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Die ungewöhnlichen Untersuchungen des Doktor Yao: 9 Kurzgeschichten
Die ungewöhnlichen Untersuchungen des Doktor Yao: 9 Kurzgeschichten
Die ungewöhnlichen Untersuchungen des Doktor Yao: 9 Kurzgeschichten
eBook224 Seiten3 Stunden

Die ungewöhnlichen Untersuchungen des Doktor Yao: 9 Kurzgeschichten

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Über dieses E-Book

Die Erzählungen spielen in der Zeit der Ming Dynastie im alten China. Doktor Yao ist ein Arzt der traditionellen chinesischen Medizin, der aber in vieler Hinsicht im Rahmen seiner Zeit ein freier Geist ist und seinen Weg entsprechend seiner persönlichen Philosophie geht.
Die erste Geschichte ereignet sich am kaiserlichen Hof in Peking. Im Rahmen seiner Tätigkeit als Arzt für die weiblichen Angehörigen des Hofs klärt Yao den Mord an einer kaiserlichen Nebenfrau auf. Von Pekin zieht es den Arzt in seine alte Heimat im Süden und so führt der Arzt noch in manchen Kriminalfall seine Untersuchungen durch.
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum17. Apr. 2018
ISBN9783746717487
Die ungewöhnlichen Untersuchungen des Doktor Yao: 9 Kurzgeschichten

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    Buchvorschau

    Die ungewöhnlichen Untersuchungen des Doktor Yao - Ludger Gausepohl

    Die ungewöhnlichen Untersuchungen des

    Doktor Yao

    Ludger Gausepohl

    9 Kurzgeschichten

    Die ungewöhnlichen Untersuchungen des Doktor Yao,

    9 Kurzgeschichten von Ludger Gausepohl

    1. Ausgabe 2015

    Überarbeitete Neuausgabe, Berlin 2018

    Copyright Text & cover by Ludger Gausepohl

    Ludger Gausepohl (geb. 1954) stammt aus Münster und lebt seit 1987 in Berlin. Er war Chemiker, Heilpraktiker und vieles andere. Als Erstes veröffentlichte er die Kurzgeschichten „Die ungewöhnlichen Untersuchungen des Doktor Yao. Es folgte der Roman: „Die heimliche Liebe der Friedensboten zu Münster.Aus dem Niederländischen übersetzte er: von Capelle, van de Bovenkamp, „Berlin unter Hitler und teilweise von denselben, „Der Berghof, beide Tosa, 2007

    von Bernardus Gewin (Vlerk): „Die Reiseabenteuer des Joachim Polsbroekerwould und seiner Freunde "

    Daneben schreibt er einen Reiseblog (Ludgers Reisen) und einen Blog zu verschiedenen Themen (Ludgers Ideen und Träume). Neuestes Buch Ist unter dem Titel „Soziotopia – oder eine andere Wende 1989" erschienen.

    Tod einer kaiserlichen Konkubine

    Vor wenigen Tagen hatte Yao Ziyang¹ in einer feierlichen Zeremonie der kaiserlichen medizinischen Akademie zu Peking sein Diplom als gelehrter Arzt erhalten.

    Wegen seiner hervorragenden Kenntnisse der medizinischen Klassiker hatte ein hoher Beamter des Hofes ihm angeboten, an der Neuherausgabe eines grundlegenden Werkes der Heilkunde² mitzuwirken. Daneben sollte er eine Stelle als Arzt für die zahlreichen kaiserlichen Hofdamen und niederen Nebenfrauen versehen. Da er noch unentschlossen über seinen weiteren Weg war, stimmte der junge Arzt zu.

    Der zierliche junge Mann mit feinen Gesichtszügen war äußerst wissensdurstig. Er hoffte auf eine Anstellung, die es ihm ermöglichte, seine Kenntnisse zu erweitern und Menschen zu helfen. Es war ihm aber klar, dass diese Position für seine Ziele nur eine vorübergehende Lösung war. Er hatte schon gehört, dass es in der Verbotenen Stadt, den Palästen des Kaisers und seines Hofstaats wenig Bewegungsfreiheit gab. Man hatte sich einer strengen Hofetikette zu unterwerfen. Aber andererseits gab es kaum Stellen, bei denen er sich auch so intensiv der Fachliteratur widmen und erste berufliche Fertigkeiten sammeln konnte. Nur wenige adelige oder sehr reiche Familien stellten einen eigenen Arzt ein. Krankenhäuser gab es nicht und ansonsten hätte er nur die Möglichkeit gehabt, sich selbständig niederzulassen. Dazu fehlten ihm aber noch Erfahrung und Geld.

    Die meisten kaiserlichen Beamten und Bediensteten arbeiteten im äußeren Teil der Verbotenen Stadt. Im inneren Teil, in dem die kaiserliche Familie und der Hofstaat lebte, hatten im Allgemeinen neben den Majestäten und hohen Würdenträgern nur weibliche Bedienstete und Eunuche Zutritt.

    Nachdem Yao seine Stelle angetreten hatte, bekam er ein Zimmer im Haus der niederen Beamten zugewiesen. Dieses lag am äußeren Ring der roten Mauern der Verbotenen Stadt. Er konnte die kaiserliche Stadt wohl verlassen, stand aber ständig unter der Kontrolle seiner Vorgesetzten. Wenn er einen oft ermüdenden Tag mit seinen Kräuterstudien oder mit Behandlungen von Hofdamen hinter sich gebracht hatte, begab er sich öfters abends in ein kleines Teehaus außerhalb der kaiserlichen Mauern. Dort traf er Freunde, die er am Hof oder während seiner Studien kennen gelernt hatte. Unter ihnen war auch der kleine Beamte Song, den er häufiger in der kaiserlichen Bibliothek traf und mit dem er sich im Laufe der Zeit angefreundet hatte. Song hatte das Ziel, die Beamtenleiter hinaufzusteigen und studierte fleißig die Klassiker, um die nächst höheren Prüfungen zu bestehen. Im Teehaus besprachen sie die Vorfälle des Tages sowie philosophische Fragen und die Lage am kaiserlichen Hof. Neben dem Studium der Heilpflanzen anhand der vorhandenen Literatur in der kaiserlichen Bibliothek besuchte Yao mehrere Male pro Woche am Vormittag die kaiserlichen Damen. Da diese ein oft recht eintöniges Leben führten und nur äußerst selten die Gunst hatten, mit seiner himmlischen Majestät zusammen zu sein oder andere Verpflichtungen auszuführen hatten, verspürten sie oft das Bedürfnis nach Abwechslung und dazu gehörte auch der Besuch des jungen Arztes. Doktor Yao wurde dann von einem Eunuchen zum Palast des fortgesetzten Glücks, dem Wohnsitz der Damen, geführt. Dort saß dann in einem kleineren Saal hinter einem Vorhang die betreffende Hofdame, deren Schatten das einzige war, was der Arzt normalerweise zu sehen bekam. Die jeweilige Patientin klagte dann über dieses oder jenes Leiden. Um genauere Kenntnis über den Gesundheitszustand der Konkubine oder der höheren Hofdame zu erfahren, war es dem Doktor nur erlaubt, Fragen über den Ort von Schmerzen zu stellen. Die Dame zeigte dann diesen auf einer Porzellanfigur, die dann von einem der Eunuchen zum Arzt gebracht wurde. Der wiederum zeigte dem Arzt, welche Stelle, sie angegeben hatte. Dann reichte die Nebenfrau³ ihren Arm durch den Vorhang und der Doktor durfte den Puls der Dame prüfen. Dieser war somit sein wichtigstes und präzisestes Untersuchungsinstrument. Fast täglich musste der Yao in diese Halle kommen, um einer oder mehreren Hofdamen und Nebenfrauen Kräutermischungen oder Pillen zu verschreiben. Meistens waren es sanft wirkende Mittel, die süß schmeckten oder die die Stimmung etwas verbesserten. Die Damen litten hauptsächlich unter Langeweile, aber auch oft unter melancholischen Stimmungen, ja manche wurden in dieser abgeschirmten Welt geistig verwirrt. So hatte er gestern noch die Dame Liang Chanbao untersucht, die sich darüber beklagte, dass ständig Ameisen über ihren Rücken krabbelten. Er hatte den Puls geprüft: Er deutete auf geschwächte Nieren, einen Mangel an Yin-Energie im Herzen und einen unruhigen Geist. Die Dame redete sehr viel und war dabei recht wirr. Er verschrieb ihr beruhigende Kräuterpillen und empfahl ihr, Karpfen zu essen und gekochte Lotoskerne. Sie solle auch täglich an religiösen Zeremonien teilnehmen oder ihre Hände mit Handarbeiten oder Tuschmalerei beschäftigen, um dem Geist wieder ein Ziel zu geben. Er war sich aber nicht sicher, ob diese Ratschläge die Dame überhaupt erreicht hatten und ob ihre Diener sie dazu anhalten würden. Auf dem Weg zurück begleitete ihn der Eunuch Sun. Er redete ununterbrochen auf den Doktor ein und beklagte sich über die anderen Diener des Palastes der Hofdamen. Die Eunuchen lenkten wegen ihrer Kastration ihre Begierde auf den Erwerb von Reichtum, auf gutes Essen und auf die Steigerung ihrer Macht. Manch einer von ihnen wollte von dem Arzt Mittel, die die Schönheit der Frauen förderten. Damit wollten sie den Kaiser stimulieren, sich der von ihm betreuten Nebenfrau zuzuwenden. Denn, wenn diese erwählt wurde, konnte dies mehr Einfluss und Wohlstand für ihn bedeuten. Es bestand ein ständiger Wettbewerb unter ihnen. Einigen war es durch vielerlei Intrigen gelungen, einflussreiche Posten zu bekommen und sich in die Politik des Reiches einzumischen. Doktor Yao war klar, dass die meisten von ihnen ein elendes Leben am Hofe führten. Sie waren von ihrer Familie getrennt, ihres Geschlechtstriebs beraubt und hinter den Mauern der Verbotenen Stadt mehr oder weniger gefangen. Viele waren ziemlich wohlbeleibt. Sie starben oft früh, da durch die Kastration Krankheiten hervorgerufen wurden, die nach Jahren schwerwiegend wurden. Auch litten sie oft unter dem Abgeschnittensein von der Außenwelt, an Langeweile, Einsamkeit und Melancholie. Als Yao nun am Eingang zur inneren Verbotenen Stadt angekommen war, verabschiedete er sich von dem Eunuchen. Er war erleichtert, endlich dessen Wortschwall zu entkommen und begab sich zu seinem Zimmer im Haus der Beamten. Ein halbes Jahr arbeitete der Arzt nun schon im kaiserlichen Palast und es erschien ihm so, als wären Jahre vergangen. Er hatte das Gefühl, es läge eine bleierne Schwere über der kaiserlichen Stadt. Auch wenn in regelmäßigen Abständen pompöse Feste, Empfänge für ausländische Gesandte und religiöse Zeremonien gefeiert wurden, nichts veränderte sich wirklich, alles folgte den strengen und steifen Regeln der himmlischen Dynastie. In Kürze würde wieder einmal die feierliche Verleihung der höchsten Auszeichnungen des Reiches in der Halle der höchsten Harmonie stattfinden. Der ganze Hofstaat fieberte dem entgegen. Viele hofften, eine Auszeichnung zu erhalten, sei sie auch noch so unbedeutend, um damit ihre Position am Hofe zu festigen oder zu verbessern. Und natürlich war so ein Fest die Möglichkeit, einen Tag dem alltäglichen Einerlei zu entkommen, sich herauszuputzen und zu präsentieren.

    Heute hatte die Dame Mao Anli um seinen Besuch gebeten, da ihr in letzter Zeit öfters übel war. Die Dame war eine Nebenfrau seiner himmlischen Majestät und hatte Doktor Yao bisher nur selten in Anspruch genommen. Da der Arzt ohnehin nur wenig mit den Damen sprechen konnte, wusste er wenig über sie. Als er nun von dem Eunuchen Zhao abgeholt wurde, erzählte dieser ungefragt alles, was es über diese Dame zu erfahren gab. Sie war als Kind armer Eltern einem hohen Beamten aufgefallen. Dieser kaufte sie im Alter von vierzehn Jahren von ihren Eltern, welche so ihre Schuldenlast verringern wollten, und brachte sie an den Hof. Als sie dem Kaiser vorgestellt wurde, war dieser ganz entzückt von ihr und nahm sie zu seiner Nebenfrau. Dies war eine hohe Ehre. Normalerweise wäre sie zunächst nur einfaches Mitglied des kaiserlichen Harems geworden. Dies verschaffte ihr natürlich gleich sehr viele Neider. Das Leben im Haus der Nebenfrauen war nicht leicht für sie, zumal der Kaiser, der sehr flatterhaft war, sie auch schnell wieder vergaß. Damit sank sie auch wieder in der Rangfolge weit nach unten. Sie war aber eine kluge Frau, die sich mit Hilfe privater Lehrer bildete und sich mit Seidenstickerei und Kalligrafie beschäftigte und so ihr Leben bereicherte. Auch besuchte sie regelmäßig den buddhistischen Tempel des Palastes, um dort zu beten und zu meditieren. Sie versuchte sich dem Wettstreit unter den Damen des Palastes fern zu halten.

    Als der Arzt und sein Begleiter nun zum Empfangsraum des Palastes des fortgesetzten Glücks kamen, der Wohnstätte der hohen kaiserlichen Damen in den sogenannten Westlichen Palästen, humpelte ihnen ein alter Eunuch entgegen und rief aufgeregt:

    „Die Dame Mao ist zusammengebrochen und hat sich übergeben. Sie ist ohnmächtig geworden. Schnell, schnell!" Er geleitete eilig, ganz entgegen den üblichen Gepflogenheiten, den Arzt hinter den Vorhang, wo die Nebenfrau neben dem Stuhl verkrümmt auf dem Boden lag. Ein Dienstmädchen reinigte ihr das Gesicht und klatschte immer wieder mit den Fingern auf ihre Wangen, die völlig blass waren. Der Arzt ergriff den Puls der Liegenden und stellte fest, dass sie noch lebte. Der Puls⁴ zeigte ihm toxische Hitze an, giftige Substanzen mussten sich im Körper befinden und die Energie der Dame schwächen. Außerdem gab es Hinweise, dass die Dame schwanger war. Yao sagte zu der Dienerin:

    „Offensichtlich hat die Dame eine Vergiftung erlitten. Bringen Sie schnell einen Becher Wasser mit einem Löffel Salz darin. Sie soll sich nochmals übergeben und dann viel frisches Wasser oder kalten Tee trinken. Danach sollte sie ruhen. Ich schaue später noch mal nach ihr. Und bitte verwahren Sie die Reste des Erbrochenen in einem verschließbaren Krug." Er roch noch an Mund und Nase und fühlte die Temperatur des Gesichts.

    „Seit wann ist die Dame schon in diesem Zustand?" fragte er den alten Eunuchen.

    „Sie ist erst kurz bevor Sie kamen zusammengebrochen, hat sich übergeben und sich vor Schmerz gewunden. Dann zuckte sie nur noch ein paar Mal und lag plötzlich ruhig da."

    „Hat sie kurz vorher etwas gegessen oder getrunken?"

    Der Beschnittene überlegte kurz und entgegnete:

    „Vor Kurzem hat sie einen kleinen Imbiss genommen, ich glaube, es war etwas Reisbrei mit Bohnen und eine Schale Tee." Doktor Yao war nun sicher, dass hier eine Vergiftung vorlag. Nachdem das Salzwasser gebracht worden war, flößte er es langsam der Dame ein. Dann presste er auf einen Akupunkturpunkt unter der Nase und am kleinen Finger, sodass sie wieder zu sich kam. Sogleich musste sie sich übergeben. Die Dienerin hielt ihr den Kopf, sodass das Erbrochene direkt in den Krug floss. Der Arzt nahm dann den Krug an sich und beauftragte den Eunuchen, die Dame nicht aus den Augen zu lassen. Er solle ihn benachrichtigen, sobald sich ihr Zustand veränderte. Yao ging dann mit dem Krug zu einem Müllhaufen. Dort hielten sich verwilderte Katzen und Ratten auf. Er schüttete den Krug aus, zog sich etwas zurück und wartete ab. Schon bald kam eine Ratte angelaufen und machte sich gierig über das Erbrochene her. Schon nach kurzer Zeit begann sie zu zucken und fiel um. Wenig später schon rührte sie sich nicht mehr und als er sie mit einem Stöckchen anrührte, war sie völlig leblos. Dies bestätigte seine Vermutung. Er rief einen Diener und forderte ihn auf, das Erbrochene und die Ratte tief zu begraben. Dann ging er nach Hause und dachte darüber nach, wer der Dame wohl nach dem Leben trachten könnte. Es würde fast unmöglich sein herauszufinden, wer das Essen oder ein Getränk vergiftet hat. Es gab so viele Menschen im Palast und zahlreiche Möglichkeiten zur Manipulation. Aber vielleicht konnte die Dame Mao selbst etwas zur Aufklärung der Angelegenheit beitragen, da sie ja glücklicherweise den Anschlag überlebt hatte. Er würde am frühen Abend nochmals zu ihr gehen.

    Als er dies zur neunten Stunde⁵ tun wollte, teilte ihm der diensthabende Eunuch mit, dass es der Dame schon sehr viel besser ginge. Sie wünsche ihn zurzeit nicht zu sehen. Der Doktor war nun doch sehr verwundert. Konnte die Frau den Giftanschlag so schnell überstanden haben? Das schien ihm aufgrund seiner Untersuchungen schwer möglich. Es war ihm nicht erlaubt, ohne die Begleitung eines Eunuchen den inneren Palastbezirk zu betreten, er konnte also die Dame nicht spontan aufsuchen. Wie konnte er trotzdem zu ihr gelangen? Da fiel ihm ein, dass die alte Dame Li, die schon sehr lange in diesem Palast lebte, aber den Sohn des Himmels noch nie von nahem gesehen hatte, sicher schon sehnsüchtig auf seinen Besuch wartete. Sie spielte aufgrund ihres Alters im Intrigenspiel am Hofe keine Rolle mehr. Im Grunde war sie nur eine bessere Dienerin, die sich ein wenig um jüngere Hofdamen kümmerte und ihnen Ratschläge gab.Zusätzlich sorgte sie für die Weiterverbreitung von Klatsch und Tratsch. Trotz der langen Zeit, die sie am Hofe war, hatte ihre Seele scheinbar noch keinen Schaden genommen. Sie war allseits beliebt, da sie sich nicht einmischte und sich immer im Hintergrund hielt. Ihre Kunst war es, nirgendwo anzuecken und niemandes Feind zu werden. Sie bewohnte ein kleines Zimmer im Haus der kaiserlichen Damen. Aufgrund ihres Alters litt sie an rheumatischen Beschwerden und ihre verkrüppelten Füße machten ihr das Laufen immer schwerer. Sie hatte den Doktor in ihr Herz geschlossen und freute sich immer darauf, ihn zu sehen. Er ließ anfragen, ob er sie besuchen könne. Sie sandte ihm bald schon einen noch sehr jungen, sehr verschüchterten Eunuchen, der froh war um jeden Dienst, den er für eine der Damen tun konnte, um so der Langeweile zu entfliehen. Mit ihm eilte Doktor Yao ins Haus der kaiserlichen Konkubinen, um die edle Frau Li aufzusuchen. Frau Lis kleines Zimmer war mehr eine Abstellkammer, was offensichtlich ihrer Stellung am Hofe entsprach. Aber sie musste sich noch glücklich schätzen: Viele ältere Damen wurden vom Hofe vertrieben und mussten dann noch im hohen Alter um ihren Lebensunterhalt kämpfen oder ihn erbetteln. Normalerweise hätte der Arzt das Zimmer einer Dame auch gar nicht betreten können. Aber da sie schon alt war und sehr schlecht laufen konnte, wurde in ihrem Fall eine Ausnahme gemacht. Genau dies war das Ziel des Arztes: So würde er vielleicht auch unbemerkt zu Dame Mao vordringen können. Dies war allerdings mit einem hohen Risiko verbunden und könnte ihn den Kopf kosten, wenn es aufgedeckt würde. Als er das Zimmer der alten Dame betrat, lag diese auf ihrem Bett. Neben ihr saß eine Dienerin mit recht hübschem Gesicht, die aber wohl eher eine Freundin der alten Frau als ihre Bediente war. Die Dame Li begrüßte den Arzt freudig:

    „Oh ehrenwerter Doktor, Sie haben mich nicht vergessen, wie es jeder hier tut. Die alte Frau Li ist ja nichts mehr wert. Meine Füße schmerzen heute wieder sehr. Haben Sie nicht eine Medizin für mich?" Wie viele Frauen im alten China, waren ihr von Kindheit an die Füße verkrüppelt worden. Kleine Füße und ein trippelnder Schritt bei Frauen galten als besonders reizvoll und das bereitete ihr nun immer wieder Schmerzen beim Laufen. Der Arzt begrüßte die alte Dame:

    „Guten Tag, edle Dame Li, ich bringe Ihnen eine schmerzlindernde Salbe und ich werde Ihnen jetzt noch ein paar Moxa-Kegel ansetzen. Danach wird es Ihnen sicher schon viel besser gehen."

    Er nahm aus seiner Tasche ein Tütchen mit Moxa-Kraut und formte daraus winzige Kegelchen. Diese setzte er auf verschiedene Punkte an den Füßen und zündete sie mit einem Räucherstäbchen an. Sie glühten durch und er schnippte sie weg, wenn es der Dame zu heiß wurde, um aber gleich ein neues anzuzünden. Dann gab er der Dienerin die Salbe und wies sie an, diese zweimal am Tag aufzutragen. Diese lächelte ihn freundlich an und verneigte sich. Ihre Haltung und ihre freundliche Zuwendung gegenüber der alten Dame beeindruckten Doktor Yao. Er bat dann den jungen Eunuchen, etwas Ingwer, Zimtrinde und Eisenhutwurzel aus der Palastapotheke zu holen. Das war aber nur ein Vorwand, ihn zu entfernen. Dann wandte er sich an

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