie die Worte des Helden aussprach, die gedruckt auf dem Papier standen. Sein Abenteuer war immer das Gleiche. Er musste seinen besten Freund, den Thronerben vom Königreich Orgon, Prinz Haldekar, aus den Fängen des mächtigen Zauberers Thornell und dessen magischen Gefolgsleuten retten. Obwohl ich jede Phase, jeden Kampf und jedes Gespräch der Geschichte nachplappern konnte, bat ich Mom immer wieder aufs Neue, sie mir vorzulesen, während ich unter meiner samtweichen, kuscheligen, dunkelblauen Decke mit goldenen Sternen lag. Mom und ich hatten aus diesem Grund eine Vereinbarung getroffen. Zuerst wählte sie ein Märchen aus, das sie mir vorlesen durfte und dann durfte ich mir eins aussuchen. Selbstverständlich wählte ich immer den Helden Balthazar. Während ich Moms Stimme horchte, die nach dem großen Kampf immer leiser und sanfter wurde, fielen mir meine Augen zu und ich begann zu träumen. Mom gab mir noch einen letzten Kuss auf meinen Kopf, strich mir über die Wange und verließ mein Zimmer.

    Geschichten über tapfere Helden und mystische Zauberer begleiteten mich mein ganzes Leben lang. Wie nahe ich dieser legendären Erzählung tatsächlich stand, erfuhr ich erst mit fünfzehn Jahren, als Dad mir und meiner Schwester Daisy ein Geständnis machte. Wir saßen beim Tisch und aßen Moms köstlichen Braten, ich mit Reis und Daisy mit Kartoffeln, als mein Vater die Bombe platzen ließ: Dass er in Wahrheit ein Held sei und er gemeinsam mit seinen Freunden, mit denen er bereits seit der High School befreundet war, Mitglied einer Heldenallianz war. Ich spürte, wie die einzelnen Reiskörner aus meinem weitgeöffneten Mund wieder auf den Teller fielen.

    Dad hatte keine Superkräfte, er war allerdings ein begabter Kämpfer. Er hatte Daisy und mir erzählt, dass er bei einer seiner vielen Missionen, (So nannten er und seine Heldenallianz ihre Aufträge, welche sie von wichtigen oder reichen Geschäftsleuten, Managern oder sogar dem Bürgermeister unserer Stadt erhielten. Wenn sie am Tag oder in der Nacht durch die Straßen unseres Städtchens streiften, dann nannten sie dies eine Patrouille) einst gegen fünf maskierte Männer gleichzeitig gekämpft hatte. Sie waren dabei, einen Juwelier auszurauben, und hielten dabei ein Dutzend Menschen als Geiseln. Die klassische Geschichte eines Helden. Dad zeigte uns sein Kostüm, seine Maske und sogar seine Waffen. Er trug bei jeder seiner Missionen eine kugelsichere, smaragdgrüne Rüstung mit einem großen, roten X, welches quer über seinen gesamten Oberkörper reichte. Immerhin lautete sein Heldenname »Warrior X« und der Buchstabe war sein unübersehbares Markenzeichen. Seine Maske hatte kein Gesicht, nur zwei dunkle, rechteckige Höhlen, aus denen er blicken konnte, um nicht blind durch die Stadt zu laufen. Am meisten fasziniert allerdings waren Daisy und ich von seinen Waffen. Dad hatte zwei davon. Die Erste war eine auf den ersten Blick gewöhnliche Pistole, welche allerdings Kugeln verschoss, die einen kleinen Mikrochip in sich trugen. Er konnte ein Signal senden und so die Kugeln explodieren lassen, sie unter Strom setzen oder sie versprühten ein grelles, rotes Gas, das stark in den Augen brannte und einem die Kehle zuschnürte. Seine zweite Waffe war ein spiegelndes Schwert. Zunächst hielten weder Daisy noch ich es für etwas Besonderes. Es sah zwar aus, wie aus einem Fantasyfilm, aber im Vergleich zu der Pistole mit deren wandelbaren Kugeln, sah dies doch etwas weniger beeindruckend aus. Ich fragte Dad, wieso sein Schwert so spiegelte. Er setzte sich hin, nahm es in seine beiden Hände und sprach mit seiner sanften Stimme zu mir.

    »Das hat einen ganz bestimmten Grund, Marcus«, sagte er zu mir. »Spiegel sollen der Legende nach die Macht haben, die offensiven Zauber der Zauberer abzublocken, um sie zu ihnen zurückzuschießen. Stell dir vor, dass ein aggressiver Explosionszauber auf dich zu rast, sowie ein Baseball, dann kannst du das Schwert wie einen Schläger nehmen und den Zauber zu deinem Feind zurückschleudern.«

    Ich verstand nicht, was Dad mit offensiven Zaubern und die Macht der Spiegel, die sie auf sie hatten, gemeint hatte. Doch ich war noch jung und alle existierenden Details wurden vor mir, Daisy und allen anderen Kindern und Jugendlichen, die ich kannte, so gut es ging, ferngehalten. Ständig wurde von jedem Erwachsenen, den wir gefragt hatten, gesagt, dass wir noch nicht reif oder erfahren genug wären, uns in diesen ewigen Konflikt hineinziehen zu lassen.

    So ging mein Vater jede Nacht, manchmal sogar jeden Tag in unseren Stadtteil, der amerikanischen Großstadt Cherryhome und sorgte mit seiner Pistole, seinem Schwert und seinen Mithelden für Recht und Ordnung. Sie kamen zur Hilfe, wenn die Polizei nicht rechtzeitig zur Stelle war oder unsere Gesetzeshüter einem Feind gegenüberstanden, der sie und ihre Fähigkeiten weit übertraf. Für viele Jahre, ungefähr bis ich achtzehn wurde, fühlte ich mich sicher und schlief jede Nacht wie ein Baby, weil ich wusste, dass Dad draußen in der Stadt war, um mich, Daisy und Mom zu beschützen. Meine Mutter sah das nicht so entspannt. Wenn ich am Morgen erwachte und mich zum Frühstück in unser Esszimmer begab, schlief Dad oft noch in seinem Bett. Für gewöhnlich kam er erst um vier Uhr morgens, manchmal sogar um fünf zu Hause an. Mom tat bis dahin kein Auge zu. Ich dachte immer, dass sie es tat, weil sie Angst hatte, Dad an die Bösewichte zu verlieren.

    »Keine Sorge, Mom«, versuchte ich sie eines Nachts zu trösten, als ich sie um zwei Uhr morgens weinend und schluchzend in unserem gemütlichen Lehnstuhl im Wohnzimmer sitzend sah. »Dad wird schon nichts passieren. Er ist einer der besten Kämpfer, die ich kenne und tatsächlich kenne ich sehr, sehr viele. Außerdem sind seine Freunde bei ihm, ebenfalls erfahrene Helden. Ich bin mir sicher, dass sein bester Freund von allen, Razor, nie zulassen würde, dass Dad etwas passiert. Niemals.«

    Meine Worte schienen sie nicht wirklich zu beruhigen. Sie strich mir jedes Mal über den Kopf, sah mir in die Augen und sagte, dass dies leider nicht so einfach wäre. Auch das verstand ich für viele Jahre nicht. In jeder Nacht, wenn Dad fort war, sagte sie mir das immer wieder. Es war wie ein Rätsel, das ich nicht lösen konnte, auf das ich jedoch immer stieß.

    Auf all die vielen, vielen Fragen fand ich erst eine Antwort, als ich mich von all meinen kindlichen Illusionen verabschiedete und beschloss, mir mein eigenes Bild zu machen. Ich war nicht immer ein einfaches Kind. Die schwierige Pubertät blieb bei mir zwar aus (im Gegensatz zu Daisys). Als ich siebzehn wurde und meine Nase endlich einmal in Bücher und Recherchen steckte, anstatt in den After der vielen Propagandageschichten meiner heldenhaften Familie und deren Heldenfreunde, erkannte ich, wovor all die Erwachsenen mich und meine Freunde hatten schützen wollen. Ich fand heraus, von welchem Konflikt sie andauernd sprachen und welche Unterschiede es zwischen Helden und Zauberern gab. Als ich endlich mit offenen Augen durch die Welt ging, erkannte ich auch, weshalb Mom jedes Mal weinend im Lehnstuhl saß, wenn Dad mit Razor fort war.

    Als ich eines Tages in der Bibliothek saß, umgeben von einem riesigen Berg Bücher, Tagebücher, Notizen, Berichten und Recherchen, kam mir jede Stunde, die ich in dem Gebäude verbrachte, vor wie ein kurzer Moment in meinem langen Leben. Wie ein flüchtiges Blinzeln kam mir die Zeit vor, die ich an dem dunklen, hölzernen Schreibtisch verbrachte.

    Um eine Antwort auf all meine Fragen zu erhalten, wobei manche sich immer mehr in einem Dickicht aus Rätseln zu verirren schienen und andere wiederum mir nicht einmal einen Hinweis geben wollten, wo ich mit meiner Suche beginnen sollte, musste ich zurück zum Anfang. Zu jener Frage, die jedem Einzelnen von uns im Kopf herumschwirrte wie ein verirrtes Kind auf einem Rummelplatz, das verzweifelt seine Eltern suchte: »Was ist der Unterschied, zwischen Helden und Zauberern?«

    Ich kämpfte mich durch viele Bücher und Lexika, manche von ihnen wogen bestimmt mehr als ich, doch eine richtige Antwort auf meine Frage offenbarten sie mir nicht. Ständig wurde nur über Theorien und Vermutungen berichtet. Gelegentlich stolperte ich über eine Sage, die sich vor Tausenden von Jahren zugetragen haben sollte (vielleicht ..., oder doch nicht ..., aber es gab die Möglichkeit ..., oder es war nie so geschehen), aber eine befriedigende Lösung auf mein Rätsel fand ich nicht. Erst als ich über eines der Werke von Professor Grey Nollten stolperte – »Der älteste Krieg – eine Sammlung historischer Fakten von Helden und Zauberern« – erhellte endlich das grelle Licht des Wissens die tiefsten Kammern meines Gehirns. Das Buch war in einem dunkelvioletten Einband gebunden und hatte einen ganz eigenartigen, alten Geruch. Als hätte das Buch jahrhundertelang darauf gewartet, dass es endlich jemand liest oder zumindest über die ersten zwei Seiten hinaus kam. Aber Professor Nollten wusste, wie er selbst langweilige und staubtrockene Themen spannend und mit einem gewissen spießigen Humor auflockern konnte. Als würde man Schokosauce einem trockenen Kuchenteig ohne Farbe oder Geschmack beimengen.

    Der grundlegende Unterschied zwischen Helden und Zauberern lag in ihren Kräften. Sarkastisch erhob ich mitten in der stillen Bibliothek meine Stimme und gab ein, »Wer hätte das gedacht?«, von mir. Sofort zog ich unzählige finster blickende Augen auf mich, inklusive eines boshaften »Ssssshhhhhh« der Bibliothekarin.

    Die Kräfte der Helden wurden »Superkräfte« genannt und waren an ihre Körper gebunden. Das bedeutete, dass sämtliche Fähigkeiten der Helden ihren Ursprung in ihrem Leib hatten, den sie verstärkten oder mit zusätzlichen Mächten und Kräften ausstatteten, um den Helden zu unterstützten und zu beschützen. Laseraugen, Superstärke, Elastizität, Lichtgeschwindigkeitstempo, Größenveränderung, Unsichtbarkeit – all diese Superkräfte hatten etwas mit dem Körper zu tun, den sie veränderten oder modifizierten. Helden hatten außerdem nur eine einzige Superstärke. Sie konnten also entweder fliegen oder sich wie ein Gummiband dehnen, aber beide Fähigkeiten auf einmal waren nicht möglich.

    In die endlosen Reihen der Helden hatten sich auch Menschen dazugesellt, die zwar keine Superkräfte hatten, allerdings auf andere Hilfsmittel oder erlernte Fähigkeiten zurückgriffen. So war es in der Vergangenheit üblich, dass die besten Ritter oftmals in den Rang eines Helden erhoben wurden, weil sie sich aufgrund ihrer überragenden kämpferischen Fähigkeiten mit einem Beschützer der Menschen messen konnten. Zunächst hielten die Helden nicht viel von dieser Ehre. In einer gewissen Zeitspanne der Vergangenheit galt es sogar als Beleidigung, wenn ein Mensch sich mit einem Helden gleichstellen wollte. Immerhin lautete der uralte Eid eines Helden, dass er die Unschuldigen beschützen musste. Wenn ein Mensch sich ihnen nun anschließen würde, dann würde ihre gesamte Ideologie, ihr Kodex, dem sie ein Leben lang gefolgt waren, zunichtegemacht werden. Denn, wer brauchte Helden, wenn die Menschen sich selbst beschützen konnten? Es gab sogar im 16. Jahrhundert eine Tradition, dass die Helden an einem gewissen Tag im Oktober die Menschen jagten, die auf eine Stufe mit ihnen gestellt wurden. Dieser Feiertag wurde »Dorekai« genannt, was so viel wie »die Jagd der Narren« bedeutet. Diese grausame Tradition fand jedoch erst Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts ein Ende, nachdem der Rat der Helden beschlossen hatte, all ihre Bewunderer, die ihr Leben dem Heldentum verschrieben hatten und ihren mächtigeren Brüdern und Schwestern mit Superkräften halfen und sie unterstützten, aufzunehmen. Mitte des 19. Jahrhunderts machten sowohl die Menschen als auch der Rat keinen Unterschied mehr, ob ein Held Superkräfte hatte oder nicht. Held war Held. Er musste natürlich halsbrecherische und lebensbedrohliche Situationen überleben und die Unschuldigen beschützen. Nur wer sich an diesen Kodex hielt und ihn befolgte, durfte sich Held nennen.

    Später kam eine neue Gattung Helden hinzu. Diejenigen, die keine Superkräfte hatten und nicht besonders bewandert im Nah- oder Fernkampf (oder überhaupt in irgendeiner Art des Kampfes) waren. Sie erschufen sich Hilfsmittel, die ihnen im Kampf gegen das Böse helfen sollten. Mächtige Rüstungen, außergewöhnliche Waffen oder automatisierte Helfer, die ihnen in jedem Kampf zur Seite standen. Anders als ihre Vorgänger, die kämpferischen Helden ohne Superkräfte, wurden sie sofort, beinahe schon mit offenen Armen in den Reihen der Superhelden aufgenommen. Es scheiden sich bis heute die Geister, ob dies nur geschehen ist, weil keiner der Anwesenden erneut eine grausame Tradition wie den »Dorekai« aufleben lassen wollte oder der Rat sämtliche Helden dazu gezwungen hatte. Wenn man der Geschichte, den Berichten und den Erzählungen glauben kann, dann trifft am ehesten Zweiteres zu.

    Die Heldenallianzen, so nannte man eine Organisation von mehreren Helden, die sich zusammenschlossen, um das Böse zu bekämpfen und die Unschuldigen zu beschützen, wuchsen im Laufe der Jahre enorm. Jedes Jahr schlossen sich laut einer Statistik mindestens eintausend neue Helden solch einer Allianz an. Tragischerweise starben auch jährlich immer mindestens dreihundert von ihnen.

    Anders sah es bei den Zauberern aus. Während die Helden ihre Kräfte aus ihrem Körper bezogen, schöpften Zauberer all ihre Macht aus ihrem Geist. Viele Mysterien rankten sich um das Geheimnis, woher diese menschlichen Wesen ihre Kräfte bezogen. Für Jahrhunderte hielten sie es geheim. Es ging sogar so weit, dass Zauberer, die dieses Geheimnis mit der Welt teilen wollten oder es aus Versehen einem Menschen oder Helden anvertraut hatten, von anderen ihrer Art ermordet wurden. Ihre kalten, toten Körper wurden anschließend mit einem Symbol gebrandmarkt, das eine Schlange zeigte, deren ganzer Körper von einem Pfeil durchstoßen wurde. Diese Toten wurden von diesem Moment an als »Bestienkinder« bezeichnet, ein Titel, der jeden entehren sollte und sie für immer als ausgestoßene und verachtungswürdige Verräter kennzeichnete. Es sollte als Warnung für andere Zauberer dienen, damit diese ihr Geheimnis mit sich ins Jenseits nahmen.

    Erst ab dem Jahre 1639 sind Aufzeichnungen über den Ursprung der Macht aller Zauberer zu finden. Professor Nollten hatte auch diese langweiligen Behauptungen und Geschichten mit dem nötigen Pep versehen, um auch jüngere Leser dazu zu motivieren, sein Werk bis zum letzten Satz zu Ende zu lesen. Ein Zauberer, dessen Name mir entfallen ist, der aber aus Osteuropa stammte, hatte sich lange für die Öffnung der magischen Gesellschaft ausgesprochen.

    »Die Helden und Menschen sind nicht unsere Feinde, sondern Freunde, die wir noch nicht gefunden und Verbündete, die wir uns noch nicht geschaffen haben. Lautet unser ältester Kodex nicht: Wir sollen den Unschuldigen helfen?« So lautete sein wohl bekanntestes Zitat, als er schließlich eines Tages in den Rat der Zauberer eintrat und sich um den Posten des obersten Sitzes im Rat bewarb. Neunmal ist er zur Wahl angetreten, ehe die anderen Mitglieder endlich ihn zum »Primus Magus« (erster Zauberer) bestimmten. Von diesem Zeitpunkt an wurde das Gesetz, das Geheimnis der Magie für sich behalten zu müssen, aufgehoben und auch Morde im Sinne dieses Ziels wurden mit der höchsten Strafe belegt, der Todesstrafe. Aufzeichnungen zufolge hielten diese Verfolgungen und Tötungen bis zum Jahre 1811 an. Damals wurde das letzte Bestienkind gefunden und beigesetzt. Es handelte sich um eine Zauberin aus Nordamerika.

    Nun Zauberer hatten anders als Helden eine Vielzahl an Zauberkräften, die sich in zwei Hauptgebiete gliederten: Geistes Magie und offensive Zauberei. Die erste magische Form des Zauberns beinhaltete die Zauberei, die den vollen Geist und Verstand eines Zauberers benötigte. So waren diese in der Lage Rituale auszuführen, Zauber und Flüche zu sprechen, Tränke zu brauen, Beschwörungen durchzuführen und sogar Gegenangriffe oder Schutzzauber zu wirken. Sie konnten praktisch eine Vielzahl, wenn nicht sogar unendlich viele Zauber erlernen und durchführen. Jedoch je mehr Magie sie praktizierten, desto mehr litt auch ihr Geist. Es war sowohl in der Vergangenheit, als auch noch in der Gegenwart deshalb nicht selten, dass Zauberer den Verstand verloren, sogar richtig verrückt wurden, weil sie zu sehr nach immer mehr Macht strebten. Ihr Geist hielt dem starken Druck nicht stand und zerbrach wie eine Porzellanvase. Einmal zersplittert, konnte der verlorene Verstand nicht mehr zusammengefügt werden und so waren sie dazu verdammt, bis zu ihrem Tode im Wahnsinn versunken zu bleiben, ohne Hoffnung auf einen Zauber, der sie davon erlösen würde. Im Jahre 1892 wurde sogar ein Krankenhaus für derartige Fälle des »Machtwahnsinns« oder der »Magischen Manie« eröffnet. Gegründet wurde es von einem Zirkel Zauberinnen, die ihre Ehemänner oder Söhne auf diese Weise verloren hatten.

    Die zweite Form, die offensive Zauberei, war eine außergewöhnliche Art von Magie, die sich erst ungefähr Anfang des 11. Jahrhunderts bei Zauberern entwickelt hatte. Um diese Art der Zauber zu wirken, waren ganz besondere »Adern« notwendig. Es war ein komplizierter und schmerzhafter Eingriff nötig, um die Arterien, Venen und Nervenbahnen freizulegen. Sie waren auffallend pechschwarz und sobald sie frei waren, wanden sich drei solcher schwarzen Adern immer wieder umeinander, bis sie eine Art körpereigenen Zauberstab formten, den der Zauberer willkürlich herausziehen und wieder in seinen Körper verschwinden lassen konnte.

    Früher, als Zauberer noch von Hexenjägern und der Inquisition gejagt wurden, war dies die einzige Möglichkeit, einen Echten von einem Spion zu unterscheiden. Wer seine Ader und das dazu gehörige Operationsmal nicht vorweisen konnte, wurde sofort ermordet, um die Gemeinschaft der Zauberer vor einer möglichen Hexenjagd zu schützen.

    Adern konnten nur für eine Art der Zauberei eingesetzt werden: für die Offensive. Rituale und Tränke zu brauen, war damit nicht möglich, aber Feuer-, Explosions- oder gar Blitzzauber sehr wohl. Adern waren also die magischen Pistolen der Zauberer mit einem sehr vielfältigen Magazin.

    Eine Gemeinschaft oder Zusammenkunft von Zauberern wurde anders als bei den Helden nicht Allianz, sondern Zirkel genannt.

    Es gab sogar ein weiteres interessantes Kapitel in Professor Nolltens Werk, von welchem ich meinen Blick kaum entfernen konnte. »Kapitel neunzehn: Vom Menschen zum Zauberer«. Es wurde darin behauptet, dass es ein ganz bestimmtes Ritual gäbe, das es einem Menschen ermöglichen sollte, zu einem gewissen Teil ebenfalls zu einem Zauberer zu werden. Da diese Art von Magie jedoch sehr, sehr mächtig und außerordentlich gefährlich war, wagte sich nicht jeder Zauberer daran. Einige vermochten noch nicht einmal über dieses Ritual zu sprechen. Die Folgen eines einzigen winzigen Fehlers während des Rituals konnten enorm sein. Entweder »Magische Manie« oder Tod. Leichte Verletzungen oder eine Möglichkeit, dem Tod noch ein letztes Mal zu entkommen, gab es nicht. Es war auch keine Verwandlung, sondern eher ein teilen. So ermöglichten mächtige Zauberer ihren neuen Schützlingen, den Zugriff auf ihr Arsenal an offensiver Magie. Die Menschen erhielten die gleichen Adern wie die Zauberer mit dem Unterschied, dass diese nicht pechschwarz, sondern knallrot waren. Wenn das Ritual gelang, konnte der Mensch nun die gleichen magischen Angriffe verwenden, wie der Zauberer, mit dem er verbunden war. Ursprünglich galt dieses Ritual als Schande. Ähnlich wie bei den Helden, gab es auch bei den Zauberern einen »Feiertag«, bei welchen die neuen Zauberer von ihren Brüdern und Schwestern gejagt und ermordet wurden. »Solonoriss« oder auch »Die Reinigung der roten Kinder« genannt. Anders als bei den Helden, wurde diese Tradition jedoch sehr schnell vom Rat der Zauberer verboten. Der Grund war nicht etwa Respekt, Güte oder Nächstenliebe, sondern die Inquisition. Da die Zauberer von den Helden und auch von fanatischen Menschen gejagt wurden, brauchten sie jede Unterstützung, die sie bekommen konnten. So wurden unzählige Unschuldige, durch den riskanten Eingriff zu neuen Zauberern verwandelt, um als Unterstützung im Kampf gegen die Hexenjagd zu dienen.

    Ich hatte auch stundenlang in dem Buch nach Dads Aussage, sein Spiegelschwert könne die offensiven Angriffe eines Zauberers zurückwerfen, gesucht. Die Magie der Zauberer erschien mir, so unglaublich mächtig und einzigartig zu sein, dass es mir als absurd vorkam, dass ein einfacher Spiegel sie wieder zurückwerfen konnte. Doch Dad hatte die Wahrheit gesagt. Tatsächlich gab es einige Versuche, in denen Spiegel jeglicher Art einen offensiven Zauber wieder zu dem Zauberer zurückschleudern konnten. Es war das gleiche Prinzip wie bei einer Taschenlampe, mit der man auf einen Spiegel leuchtet. Sobald man mit dem Lichtkegel auf sein Spiegelbild zielt, wird ein Lichtstrahl zu unseren Augen zurückreflektiert und man hat das Gefühl, zu erblinden. Das gleiche einfache Prinzip liegt auch bei den offensiven Zaubern vor. Eine poetischere Aussage behauptete, dass ein Zauber, sobald er gesprochen wurde, aus dem Grund eines Spiegels zurückprallte, weil seine eigene Macht reflektiert würde. Um seiner eigenen Zerstörung zu entgehen, bevor er den ursprünglichen Sinn seiner Existenz erfüllen konnte, prallte er lieber ab. Über diese Theorie wird bis zum heutigen Tag stark diskutiert, da die Gemeinschaft der Wissenschaftler, Theoretiker und Zauberer in zwei Lager gespalten ist. Die einen, die behaupten, dass Zauber keinen eigenen Willen oder gar Gefühle haben, und die anderen, die dies durchaus für möglich halten, da die gesprochenen, offensiven Zauber einen Teil des Geistes des Zauberers beinhalten müssen.

    Egal wie sehr sich auch die Klügsten dieser Welt sich über dieses Thema streiten, Fakt ist, dass ein Zauber an einem Spiegel zurückprallt. Dad hatte also Recht.

    Endlich wusste ich alles über die Zauberer und die Helden, die Unterschiede und wer nun welche Kraft besaß. Viele Handlungen und Geschichten von Dad machten nun auch in meinen Augen Sinn. Ich verstand nun endlich, weshalb er und seine Heldenfreunde auf manch ihren Missionen etwas taten, was zunächst für mich als unlogisch erschien.

    Das Einzige, was mir verborgen blieb und die einzige Frage, auf die ich keine Antwort gefunden hatte in keinem der dicken, tonnenschweren Bücher, war, weshalb sich Helden und Zauberer so sehr hassten. Es gab in der Geschichte immer wieder Kriege, Manipulationen, Sabotagen und Konflikte, aber ein konkretes Ereignis oder ein Tag X, der zu all dem, was in unserer Welt passierte, geführt hatte, gab es nicht. In keiner Aufzeichnung, Recherche, Bericht oder Arbeit gab es auch nur den kleinsten Hinweis darauf, woher dieser Hass und diese Streitigkeiten kamen. Ähnlich wie, bei Hunden und Katzen, bei denen auch niemand so genau weiß, warum sie sich dermaßen hassen. Taten sie dies schon immer oder geschah etwas in der Geschichte, was wir Menschen nicht wussten?

    Viele Fragen konnte ich beantworten, den Hunger nach dem Wissen, was sich vor mir verbarg, zumindest für ein paar Wochen stillen. Doch eines Nachts hörte ich aus dem Wohnzimmer wieder ein leises Wimmern. Als ich nach unten ging und Mom in ihrem Lehnstuhl schluchzend sitzen sah, kam in mir die eine Frage wieder hoch, deren Antwort ich einst so verkrampft gesucht hatte. Wieso war Mom so besorgt? Was löste in ihr diese Trauer und diese Angst aus?

    Ich sollte nicht lange auf meine Antwort warten müssen. In der Tat überraschte sie mich wie ein Auto, das plötzlich haarscharf an einem vorbeirast, während man gedankenverloren die Straße entlang schlendert, mit seinen Kopfhörern in den Ohren und einer fesselnden Musik, die einem die Sinne berauscht. Als ich eines Abends zu Hause eintraf, nachdem ich mich mit Truma Seymour, meiner besten Freundin, die ich bereits seit dem Kindergarten kannte, im Park getroffen hatte, waren Dad und seine Allianz gerade bei uns zu Hause. Für gewöhnlich, trafen sich die Helden einmal im Monat bei irgendeinem Mitglied ihrer Gemeinschaft, um die nächsten Phasen und Schritte für die kommenden dreißig Tage zu besprechen. Geplante Patrouillen am Tag durch die Straßen von Cherryhome. Jobs, bei denen sie wichtige Persönlichkeiten beschützen oder ihre Drecksarbeit erledigen mussten. Unterstützung der Polizei bei Aufklärungsarbeiten oder Razzien, die für die öffentlich Bediensteten als zu gefährlich eingestuft wurden. Nachtschichten über Nachtschichten! Jede kleinste Bewegung der Helden wurde genau ins Detail abgesprochen. Es ähnelte einer gewöhnlichen Teamsitzung wie in jedem Unternehmen auf dieser Welt.

    Immer wenn diese Treffen bei uns stattfanden, freute ich mich wie ein kleines Kind am Weihnachtsmorgen. Zumindest tat ich dies, als ich noch ein unwissender kleiner Bengel war. Doch je älter ich wurde, desto öfter konnte ich beobachten, wie Mom nervöser, ängstlicher und angespannter wurde, je näher der Tag des Treffens kam. Zunächst dachte ich mir, dass dies nur die Aufregung sei, weil sie die Ehre hatte, eine der mächtigsten, wenn nicht sogar die mächtigste, Heldenallianz in ganz Cherryhome zu beherbergen.

    »Keine Sorge Mom«, sagte ich ihr immer mit einem Hauch kindlicher Naivität in meiner Stimme. »Ich freue mich auch schon riesig auf das Treffen! Ob ich wohl eines Tages ein Mitglied ihrer Allianz werden kann? Was meinst du?«

    Immer, wenn ich ihr diese Frage gestellt hatte, war Mom zusammengezuckt und hatte mir keine Antwort gegeben. Eines Morgens hatte sie vor Schreck sogar das Frühstücksporzellan fallen lassen, welches auf dem Boden in unzählige kleine Scherben zersprungen war.

    Aber als ich jenen Abend zu Hause eintraf, wusste ich, weshalb Mom immer von Angst zerfressen war, wenn diese Helden unser Haus betraten. Bereits als ich die Eingangstür hinter mir schloss, stieg mir der starke und beißende Gestank von Razors Lieblingszigarette in die Nase.

    Coldman Dynor, oder Razor wie er sich seit seinen frühen Heldentagen nannte, war nicht nur Dads engster Freund, den er seit der High School kannte, sondern auch der Anführer ihrer Heldenallianz. Er war ein großer Mann (fast zwei Meter hoch) mit gräulich-schwarzem vollen Haar und einem leichten, dunklen Bart. Razor qualmte mit Vorliebe Zigaretten und es verging kein Tag, an dem er keine rauchte. Es war eine einzigartige Marke, die so stark war, dass sie kaum ein normaler Mensch qualmte. Was dabei schlimmer war als ihre unglaubliche Stärke, war der starke Gestank, der jeden noch so routinierten Raucher sofort zum Husten brachte, selbst wenn er ihn nur kurz einatmete. Noch schlimmer als seine schrecklichen Angewohnheiten war jedoch die respektlose Art, die Razor jedem entgegenbrachte, der nicht in sein ideales Weltbild passte. Er kam mir vor, wie ein kleiner Diktator, der nur darauf wartete, seine fleischliche Hülle abzuwerfen und mit einer Armee die Erde zu unterjochen. Es schien fast so, als würde Razor alles und jeden hassen, denen er begegnete. Doch die wohl größten Feinde sah er in den Zauberern. Wenn er etwas aus tiefstem Herzen verabscheute, dann waren es diese magischen Wesen. Auch an Menschen ließ Razor kein gutes Haar. Für ihn waren sie nichts weiter, als nichtsnutzige, jämmerliche Klumpen, die immer gerettet werden mussten, weil sie zu schwach waren, um sich selbst oder irgendjemand anderen zu schützen. Seine heldenhafte Moral ließ stark zu wünschen übrig, denn so wie die Jahre vergingen, schwand auch sein Sinn für Menschlichkeit. Wenn ein Mensch ihn nicht bezahlen konnte, dann waren er und seine Gegend es nicht wert, von seiner Heldenallianz beschützt zu werden, ganz egal wie gefährlich und lebensbedrohlich die Situation auch war.

    An jenem Abend erkannte ich endlich, wer er wirklich war. Die Maske des Helden fiel. Übrig blieb nur ein egoistischer Mann mit Superkräften, (Superstärke – eine übermenschliche Kraft, die es einem ermöglicht, Autos wie kleine Bälle zu jonglieren und Gebäude mit nur einem einzigen Schlag in zwei Hälften zu zerbrechen) dessen Traum es war, über diese Welt mit eiserner Faust zu regieren und all jene zu beseitigen, die sich ihm in den Weg stellten.

    Doch in all den vielen Jahren hätte ich nie gedacht, dass die erste Person die sich gegen Razor stellen würde, ausgerechnet meine eigene Mutter sei.

    Genau an jenem Abend, als das Treffen bei uns zu Hause stattfand und ich durch die Tür trat. Überall auf unserem Boden befand sich Asche von Razors Zigaretten. Er gab sich keine Mühe, die ekelhaften Glimmstängel in einen Aschenbecher zu geben oder sie vor Eintritt in unser Haus auszulöschen, sondern schmiss sie mit Vorliebe auf unseren Boden und trat drauf. Dies war das erste Zeichen, dass Razor seine Dominanz unter Beweis stellen wollte. Mom tolerierte für gewöhnlich sein respektloses Benehmen, doch ich verstand nicht, weshalb sie es an jenem Abend nicht mehr ertrug. Ich hörte nur, wie Mom und Razor lauthals miteinander stritten. Moms Stimme war hoch und den Tränen nahe, Razors war tief und abwertend. Er gab auf die aufgebrachten Beschuldigungen meiner Mutter oftmals nur eine billige Beleidigung zurück. Es war kein wirklicher Streit, auch keine Diskussion oder ein offener Konflikt.

    »Ich habe mich mit all deinen grauenhaften Gewohnheiten abgefunden, Coldman!«, schrie Mom ihn an, wobei ihre Stimme plötzlich tiefer und ernster wurde. »Dein ständiger Zigarettenqualm, deine abwertenden Kommentare mir und meiner Tochter gegenüber, die Art und Weise, wie du auf uns Menschen herabblickst und wie bestialisch du deinen Sohn, dein einziges Kind, behandelst! Ich habe ständig geschwiegen und mir gedacht, dass dieser Mann sich nie ändern würde. Er ist als einsamer Mistkerl geboren und wird als ein noch einsamerer Mistkerl sterben. Aber, ich lasse mich nicht von dir, ausgerechnet von dir, in meinem Haus Befehle erteilen! Das ist mein Haus! Und ich verlange, dass du sofort verschwindest! Hinaus!«

    Ich hatte Mom in all den Jahren noch nie so außer sich gesehen. Als Daisy und ich beim Spielen fast das alte und wertvolle Geschirr unserer Urgroßmutter zerbrochen hätten, war Mom schon eine fauchende Bestie gewesen. Ihr Blick und ihre Worte waren wie tausend Messer, die auf uns gerichtet waren. Eine falsche Bewegung oder ein Argument und sie hätte sie ohne Rücksicht auf mich und meine Schwester abgefeuert. Es war dieser Blick und dieser Ton in ihrer Stimme, wie ihn nur Mütter hatten. Doch die beinahe Zerstörung wertvoller Teller, war nichts im Vergleich zu dem Streit, der an jenem Abend zwischen Razor und meiner Mutter herrschte.

    »Jetzt hör mir zu, Sheila, und hör mir genau zu«, er machte eine Pause und holte Luft, was darauf hindeutete, dass er an seiner Zigarette zog. Ich hörte ein leises Knirschen auf unserem Wohnzimmerboden. Er hatte sie wohl mit seinem Fuß ausgetreten. »Wie kann jemand wie du, ein wertloser, machtloser Mensch, einem Helden wie mir so wenig Respekt erweisen? Schämst du dich denn nicht?«

    »Schämen? Ich?!«, spottete Mom. »Das ich nicht lache. Hör mir zu, Coldman, du hattest, hast und wirst niemals meinen Respekt haben, solange ich lebe!«

    Plötzlich verstummte Mom und ich hörte nur, wie Dad Razor anflehte, sie wieder herunter zu lassen. Meine Mutter schnappte nach Luft. Razor hatte sie anscheinend an ihrer Gurgel gepackt und sie in die Luft gehoben.

    »Ich könnte dich töten, Sheila. Ich könnte dich hier und jetzt sofort zu einer Leiche machen«, sagte Razor ruhig und am Klang seiner Stimme konnte ich erkennen, dass es ihm Spaß bereitete, meine eigene Mutter zu quälen. »Ihr Menschen seid doch alle gleich. Nichtsnutzige Feiglinge. Sobald es ein bisschen brenzlig wird, fleht ihr eure mächtigen Helden an, euch zu retten. Ihr seid uns eine Menge schuldig. Wir haben euch all die vielen Jahre, Jahrtausende lang beschützt. Wir hätten alles kriegen können, doch stattdessen haben wir einen Eid geleistet, so erbärmliche Menschen wie dich zu beschützen. Du kannst von Glück reden, dass dein Mann ein guter Freund von mir ist, wenn nicht sogar mein bester Freund, denn ansonsten, hätte ich dir deinen zierlichen Hals schon lange gebrochen. Betrachte dies als Warnung, Sheila. Zeige mir ein einziges Mal nicht den Respekt, der mir zusteht, und ich schwöre dir, dass ich dich töten werde«, er zündete sich eine zweite Zigarette an, während Mom verzweifelt nach Luft schnappte und Dad Razor inzwischen geradezu anflehte, meine Mutter in Ruhe zu lassen. »Oder, ich habe noch eine bessere Idee. Wenn du vor mir keinen Respekt hast, dann werde ich auch keinen Respekt vor deinen Kindern haben. Wie würde dir das gefallen, Sheila? Zu sehen, wie ich deine Tochter erwürge und deinem Sohn das Genick breche? Du bist gewarnt. Also sei eine brave Frau und ein guter, kleiner Mensch und zeig mir RESPEKT!«

    Plötzlich flog Mom quer durch das Wohnzimmer, prallte gegen eine Wand und fiel wie eine schlaffe Gummipuppe zu Boden. Ich stürzte sofort herbei und warf meine Arme schützend über sie.

    »Mom! Mom!«, rief ich ihr zu, während ich ihr Gesicht sanft mit meinen Händen hielt, fast so wie einen verletzten, kleinen Vogel. »Sieh mich an. Sieh mich bitte an.«

    Sie öffnete die Augen und flüsterte meinen Namen.

    »Marcus.«

    Sie blutete leicht aus ihrem Mund und ein langer, aber nicht sehr tiefer, Schnitt bildete sich auf ihrer Wange. Ihr rechtes Auge war rot und schwoll in wenigen Sekunden an. Ich wollte schon meine Stimme gegen Razor erheben. All meine Wut staute sich in meinem Kopf, wanderte dann in meinen Mund hinunter und wartete nur darauf von mir ausgespuckt zu werden, und direkt auf Razors kantigem Gesicht zu landen. Doch Mom blickte mich an. Sie zischte und flüsterte ständig die Worte »Ist schon gut«.

    »Es hat mich gefreut, Sheila«, lachte Razor, der vor uns stand. »Ich glaube, von heute an werden wir all unsere Treffen bei euch abhalten. Wie würde dir das gefallen? Oh! Du sagst nichts? Und dein missratener Menschensohn spricht auch kein Wort? Dann ist es wohl abgemacht!«, er war gerade im Begriff zu gehen, als Razor erneut stehen blieb und sich vor Mom und mich stellte. Wie eine fleischgewordene Freiheitsstatue thronte er über uns und sah mit seinem kalten Blick auf uns herab.

    »Vergiss unsere Abmachung nicht, Sheila. Du weißt, ich mach keine Witze. Obwohl ich bei näherer Betrachtung es durchaus bevorzugen würde, wenn du dich wieder gegen mich auflehnen würdest.«

    Er lachte und trat seine Zigarette, obwohl er erst zwei Züge von ihr genommen hatte, vor uns aus. Sein hässliches Lachen erinnerte mich nicht an das edle Gelächter eines Helden, das mächtig über das ganze Land zu hören war, sondern eher an das wahnsinnige Kichern eines Schurken, das einem durch den ganzen Körper zog, als würde man von hunderten Nadeln auf einmal gestochen.

    Der Abend hatte unsere Familie verändert, jeden Einzelnen von uns. Mom, Dad, Daisy und ich waren nicht mehr dieselben, als Razor beschlossen hatte meine Mutter durch unser eigenes Wohnzimmer zu werfen, wie einen Football und gegen mich und meine Schwester sogar eine Morddrohung ausgesprochen hatte. Hätte ich es nicht mit eigenen Ohren gehört, hätte ich keinem auch nur ein Wort geglaubt. Er war ein amerikanischer Held, ein Superheld wie aus den Comics und die konnten einfach nicht böse sein. Doch das letzte Rätsel, das ich mir selbst stellte, löste sich und so erkannte ich, dass Razor nicht der Held in dieser kleinen Geschichte war, sondern der Schurke. Aber, wenn er, der größte und tapferste Held von Cherryhome der Bösewicht war, wer war dann der Gute?

    Selbst Wochen nach dem schrecklichsten Abend, den diese Familie je erlebt hatte, konnte man immer noch die Razors dicke Finger erkennen, die sich wie violette Schlangen um den Hals meiner Mom schlängelten. Sie war nach diesem Angriff, nicht mehr dieselbe. Ihre einst beruhigende Art strömte nicht mehr aus ihr. Dort wo einst Gelächter, Frohsinn und eine große Portion Optimismus beheimatet waren, hauste nun nichts mehr. Es war furchtbar zu sehen, wie sich Mom in eine ängstliche, schweigende Hülle verwandelt hatte. Früher sah sie nur wenige Tage vor dem Treffen der Allianz bei uns zu Hause so aus, aber nun schien sie immer so zu sein. Das war nicht mehr meine Mutter.

    Dad war auch ruhiger geworden. Einst hatten er und Mom sich lachend in der Küche umarmt und zu einer romantischen und viel zu schmalzigen Musik getanzt, als diese im Radio lief. Sie wirkten wie ein junges Paar in ihren Zwanzigern.

    Um fair zu bleiben, in den Augen eines Kindes sind die Eltern immer steinalt und man behandelt sie, als hätten sie schon vor zweitausend Jahren gelebt.

    Davon spürte man nichts mehr. Kein Frohsinn, kein Lachen, nicht einmal ein guter Witz, kam ihm über die Lippen. Aber ich muss ehrlich gestehen, dass es mir auf eine eigenartige Art und Weise gefiel, Dad in Schuldgefühlen ertrinken zu sehen. Er war in meinen Augen einer der tapfersten Helden, die ich kannte. An manchen Tagen war er für mich sogar noch mächtiger und stärker als Razor selbst, aber er hatte nichts, gar nichts, unternommen, um Mom zu helfen. Er hätte sein Schwert ziehen oder Razor seine Waffe an die Schläfe halten oder ihm einen gezielten Schlag in sein Genick verpassen können. Dad hatte eine Vielzahl von Optionen, ein schier unendliches Arsenal an Kampftechniken und Griffen. Er hätte zumindest einen Kontergriff bei Razor anwenden können, zumindest nur, um Mom von seinem tödlichen Griff zu befreien. Aber er tat nichts. Er bettelte, aber mehr tat er nicht. In diesem Moment hatte Dad noch nicht jeglichen Respekt verloren, den ich für ihn hatte. All meine Anerkennung, all das Ansehen und mein ganzes Vertrauen, das ich in diesen Mann, meinen eigenen Vater, hatte, schwand dahin, als er Razor Mom durch das Wohnzimmer werfen und sie dort liegen ließ. Er reichte ihr nicht einmal die Hand, um ihr beim Aufstehen zu helfen. Wie ein braves, kleines Hündchen, versteckte er sich hinter Razor, gehorchte jedem seiner Befehle. Und als dieser Mann über Mom und mich thronte und auf uns verachtend herabblickte, wandte er uns den Rücken zu, als hätten wir nicht existiert. Es war diese schweigende Geste, die mich wie sein spiegelndes Schwert durchbohrte. Ich konnte kaum atmen und denken. Wie eine versteinerte Statue zwang ich meine Lunge, sich wieder mit Luft zu füllen, ehe mich der Schock ohnmächtig zu Boden geworfen hätte. Ich war so wütend auf Dad.

    »Wieso verschwinden wir nicht einfach?«, fragte ich Mom eines Tages, als ich ihr half, den Esstisch abzuräumen, nach einem weiteren betrübten und schweigenden Abendessen. »Wir haben doch genug Erspartes auf der Seite, ich könnte mir auch einen Job suchen, so müsste Daisy ihre Schule nicht hinschmeißen. Wir könnten uns ein neues Leben ermöglichen, weit weg von Cherryhome, weit weg von diesem Monster Razor und weit, weit weg von dem Mann, der uns im Stich gelassen hat.«

    »Dein Vater«, unterbrach mich Mom, stellte die Teller auf den Tisch und blickte mich mit besorgtem Blick an. »Er ist immer noch dein Vater, Schatz.«

    »Nicht nach dem, was er dir angetan hat«, zischte ich und trug die Teller in die Küche.

    »Er hat mir das nicht angetan, Liebling. Das war Razor«, Mom blieb selbst bei all den Anschuldigungen und Beweisen immer noch freundlich und ruhig.

    »Dad hat uns verraten«, brach es aus mir heraus. »Uns einfach im Stich gelassen. Er hat dich nicht beschützt, nicht vor Razors Zorn gerettet und nicht aufgefangen, als er dich geworfen hat. Aber das Schlimmste ist, dass er sich nicht zwischen Razor und uns gestellt hat, als er uns symbolisch die Pistole an die Brust setzte und uns mit dem Tod bedrohte. Er ist kein Vater für mich und er ist auch kein Ehemann für dich!«

    Mom schlug die Teller so stark auf den Küchentresen, dass ich erschrocken zurückwich.

    »Marcus, hör mich gut zu«, sagte Mom und bemühte sich, ruhig zu bleiben, obwohl unter der Oberfläche ihre Emotionen stark brodelten und kochten. »Dein Vater hatte seine Gründe. Du bist zu jung, um das zu verstehen, und ich weiß genau, wie du dich fühlst. Du fühlst dich verraten, im Stich gelassen, vor den Zug geworfen. Glaube mir, ich habe in meinem Leben all diese Gefühle durchlebt. Wenn dich jemand versteht, dann bin ich das, mein Sohn. Aber, lass mir dir nur so viel sagen: Wir brauchen deinen Vater und er braucht uns nun mehr denn je. Wenn hier irgendjemand Schutz braucht, dann bin nicht ich das, sondern dein Vater, den du so leichtfertig verstoßen würdest.«

    »Wieso?«, fragte ich nur. Mehr brachte ich nicht über meine Lippen.

    Mom trat an mich heran, gab mir einen Kuss auf meine Wange und blickte mir erneut in die Augen. Sie versuchte mit aller Kraft, ihre Tränen zurückzuhalten.

    »Oftmals muss ein Held einen Deal mit dem Bösewicht eingehen, um das zu schützen, was er liebt«, sagte sie. »Auch wenn es bedeutet, seine eigenen Prinzipien aufzugeben. Aber, deshalb leidet er nicht weniger, sondern mehr.«

    Ein neues Rätsel tat sich vor mir auf und ich fand eine keine Antwort darauf. Wenn Dad Hilfe brauchte, wieso fragte er nicht einfach danach? Und wenn Razor sich verändert haben sollte und selbst Dad seine Handlungen und Entscheidungen in Frage stellte, wieso stieg er nicht aus der

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