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Chromosom 23
Chromosom 23
Chromosom 23
eBook135 Seiten1 Stunde

Chromosom 23

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Über dieses E-Book

Charlie Zimmermann lebt in einer Welt der Frauen. 100 Jahre sind vergangen, seitdem ein aggressiver Virus alle Männer auf dem Planeten ausrottete. Obwohl Charlie als Gleichberechtigungsbeauftragte von dem vorherrschenden Gesellschaftssystem profitiert, ist sie unerklärlich unzufrieden. Erst als sie im Rahmen eines Einsatzes zur Kirche der Wahrheit reist, wird sie sich ihrer inneren Zerrissenheit zwischen feministischen Idealen, egalitären Grundsätzen und nicht zuletzt auch der eigenen Sexualität bewusst. Wäre das nicht schon genug, macht sie schon bald darauf eine Entdeckung, die ihr Weltbild auf den Kopf und sie selbst auf eine harte Probe stellt.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum26. Nov. 2018
ISBN9783746784335
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    Buchvorschau

    Chromosom 23 - J. D. Morgentau

    Chromosom 23

    J. D. Morgentau

    Für Tracy

    2123

    „Das Glück kommt verschleiert

    In verheerendem Grau

    Ein Glück, das frau feiert

    Für die Freiheit der Frau

    Es schleicht durch die Gassen

    Und trachtet nach Rot

    Es schlachtet die Massen

    Und bald ist Er tot

    Zu hoch scheint der Preis

    Erdrückend der Schmerz

    Ein gebrochener Kreis

    Ein Stich in Ihr Herz

    Doch Strafe ist richtig

    Ohne Schatten kein Licht

    Und Reue ist nichtig

    Vorm letzten Gericht

    Versklavt und gepeinigt

    Seit dem Anbruch der Zeit

    Die Seuche bereinigt

    Das Unrecht und Leid

    Und werden trotz allem

    Die Narben nicht weichen

    Ist das Beil nun gefallen

    Aufs vorletzte Zeichen

    – Almas Durk: ‚100-jährige Freiheit’ (2123)"

    2123

    Charlie Zimmermann fühlte sich fehl am Platz. Die abgerundete, unstimmige Architektur der Häuser um sie herum war anders als alles, was sie jemals zuvor gesehen hatte. Bei genauerer Betrachtung wurde ihr klar, dass die seltsamen Gebäude aus Gummireifen, Plastikflaschen und anderem Recycling-Müll bestanden. Die langsam steigende Sonne spiegelte sich auf den Dächern der futuristischen Steinzeithöhlen, die teilweise mit Solarzellen bedeckt waren, und vermittelte eine friedliche Atmosphäre, die nur durch das rege Treiben auf dem Versammlungsplatz in der Mitte der Siedlung gestört wurde, den sie und ihre beste Freundin Folami nun erreichten. Charlie fragte sich kurz, ob sie sich auf das Set eines Fantasy-Filmes verirrt hatten, doch Folamis Armbanduhr belehrte sie eines Besseren: genau hier sollten sie sein.

    Charlie und Folami waren Gleichberechtigungsbeauftragte – ihre Aufgabe war es, die Einhaltung der europäischen Gleichberechtigungsgesetzte zu überwachen und die Geschlechtergerechtigkeit vor maskulinistischen Angriffen zu verteidigen. Die Gemeinde, die sie an diesem Tag überprüfen sollten, war vor einigen Monaten von einer alternativen Gruppierung ausgerufen worden und hatte in ganz Europa für Schlagzeilen gesorgt. Kritikerinnen warfen den Frauen allerlei Normbrüche vor, waschechte Gesetzesverstöße hatte es bisher jedoch keine gegeben.

    Charlie hatte sich lange auf diesen Besuch vorbereitet, doch in diesem Augenblick fühlte sie sich genauso unwohl wie bei ihrem ersten Einsatz vor mehr als sechs Jahren. Die anderen Frauen auf dem Versammlungsplatz trugen wilde Frisuren und altmodische Kleidung in lauten Farben, wodurch sie und Folami mit ihren dunklen Hosenanzügen und den gebändigten Haaren allen Anwesenden sofort auffielen.

    Während die Beamtinnen auf eine Frau mittleren Alters mit einem langen, geflochtenen Zopf warteten, die ihnen bereits entgegenkam, fiel Charlie ein etwa sechsjähriges Mädchen am Rande des Versammlungsplatzes auf. Die eigentümlichen Gesichtszüge des Kindes hoben es in bemerkenswerter Weise von den anderen Mädchen in der Gemeinde ab. Während die Erwachsene, die es an der Hand hatte, in ein Gespräch verwickelt war, beobachtete es die zwei fremden Besucherinnen aufmerksam. Seine halblangen, braunen Haare fielen ihm unordentlich ins Gesicht, doch seine großen, blauen Augen stachen unverkennbar hindurch. Bevor Charlie etwas zu Folami sagen konnte, stellte sich die elegant gekleidete Frau mit dem Zopf mit einer schwachen Verbeugung als Koordinatorin der Kommune vor.

    „Mein Name ist Aletheia. Ihr seid bestimmt die Damen von der Zeitung? Die Damen von der Behörde nickten. „Herzlich willkommen bei der Kirche der Wahrheit – bitte folgt mir.

    Aletheia führte die beiden über den Platz, vorbei an den Gemeindemitgliedern, die den Frauen mitunter neugierig hinterhersahen. Charlie drehte sich nach dem auffälligen Mädchen um, doch es war inzwischen verschwunden.

    „Dieses Erdschiff hier könnte man als unser Rathaus bezeichnen", sagte die Koordinatorin, indem sie auf das größte der eigenartigen Gebäude deutete.

    „Erdschiff?", wunderte sich Charlie.

    „Oh ja, so heißen diese vielleicht seltsam anmutenden Häuser, die den Lebensraum für unsere Gemeindemitglieder darstellen. Erdschiffe sind selbstgebaute und völlig autarke Wohngebäude, die sich optisch in die Landschaft einfügen. Aus recyceltem Material, mit einer CO2-Bilanz von null, keinerlei Belastung für die Umwelt. Die Kirche der Wahrheit ist darauf bedacht, unserem Planeten nicht mehr zu schaden als es unsere Vorfahren bereits getan haben."

    „Die Männerwelt war so unglaublich rücksichtslos!", bekräftigte Folami.

    „Oh nein, meine Liebe. Das waren wir alle", gab Aletheia zurück. Die Besucherinnen warfen sich einen verwunderten Blick zu, der das beiderseitige Einverständnis ausdrückte, diesen Kommentar später im Privaten zu besprechen.

    Charlie und Folami folgten der Koordinatorin in den größten Raum des Hauptgebäudes, in dem rund 50 Stühle um ein Podest in der Mitte gereiht standen. Sie bot ihren Gästen zwei der Sitze an und nahm selbst gegenüber von ihnen Platz.

    „Das hier ist unser Diskursraum, sagte die Koordinatorin mit einer ausholenden Geste, „in dem wir alle Entscheidungen für die Gemeinde treffen.

    „Sehr schön hier", meinte Folami.

    Charlie kam direkt zur Sache: „Wir hatten uns überlegt, dass ich das Interview mit Ihnen führe, während meine Kollegin sich um das begleitende Fotomaterial für den Artikel kümmert." Bei diesem Gedanken fiel es ihr leicht, ein freundliches Gesicht aufzusetzen.

    „Meine erste Frage ist wohl die naheliegendste, sagte Charlie. „Weshalb lebt Ihre Gemeinde von der Öffentlichkeit abgeschnitten?

    „Wir beide sind doch grundsätzlich gleichwertige Menschen, oder nicht?", fragte Aletheia.

    „Ähm, Charlie hatte so schnell keine Gegenfrage erwartet, „ja… vor dem Gesetz sind alle Frauen gleich.

    „Alle Menschen sind gleich, ja. Bleiben wir also bitte beim 'du'."

    „Gut", sagte Charlie und spielte mit. Sie wusste, dass sie ihre Rolle der interessierten Journalistin überzeugend genug geben musste, damit die Koordinatorin keinen Verdacht schöpfte. „Warum lebt ihr in einem Dorf fernab aller Zivilisation?"

    „Oh nein, als 'zivilisiert' würde ich das Europa von heute nicht bezeichnen. Womöglich reicht das bereits als Antwort."

    „Denken... Denkst du, dass diese Bezeichnung auf eure Gemeinde eher zutrifft?"

    Die Koordinatorin lächelte. „Findest du es nicht auch faszinierend, dass der eiskalte Schnee des Winters die Sonne stärker reflektiert, als es das Wasser eines sommerlichen Teiches je könnte?"

    Charlie verstand kein Wort.

    Aletheia fuhr fort: „Das Wahre – das Gute – ist nie offen zugänglich. Man kann nur versuchen, alles Schlechte loszuwerden, alle Fehler auszumerzen."

    Charlie konnte es nicht leiden, wenn jemand ihren Fragen auswich. „Was ist denn so schlecht an der Welt, dass ihr euch genötigt seht, es hier besser zu machen?"

    „Von Natur aus halten Menschen nicht viel von Veränderung. Doch die krankhafte Tendenz der heutigen Bevölkerung, sich selbst als den Höhepunkt der menschlichen Entwicklung zu sehen, ihr parasitäres System als das Nonplusultra aller möglichen Organisationsformen – das ist wie Gift für den Fortschritt der Menschheit. Technologie hat solch schnelle negative Rückmeldungen ermöglicht, dass die Politik mit ihrer Abhängigkeit von Zustimmung zwangsläufig lahmgelegt werden musste."

    „Und hier, in diesem Dorf abseits des gesellschaftlichen Geschehens, schreibt ihr Geschichte? Leistet euren Beitrag zur Förderung der Frauheit?"

    „Darf ich dich etwas fragen?, entgegnete Aletheia. „Bereitet dir deine Arbeit Freude?

    „Ich… äh –", stammelte Charlie, ihre Gedanken sammelnd. Warum kam nicht auf Anhieb eine Bestätigung?

    Doch Aletheia stellte bereits die nächste Frage: „Warum bist du Journalist geworden?"

    Charlie kaute an ihren Fingernägeln. „Ich möchte die Welt zum Besseren wenden." Das war nicht einmal gelogen.

    „Weißt du, als Kind wollte ich ebenfalls Reporter werden, erklärte Aletheia. „Doch während der Anfangszeit wurde ich stark von dem Beruf enttäuscht. Ich sollte Fülltexte schreiben, Schleichwerbung, banale Artikelchen über unwichtige Themen, wie ich fand. In meinen Augen war das Zeitverschwendung, denn ich hatte Großes im Sinn. Wäre ich überraschend gestorben, sollte mein letztes geschriebenes Wort natürlich etwas wirklich Bedeutungsvolles sein! Dadurch schien mir kein Thema mehr gut genug.

    Charlie fragte sich, was dieses Gerede mit der eigentlichen Frage zu tun hatte und wurde allmählich ungeduldig.

    Die Koordinatorin fuhr fort: „Heute weiß ich, dass auch Kleinigkeiten letztendlich entscheidend sein können. Große Revolutionen führen oft in eine Sackgasse, doch kontinuierliche Evolution findet meist den klügsten Weg zum Ziel."

    Ohne Aletheias Antwort eines Kommentares zu würdigen, wechselte Charlie das Thema: „Was genau zeichnet die ‚Kirche der Wahrheit' aus?"

    „Die Kirche der Wahrheit ist eine Vereinigung des Friedens und der Freiheit. Wir leben in völliger Harmonie mit der Natur und betreiben ausschließlich Subsistenzwirtschaft, um unabhängig von der instabilen Struktur Großeuropas zu sein. Das Leben in unserer Gemeinde ist nach den Lehren verschiedener Philosophen modelliert, mit

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