mit Machen: Eine geistlich-theologische Herausforderung
Von Hermann Brünjes
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Über dieses E-Book
Der christliche Glaube will gelebt werden.
Nicht nur Denken, auch Machen! Vom Kopf in die Füße und Hände. Vom Herzen ins Handeln.
Mit Machen – so macht Glaube Sinn.
Sich der Herausforderung zur Nachfolge Jesu zu stellen lohnt sich – egal ob Sie 18 oder 68 Jahre alt sind und ob Sie das Buch allein oder in einer Gruppe lesen. Sie werden inspiriert, provoziert und vielleicht auch bestätigt.
Der Autor fordert zum "mit Machen" heraus und spricht wesentliche Themen christlichen Handelns an. Auch wenn Sie den ersten Band "mit Denken" noch nicht gelesen haben, kommen Sie der Absicht dieses Buches schnell auf die Spur: Es will konkrete Hinweise liefern, wie ein heutiges Leben zwischen Einsicht und Umsetzung im Licht einer reformatorischen Theologie gelingen kann.
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Buchvorschau
mit Machen - Hermann Brünjes
Vorwort
Gewidmet jenen Menschen,
die ich als »Täter des Glaubens« bewundere.
Ihr redet nicht nur, ihr handelt.
Euren Glauben kann man sehen.
Ihr fordert mich heraus, meinen Glauben
von der Theorie in die Praxis umzusetzen.
Ihr tragt dazu bei,
dass auch ich mit Händen, Mund und Füßen
Christ sein kann.
Danke.
»Gutes Buch, wichtige Gedanken – aber was genau wir tun und machen sollen, wird nicht deutlich!«
Diese Kritik an »mit Denken«, jenem Buch, das ich vor diesem mit viel Herzblut als eine Art geistlich-theologisches Vermächtnis geschrieben habe, ist berechtigt. Sie fordert mich heraus. Sie verpasst mir einen Stich. Sie provoziert mich. – Nicht, weil die Kritik zu Unrecht und ohne Grund geäußert und mich als bloße Meckerattacke erreicht. Ein Besserwisser nörgelt herum, will seine eigene Wichtigkeit betonen, seine Kompetenz und Kritikfähigkeit. Nein, solche Kritik wäre einfach nur ärgerlich und nervig. Diesmal jedoch fordert mich die Bemerkung heraus – weil sie stimmt! Weil sie einen empfindlichen Nerv bei mir trifft.
Denken ist mein Ding. Ich reflektiere, argumentiere, erkläre, diskutiere, predige, schreibe, rede. Aber machen? Handeln? Tun? Das überlasse ich oft genug den anderen.
Dabei lautet mein Konfirmationsspruch: »Mit Gott wollen wir Taten tun!« (Psalm 60,14). Schon mit vierzehn, noch vor der Konfirmationsfeier, hatte ich verstanden, was gemeint war. Etwas tun, handfest und konkret. Mein Freund und ich haben uns damals, direkt nach Bekanntgabe unserer Sprüche und am Abend vor der Abendmahlsfeier, in die Kirche geschlichen. Dort haben wir die Gesangbuchnummern an den Stecktafeln vertauscht. Welch Freude, als sich am Abend im Beichtgottesdienst eine große Verwirrung verbreitete. Wer Taten tut, der bewirkt etwas – das hatte sich wieder einmal bestätigt. Und genau darauf kam es doch an, oder? Dass etwas bewirkt wurde, verändert, bewegt und wenn möglich zum Besseren. Für uns war das Bessere damals der Spaß, eine Kirche mit Lachen und Abwechslung zu erleben, statt jene mit so oft erlebter Tristesse und einer sich ewig wiederholenden Langeweile.
Not-wendige Herausforderung
Sie saßen an der grauen Mauer eines Industriegeländes. Nicht einmal eine Plastikplane schützte sie vor Sonne und Regen. Auf Pappe und Stofffetzen lagen ihre Kinder. Ausgemergelt, leere Augen und Körper ohne jede Spannung und Erwartung an irgendeine Zukunft. So fanden Freunde von mir über dreißig Familien vor, die wegen einer großen Überschwemmung alles verloren hatten und nun völlig hilflos auf einen winzigen Funken Hoffnung warteten. Meine Freunde kauften mehrere Stauden Bananen und gaben sie diesen Leuten. Einige verschlangen die süßen Früchte mitsamt der Schale. Hunger und Verzweiflung ließen Regeln und Vernunft vergessen. »Wir müssen etwas tun!« Dies war meinen Freunden sofort klar. Nicht Worte, Parolen, Weisheiten und Erkenntnisse wendeten jetzt die Not. Essen, Trinken, ein Dach über den Kopf, eine Arbeitsstelle, Schulbesuch der Kinder ... jetzt musste etwas gemacht werden.
Einer der Freunde packte es an. Ein Projekt entstand. Land wurde gekauft, jede Familie bekam ein Stück davon, dazu eine Hütte und eine Kuh zum Melken. Brunnen wurden gebohrt, weiteres Land für Felder angeschafft. Ein Kinderheim mit Schule konnte gebaut werden, später kam ein dorfeigener Steinbruch hinzu, der bis heute zusätzliche Arbeitsplätze schafft. Serapaka Colony entwickelte sich. Heute geht es diesen Leuten richtig gut. Warum? Weil meine Freunde damals etwas gemacht haben.
mit Machen – eine Provokation
Nur mit Machen, Handeln und Tun kann so etwas geschehen. Allein Reden und Worte, und mögen sie noch so zahlreich, groß, schön, logisch und weise sein, reichen nicht. Dies ist uns allen klar. Mir auch.
Weil mir klar ist, dass aus den Gedanken und Worten Taten und Verhalten folgen wollen, sollen und müssen, ist so eine Anfrage wie oben zitiert für mich eine Herausforderung. Da werde ich aus meinem Gedankengebäude herausgerufen und soll neues Land betreten. Das Land des Handelns. Vielleicht ist »Herausforderung« noch zu schwach und »Provokation« drückt besser aus, worum es geht. Ich werde zur Reaktion gereizt, man pikst mich oder stichelt. Ich kann nicht einfach so weitermachen wie bisher. Es muss sich etwas ändern.
Mag sein, dass dies für Sie nicht gilt – oder nicht in gleichem Maße. Sie machen schon viel. Sie engagieren sich in Ihrer Kirchengemeinde. Sie helfen bei der Tafel oder im Flüchtlingsheim. Sie treiben mit Spenden, Ideen und Mitwirken Projekte voran, die für Verlierer in unserer Gesellschaft oder eben auch in armen Ländern die Not wenden helfen. Sie setzten sich für die Schöpfung ein, das Klima oder den Tierschutz. Sie laden Nachbarn und Freunde zu Veranstaltungen ein, sprechen mit ihnen über den Glauben, besuchen sie im Krankenhaus ... Gratuliere! Sie haben etwas nicht nur im Kopf, sondern auch im wahrsten Sinn des Wortes be-griffen. »Mit Machen« ist angesagt.
Die folgenden Überlegungen sind möglicherweise für Sie eine Bestätigung. Genauso sehen Sie es nicht nur, sondern genauso machen Sie es. Vielleicht in großer Selbstverständlichkeit und ohne viele Worte. Gratuliere!
Machen Sie weiter so!
Und ich, der ich ein Buch schreibe, mache nichts? Ich rede nur, diskutiere, lamentiere ...? Sicher nicht. Natürlich mache auch ich manches. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr fällt mir ein ... ganz abgesehen davon, dass Schreiben und Reden auch erst einmal gemacht und getan sein wollen! Aber dennoch: »Was tust du eigentlich außer Reden?« So eine Bemerkung fordert mich heraus. Sie stellt meine Glaubwürdigkeit in Frage – vielleicht ist sie deshalb so unangenehm. Nicht glaubwürdig zu sein, ist schlimm für mich. Was sollte es für einen Christen, der sich als Teil der Mission Gottes versteht, Schlimmeres geben?
Ich will »Täter des Wortes« sein (Jak. 1,22), will leben, was ich glaube und erkannt habe. Andere Menschen sollen durch mich einem wirksamen Gott begegnen, einem, der wirklich etwas tut. Folglich reagiere ich auf die Provokation und lasse mich herausfordern.
Das Buchcover
Wieder habe ich ein Coverbild aus dem »Schöpfungsweg« ausgewählt. Ich finde die Bilder des Künstlers Werner Steinbrecher (1944–2008) einfach schön und wollte das Design von »mit Denken« fortführen. Es passt auch inhaltlich, finde ich.
Der Zusammenhang von Denken, Reden und Handeln wird vom ersten Kapitel der Bibel an sofort deutlich. In der Schöpfungsgeschichte (1. Mo. 1-2) heißt es: »Gott sprach und es geschieht.« So lief es und so läuft es. Gottes Worte kommen nicht leer zurück. Sie schaffen etwas Konkretes, sie gestalten und verändern die Geschichte.
Im oberen Teil des Covers sehen wir Kieselalgen, die kleinsten Bausteine des Lebens. Der Künstler wollte deutlich machen, dass Evolution und Schöpfung kein Gegensatz sind. Auch wenn sich die Fische vor vielen Millionen Jahren aus solchen Algen entwickelt haben, sind sie doch von Gott gewollt und gemacht. Gott denkt sich etwas, spricht und setzt es um. Ohne die Umsetzung wäre alles Denken und Reden sinnlos und überflüssig. »Du redest nur, aber machst es nicht!« Das ist auch Gott gegenüber eine Kritik, die provoziert – und die Gott immer wieder handfest widerlegt. Mit der Schöpfung fing es an, hier und heute geht es weiter.
In der Mitte des Covers schiebt sich ein dicker Fisch ins Blickfeld. Besonders jenen, die Kindergottesdienst, Jungschar oder Religionsunterricht erlebt haben, fällt vermutlich sofort die wundersame Geschichte von Jona ein. Gott schickt diesen Mann nach Ninive. Dort soll etwas geschehen. Die Einwohner der Stadt sollen ihr Leben ändern. Damit dies geschieht, soll Jona die Stadt besuchen und die Menschen dort zur Umkehr rufen. Solche Umkehr beginnt tatsächlich im Kopf und mit dem Hören, ereignet sich dann jedoch stets handfest, sichtbar und in konkretem Handeln und Lebensvollzügen.
Jona aber verdrückt sich. Er will nichts machen, so wichtig es für Ninive auch sein mag und so sehr sein Gott es auch will. Doch er kommt damit nicht durch. Er gerät in einen Sturm und wird ins Meer geworfen. Ein großer Fisch verschlingt ihn. (Wir bleiben präzise: Im Jona-Buch ist nicht von einem Wal oder gar Walfisch die Rede, nur von einem großen Fisch.) Irgendwo am Strand vor Ninive spuckt der Fisch den Fliehenden aus. Dem bleibt nichts übrig, als endlich zum Propheten Gottes zu werden und zu machen, was er machen soll.
Ich finde, die Geschichte passt gut zu unserem Thema. Warum flieht Jona? Weil Gott streng, böse und ungerecht ist? Weil Jona seinem Gott theologisch nicht mehr zustimmt oder das alles nicht mehr glauben oder denken kann? Irrtum. Jona flieht aus nur einem Grund: Er will nicht tun, was Gott ihm sagt. Er hat Angst vor der Umsetzung dessen, was Gott von ihm fordert. Er verweigert sich der Herausforderung Gottes. Er will nicht nach Ninive gehen, sich dort vor Stadtrat und Einwohner stellen und die Stadt zur Umkehr rufen. Also drückt er sich, versucht es jedenfalls.
Dieser dicke Fisch in Eierschalenweiß (für den Künstler die Farbe der Gegenwart Gottes) steht für die klare Zusage unseres Schöpfers: Ich habe mit dir etwas vor. Ich setze alles daran, durch dich etwas Rettendes zu bewirken. Ich will weder, dass du vor mir auf der Flucht bist, noch, dass du vor deinem Auftrag ständig davonläufst. Jona, Hermann oder wie immer dein Name ist – ich lasse nicht locker, bis du machst und tust, wozu ich dich beauftragt und gesandt habe.
Achtung, Falle!
Dieses Buch ist kein theologisches Fachbuch. Es ist für geistlich interessierte Normalchristen geschrieben und für jene, die ihr Denken und Leben möglichst reflektiert angehen möchten. Was beim Thema »Nachfolge« und »Tun des Glaubens« für uns alle eine Herausforderung ist, egal wie belesen, erfahren und theologisch vorgebildet wir sind, ist ein übles Missverständnis. Es lautet: Machbarkeit.
»Yes, we can!«
Schnell wird dieser Slogan von Barack Obama für eine falsch verstandene Motivationstheologie missbraucht. So unter dem Motto: Wenn wir es nur anpacken, natürlich richtig und engagiert, dann packen wir es! Es liegt an dir! Wir schaffen das! Selbst ist der Mann! Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott!
Damit wir in dieser Falle nicht festsitzen, gefangen und geknebelt werden, sind saubere Differenzierungen erforderlich. Was sind die Indikative (Aussagen, Feststellungen) und was die Imperative (Aufforderungen, Befehle)? Was kann nur Gott allein tun, was überlässt er ganz und gar uns und wo fordert er uns zu partnerschaftlicher Kooperation heraus? Was sind die Voraussetzungen für unser Handeln, was die konkreten Handlungsformen und was die Ergebnisse? Was kann und muss ich als Einzelner tun, was geht nur gemeinsam mit anderen?
Diese und weitere Unterscheidungen sind unverzichtbar, wollen wir nicht Nachfolge Jesu mit Aktionismus verwechseln und vertrauensvollen Gehorsam des Glaubens mit regelkonformem Moralismus. Wir werden im Folgenden noch sehr oft darauf zu achten haben, dass die Falle der Machbarkeit nicht zuschnappt.
Dabei hilfreich ist generell das Gespräch über das Gelesene in einer Gruppe. Wenn Sie mögen, können Sie für sich allein oder zusammen mit anderen (z.B. im Haus- oder Gesprächskreis) die mit ✪Sternchen gekennzeichneten Anregungen aufnehmen. Wenn ein Gebet so markiert ist – beten Sie gerne mit.
✪Gleich zu Beginn können Sie ja einmal für sich selbst, aber auch gemeinsam mit anderen überlegen, wo und ob Sie überhaupt in unserem Thema eine Herausforderung oder Provokation entdecken.
1. Was wirklich zählt ...
»So will ich nicht enden!« Dies war mein Fazit nach der Teilnahme an einem Treffen pensionierter Pastoren. Ich war frisch »im Dienst« und hatte mich auf die Begegnung mit den erfahrenen Brüdern gefreut (ja, damals waren wohl noch gar keine »Schwestern« dabei). Ich wollte lernen. Hier trafen sich die bewährten Streiter für das Evangelium.
Und ich lernte – vor allem wie ich nicht enden wollte.
Die Referate und vorgestellten Gedanken zu biblischen Texten waren prima, teilweise sogar brillant. Die lang angelegte Vorstellungsrunde zerstörte meine Achtung und gedankliche Inspiration dann allerdings wie eine Signalstörung bei Gewitter ein buntes, schönes Fernseherlebnis. Ja, es hat mir irgendwie wehgetan. Je mehr der Brüder von sich erzählten, zerbrachen meine Illusionen. »Ich bin noch dreimal die Woche in Haus- und Bibelkreisen.« »Einmal im Monat predige ich und leite den Männerkreis.« »Ich begleite ein Hospiz.« »Ich mache noch mindestens drei Familienfreizeiten im Jahr.« Neben unterschiedlichen Namen und beruflich vergleichbarem Werdegang bekam ich interessante Informationen über die Brüder – aber im Prinzip wiederholte es sich. Sie alle erzählten von dem, was sie einmal gemacht hatten oder eben noch machten, taten und leisteten. »Ich mache in Friedland (ehemaliges Übergangslager für Aussiedler) noch über 360 Andachten und Gottesdienste im Jahr.« Dieses Statement schoss für mich den Vogel ab.
Wo war ich hier gelandet? Bei einer Preisverleihung für pastorale Höchstleistungen? Auf einer Bewerbungsplattform für Prediger, die sich durch möglichst viele Einsätze auszeichnen und unentbehrlich sind? Beim Eurovision-Prediger-Contest, wo der Beste gewinnt?
Nein, das waren Ruheständler, Emeriti (= entpflichtete Pastoren)! Allerdings mit i.R., »in Rotation« statt »im Ruhestand«. Als Berufsanfänger sträubten sich mir die Haare.
Hatten diese Männer Gottes denn überhaupt nichts begriffen? Hatten sie je verstanden, was sie (vermutlich) selbst gepredigt haben? Allein aus Gnade. Allein der Glaube. Allein Jesus. War das nicht Inhalt, Grund und Perspektive unseres Glaubens? Jene so oft vorgetragene stolze reformatorische Formel von der »Rechtfertigung allein aus Gnade und nicht aus den Werken!« – war dies alles an meinen alten, ach sonst so lutherischen Brüdern vorübergegangen?
Heute kann ich mit diesen Kollegen etwas barmherziger und verständnisvoller umgehen. Es ist wirklich schwer, sich ohne den Hinweis auf sein Tun und Machen zu definieren.
✪Probieren Sie es gerne einmal aus und beschreiben Sie sich, ohne Ihr Handeln und Wirken ins Spiel zu bringen.
Lassen Sie Ihr berufliches Wirken einmal gänzlich weg. Auch Ihre Verdienste im Verein, in der Kirchengemeinde und im Sport verschweigen Sie. Sie zählen nicht auf, wie sehr Ihre Kinder Sie brauchen oder Ihre Enkel und was Sie für Ihre Familie alles investieren. Sie zeigen keine Fotos von Ihrem Haus und Ihrem Garten herum und auch nicht von jenem teuren Hotel, das Sie sich im Sommerurlaub leisten. Sie beweisen auch nicht, wie toll Sie Klavier spielen, singen oder kochen können. Alles, was Ihr Verdienst ist, lassen Sie weg ... und schon fragen Sie sich vermutlich, was eigentlich noch übrig bleibt.
Worüber definiere ich mich? Was macht mich wichtig und wertvoll? Was zeichnet mich aus? Was verschafft mir Anerkennung und was macht meinen Wert aus?
Schnell landen wir bei der Antwort auf diese Fragen bei Dingen, die wir gemacht und geschafft haben. Dann geht es uns unversehens nicht anders als jenen pensionierten Pastoren. Solange wir noch atmen können, versuchen wir, uns über das zu definieren, was wir (noch) schaffen oder geschafft haben. Das Haus, das Segelboot, das Pferd. Das Sparguthaben, die Firma, eine tolle Gemeindearbeit. Die Anzahl der geschriebenen Bücher, das Elektroauto, die vielen gut geratenen Kinder.
Allein aus Gnade
Eine reformatorisch verstandene Theologie der Rechtfertigung bedarf solcher Aufzählungen nicht. Sie setzt völlig anders an. Sie setzt bei dem an, was Christus für uns geschafft, gemacht und getan hat.
Als evangelische Christen wissen wir das natürlich. Wir bekennen mit dem Apostel Paulus und dem Reformator Luther, dass wird »ohne unseren Verdienst und unsere Werke gerecht werden« (Rö. 3,24+28). Jesus Christus hat alles getan. Allein aus Gnade werden wir gerettet. Das ist für viele von uns alltägliches Basiswissen. Wir setzen es voraus. Zu Recht!
Der Evangelist Matthäus formuliert an zentraler Stelle in der Bergpredigt einen wichtigen Satz:
»Ich sage euch: Es sei denn eure Gerechtigkeit besser als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.« (Mt. 5,20)
Theologen aller Generationen haben darüber debattiert, was mit dieser »besseren Gerechtigkeit« wohl gemeint sei. Sollen wir Gebote und Regeln noch gewissenhafter einhalten als die Frommen von damals? Und noch pedantischer auf deren Umsetzung achten? Sollen wir die Fehler vermeiden, die in der Bibel angeprangert werden und z. B. Gottesdienste ohne »Geplärr der Lieder« feiern (Amos 5,23) oder fromme Heuchelei vermeiden, wie jene Eiferer sie praktizieren, die Jesus als »übertünchte Gräber« bezeichnet (Mt. 23,27)? Geht es primär um die Verbesserung unserer Gottesbeziehung oder eher um die Perfektionierung unseres Lebenswandels?
Nein!
Die »bessere Gerechtigkeit« setzt woanders an.
Sie setzt nicht bei mir selbst an, weder bei meiner Frömmigkeit noch bei meinen guten Taten, weder bei meiner Rechtschaffenheit noch bei meiner möglicherweise allseits bewunderten Einsatzfreude für Gott, die Kirche und die Menschen. Das alles trägt nicht dazu bei, dass ich Gott recht bin und ins »Himmelreich komme«, wie unser Vers sagt.
Folglich muss ich all das, was ich mache, auch nicht aufzählen, um meine Bedeutung zu betonen. Mag sein, dass ich damit in einem Pfarrkonvent oder im Jugend- oder Gesprächskreis beeindrucke, dass ich von Zuhörern und Lesern bewundert werde und meine Nachbarn und Kollegen mich sogar beneiden – Gott jedoch lässt sich nicht täuschen.
Vermutlich schüttelt er eher mit dem Kopf, wie ich damals bei jenem Pastorentreffen. »Was soll das? Meinst du, damit sammelst du bei mir Punkte? Und wenn dein Konto voll ist, dann schließe ich dir den Himmel auf? Oder du kriegst einen Platz in der Loge? Meinst du, ich vergebe Noten wie ein Lehrer in der Schule und am Ende heißt es: ersetzt ins Himmelreich? Oder ich veranstalte eine christliche Miss-Wahl und bewerte deine Leistungen und Verdienste? Du Narr!«
Na ja, so oder ähnlich könnte ich mir die Reaktion Gottes vorstellen. Kopfschütteln. Oder mehr als das: Gott leidet. Der Vater allen Lebens fühlt sich völlig falsch verstanden. »Kind, was machst du da? Was für ein Bild hast du bloß von mir? Bin ich aus deiner Sicht so gemein, dass ich dich ständig antreibe, besser zu werden? Meinst du, es ginge um artiges Verhalten, brav sein und Pflichterfüllung? Oder um großartige Titel, Besitz, Ruhm und Vorzeigeprojekte? Oder um neue Rekorde beim Erklimmen moralischer Höchstleistungen? Oh mein Kind, wie wenig hast du doch begriffen!«
Ich gehe davon aus, dass Sie, jedenfalls wenn Sie sich im Kontext von Kirche und Gemeinde bewegen, längst verstanden haben, worin unser »reformatorisches Erbe« besteht. »Allein aus Gnade« ist der Schlüssel zum Verständnis der »besseren Gerechtigkeit«.
»Gnade« ist ein Begriff aus dem Strafrecht. Jemand sitzt im Gefängnis, ist verurteilt – vielleicht sogar zum Tode. Sein Anwalt reicht den Antrag auf Begnadigung ein. Ob sie erteilt wird und ein Freispruch erfolgt, ist völlig offen.
Interessant, spannend und großartig zugleich: Bei Gott ist der Ausgang ganz und gar nicht offen. »Gnade« beschreibt die Vor-Entscheidung des liebenden Vaters für seine Kinder. Ohne Wenn und Aber: Wir sind seine geliebten Kinder, egal was wir getan oder nicht getan haben. Wir gehören zu ihm, unabhängig von dem, was wir geleistet haben und was wir von damals oder heute in Vorstellungsrunden oder Grußworten mehr oder weniger ehrlich als unser Lebenswerk auflisten bzw. von anderen lobend gesagt bekommen.
Gnade wird geschenkt – Gerechtigkeit kostet
Noch etwas: Gnade ist gewissermaßen das Gegenteil von »Gerechtigkeit«. Auf Schuld steht Strafe. Das ist gerecht, dem Gesetz gemäß. Und das ist ja das Besondere am Evangelium: »Die Strafe liegt auf ihm!« (Jes. 53,5) Dieses alttestamentliche Wort haben die ersten Christen auf Jesus bezogen. Er hat das Gesetz erfüllt, weil er sich der Strafe nicht entzogen hat. Er hat die Konsequenzen getragen – bis hin zur Todesstrafe am Kreuz.
Gnade ist völlig unverdient und umsonst. Ich kann und muss sie mir nicht erarbeiten und verdienen.
Gerechtigkeit dagegen ist teuer. Sie kostet Jesus das Leben. Er übernimmt die Verantwortung gegenüber dem Gesetz Gottes – für Sie und mich.
Allein durch Christus
Wenn man die Bibel liest, ist es immer hilfreich zu fragen, wer das Gelesene gesagt, gemacht oder geschrieben hat. Oft erschließt sich erst durch solche Recherche die Kernaussage eines Bibelwortes. So auch hier in Matthäus 5,20.
Matthäus