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Virus
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eBook1.299 Seiten17 Stunden

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Über dieses E-Book

Kuja hat alles:
Die Liebe einer wunderschönen, wundervollen Frau, die ihm Gemahlin, Vertraute und Geliebte zugleich ist.
Einen Thron, den er alsbald besteigen wird, um über das Fürstentum Carracassini zu herrschen.
Ein Volk, das ihn liebt und das ihm vertraut.
Bei einer letzten Reise vor der Krönungsfeier jedoch zwingt ihn, seine Freunde Tizian und Giovanni, sowie ihre Begleiter, ein schweres Gewitter im Tandorini-Gebirge zu einer Rast in einem entlegenen Bergdorf.
Als die Bewohner ihn als künftigen Fürsten ihres Landes erkennen, wird kurzerhand ein Fest gefeiert, in dessen Verlauf Kuja eine verhängnisvolle Entscheidung trifft, die eine katastrophale Kettenreaktion in Gang setzt.
Bevor Kuja jedoch erkennt, dass er in größter Gefahr schwebt, liegt sein Schicksal schon nicht mehr in seinen Händen und eine uralte Macht in den Tiefen des Berges greift nach ihm.
Als der nächste Morgen anbricht, ist nichts mehr so, wie es war und Kujas wundervolles Leben nur noch ein grauenhafter Alptraum…

Adel und einfaches Volk - Liebe und Lust - Intrigen, Verrat, Mord - dazu eine bösartige Macht, die ein perfides Spiel treibt – und Magie… ein faszinierender, geheimnisvoller und gnadenloser Mix
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Juli 2019
ISBN9783748599623
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    Buchvorschau

    Virus - Alfred Broi

    I

    Maurizio

    I

    Maurizios Befehl war eindeutig – und widerlich.

    Und doch würde er ihn ausführen.

    Zum einen, weil es einen Grund gab, dass man ihn mit dieser außergewöhnlichen Aufgabe betraut hatte: Er befolgte Befehle – auch die, bei denen andere scheiterten, sei es aus physischer Schwäche oder psychischem Mangel. So wie bei diesem Auftrag, bei dem es wohl weniger auf Kraft, Ausdauer oder fachlichem Können ankam, sondern mehr darum ging, seine eigenen Gefühle mit einer Schicht aus Gnadenlosigkeit, Eiseskälte und Härte zu bedecken.

    Und dies würde ihm zweifellos gelingen, denn alles, was er tat, tat er stets zum Wohle seiner Familie. Seine Frau Aurelia, seine beiden Söhne Marius und Felipe und ganz besonders seine Tochter Aurora, die er mehr liebte, als alles andere auf dieser Welt, sollten ein Leben in Wohlstand führen können und nichts missen müssen.

    In seiner ehemaligen Stellung als Mitglied der Palastwache war ihm dies nur bedingt möglich gewesen, durch seine Bereitschaft und seine Fähigkeit jedoch, besondere Aufgaben auszuführen und auch zu erfüllen, wurde aus ihm einer der engsten Vertrauten des Fürsten und dies brachte ihm Anerkennung und Wohlstand ein.

    Denn für die Ausführung von außergewöhnlichen Aufgaben gab es stets auch eine außergewöhnliche Entlohnung.

    Maurizio war daher eine Zeitlang glücklich und zufrieden mit sich und der Welt.

    Natürlich war ihm klar, dass er seine Taten vor Gott, dem Herrn, nur schwer vertreten konnte, doch entschuldigte er sich stets damit, dass, wenn er es nicht getan hätte, es ein anderer gewesen wäre. Und er, Maurizio, achtete immer sehr genau darauf, nicht mehr Schmerz und Leid zu verbreiten, als unbedingt erforderlich war, um dennoch sein Ziel vollständig zu erreichen.

    Ja, er hätte dieses Leben noch sehr lange führen können.

    Doch dieses Mal, diesen neuen aktuellen Auftrag, führte er nicht nur aus, weil er es konnte und sein Lohn hierfür absolut gewaltig sein würde.

    Nein, dieses Mal gab es auch noch einen zweiten Grund:

    Denn dieser Auftrag war von so immenser Wichtigkeit und von solch elementarer Bedeutung für die Zukunft des Fürstentums und aller Menschen in ihm, dass er zu keiner Sekunde und zu keinem noch so winzigen Augenblick zögern oder zweifeln durfte, seine Aufgabe zu erfüllen.

    Und um zu gewährleisten, dass dies nicht geschah, war nicht nur die Belohnung größer, als alles, was vorher war, sondern dieses Mal musste er einen Einsatz bringen, der dafür sorgte, dass ihm kein Fehler unterlief.

    Und dieser Einsatz war nichts Geringeres, als das Leben seiner Familie!

    *

    Vor etwa sechs Stunden hatten Maurizio und seine Männer die Burg Santa Anna in den Ausläufern des zentralen Tandorini-Massivs erreicht.

    Als sie gestern Morgen Alimante verlassen hatten, strahlten die Dächer der Stadt, besonders aber die Kuppeln des Fürstenpalastes, in einem wundervollen Sonnenaufgang am wolkenlosen, blauen Himmel.

    Am Mittag dann zogen unerwartet dichte Wolken auf und als sie das weitläufige Waldgebiet im Osten erreicht hatten, tobte über ihnen ein mächtiges Gewitter, das in einen langanhaltenden, kräftigen Regenschauer mündete, sodass Maurizio beschloss, den Marsch für heute einzustellen und stattdessen Rast zu machen.

    Erst am Morgen brachen sie wieder auf und erreichten Santa Anna, die Burg im Osten, gegen Mittag. Maurizio war froh, dass er früh genug aus Alimante gestartet war, um diese Verzögerung ausgleichen zu können.

    Sogleich nahm sein Trupp die Burg, in der etwa zwei Dutzend Mönche und eine Handvoll Bauern ihrem kargen Tagwerk nachgingen, in Beschlag und Maurizio ordnete an, dass niemand mehr nach Sonnenuntergang die Festung verlassen dürfe.

    Auf die Frage, ob diese Maßnahme Gefahr andeutete, nickte Maurizio und tischte ihnen allen mühelos die Lüge von umherziehenden Banditen auf, die plündernd und brandschatzend durchs Land zogen.

    Naiv und ängstlich wie sie waren, stimmten die Bauern und Mönche sofort zu und Maurizio konnte sicher sein, dass sich alle Bewohner heute Nacht innerhalb der Burgmauern aufhalten würden.

    Dann begann eine Zeit des Wartens, die Maurizio nutzte, in dem er sich zunächst frisch machte und dann noch einmal alle Einzelheiten seines Plans in Gedanken durchging. Am Ende war er nach wie vor sehr sicher, ihn erfolgreich ausführen zu können. Von seinen Männern waren zwölf Soldaten der unteren Dienstränge. Sie wussten nur, was unbedingt notwendig war. Sechs weitere Männer waren Unteroffiziere, denen man deutlich Beförderungen in Aussicht gestellt hatte. Die letzten vier waren bereits Offiziere, die er schon längere Zeit kannte. Sie waren absolut verschwiegen und zwei von ihnen waren durchaus Freunde zu nennen. Ihnen würde am Ende ein ähnlich großer Lohn zuteilwerden, wie auch ihm.

    Kurz vor Sonnenuntergang ertönte das Festungshorn zum Zeichen, dass Personen gesichtet wurden.

    Als Maurizio auf dem Wehrgang erschien und durch sein Fernglas spähte, sah er einen rund vierzig Mann starken, berittenen Trupp. Er erkannte die Männer, als die, auf die er gewartet hatte.

    Ihre Pferde waren teils schwer beladen mit einer Vielzahl von Bauwerkzeugen: Schaufeln, Spitzhacken, Hämmer. Meißel. Zusätzlich gab es vier Gespanne, die jeweils einen Planwagen zogen. Maurizio wusste, dass dort neben Lebensmitteln, weitere Werkzeuge untergebracht waren.

    Pferde und Männer waren staubverkrustet und wirkten müde und abgespannt.

    Maurizio hob ein wenig irritiert seine Augenbrauen hinter dem Fernglas an, da er sich nicht recht erklären konnte, warum ein derart endgültiger Befehl über eine Gruppe so harmlos wirkender Männer ergangen sein mochte. Doch ihm war klar, dass ihm solche Fragen und Gedanken nicht zustanden, wollte er das Leben seiner Familie nicht gefährden. Ihm mochte zwar nicht klar sein, wo diese Männer herkamen und was sie getan hatten, doch eines wusste er ganz sicher: Wo er sie heute Nacht hinschicken würde!

    Nachdem der Trupp durch die Eingangstore in das Innere geritten war, wurden diese wieder verschlossen.

    Während die müden Männer von ihren Pferden oder Wagen stiegen, erkannten sie den Soldatentrupp um Maurizio. Einige waren sichtlich überrascht, sie zu sehen, andere blickten ratlos.

    Dann trat der Anführer der Männer vor ihn. Es war ein großer, schlanker Glatzkopf in seinem Alter. Sein Name war Arturo.

    „Wer bist du?" fragte er mit ernstem Gesicht.

    „Mein Name ist Maurizio! Ich grüße dich, Arturo! Maurizio ließ seinen Blick über die anderen schweifen. „Dich und deine Männer!

    Arturo nickte und ließ seinerseits den Blick über Maurizios Männer schweifen. „Eure Anwesenheit hier ist…überraschend! Er fixierte sein Gegenüber. „Ist das positiv oder negativ?

    Maurizio lächelte. „Positiv! Nur positiv, Arturo! Er legte seine rechte Hand auf Arturos Schulter und sah ihm geradeheraus in die Augen. „Fürst Kuja hat uns hierher gesandt, um euch auf eurem weiteren Rückweg nach Alimante Geleitschutz zu geben!

    „Geleitschutz?" Arturo war sichtlich überrascht.

    Maurizio aber nickte. „Es treiben sich neuerdings Räuberbanden in dieser Gegend um. Übles Pack! Mit denen ist nicht zu spaßen! Maurizio grinste wieder und beugte sich ein wenig zu Arturo. „Aber mit uns noch viel weniger, was?

    Arturo lächelte sofort und nickte, denn jeder in diesem Land wusste um die Kampfkraft und den Mut der fürstlichen Garde. „Na dann! Dank an den Fürsten für seine Weitsicht. Wir nehmen eure Unterstützung gern an! Er wartete, bis auch Maurizio wohlwollend nickte. „Aber wir haben heute einen weiten Weg zurückgelegt. Meine Männer sind müde und hungrig. Gönnt uns hier ein ordentliches Nachtlager, dann können wir schon morgen Abend in Alimante sein!

    „So sei es! Maurizio zog Arturo an seine Seite und führte ihn in das Haupthaus. „Ich habe bereits eine warme Mahlzeit für euch in Auftrag gegeben!

    Bei seinen Worten stoppte Arturo ab und schaute Maurizio beinahe ehrfürchtig an. „Dafür gebührt euch ein ganz besonderer Dank!"

    Maurizio grinste süffisant und senkte seine Stimme. „Und ich glaube, ich habe vorhin eine kleine Flasche Amareé in meinem Gepäck entdeckt. Ich denke, sie wird uns nach dem Mahl bei einer guten Zigarre leidlich munden!"

    Jetzt war Arturo vollends baff. „Eure Anwesenheit hier gefällt mir wirklich von Minute zu Minute immer besser!" Und damit betraten beide, gefolgt von ihren Männern, wohlgelaunt das Haupthaus.

    *

    Drei Stunden später war es beinahe totenstill in der Festung.

    Arturos Männer waren in der Tat sämtlich erschöpft genug, um nach einem ausgiebigen Mahl auf dem Boden der Haupthalle schnell in einen tiefen und festen Schlaf zu verfallen.

    Die Mönche und Bauern waren es ohnehin gewöhnt, ihr Nachtlager kurz nach Sonnenuntergang aufzusuchen, sodass man auch hier alsbald Schnarchgeräusche hören konnte.

    Arturo selbst vermochte sich noch einige Zeit länger wachzuhalten. Obwohl er nur ein Gläschen von dem edlen Amareé trank, übermannte ihn der Schlaf schließlich beim Genuss der Zigarre, die ihm Maurizio gegeben hatte.

    Der Hauptmann hatte es sich in der Tat nicht nehmen lassen, auch ein Gläschen Amareé zu trinken. Er konnte es sich auch leisten, denn die Zigarre, die er seinem Gegenüber gegeben hatte, enthielt nicht nur die üblichen Bestandteile, sondern auch ein Schlafmittel.

    Und so wartete er geduldig, bis Arturo zur Seite sank, sich ausstreckte, ihm schließlich die Augen zufielen und tiefe Atemzüge zu hören waren.

    Erst dann erhob er sich und verließ leise den großen Schlafraum im Haupthaus der Festung.

    Als er die Tür öffnete, schlug ihm ein Schwall kalte Luft entgegen. Maurizio huschte schnell hindurch und schloss sie wieder. Es war mittlerweile Nacht geworden, der Himmel war wolkenlos, der Vollmond strahlte milchig weiß, es war beinahe windstill.

    Maurizio ging in die Mitte des Burgplatzes, von wo aus er alle Gebäudefronten und Wehrgänge überblicken konnte. Es war jedoch niemand zu sehen.

    Maurizio verharrte für einige tiefe Atemzüge unbeweglich mit auf dem Rücken verschränkten Armen und geschlossenen Augen und lauschte dem Klang der Stille.

    Dann wandte er sich um und konnte am Tor einen seiner Offiziere erkennen. Der Mann nickte ihm zu und Maurizio ging zu ihm.

    Wortlos öffnete der Offizier die kleine Tür, die in das Tor eingelassen war. Maurizio trat hindurch, der Mann folgte ihm und schloss die Tür wieder.

    Draußen wartete bereits der Rest seines Trupps mit den Pferden. Trotz allem herrschte auch hier Stille. Maurizio ging zu seinen Männern und nickte einem weiteren Offizier im Vorbeigehen zu. Während der Mann sich daraufhin an einem großen Beutel zu schaffen machte, der an seinem Pferd befestigt war, trat Maurizio an seinen Männern vorbei. Er verschränkte dabei seine Arme wieder auf dem Rücken und blickte ruhig über das sich vor ihm erstreckende Plateau nach Norden. Dabei war er fasziniert von der im Mondlicht glitzernden Oberfläche des nahegelegenen, kleinen Bergsees, während er im Hintergrund die wohlbekannten Geräusche einer zum Einsatz bereitgemachten Waffe hörte.

    „Fertig!" sagte der Offizier schließlich.

    Maurizio drehte sich um und nahm die Armbrust, die ihm entgegengestreckt wurde, wortlos entgegen. „Aufsitzen!" befahl er. Während der Offizier tat wie geheißen, drückte Maurizio den Schaft der Waffe gegen seine linke Seite und fischte dann mit seiner rechten Hand eine kleine, vielleicht zehn Zentimeter lange, fingerdicke Phiole aus der Innentasche seines ledernen Wamses. Sie war aus Glas und durchsichtig und in ihrem Inneren war eine dunkle, zähe Flüssigkeit zu erkennen, die träge hin und her schwappte.

    Maurizio legte sie vorsichtig in den Waffenschaft. Bevor er anlegte, schaute er einmal in die Runde, wobei sein Blick so durchdringend war, dass jeder seiner Männer das Gefühl hatte, er würde ihm direkt in die Seele schauen. „Es gibt Dinge, die getan werden müssen! sagte er dann mit klarer, fester Stimme. „Zum Wohle einer größeren Sache. Gott weiß das und wird uns unsere Sünden heute Nacht vergeben!

    Ohne auf eine Antwort zu warten, wandte Maurizio sich ab und machte einen Schritt auf das verschlossene Burgtor zu.

    Wieder atmete er einmal tief durch, dann legte er die Waffe mit einer schnellen Bewegung an, hielt sie in einem steilen Winkel in den Himmel und gab die Phiole mit einem hohlen Klacken des Abzugs frei.

    Das Projektil stieg beinahe senkrecht in den Himmel.

    Maurizio sah der Phiole noch einen Augenblick hinterher, dann ließ er die Armbrust sinken, drehte sich um, ging zu seinem prächtigen Schimmel, den einer der Offiziere für ihn bereithielt, schwang sich mit einer schnellen, flüssigen Bewegung in den Sattel und verstaute die Waffe an der rechten Seite.

    Dann blickte er wieder in den Himmel, wo das Projektil gerade den Scheitelpunkt der Flugbahn erreicht hatte und sich zu Boden senkte, wo es direkt auf die Mitte des Burgplatzes zuhielt.

    Mit einem letzten tiefen Atemzug bei geschlossenen Augen verharrte Maurizio für einen Augenblick, dann riss er seinen Schimmel herum und gab ihm die Sporen. Seine Männer taten es ihm gleich und der ganze Trupp jagte in gestrecktem Galopp in Richtung Nordwesten über die Ebene.

    Zwei Sekunden später schlug die Phiole mit einem dumpfen, kaum hörbaren Geräusch in den festgestampften Erdboden in der Mitte des Burgplatzes, wo sie augenblicklich mit einem scharfen Knacken zerbarst und ihren Inhalt mit einer derart immensen Wucht in alle Richtungen freigab, wie es kaum für möglich schien.

    Innerhalb eines Wimpernschlages hatte sich eine silbrig-glänzende Kugel von sicherlich fünf Metern Durchmesser über der Aufschlagstelle gebildet, die sich wie die Druckwelle einer dumpfen Explosion kreisförmig ausbreitete, dabei die Geschwindigkeit eines Orkansturms besaß und ein tiefes, dunkles Summen verursachte.

    Keine Sekunde nach dem Aufprall hatte sich der Inhalt der Phiole bereits so weit ausgedehnt, dass er die umliegenden Gebäude erreichte und hier mit dem Geräusch von prasselndem Regen auf Holz, Stein und Metall schlug.

    Doch zeigte sich spätestens jetzt, dass die hier freigesetzte Substanz außergewöhnlich war, denn die festen Materien waren nicht in der Lage, sie abzublocken. Wie, als wäre ihre Molekularstruktur so grob, wie das Netz eines Fischers, durchdrang die feucht-glänzende Masse sie und trat in das Innere der Gebäude ein, füllte die Räume schnell aus und umhüllte alles, was sich in ihnen befand.

    Alles ging so schnell, dass keine der anwesenden Personen auch nur mehr, als einen Augenblick hatte, sich über das unbekannte Phänomen zu wundern, bevor die Substanz auch ihre Körper vollständig durchdrang.

    Einen Augenblick später erreichte sie die Außenmauern der Festung und der wundersame Nebel trat nach außen in die Ebene, wo er dann jedoch nach wenigen Metern seine Bewegungsenergie verlor und zu Boden sank, wo sein Glitzern allmählich erlosch.

    Dabei entstand ein tiefes Rauschen, das nicht unbedingt laut, aber überraschenderweise doch weithin hörbar war und selbst in die Ohren von Maurizio und seinen Männern drang.

    Augenblicklich stoppten sie ab und wandten sich in ihren Sätteln um. Die Festung war jetzt etwa zweihundert Meter von ihnen entfernt und sie konnten noch sehen, wie sich der wundersame Nebel zu Boden sank.

    Dann überspannte für einen Wimpernschlag Totenstille die gesamte Ebene, bevor eine Art Knistern zu hören war. Zeitgleich schien die Festung von innen heraus in dem silbrig-glänzenden Licht der fremden Substanz zu leuchten. Für einen kurzen Moment war dies ein wundervoller Anblick, bevor das Knistern immer lauter wurde und sich scharfes Knacken, quietschendes Knirschen und dumpfes Knallen daruntermischte – und der einzelne Schrei eines unter furchtbaren Schmerzen leidenden Menschen, der den Männern durch Mark und Bein ging, während sich vor ihren Augen die Festung quasi aufzulösen schien.

    Die Türme sanken in sich zusammen, dann die Gebäude und Mauern, bis am Ende nichts mehr übrigblieb, als winzige Staubkörnchen, die der plötzlich aufkommende Wind sogleich mit sich nahm.

    Maurizio atmete einmal tief durch, dann wandte er sein Pferd wieder um. Als er in die Augen seiner Männer sah, konnte er einen gewissen Schockzustand, gepaart mit Unverständnis, teilweise Anflüge von Angst, sowie Unsicherheit in ihnen erkennen.

    Maurizio konnte sie verstehen. Er selbst hätte sicherlich ähnlich empfunden, wenn er nicht bereits geahnt hätte, was ihn erwarten würde. Dennoch spürte er eine gewisse Unruhe in sich aufkommen, denn im Einsatz gesehen hatte er diese Waffe bisher noch nicht. Und die Realität war doch anders, als die Erklärungen, die man ihm bei Übergabe der Phiole gegeben hatte.

    Hier waren innerhalb von nicht einmal zwei Minuten über fünfzig Menschenleben und etliche Tiere getötet, sowie eine komplette Festung dem Erdboden gleichgemacht worden, ohne auch nur – abgesehen von der Phiole – einen Schuss abzugeben. Und das auf eine Weise, von der Maurizio nicht einmal im Ansatz verstand, wie sie funktionierte, was ihn gerade – für seine Männer nach außen hin jedoch nicht sichtbar – nervös machte.

    Und weil er selbst Probleme hatte, mit dieser Sache umzugehen, blieb er stumm, gab seinem Pferd die Sporen und ritt weiter nach Nordwesten davon.

    Dabei begann ein anderes Gefühl seine Nervosität zu überdecken: Genugtuung!

    Er hatte den Befehl ordnungsgemäß und vollständig ausgeführt und damit nicht nur das Überleben seiner Familie gesichert, sondern ihm und auch all seinen Männern einen außergewöhnlichen Lohn eingebracht.

    Das Wiedersehen mit seiner Familie erfreute sein Herz für einen Augenblick, dann aber spürte er wieder eine eiskalte Gänsehaut, die seinen Rücken hinaufkroch, als er nochmals die Bilder der zerfallenden Festung vor seinem inneren Auge aufkommen sah und sich wieder diese nervöse Unruhe in ihm breitmachte.

    Im nächsten Moment trieb er seinen Schimmel noch weiter an, als hoffte er, den dunklen Gedanken so entfliehen zu können.

    Doch das war aussichtslos…

    II

    Das dunkle Gefühl in seinem Herzen begleitete Maurizio durch die ganze Nacht. Und da er wusste, dass er so niemals Schlaf finden würde, trieb er sich und seine Männer immer weiter an.

    Sie ritten ohne Unterlass und als die Morgendämmerung hereinbrach, hatten sie das östliche Hügelland hinter sich gelassen und ritten in die Ebene ein, in deren nordwestlicher Ecke sich Alimante, die prächtige Hauptstadt des Fürstentums, befand.

    Während sie Meile um Meile näherkamen, konnten sie sehen, wie sich die aufgehende Sonne in den Dächern der Stadt spiegelte und sie in ein funkelndes Meer aus tausend Farben verwandelte, das die Männer, obwohl schon etliche Male gesehen, wieder tief beeindruckte, aber auch mit Stolz erfüllte, denn schließlich waren sie alle ein Teil dieses Fürstentums.

    Als sie nur noch wenige hundert Meter von der Stadt entfernt waren, gab Maurizio das Zeichen, ihren Ritt zu verlangsamen und er selbst ließ seinen Schimmel locker austraben.

    Dabei kam auch sein Geist etwas zur Ruhe und an die Stelle von Nervosität und Unsicherheit rückte die Vorfreude darauf, seine Familie wiederzusehen.

    Doch nur einige Augenblicke später konnte er ausmachen, wie das südliche Stadttor geöffnet wurde und ein einzelner Reiter daraus hervorkam, der direkt auf sie zuhielt.

    Maurizio blickte mit zunehmender Anspannung auf ihn. Wenig später konnte er ihn erkennen. Es war Moretti, der engste Vertraute des Fürsten und Kommandant seiner Leibgarde. Die Tatsache, dass dieser Mann und dann auch noch allein auf sie zukam, deutete auf eine ernste Angelegenheit hin und Maurizio musste seine Gedanken an seine Familie verdrängen.

    Dann hatte Moretti sie erreicht.

    Maurizio ließ seinen Trupp anhalten. Er selbst ritt etwa zehn Meter weiter und traf dort auf den Kommandanten der Leibgarde.

    Moretti war ein wahrer Bär von einem Mann und mindestens zwei Meter groß. Sein gesamter Körper war austrainiert und übersät mit stahlharten Muskelpaketen. Seinen Brustkorb konnte ein Mann allein nicht umfassen. Dennoch wirkte Moretti nicht ungelenk oder kantig, sondern eher geschmeidig und elegant. Sein weißes Kopfhaar war sehr kurz geschnitten, sein Vollbart, bis auf ein etwas längeres Stück direkt unter dem Kinn, ebenfalls. Seine Haut war olivfarben und glänzte matt im Sonnenlicht. Unzählige Narben waren auf seinem Körper zu erkennen, die sich scharf von seiner dunklen Haut abhoben. Das Gesicht jedoch war ebenmäßig und beinahe makellos, seine Züge wirkten fein und fast schon sinnlich. Aus wachen, eisgrauen Augen sah er zu Maurizio hinüber. Sein Blick war dabei offen, aber ernst.

    Kommandant! grüßte Maurizio und nickte ihm zu.

    Hauptmann! erwiderte Moretti mit tiefer Stimme, aber regloser Miene.

    "Eure Anwesenheit ist...überraschend! meinte Maurizio. Stimmt etwas nicht?"

    Moretti schüttelte kaum merklich den Kopf. Es ist alles bestens! Seine Miene jedoch blieb weiterhin ernst. Der Fürst hat mich lediglich beauftragt, dich und deine Männer zu ihm zu bringen! Dabei deutete er rechts hinter Maurizio.

    Als der sich herumdrehte, konnte er in etwa einem Kilometer Entfernung eine Baumgruppe erkennen. Es waren nur wenige Dutzend Exemplare, aber es waren mächtige Eichen mit riesigen Kronen. Maurizio wusste, dass sie einen großen Platz in ihrer Mitte überspannten, in dem seit Jahrhunderten eine kleine, steinerne Kirche stand. Es war die Kapelle der heiligen Katarina, doch bei den Einwohnern von Alimante war sie nur als Kriegskapelle bekannt. Immer dann, wenn dem Fürstentum ein Feind entgegentrat und es zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kam, hatten die Fürsten stets in der Nacht vor der Schlacht hier um den Beistand des Herrn gebetet.

    Es war eine jahrhundertealte Tradition, doch hatte sie Maurizio noch nie erlebt, denn das Fürstentum lebte nun schon weit über dreißig Jahren in friedlicher Koexistenz mit seinen Nachbarn.

    Hat sich daran womöglich während unserer Abwesenheit etwas geändert? fragte er sich insgeheim. Die Tatsache, dass der Fürst dort auf sie wartete, erzeugte eine erneute Unruhe in ihm, doch sprach er Moretti nicht darauf an, sondern gab seinem Trupp Anweisung, dem Kommandanten der Leibgarde zu folgen.

    Der Ritt zur Kapelle dauerte einige Minuten, da es Moretti nicht sonderlich eilig zu haben schien. Der Kommandant drehte sich nicht einmal um, doch konnte er sicher sein, dass ihm der gesamte Trupp folgte.

    Durch die nahezu komplette Abschirmung durch die mächtigen Eichen konnten sie das kleine Steingebäude erst sehen, als sie quasi schon davorstanden.

    Während Moretti anhielt und abstieg, erkannte Maurizio neben dem schneeweißen Hengst des Fürsten, noch ein halbes Dutzend weiterer Pferde. Er wusste sogleich, dass sie den anderen Mitgliedern der Leibgarde gehörten

    Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte er sofort. Dabei machte ihn nicht die Existenz der anderen Pferde nervös, sondern die Tatsache, dass ihre Besitzer nirgendwo zu sehen waren.

    Moretti wartete stumm, bis alle Männer des Trupps eingetroffen und abgestiegen waren, dann sah er Maurizio wieder mit ernster Miene an, nickte ihm zu und deutete schließlich an, dass ihm alle ins Innere der Kapelle folgen sollten.

    Alle? Diese Frage schoss ihm sofort in den Kopf. Dabei befiel ihn wieder dieses düstere Gefühl, das ihn schon den gesamten Rückweg begleitet hatte. Gleichzeitig dachte er an seine Familie und an die Vorfreude, die er dabei verspürt hatte. War das zu früh gewesen?

    Wenige Augenblicke später betrat er das Innere der Kapelle. Hier herrschte ein wechselhaftes Dämmerlicht. Die Bäume ließen nur wenige Sonnenstrahlen durch ihr Blätterdach, die aber blitzten fast wie Schwertschneiden auf.

    Die Kapelle bestand nur aus einem einzigen, großen Raum ohne versteckte Ecken und Nischen. Gegenüber der Eingangstür befand sich ein grober, steinerner Altar, auf dem eine handgefertigte Decke lag. Eine Vase mit frischen Blumen und ein irdener Kelch standen darauf. In der Mitte lag eine aufgeklappte Bibel.

    Hinter dem Altar gab es eine deckenhohe, massive Holzwand, auf der einige Szenen aus der Bibel malerisch dargestellt waren. Die satten Farben und die sehr sorgfältige und gelungene künstlerische Ausgestaltung waren mittlerweile verblasst.

    Vielleicht sollten diese Bilder mal wieder erneuert werden, dachte Maurizio, während sein Blick auf die Tür fiel, die nach hinten abgewinkelt in der Holzwand eingearbeitet war und hinter dem Altar einen kleinen abgeschiedenen Raum erzeugten.

    Da Maurizio den Fürsten nirgendwo sehen konnte, nahm er an, dass er sich dort drinnen aufhalten musste.

    Doch etwas Anderes verstärkte den Kloss in seinem Hals zusätzlich: Es war schon über ein Jahr her, dass Maurizio diese Kapelle mit seiner Familie besucht hatte, doch war er sicher, dass in diesen Raum vor den Altar Sitzbänke gehörten. Jetzt aber war nichts davon zu sehen, der komplette Raum war absolut leer. Wieder dachte er an seine Familie und an die Freude, sie wiederzusehen. War er zu voreilig damit gewesen?

    Mittlerweile waren alle Männer von Maurizios Trupp in der Kapelle versammelt.

    Als Moretti dies beinahe ausdruckslos registrierte, wandte er sich an Maurizio. Folge mir! sagte er. Du und deine Offiziere!

    Maurizio war nicht wirklich überrascht, denn er hatte nicht damit gerechnet, dass der Fürst jetzt hier in diesen fast schon überfüllten Raum treten würde, um mit ihnen zu reden. Dass aber nicht nur Maurizio, sondern auch seine vier Offiziere, Moretti folgen sollten, irritierte ihn.

    Doch er hatte keine Zeit für weitere Überlegungen, denn schon hatte Moretti die Tür seitlich des Altars erreicht und öffnete sie. Maurizio deutete dem Rest des Trupps an, hier zu warten, dann trat er mit seinen vier Offizieren an Moretti vorbei, der reglos dastand und ausdruckslos in die Kapelle zurückschaute. Erst, als die fünf Personen an ihm vorbei waren, gestattete er sich eine Regung. Deutlich sah man, wie sich sein Blick noch einmal verdunkelte und seine Kiefer aufeinander mahlten. Dann kräuselte er die Lippen, als habe er auf eine Zitrone gebissen.

    Schließlich wandte er sich ab, folgte den Männern in das Innere des kleinen Zimmers und schloss die Tür hinter sich.

    Der Raum besaß keine Fenster, dafür aber eine gläserne Kuppel, deren Scheiben zwar verschmutzt waren, aber dennoch für einigermaßen ausreichendes Licht sorgten, dass der einzige Anwesende am anderen Ende zu erkennen war.

    Fürst Kuja stand ihnen abgewandt, mit gesenktem Kopf und mit auf dem Rücken verschränkten Händen vor einem alten, massiven Holztisch, auf dem etliche Utensilien für durchzuführende Messen lagen, die allesamt deutlich verstaubt waren. Er trug eine dunkle Reiterhose, sowie ein leichtes, weißes Leinenhemd. Ein dünnes Wams aus dunkelblauem, edlem Stoff hing über einer Stuhllehne neben dem Tisch, ebenso wie der Gürtel mit dem Säbel des Fürsten.

    Exzellenz? sagte Moretti.

    Für einen Augenblick schien es, als würde der Kommandant keine Reaktion erhalten, als der Fürst doch plötzlich seinen Kopf anhob. Moretti?

    Ich bringe euch Maurizio und seine Offiziere, wie ihr befohlen habt!

    Fürst Kuja drehte seinen Kopf ein wenig und ein knappes Nicken war zu sehen. Daraufhin trat Moretti zwei Schritte zurück.

    Direkt vor die Ausgangstür, erkannte Maurizio, doch dann hörte er deutlich einen langen, tiefen Atemzug des Fürsten, kurz bevor der sich zu ihnen herumdrehte.

    Fürst Kuja war ein stattlicher Herrscher.

    Nur wenig jünger, als Maurizio selbst, war er stets ein durchtrainierter, schlanker und auch kampferprobter Mann gewesen. Sein Mut und sein Pflichtbewusstsein hatten ihm den Respekt der Truppen eingebracht, seine Großherzigkeit und Besonnenheit die Liebe seines Volkes.

    Mehr noch: Seine Vermählung mit Mariella, der Tochter eines Kaufmanns und somit eine Frau aus dem gemeinen Volk, besonders aber die Tatsache, dass es eine echte Liebeseirat war, hatte die Menschen tief berührt und sie noch enger an das Herrscherhaus geschweißt. Der erste Spross dieser Liebe, Zwillinge, um genau zu sein, würden bald das Licht der Welt erblicken.

    Obwohl Kujas Herrschaft als Fürst kaum ein Jahr andauerte, hatte er das gesamte Volk hinter sich und seiner Familie und es gab eigentlich nicht den geringsten Zweifel, dass er das Land in eine weiterhin glorreiche, friedliche und für alle glückliche Zukunft führen würde.

    Auch Maurizio liebte seinen Fürsten - mehr noch zwar seine Fürstin, die seiner eigenen Ehefrau sehr ähnlich war - und war stolz, hier leben zu dürfen. Stets hatte er Kujas Vater und jetzt auch ihm treu gedient. Natürlich hatte er nicht vor, auf Dauer der Mann für besondere Aufgaben zu bleiben, da diese ihm, wie der aktuelle Fall zeigte, zunehmend Seelenschmerz verursachten. Doch mit der Entlohnung, die man ihm versprochen hatte, hatte er ohnehin ausgesorgt und er nahm sich fest vor, alsbald einen Nachfolger auszubilden.

    Als er Fürst Kuja jetzt aber von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, erschrak er beinahe.

    Er konnte sich nicht entsinnen, seinen Herrscher jemals so erschöpft, ja fast ausgezehrt, und so ernst, sogar düster, blicken gesehen zu haben.

    Irgendetwas stimmte ganz gewaltig nicht, dessen war sich Maurizio jetzt absolut sicher.

    Wurde mein Befehl ausgeführt? Kujas Worte waren leise gesprochen und klangen rau. Von der sonst so klaren und kräftigen Stimme war nichts zu hören. Sein Blick dabei war unstet, nervös und er selbst wirkte fahrig. Normalerweise war Fürst Kuja dafür bekannt, seinen Gesprächspartner mit seinen tiefbraunen Augen gnadenlos zu fixieren. Heute war davon nichts zu bemerken.

    Ja, mein Fürst! erwiderte Maurizio wahrheitsgemäß. Euer Befehl wurde vollständig und erfolgreich ausgeführt!

    Kuja nickte schwach mit düsterer Miene. Dann atmete er hörbar ein und aus. Wir sind euch allen zu großem Dank verpflichtet! erklärte er. Ich weiß, dass dies keine leichte Aufgabe war! Plötzlich richtete er doch den Blick auf die fünf Männer vor ihm, sodass zwei von ihnen sichtlich erschraken. "Aber sie war notwendig! Absolut...notwendig! Fast glaubte Maurizio die alte Stärke in seinem Blick wiederzuerkennen, doch dann glitten die Augen erneut zur Seite. Wir alle leben schon seit so langer Zeit in Frieden mit unseren Nachbarn, dass man glauben könnte, es gäbe keine Gefahr mehr für unser Land! Sein Blick wurde sogar noch finsterer, nahm beinahe einen verächtlichen Ausdruck an. Aber dem ist nicht so!"

    Was? Maurizio war überrascht, auch wenn er sich das äußerlich kaum anmerken ließ. Wovon redet er?

    Ich habe es gesehen! Wieder starrte Kuja die Männer unvermittelt an. Ein dunkler Schatten lauert im Osten. Bösartiger, grausamer und mächtiger, als alles, was je nach uns gegriffen hat! Ich habe es gesehen! Er nickte mehrmals bedächtig. Und mir ist klargeworden, dass wir alles tun müssen, um diesem Feind keine Möglichkeit zu geben, in unser Land einzufallen. Niemals!

    Maurizio glaubte zu hören, dass Kujas Stimme bei den letzten Worten zitterte. Gibt es Krieg? Hat er sich dazu entschlossen, den Feind anzugreifen, bevor der es tut?

    Deshalb haben Arturo und seine Männer ihren Teil dazu beigetragen, genau das zu verhindern! Wieder atmete der Fürst hörbar durch. Doch das allein reicht nicht! Um uns dauerhaft vor diesem Feind zu schützen, ist es wichtig, dass keiner weiß, wo er sich versteckt hält, damit niemand je in Versuchung kommt, ihm den Weg in diese...! Er stoppte unvermittelt ab und schürzte die Lippen. ...in unser Land zu ebnen! fuhr er dann fort und sein Blick wurde unendlich traurig.

    Maurizio war erneut verwirrt. Also kein Krieg? Aber, was dann?

    Und genau deshalb durften sie niemals zu uns zurückkehren! Er senkte den Kopf, machte ein paar Schritte auf die linke Wand zu und blieb dann mit dem Rücken zu ihnen stehen. Sie haben unserem Land einen großen Dienst erwiesen und werden, auch wenn es jetzt vielleicht noch nicht so aussieht, als Helden in unsere Geschichtsbücher eingehen. Ihr Tod war unumgänglich, doch könnt ihr sicher sein, dass ihre Familien für ihre glorreiche Tat gebührend entlohnt werden und noch auf Generationen hinaus ausgesorgt haben! Seine Stimme wurde bei den letzten Sätzen lauter und schien ihre Festigkeit und Kraft zurück zu gewinnen. Gleichzeitig hob er den Kopf an und fast glaubte Mauritius das Leuchten in den für ihn verborgenen Augen seines Fürsten sehen zu können, wenngleich sich die Dunkelheit in seinem Inneren immer schneller ausbreitete, weil sich dort eine grausame Vorahnung breitmachte.

    Wieder atmete Kuja hörbar ein und schließlich aus. Der Befehl, den ich euch gegeben habe, war deshalb auch nicht frevelhaft, sondern am Ende eine heldenhafte Tat, mit der ihr großen Schaden vor uns allen bewahrt habt. Dennoch aber...! Seine Stimme wurde wieder leiser und rauer, ebenso senkte er wieder den Kopf. ...bleibt die Tatsache, dass niemand je davon erfahren darf!

    Nachdem Fürst Kuja ausgesprochen hatte, herrschte für einen Moment Stille im Raum. Er dauerte gerade lang genug, dass aus Maurizios Vorahnung eiskalte Gewissheit wurde, die sein Herz wie mit einer mächtigen Klaue umschloss, als urplötzlich Geräusche aus dem Hauptraum der Kapelle zu hören waren.

    Abgehakt, mechanisch, hart, dazu kurzes ersticktes Aufstöhnen, einzelne überraschte Schreie, schmerzhaftes Stöhnen, dumpfe Geräusche von Körpern, die zu Boden stürzten.

    Das alles aber dauerte nur wenige Augenblicke, dann verebbten sie wieder so schnell, wie sie aufgekommen waren.

    Ihre Ursache und ihre Wirkung aber waren allen Anwesenden hier nur allzu bekannt.

    Was...? stieß einer der Offiziere neben Maurizio hervor.

    ...zum Teufel ist hier los? vervollständigte ein anderer die Frage und wollte gerade sein Schwert zücken, als er bereits in die gegen seine Kehle gerichtete Scheide von Morettis Waffe blickte.

    Fürst Kuja? rief ein dritter Offizier, trat einen Schritt auf ihn zu, ohne jedoch das Schwert zu ziehen, verharrte dann aber in seiner Bewegung und starrte sein Gegenüber fassungslos an.

    Kuja wandte sich daraufhin wieder zu ihnen um. Sein Blick war zutiefst erschüttert, seine Augen glänzten tränenfeucht. Es tut mir leid! Aber es ist notwendig! Er suchte die Blicke der Männer vor ihm. Alles, was ich sagen kann, ist, dass für euch das Gleiche gilt wie für die anderen. Ihr werdet als Helden in die Geschichte eingehen und eure Familien für Generationen versorgt sein!

    Aber...! Das war der letzte der Offiziere, der bisher still geblieben war. In seinen Augen konnte Maurizio zunehmende Verzweiflung, aber auch bittere Erkenntnis sehen. ...was geschieht mit uns?

    Kuja atmete ein, drückte seinen Brustkorb nach vor und jetzt klang seine Stimme kraftvoll und klar. Ihr seid Offiziere. Ich überlasse euch die Wahl, wie ihr sterben wollt!

    Was? platzte der letzte Offizier hervor und riss zeitgleich sein Schwert aus der Scheide. Niemals! Er wirbelte herum zu Moretti, doch der hatte längst schon entsprechend reagiert. Mit zwei blitzschnellen Schritten war er bei ihm, blockte die Attacke des Offiziers ab und konterte seinerseits mit einer ruckartigen Finte. Der Mann war tot, noch bevor er zu Boden stürzte.

    Diese Aktion aber war wie der Knall einer Explosion, denn augenblicklich hatten auch die anderen drei Offiziere ihre Schwerter gezogen. Aber anstatt gemeinsam vorzugehen, sorgte ihre Mischung aus Angst, Hass und Verzweiflung dafür, dass jeder das tat, was er für das Beste hielt. Nur einer, nämlich der, dem er die Klinge bereits an die Kehle gehalten hatte, stellte sich Moretti entgegen, der zweite wollte aus dem Raum in die Kapelle flüchten, der dritte hielt es für den richtigen Weg, den Fürsten zu attackieren.

    Maurizio aber...tat nichts. Reglos stand er da, nur seine Augen verfolgten das Geschehen vor ihm. So konnte er sehen, dass Moretti auch mit dem zweiten gegen ihn gerichteten Angriff nur wenige Probleme hatte und es innerhalb weniger Sekunden einen weiteren toten Offizier gab. Der Mann, der aus dem Raum flüchten wollte, riss die Tür auf und ihm wäre womöglich sogar sein Vorhaben gelungen, doch angesichts der Leichen, die den Boden vor ihm bedeckten, erstarrte er fassungslos in seiner Bewegung. So wurden zwei der sechs Mitglieder der Leibgarde des Fürsten, die wohl gerade dabei waren, zu kontrollieren, ob es noch Überlebende gab, auf ihn aufmerksam und stellten sich ihm gemeinsam in den Weg. Der Offizier lieferte ihnen einen mutigen, aber auch verzweifelten Kampf, doch am Ende stand auch für ihn der Tod.

    Dem dritten Offizier gelang es tatsächlich, den Fürsten zu attackieren. Mit einer schnellen Bewegung stellte er sich in seinen Rücken und hielt ihm die Schwertschneide an die Kehle. Dabei war jedoch deutlich zu erkennen, dass diese Aktion nur erfolgreich war, weil Kuja keinerlei Widerstand leistete. Moretti, der diesen Umstand natürlich registriert hatte, war nicht schnell genug und konnte erst zu ihnen herumwirbeln, als es für eine direkte Attacke schon zu spät war. Dadurch wähnte sich der Offizier im Vorteil, doch war Moretti weitaus stärker, als er sich das je hätte träumen lassen. Die linke Hand des Kommandanten zuckte unbemerkt an seinen Gürtel und pflückte dort ein kleines Messer aus seiner Halterung. Moretti riss es in die Höhe und schleuderte es in Richtung rechter Schulter des Fürsten. Der Offizier war so sehr auf Morettis Schwertarm fixiert, dass er diese Attacke erst im letzten Moment erkannte. Da er größer war, als der Fürst, hätte ihn das Messer wohl erwischt, doch gelang es ihm, sich mit einer kurzen, ruckartigen Bewegung aus der Gefahrenzone zu bringen. Als er sah, dass der Wurf ins Leere ging, grinste der Offizier. Vergiss es! rief er. Und jetzt aus dem Weg!

    Moretti schien jedoch nur einen Wimpernschlag verunsichert, dann betätigte er mit dem Daumen den Auslöser in seiner linken Hand. Denn was der Offizier nicht bemerkt hatte: Das Messer, das Moretti ihm entgegengeschleudert hatte, bestand nur aus einer Klinge. Der Griff war in seiner Hand verblieben und mit einem Auslöser versehen. Als die Klinge ihn verfehlt hatte, glaubte der Offizier, sie würde in die Wand hinter ihn fahren, doch dem war nicht so, denn einem Bumerang gleich, verlangsamte sich ihr Flug innerhalb eines Lidschlags und in dem Moment, da sie zurückschnellte, sorgte Moretti mit dem Auslöser in seiner Hand dafür, dass sie in sechs gleichgroße Einzelteile zerfiel, die dann mit einer rasanten Beschleunigung auf ihr Opfer zuhielten und mit großer Wucht in seinen Rücken und seinen Kopf eindrangen. Der Mann konnte lediglich noch erstickt aufstöhnen, dann flackerten seine Augen, jegliche Kraft wich aus seinem Körper und er sackte leblos hinter dem Fürsten zu Boden.     

    All dies sah Maurizio vor sich ablaufen und doch konnte er sich nicht bewegen. Stocksteif und reglos starrte er auf die Kämpfe vor ihm, während sich sein Gehirn auf einer wilden und grausamen Achterbahnfahrt befand.

    Er hatte sich nicht getäuscht, seine düsteren Vorahnungen sich als wahr erwiesen, waren sogar noch schlimmer, als er es je befürchten konnte.

    Heute war nicht der Tag, an dem er nach der Erledigung einer besonderen Aufgabe zurück zu seiner Familie kommen würde, um dort seine Seelenqualen zu lindern, heute war der Tag, an dem er seine Familie niemals wiedersah, weil er sterben würde.

    Und Maurizio wusste, dass er weder weglaufen, noch den Fürsten von seinem Vorhaben abbringen, noch um Gnade für sich flehen konnte.

    Neben großer Verzweiflung, spürte er tiefste Trauer darüber in sich, dass er sich nicht einmal von seiner Familie verabschieden durfte, und diese einfach verhinderte, dass er sich bewegen konnte.

    Dann schlug der tote Körper des vierten und letzten Offiziers hinter dem Fürsten zu Boden und mit dem Blick auf das Schlachtfeld in der Kapelle, in der seine Kameraden hingerichtet worden waren, wusste Maurizio, dass auch seine Zeit gekommen war.

    Moretti bewegte sich schnell und nahezu lautlos. Noch bevor sein letztes Opfer zu Boden klatschte, stand er bereits schräg hinter Maurizio, jederzeit bereit, einen Angriff abzuwehren.

    Fürst Kuja, der die ganze Zeit über mit leerem, tränenfeuchtem Blick dagestanden hatte, richtete seine Augen nunmehr auf Maurizio. Sein Gegenüber konnte dort Trauer und Schmerz, aber auch echte Verzweiflung erkennen.

    Schwört, dass es meiner Familie gutgehen wird! Maurizios Stimme war klar und kraftvoll, was ihn selbst überraschte.

    Der Fürst nickte und legte seine rechte Hand auf sein Herz. Ja, ich schwöre es! So habe ich es verfügt!

    Etwas an der Wortwahl des Fürsten irritierte ihn, doch wusste er in diesem Moment nicht zu sagen, was. Eine letzte Bitte habe ich noch!

    Kuja nickte. Natürlich!

    Sagt mir, von welcher Gefahr ihr gesprochen habt!

    Der Fürst sah ihn einen Moment ausdruckslos an, dann nahm sein Antlitz einen gequälten Ausdruck an und Maurizio war sicher, dass er ihm diese Bitte schuldig bleiben würde. Unvermittelt aber machte Kuja zwei schnelle Schritte auf ihn zu und stand jetzt direkt vor ihm. Er schob seinen Kopf nach vorn, bis sich sein Mund dicht neben Maurizios linkem Ohr befand und dann flüsterte er ihm die Antwort auf seine Frage ins Ohr.

    Maurizio spürte mit jedem Wort, wie sich sein Pulsschlag erhöhte, denn was der Fürst ihm da erzählte, war unfassbarer, als alles, was er sich je hätte vorstellen können. Seine Augen weiteten sich in schierer Panik und sein Atem stockte ihm ein ums andere Mal. Und als Kuja geendet hatte, war Maurizio klar, dass der Fürst nicht anders hätte handeln können, als er es getan hatte. Niemand, wirklich niemand, durfte je von der Existenz dieses grauenhaften Feindes erfahren. Dazu mussten alle Opfer gebracht werden, die dafür nötig waren, auch sein Eigenes. Als der Fürst seinen Kopf wieder zurückzog, musste Maurizio schwer schlucken. Er spürte kalten Schweiß auf seiner Stirn. Gott vergib uns! sagte er, dann ließ er sich auf die Knie fallen.

    Daran müssen wir fest glauben! erwiderte der Fürst und nickte Moretti unmerklich zu. Der Kommandant der Leibwache machte daraufhin einen kleinen Schritt seitwärts, sodass er sich jetzt direkt hinter Maurizio befand und hob gleichzeitig seinen Schwertarm an.

    Aber in einem habt ihr gelogen, nicht wahr? fragte Maurizio.

    Während der Fürst ihn traurig ansah, legte Moretti seine linke Hand auf Maurizios linke Schulter.

    Wir werden keine Helden sein...!

    Moretti schob die Schwertspitze in Maurizios Nacken direkt vor die Verbindung zwischen dem siebten Hals- und den ersten Brustwirbeln und hielt die Klinge waagerecht.

    Kuja schüttelte den Kopf. Nein...! Sein Blick wurde unendlich traurig. ...werden wir nicht!

    Als Maurizio die Antwort hörte, schloss er seine Augen, sein gesamter Körper entspannte sich und seine Gedanken waren bei seiner Familie.

    Dann spürte er, wie Morettis Hand auf seiner Schulter zudrückte.

    Einen Lidschlag später zuckte die Schwertscheide vor und zurück und Maurizio war tot.

    Moretti ließ ihn los und sein Körper fiel seitlich zu Boden. Ich kümmere mich um meine Männer! sagte der Kommandant mit tiefer Stimme und als der Fürst ihm zunickte, wandte er sich ab, ging in die Kapelle und schloss die Tür hinter sich.

    Kuja verharrte noch einen Augenblick mit dem Blick auf Maurizios Leiche, dann drehte er sich um und ging zurück zu dem alten Holztisch. Mit geschlossenen Augen atmete er mehrmals tief durch, während er von draußen dumpfe Kampfgeräusche hören konnte, sowie gedämpftes Stöhnen und erstickte Schreie. Als er seine Augen wieder öffnete, griff er mit behänden Fingern in seinen Umhang und holte zwei unscheinbare, kleine, gläserne Phiolen daraus hervor. Beide waren mit einer farblosen Flüssigkeit gefüllt. Kuja hielt sie vor seine Augen und betrachtete sie im Halbdunkel des Zimmers beinahe andächtig und ehrfürchtig.

    Dann wurde die Tür hinter ihm aufgestoßen und Moretti kam herein.

    Der Kommandant taumelte, sein Gesicht war schweißüberströmt, sein Körper mit Blut bedeckt. Seinen linken Arm hielt er fest an seine Seite gepresst, deutlich war eine tiefe Stichwunde in der linken Schulter zu erkennen.

    Kujas Blick wurde finster. Es waren gute Männer! sagte er.

    Moretti stöhnte. Die Besten! Als er seinen Fürsten ansah, hielt der ihm eine der beiden Phiolen hin. Der Kommandant nahm sie an sich. Ich hoffe, dass unser Opfer nicht umsonst war!? sagte er mit trauriger Stimme, dann krümmte er sich, weil ihm seine Verletzung offensichtlich große Schmerzen bereitete. Moretti stöhnte und atmete schwer, doch nach zwei Sekunden richtete er sich wieder auf.

    Kuja hielt die zweite Phiole in der Hand. Er sah den Kommandanten in einer Mischung aus Verzweiflung und Entschlossenheit an. Unser beider Tod wird alles Wissen über diese fremde Macht auslöschen. Darauf müssen wir vertrauen! Er hob die Phiole an, als wolle er seinem Gegenüber zuprosten.

    Es war mir eine Ehre, euch zu dienen! sagte Moretti.

    Dann lasst es uns vollenden! Kuja hob die Phiole an seine Lippen, kippte sich den Inhalt in den Mund und schluckte ihn hinunter. Dann blickte er starr auf den Kommandanten.

    Dieser aber zögerte ebenfalls nicht und tat es seinem Herrn gleich.

    Für einige Augenblicke herrschte Totenstille im Raum, in denen sich der Fürst und sein Kommandant beinahe erwartungsvoll anstarrten.

    Dann zuckte Morettis Körper plötzlich hart in sich zusammen, während der Soldat aufstöhnen musste.

    Fast zeitgleich stöhnte auch Kuja, sein Gesicht verzerrte sich in Schmerz und seine Hände zuckten vor seinen Bauch.

    Einen Lidschlag später schrie Moretti kurz auf, seine gesunde rechte Hand zuckte hinauf zu seiner Kehle, er begann zu röcheln.

    Kuja versuchte Atem zu holen, doch es klang quälend und auch er röchelte schwer.

    Nun begann Moretti zu würgen, weil es ihm nicht mehr gelang, Luft in seine Lungen zu bekommen. Seine Augen wurden immer größer, sein Körper begann zu zittern.

    Der Fürst wankte, stieß rücklings gegen den Tisch, seine Beine gaben unter ihm nach. Mit einem letzten verzweifelten Atemzug, der ihm nicht gelang, sank er vollständig zu Boden, wo er reglos liegen blieb.

    Dem Kommandanten erging es kaum anders. Er sackte ruckartig auf seine Knie, seine Hände krampften um seine Kehle, doch auch ihm wurde der lebensrettende Sauerstoff verwehrt. Nur einen Augenblick, nachdem Kujas Kampf endete, kippte sein Oberkörper nach hinten und er schlug reglos zu Boden.

    Dann schien sich Totenstille ausbreiten zu wollen und diesem bizarren, furchtbaren Szenario ein Ende zu bereiten.

    Doch nur beinahe...

    II

    Kuja

    I

    Der schwarze Hengst erklomm die kleine Anhöhe mühelos.

    Kuja gebot ihm anzuhalten und während er auf den Rest seines kleinen Trupps wartete, ließ er den Blick über die vor ihm liegende Ebene schweifen. Es war ein prachtvolles Land, das sich vor ihm auftat. Fruchtbare Felder voller Getreide und Gemüse, tiefgrüne Wälder voller gutem Bauholz, etliche Obstbäume, saftige Wiesen mit vielerlei Nutzvieh, durchzogen von natürlichen Wasserläufen und Seen mit glasklarem Inhalt, welcher im Licht der strahlenden Sonne am wolkenlosen Himmel funkelte wie lupenreine Diamanten.

    Dazwischen konnte er mehrere Dörfer erkennen. Es waren nur kleine Ansiedlungen, doch die Häuser waren geräumig und in einem ordentlichen Zustand.

    Ihre Einwohner, die aus dieser Entfernung auf Kuja wie Ameisen wirkten, gingen auf den Feldern und in den Dörfern ihren Arbeiten nach.

    Ein weiterer arbeitsreicher Tag für das eigene Wohl und das des Fürstentums.

    Seit über dreißig Jahren herrschte Frieden, sowohl innerhalb des Volkes, als auch mit den benachbarten Reichen. Die Politik und die Führung des Fürsten waren besonnen, gerecht und dennoch herzlich. Er und auch seine Familie wurden vom Volk geliebt. Sein Leitsatz lautete: Das Land ist für das Volk da, der Fürst für die Menschen.

    Zufriedene Bürger waren die Regel, nicht die Ausnahme. Es galt das gleiche Recht für alle, ungeachtet des Standes, es gab freie Berufswahl und Frauen waren in nahezu allen Bereichen den Männern gleichberechtigt und wurden auch gleichbehandelt. Es gab privates Eigentum, wie Bauernhöfe, Schmieden, Kaufläden, etc., für das jeder Besitzer eigenverantwortlich war, und es gab öffentliches Eigentum, wie Straßen, Schulen, Versammlungshallen, Verwaltungsbehörden, für die alle gleichermaßen verantwortlich waren.

    Die Steuerlast war absolut erträglich und lag zurzeit bei einem Fünftel, wobei dieser Betrag letztlich noch einmal in vier gleiche Teile aufgeteilt wurde.

    Zwei Teile flossen direkt dem Fürsten zu. Einer davon war jedoch dem Militär vorbehalten, um damit die Grenzen des Fürstentums dauerhaft zu sichern. Der andere Teil stand dem Fürsten und seiner Familie zum Leben zu, wobei hiervon auch die Instandhaltung der Herrscherburg bezahlt werden musste.

    Ein dritter Teil ging an die Distriktverwaltungen. Das Fürstentum war in gut zwei Dutzend Bezirke unterteilt, wobei der Verwaltungssitz in der dort jeweils größten Stadt untergebracht war. Von diesem Anteil musste der öffentliche Besitz des Distrikts instand- und die innere Ordnung aufrechterhalten werden.

    Der vierte und letzte Teil verblieb direkt in jedem einzelnen Dorf und diente als Rücklage für erntearme Zeiten, sowie für die Anschaffung neuer, notwendiger Maschinen.

    Innerhalb des Fürstentums herrschte die allgemeine Schulpflicht. Jedes Kind im Alter von vier Jahren musste vormittags die Schule besuchen und das für mindestens sechs Jahre. Erst dann waren ein Ausscheiden und somit ein Wechsel in die Arbeitswelt möglich. Für besonders begabte Jungen und Mädchen gab es danach die Möglichkeit ein Stipendium zu bekommen, das eine weitere Ausbildung bei freier Kost und Logis an der Hochschule von Alimante ermöglichte, um hochqualifiziertes Fachpersonal zu erhalten.

    Ja, das Fürstentum Carracassini war ein großes und mächtiges Herrscherhaus, das von seinen Einwohnern geliebt und von seinen Nachbarn geachtet wurde.

    Und das nun schon seit mehr als dreißig Jahren.

    Kujas Großvater hatte es seinerzeit geschafft, das Volk wieder zu vereinen und einen dauerhaften inneren und äußeren Frieden zu erlangen.

    Kujas Vater hatte das Erbe seines Vaters übernommen und weiter ausgebaut und mittlerweile profitierten nicht nur das eigene Volk, sondern auch die umliegenden Fürstentümer jeden Tag immer tiefgreifender von dieser stabilen Konstellation.

    Auch er, Kuja, schwor sich diesen wunderbaren Weg mit der ganzen Kraft seines Herzens weiter zu gehen, damit auch nachfolgende Generationen noch davon zehren konnten.

    Und dieser Schwur war weiß Gott nicht einfach nur so daher gesagt für einen weit entfernten, ungewissen Tag seiner eigenen Machtübernahme. Oh nein!

    Denn Kuja wusste, dass er in nicht einmal vier Wochen mit der Heirat seiner geliebten Mariella seinem Vater auf den Fürstenthron folgen würde.

    Bei diesem Gedanken machte Kujas Herz einen freudigen Satz. Nicht nur, dass ihm der Herrgott mit Mariella die atemberaubend schönste, intelligenteste, liebevollste und leidenschaftlichste Frau, die es nur geben konnte, offenbart hatte, nein, er durfte sie alsbald sogar zur Frau nehmen und würde somit am selben Tag gleichermaßen zum neuen Fürsten ernannt werden.

    Diese uralte Tradition sollte verhindern, dass der Fürstenthron zu lange von einer Person gehalten wurde und gleichzeitig, dass der Herrscher dieses Landes stets aus der Generation hervorging, deren Tatkraft am höchsten war.

    Und so würde Kuja schon bald seinem Vater auf den Thron folgen, ihn aber natürlich weiterhin als sehr engen Vertrauten in seiner Nähe behalten.

    Eigentlich hätte Kuja ein wirklich glücklicher Mann sein können, doch gerade im Moment war er es nur bedingt.

    Denn in dem Fürstentum gab es vielerlei Traditionen und neben der, als Erstgeborener bei der eigenen Hochzeit auch den Thron zu besteigen, war er verpflichtet, die Stadthalter der Distrikte in den Wochen davor persönlich zu diesem Fest einzuladen.

    Und so war er, zusammen mit seinen beiden besten Freunden, Giovanni und Tizian, sowie einer sechsköpfigen Leibgarde unter der Führung von Kommandante Moretti vor nunmehr drei Wochen aus Alimante aufgebrochen, um alle siebenundzwanzig Distrikte aufzusuchen und der Tradition gerecht zu werden.

    Hierzu würden sie noch etwa weitere zwei Wochen benötigen, bevor sie wieder nach Alimante zurückkehren konnten.

    Eigentlich fand Kuja diese Tradition auch richtig und sinnvoll, weshalb er nicht gezögert hatte, als sein Vater ihn dazu aufforderte.

    Er liebte sein Heimatland und die Menschen darin. Er war stolz darauf, hier leben zu dürfen, fühlte sich tief verpflichtet in dem Privileg, es alsbald zu regieren und freute sich darauf, es in eine weiterhin glorreiche, wundervolle Zukunft führen zu dürfen.

    Doch spürte er mit jedem neuen Tag eine immer größer werdende Sehnsucht nach seiner geliebten Mariella. Zwar hatte er vor seiner Abreise eine wahrhaft denkwürdige Nacht mit ihr verbracht, in der beide mehrmals zum Höhepunkt gekommen waren, doch reichte dies natürlich nicht aus, um eine derart lange Durststrecke zu überbrücken. Immer wieder musste Kuja daran zurückdenken, war dann anfangs fast schon entsetzt darüber, dass die Erinnerungen scheinbar bereits zu verblassen drohten, nur um sich daraufhin noch intensiver darauf zu konzentrieren, bis er schließlich schier wahnsinnig bei dem Verlangen nach ihr wurde.

    Es fiel ihm zusehends schwerer, sich zusammen zu reißen, doch war ihm klar, dass er seine Reise jetzt nicht einfach ab- oder auch nur unterbrechen konnte. Nein, er musste Vernunft walten lassen und sich in Geduld üben, bis er wieder in Alimante war, wo er - und das schwor er sich bei allen Heiligen, an deren Namen er sich erinnern konnte - eine weitere Nacht mit Mariella verbringen würde, die die letzte sogar noch in den Schatten stellte.

    Bei seinen Gedanken spürte Kuja erneut Erregung zwischen seinen Beinen aufsteigen und so zwang er sich, an etwas Anderes zu denken.

    Glücklicherweise fiel ihm das nicht so schwer, wie sonst, denn war die vor ihnen liegende Ebene noch immer unter wolkenlosem Himmel sonnenüberflutet, so waren über den Gipfeln des rund sechzig Kilometer entfernten Tandorini-Gebirges erste dichte, dunkle Wolken zu erkennen. Und diese Tatsache zerstob seine erotischen Gedanken, denn ihr Weg in den nächsten Distrikt führte sie geradewegs über dieses Gebirge.

    Es war die mit Abstand größte Etappe auf ihrer Reise, insgesamt fast hundert Kilometer lang, doch war sie normalerweise in einem harten Ritt von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang zu bewältigen.

    Aus diesem Grunde hatten sie einen Tag länger in Polina, der letzten Stadt, in der er zur Hochzeit eingeladen hatte, verbracht. Denn natürlich ließ es sich kein Stadthalter nehmen, bei dieser Nachricht selbst ein kleines Fest zu Ehren des Bräutigams und zukünftigen Fürsten zu veranstalten, bei dem es einfach von ihm erwartet wurde, weder Nahrung, noch Getränke zu verschmähen. Meistens gelang es Kuja, das Fest mit der Begründung seines noch weiten Weges durch das Land frühzeitig genug zu verlassen, bevor er betrunken war, aber dennoch spät genug, um niemanden zu beleidigen.

    In Polina aber glückte ihm das nicht. Er konnte sich weiß Gott nicht mehr daran erinnern, wie er in sein Bett gelangt war und seine beiden Freunde sagten ihm, dass das schlicht daran lag, dass er sturzbetrunken gewesen sei.

    Der Kater am nächsten Morgen strafte sie leider keine Lügen und so fiel der Beginn ihrer Abreise noch vor Sonnenaufgang gründlich ins Wasser. Doch die Reise über das Tandorini-Gebirge zu ihrem nächsten Ziel Santarole im äußersten Osten war bei einem späteren Start nicht an einem Tag zu schaffen. Zwar hätten sie die Nacht auch in den Bergen verbringen können, doch hatte keiner von ihnen Lust auf das kühle und raue, vor allem aber tückische, weil sehr wechselhafte Wetter in über zweitausend Metern Höhe.

    Deshalb beschlossen sie, noch einen Tag länger in Polina zu bleiben und ihren Pferden eine Ruhepause zu gönnen, um dann am heutigen Tage wie geplant vor Sonnenaufgang zu starten.

    Und genau so war es auch gekommen.

    Vor etwa einer Stunde waren sie losgeritten und hatten anfangs auch eine gute Distanz zurückgelegt, doch seit ein paar Minuten schien der Schlendrian Einzug gehalten zu haben.

    Kuja schätzte, dass sie gute zehn Kilometer zurückgelegt hatten und war guten Mutes, dass sie die ersten Ausläufer des Gebirges noch deutlich vor der Mittagszeit erreichen würden, als er erkennen musste, dass er allein ritt und der Rest des Trupps zurückgefallen war.

    Also stoppte er auf der kleinen Anhöhe ab und während er den Ausblick über sein Reich genoss, wartete er darauf, dass die anderen aufschlossen.

    Der erste, der ihn erreichte, war Tizian.

    Der hochgewachsene, schlanke Mann war ein Jahr älter als Kuja. Er hatte schulterlanges, blondes Haar und leuchtend blaue Augen. Sein Gesicht war ebenmäßig und ein sanftes Lächeln umspielte seine sinnlichen Lippen. Seine Haltung war aufrecht, sein Körper zeigte jedoch nur geringe Muskelbildung, wirkte aber dennoch geschmeidig.

    Auf Frauen machte er einen attraktiven Eindruck. Tizian aber war noch nicht verheiratet und Kuja wusste, dass dem auch niemals so sein würde, denn sein Freund liebte sein eigenes Geschlecht viel mehr, als das weibliche. Homosexualität war im Fürstentum nicht weit verbreitet und obwohl es stillschweigend geduldet wurde, achtete Tizian sehr auf Diskretion.

    Kuja hatte mit der sexuellen Ausrichtung seines Freundes kein Problem, akzeptierte aber, dass Tizian zurückhaltend damit umging und achtete darauf, dass niemand hinter sein Geheimnis kam.

    Ah! stöhnte Tizian erfreut und mit einem tiefen Atemzug auf, nachdem er sein Pferd neben Kuja zum Stehen gebracht hatte. Ist das nicht ein wundervoller Anblick? Seine Augen leuchteten, als er seinen Blick ebenfalls über die vor ihnen liegende Ebene schweifen ließ.

    Kuja nickte eher gelangweilt. Schon. Nur steht mir gerade nicht der Sinn danach!

    Wieso? fragte Tizian und sah den Fürstensohn mit großen Augen an. Was ist denn?

    In diesem Moment kam Giovanni zu ihnen heran, ritt auf die andere Seite von Kuja und stoppte ab. Stimmt etwas nicht? fragte er mit ernster Miene. Er war so ziemlich das genaue Gegenteil von Tizian. Groß, braungebrannt, muskelbepackt, kampferprobt. Seine schwarzen Haare waren zu einem sehr kurzen Stoppelschnitt gestutzt, ebenso sein Vollbart. Seine eisgrauen Augen funkelten im Licht der Sonne fast weiß. Giovanni war einige Monate jünger, als Kuja. Auch er war noch nicht verheiratet, wenngleich er, wenn auch auf eine grundlegend andere Art und Weise, wie Tizian, sehr attraktiv auf das weibliche Geschlecht wirkte. Und Giovanni war weiß Gott kein Kostverächter, hatte schon Dutzende von Frauen gehabt, allerdings niemals sehr lange. Das Militär sei seine wahre Liebe, sagte er immer, doch Kuja war sicher, dass Giovanni nur noch nicht die richtige Frau für sich gefunden hatte. Wenn es soweit war, würde er auch heiraten, denn der muskelbepackte, kantig wirkende Mann hatte ein Herz aus purem Gold und war äußerst kinderlieb. Kuja wusste, dass er für sich selbst einen Erben wünschte, dem er alles beibringen konnte, was er vom Leben wusste.

    Zurzeit war Giovanni noch Offizier der fürstlichen Garde, doch Kuja hatte sich längst vorgenommen, seinem Freund ein Kommando in einer der Distriktstädte zu verschaffen, wenn er erst einmal die Krone trug.

    Kuja verzog die Mundwinkel. Wir sind zu langsam! erklärte er und blickte dabei nach hinten. Dort hatten Moretti und seine Männer mittlerweile ebenfalls aufgeschlossen.

    Giovanni lächelte. Keine Sorge, mein Freund! Wir sind schnell genug!

    Doch Kuja war da anderer Meinung. Seht ihr die Wolken dort über den Gipfeln? Er deutete nach vorn. Das sieht nach Regen aus!

    Regen? Tizian lachte leise auf. Das soll wohl ein Scherz sein, hör mal? Er schüttelte den Kopf. Sieh dir den Himmel an. Sonne, soweit das Auge reicht. Und das wird auch so bleiben. Wenn wir das Gebirge erreicht haben, haben sich diese kleinen Miniwölkchen da längst verdrückt! Tizian sprach mit voller Überzeugung.

    Er war der Sohn eines der mächtigsten Kaufleute im Land. Doch er würde nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten, sondern hatte sich der Wissenschaft verschrieben. An der Hochschule von Alimante war er der persönliche Assistent von Professor Donotari, dem klügsten Kopf im Fürstentum und wohl auch der gesamten bekannten Welt. Und da Tizian selbst ebenfalls hochintelligent war, lernte er jeden Tag wertvolles Wissen von ihm. Eines der Forschungsgebiete der beiden war die Meteorologie. Ja, sie erforschten tatsächlich das Wetter, dachte Kuja amüsiert, wenngleich er den Ernst darin durchaus sah. Schließlich geschah es zum Wohl der Menschen, denn mit ihren Beobachtungen und Aufzeichnungen versuchten sie verlässliche Vorhersagen, etwa für die beste Zeit der Aussaat oder Ernte zu treffen, oder gar eine Prognose für die zu erwartende Ernte.

    Doch zeigte sich schon bald, dass die Erforschung des Wetters unendlich schwierig war, denn es hielt sich meist nie an Regeln oder Vorhersagen, weshalb Tizian und der Professor bisher nur geringe Erfolge zu verzeichnen hatten.

    Kein Wunder, dessen war sich Kuja sicher, denn das Wetter kam von Gott und folgte daher kaum menschlichen Denkmustern.

    Bist du sicher? fragte Kuja mit bitterernster Miene, wobei er sich innerlich ein breites Grinsen wahrlich verkneifen musste. Er konnte hören, wie Giovanni leise auflachte.

    Ja...! erwiderte Tizian mit nicht minder ernster Miene, während er sich vorbeugte, um auch Giovanni ansehen zu können. ...bin ich! Meine Forschungen zeigen, dass diese Art von Wolken nur einen geringen Wasseranteil haben und sich verflüchtigen werden!

    Weder Kuja, noch Giovanni erwiderten etwas darauf; sie lächelten ihren Freund nur an. Bevor der sich aber darüber beschweren konnte, ritt plötzlich Moretti zwischen Tizian und den angehenden Fürsten. Herr? sagte er.

    Kuja sah den Kommandanten noch immer mit einem Lächeln an. Ja?

    Wir sollten zusehen, dass wir weiterkommen! erklärte Moretti mit ernster Miene.

    Warum?

    Der Kommandant nickte in Richtung der Berge. Diese Wolken da!

    Ja? Kujas Lächeln wurde sogleich noch breiter und ein sehr kurzer Seitenblick zu Giovanni zeigte, dass dieser sich kaum noch zurückhalten konnte. Was ist mit ihnen? Dann sah er Tizian mit großen Augen an.

    Sehen mir verdammt nach Regen aus! erwiderte Moretti.

    Im selben Moment brach Giovanni in brüllendes Gelächter aus, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon.

    Jetzt war es Kuja, der einmal auflachen musste, bevor er sich wieder mit einem breiten Grinsen begnügte und dem Kommandanten zunickte, der daraufhin seinen Männern ein Zeichen gab und die Leibgarde ebenfalls an ihnen vorbeipreschte. Moretti allerdings verblieb, zwang sein Pferd jedoch dazu, ein paar Schritte zurück zu machen.

    Sehr witzig! presste Tizian mit verzogenen Mundwinkeln und säuerlichem Blick hervor.

    Kuja lenkte seinen Hengst direkt neben ihn und klopfte ihm auf die Schulter. Du kannst immer noch Recht haben! Er wartete, bis Tizian ihn ansah, dann lächelte er ihn offen und ehrlich an, was sein Freund letztlich erwiderte. Und jetzt komm! Er schlug dem anderen Pferd auf die Kruppe, sodass es loslief.

    Wenige Augenblicke später sausten Kuja und Tizian laut lachend und Moretti im gestreckten Galopp hinter Giovanni und der Leibgarde her und das Land schien nur so an ihnen vorbeizufliegen.

    II

    Etwa drei Stunden später hatte der Trupp die ersten Ausläufer des Tandorini-Gebirges erreicht und tatsächlich hatten sich die Wolken, ganz nach Tizians Prognose, aufgelöst.

    Na, wer hat jetzt Ahnung vom Wetter? fragte er dann auch mit einem breiten Grinsen in die Runde. Doch erntete er von Moretti und den Mitgliedern der Leibgarde keinen Kommentar. Als Giovanni an ihm vorbeiritt, würdigte ihn sein Freund keines Blickes, dafür aber war ein deutlich verstimmtes Grollen zu hören, was Tizians Grinsen zusätzlich verbreiterte, falls das überhaupt noch möglich war.

    Das hast du gut gemacht, mein Freund! meinte Kuja ehrlich zufrieden und klopfte Tizian anerkennend auf die Schulter. "Und sieh es doch mal so: Jetzt werden wir weitaus früher in Santarole sein, als geplant. Dafür hast du dir eine Belohnung verdient! Er wartete, bis Tizian ihn ansah, dann beugte er sich zu ihm und senkte seine Stimme. Wenn du heute Abend einen interessanten Mann für dich finden solltest, sorge ich dafür, dass ihr die Nacht ungestört bleibt, okay?"

    Tizian sah ihn in einer Mischung aus Freude und Überraschung an und nickte mit einem süffisanten Grinsen und leuchtenden Augen. Das Angebot nehme ich gern an!

    Ich an deiner Stelle würde meinen Ständer aber noch zurückhalten! brummte Giovanni und sah zu den beiden herüber. Bergwetter ist tückisch!

    Eine Stunde später begann es zu regnen. Nur geringfügig, jedoch beständig anhaltend.

    Was habe ich gesagt!? rief Giovanni nicht ohne Genugtuung in der Stimme.

    Aber das sind doch nur ein paar Tropfen! protestierte Tizian. Sei kein Weichei!

    Ich bin kein Weichei! erwiderte Giovanni mit brummender Stimme. Aber ein paar Tropfen hier sind schon bald ein echter Regenguss dort! Er deutete auf die Gipfel, die noch etwa einen Kilometer von ihnen entfernt waren.

    Also gut! meinte Moretti mit finsterer Miene. Was befiehlt ihr? Dabei sah er Kuja an, doch als er nicht sofort eine Antwort bekam, fügte er hinzu. Sollen wir umkehren oder unseren Weg fortsetzen?

    Kuja aber war unschlüssig. Die Bergwelt des Tandorini-Gebirges war tückisch, die Felswände sehr steil, seine Pfade schmal, die

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