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Indianerkinder: oder die Weisheit grauer Pferde (2. überarbeitete Version)
Indianerkinder: oder die Weisheit grauer Pferde (2. überarbeitete Version)
Indianerkinder: oder die Weisheit grauer Pferde (2. überarbeitete Version)
eBook771 Seiten11 Stunden

Indianerkinder: oder die Weisheit grauer Pferde (2. überarbeitete Version)

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Über dieses E-Book

Im Nordamerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts scheint das Indianerproblem gelöst. Die Rothäute, wie man sie abschätzig nennt, vegetieren in Reservaten, haben ihre Kultur fast vergessen und werden bald ganz verschwinden. Ein Mitglied der berüchtigten Arrow Boys trägt dazu bei. Nach gelungenen Bankraub noch völlig übermütig, tötet er zwei Indianer, Mann und Frau, denen er zufällig begegnet. Jetzt muss er ihnen nur noch die beiden Kinder hinterherschicken, dann gibt es keine Zeugen. Doch ausgerechnet Francis, den die Bande einstmals vor Kerker und Zwangsarbeit bewahrte, verhindert dies. Ihrem Anführer bleibt keine Wahl. Francis muss bestraft werden. Dabei bedenkt er jedoch den Mut der Kinder nicht. Er wird es bereuen.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum26. Nov. 2012
ISBN9783847624448
Indianerkinder: oder die Weisheit grauer Pferde (2. überarbeitete Version)

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    Buchvorschau

    Indianerkinder - Frans Diether

    Vorwort

    Es regnete. Regen in der Wüste? Staub und Wasser verbanden sich auf dem Straßenasphalt zu einer Art Schmierseife. So hatte ich mir meinen Ausflug zum Canyon de Chelly nicht vorgestellt. Ich wollte doch nur den neuen Van einfahren. Er sollte mir für den Rest meines USA-Aufenthalts zum treuen Begleiter werden und nicht schon in der ersten Woche unseres Zusammenseins als Schrott im Straßengraben enden. Entsprechend langsam zog ich meine Bahn. Zum Glück musste ich erst zwei Tage später wieder in Las Vegas sein. Regen in der Wüste, wer hätte das gedacht.

    Das langsame Fahren lud zum Träumen ein. Weit weg waren der Alltagsstress, die vielen großen und kleinen Probleme auf der Baustelle, die Differenzen zwischen deutscher Ingenieurskunst und amerikanischer Arbeitsauffassung. Hier war Indianerland. Hier roch es nach Freiheit und Abenteuer. Ein lauter Knall holte mich unsanft in die Realität zurück. Ein weißer Pick Up schoss an mir vorbei, drehte sich und raste gegen die Straßenböschung. Bremsen brachte nichts. Ich wich nach links aus. Unendlich langsam kam ich zum Stehen, schaltete die Warnblinkanlage an, stieg aus meinem Wagen. Er war hinten rechts getroffen, aber sicher noch fahrbereit. Vorsorglich griff ich nach dem Pfefferspray in meiner Hosentasche. Man weiß ja nie. Der andere Wagen hatte ordentlich was abbekommen. Er stand schräg auf der Böschung. Der massive Kühler eingedrückt, das rechte Vorderrat nach außen zeigend, schien er nur noch Schrottwert zu besitzen. Der Fahrer lag auf dem Lenkrad. Lange schwarze Haare, verklebt von Blut, verdeckten sein Gesicht. Ich dachte nicht an das Risiko, dachte nicht an die Geschichten von Überfällen auf Touristen. Hier brauchte ein Mensch Hilfe. Die Fahrertür ließ sich mit etwas Mühe öffnen. Er lebte. Ein Indianer. Er? Indianer? Nein, sie und natürlich eine Native American.

    „Brauchen sie Hilfe?" Meine Frage war nur Ausdruck der eigenen Hilflosigkeit.

    Sie hob abwehrend die Hand und lallte unverständlich. Ein Arzt musste her und die Polizei. Ich griff nach dem Handy. Da spürte ich sanften Druck auf meiner Schulter. Ich erschrak bis ins Mark. Doch eine tiefe melodische Stimme sagte nur: „Alles in Ordnung. Keine Polizei."

    Ich hatte das Kommen des Mannes nicht bemerkt.

    „Mein Name ist John. Ich kenne die Frau. Ich bringe sie zu ihrer Familie."

    Unschwer erkannte ich John als Navajo. War ja auch kein Wunder. Wir waren in der Navajo-Nation.

    „Und was wird aus meinem Wagen?"

    „Wir kümmern uns", war Johns kurze Antwort. Dann ließ er mich stehen und redete intensiv auf meine Unfallgegnerin ein.

    Inzwischen kam ein Abschleppwagen. Er nahm den Pick Up an den Haken, während John die Lady, wie ich die Unfallverursacherin in Gedanken nannte, zu seinem Fahrzeug führte. „Fahr mir nach", rief er dabei.

    Ich, offensichtlich von allen guten Geistern verlassen, setzte mich hinters Steuer meines Van und startete den Motor. Aber welche Wahl hatte ich denn? Ich wollte nicht auf den Reparaturkosten sitzen bleiben. Oder sollte ich doch besser abhauen und die Polizei verständigen? Aber wusste ich, ob mich die Natives fahren ließen? Und in welcher Position war ich? Meine Aussage stand gegen ihre. Die Spuren hatten sie vorsorglich beseitigt. So folgte ich John. Mir blieb ja noch ein ganzer Tag. Ich hoffte, dass es mit der Reparatur schnell ginge.

    Es ging nicht schnell. Ich meldete mich auf der Baustelle für eine Woche ab. Sie würden schon ohne mich klar kommen und kommenden Samstag sollte mein Wagen fertig sein, hatte der Mechaniker hoch und heilig versprochen. Ich wohnte bei John. Die Lady, meine Unfallgegnerin, hieß Anabelle. Sie hatte, von ein paar Hautabschürfungen abgesehen, keinen körperlichen Schaden davongetragen. Und sie war schön, wunderschön. Ich konnte es ihr nicht abschlagen Versöhnung zu feiern. Wir saßen am Feuer, redeten über Belangloses. Tief in der Nacht saßen wir allein. Da holte sie ihn hervor, den Geist aus der Flasche. Alkohol war in der Navajo Nation verboten. Sie hatte dennoch welchen. Und sie war so schön. Ich wollte, ich konnte ihr Angebot nicht ablehnen. Ich weiß nicht, wann die Flasche geleert war. Ich weiß nicht, wie ich in ihr Haus kam. Ich weiß nicht, wie ich in ihr Bett kam. Ich weiß nur, dass es John war, der uns am nächsten Vormittag weckte und dass ich wahrlich annahm, er würde mich auf der Stelle umbringen.

    „Ihr Weißen habt so viel Leid über uns  gebracht, über unser Volk, über unsere Familie. John konnte sich kaum beherrschen. Er nahm mein Handy und zertrat es auf dem Boden. Meine Schwester ist eine Hure", rief er dabei. Dann rannte er aus dem Haus.

    „Er meint es nicht so." Anabelle wickelte die dünne Decke um ihren schlanken Körper und setzte sich auf einen Stuhl. „Du kannst dich jetzt waschen. Du bist nicht schuld. Ich bin nicht schuld. Schuld ist der verdammte Alkohol. Und wenn du willst, erzähle ich dir später eine Geschichte, die Geschichte meiner Familie, in der Weiße eine Rolle spielen. Dann verstehst du.

    Und Anabelle erzählte, tagelang, nächtelang. Der Van war längst repariert. Ich blieb dennoch, sehr zum Leidwesen von John und der anderen Navajo. Aber Anabelles Wort hatte Gewicht. Und sie verfügte über ein bedeutsames Argument. „Was passiert, wenn er doch zur Polizei geht?"

    Das wollte keiner. So durfte ich bleiben. Die Navajo opferten meinetwegen einen Teil Ihrer Tradition, welche forderte, Fremde lange zu prüfen, bevor man sie bei sich aufnahm. Und ich? Ich opferte Anabelles wegen mein bisheriges Leben, tauschte es gegen beengtes Wohnen ohne Telefon, ohne Fernseher, ohne warmes Wasser und ohne meinen Van. John ließ ihn über eine Klippe stürzen, weit entfernt von hier. Man würde nicht lange nach mir suchen. Und ich wurde Schriftsteller. Anabelle erzählte und ich schrieb alles auf. Daraus entstand dieses Buch. Es beschreibt die Geschichte aus Anabelles Sicht und in Anabelles Sprache. Es achtet nicht auf historische Korrektheit. Es achtet nicht auf die komplexen religiösen Vorstellungen der Navajo oder besser Diné, denn so ist ihr wahrer Name. Es achtet nicht auf exakte geographische Angaben oder politische Korrektheit. Anabelle erzählte ihre ganz eigene Geschichte, ihren ganz eigenen Traum, von Freiheit, von Liebe, von Freude und Leid und genau davon handelt dieses Buch, nicht von mehr aber auch nicht von weniger.

    1. Kapitel

    Nun du uns retten.

    Francis schreckte hoch. Die letzten Stunden waren durch traumhafte Erinnerung und einen Zustand der Apathie geprägt. Doch jetzt konnte er seine Hände frei bewegen. Die langsam einsetzende Geistestätigkeit gebot ihm jedoch sie auf dem Rücken zu halten. Er musste ja nicht die Aufmerksamkeit der anderen erregen. Gleichmäßig schritt sein Pferd voran. Hinter ihm saßen zwei Indianerkinder, Junge und Mädchen, vermutlich Geschwister, jedenfalls Gefangene wie er. Eines der Kids hatte es offenbar geschafft mit seinem Mund die Knoten zu öffnen, welche den Strick um Francis Handgelenke fixierten.

    Was war passiert? Francis Bande, weithin bekannt und gefürchtet als die Arrow Boys, hatte gerade eine Kleinstadt am Rande der Rockys besucht, wie sie ihre Überfälle beschönigend nannten und die örtliche Bankgesellschaft um Ihr Vermögen erleichtert. So schnell wie ein Pfeil waren sie gekommen und wieder verschwunden. Im Schutze der Nacht ging es zurück in Richtung ihres Lagers. Sancho und Francis bildeten die Vorhut. Es wurde schon Morgen, als beide auf das Lager einer Indianerfamilie trafen, die sich offensichtlich gerade zum Aufbruch rüstete. Als sie die Weißen sahen, packte die Frau ihre Sachen zu hastig. Ein Goldreif fiel aus ihrer Tasche. Was dann geschah, dauerte nur Sekunden. Die Augen gefüllt von Gier zog Sancho den Revolver und traf die beiden Erwachsenen direkt in den Kopf. Die etwas abseits stehenden Kinder erstarrten wie versteinert. Ihre dunkeln Augen waren weit aufgerissen und fixierten den Mörder mit ungläubigem Entsetzen. Das kannst du doch nicht tun schienen sie zu schreien. Aber es blieb entsetzlich stumm. Schon wollte Sancho auch diese beiden unnützen Rothäute wie er abschätzig zu sagen pflegte, von ihren irdischen Plagen erlösen, als Francis in einem Anflug von Gerechtigkeitssinn und ohne die Folgen nur im Ansatz zu bedenken gezielt vor das Pferd seines Begleiters schoss. Das Tier scheute und Sancho fiel in den Sand.

    Von den Schüssen alarmiert, kam der Rest der Truppe im scharfen Galopp angerast.

    Wer hat denn diese Schweinerei angerichtet?, brüllte der Boss. Keiner benutzte den wahren Namen des Anführers. Soweit Francis sich erinnern konnte, wurde er stets nur der Boss genannt. Grimmig blickend, doch die Situation nicht wirklich durchschauend, fuhr er Sancho mit unverhohlenem Ärger an: Was wälzt du dich da im Dreck?

    Sanchos Hand zitterte, als er auf Francis zeigend mit sich überschlagender Stimme schrie: Da, das Schwein ist schuld. Alles ging gut, die beiden Alten kosteten mich nur zwei Kugeln. Dann ist der plötzlich ausgerastet, bevor ich die Kinder ihren Eltern nachschicken konnte.

    Damit rettete er dein Leben. Siehst du nicht das Zeichen von Häuptling Lauter Donner auf dem Tipi? Du hast offenbar gerade seine Verwandtschaft dezimiert. Dies dürfte eine schreckliche Rache auslösen. Zum Glück haben wir noch die Kinder. Sie werden uns als Geiseln dienen und am Ende vielleicht ein hübsches Lösegeld einbringen. Und nun zu dir, abschätzig schaute er an Francis herunter. Du hast offenbar unsere Gesetze immer noch nicht verstanden. Selbstjustiz innerhalb der Gruppe ist strengstens verboten. Nur der Boss entscheidet über Strafe oder Gnade, egal was passiert. Dich betreffend wird es auf Strafe hinauslaufen. Und sei sicher, diese Lektion vergisst du nicht, solange dein elendes Leben auch dauern möge. Waffen abnehmen und fesseln.

    Der kurze Befehl führte zu unmittelbarer Aktivität in der Truppe. Mit vorgehaltenem Gewehr zwangen sie Francis den Revolver fallen zu lassen und vom Pferd zu steigen. Unter Anwendung roher Gewalt drehten ihm zwei der ehemaligen Gefährten die Arme auf den Rücken und banden sie dort mit einem festen Strick zusammen.

    Fesselt auch die Kinder und dann räumt hier auf. Vergesst nicht das Gold einzusammeln. Diese verdammten Indianer verstecken es oft am Körper. Ihr müsst sie ausziehen, dann vergrabt alles Unnütze. Du bist mir für die Gefangenen verantwortlich. Mit diesen Worten wandte sich der Boss erneut an Sancho, der immer noch um Fassung ringend wieder auf den Beinen stand.

    Mit Vergnügen, auch wenn ich sie am liebsten sofort in die ewigen Jagdgründe schicken würde.

    Untersteh dich, du bürgst mit deinem Leben für Ihre Unversehrtheit.

    Die beiden Kinder hockten nebeneinander, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Ihr ganzer Ausdruck zeigte nur Schrecken und ungläubiges Erstaunen. Sancho wies einen Begleiter an Francis die Stiefel auszuziehen. Das ist gut gegen Weglaufen, rief er ihm hinterher.

    Francis spürte den noch kühlen Wüstensand unter seinen Füßen während ihn Sanchos Revolver in Richtung der Kinder dirigierte. Setz dich, rief sein Bewacher kurz.

    In Ermangelung einer realen Alternative folgte er der Anweisung.

    Nach nicht einmal einer halben Stunde waren Körper und Ausrüstung der toten Indianer vergraben. Ihre Mörder fanden eine erstaunliche Menge an Goldschmuck bei ihnen. Der in Ungnade gefallene Arrow Boy und die beiden Kinder mussten sich erheben und nacheinander auf Francis Pferd steigen, Francis vorn, dann der Junge und schließlich dessen kleine Schwester. Drei Paar Füße wurden unter dem Bauch des Tieres zusammengebunden. Sancho packte die Zügel, und in schnellem Schritt zogen alle ab. Anfangs gelang es Francis noch, sich gut mit den Beinen festzuklammern. Auch der unmittelbar hinter ihm sitzende Indianerjunge hielt sich aufrecht. Das Mädchen lehnte am Rücken ihres Bruders und schluchzte leise.

    Sie ritten bis zum Mittag. Die Sonne brannte schon stark, als eine Felsengruppe auftauchte, in deren Schatten einige dürre Sträucher wuchsen. Francis vermutete, dass sie hier rasten würden, da sie bald einen Kontrollposten passieren mussten und dies bei Nacht sicherer war. Tatsächlich ließ der Boss absitzen. Sancho dirigierte die Gefangenen zu einem Einschnitt im Felsen. Legt euch auf den Bauch, sagte er in strengem Ton.

    Da Francis Widerstand zu diesem Zeitpunkt für ineffektiv hielt, folgte er der Aufforderung und die Kinder wiederum seinem Beispiel. Ihre Knöchel wurden erneut zusammengebunden, dann aber die Stricke an den Händen gelöst.

    Ihr bleibt liegen. Und fasst die Fußfesseln nicht an, sonst setzt’s was.

    Nur langsam fand das Blut zurück in ihre geschwollenen Finger. Sancho gab die Wache an Rick ab. Rick, der vorigen Sommer einen Postraub fast vermasselte, indem er auf eine zufällig vorbeikommende Armeestreife schoss und von vier Soldaten nur einen traf, worauf sich ein viertelstündliches Feuergefecht entwickelte, ehe endlich die Flucht gelang. Dies widersprach völlig ihrer Strategie, die darin bestand blitzartig zuzuschlagen und dann wie der Pfeil zu verschwinden, was ihnen den bereits legendären Namen Arrow Boys eingebracht hatte. Rick ritt damals ebenso wie Francis jetzt als Gefangener in das Lager zurück. Als Strafe erhielt er am nächsten Tag 50 Schläge mit der siebenschwänzigen Katze. Seither war er der Letzte in der Gruppe und musste die gefährlichsten Aufträge ausführen. So konnte es nicht verwundern, dass Rick breit grinste, als er die Wache übernahm. Vermutlich würde Francis ihn in seinem Schicksal ablösen. Andererseits wusste Francis aus dem Erlebten, dass er die ganze Situation wohl überstehen könnte und das Leben der beiden Kinder bei Kooperation ihrer Verwandten gerettet war. Vor Erschöpfung schlief er ein und wurde erst durch unsanfte Fußtritte geweckt. Seine kleinen Freunde, wie er sie innerlich bereits nannte, standen schon. Der Junge blickte mit offener Verachtung in die Runde. Das Mädchen war immer noch starr vor Schreck. Große Angst sprach aus ihren Augen. Wie gehabt, wurden ihnen die Arme auf den Rücken gebunden, die Fußfesseln nur für den Weg zum und auf das Pferd gelöst und dann unter dem Bauch des Tieres wieder verschnürt.

    Bevor sie abzogen, richtete der Boss nochmals das Wort an die bereits aufgesessenen Männer. Ihr wisst, dass wir einen sehr erfolgreichen Ausflug hatten und der Erlös durch einen kleinen Zwischenfall noch erhöht wurde, auch wenn wir uns dafür mit drei Gefangenen belasten müssen. Noch eine Nacht dann sind wir in Sicherheit. Vergesst aber nicht, dass wir den Posten von Bullet Nose in weniger als 5 Meilen Entfernung passieren. In eurem eigenen Interesse seid absolut ruhig. Das gilt auch für dich Francis. Auch wenn es anders aussehen mag, du bist einer von uns, und dem Sheriff wäre es ein Vergnügen dich in Ketten nach Stone County zu schicken.

    Duuu uuuns retten. Der Indianerjunge sprach leise, aber er schlug seinen Kopf gegen Francis Rücken.

    Jetzt war dieser endgültig wach. Kurze Zeit ärgerte er sich, kein Wort aus der Sprache seines Freundes zu kennen, deshalb konnte er nur hoffen, dass der sein wart’s ab verstand.

    Zumindest herrschte von jetzt an Ruhe hinter ihm. Noch eine weitere Stunde behielt er die Arme auf dem Rücken um keinen Verdacht zu erregen. Dann kamen sie an die Stelle, die er in fieberhaften Überlegungen für ihre Flucht auserkoren hatte. Die ganze Zeit sprach sein Unterbewusstsein‚ was sind schon 50 Peitschenhiebe gegen die reale Chance erschossen zu werden oder zu Tode zu stürzen. Aber der Hilferuf des Jungen hatte sich tief in sein Herz eingebrannt. Und er wusste, er musste Mut zeigen und die Flucht wagen, wenn er jemals wieder Achtung vor sich selbst haben wollte.

    Sie ritten jetzt in einer Reihe.

    Langsamer Schritt zur Dämpfung der Geräusche war die Anweisung.

    Als die Dunkelheit den Trupp komplett einhüllte, kamen sie ans Ufer des Johnson River. Das Ufer stieg stetig an. Schließlich waren sie etwa 60 Fuß über dem Fluss. Alles passte optimal. Jetzt musste es nur noch schnell gehen.

    Festhalten!, rief Francis laut und versetzte seinem treuen Tier einen kräftigen Fersenstoß in die Flanke, dass Zeichen plötzlich zu stoppen.

    Sancho, der das Pferd mit den Gefangenen am Zügel führte, flog aus dem Sattel und ließ los. Im gleichen Augenblick beugte sich Francis über den Hals seines Freundes, fasste die Zügel, riss das Tier zur Seite und stürmte mit ihm die steile sandige Böschung hinunter. Bevor seine Begleiter reagieren konnten, klatschen Pferd und Reiter ins Wasser. Rasch trieb sie die Strömung rasch davon.

    So 'ne Scheiße, fluchte der Boss, als er die Situation überschaute, beruhigte sich jedoch schnell. Bei aller Brutalität war ein strategischer Denker und wusste, dass man überhastete Aktionen in der Nähe des Kontrollpostens schnell bereuen konnte. Du fängst sie wieder ein, fauchte er Sancho an, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht aus dem Staub erhob. Nimm Rick mit und bring mir die Kinder lebend, Francis gehört dir.

    Die Truppe zog weiter. Manch unterdrückter Fluch war noch zu hören, bevor sie am nächsten Abend in Little Rock ankamen, wo die Arrow Boys gut getarnt als harmlose Siedler lebten und ihre Beutezüge planten.

    Das Wasser spritze hoch. Husky, Francis Pferd schwamm kräftig gegen die Strudel des Flusses. Irgendwie gelang es ihm dem Jungen die Fesseln zu lösen und auch seine eigenen Füße zu befreien. Alles schien eine Ewigkeit zu dauern. Das Mädchen war inzwischen mehr unter als über Wasser.

    Nimm die Zügel und schwimm mit dem Pferd ans Ufer, keuchte Francis zu dem Jungen. Neben Husky schwimmend, hielt er den Kopf des Mädchens über Wasser. Unter einem Felsüberhang erreichten sie festen Boden und Francis konnte die Kleine endlich losbinden. Der Junge sprach bereits beruhigend auf Husky ein. Wie von Geisterhand geführt, legte sich das Tier auf den Boden.

    Kleiner Wolf, er zeigte auf sich. Weiße Feder, Schwester, dabei deutete er auf das reglos am Boden liegende Mädchen.

    Weiße Feder atmete flach. Ihr Herz schlug schnell. Langsam regte sie sich jedoch und schlug schließlich die Augen auf. Diese großen schwarzen Augen und das darin liegende unendliche Leid würde Francis sein Leben lang nicht vergessen. Warum habt Ihr meine Welt zerstört? Was ist Gold gegen das Leben von Menschen, gegen das Glück eines Kindes? So schrie ihr Blick ihn an. In diesem Moment hätte sie alles von ihm fordern können. Dennoch versuchte er rational zu denken. Wir bleiben hier. Es wird bald hell. Sicher sucht man nach uns. Erst in der Nacht reiten wir weiter.

    Francis rechnete damit, dass der Boss sie nicht so einfach ziehen ließe. Genauso fürchtete er aber die Entdeckung durch den Militärposten. Die Aussicht auf Zwangsarbeit im Steinbruch fand er ebenso wenig verlockend wie einen Kampf mit seinen ehemaligen Gefährten.

    Die drei Flüchtlinge schmiegten sich an Husky und aneinander. Francis wusste, dass ihm sein Pferd absolut vertraute, dennoch schien kleiner Wolf magischen Einfluss auf das Tier auszuüben. Es blieb so entspannt, dabei waren sie doch eben noch quasi senkrecht in die Tiefe gerast und fast ertrunken. Vielleicht freute es sich aber auch nur nicht mehr drei gebundene Reiter auf seinem Rücken tragen zu müssen. Die Kinder schliefen schon, als auch Francis in einen von wilden Träumen gefüllten rauschähnlichen Zustand verfiel.

    Herr, lass uns die verfluchten Bastarde lebend finden.

    Wenn du weiter so fluchst, wird dich der Herr kaum erhören.

    Sancho war immer noch außer sich. Ich peitsch ihm erst die Haut vom Rücken, bevor ich ihm eine Kugel in den Kopf jage.

    Erst müssen wir sie finden. Und denk dran, die Kinder braucht der Boss lebend. Rick wünschte sich, dass auch Francis überleben möge. Schließlich war das für ihn die einzige Chance in der Bandenhierarchie wieder aufzusteigen.

    Einer von uns muss über den Fluss. Sie werden ja nicht gegen die Strömung schwimmen, und vor den Oat Creek Fällen müssen sie aus dem Wasser, wenn sie am Leben hängen.

    Die nächste Furt kommt zwei Meilen flussabwärts. Ich reite hin und suche das gegenüber liegende Ufer ab, bis ich dich hier wieder erreiche. Du wartest so lange. Rick übernahm jetzt das Kommando. Er war manchmal unbeherrscht, Sancho intellektuell jedoch weit überlegen. Instinktiv ordnete dieser sich unter und hörte auf die Anweisungen seines Begleiters. Es wurde hell, als Rick am anderen Ufer wieder auftauchte.

    Hast die Schweine gesehen?

    Nein, deshalb reiten wir jetzt beide flussabwärts bis zu den Fällen.

    Gutes Versteck, dachte Francis. Auch hierbei hatte Kleiner Wolf eine besondere Begabung bewiesen, schließlich führte er Husky als sie an Land schwammen. Der Fels war durch den Fluss tief ausgewaschen. Bei niedrigem Wasserstand lag eine kleine vom gegenüberliegenden Ufer nicht einsehbare Höhle trocken. So zogen Sancho und Rick in unmittelbarer Nähe vorbei ohne die Flüchtigen zu bemerken. Als sie am Oat Creek Fall ankamen, hatten sie noch immer kein Spur gefunden. Die Schweine sind den Fall runter. Ihre Knochen treiben wohl einzeln Richtung Colorado.

    Mag sein, aber vielleicht verstecken sie sich auch nur. Rick war ganz der coole Rechner und im Gegensatz zu Sancho nicht durch blinden Hass geleitet. Lass uns in Ruhe überlegen. Richtung Bullet Nose wird Francis nicht ziehen. Wer einmal Fußeisen trug, will dies mit Sicherheit zukünftig vermeiden. Die Umgebung von Little Rock wäre ebenfalls kein gutes Ziel, da hätte er ja gleich bei uns bleiben können. Auch scheint er ja plötzlich eine abartige Vorliebe für Rothäute entwickelt zu haben. Er wird sich hochwahrscheinlich nach Norden wenden um die Kids bei ihrer Sippe abzugeben und vielleicht eine schöne Belohnung zu kassieren.

    Das kommt ihn hoffentlich übel zu stehen, sagte Sancho. Die Wilden werden die Kinder nehmen und ihn dann langsam zu Tode martern. Schließlich hat er sich in der Vergangenheit nicht als Indianerfreund hervorgetan. Ich denke da nur an den Überfall auf die Native People Security Bank. Geschieht ihm ganz recht, aber wäre immer noch das Paradies gegenüber der Behandlung, die ich für ihn vorgesehen habe.

    Wirst schon noch dein Vergnügen kriegen, aber jetzt müssen wir planvoll vorgehen. Es wird bald dunkel, da sollten wir ein Lager für die Nacht finden.

    Francis schoss mit dem tosenden Wasser dahin und wurde von einem Fels zum anderen geschleudert, doch dann merkte er, dass es kleine braune Hände waren, die ihn rüttelten und eine erregte Kinderstimme die in unverständlichen Worten auf ihn einsprach. Er hatte nur geträumt.

    Psst entfuhr es Kleiner Wolf, der durch den Lärm ebenfalls erwachte. Beruhigend sprach er auf seine Schwester ein, die von Francis abließ und bis auf ein lautloses Schluchzen verstummt. Weiße Feder und ich Kinder von Grauer Büffel. Unser Onkel Lauter Donner. Wird uns retten. Wer du?

    Ich bin Francis. Francis ist mein Name. Ich werde euch retten! 

    Kleiner Wolf sah den Weißen abschätzig an. Du dich retten selbst wenn kannst.

    Dann wandte er sich erneut seiner Schwester zu. Francis verstand kein Wort ihres leisen Gesprächs, aber er sah, wie die Kleine immer wieder in seine Richtung wies, was bei ihrem Bruder offensichtlich nicht auf Gegenliebe stieß. Nur widerwillig drehte der sich zu dem Weißen. Schwester muss Tauender Schnee finden. Du uns nicht helfen, wir allein gehen.

    Wer ist Tauender Schnee?

    Pony von Weiße Feder. Hat weiße Flecken auf braune Fell wie tauender Schnee. Böse Männer haben mitgenommen. Müssen wieder finden, sonst Kleine Feder sehr traurig und bald sterben.

    Wenn wir das Vieh wiederholen, werden wir alle sterben. Dies dachte Francis nur, sagte aber so überzeugend wie möglich: Wir werden Tauender Schnee finden. Ihr müsst mir vertrauen, denn nur ich weiß, wo Tauender Schnee jetzt ist.

    Die Kinder tuschelten miteinander, dann wandte sich Weiße Feder zu Francis und umarmte ihn völlig unerwartet. Dabei sagte sie immer wieder die gleichen unverständlichen Worte, die Kleiner Wolf wie folgt übersetzte: Du Tauender Schnee retten, sie immer bei dir.

    Es fiel Francis schwer dies ernst zu nehmen, aber viele Dinge im Leben entscheidet nicht das Bewusstsein. Seine Seele hatte längst beschlossen die Zuneigung dieser Kinder zu gewinnen, koste es was es wolle. Er sagte mit fester Stimme: Wir werden Tauender Schnee gemeinsam retten, das schwöre ich.

    Zum ersten Mal sah er so etwas wie Hochachtung in den Augen des Jungen und ein kurzes Strahlen auf dem Gesicht des Mädchens. Er musste sich ernsthaft überlegen zu seinen ehemaligen Kameraden zurückzukehren, um ein Pferd zu retten. Je länger er darüber nachdachte, umso weniger unnatürlich erschien ihm die ganze Sache. Hätte er Husky im Stich gelassen? Sicher nicht. Es stand also fest. Sie würden nach Süden ziehen und sich der Gefahr aussetzen als Pferdediebe in Little Rock am Galgen zu enden. So beschloss Francis feierlich und schwor vor sich selbst die Kinder nicht ohne Tauender Schnee zu ihrem Stamm zurückzubringen.

    Aufbrechen konnten sie erst in der Dunkelheit. Zu groß war die Gefahr der Entdeckung. Francis nutze die verbleibende Zeit sich seine neuen Freunde in Ruhe anzusehen. Typische Indianerkinder halt, lange schwarze Haare, dunkle große Augen, dunkle Haut. So dachte einer, der fest in der weißen Welt verwurzelt war, sich bisher nicht wesentlich für Indianer interessierte und sie mit der bei Weißen verbreiteten Überheblichkeit eher dem Tierreich zurechnete. Der Junge, schätzungsweise 13 Jahre alt, trug lediglich einen Schurz um die Hüfte. Seine kleinen braunen Füße schienen es gewohnt ohne Schuhe zu gehen. Francis Blick glitt weiter zu Weiße Feder. Das Mädchen war bestimmt zwei bis drei Jahre jünger als ihr Bruder. Ihr Kleid trug reiche Stickerei und bedeckte schlanke aber durchaus muskulöse Beine Nur bis zum Oberschenkel. Die Füße hatte sie im Fell von Husky vergraben.

    Ich spreche leider eure Sprache nicht. Ich werde langsam sprechen. Du wirst mich fragen, wenn du etwas nicht verstehst. Du wirst meine Worte deiner Schwester übersetzen und mir auch alles sagen, was sie sagt. Verstanden?

    Kleiner Wolf schien mit sich zu ringen.

    Verstanden?, fragte Francis erneut.

    Verstanden und akzeptiert.

    Einen solchen Englischwortschatz hätte Francis dem Kind eines, wie er immer noch dachte Wilden, nie zugetraut. Wir reiten nachts. Wir müssen den Posten von Bullet Nose umgehen und uns dem Lager der bösen Männer von Süden nähern. Sie halten die Pferde auf mehreren Koppeln. Hoffentlich erkennt dich Tauender Schnee und bleibt ruhig. Du scheinst sehr gut mit Pferden umgehen zu können und wirst darauf achten, dass auch die anderen Tiere keinen Lärm machen. Wenn die Sonne komplett verschwunden ist, ziehen wir los. Wir müssen noch eine Meile bis zur Furt schwimmen. Dann verlassen wir den Fluss und ziehen nahe an Bullet Nose vorbei in Richtung Süden. Bestimmt nimmt niemand an, dass wir dieses Wagnis eingehen. Ich denke, sie suchen uns eher am Fluss.

    Auf geht's, rief Francis. Er und die Kinder hielten sich an den Riemen der Satteldecke fest und glitten neben Husky ins Wasser. Mit ruhigem Beinschlag schwamm das Pferd flussabwärts. Die Strömung trieb sie rasch voran, und bald wurde die Böschung niedriger, bis sie schließlich in einen breiteren flachen Abschnitt des Johnson River gelangten. Hier gingen sie ans Ufer und wandten sich direkt in Richtung Bullet Nose. Sie wollten den Posten in dieser Nacht passieren, um bei Tagesanbruch in der üblicherweise menschenleeren Prärie anzukommen. Gegen ihren Willen aber am Ende ohne großen Widerstand setzte Francis Weiße Feder auf Husky. Sie kamen so einfach schneller voran. Kleiner Wolf wich geschickt allen Hindernissen aus, während seinem weißer Begleiter schmerzhaft in Erinnerung gerufen wurde, dass er seit Ende seiner Kindheit kaum mehr barfuss gegangen war. Es gab allerdings ein einschneidendes Ereignis in seinem Leben, durch welches er um ein Haar viele Jahre Ketten statt Schuhe getragen hätte. Daran wollte er sich jetzt nicht gern erinnern, zumal das damals der Beginn seiner Laufbahn als Arrow Boy und somit letztlich Auslöser der heutigen Situation war. Seine ehemaligen Gefährten, so hoffte er, hatten die Sache aber nicht vergessen und gingen vermutlich davon aus, dass er das Risiko einer erneuten Verhaftung scheuend, sich keinesfalls in die Nähe des gut bewachten Postens von Bullet Nose wagen würde. In einer Zeit, in der nicht nur das eigene Leben von Zufällen und Entscheidungen auf Basis von Vermutungen abhing, fand er es unvermeidlich ein Risiko zu tragen und sich anders zu verhalten, als es logischer Überlegung entsprochen hätte. Logisch denken können deine Feinde auch. Es sind die unerwarteten Reaktionen, welche dir einen Vorteil verschaffen. Und so gingen sie ruhig und im Schutze der mondlosen Nacht in Schlagdistanz an Bullet Nose vorbei. Auf der Koppel standen nur wenige Pferde. Hinter der Verschanzung rührte sich nichts. Vermutlich war ein Teil der Garnison aufgrund des kürzlich erfolgten Bankraubs nach Alberchinque abgezogen. Sie konnten nur hoffen, dass die Soldaten nicht auf die Spur der Arrow Boys treffen und gemeinsam mit ihnen in Little Rock ankommen würden.

    Mit jedem Fuß Abstand, den sie von Bullet Nose gewannen, wurde Francis ruhiger und begann die nächsten Schritte zu planen. Der Überfall auf die Heimstatt der Arrow Boys war ein überaus verwegenes und nach menschlichem Ermessen zum Scheitern verurteiltes Unternehmen. Er sollte dabei keine Kinder mitnehmen, aber ohne zumindest eines von ihnen hätte er Tauender Schnee kaum erkennen, geschweige denn entführen können. Nach reiflicher Überlegung fiel seine Wahl auf Kleiner Wolf. Weiße Feder würde alles verlangsamen und ihn im Falle der Entdeckung leichter erpressbar machen. Sie musste irgendwo versteckt bleiben. Francis wollte eine sichere Bleibe für die Kleine finden. Auch hatten sie seit nunmehr zwei Tagen nichts mehr gegessen. Eine Rast wäre gut für sie alle. Aber wer würde einem weißen Outlaw mit zwei Indianerkindern Obdach gewähren? Da erinnerte er sich an eine Begebenheit aus seiner Frühzeit bei den Arrow Boys. Sie hatten einen durchaus erfolgreichen Postüberfall unternommen und waren auf dem Rückweg nur noch 10 Meilen von Little Rock entfernt, als sie eine neu erbaute Hütte ausmachten.

    Welcher Coyote will sich denn da an unseren Bau herangraben?, fragte damals der Boss.

    Schnell erreichten sie die Hütte und fanden darin einen ausgemergelten halbnackten Mann, der offensichtlich einen Stollen in die Erde trieb.

    Pfoten hoch und rauskommen schrie ihn der Boss an.

    Gnade die Herren, bei mir ist nichts zu holen. Ich grabe nur nach Fossilien, die für euch völlig wertlos sind.

    Vielleicht stimmte der erfolgreiche Raubzug den Boss milde. Vielleicht war ihm auch nur die Kugel zu schade, oder er hatte Angst, das klapprige Gestell zu verfehlen und sich dem Spott seiner Männer auszusetzen. Jedenfalls legte er den Mann nicht um und befahl Francis die Hütte zu untersuchen. Nevada Johns, so hieß der Einsiedler, bei dem das offensichtliche Risiko bestand sich mit Krätze anzustecken, zeigte Francis die Hütte und flüsterte: Sag ihnen nichts. Ich habe Gold gefunden. Wenn du mich beschützt, gebe ich dir die Hälfte ab.

    Francis glaubte ihm kein Wort, sah es aber als unwürdig an, einem offensichtlich verwirrten Menschen Leid widerfahren zu lassen. Hier ist nichts Brauchbares, rief er nach draußen.

    Nevada Johns machte eine kurze Geste der Dankbarkeit. Dass er Francis dabei berührte, war diesem reichlich unangenehm. Erst als er später ein Goldnugget in seiner Tasche fand, wusste Francis, er hatte diesem Mann Unrecht getan. Nevadas Hütte stand dann auch über die Jahre. Reichtum schien er nicht zu erwerben, jedenfalls traf man ihn immer in spärlichen Lumpen und hielt ihn für einen harmlosen Sonderling, den man gut in seiner Nähe dulden konnte. Francis nutzte später einen Erkundungsritt Richtung Bullet Nose noch einmal bei ihm vorbeizuschauen und zeigte ihm das Goldnugget.

    Brauchst’s zurück, um mal was Ordentliches zu essen?

    Nein, nein mein Herr. Sie haben mir einmal das Leben gerettet und das ist nur ein kleines Zeichen meiner Dankbarkeit. Sie werden in Ihrer Überheblichkeit wahrscheinlich nie auf den Gedanken kommen, dass auch ich Ihnen einmal helfen könnte. Aber sie haben ein gutes Herz, und deshalb sage ich Ihnen, es wird der Tag kommen, an dem sie Nevada Johns brauchen. Und er wird für sie da sein.

    Der Tag war kommen. Inständig hoffte Francis den Alte anzutreffen und die Einlösung seines Versprechens erbitten zu können.

    Mit Anbruch des Morgens tauchte Nevadas Hütte am Horizont auf. Es wurde auch Zeit, denn das Risiko der Entdeckung wuchs, je näher sie Little Rock kamen. Francis hatte Nevada bestimmt zwei Jahre nicht gesehen. Die Hütte schien noch schiefer als früher, aber nebenan fand sich eine Koppel mit zwei Eseln. Als sie sich näherten, schlug ein Hund laut bellend an. Das Tier war keiner Rasse zuzuordnen aber in einem guten Ernährungszustand, was man von Nevada nicht sagen konnte. Der sah aus wie immer. Ein spärlicher Schurz bedeckte das Nötigste. Hey Francis, was machst du hier? Willst du einen alten Freund besuchen oder ihm das Hirn aus dem Kopf blasen? Und wo sind deine Kumpanen? Ihr tretet doch sonst immer im Rudel auf?

    Von meinen Kumpanen würde ich mich gern ein wenig fern halten und hoffe auf deine Diskretion. Es gab eine kleine Meinungsverschiedenheit.

    Ach und jetzt gehst du als Büßer ohne Stiefel durch die Wüste und hast dir auch noch einen Kindergarten zugelegt. Ist das nicht die Tochter von Grauer Büffel? Nevada Johns biss sich auf die Lippen und verstummte. Fast hätte er durch sein Geplapper ein jahrelang gehütetes Geheimnis verraten.

    Francis bemerkte das nicht. Er war viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um zu hinterfragen, woher Nevada Grauer Büffel und dessen Kinder kannte. In seiner Einfalt freute er sich sogar nicht allzu viel erklären zu müssen. Es sind die Kinder von Grauer Büffel und jetzt wohl meine. Er lachte und Nevada auch. Es ist am besten für dich, wenn ich wenig erzähle. Nur so viel, meinen Leuten und mir gelang es nicht sich über den Umgang mit den Kids zu einigen. So tauschte ich sie gegen meine Stiefel. Leider hatte ich nur zwei, und so konnte ich das Pony der kleinen Lady nicht auch noch erwerben. Da sie aber ohne das Tier nicht lebensfähig ist, sind wir ausgezogen einen Pferdediebstahl zu begehen.

    Und ich dachte, du machst einen Kurs in Indianerleben. Aber ich kann mir schon vorstellen, was geschah. Deine Leute hätten die Kinder am liebsten beseitigt, und du hast sie ihnen geklaut. Und jetzt willst du auch noch Little Rock überfallen, wegen eines Pferdes, ha, ha. Dir muss die Sonne zu lang auf den Kopf gebrannt haben, aber ich war schon immer ein Freund der Verrückten. Sag an, wie kann ich dir helfen? Ich werde mein damaliges Versprechen jedenfalls einhalten. Und du wirst dich schämen mich jemals gering geschätzt zu haben.

    Ja Nevada, es gibt so viele Dinge für die sich Francis schämen müsste, aber jetzt muss auch er ein Versprechen einlösen. Ich brauche deine Hilfe. Und auch wenn es ein aussichtsloses Unterfangen ist, liegt vielleicht gerade darin meine Chance. Keiner vermutet mich in der Nähe von Little Rock. Die Kleine möchte ich jedoch bei dir lassen. Kannst du sie verstecken?

    Ich habe Verstecke genug, aber wir müssen uns auch für dich eine Strategie ausdenken. Wenn meine grauen Zellen richtig gearbeitet haben, so willst du Little Rock von Süden her erreichen und das Tier des Mädels holen. Das könnte gelingen. Seit vor einem Monat zwei Pferdediebe direkt neben der Koppel gehängt wurden, hat sich niemand mehr an die Tiere herangewagt. Die Wachen sind schon wieder sehr unvorsichtig. Ich rüste euch entsprechend aus. Ihr bekommt von mir ordentliche weiße Kleidung. Man soll die Sache nicht den Indios in die Schuhe schieben.

    Du hast doch selbst nichts anzuziehen, und ich möchte auch nicht der Pest erliegen.

    Du solltest in deinem Urteil nicht zu schnell sein. Der Mensch sieht was er sehen will, die Wahrheit liegt weit dahinter.

    Kleinlaut verstummte Francis.

    Und da ich wohl für dich Spatzenhirn mitdenken muss, klaut mindestens drei Tiere. Dann bringt man euch vielleicht nicht sofort mit dem Raub in Verbindung. Kommende Nacht ist Neumond. Da muss die Aktion steigen.

    Nevada Johns ging flinken Schrittes los. Binde das Pferd an und dann kommt in meine Hütte.

    Kurze Zeit später standen eine Kanne frischen Wassers, Trockenfleisch und Schiffszwieback auf dem Tisch. Nevadas Gäste ließen sich nicht lange bitten. Ihre Mägen überstimmten das Gehirn ohne Mühe. Francis hatte nicht einmal bemerkt, dass Nevada aus der Hütte gegangen war. Der öffnete jedoch völlig überraschend fast die gesamte Seitenwand seiner Behausung und führte Husky herein. Wir wollen bei den Nachbarn keinen Neid erzeugen.

    Husky folgte ihm erstaunlich ruhig. Dies erinnerte Francis an den Indianerjungen. Hatte er es mit Tiermagiern zu tun? Wie ein folgsames Kind legte sich das Pferd auf den Boden.

    Kleiner Wolf muss Weißer Feder erklären, dass sie hier auf uns warten muss. Es gibt keine andere Möglichkeit. Francis machte eine eindeutige Handbewegung.

    Kleiner Wolf war wohl der gleichen Meinung, jedenfalls sprach er intensiv auf seine Schwester ein. Der sah man jedoch das wachsende Entsetzen an. Jede Faser ihres Körpers schien sich gegen den Gedanken zu sträuben, dass Tauender Schnee ohne sie befreit werden sollte. Schließlich nickte sie aber. Tränen standen in ihren Augen.

    Sie wird bleiben bei Nevada Johns. Gute Mann, sehr lieb. Ich versprochen, wir kommen mit Tauender Schnee auf jeden Fall. Wenn wir sterben, sie auch sterben.

    Sie verbrachten den Tag in Nevadas Hütte. Er hatte recht gut passende Baumwollkleidung aus seinem Stollen geholt, wobei Kleiner Wolf Ärmel und Hosen mehrfach umkrempeln musste. Für Francis fanden sich auch ein Paar Lederstiefel. Bald sahen sie aus wie echte Cowboys.

    Hast du da eine Zauberhöhle? Francis kam aus dem Staunen nicht heraus.

    Nevada lachte nur und brachte auch noch einen fast neuen Sattel für Husky. Der Tag an dem du von diesen Dingen erzählst, ist dein letzter. Und denk dran, du hast mir schon mal nicht geglaubt und lagst damit völlig daneben.

    Nevada gebot Weiße Feder sich zu erheben. Offensichtlich beherrschte er ihre Sprache. Zögerlich aber ohne Widerstand folgte sie ihm in den Stollen. Nach einigen Minuten kam er zurück. Da findet sie keiner, und für euch wird es Zeit zu gehen. Hals und Beinbruch und komm mir nicht ohne Tauender Schnee zurück, sonst wird die Kleine auf dir nach Hause reiten.

    Wenn's nur das wäre, dachte Francis. Er war immer noch voll des Staunens über Nevada. Aber jetzt hieß es den Blick nach vorn zu richten. Sie mussten eine Mission erfüllen. Komm Kleiner Wolf, wir werden deine Schwester nicht enttäuschen.

    Die Nacht hüllte sie in einen Sicherheit spendenden Schleier, so dass beide auf dem Pferd saßen, um schneller voranzukommen. Sie hatten etwa drei Stunden Weg vor sich.

    Als sie sich Little Rock näherten, wurde Francis doch etwas flau im Magen. Ein Mann und ein Junge versuchten eine Banditenhochburg, nichts anderes war Little Rock, auch wenn sich der Ort eine perfekte Tarnung zugelegt und die örtlichen Organe reichlich geschmiert hatte, zu überfallen um Pferde zu stehlen. Dafür wurde man üblicherweise gehängt. Aber sie kamen völlig unerwartet und waren zu allem bereit. Hier ging es nicht um schnöden Besitz sondern um das Glück zweier Kinder und die Ehre eines Mannes. Sie umgingen den Ort in weitem Bogen. Es war so dunkel, dass man keine zehn Fuß weit sehen konnte. Francis orientierte sich an der spärlichen Beleuchtung der Stadt und folgte dem Weg nach seiner Erinnerung. Husky führten sie jetzt und gingen zu Fuß. Kleiner Wolf war nicht zu hören, während Francis schwere Stiefeln in den Ohren des Jungen einen Heidenlärm erzeugten. Ausziehen! Kleiner Wolf deutete nach unten. Ob des Befehlstons wollte Francis schon empört widersprechen, aber dafür war jetzt wahrlich nicht die Zeit. Der Junge hatte ja auch recht. So gehorchte Francis und hing die Stiefel an den Sattel. Etwa eine Viertel Meile vor den am Südrand der Stadt gelegenen Pferdekoppeln band er Husky an jenen alten Baum, den er sich nach langer Überlegung als Startpunkt für die heiße Phase ihrer Unternehmung auserkoren hatte. Sei ganz ruhig mein Freund.

    Husky, Pferd eines Arrow Boy und Francis bester Freund seit langer Zeit, war es gewohnt in aller Stille zu warten und für eine schnelle Flucht verfügbar zu sein.

    Bis auf 10 Fuß näherten sich die beiden Diebe in geduckter Haltung der äußeren Koppel, dann krochen sie auf dem Bauch weiter. Viel konnten sie nicht erkennen, waren so aber ebenfalls fast unsichtbar. Sie schlüpften durch die Umzäunung. In der Nähe stand ein kräftiger Schimmel, den Kleiner Wolf mit leisen melodischen Lauten anlockte. Ruhig näherte sich das Tier. Es roch an der Kleidung des Jungen und machte eine kaum wahrnehmbare Bewegung, so als wollte es sagen, das passt aber nicht zu dir. Dennoch ließ es die beiden Eindringlinge neben sich gehen. Im Schutze seines Körpers überquerten sie den umzäunten Bereich, während Kleiner Wolf immer wieder leise, für einen Menschen kaum wahrnehmbare Töne von sich gab. Tauender Schnee fanden sie nicht.

    Es gibt mehrere Gehege, flüsterte Francis auf die fragenden Blicke seines Begleiters.

    Am nächsten Zaun angekommen, verabschiedete sich Kleiner Wolf von ihrem Schimmelfreund. Ganz ruhig zog des Tier wieder ab. Und so war es auf jeder Koppel. Kleiner Wolf lockte ein Pferd an. Im Schutz seines Körpers gingen sie bis zum nächsten Zaun. Dann verabschiedete sich der Junge auf eine auch für Francis, der durchaus etwas von Pferden verstand, unnachahmlich sanfte und liebevolle Art. Francis glaubte, dass Kleiner Wolf in dieser Nach viele neue Freunde fand.

    Sie kamen schon nahe an die ersten Häusern von Little Rock. Hier lagen drei abgezäunte Areale nebeneinander. Wenn sie Tauender Schnee nicht in einem davon finden würden, so waren sie entweder an dem Pony vorbeigelaufen oder dieses nicht hier. Inzwischen  glaubte Francis fest daran, dass Kleiner Wolf das Tier auch aus größerer Entfernung hätte herbeirufen können. Die Magie des Jungen verzauberte auch den Weißen, und er konnte nicht umhin dem Jungen übersinnliche Kräfte zuzugestehen.

    Die mittlere Koppel kannte Francis gut. Hier standen die Pferde des Boss. Mit Sicherheit würde am gegenüberliegenden Zaun ein Mann Wache halten. Im Schutze eines weiteren Pferdefreundes näherten sie sich der Begrenzung, aber dort stand niemand. Erst als sie unmittelbar am Zaun ankamen, sahen sie einen Menschen im Gras liegen. Little Jack. Er schlief. Francis wusste nicht, welches Schicksal für den schlafenden Wächter angenehmer wäre, wenn sie ihn auf der Stelle erwürgten oder er sich morgen vor dem Boss verantworten musste. Das war ihm aber plötzlich egal, denn aus der Dunkelheit näherte sich ein mittelgroßes Pony mit weißen Flecken. So beherrscht kleiner Wolf bisher war, jetzt zeigte er doch seine Erregung und begann leicht zu zittern. Francis legte eine Hand auf die Schulter des Jungen, der sich zum Glück schnell beruhigte. Tauender Schnee folgte ihnen. Kleiner Wolf berührte es am Hals und sprach leise auf das Pferd ein. Ohne Probleme kamen sie bis zur äußeren Koppel, wo der Schimmelfreund schon wartete. Doch kurz vor dem letzten Tor wurden zwei Pferde unruhig und wieherten laut. Sie erstarrten zur Salzsäule, aber im Ort tat sich nichts. Vor ihnen stand ein edles schwarzes Tier. Francis hätte es in der dunklen Nacht fast nicht wahrgenommen, wäre da nicht ein kleiner Ring weißen Fells an seinem linken Vorderlauf gewesen. Es beachtete sie kaum. Als er aber seinen Hals streichelte und sagte komm mit uns, ich verspreche dir ein freies Leben, ging es langsam neben ihm her. Francis freute sich wie ein kleiner König. Ein fremdes Pferd vertraute ihm. Er konnte es auch.

    Kleiner Wolf lief zwischen Tauender Schnee und dem Schimmel. Sie sollten ja besser drei Tiere mitnehmen, hatte Nevada Johns geraten. Sie kamen gerade bei Husky an, als es im Ort unruhig wurde. Fackeln bewegten sich und man hörte Schreie … schlafen… Schwein…  Haut abziehen… verdammte Brut…

    Jetzt konnten sie nur noch aufsitzen und Richtung Süden fliehen, weg von Little Rock aber auch weg von Weiße Feder. Natürlich mussten sie mit der Entdeckung rechnen, aber am Ende war Francis doch überrascht. Die Lösung des Rätsels kam von Kleiner Wolf: Keine Angst, alle Pferde frei und laufen weg von böse Mann.

    Francis begriff blitzschnell. Kleiner Wolf hatte hinter ihm gehend die Tore nicht verschlossen, und einige der Tiere nutzen die neu gewonnene Freiheit, was man in Little Rock offenbar rasch bemerkte. Kind! Francis dachte dies nur, musste sich aber sogleich wieder auf die Flucht konzentrieren. Es gab nur ein Ziel, die Höhlen am Damons Peak. Hier lagen genügend Verstecke. Man konnte die engen Schluchten nur hintereinander passieren und musste immer mit feindlich gesinnten Indianern rechnen. Er kannte sich dort gut aus und Kleiner Wolf würde ihnen vielleicht zu manch rettendem Kontakt verhelfen. Weiße Feder war vorerst in Sicherheit.

    In straffem Ritt und geschützt durch die Nacht erreichten sie die Ausläufer der Felsenlandschaft. Kleiner Wolf war ohne Sattel und Zaumzeug überragend geritten und verstand es auch noch, Tauender Schnee und ihren neuen Freund Black White, so hatte Francis das stolze schwarze Ross mit dem weißen Fellstreifen am Vorderbein genannt, eng bei sich zu halten. Sie wussten nicht, ob ihnen ihre Verfolger auf den Fersen waren und vertrauten vor allem darauf, dass sich ihre Spuren auf dem felsigen Untergrund verlören. Mehrfach wechselten sie die Richtung und erreichten in der Dämmerung Rosenbergs Hole. Das Loch war ein geräumiges Höhlensystem mit gegenüber der Umgebung erhöhtem Eingang. Man hatte einen guten Ausblick, war selbst aber ausreichend gedeckt. Indianer hielten den Ort für magisch und näherten sich ihm nur an wenigen Tagen im Jahr. Vielen Weißen galt die Höhle als verwunschen. Es gab Irrwege und tiefe Spalten. So mancher kehrte von einer Erkundung nicht wieder zurück. Tief im Stollen entsprang eine Quelle, und allerlei Kleingetier konnte man wenn nötig als Nahrung gebrauchen. Zusammenfassend war Rosenbergs Hole das optimale und auch für längere Zeit nutzbare Versteck. Sie saßen ab und führten ihre Tiere auf einem steilen schmalen Pfad zum Höhleneingang. Black White und Tauender Schnee folgten Husky und Francis, Kleiner Wolf und sein Schimmel bildeten den Abschluss. Tief in der Höhle war ein Lichtschein zu erkennen, ein schmaler Deckendurchbruch. Dort floss die Quelle. Dorthin wollte Francis. Vorsorglich banden sie die Pferde an Felsvorsprünge. In Ermanglung weiterer Gefäße mussten die Stiefel als Wasserbehälter dienen. Während Kleiner Wolf die Umgebung beobachtete, ging Francis zur Quelle. Gerade hatte er alle Tiere mit Wasser versorgt, als der Junge einen scharfen Pfiff abgab. So schnell es ging, eilte Francis zum Eingang der Höhle. Ein Pferd näherte sich mit unsicherem Schritt, darauf ein Mann, der sich offensichtlich nur mit Mühe im Sattel hielt. Als er nah genug war, sahen sie eine breite Bahn frischen Blutes über den Sattel rinnen, und sie erkannten den Reiter, Little Jack. Offensichtlich folgte ihm niemand. Kurz vor der Höhle brach das Tier zusammen. Jack rollte wie ein schwerer Sack zur Seite. Francis? Ich wusste es. Wer sonst kann es wagen dem Boss ein Pferd zu stehlen. Aber du wirst das noch bereuen. Little Jack sprach mit schwacher Stimme.

    Aktuell bereust du mehr als ich, war Francis Antwort als er den Pfeil im Rücken seines ehemaligen Gefährten sah.

    Little Jack stöhnte vor Schmerz. Jetzt kam auch Kleiner Wolf aus der Höhle. Sie versuchten den Sterbenden so entspannt als möglich zu lagern, um ihm die Schmerzen zu lindern. Ein Lächeln der Dankbarkeit spielte auf seinen Lippen. Du bist doch ein guter Junge und hast dennoch so vieles zerstört. Dabei verdankst du uns deine Freiheit, vielleicht dein Leben. Aber weil du immer gut zu mir warst, Sancho und Rick suchen nördlich nach dir. Es hätte ja keiner geglaubt, dass du dich jetzt als Pferdedieb betätigst und deine eigenen Leute beraubst. Ein gequältes Lachen fuhr über sein Gesicht, dann verstummte er für immer.

    Wir beobachtet. Kleiner Wolf deutete auf eine kaum sichtbare Bewegung hinter dem gegenüberliegenden Fels.

    Einige Fuß rechts von ihnen lag Little Jacks totes Pferd.

    Dorthin sagte Francis leise. Dort finden wir Deckung und ein Gewehr.

    Langsam krochen sie hinter den Pferdekörper. Francis nahm das Gewähr aus der Scheide und zielte in Richtung des Phantoms.

    Ihr solltet euch schämen eure Retterin mit einer Waffe zu bedrohen. Eine schlanke junge Frau in der Tracht der Navajo aber mit ungewöhnlich heller Haut kam furchtlos auf sie zu. In etwa 60 Fuß Entfernung blieb sie stehen, den Bogen im Anschlag. Francis ging davon aus, dass sie Jack auf dem Gewissen hatte.

    Schießt nur, wenn ihr noch jemanden töten wollt, bevor euch die Geier fressen. Ihr Weißen habt schon so viele Gebiete erobert, müsst ihr uns jetzt auch noch die Shadow Lands nehmen?

    Demonstrativ legte Francis die Waffe zur Seite. Er war sich sicher, die geheimnisvolle Fremde würde nicht angreifen, hatte sie doch eine deutlich bessere Gelegenheit verstreichen lassen. Ich danke unserer Retterin. Wir sind nur Flüchtlinge und fanden ein Versteck in den Shadow Lands, wie du sie nennst. Leg den Bogen ab und lass uns reden. Viel Zeit werden wir nicht haben, wenn die Arrow Boys erst merken, wo wir uns verstecken.

    Das sein Weißer Schatten, du nicht kennen? Kleiner Wolf griff ängstlich nach Francis Hand.

    Na, willst du deine liebe Tante nicht begrüßen? Sie sprach den Jungen auf Englisch an, so dass Francis alles verstehen konnte, dann fuhr sie in ihm unverständlichen Worten fort, senkte und entspannte den Bogen und kam langsam näher. Bei ihren Worten lockerte Kleiner Wolf seinen Griff leicht, wirkte aber weiterhin ungewohnt ängstlich. Sie nicht richtige Tante, Mutter wie meine Mutter aber Vater sein Weißer, sie Hexe.

    Jetzt verstand Francis ein wenig. In weitem Umkreis erzählte man sich die Geschichte von Weißer Schatten, dem von seinem Stamm verstoßenen hellhäutigen Mischling, die wie ein Krieger lebte, sich nahm was sie brauchte und verschwunden war, noch bevor man sie bemerkt hatte. Dies brachte ihr auch den Namen ein.

    Von so einem Tier kann man lange leben. Weißer Schatten zeigte auf das tote Pferd. Wir sollten es in euer Versteck bringen.

    Bis jetzt dachte Francis gar nicht daran gedacht, hier länger leben zu müssen. Weiße Feder wartete doch auf sie. Aber die Ereignisse hatten seine Pläne überholt, und es war sicher richtig für Proviant zu sorgen. Sie lösten den Sattel. Weißer Schatten machte sich sofort daran das Tier zu zerlegen. Du geh auf Deinen Posten, der Junge kann mir helfen.

    Ob es Francis eigener Überzeugung entsprach oder er sich lediglich ihrer natürlichen Autorität beugte, wusste er nicht. Jedenfalls bezog er den Beobachtungsposten am Eingang der Höhle. Kleiner Wolf sah ihm ängstlich nach. Francis konnte nicht verstehen, was die beiden Indianer miteinander besprachen, jedenfalls entspannte sich Kleiner Wolf mit der Zeit sichtbar. Nachdem das Pferd zerlegt war, trugen sie die Leiche von Little Jack zu einer nahen Felsenhöhle. Stiefel, Messer und Revolvergürtel hatten sie ihm bereits abgenommen. Sie schoben ihn in die Höhle und verschlossen den Eingang mit Steinen. Es dauerte eine ganze Weile, dann kamen beide mit den Habseligkeiten  des ehemaligen Arrow Boy zurück. Sie gingen noch mehrfach. Schließlich waren auch Fleisch und Fell des Pferdes gesichert.

    Holz ist ja genug da. Wir werden über Nacht ein Feuer machen und das Fleisch garen. Ich sehe aktuell keine Gefahr. Vergrab alles, was noch hier liegt, dann komm zu uns. Weißer Schatten ließ keinen Widerspruch zu.

    Mit bloßen Händen hob Francis eine Steingrube aus. Nachdem die Reste unter einer dicken Steinschicht verborgen waren, ging er zurück zur Höhle, das wegen der Hitze ausgezogene Hemd lässig über die Schulter geworfen.

    Na, da kommt ja doch ein ordentlicher Mann zu mir. Weißer Schatten lächelte halb prüfend, halb spöttisch, während Francis errötete. Kleiner Wolf hat mir von dir erzählt. Mir scheint, dass Schicksal traf uns ähnlich. Vielleicht sind wir uns deshalb begegnet. Auch ich bin eine Wanderin und manchmal Getriebene zwischen den Welten.

    Dann erzählte sie kurz die Geschichte, die Francis schon anekdotenhaft gehört hatte, dass ihr Vater ein weißer Amerikaner war, der als Kind zu Ihrem Stamm kam und sich zu einem großen Jäger entwickelte. Doch er ließ sich mit Goldene Taube, einer verheirateten Indianerin auf ein Verhältnis ein, aus dem ein hellhäutiges Mädchen hervorging. Der Zusammenhang war offensichtlich. Der Weiße nebst Tochter wurden aus der Gemeinschaft ausgestoßen, während ihr Halbbruder Grauer Büffel bei seinem Vater blieb und später Häuptling wurde. Ihre Mutter starb, ohne dass Weißer Schatten sie je wieder gesehen hätte. Gemeinsam mit ihrem Vater bewohnte sie einen abgelegenen Hof. Sie sprach wie eine Weiße und kleidete sich auch so, aber sie dachte wie ein Indianer. Als sie achtzehn war verließ sie ihren Vater und schloss sich einer Gruppe Gleichgesinnter an, die das freie Leben der alten Zeiten propagierten. Die Shadow Lands wurden ihr neues zu Hause. Kommt mit mir und werdet Teil unserer Gemeinschaft. Du kannst ohnehin nicht zu Deinen Leuten zurück und was auf den Jungen wartet ist zumindest fraglich.

    Wir nicht zu dir, wir müssen holen Weiße Feder, gehen zu unsere Familie. Jetzt war Francis kleiner Freund Kind wie jedes Kind. Bisher hatten ihn wohl die Ereignisse abgelenkt, aber jetzt kam der Schmerz umso stärker über ihn. Tränen traten in seine Augen und er wendete sich ab. Vater, Mutter tot, ich nur haben Weiße Feder, müssen gehen zu Lauter Donner, große Häuptling.

    Weißer Schatten sprach ganz mild. Die Gefahr ist zu groß. Auch hat es Lauter Donner seinem Bruder nie verziehen, eine Frau aus dem Stamm der Ute gewählt zu haben. Besser wäre es, einer meiner Brüder würde Weiße Feder hierher holen.

    Ich bin mir nicht sicher, ob das Mädchen mit ihm ginge. Ich weiß, dass es wenig rational ist, aber ich habe versprochen mit Tauender Schnee zu ihr zurückzukehren. Ich erfuhr in meinem Leben  oft Hilfe durch Menschen, von denen es nicht zu erwarten war. Ich habe viel Leid über andere gebracht, jetzt kann ich davon ein wenig gutmachen, und ich tue es. Ich bringe die Kinder ihrem Stamm, ihrer Familie zurück. Was dann kommt, wird sich ergeben.

    Kleiner Wolf sah Francis durch seinen Tränenschleier dankbar an.

    Du willst das Schicksal zwingen und Unmögliches erreichen. Du willst Kinder für dich gewinnen, obgleich sie durch deine Freunde die Eltern verloren haben. Der Junge meint dich zu brauchen und bindet sich aus rationalen Gründen an dich, aber sein Herz bleibt dir verschlossen. Du bist ein Weißer. Unser Wesen ist dir fremd.

    Du hast bis morgen Abend Zeit mich zu unterweisen, dann ziehen wir los.

    Sie löschten das Feuer, die Sicherheit von Weißer Schatten beruhigte auch Francis, so dass er nicht auf einer Wache bestand. Er vermutete ihre Leute nicht allzu weit, denn an hellseherische Fähigkeiten glaubte er nicht, eher an eine sorgfältige Inspektion des Umlandes und daran, dass Little Jack ihnen allein gefolgt war. Kleiner Wolf schlief bereits. Weißer Schatten, die die Höhle offensichtlich sehr gut kannte, zog Francis in einen versteckten Seitengang. Was sie ihn in dieser Nacht lehrte, brachte dem ehemaligen weißen Banditen den Geist der Indianer sehr nahe. Das Feuer der Leidenschaft verzehrte am Ende beide, und sie wurden eins, im Körper und im Geist.

    Der nächste Tag verging mit Reisevorbereitungen, Pferdepflege und Planungen für den gefährlichen Ritt nach Norden. Am Abend zogen sie los, Kleiner Wolf mit seinem neuen Pferd Große Wolke, Francis mit dem treuen Husky und Tauender Schnee an Huskys Sattel gebunden. Weißer Schatten umarmte beide zum Abschied, den Jungen, mit dem sie verwandt war und den Weißen, der langsam in ihre Welt wechselte. Ich warte auf dich, und Du wirst kommen. Denk an meine Worte, wenn du nicht weißt, wohin dein Weg führen soll.

    Es fiel Francis schwer beherrscht zu bleiben, aber er drängte auf den Aufbruch. Black White ließen sie zurück. Er würde in Weißer Schatten eine liebevolle Beschützerin finden. Francis Plan war Little Rock in weitem Bogen zu umgehen, nachts zu reiten und sich am Tage versteckt zu halten. Fleisch hatten sie genug, wichtig waren Wasser und Futter für die Pferde. Es sollte einem ehemaligen Arrow Boy nicht schwer fallen sich das Nötige von den lokalen Siedlern zu leihen. Francis schmunzelte bei diesem Gedanken.

    Der im Zunehmen begriffene Mond erhellte die wolkenlose Nacht. Husky und Große Wolke orientierten sich in der bekannten Umgebung problemlos. Ohne auf andere Menschen zu treffen, erreichten sie noch vor Einbruch der Dämmerung ihr erstes Ziel, einen verlassenen Hof mit Wasserquelle. Die Pferde konnten gut eine Stunde grasen, bevor der neue Tag anbrach.

    Am Ausgang dieser lauen Nacht saßen ein weißer Mann, ehemaliges Mitglied der Arrow Boys und ein Indianerjunge, durch eben diese Verbrecherbande seiner Eltern beraubt, am Rande einer Weide und sahen drei Pferden zu, die sich das spärliche Gras schmecken ließen.

     Warum nicht auch Menschen so miteinander leben, warum töten, warum ihr meine Eltern töten? Erneut überkam Kleiner Wolf eine tiefe Traurigkeit.

    Francis kannte keine Antwort auf diese Fragen. Ich habe deine Eltern nicht getötet. Ich habe dich gerettet.

    Warum nicht auch Eltern retten? Ich nur haben noch Weiße Feder und nur dafür noch leben.

    Wie gern hätte Francis den Jungen an sich gezogen, hätte ihm erzählt, wie seine Eltern durch die Gnadenlosigkeit anderer verzweifelten, wie sein eigener Lebensweg plötzlich wegbrach und er durch Verbrecher gerettet wurde, um schließlich einer der ihren zu werden. Aber Kleiner Wolf schien ihm viel zu stolz sich von einem Weißen trösten zu lassen. So blieb er regungslos neben dem Jungen sitzen und sprach in die Nacht hinein. Wir werden in drei Tagen wieder bei Weißer Feder sein. Ihr werdet euch gegenseitig trösten. Und ich bringe euch zurück zu Eurem Stamm. Er versuchte so sicher wie möglich zu klingen, nicht nur zur Beruhigung des Indios sondern auch, um seine eigenen Zweifel zu besiegen. Objektiv betrachtet, lag vor ihnen ein wahres Himmelfahrtskommando.

    Als der Tag nahte, riefen sie die Pferde und führten sie in das einzig verbliebene Gebäude.

    Wir müssen abwechselnd wachen. Ich beginne. Schlaf jetzt.

    Kleiner Wolf folgte Francis Aufforderung und schmiegte sich an Große Wolke. Das Tier konnte ihm geben, was er von dem Weißen nicht annehmen wollte, Nähe und Liebe. Bald hörte Francis ihn ruhig atmen. Er löste seinen Blick von dem friedlich schlafenden Kind und stieg auf das Dach des Stalls, um die Umgebung besser beobachten zu können. Kleiner Wolf musste das irgendwie mitbekommen haben. Jedenfalls tauchte er drei Stunden später von allein neben Francis auf, der ihm eigentlich noch etwas Schlaf gönnen wollte. Danke sagte er nur und schaute den Weißen mit ernster Miene an.

    Es war nur ein Wort, aber Francis Herz überschlug sich vor Freude. Könnte es sein, dass dieser Junge ihn akzeptierte? Dafür würde er alles geben. Dafür wollte er kämpfen.

    Du jetzt schlafen. Kleiner Wolf sprach mit fester Stimme.

    Wecke mich sofort, wenn du etwas Verdächtiges siehst. Ich schlafe hier oben. Mit diesen Worten drückte Francis das Gewehr dicht an seinen Körper, drehte sich zur Seite und schlief rasch ein. Die Sonne stand schon weit im Westen, als er wieder erwachte. Kleiner Wolf saß immer noch neben ihm. Er hatte offensichtlich die ganze Zeit Wache gehalten. Das Quartier zog glücklicherweise keine weiteren Besucher an. Francis schickte Kleiner Wolf wieder hinunter zu den Pferden. Schlaf noch etwas. Ich wecke dich rechtzeitig.

    Die Stunden bis zur Dämmerung hing Francis seinen Gedanken nach. Man stellt sich das Leben von Räubern oft spannend vor und meint, sie würden jeden Tag einen Menschen umbringen. In Wirklichkeit pflegten sie außerhalb ihrer Beutezüge einen eher beschaulichen Tagesablauf. Little Rock war eine ruhige Stadt. Von den Nichteingeweihten wusste keiner um ihr wirkliches Tun. Sie galten als reiche Viehzüchter, deren Herden von Angestellten betreut wurden und die hin und wieder zu wichtigen Geschäftsabschlüssen in die Ferne zogen. Überfälle verübten sie generell nur jenseits der Distriktgrenze und in Gebieten mit wenig gefestigter Staatsmacht. So waren sie bisher stets unerkannt geblieben und hatten einen hübschen Besitz angesammelt. Irgendwann wollten sie alle in ein gutes bürgerliches Leben zurückkehren, aber bis dahin hatte es noch Zeit. Sie

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