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Vernetzte Erzählungen: Wechselwirkungen von Digitaltechnologie und serieller Narration in US-amerikanischen TV-Dramen
Vernetzte Erzählungen: Wechselwirkungen von Digitaltechnologie und serieller Narration in US-amerikanischen TV-Dramen
Vernetzte Erzählungen: Wechselwirkungen von Digitaltechnologie und serieller Narration in US-amerikanischen TV-Dramen
eBook435 Seiten5 Stunden

Vernetzte Erzählungen: Wechselwirkungen von Digitaltechnologie und serieller Narration in US-amerikanischen TV-Dramen

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Über dieses E-Book

Fernsehserien haben seit Mitte der 1990er Jahre eine immense Weiterentwicklung durchlaufen. Ein wichtiger Grund dafür sind neue digitale Technologien für die Herstellung und den Konsum von TV-Serien. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit den Auswirkungen, die die Verfügbarkeit von digitalen Technologien auf die Produktion, Vermarktung und Erzählweise von Serien hat. Untersucht wird eine Vielzahl US-amerikanischer Drama-Serien des Typs "Quality Television" von "Emergency Room" über "The Sopranos" bis hin zu aktuellen Produktionen wie "Game of Thrones" oder "Orange Is the New Black".
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum19. Apr. 2016
ISBN9783741804496
Vernetzte Erzählungen: Wechselwirkungen von Digitaltechnologie und serieller Narration in US-amerikanischen TV-Dramen

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    Buchvorschau

    Vernetzte Erzählungen - Stefanie Kadenbach

    Einleitung

    Immer mehr Menschen begeistern sich für Fernsehserien. Nicht nur bei ›gewöhnlichen‹ Zuschauern, sondern auch in akademischen Kreisen und im Feuilleton finden TV-Serien zunehmend positive Beachtung. Besondere Aufmerksamkeit erhalten Serien, für die sich mittlerweile der Begriff Quality Television (nachfolgend QTV oder Quality-TV) durchgesetzt hat. Es handelt sich dabei zumeist um Drama-Serien aus den USA, die als besonders hochwertig im Hinblick auf Erzählweise und Produktion empfunden werden. Eine Vorreiterrolle für diesen Serientypus nimmt der Abonnementsender HBO ein, dessen eigenproduzierte Serien seit den späten 1990er Jahren Lob von Kritikern, Fernsehwissenschaftlern und Zuschauern erhalten. Besonders bemerkenswert ist dabei, dass nicht primär erhöhte Zuschauerzahlen der Hauptgrund für den veränderten Stellenwert von Serien sind, sondern insbesondere eine verstärkte inhaltliche Beschäftigung mit den Produktionen. Die Verwendung des Qualitätsbegriffs ist fraglos problematisch, da »Qualität« bei Fernsehserien ebenso wenig ein neutral messbares Kriterium darstellt wie bei Literatur und der Begriff letztlich zumindest teilweise einer kritischen Haltung gegenüber dem Kulturpessimismus der Frankfurter Schule entspringt. Ich verwende »Quality Television« im Folgenden dementsprechend als konsensuell gebräuchliche Genrebezeichnung für einen bestimmten Typus von TV-Serie, deren Merkmale ich noch detailliert beschreiben werde und die sich aufgrund derer von anderen Fernsehproduktionen abgrenzen lässt.

    Speziell im Bereich des fiktionalen Dramas hat die amerikanische Fernsehserie seit Mitte der 1990er Jahre eine enorme Weiterentwicklung erfahren. Innovative Produktionen wie Lost, The Sopranos, ER, The West Wing oder The Wire fordern auf vielfältige Weise allwöchentlich ein Millionenpublikum heraus, indem sie narrative, visuelle und diskursive Konventionen des Fernsehens aufbrechen und infrage stellen. In meiner Arbeit analysiere ich einen breiten Korpus von Serien des Produktionszeitraumes 1994 bis 2015 unter verschiedenen Gesichtspunkten. Neben unterschiedlichen Aspekten von Handlung und Darstellung werden auch Produktions- und Rezeptionsbedingungen in die Analyse einbezogen. Dieser multiperspektivische Ansatz ist erforderlich, um unterschiedliche Entwicklungen der Fernsehserie aufzuzeigen und aktuelle TV-Serien entsprechend ihrer Natur als komplexe Medienphänomene zu untersuchen. Grundsätzlich soll bei der Analyse ein kontextualisierter Erkenntnisgewinn angestrebt werden, der die Bedeutung und die Funktionen von Fernsehserien innerhalb eines größeren kulturellen und gesellschaftlichen Zusammenhangs herausarbeitet.

    Die publizierte Literatur zum Thema Fernsehserie umfasst diverse Grundlagenwerke zur Fernsehforschung (Hickethier 2001, Mikos 2003, Creeber 2006 usw.), tabellarische Auflistungen der ausgestrahlten Programme (z.B. Castleman und Podrazik 2003) sowie eine Vielzahl von Analysen einzelner Serien oder Themenkomplexe. Von zentraler Bedeutung war häufig die Frage, ob Fernsehtexte überhaupt einen legitimen Forschungsgegenstand darstellen. Gerade in Deutschland hat die Frankfurter Schule lange Zeit eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Fernsehtexten erschwert, da die negative Haltung Horkheimers und Adornos gegenüber Populärkultur bis heute massiv nachwirkt. So erklärt sich unter Umständen auch der anhaltend vergleichsweise geringe Einfluss der angelsächsischen Cultural Studies in den deutschen Medienwissenschaften. Arbeiten wie die John Fiskes betonen nachdrücklich die Relevanz der akademischen Auseinandersetzung mit Populärkultur. Fiske folgt dem Konzept Pierre Bourdieus, der emotiv entlastende Faktoren wie Unterhaltung, Spaß, Lust, Vergnügen und Erholung als Kernmerkmale populärer Ästhetik nennt und eine deutliche Abgrenzung zum tradierten Kulturbegriff und zur etablierten Ästhetik feststellt. Fiske betont, dass Populärkultur leicht zugänglich sei und eben deshalb von Kritikern geschmäht, vom Zuschauer indes geschätzt werde. Zugleich bescheinigt er aber populärkulturellen Texten einen Mangel an Herausforderung für den Zuschauer und verharrt demzufolge nicht nur in einer Unterscheidung zwischen Hoch- und Popkultur, sondern auch in einer intellektuellen und ästhetischen Höherbewertung traditionell als hochkulturell verstandener Texte.

    Einen solchen Ansatz vertrat Umberto Eco bereits in den 60er Jahren, als er sich in »Apokalyptiker und Integrierte« als Fan populärer Kultur verortete, eine Gleichwertigkeit von Pop- und Hochkultur jedoch ablehnte (vgl. Goldbeck, 2004: S. 13). Ecos Kategorien von »Apokalyptikern«, also Intellektuellen, die angesichts des Massenerfolges von Popmusik und Comics das Ende der abendländischen Kultur nahe wähnten und »Integrierten«, also distanzlos begeisterten Fans, lassen sich noch bis heute nachweisen. Erst langsam bildet sich eine Form der ernsthaften wissenschaftlichen Beschäftigung mit populären Texten heraus, die nachhaltig die Verschmelzung von Hoch- und Popkultur in der Postmoderne betont und sich kritisch mit dieser auseinandersetzt, ohne die persönliche Begeisterung für den Gegenstand leugnen zu wollen (siehe etwa David Lavery und seine diversen Veröffentlichungen zu The Sopranos). Nicht zuletzt durch den Anstoß der Cultural Studies ist allmählich eine Beschäftigung mit popkulturellen Phänomenen möglich, die sich nicht als Expedition des Intellektuellen in den Sumpf der Primitivkultur präsentiert, sondern die Bedeutsamkeit und gerade auch die Hochwertigkeit vieler aktueller Fernsehproduktionen anerkennt. Für wegweisend in diesem Bereich halte ich Steven Johnsons Everything Bad is Good for You: Why Popular Culture is Making Us Smarter. Johnson greift im Titel seines Buchs zunächst die Prämisse auf, dass Fernsehkonsum kulturell überwiegend negativ beurteilt wird, während Lesen beispielsweise ungeachtet des Inhalts der Lektüre in aller Regel positiv bewertet und wertgeschätzt wird. Als konkretes Beispiel sei angeführt, dass ausgedehnter Fernsehkonsum von Kindern häufig als Symptom der als »bildungsfern« verstandenen Schichten aufgefasst wird, während wohl kaum ein Pädagoge einfordern würde, die Zeit zu begrenzen, die Kinder täglich mit Lesen verbringen. Johnson stellt die vereinfachende Dichotomie ›Lesen macht schlau, Fernsehen macht dumm‹ in Frage und bezieht in seine Überlegungen auch die Auswirkungen neuer Distributionskanäle wie DVD, Internet oder Digitalfernsehen ein. Er bedient sich eines interdisziplinären Ansatzes, um zu belegen, um wieviel komplexer populärkulturelle Texte aller Art in den letzten Jahren geworden sind und wie sich dies auf die kognitiven Fähigkeiten der Rezipienten auswirkt. Für den Bereich der Fernsehserie arbeitet er mehrere Kategorien heraus, die sich nutzbringend für die Analyse aktueller Fernsehtexte einsetzen lassen, etwa die Bedeutung des multiple threading, der flashing arrows oder des Prinzips der größtmöglichen Wiederholbarkeit im Gegensatz zu dem des Least Objectionable Programming, das gerade die kommerziellen TV-Networks der USA über lange Zeit verfolgten (vgl. Johnson, 2006: S. 157-166).

    In den letzten Jahren erschien eine Fülle von Veröffentlichungen zum Thema Fernsehen im Allgemeinen und Serien im Speziellen. Die existierende Literatur befasst sich größtenteils aber entweder mit der Analyse einzelner Serien mit Fokus auf bestimmten Topoi (z.B. Psychoanalyse in The Sopranos) oder der Gesellschaftsrelevanz von als besonders minderwertig geltenden Formaten wie Daily-Talk- oder Realityshows. Andere Publikationen behandeln ausschließlich Produktions- oder Rezeptionsbedingungen von Serien. Viele dieser Arbeiten liefern aufschlussreiche Erkenntnisse, bleiben aber punktuell auf Einzelaspekte bezogen. Hier greift die Zielsetzung meiner Arbeit: Ich möchte neuere dramatische US-Serien des Typus Quality Television kontextualisiert als Medienphänomene darstellen und analysieren. Nur so sind meines Erachtens ihre Komplexität und Relevanz valide zu erfassen. Der gegenwärtige Forschungsstand soll zusammengeführt werden und so als Fundament für eine breitere und umfassendere Analyse dienen. Zur Entwicklung fiktionaler TV-Formate schreibt Knut Hickethier:

    Kann sich die Nachrichtensendung auf den ständigen Anfall neuer Informationen stützen, die den Programmfluß als Fluß der Nachrichten für den Zuschauer speisen, so wird bei den fiktionalen Formen aus schon vorhandenen Repertoires geschöpft, werden diese zugleich durch Variation, Kombination und Transformation weiterentwickelt. Der Fluß der Erzählungen lebt von den anderen kulturellen Erzählströmen; muß das Vorgefundene jedoch ständig den Bedingungen des Mediums, den Produktionsstandards und den Zuschauererwartungen neu anpassen. (Hickethier 1991, S. 13)

    Der Wechsel von Repetition und Variation bestimmt nicht nur die Entwicklung von Fernsehserien, sondern lässt sich insgesamt als Strukturmerkmal populärer Genres feststellen. Insbesondere für fiktionale Serien ist Knut Hickethiers Beschreibung heute aber zutreffender denn je. Die Entwicklungsarbeit von TV-Sendern ist geprägt von zyklischen Wechseln zwischen Innovation und dem Kopieren erfolgreicher Formate; beides soll eine möglichst große Zahl von Zuschauern für eine bestimmte Sendung interessieren. Gerade im Bereich der fiktionalen Drama-Serie wurden seit Mitte der 90er Jahre zahlreiche Produktionen realisiert, deren innovative Gestaltung als Hauptgrund anzusehen ist, weshalb ich diese als Gegenstand meiner Untersuchung heranziehe. Die Wahl dieses Schwerpunkts schließt die diversen Realityshows, über die bereits zahlreiche Studien vorliegen, ebenso aus wie Comedyserien, die narrativ meist grundlegend anders konzipiert sind und von daher Gegenstand einer separaten Untersuchung sein sollten. Da meines Erachtens ER die erste Serie war, die den Großteil jener Merkmale aufweist, die als charakteristisch für den neuen Typus von Drama-Serien gelten können, setzt meine Untersuchung zum Zeitpunkt der Erstausstrahlung von ER 1994 an (auf Vorläufer wie Hill Street Blues, NYPD Blue und Twin Peaks wird am Rande ebenfalls eingegangen werden, da diese Serien deutlich erkennbare innovative Akzente setzten, die Serien wie ER erst möglich machten).

    Für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Fernsehserien halte ich es für sinnvoll, Entwicklungen und Merkmale aus vier Bereichen zu untersuchen. Dabei sind zunächst die technologischen Innovationen zu nennen, die sowohl im Hinblick auf Produktion, Distribution und Rezeption weitreichende Veränderung durch die Verfügbarkeit digitaler Technologien erfahren haben. Da es sich bei Fernsehserien um audiovisuelle Texte handelt, müssen bei einer Auseinandersetzung mit deren Erzählweise neben dem Plot selbst auch visuelle und auditive Aspekte einbezogen werden. Serien wie Battlestar Galactica oder Heroes wären ohne die technischen Weiterentwicklungen, die den kostengünstigeren Einsatz von Spezialeffekten und CGI-Technik ermöglichten, kaum im Fernsehen zu realisieren. Manche Serien nutzen auch Farbfilter oder Steadicam-Technik, um eine bestimmte Optik zu erzeugen, die der Zuschauer zwar nur selten bewusst wahrnimmt, die jedoch fraglos eine emotionale Wirkung hervorruft und der Serie eine eigene spezifische visuelle Charakteristik verleiht.

    Darüber hinaus sind die Produktionsbedingungen und die Vermarktung in die Betrachtung einzubeziehen. Fernsehsender sind kommerzielle Unternehmen, die unterschiedliche Strategien zur Gewinnmaximierung verfolgen, was sich an ihren jeweiligen Produktionen ablesen lässt. Ein amerikanischer Network-Sender arbeitet grundlegend anders als etwa die Abonnement-Sender des Kabelfernsehens, was vielfältige Auswirkungen auf die Serien der jeweiligen Sender hat. Eine immens wichtige Rolle spielt die Zweitverwertung der Serien, wobei in jüngster Zeit die Vermarktung auf DVD oder als Video on Demand immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese Erweiterung und Neugewichtung der Distributionskanäle beeinflusst sowohl Aspekte der Produktion als auch der Rezeption. Ein weiterer Bereich, der für meine Untersuchung eine besonders zentrale Rolle spielen wird, ist die narrative Konzeption der Serien. Es ist eine Verlagerung hin zu Erzählungen zu beobachten, die auch bei wiederholtem Sehen noch neue Reize und Herausforderungen für den Rezipienten bieten. Ein Kernmerkmal sind dabei multiple-thread-Erzählungen, bei denen der Fokus nicht auf einem einzelnen Haupthandlungsstrang liegt; vielmehr muss der Zuschauer bis zu einem Dutzend Handlungsstränge parallel verfolgen, die teils miteinander verflochten sind und sich über einzelne Episoden oder auch über mehrere Staffeln hinweg erstrecken können.

    Um eine solche narrative Dichte auf Dauer aufrechterhalten zu können, verfügen viele Serien über ein erweitertes Personal und sind als Ensembledramen konzipiert. Hierbei steht nicht mehr ein einzelner Hauptcharakter im Zentrum der Erzählung, sondern die Handlung wird von mehreren gleichberechtigten Figuren getragen. Beispiele hierfür sind Krankenhausserien wie ER oder Grey´s Anatomy, aber auch Vertreter anderer Genres wie etwa die Science-Fiction-Serie Battlestar Galactica. Auch Serien, die zwar eindeutige Hauptfiguren aufweisen, beispielsweise The Sopranos um Familienoberhaupt Tony Soprano oder Dexter um den psychopathischen Titelhelden, integrieren eine große Anzahl wichtiger Nebenfiguren, deren eigene Erlebnisse und Konflikte wichtige Handlungsbestandteile sind. Das Vorhandensein einer Vielzahl handlungstragender Figuren ermöglicht außerdem das Aufgreifen unterschiedlichster Diskurse und das Ausagieren konträrer Standpunkte im Hinblick auf moralische, politische oder gesellschaftliche Konflikte. Somit stellt meiner Ansicht nach das Ensembledrama eines der wichtigsten Charakteristika von QTV-Serien dar, das bislang nur unzureichend wissenschaftlich bearbeitet wurde.

    Ein weiterer interessanter narrativer Aspekt im Zusammenhang mit Entwicklungen der Drama-Serie ist auch der Verzicht auf flashing arrows, also explizite textuelle oder visuelle Markierungen bedeutsamer Handlungsteile (vgl. Johnson 2006, S. 72-84). Während frühere Serien größten Wert darauf legen, dass der Zuschauer ohne Mühe der Handlung folgen und die Serie sogar nebenbei ansehen kann, wie Irmela Schneider noch 1992 konstatierte (vgl. Schneider 1992, S. 102-103), fordern die neuen Produktionen eine weit höhere Partizipation des Zuschauers. Neben dem Verzicht auf flashing arrows konstruieren viele Serien bewusst Leerräume, die der Zuschauer selbst füllen muss. Verfahren wie achronologisches Erzählen oder der Einsatz unzuverlässiger Erzähler und wechselnder Perspektiven tragen dazu bei, den narrativen Raum offen und den Zuschauer im Ungewissen zu lassen. Besonders Serien mit einem fantastischen oder übernatürlichen Element operieren mit solchen Verfahren, um auch über längere Zeiträume hohe Spannung erzeugen zu können. Lost ist ein besonders eindrucksvolles Beispiel für ein solches Vorgehen, aber auch ER als realistisch konzipierte Serie bedient sich in einigen Episoden einer achronologischen Erzählweise, die dem Zuschauer durch relativ subtile visuelle Markierungen kenntlich gemacht wird. Zusätzlich setzten immer mehr Serien moralisch ambigue Charaktere als Identifikationsfiguren ein, wobei der Serienmörder und Polizeiforensiker Dexter der gleichnamigen Serie das bislang wohl extremste Beispiel darstellt. Auch Genreaspekte sind im Hinblick auf die Narration von Serien von Bedeutung. Gerade die fiktionale Drama-Serie weist eine Vielzahl unterschiedlicher Genres und Settings auf, die von genretypisch angelegten Drama-Serien wie The West Wing über Krimis (24, The Shield), Science-Fiction (Battlestar Galactica), Western (Deadwood) und Historien (Rome, The Tudors) bis hin zum Subgenre der Krankenhausserie (ER, Grey´s Anatomy) und diversen Mischformen reicht, die sich einer eindeutigen Genrezuordnung entziehen, wie etwa Lost mit starken fantastischen Elementen sowie Thriller/Suspense-Anteilen oder Dramedies, also Mischformen aus Drama und Comedy wie Desperate Housewives. Ich halte es für lohnenswert zu untersuchen, wie in diesen Serien mit Genrekonventionen umgegangen wird, ob bestimmte Entwicklungen genreabhängig oder allgemein genreübergreifend nachzuweisen sind und welche Genres aus welchen Gründen verstärkte Verwendung finden.

    Der vierte Bereich neben technologischen Innovationen, ökonomischen Produktionsgesichtspunkten und der veränderten Erzählweise in QTV-Serien, dem ich mich in meiner Arbeit widmen möchte, beinhaltet verschiedene Aspekte der Rezeption von Fernsehserien. Ausgehend von der methodischen Erkenntnis, dass Fernsehtexte keine inhärente objektive Bedeutung tragen, sondern sich diese erst innerhalb ihrer Rezeption durch den Zuschauer realisiert, müssen Fernsehserien in größeren Kontexten betrachtet werden. Neben Aspekten der Rezeption und Aneignung halte ich die Veränderung des Umgangs mit Fernsehserien durch die enorme Erweiterung der Distributionskanäle für besonders bedeutsam. Durch die technischen Möglichkeiten von Digitalfernsehen, DVD, bzw. Blu-Ray und Internet hat der Zuschauer erstmals die Möglichkeit, Fernsehtexte gänzlich abgekoppelt vom Programmdiskurs des Fernsehens zu konsumieren. Dies hat weitreichende Konsequenzen, deren wissenschaftliche Aufarbeitung bislang nur punktuell erfolgt ist. So war beispielsweise der Zuschauer für die kommerziellen Network-Sender bislang lediglich ein Mittel zum Zweck, um durch Werbekunden Geld zu verdienen. Viele Zuschauer bedeuten hohe Quoten und somit für den Sender hohe Werbeeinnahmen. Die Zweitverwertung von Fernsehserien, die jahrelang lediglich in Form von Wiederholungen durch lokale Sender und den Verkauf ins Ausland erfolgte, erlangt aber durch die enormen Verkaufszahlen von DVDs und Blu-Rays sowie die zunehmende Beliebtheit von Video on Demand (als Download oder als Streaming) eine ganz neue Qualität, die den Zuschauer als zahlenden Kunden des Senders positioniert. Der Zuschauer nimmt also eine Endkundenposition ein, die er zuvor nur bei den werbefreien Abonnement-Kabelsendern innehatte. Insgesamt sind immer stärkere Tendenzen zur Dezentralisierung in Bezug auf Fernsehserien zu beobachten, die sowohl eine zunehmende Individualisierung des Konsums von Fernsehtexten implizieren, als auch die verstärkte Fragmentierung von Publika bedeuten. Zugleich aber sind Globalisierungstendenzen zu beobachten, die Fernsehtexte aus regionalen Kontexten entkoppeln und globale Publika entstehen lassen, die sich durch ein transnationales Interesse an einer bestimmten Serie bilden statt durch nationalstaatliche Gegebenheiten. Sprachliche Hürden spielen dabei eine immer geringere Rolle. Für eine wachsende Zahl von Rezipienten ist es alltäglich, englischsprachige Medien in der Originalfassung zu konsumieren, die in elektronischer Form leicht verfügbar ist. Im Zusammenhang mit Distributionskanälen ist es zudem wichtig, die zunehmende Crossmedialität von Serien zu berücksichtigen, die sich beispielsweise in viralem Marketing, speziellen Angeboten auf den Internetseiten der Sender oder Fanforen zeigt. Erst die bewusste Analyse der Wechselwirkungen zwischen Produzent und Rezipient kann im Zusammenspiel mit den punktuellen Erkenntnissen aus dem close reading der Texte das Medienphänomen Fernsehserie in seiner vollen Komplexität erschließen.

    Meine Arbeit soll einen Grundlagenbeitrag bieten, der verschiedene Forschungsansätze vereint, weiterführt und praktisch anwendet. Den Ausgangspunkt bilden dabei Kerntexte der Medienwissenschaften und Cultural Studies (z.B. McLuhan 2003, diverse Texte von Fiske, Mikos 2001, Bordwell 2006) sowie Steven Johnsons Everything Bad is Good for You. Durch die kontextualisierte Analyse eines breiten Kanons von Serien soll sich erschließen, welche Bedeutung Fernsehserien in der Gesellschaft des beginnenden 21. Jahrhunderts haben und welche Funktionen sie ausüben. Da das Fernsehen trotz der Diversifizierung des Publikums aufgrund der Verfügbarkeit einer immer größeren Zahl von Medienkanälen nach wie vor eine enorme Massenwirkung ausübt, erscheint es mir besonders bedeutsam, mit der Drama-Serie die Gesellschaftsrelevanz einer Gattung herauszustellen, die seit Beginn des Fernsehens als eine der fernsehspezifischsten überhaupt wahrgenommen wurde.

    Zugleich beinhalten die neueren Produktionen ein großes innovatives Potenzial, sodass sich noch zahlreiche weitere relevante Forschungsansätze ausmachen lassen. Meine Arbeit soll dementsprechend einen Ausgangspunkt für weitere Auseinandersetzungen mit Fernsehserien bieten. Die mögliche Aufarbeitung von Comedyserien habe ich bereits angesprochen, interessant wäre auch, inwieweit sich die Erkenntnisse meiner Arbeit auf aktuelle Serien mit abgeschlossener Episodenstruktur und ohne multiple threading anwenden lassen. Ebenso ist auch für die Analyse einzelner Serien oder bestimmter Aspekte von Serien ein Bewusstsein hinsichtlich der Verfasstheit der TV-Serie als Medienphänomen von grundlegender Bedeutung.

    In den letzten Jahren wurde innerhalb der Cultural Studies ein wissenschaftliches Instrumentarium zur Analyse populärkultureller Texte erarbeitet. Trotz eines immer größeren Angebotes an Unterhaltungsmedien nimmt das Fernsehen nach wie vor eine Leitfunktion ein, weshalb es insbesondere für die Auseinandersetzung mit Fernsehtexten höchst relevant ist, sich der wechselseitigen Beeinflussung von Produzenten und Rezipienten bewusst zu sein. Ich habe mich deshalb für eine Modifizierung des Babelsberger Modells als methodische Grundlage meiner Arbeit entschieden. Mikos und Wegener beschreiben das Babelsberger Modell wie folgt:

    Das Babelsberger Modell kann als multiperspektivischer Ansatz verstanden werden, der es gestattet, komplexe Medienphänomene angemessen zu untersuchen. Ausgehend von einem rezeptionsästhetischen Verständnis von Medienkommunikation und vor dem Hintergrund der aus den Cultural Studies kommenden Einsicht, dass die Kontexte medialer Kommunikation zu berücksichtigen sind, wird versucht, die Medienphänomene aus verschiedenen Perspektiven zu untersuchen. […] Im Wesentlichen verbindet das Babelsberger Modell die Analyse von Medientexten mit der Analyse der Rezeption dieser Medientexte und kontextualisiert dies durch eine Analyse der Diskurspraktiken und der soziokulturellen Praktiken, in welche die mediale Kommunikation eingebettet ist. (Mikos and Wegener 162)

    Durch seinen Bezug auf die systematische Perspektiventriangulation der qualitativen Sozialforschung bietet das Babelsberger Modell die Möglichkeit, alle relevanten Faktoren des Medienphänomens TV-Serie einzubeziehen. Konkret bedeutet dies, dass sowohl die rezeptionsästhetische Analyse der Fernsehtexte selbst als auch Rezeptionsstudien sowie die Analyse der relevanten Diskurse und soziokulturellen Kontexte Eingang in meine Arbeit finden werden. Aus forschungsökonomischen Gründen sind gewisse Beschränkungen unerlässlich, insbesondere da das Babelsberger Modell in seiner Methodik ursprünglich für Forscherteams konzipiert wurde. So habe ich beispielsweise keine empirischen Rezeptionsstudien durchgeführt, sondern stattdessen Metatexte wie Rezensionen, Quoten, Blogs, Fanseiten und offizielle Websites der Sender ausgewertet. Auch konnten bestimmte Diskurse und Kontexte nur schlaglichtartig analysiert werden. Ich erhebe somit keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern strebe einen größtmöglichen Erkenntnisgewinn durch die Verknüpfung der verschiedenen methodischen Perspektiven an.

    Von grundlegender Bedeutung für die Untersuchung populärkultureller Medientexte ist die Erkenntnis, dass Medientexte keine objektiv feststehende inhärente Bedeutung tragen. Sie beinhalten vielmehr eine Appellstruktur, die Angebote an den Rezipienten macht. Die Bedeutung der Texte manifestiert sich erst durch die Interaktion mit dem Rezipienten, sie ist somit weitgehend subjektiv und temporär. Insbesondere populäre Medientexte wie Fernsehserien sind in erhöhtem Maße instabil in Bezug auf ihre Bedeutungen, da sie von reading formations abhängig sind, also von den lebensweltlichen Umständen des Rezipienten, sowie von für den Rezipienten bedeutsamen und zeitgeschichtlich aktivierten Diskursen und soziokulturellen Kontexten (vgl. Mikos and Wegener 165). Was den Umgang des Rezipienten mit dem Fernsehtext anbelangt, ist es sinnvoll, zwischen Rezeption und Aneignung zu unterscheiden. Unter Rezeption ist die Interaktion mit dem Fernsehtext selbst zu verstehen, die mit der Dauer der Zuwendung identisch ist. Aneignung bedeutet hingegen, dass der Rezipient den Text in seine eigene soziokulturelle Praxis überführt und der Text Eingang in alltags- und lebensweltliche Diskurse findet. Sowohl Rezeption als auch Aneignung betreffend, setzt der Zuschauer den Fernsehtext in Bezug zu seinem eigenen Wissen; im analytischen Sinne werden hier aber unterschiedliche Formen der Interaktion von Zuschauer und Fernsehtext wirksam (vgl. Mikos and Wegener 164). Der Fernsehtext versucht dabei insofern Einfluss auf Rezeption und Aneignung zu nehmen, indem er mehr oder weniger dezidierte Angebote an den Zuschauer beinhaltet, die oftmals von den Produzenten intendiert sind, sich aber auch erst durch veränderte reading formations ergeben können.

    Bereits an dieser Stelle zeigt sich die Notwendigkeit der radikalen Kontextualisierung bei der Analyse und Interpretation populärkultureller Texte. Insbesondere Fernsehtexte, an deren Produktion große Gruppen von Menschen auf unterschiedliche Weise beteiligt sind und die eine große Zahl von Zuschauern ansprechen sollen, sind in unterschiedlichste Kontexte und Diskurse eingebunden, die sich zudem im Laufe der Zeit verändern können. Ein Beispiel dafür wäre die Frage, inwieweit sich die Rezeption von Serien verändert, die massiv durch die Ereignisse des 11. September 2001 beeinflusst wurden, wenn die Terroranschläge für die Zuschauer allmählich weniger präsent sind und in den Hintergrund rücken. Grundsätzlich ist es für den wissenschaftlichen Umgang mit populärkulturellen Texten und Phänomenen bedeutsam, die Analyse der Medientexte selbst mit einer Analyse der Rezeptionshandlungen zu verbinden. Im Rahmen des Babelsberger Modells ist zudem eine Perspektiven- und Methodenvielfalt gegeben, die der Vielschichtigkeit und Diversität des Forschungsgegenstandes gerecht wird. So wird etwa die struktur-funktionale Film- und Fernsehanalyse für die Textanalyse eingesetzt, während diverse qualitative Verfahren für die Rezeptionsanalyse sowie diskursanalytische Verfahren und spezifische Untersuchungen die jeweils relevanten Kontexte erhellen können (vgl. Mikos and Wegener 167-68). Zusammenfassend ist festzustellen, dass dieses aufwendige Vorgehen dazu dienen soll, das Medienphänomen Fernsehserie in seiner Vielfalt und Breite zu erfassen und daraus einen Erkenntnisgewinn abzuleiten, der sich sowohl im Hinblick auf gegenwärtige gesellschaftliche und kulturelle Befindlichkeiten und Verhältnisse als auch für die Untersuchung weiterer populärkultureller Texte nutzbar machen lässt:

    Der zu erforschende Gegenstand besteht nicht im Medientext allein, auch nicht in der Rezeption allein, sondern in der Bedeutung des Umgangs der Menschen mit dem Medientext im Kontext der Diskurse und der soziokulturellen Praxis. Letztlich geht es darum, die gesellschaftliche Bedeutung von Medienphänomenen zu untersuchen. (Mikos and Wegener 167)

    Das Wesen von QTV-Serien als komplexe Medienphänomene konstituiert sich dabei aus einer Vielzahl von Aspekten, die in ihrer Gesamtheit jene große Faszination ausmachen, die QTV-Serien bei ihren Rezipienten auslösen.

    Der Medientheoretiker Marshall McLuhan wird häufig mit dem Ausspruch »The medium is the message« zitiert. Die Aussage gilt als Quintessenz seines 1964 erschienenen Buches Understanding Media, in dem McLuhan argumentiert, dass Medien als Erweiterungen des menschlichen Körpers zu verstehen seien. Sein sehr weitgefasstes Verständnis des Begriffs »Medium« ist dabei nicht unproblematisch, ermöglicht aber ein durchaus faszinierendes gedankliches Konstrukt in Bezug auf das Verhältnis von Menschen und Medien sowie von Inhalt und Form. Von daher eignen sich McLuhans Überlegungen durchaus als Ausgangspunkt einer theoretischen Auseinandersetzung mit Fernsehserien. McLuhan unterscheidet zwischen »heißen«, »hochauflösenden« und »kühlen«, »niedrig auflösenden« Medien. Als »Auflösung« begreift er dabei den Grad, zu welchem ein Medium mit Informationen gefüllt ist. Ein Cartoon etwa enthält nur rudimentäre Informationen und vieles ist der Imagination des Betrachters überlassen. Dementsprechend ist ein Cartoon ein kühles Medium mit niedriger Auflösung. Eine Fotografie dagegen ist gewöhnlich ein heißes Medium in hoher Auflösung, da sie keine leeren Flächen enthält, die vom Betrachter mental gefüllt werden können oder müssen. McLuhan leitet aus dieser unterschiedlichen Beschaffenheit von Medien auch einen unterschiedlichen Partizipationsgrad ab, der vom Rezipienten gefordert wird. Das Auffüllen der »Leerstellen« erfordert eine intensive Beschäftigung des Betrachters mit kühlen Medien, wogegen heiße Medien vom Rezipienten nur wenig Beteiligung erfordern (vgl. McLuhan 39-50). Film und Fernsehen sind dieser Definiton zufolge als heiße Medien zu verorten, insbesondere, da in diesen Bereichen Technologien mit immer höherer Auflösung entwickelt werden und schnell weite Verbreitung gefunden haben.

    McLuhan definiert diese Eigenschaft als dem Medium inhärent und folgert, dass eine Veränderung des Grades der Auflösung, die ein Medium bietet, es so stark verändern würde, dass das Medium in der ursprünglichen Form nicht mehr existiert: »If anybody were to ask […] ›could we alter a cartoon by adding details of perspective and light and shade?‹ The answer is ›yes,‹ only it would then no longer be a cartoon.« (McLuhan 418) Hier wird die Problematik klar, die McLuhans Medienbegriff in Bezug auf Fernsehserien aufweist: Moderne HD-Flatscreen-Fernsehgeräte haben kaum noch etwas mit den Röhrenfernsehern der 1950er Jahre gemeinsam. Trotzdem ist das Medium »Fernsehserie« als solches zweifelsfrei erkennbar, egal, ob es sich um eine Episode von Lassie handelt, die in geringer Auflösung und schwarz-weiß vorliegt, oder um eine aktuelle Episode von Game of Thrones in HD. Der Aspekt der erhöhten Zuschauerpartizipation ist bei der Beschäftigung mit Fernsehserien jedoch nach wie vor hochinteressent, meines Erachtens allerdings eher durch narrative Leerstellen zu begründen als durch leere Flächen im übertragenen Bild. Interpretationsspielräume innerhalb der Erzählung bieten ebenso Raum für Induktion, wie die leere Fläche zwischen zwei Panels eines Comics. Hier kommt erneut der Aspekt der Konstruktion von Bedeutung und der Aneignung des Medientextes durch den Rezipienten zum Tragen, auf den ich in der Einleitung bereits eingegangen bin.

    Im Bereich audiovisueller Medien bestehen weit stärkere Wechselwirkungen zwischen dem, was vermittelt wird und der Art und Weise wie es technologisch vermittelt wird, als dies etwa bei Druckmedien wie Büchern und Zeitungen der Fall ist. In gewissen Bereichen ist die Trennung zwischen was und wie unerlässlich, um die Wechselwirkungen analysieren zu können. Zu diesem Zweck sind die Begriffe »media content« und »delivery technology« nützlich, die Henry Jenkins in Convergence Culture verwendet:

    Yet, history teaches us that old media never die [...]. What dies are simply the tools we use to access media content — the 8-track, the Beta tape. These are what media scholars call delivery technologies. [...] Delivery technologies become obsolete and get replaced; media, on the other hand, evolve. Recorded sound is the medium. CDs, MP3 files, and 8-track cassettes are delivery technologies. (Jenkins 13)

    Autoren werden beim Verfassen eines Romans selten in Betracht ziehen, ob der Text später als gebundenes Buch, als Taschenbuch oder als E-Book vorliegt. Obgleich es sich anders anfühlen wird, ob man Joyces Ulysses als ledergebundene Prachtausgabe mit Goldschnitt, oder als zerfleddertes Taschenbuch aus vergilbtem, billigem Papier liest, wird dies für Joyce beim Schreiben keine Rolle gespielt haben.

    In jeder ›Darreichungsform‹ handelt es sich bei einem Roman um ein Medium mit sehr geringer Auflösung, bei dem entsprechend viele Leerstellen vom Leser aufzufüllen sind. Dies ist sicherlich ein Grund für die große Faszination, die Romane ausüben (und ein Problem von Literaturverfilmungen): Die Handlung wird vollständig in der Fantasie des Lesers in Szene gesetzt, und nur die Fantasie des Autors bestimmt die Grenzen dessen, was erzählt werden kann.

    Im Bereich des Kinos und des Fernsehens spielt die geplante Distributionsform dagegen sehr wohl bereits bei der Konzeption eine Rolle, wobei technische sowie finanzielle Gegebenheiten unter Umständen die Möglichkeiten der visuellen Darstellung begrenzen können. Gerade bei action- und effektlastigen Filmen prägen die große Leinwand, die Verfügbarkeit beeindruckender Soundeffekte und die konzentrierte Rezeptionsatmosphäre im Kino den Inhalt. Filme sind außerdem in ihrer Erscheinungsform von den Möglichkeiten der zur Verfügung stehenden Technologie beeinflusst. Die ersten Filme Ende des 19. Jahrhunderts waren kurz, stumm und schwarz-weiß. Der Tonfilm revolutionierte die Erzählweise des Mediums, und die Einführung des Farbfilms stellte einen weiteren Meilenstein dar. Computertechnologie ermöglichte visuelle Effekte, die wiederum ganz neue Darstellungsformen erlaubten. Ein filmisches Erlebnis wie etwa Peter Jacksons Lord of the Rings-Trilogie (2001-3) wäre ohne CGI-Technologie nicht realisierbar gewesen. Im Bereich Animationsfilm hat Computeranimation andere Techniken, etwa Stop-Motion, fast vollständig abgelöst. In jüngster Zeit erscheinen immer mehr Filme mit neuartiger 3D-Technologie, die weit realistischere Eindrücke von Dreidimensionalität zulässt als die frühere Methode, bei der Rot-Grün-Filter verwendet wurden und die die Farbgebung des Films dementsprechend stark verzerrten. Dies ist bei der aktuellen Technologie nicht mehr der Fall: Farben erscheinen natürlich, und es ist eine erstaunliche Tiefendarstellung erreichbar.

    Es sind nicht mehr nur die großen Kinoproduktionen, die von moderner Digitaltechnologie profitieren. Auch Laien und jungen Filmemachern ist es mittlerweile möglich, mit geringem Budget professionell wirkende Filme herzustellen. Noch vor rund zwanzig Jahren erforderte das Ansehen von Nachwuchs- und Independentfilmprojekten etwa auf Filmfestivals viel Nachsicht seitens des Zuschauers, weil häufig

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