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Der Kampf der Balinen
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eBook717 Seiten10 Stunden

Der Kampf der Balinen

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Über dieses E-Book

Der Planet Erde 50 Millionen Jahre in der Zukunft. Heimat der Balinen. Wesen von elfengleicher Schönheit und vampirähnlicher, animalischer Kraft. Sie sind die Nachfahren der Katzen und leben in weiser, naturverbundener Harmonie. Bis zu jenem schicksalhaften Tag, an dem die Entdeckung einer längst in Vergessenheit geratenen Hochkultur aus ferner Zeit ihre Welt erschüttert. Mutig stellen sich die Balinen dieser unbekannten Gefahr. Doch es ist vor allem die junge Empathin Seline, die sich im Angesicht der dunklen Bedrohung ihren Ängsten und Schwächen stellen muss, um sich als erwählte Anführerin von Melan würdig zu erweisen. Denn nur ihre besondere Begabung kann das Volk der Balinen retten!
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum15. Nov. 2014
ISBN9783738002126
Der Kampf der Balinen

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    Buchvorschau

    Der Kampf der Balinen - Kathrin-Silvia Kunze

    1. Kapitel: Eine schicksalhafte Entdeckung

    Schneidend kalter Wind blies von vorn direkt in sein Gesicht. Sein langes, dichtes, dunkelblondes Haar wurde nach hinten geweht. Einzelne, dicke Haarsträhnen, peitschten ihm wie Stricke um den Kopf. Trismon stemmte sich gegen diese Kraft, die versuchte, ihn zurück zu drängen & kämpfte sich Schritt für Schritt die Anhöhe hinauf. Sein großer, breiter Körper bot dem Wind ein Übermaß an Angriffsfläche. Hohes Steppengras neigte sich ihm entgegen und schlang sich um seine Stiefel. So als würde es versuchen, jedem seiner Schritte Einhalt zu gebieten. Dies schien Trismon für wahr ein schlechtes Zeichen zu sein! Doch zugleich ließ ihn dieser Gedanke auch grimmig auflachen. Denn bei weitem düsterer waren die Zeichen, ob derer er seine Reise angetreten hatte! Sich unter dem Wind hinwegduckend, gelang es Trismon schließlich die Spitze der Anhöhe zu erreichen. Sie sollte ihm endlich die lang ersehnte Möglichkeit zur Ausschau bieten. Hier in dieser weiten, flachen Grasebene, die er schon seit mehreren Tagen hatte durchqueren müssen. Nachdem er die dichten, dunklen Nordwälder seiner Heimat hinter sich gelassen hatte. Oben angekommen, richtete Trismon sich zur vollen Größe auf. Der Wind fegte ihm entgegen, aber nun hatte er sich daran gewöhnt und stemmte seine Beine gegen das Erdreich unter ihm. Fest wie ein Baum stand er dort und die stürmisch kalte Nachtluft brauste zu beiden Seiten an ihm vorbei. Seine dunkelblauen, großen Raubtieraugen, dürstete es nach einer Landmarke. Oder nach einem Anzeichen, das endlich ein Ende dieser eintönigen Ebene offenbaren würde. Trismon ließ seinen Blick über die silbernen Wogen des Mond beschienen Grasmeeres gleiten, das sich ringsumher scheinbar endlos bis zum Horizont erstreckte. Der Anblick war eben so beeindruckend wie ernüchternd. In allen Richtungen, so weit selbst das schärfste Auge reichte, nur flaches Grasland. Selbst die tierischen Bewohner dieser Landschaft waren nirgends zu entdecken. Waren sie doch vor dem Unbill des rauen Wetters in den Schutz der Grasfluten abgetaucht. Darum hatte Trismon für einen Augenblick das intensive Gefühl, er wäre das einzige Lebewesen hier, völlig allein in der unbestimmbaren Weite. Doch Trismons Ohren entging so gut wie kein Geräusch. Und deshalb konnte er selbst jetzt, im Tosen des Sturmes, die Laute der Tiere vernehmen, wenn er sich darauf konzentrierte. Er hörte die heimlichen, verräterischen Geräusche, die sie überall ringsumher hinterließen, wie einen zärtlich sanften Gruß. Und auch sein überaus guter Geruchssinn bestätigte ihm ihr verborgenes Treiben. Trotz der allumfassend vordergründigen Leere, bot dieser gleichförmige Anblick Trismon zugleich aber auch Ruhe für seinen aufgewühlten Geist. Stille und Einsamkeit hier vermochten seine Empfindungen zu schärfen. Klar und Gradlinig musste er seinen Verstand nun halten. Dringliche Aufgaben lagen vor ihm und bedurften gut durchdachter Handlungen. Trismon atmete tief durch und nahm die würzig kalte Luft in sich auf. Er liebte die Nacht. Schon immer hatte er das getan. Diese Zeit, wenn die umtriebige Natur des Tages zur Ruhe kam und die Wesen der Dunkelheit, ihren Anteil am freigiebigen Leib des Lebens forderten. Er hob den Blick, hinauf zum erfurcht gebietend schönen, satten Rund des blassen Mondes. Das kalte Licht jedoch, das von dort auf ihn hernieder schien, vermochte es nicht, die Unruhe, die in Trismon brannte, zu befrieden. Denn zu beängstigend war die Frage, ob die Entdeckung, die sie in seiner Heimatsiedlung NordcumMelan gemacht hatten, eine Gefahr bedeutete. Zu erschreckend die Möglichkeit, das dieses unbekannte Etwas, das dort unter der Erde geschlafen hatte und das nun geweckt war, eine Bedrohung darstellte. Womöglich sogar für das gesamten Volk der Balinen? Jetzt ist es aber genug, dachte Trismon plötzlich, zornig auf sich selbst. Denn wieder hatten seine Gedanken, diesen Weg eingeschlagen. Wie schon so oft seit jenem schicksalhaften Tag. Doch diesmal hatten sie ihn zu weit geführt. Zu einer Grenze, die er nicht überschreiten wollte! Trismon schüttelte unwillig den Kopf und bauschte damit sein Haar noch stärker im Wind. Er wollte sich damit ablenken, in dem Versuch seinen Gedanken Einhalt zu gebieten. Schließlich war er ein Mann von Taten! Und er durfte hier nicht länger verweilen. So schnell als irgend möglich, musste er seine Botschaft nach Melan bringen. Um dort, in der großen Stadt Rat und Hilfe zu erwirken. Was auch immer dann geschehen würde, mochte geschehen. Er jedoch war der Überbringer dieser Nachricht und dies war seine vordringliche Aufgabe. Alles andere würde sich ergeben. Trismon wandte sich zum Abstieg. In diesem Augenblick jedoch hörte er ein lautes Geräusch über sich. Er hob seinen Blick gen Himmel. Dort konnte er jedoch nur schemenhaft etwas in der Ferne erkennen. Denn die Nacht war noch dunkler geworden und der Mond hielt sich nun vollkommen hinter dicken, schwarzen Wolken verborgen. Nun begann es auch noch zu regnen. Und der starke Wind trieb ihm die Tropfen ins Gesicht. Das Geräusch über ihm wurde indes immer lauter. Was auch immer dort oben war, es flog direkt in Trismons Richtung. Die Frage war nur, ob dahinter eine Absicht lag, oder nicht. Trismon glaubte durch Sturm und Regen hindurch das Rauschen von Schwingen zu hören. Besorgt warf er einen Blick nach unten, zum Fuße des Hügels. Dorthin, wo sein Reittier Neminn bis eben noch friedlich gegrast hatte. Wenn das Geräusch am Himmel den Limtaan nun verschrecken würde, überlegte Trismon besorgt. Dann müsste er ihn in dieser dunklen, nächtlichen Einöde erst einmal wieder finden. Und kaum etwas war so schnell wie ein Limtaan auf der Flucht. Trismon rief laut nach Neminn, um dem Tier Sicherheit zu vermitteln. Dann gebot er ihm: „Versteck dich! Diesen schon oft eingeübten Befehl verstand das gehorsame Tier sofort. Trismon konnte in der Dunkelheit erkennen, wie es sich von der Grasfläche fort, auf den Hügel zu bewegte. Dort legte es sich schutzsuchend auf den Boden, als eine reglos dunkle Gestalt, die mit der Nacht verschmolz. Trismon war es zufrieden. Und im nächsten Augenblick schon, vernahm er das drohende Rauschen mannigfacher Flügel direkt über ihm. Es war ein irritierendes, surrendes Geräusch, das sie verursachten. Er kannte diese seltsamen Flugtiere nicht. Doch das hatte nun sowieso keinerlei Bedeutung mehr. Denn jetzt waren sie da! Trismon griff mit einer schnellen, geschmeidig eleganten Bewegung nach dem langen, schweren Holzstab, den er auf dem Rücken mit sich führte. Und schon stießen lange Krallen, die so spitz waren, dass sie selbst im Zwielicht des von Wolken verhangenen Mondes funkelten, aus der Dunkelheit auf ihn hernieder. Große Leiber zuckten immer wieder aus der undurchsichtig regennassen Luft hervor. Trismon duckte sich und ließ den Stab über seinem Kopf kreisen. Schneller und immer schneller, bis die Luft über ihm summte und das Geräusch des Regens übertönte. So schnell, das selbst die Regentropfen Trismon nicht mehr treffen konnten. Schreie der Empörung wurden über ihm laut. Kehlig, schrille Rufe, gleich einer Sprache, die von einem uralten, instinktiven Verstand zu künden schien. Das empfand nun selbst Trismon als beängstigend! Seine Nackenhaare stellten sich auf, indes er die übermacht an Angreifern weiterhin tapfer abwehrte. Doch was konnte einer allein gegen so viele schon ausrichten? Noch dazu, wenn sie vereint handelten? Trismon hörte wie der Klang der Schreie über ihm sich zu wandeln schien, kürzer wurde, fast fragend. Diese Kreaturen schienen sich über ihn zu beratschlagen! Nun, vermutlich hatten sie nicht mit solch einem vehementen Widerstand gerechnet. Trismon lächelte grimmig, ungesehen, der Dunkelheit entgegen. Nun denn, dachte er wütend. Dann werde ich euch jetzt zeigen, mit wem ihr es hier zu tun habt. Wenn es meine Haut ist, die ihr wollt, ich werde sie euch nicht freiwillig geben! Trismon ging nun selbst aus der Verteidigung in den Angriff über. Den Stock immer wieder aufrecht nach oben stoßend. Er warf seinen Kopf in den Nacken und fauchte seine Wut lauthals hinaus in den dunklen Nachthimmel. Fauchte den Angreifern entgegen. Ein einzelner, verirrter Blitz zuckte plötzlich aus den dichten Wolkenwogen hernieder. Für einen Augenblick erhellte er die Grasebene und den Hügel. Er offenbarte in einem hellen zuckenden Lichtschein den kämpfenden Mann, so als wäre die Zeit für einen einzigen Moment stehen geblieben. Zeigte, wie er seinen schweren Holzstab in den Himmel stieß, die klatschnassen langen Haare am Kopf klebend, den Mund weit zu einem Schrei geöffnet und die langen, spitzen Zähne, deren Weiß im grellen Licht gefährlich glitzerte. Ein Mann, alleine in einem endlos weiten, leeren Meer aus Dunkelheit. Bedrängt von schemenhaft schwarzen, beflügelten Leibern über ihm. Das Licht verging so schnell wie es erschienen war und hinterließ eine Dunkelheit, die nun noch umso dunkler wirkte. Doch es war auch merklich stiller geworden, fiel es Trismon erst einen Moment später auf. Er blinzelte hinauf in den Regen, der ihm in die Augen drang und versuchte, den Stab abwehrbereit nach oben haltend, zu erkennen, was geschehen war. Trismon rang nach Luft und sein Atem ging stoßweise. Er wollte diese Laute unterdrücken, wollte seinen Angreifern keinerlei Schwäche zeigen. Doch er war völlig erschöpft. Die schwarzen Kreaturen hatten indes in ihrem Angriff verhalten. Trismon konnte sie über sein Keuchen hinweg hören. Dort oben in der Luft tauschten sie kehlige, kurze Rufe miteinander. Offenbar hatten sie sich wirklich leichtere Beute erhofft. Dann folgte plötzlich eine lautlose Stille. Man hörte nurmehr das prasselnde Geräusch des starken Regens und das unterdrückte Keuchen eines völlig erschöpften Mannes. Kurz darauf vernahm Trismon das kraftvolle Rauschen gewaltiger Schwingen, die in den Nachthimmel aufstiegen und in der Ferne verschwanden. Trismon sackte auf die Knie. Aufgeweichte, schlammige Erde spritze hoch. Trismon hielt sich an seinem Verteidigungsstab fest, den er in den matschigen Boden gerammt hatte. Er hielt den Kopf gesenkt und rang immer noch keuchend nach Luft. Der Regen klatschte auf ihn hernieder und rann ihm vom Kopf, über die langen Haare, den Körper hinab. Er wusch Schweiß und Schmutz davon und kühlte die verausgabten Muskeln. Doch trotz allem durchdrang ein Hochgefühl der Freude seinen ermatteten Körper. Er hatte überlebt! Trismon hatte soeben um sein Leben kämpfen müssen. Und er wusste nur zu gut, dass er dabei nur knapp dem Tode entronnen war. Denn lange hätte er dieser Übermacht nicht mehr standzuhalten vermocht. Trismon gönnte sich noch einen tiefen, erleichterten Atemzug, dann raffte er sich auf. Er zog sich an seinem Verteidigungsstab empor. Erst jetzt, wo die Gefahr vorüber war, merkte er langsam, dass er doch einige Wunden davon getragen hatte. Gesicht und Arme waren übersäht von Kratzern und Rissen, die langsam anfingen zu brennen. Das Regenwasser wird sie reinwaschen, dachte Trismon achtlos und machte sich an den Abstieg. Doch was hätte er auch sonst tun können, hier oben, allein. Der Wind zerrte an seiner zerrissenen Kleidung und der Regen hatte ihn schon bis auf die Haut durchnässt. Die überanstrengten Muskeln in Armen und Beinen ließen ihn jede noch so kleine Bewegung seines Körpers genau spüren. Und doch war Trismon klug genug zu wissen, dass er dies alles hinnehmen musste, wie es eben war. Sich gegen das Unvermeidliche aufzulehnen, hätte ihm nur noch mehr kostbare Kraft geraubt. Das lange Steppengras, trocken schon hinderlich genug beim Gehen, war im Regen noch eine weit größere Herausforderung. Nass, schlang es sich nun wie zäher, dicker, grüner Schlamm um seine Knöchel. Und übermüdet wie er war, wurde Trismon in einem unachtsamen Moment von langen klebrigen Grasstricken gefesselt. Am nächsten Schritt gehindert, verlor Trismon das Gleichgewicht und fiel. Kopfüber stürzte er den Hügel hinab. Und wenn er es auch vermochte, den Großteil der Schläge durch gekonntes Abrollen zu mildern, so kam er doch nicht sofort wieder auf die Beine. Er war zu erschöpft, um, wie sonst üblich, bei jedem Sturz immer auf die Füße zu fallen und sich in den Stand hinein abzufangen. Das wusste Trismon genau und deshalb ließ er sich bis zum Fuß des Hügels ausrollen. Denn es gab noch etwas, das Trismon richtig eingeschätzt hatte. Das verhasste lange Gras, das ihm diesen Sturz erst eingetragen hatte, war nun sein bester Schutz. Wie eine dichte, nasse, klebrig fadenreiche Decke aus Grün, dämpfte es jeden Aufprall ab. Und wirklich. Trismon erreichte einigermaßen unbeschadet den Grund. Auf der Seite zum Liegen gekommen, lies er sich auf den Rücken fallen und streckte Arme und Beine von sich. Vollkommen bewegungslos lag er dort. Trismon schloss die Augen. Ihm drehte sich alles und er fürchtete, sich, ausgezehrt wie er war, noch übergeben zu müssen. Trismon versuchte sich auf seinen Körper zu konzentrieren. War er auch wirklich unversehrt? Wie fühlten sich seine Arme an, seine Brust, seine Beine? Doch er war derartig entkräftet, dass er über dieser Aufgabe einschlief. Der Regen wusch sein Gesicht, seinen Körper und die Wunden und kühlte die schmerzenden Stellen, ganz so, als wolle er helfen. Trismons Unterbewusstsein reagierte darauf. Er träumte davon, sich in den ruhigen, kühlen Räumen eines Heilkundigen zu befinden. Der alte, freundliche Mann wollte ihn pflegen und kam mit mildem Lächeln auf ihn zu. Er griff nach einem großen, feuchten Tuch und hielt es Trismon vor das Gesicht. Doch zu Trismons Erschrecken, roch das Tuch wahrlich übel. Trismon wachte auf. „Neminn!, rief er protestierend. Der treue alte Limtaan leckte mit seiner großen, rauen, fleischigen Zunge Trismon über das Gesicht. „Dein Atem ist ja fürchterlich!, schimpfte Trismon angeekelt und schob den großen, breiten Kopf seines Freundes zur Seite. Doch der Limtaan schien besorgt, denn nun stieß er Trismon mit seinem großen Kopf, aber dafür erstaunlich sanft, immer wieder gegen das Bein. „Schon gut mein Alter!, lachte Trismon und setzte sich umständlich auf. Er streichelte Neminn an dessen Lieblingsstelle zwischen den Augen und sagte: „Es geht mir gut. Ich bin nur etwas müde. Aber lass uns diesen scheußlichen Ort jetzt verlassen, bevor noch andere finstere Kreaturen uns hier schutzlos vorfinden!" Wenigstens hatte es für den Moment aufgehört zu regnen und die aufreißenden Wolkenfetzen gaben den Mond wieder frei. Trismon zog sich an seinem Reittier hoch. Neminn war sein treuer, alter Begleiter. Er war sehr groß, selbst für einen Limtaan. Sein Schädel war lang und vorn aus dem Maul ragten oben und unten je zwei große weiße Zähne. Mit diesen konnte er selbst gröbstes Grünzeug oder gar Holz zerkauen. Das war seine bevorzugte Beschäftigung, der er auch niemals müde wurde! Seine Ohren waren lang und warnten ihn vor drohender Gefahr. Das erstaunlichste an Neminn und überhaupt an allen Limtaanen, waren jedoch die starken, langen Hinterläufe. Mit ihnen konnten die Tiere sowohl unglaublich schnell laufen, als auch höchste Sprünge vollführen. Trismon lehnte sich gegen den großen, dicken, behaarten Leib und spürte dessen angenehme Wärme. Langsam und unter Schmerzen, zog er sich auf den Rücken von Neminn. Wobei er sich dazu an dem kunstvoll geflochtenen, breiten Brustgeschirr des Tieres, festhielt. Der große Limtaan wartete geduldig. Und obschon sich bei Neminn bereits viele weiße Haare im dichten, glatten, braunen Fell zeigten, so war er doch noch immer einer der stärksten und schnellsten Limtaane, die es überhaupt gab. Endlich auf dem Rücken des Tieres sitzend, tätschelte Trismon ihm noch einmal den Nacken, für seine Geduld und seine unverbrüchliche Treue. Aber nun galt es, diese gefährlich schutzlose, grüne Einöde zu verlassen. Auch wenn Trismons Körper schmerzte und sowohl er, als auch Neminn, dringend eine Rast brauchten. Und auch wenn er dort oben auf dem Hügel nichts hatte sehen können, wonach er sich in dieser endlos flachen Graslandschaft richten konnte. Seinen Weg würde er immer finden. Denn wie alle Balinen, so verfügte auch Trismon über einen untrüglichen Orientierungssinn. Letztendlich fühlte er die Richtung und erspürte den richtigen Weg. Und da es nun auch noch eine Aufgabe von unabschätzbarer Wichtigkeit zu erfüllen galt, würde nichts auf der Welt es schaffen, ihn aufzuhalten! Trismon verengte seine großen blauen Augen zu schmalen Schlitzen, straffte die Schultern und gab Neminn durch Schenkeldruck das Zeichen sich in Bewegung zu setzen. Sofort gehorchte das Tier, lief an und fiel in einen schnellen Lauf. Die langen, großen, angelegten Ohren des Limtaan zu beiden Seiten neben Trismon. Wenn sie nicht in Eile waren, hielt er sich zumeist auch daran fest. Doch nun beugte Trismon sich über das Geschirr des Tieres weit nach vorn. Seinen Reiter im Nacken, erkannte Neminn, dass er noch schneller laufen sollte. Also spannte der Limtaan seine Muskeln und stürmte mit weiten Sprüngen über das Grasmeer dahin. Der Mond ergoss sein Licht über die nasse, windgepeitschte Ebene und schimmernd grüne Wellen warfen sich ihnen entgegen.

    2. Kapitel

    Die junge Frau erwachte mit einem lauten Schrei. Verwirrt blickte sie sich um und erkannte, dass es noch früh am Morgen sein musste. Das Licht des neuen Tages war noch zaghaft und zögerlich. Kaum merklich begann es, die Dunkelheit der Nacht zu durchdringen. Doch schon jetzt konnte man erahnen, dass es ein Sonnendurchwirkter Tag werden würde. Aber dennoch kühl. Denn die Jahreszeit des keimenden Grün hatte gerade erst begonnen. Seline stöhnte und fasste sich benommen mit der Hand an die schweißnasse Stirn. Dabei wischte sie sich einige ihrer langen, dichten roten Locken aus dem Gesicht. Ein Albtraum. Schon wieder. Dies war nun schon die dritte Nacht hintereinander, in der dunkle Träume sie geplagt hatten. Seline hob die Hand von ihrer Stirn und lies den ausgestreckten Arm achtlos zurück auf das Bett fallen. Sie blickte entnervt zur Zimmerdecke hinauf. Unruhig durchstreiften ihre großen grünen Raubtieraugen die Umgebung. Blickten hierhin und dorthin. Halt suchend. In dem großen, hell und freundlich eingerichteten Raum, begann das Tageslicht die ersten Konturen aus den Schatten herauszulösen. Mit ihrem guten Sehvermögen, das alle Balinen ihr Eigen nannten, konnte Seline auch in der Dunkelheit sehen. Doch sie mochte es, zu beobachten, wie das Licht allen Dingen eine intensive Farbe verlieh. Im Licht wurde alles weicher, heller und bunter. Seline mochte den Tag deshalb lieber als die Nacht. Denn sie liebte das Licht. Sie brauchte es förmlich, um sich damit anzufüllen. Damit es aus ihr überströmte und sich als Freude auf die Umgebung ergoss. Und nun nahte auch schon der Morgen und mit ihm sein Licht. Seline konnte es hören. Denn auch das Gehör der Balinen war sehr fein. So vernahm Seline nun aus weiter Ferne den Gesang jener Vögel, die bereits in den ersten Sonnenstrahlen badeten. Wie eine brandende Welle lief dieser Morgengesang nun unaufhaltsam auf Seline zu. Er kam auf den Sonnenstrahlen daher und beruhigte Selines gepeinigten Geist. Denn schon wieder hatte dieser immer gleiche Albtraum ihr auch in dieser Nacht aufgelauert. Im Schlaf war wieder diese große Aufregung und Angst zu spüren gewesen. Etwas kam auf sie zu. Unabwendbar und unaufhaltsam. Im Traum hatte sie sich zitternd die Augen zugehalten und sich geweigert, hinzusehen. Denn mit jeder Faser ihres Körpers hatte sie es schmerzhaft gewusst; auch jetzt noch war sie ganz verkrampft. Das, würde sie ihre Augen auf die nahenden Schrecken richten, ihr Geist dem gewiss nicht standhalten könnte. Im Angesicht dieses Grauens, würde ihr Selbst zerbrechen, gleich einem Tongefäß, das auf harten Steinboden aufschlägt. Seline begann angstvoll zu zittern. Sie richtete sich im Bett auf. Sie zog die Knie an ihren Körper und stülpte den Saum ihres weißen Nachtgewandes über die Beine. Dann vergrub sie ihr Gesicht in den Händen. Na wunderbar, dachte Seline trotzig. Jetzt bin ich wach und trotzdem ist alles wieder so wie in meinem Traum. Missmutig nahm sie die Hände vom Gesicht und schlang ihre Arme um die angewinkelten Knie. Dann legte sie ihren Kopf auf das linke Knie und blickte nachdenklich in das Morgenlicht, das langsam durchs Fenster drang und den Raum flutete. Ganz ohne Zweifel war dies kein normaler Albtraum, wie er etwa durch Anspannung oder Überlastung hervorgerufen wird. Dieser hier war bei weitem zu intensiv, zu stofflich. Ganz ohne Zweifel, musste Seline es sich selbst eingestehen, war dies ein Ruf des Schicksals. Eine böse Vorahnung bemächtigte sich der jungen Frau. Der kurze, kaum sichtbare helle Haarflaum, der ihren Körper, wie bei allen Balinen, bedeckte, richtete sich auf. Denn Selines innere Anspannung war so groß, dass ihr Körper sie instinktiv vor drohender Gefahr warnen wollte. Da jedoch, traf das erste Sonnenlicht, das sich im Raum immer weiter ausgebreitet hatte, Selines nackte Oberarme. Der feine Haarflaum begann zu schimmern und lies ihre Haut sanft aufleuchten. Dieser Anblick gefiel Seline und lenkte ihre Gedanken fort aus der Dunkelheit der Nacht, hinein in die helle Heiterkeit des Tages. Sie bereitet die Arme aus und bewegte sie im Sonnenlicht hin und her. Verspielt beobachtete sie dabei, wie der feine Glanz auf ihrer Haut hin und her glitt. Die Schrecken der Nacht verblassten darüber mehr und mehr. Also beschloss Seline, auch noch die restlichen Traumfetzen durch ein munter begonnenes Tagwerk zu vertreiben. Sie sprang mit einem anmutig geschmeidigen Satz ihres schlanken, feingliedrigen Körpers schwungvoll aus dem Bett und landete dabei sicher auf ihren schmalen Füßen. Hastig zog sie sich ihr leichtes Nachtgewand über den Kopf und warf es achtlos auf das Bett. Außerdem kann ein jeglicher Traum auch falsch gedeutet werden, murmelte Seline trotzig vor sich hin, um sich selber Mut zu zusprechen. Sie griff nach einem schlichten, langen, weißen Kleid aus gewebten Holzfasern und schlüpfte mit den Füßen voran, hinein. Dann griff sie in eine der vielen verzierten Holztruhen in ihrem Zimmer. Sie nahm sie ein langes, geflochtenes Baumwollband von leuchtend grüner Farbe heraus und wickelte es sich mehrfach um die schmale Taille. Am Rücken band sie einen Knoten und ließ die offenen Enden des Bandes hinabhängen. Währenddessen überlegte Seline weiter, dass sie ja auch nicht im Mindesten die Gabe der Hellsichtigkeit oder gar das Wissen um Zukünftiges ihr Eigen nannte. Wenn man davon absah, dass sie sich sehr gut in andere Lebewesen einfühlen konnte, Seline war eine Empathin, besaß sie eigentlich keinerlei besondere Fähigkeiten. Bei diesem Gedanken wurde Seline wieder missmutig. Und doch, tröstete sich Seline, war sie es gewesen, die der Rat von Melan erwählt hatte. Vor wenigen Monden erst, war sie zur ersten des Rates, zur erwählten Empathin von Melan, ernannt worden. Ihr oblag es nun, den Frieden und das Wohlergehen für alle Bürger der Stadt, zu wahren. Denn es hatte sich schon in Selines Kindheit gezeigt, dass sie in besonders ausgeprägter Weise mit allen Lebewesen mitempfand. Sie nannte eine einfühlende, geistig-seelische Verbindung zu allem was lebt, ihr Eigen. Daraus wiederum erwuchs ein starkes Mitleid, das sie allem und jedem entgegen brachte. Seline verzog voller Zweifel das Gesicht und griff nach einem, mit fein geschnitzten Blättern verzierten Holzkamm. Mit eilig festen Strichen durchkämmte sie ihr langes, lockiges, rotes Haar, bis es ihr in glänzenden Wellen über den Rücken fiel. Sie selbst empfand ihr Wesen nämlich keinesfalls als etwas Besonderes. Zumal sie oft eine große Unsicherheit verspürte. Ihr unruhiges, eher nervöses Temperament, war ihr sogar manchmal eher eine Last. Für ihr Leben gerne, wäre sie so ruhig und besonnen gewesen wie ihr alter, väterlicher Freund Trahil. Seline seufzte bei diesem Gedanken und griff in eine kleine Holztruhe, die auf dem Tisch stand. Sie zog ein fein gewebtes, kleines grünes Baumwolltuch daraus hervor. Damit band sie sich ihr dickes Haar stramm nach hinten, zu einem langen Zopf. Nun wirkte ihr blasses, schönes Gesicht noch ernster und ihre großen, grünen Augen noch raubtierhafter. Aber ihr eigenwilliges, widerspenstiges Haar, wollte nicht gehorchen. Die dicken Strähnen lösten sich und warfen das grüne Tuch dabei zu Boden. Seline fauchte entnervt. Was für ein Morgen. So fahrig begonnen, das war nicht gut! Seline musste dringend in den Tag hinein finden! Sie ließ das Tuch achtlos auf dem Boden liegen und trat mit langem, wallendem Haar an das offene Fenster. Seline schloss die Augen und konzentrierte sich nur mehr auf das gleichmäßige Ein- und Ausströmen ihres Atems. Ganz so, wie Trahil es sie dereinst gelehrt hatte. Nach wenigen Augenblicken schon, war ihr Geist vollkommen frei von jeglichen Gedanken, ruhig und klar. Seline öffnete zufrieden die Augen. Ihr Blick glitt hinaus auf die Stadt. Auf das schöne Melan, das soeben vom Licht der aufsteigenden Morgensonne übergossen wurde. Der rote Sandstein, aus dem alle Gebäude und Straßen in Melan geschaffen waren, leuchtete geheimnisvoll auf. Ganz so, als würde ein Wesen aus Fleisch und Blut erweckt. Denn was zuvor noch leblos schien, aber wohl doch nur geschlafen hatten, ward nun lebendig. In der aufgehenden Sonne wurde der rote Sandstein zu strömendem Blut, das Melan Leben einhauchte. Dies lag auch an der harmonisch, gleichförmigen Struktur aller Gebäude in der Stadt. Sie hatten eine abgerundete Kuppelform und sahen aus wie umgestülpte Tonschalen aus Sand. Wie ein Leib aus vielen ineinander greifenden Bergen, dachte Seline verträumt. Berge, deren Spitzen und Zacken im Laufe der Zeit durch die Anstrengungen des ewig währenden Kampfes ums Überleben, abgeschliffen worden waren. Als würde man in einem lebendigen Gebirge leben, lächelte Seline. Sie ließ ihren Blick über die Gebäude gleiten. So als würden ihre Augen über die Dächer dahin springen, von Kuppel zu Kuppel. Einige der Gebäude waren sehr hoch und darum bemüht, sich über die anderen hinweg zu strecken. Manche Gebäude wiederum waren besonders klein und suchten in ihrer geduckten Haltung unter den anderen nach Schutz. Seline lächelte noch immer. Sie liebte ihre Stadt. Die Rote, so wurde Melan auch von vielen genannt. Sie liebte es, wenn die ersten Bewohner am frühen Morgen ihre farbenfrohen Decken und Tücher aus den Fenstern hingen, um den Atem der Nacht daraus zu vertreiben. Oder wenn die Straßen und Plätze sich dann langsam füllten und alle ihr Tagwerk begannen. Sie liebte die vielen dichten, grünen Gärten, die das Rot der Stadt noch stärker betonten. „Die Gärten!, rief Seline plötzlich erschrocken und ihr Lächeln erstarb. „Oh, nein!, jammerte sie. Heute war es an ihr, den Zentralgarten der Stadt zu bewässern. Und sie stand hier herum und träumte! Dabei mussten die Gärten immer rechtzeitig am frühen Morgen gewässert werden. Denn wenn die Sonne ersteinmal zu hoch steht, verbrennt ihr Licht die Körper der Pflanzen, wenn sie dann noch nass sind. Seline drehte sich ruckartig um und stürmte durchs Zimmer. Sie riss die bunt bemalte Holztür auf und eilte aus dem Raum, ohne die Tür wieder hinter sich zu schließen. Dabei hatten ihre schnellen Schritte das noch immer achtlos am Boden liegende, feine grüne Haartuch aufgewirbelt. Und während Selines eilige Schritte auf dem Weg nach unten schon auf der Treppe verhalten, da schwebte das Tuch langsam und lautlos wieder zu Boden. Sein Grün im Sonnenlicht schimmernd, wie die lieblichen Augen der erwählten Empathin. Und seine Berührung mit dem Grund so zart und sanft wie ihr Herz.

    3. Kapitel

    Die sternenlos dunkle Nacht, in der es immer wieder angefangen hatte zu regnen, war einem trüben Morgen gewichen. Zwar fiel nun kein Wasser mehr vom Himmel, aber er war von trostlosem Grau und mit schweren Wolken verhangen. Alles war ungemütlich feucht und nass. Und so früh im Jahr, war es auch noch kalt, wodurch die Nässe noch ärger zusetzte. Trismon hatte eine unfreiwillige Rast eingelegt. Denn weder er, noch sein alter Limtaan konnten weiter. Es wäre töricht und unvernünftig gewesen, dies länger zu ignorieren. Ihre Gesundheit zu gefährden, hieße ebenso gut ihre dringliche Aufgabe zu gefährden. Die Frühjahrsstürme, die auf der schutzlosen Grasebene über sie hinweg getobt waren, hatten Tier und Reiter einfach zuviel Kraft abverlangt. Doch zumindest diese unwirkliche Landschaft lag nun – dem Allliebenden sei Dank – hinter ihnen. Am Ende der Nacht hatte Trismon in der Ferne auch schon das große Gebirge erblicken können. Direkt dahinter lag Melan, die rote Stadt, ihr Ziel. Und allmählich war dann auch das ermüdend eintönige Grasland von vereinzelten Gesteinshügeln, Büschen und kleinen Baumgruppen unterbrochen worden. Bei Einbruch der Morgendämmerung erreichten Trismon und Neminn sogar einen Waldausläufer. Und sie tauchten ein, in die vertraute, grüne Geborgenheit seines schützenden Dickichts. Zwar wuchsen hier keine Nadelbäume, wie in Trismons Heimat im hohen Norden. Aber auch die Laubbäume reichten aus, um seine Erinnerungen zu wecken und seinem aufgewühlten Herzen Trost zu spenden, als er zu ihren Wipfel aufsah. Zudem hatten die Laubbäume einen ganz eigenen Reiz, nannten eine ganz eigene Schönheit ihr Eigen. So auch, wenn der Wind durch ihre Zweige wehte. Dann begannen ihre Blätter zu rauschen, dass es Trismon erschien, als sängen sie ihr einsames, trauriges Lied. Im Wald hatte er schließlich einen geeigneten und windgeschützten Platz für die Rast gefunden. Er war von Buschwerk zugewuchert und lag in dunklem Halbschatten. Aber dafür war er auch einigermaßen trocken geblieben. Welch ein unverhoffter Segen! Und während ein eilig entzündetes Feuer begann fröhlich zu knacken und zu knistern, da war es nach der anstrengenden Reise ein mehr als verlockender Gedanke, sich hier für einige Zeit auszuruhen. Neminn knabberte an vereinzelten Kräutern und Gräsern, als Trismon kam, um ihm das Brustgeschirr abzunehmen. Dann untersuchte er noch kurz die großen Füße des Tieres nach Dornen oder eingetretenen kleinen Steinen. Das alles kannte Neminn schon zu genüge und lies es bereitwillig geschehen. Er hob Trismon seine Läufe sogar freiwillig entgegen, als dieser abschließend noch prüfte, ob auch keine der langen, dicken Krallen des Limtaan eingerissen war. Doch Trismon fand alles zu seiner Zufriedenheit und so griff er nach altem, trockenem Laub, das auf dem Boden lag. Damit rieb er in kräftigen Strichen das Fell des Limtaan, um es von Feuchtigkeit, Schweiß und Schmutz zu befreien. Als Neminn trocken gerieben war und sein Fell schon fast glänzte, warf Trismon das gebrauchte Laub achtlos bei Seite und griff nach seinem Wasserbeutel, der beim Feuer lag. Er fühlte, dass darin nur mehr wenig Wasser übrig geblieben war. Also nahm er nur einen kleinen Schluck und hielt ihn erst noch im Mund, bevor er ihn hinunter schluckte. Denn er wusste, dass schon das Spüren von Wasser im Mund ausreichte, um den Durst erst einmal zu vertreiben. Dann ging Trismon mit dem Wasserschlauch zu Neminn. Er goss etwas Wasser in seine hohle Hand und reichte es dem Tier vor das Maul. Der Limtaan trank sofort begierig. Trismon gab ihm eine zweite Hand voll Wasser und verschloss danach den Wasserbeutel wieder. „Von nun an müssen wir nach einer Wasserstelle Ausschau halten, sagte er zu Neminn und tätschelte dem treuen Tier den Rücken. Dann zuckte er kurz die Schultern und fügte hinzu: „Oder wir Dürsten bis Melan. Denn Trismon wusste genau, sehr weit konnte der Weg nicht mehr sein. Zudem deckte Neminn einen Großteil seines Wasserbedarfs über das Grünzeug, das er zu sich nahm und den Morgentau, den er von Gräsern und Blättern leckte. Zufrieden setzte Trismon sich ans Feuer und griff nach seiner Vorratstasche. Schon beim anheben merkte er, dass sie nur mehr spärlich befüllt war. Zwei trockene Stücke Brot, das war alles, was noch übrig geblieben war. Na wenn schon, dachte Trismon und griff nach einem der Brotstücke. Ihm machte so etwas nichts aus. Da war er schon mit weit weniger ausgekommen. Fasten und Hungern waren ihm nicht fremd. Auch wenn er noch jung war, so hatte er schon viele lange Reisen in seinem Leben hinter sich gebracht. Denn Trismon war ein Gebietserkunder. Er gehörte zu jenen des Volkes, die große Strecken zurücklegten, um unbekannte Landstriche zu erforschen, notwendige Waren von weit her zu beschaffen, oder wichtige Botschaften zu übermitteln. Und diesmal, dachte Trismon voller Bitterkeit, um schlechte Kunde zu überbringen. Missmutig biss er in das alte, harte Brot. In diesem Augenblick sah er aus dem Augenwinkel eine feine, unscheinbare Bewegung hinter der Feuerstelle. Dort waren zwei kleine Mäuse, beide mit kornbraunem Fell und spitzen Näschen. Von der Wärme des Feuers angelockt und der eigenen Neugier getrieben, hatten sie den Schutz der Sträucher verlassen. Offenbar hungrig, erschnupperten sie am Boden entlang den Geruch der Brotstücke und kamen dabei unvorsichtig nah an Trismon heran. Begierig stellten sie sich auf die Hinterbeine und hielten ihre zuckenden Nasen in die Höhe. Einen kurzen, instinktiven Augenblick lang, hatte Trismon das absolut widersinnige Empfinden, die zwei kleinen Mäuse packen zu müssen. Irritiert schüttelte Trismon den Kopf und dachte unwillig: „Der nagende Hunger muss mir die Sinne verwirrt haben. Dann jedoch lachte er belustigt auf und dachte: „Und was soll ich dann mit ihnen machen? Essen womöglich? Also wirklich. Mäuse essen! Alleine der Gedanke daran ist schon widerlich! Noch immer lachend beugte Trismon sich nach vorn und zerkrümelte einen Teil seiner kargen Mahlzeit auf den Boden. Vertrauensvoll, denn sie witterten, dass das große Wesen vor ihnen kein Fleischfresser war, kamen die Mäuse zu Trismon. Sie ließen sich auf ihre kleinen pelzigen Hinterteile sinken. Dort unten, direkt vor seinen übereinander geschlagenen Beinen, hockten sie nun und verspeisten genüsslich die Brotkrumen. Immer wieder nahmen sie Stücke davon in ihre kleinen Pfoten auf und knabberten dann mit zitternden Barthaaren an der unverhofften Mahlzeit. Der Anblick belustigte Trismon zutiefst. „Als hätte ich Gäste geladen, nur eben sehr kleine, dachte er. Und als er sah, wie sie sich so eifrig über das alte Brot hermachten, da erschien auch ihm die karge Kost direkt ein wenig schmackhafter. In diesem Moment entsann Trismon sich wieder, seines alten, längst verstorbenen Lehrmeisters Mimail. Der gütige weise Mann, war auch ein Gebietserkunder gewesen. Zur Verwunderung aller in NordcumMelan hatte er sich damals bereit erklärt, Trismon zu unterweisen, obwohl er schon sehr alt gewesen war. Und einmal, erinnerte Trismon sich jetzt plötzlich wieder genau, als sei es gestern gewesen, hatte Mimail zu ihm gesagt: „Ein Held ist nur der, vor dem alle Schwächeren keine Angst haben, aber alle Stärkeren Respekt! Vergiss das nie mein Junge und handele stets danach. Dann wird deine Achtung vor dir selbst, immer auf festem Grund gebaut sein. Trismon lächelte, bei der zärtlichen Erinnerung an vergangene Tage, voller Ausflüge in die Natur und voller Leibesübungen. Vor allem aber voller Erklärungen und mindestens ebenso vieler Zurechtweisungen. Trismon zerbröckelte noch etwas von seinem Brot und warf es wieder vor den kleinen, scheinbar nimmersatten Tieren auf den Boden. Und in diesem Moment spürte Trismon, wie aus dem Nichts heraus, plötzlich eine Bedrohung. Die feinen Haare an seinem Körper stellten sich auf, noch ehe er den Kopf gehoben hatte, um zu wittern. Nichts, alles schien ruhig und unauffällig. Und doch war da etwas. Es verbarg sich in der Dunkelheit des dichten Waldes. Trismon lies sich von der vordergründigen Stille nicht täuschen. Da! Ein verräterisches Knacken im Unterholz. Die Mäuse ließen ab von ihrem Fressen und flüchteten panisch zurück in den Schutz des nahen Dickichts hinein. Da erkannte Trismon mit einem Mal den beißenden Geruch. Schnell und geschmeidig sprang er auf. Trismon hielt den Blick auf das Dickicht gerichtet, dorthin, von wo die unsichtbare Gefahr auf ihn zukam. Er verengte seine großen Raubtieraugen zu schmalen Schlitzen und begann drohend zu knurren. All seine Sinne waren hellwach. Er spürte, dass der Angreifer schon direkt vor ihm im Dickicht war, denn er konnte dessen schweren Atem hören, die üblen Ausdünstungen darin riechen und sogar die ausströmende Wärme des massigen Leibes spüren. Trismon fauchte, laut und gefährlich. Und mit dieser Herausforderung trat er seinem Angreifer entgegen.

    4. Kapitel

    Als Seline endlich ins Sonnenlicht hinaustrat, war Melan bereits voll erwacht. Ein kalter Wind blies durch die Stadt und erinnerte an den eben erst vergangenen Winter. Seline folgte einer der vielen roten Sandstraßen, die Melan durchzogen. Nur ein trockenes Stück Brot, gegen den allergröbsten Hunger, hatte sie sich schnell noch aus der großen Gemeinschaftsküche, unten im Haus, geholt. Nun biss sie hin und wieder etwas davon ab, während sie eilig voranschritt. Die schweren Vorhänge hinter den Fenstern, waren alle schon zur Seite genommen worden. Stimmen und Geräusche die aus den Fensteröffnungen drangen, kündeten von reger Geschäftigkeit im Inneren. Wie bei allen Gebäuden der Balinen, bestanden die Fenster nur aus großen ovalen Öffnungen im Sandstein. Ein ebenfalls aus Sandstein geformter Vorsprung über den Fenstern bot Schutz vor Regen und Wind. Und wenn es kühler wurde, etwa bei Nacht oder in der dunklen Jahreszeit, wurden die Fenster von innen mit schweren, robust geflochtenen Decken aus Pflanzenfasern, verhängt. Schnellen Schrittes strebte Seline dem Zentralgarten entgegen. Er war einer von den vielen Gärten innerhalb der Stadt und lag genau im Zentrum von Melan. Und es war jener Garten, dessen Bewässerung zu einem kleinen Teil auch Seline anvertraut war. Alle Bürger von Melan liebten die Stadtgärten und machten sich gerne dort nützlich, so auch Seline. In jedem Garten gab es einen Bereich, der dem Spaziergang und der Erholung gewidmet war und darüber hinaus noch Bereiche, die der Nahrungsgewinnung dienten. Dabei waren alle Gärten unterschiedlich bepflanzt. Je nachdem, wie viel Licht oder Schatten sie im Laufe eines Tages aufwiesen. Das hing von der Anordnung und Höhe der umliegenden Gebäude dort ab. Die Gärten lagen alle in verschiedenen Teilen von Melan. Nämlich überall dort, wo man dereinst innerhalb der Stadt einen Brunnen angelegt hatte. Denn der große Fluss, an dem Melan vor ewigen Zeiten gegründet worden war, existierte schon lange nicht mehr. Viele hielten ihn nur mehr für eine Legende. Aber in ihren Geschichten behaupteten die ältesten der Alten, dass er sich dereinst aus dem großen grauen Felsengebirge gespeist haben soll, das direkt hinter Melan lag und sich weit nach Norden erstreckte. Endlich hatte Seline den Zentralgarten erreicht. Und zu ihrer Freude stand die Sonne auch noch nicht zu hoch. Zudem würde auch die kühle Frühjahrsluft verhindern, dass die nassen Pflanzen in der Mittagssonne verbrennen könnten. Seline wand sich dem Bewässerungssystem zu. Dabei versicherte sie sich zunächst, dass nur die Holzschieber geöffnet waren, die zur Bewässerung der Anbaufläche dienten, die ihr zugeteilt war. Seline fand noch zwei geöffnete Holzschieber, die das Wasser in einen anderen Teil des Gartens leiten und drückte sie nach unten in den Bewässerungsgraben, um sie zu schließen. Nachdem das erledigt war, ging Seline zum großen Brunnen. Um nun das Brunnenwasser aus der Tiefe nach oben zu befördern, betätigte Seline den dafür vorgesehenen Taumelmechanismus am Brunnenrand. Hierbei musste man einen schweren, am Untergrund befestigten Holzkegel aus seinem Schwerpunkt drücken. Der Holzkegel versuchte dann unter Taumelbewegungen sein Gleichgewicht wieder zu erlangen um zurück in die aufrechte Ruhestellung zu gehen. Die dabei frei werdende Energie wurde, über einen komplizierten Seilmechanismus, auf eine Spule übertragen, die über dem Brunnen hing. Die Spule begann dadurch sich zu drehen und die an einem Seil hängenden, schweren Tongefäße, von unten aus dem Brunnen herauf zu ziehen. Die gefüllten Tongefäße mussten beim Vorbeigleiten dann nur noch leicht nach unten gedrückt werden, damit sich das Wasser in den angrenzenden Bewässerungsgraben ergoss. Von dort aus verteilte es sich, entsprechend der geöffneten und geschlossenen Holzschieber, im Garten. Seline beobachtete, wie das Wasser über die trockene Erde strömte. Es trug vereinzelte, trockene Blätter und kleine Zweige mit sich, während es dem Lauf der tiefen Erdfurche folgte. Seline musste darauf achten, dass der Wasserlauf nicht durch Ansammlungen von Laub, Gräsern oder Geäst behindert wurde. Manchmal sackte auch Erdreich in den Graben und musste erst heraus genommen werden, bevor das Wasser ungehindert fließen konnte. Diesmal jedoch fand Seline alles zu ihrer Zufriedenheit. Das Wasser klatschte gegen die geschlossenen Holzschieber, die ihm den Weg versperrten und tastete sich in die Abzweigungen des Bewässerungssystems hinein, die geöffnet waren. Also ging Seline zurück zum Brunnen, um weiteres Wasser zu schöpfen. Während sie erneut den Taumelmechanismus betätigte, schweifte ihr Blick ab, hinein in den schönen Zentralgarten. Das erste Grün wagte sich hier schon aus dem Boden und blinzelte verschlafen hinauf zur blassen Frühjahrssonne. Und weiter entfernt, in einem anderen Teil des Gartens, sah Seline auch die alte Wawelaa. Das war nicht weiter verwunderlich, dachte Seline und lächelte. Denn die alte Frau war zumeist in einem der Stadtgärten anzutreffen. Wawelaa war die kundigste und fähigste Frau in Melan, wenn es darum ging, Pflanzen anzubauen und zu pflegen. In allen Teilen CumMelans und sogar noch darüber hinaus, träumte jeder, der gerne ein Pflanzenkundiger werden wollte, davon, bei der alten Wawelaa lernen zu dürfen. Nachdem Seline noch einen schnellen Blick auf den Bewässerungsgraben geworfen hatte, um sich zu vergewissern, dass dort noch immer alles in Ordnung war, blickte sie wieder zurück zu Wawelaa. Es war ihr eine Freude, das sanfte, ruhige Wirken der alten Frau zu beobachten. Geistesabwesend betätigte sie dabei immer wieder den Taumelmechanismus und goss Wasserkrug um Wasserkrug aus. Wawelaa schien gerade dabei zu sein, besonders feine, staubige Erde auf verschiedene Stellen des Gartens auszubringen. Seline glaubte darin die „heilende Erde zu erkennen. Das war ein besonders nahrhafter Erdstaub, der aus dem abgesetzten Grundschlamm besonders guter, mineralienreicher Brunnen stammte. Seline freute sich über ihre Kenntnisse in solchen Dingen, wenn sie auch eher dürftig waren. Denn als Kinder hatten sie alle oft der großen pflanzenkundigen Wawelaa bei deren Arbeit zusehen oder gar helfen dürfen. Die Lehrenden waren auch schon damals der Ansicht gewesen, dass alle Kinder sich mit der nährenden, Leben spendenden Natur auskennen sollten. Plötzlich hob Wawelaa den Arm und winkte Seline fröhlich zu. Sie hat mich entdeckt, wie ich sie hier beobachte, dachte Seline etwas verlegen und biss sich auf die Unterlippe. Aber ihr bei der Arbeit zu zusehen ist eben sehr schön, dachte Seline entschuldigend. Wawelaa wirkt selber wie ein Teil des Gartens. Gesicht und Arme der Alten waren braun gebrannt wie bei einem Gefäß aus Ton. Ihr langes, braunes Haar, dass sie zu einem Zopf geflochten hatte, durchzogen dicke, weiße Strähnen. Mit ihrem grünen Gewand und den vielen kleinen Blüten, Blättern und Zweigen, die sich seit jeher wie von selbst in Wawelaas Haar verfingen, sah sie aus wie ein schöner schlanker Baum. Seline kicherte. Und in der Art und Weise, wie die alte Frau den Garten pflegte, sah sie auch noch immer aus, wie ein junges Mädchen. Genauso wie damals, als ich noch ein kleines Kind war, dachte Seline gerührt, hob die Hand und erwiderte Wawelaas freundlichen Gruß. Nur wenn man näher heran geht, überlegte Seline und nahm die Hand wieder runter, sieht man, dass die Zeit dieser alten Baline tiefe Furchen ins Gesicht gegraben hatte. Wie bei einem ausgetrockneten Flussbett. Aber daraus hervor, strahlen noch immer Augen von so frischem Grün, als wären es junge Blätter. Seline sah, das Wawelaa sich abgewandt hatte und nun bei einer Gruppe alter, knorrig verwachsener Bäume stand. Wawelaa goss Wasser in den Trog, aus dem sie zuvor die heilende Erde verteilt hatte und mengte dann mit der Hand darin herum. Schließlich griff die Alte in den Trog und hob eine Handvoll dunkelbraunem, fettig glänzendem Schlamm empor. Diesen Brei aus heilender Erde trug sie dann auf die Rinde der Bäume auf und verteilte sie indem sie mit den Händen am Stamm auf und ab rieb. Bestimmt haben sie Risse oder Wunden, vermutete Seline. „Träumst du?, fragte plötzlich eine dunkle Stimme hinter ihr. Erschrocken fuhr Seline herum. „Trahil! Du hast mich zu Tode erschreckt!, tadelte Seline ihren alten, väterlichen Freund. Trahil lachte und sagte dann, noch immer breit grinsend: „Eigentlich bin ich auf dem Weg zu Wawelaa. Aber da habe ich dich hier gesehen. Und da bin ich extra vorbei gekommen um dir kurz zu sagen, dass du die Maisstengel heute so stark gießt, als wären es Wasserlinsen. Oh nein, rief Seline verzweifelt und blickte auf die Überschwemmung, die sie innerhalb der Nahrungspflanzen erzeugt hatte. „Oder wolltest du womöglich einen kleinen See hier im Zentralgarten anlegen?, feixte Trahil. „Aber so etwas kann man doch in Ruhe mit dem Rat besprechen Seline. Das muss man doch nicht so eigenwillig überstürzen. Seline hätte ihm schon die passende Antwort auf seine Frechheit gegeben, aber ihr fehlte im Moment die Zeit dazu. Beherzt griff sie nach dem Holzkegel, damit dieser seine Bewegung sofort einstellen sollte. Das war jedoch nicht ganz so einfach wie gedacht. Denn zum einen war er aus sehr schwerem Holz und zum anderen, einmal aus dem Gleichgewicht gebracht, nur langsam wieder zu beruhigen. Doch Seline war nicht nur nett und verträumt, sie hatte auch einen Willen wie eine Herde von Limtaanen. So griff sie noch einmal mit aller Kraft zu, und wirklich, der Holzkegel kam zum Stillstand. Allerdings wirkte nun der ruckartige Halt auf die Spule zurück und gab damit auch dem Seil einen kräftigen Ruck. Die Tongefäße wurden dadurch in Schwingung versetzt und begannen gefährlich stark gegeneinander zu stoßen. Trahil, der alles im Hintergrund beobachtete, versuchte vernehmlich sein Lachen zu unterdrücken. Doch Seline war nun so wütend, eigentlich vor allem auf sich selbst, dass sie anfing bedrohlich zu knurren. Sofort schluckte Trahil sein Lachen wohlweißlich hinunter und begnügte sich damit, den neuen See im Zentralgarten zu bewundern, der so schön in der Sonne glitzerte. Seline jedoch war zutiefst betrübt. Kleinlaut sagte sie: „Danke Trahil. Ohne dich, hätte ich womöglich noch das Rathaus überflutet. Missmutig blickte Seline auf das große, stolze, rote Kuppelgebäude zu ihrer Linken. „Nun beruhige dich wieder mein Kind., schimpfte Trahil. „Sag mir, welches Lebewesen unter der Sonne niemals einen Fehler macht?! Diese war eine Frage, die keiner Antwort bedurfte. Und doch war Seline noch gereizt und deshalb gab sie mürrisch zurück: „Du? „Oh weh., lachte Trahil laut auf. „Da hast du dir ja genau den Richtigen ausgewählt! Und in Erinnerungen an die mannigfaltigen Fehler eines langen Lebens schwelgend, lächelte Trahil versonnen vor sich hin. Der Anblick ihres Ziehvaters war dabei so rührend, dass Seline gegen ihren Willen auch lächeln musste. Dann wandte Trahil sich ihr wieder zu. Durch ihr Lächeln hindurch, erkannte er die Sorgen, die sich in ihren Blick eingegraben hatten. Trahil seufzte. Er wusste, dass der Rat von Melan, Seline schon sehr früh eine schwere Last aufgebürdet hatte. Aber ihre Fähigkeiten waren schon jetzt so ausgeprägt, das es trotz allem, keine bessere Wahl hätte geben können. Denn als erwählte Empathin profitierten nicht nur die Balinen in Melan von Selines Können. Gleichzeitig genoss sie auch den Schutz, ihren emotionalen Fähigkeiten freien Lauf lassen zu könne. Was ihr womöglich auf einem anderen Lebensweg gar nicht möglich gewesen wäre, oder sie zumindest behindert hätte. Seline stand still da und sah Trahil erwartungsvoll an. Sie ist noch so jung, lächelte Trahil liebevoll. Sie wird an ihren Aufgaben wachsen. „Mein Kind. begann Trahil seine Rede. Er legte eine Hand auf Selines Schulter und zog sie an seine Seite. In der anderen Hand hielt er einen großen, hellbraunen, glatten Holzstab. Das Zeichen des Ratsältesten. Sein nachtschwarzes, langes, glattes Haar, hatte im Sonnenlicht einen blauen Schimmer und seine dunklen, schwarzen Augen, waren voller Liebe, als er sprach. „Das Leben ist so, als schwimme man in einem Fluss, Seline. Mal schäumt er wild und rau, mal fließt er ruhig und sanft dahin. Und du musst seinem Lauf folgen. Wenn du nun aber in diesem Fluss des Lebens an Hindernisse stößt, so achte nur darauf, dich über Wasser, an der Oberfläche zu halten, damit du atmen kannst. Aber wehre dich nicht gegen die Hindernisse, kämpfe nicht gegen sie an. Nein, beschwere dich noch nicht einmal über diese Hindernisse, wenn du kannst. Denn nur wenn du alles fließen lässt und dich dem Wasser hingibst, bleibt dir auch die Zeit, um dich an den Schönheiten am Ufer, an denen du vorbei kommst, zu erfreuen. Denn bedenke, der Fluss gehört nicht dir, er gehört einem anderen. Und du bist auch nicht dieser Fluss, du bist nur ein Teil des Wassers! Nachdem er das gesagt hatte, drückte Trahil ihr noch einmal sanft die Schulter, wand sich um und ging in Richtung Wawelaa, davon. Seline sah ihm nach. Vor ihrem geistigen Auge sah sie den Fluss und sich selbst, wie sie darin trieb. Das machte sie für einen Moment nachdenklich. Schließlich sagte sie leise vor sich hin: Ich glaube, ich verstehe." Seline fühlte, wie tief empfundener Frieden in ihren Geist einströmte. Sie atmete tief und langsam. Mit jedem Ausatmen ließ sie ihren Körper mehr und mehr entspannen. Und sie nahm sich vor, von nun an den Fluss fließen zu lassen. Wie wild und reißend er in manchen Teilen auch werden würde. Seline blickte noch einmal schuldbewusst zu dem kleinen See, den sie soeben erschaffen hatte. Und was sie dort sah, versetzte sie in ungläubiges Staunen. Eine Unmenge kleiner bunter Vögel hatte sich dort nieder gelassen. Sie tranken und badeten in dem unverhofften, willkommenen Nass und zwitscherten dabei laut und fröhlich vor sich hin. Lächelnd verließ Seline den Garten und dachte, ich bin gespannt, was der Flusslauf noch alles für mich bereithalten wird.

    5. Kapitel

    Der Fangzahn riss sein Maul weit auf und gab raue, kehlige Laute von sich, um den Gegner zu verängstigen. Sein muskulöser Leib war gewaltig. Auf allen Vieren lautlos schleichend, den Körper sprungbereit geduckt, hatte er die Größe eines ausgewachsenen Mannes. Die langen Kiefer offenbarten eine imposante Menge spitzer, leuchtend weißer Zähne, womit er seinem Namen alle Ehre machte. Selbst im dunklen Dickicht, das nur von einem kleinen Feuer erhellt wurde, schimmerte ein dichtes, langes Fell, mal wie die Sonne und mal wie der Mond. Trismon wusste genau, was der Fangzahn begehrte. Und deshalb brachte er sich mit einem schnellen, anmutigen Sprung, genau zwischen seinen Limtaan und den ungebetenen, gefährlichen Gast. Er muss wirklich hungrig sein, überlegte Trismon, wenn er sich so nah ein Feuer heran wagt. Aus dem Augenwinkel schätzte Trismon den Abstand von ihm aus bis zu seinem Verteidigungsstab. Denn den hatte er unvorsichtiger Weise dort hinten bei Neminns Brustgeschirr gelassen, als er den Limtaan versorgte. Trismon überlegte, ob er versuchen sollte auf den Fangzahn einzureden, um so womöglich den Geist des Tieres zu befrieden. „Hier wird es für dich heute keine Mahlzeit geben Bruder., begann Trismon eindringlich. „Wende dich ab und verlasse diesen Ort in Frieden! Suche dir eine leichtere Beute!. Doch Trismon spürte sofort, dass er den Fangzahn damit nicht wirklich erreichen konnte. Das Tier hatte sich schon zu weit vorgewagt. Und er selbst war ja auch keiner der Tierempathen, die eine Verbindung zu andersartigen Lebewesen aufbauen konnten. Der Fangzahn trat nun näher an das Feuer heran, das ihn noch immer von Trismon und seiner ersehnten Beute trennte. Kaum merklich, begann er dann den Schwerpunkt seines Schulterbereiches nach unten zu verlagern. Er setzt zum Sprung an, dachte Trismon. Und machte sogleich einen Satz, bei dem er sich über Kopf nach hinten fallen ließ und mit den Händen abfing, um dann sofort wieder auf den Füßen aufzukommen. Und zwar direkt neben dem am Boden liegenden Brustgeschirr und seinem Verteidigungsstab. Mit atemberaubender Geschwindigkeit griff er nach dem Stab und war schon wieder mit einem weiteren eleganten Satz zurück am Feuer, bevor der verblüffte Fangzahn überhaupt erst zu einem Sprung gekommen war. Unwillig schüttelte das Tier nun verunsichert mit dem massigen Kopf und schnaubte. „Geh!, grollte Trismon mit seiner dunklen Stimme und ging in die Verteidigungshaltung. Dabei vergrößerte er den Abstand seiner Beine um sicherer zu stehen, duckte seinen Oberkörper und hielt den Verteidigungsstab mit beiden Händen vor sich, quer empor gehoben in die Luft. „Ich will dir nichts tun, aber dennoch werde ich dich töten, wenn ich es muss! Trismon glaubte in den dunklen Augen des Tieres ein Schimmern des Verstehens zu erkennen. Natürlich. Es war das alte Gesetz der Natur. Das, in welches die Tiere seit jeher verstrickt waren und es womöglich bis zum letzten Tag allen Lebens auch immer sein würden. Es war der Kampf ums Überleben. Warum können nicht alle Tiere Pflanzenfresser sein? dachte Trismon entnervt, voller Anspannung. Und es war auch nicht das erste Mal, dass er sich diese Frage stellte. Aber womöglich das letzte Mal, dachte Trismon grimmig. Der Fangzahn ging vor dem Feuer auf und ab. Er schien nach einer Möglichkeit zu suchen, den Mann zu umgehen und sich nur den Limtaan zu holen. Eine beachtliche Beute, die ihn lange satt machen würde. Nur der Mann, mit dem schweren, abwehrbereiten Holzstab in den Händen, störte ihn. Denn auch der war groß gewachsen und breit und stand unbeweglich wie ein Felsen. Trismon konnte später nicht mehr genau sagen, was es gewesen war, dass ihm an der Haltung des Fangzahns verraten hatte, dass er in diesem Augenblick zum Angriff überging. Doch Trismon erspürte die Bewegungen des Tieres, als wären es seine eigenen. Fast so, als wäre er selbst ein Fangzahn und als würden sich hier zwei Raubtiere gegenüber stehen. Trismon rammte seinen Verteidigungsstab in die Erde und der Fangzahn sprang. Und noch während er sich im Sprung befand, hielt Trismon sich mit beiden Händen am Stab fest und stieß sich mit den Armen daran ab. Seine geschlossenen Beine, stark wie ein Holzstamm, schnellten in die Luft und trafen den Fangzahn an der Seite. Das Tier wurde jäh in seinem Sprung gestoppt und zur Seite geschleudert. Doch sofort sprang es wieder auf und schüttelte sich ebenso überrascht wie unwillig. Sofort erkannte Trismon an seinem Gebaren, dass der Fangzahn noch nicht aufgegeben hatte. Deshalb erhob er im Bruchteil eines Augenblickes, noch bevor sich das Tier wieder ganz gefangen hatte, seinen schweren, massiven Holzstab und ließ ihn mit aller Wucht nach unten schnellen. Der Stab zischte durch die Luft und traf direkt neben dem Kopf des Fangzahns auf einen umgefallenen, alten, hohlen Baumstamm, auf. Der Knall war ohrenbetäubend! Hätte dieser Schlag den Kopf des Fangzahns getroffen, das Tier wäre sofort tot zu Boden gegangen. Und instinktiv spürte das Tier, dass der Schlag nicht fehl gegangen war und beim nächsten Mal ganz gewiss sein Ziel finden würde. Der Fangzahn klemmte den langen, buschigen Schwanz zwischen seine Hinterläufe und stürzte jaulend vor Angst davon, solange er das noch konnte. Trismon fühlte, wie eine tiefe Erleichterung sich seiner bemächtigen wollte. Doch dazu kam es gar nicht erst. Kurz dachte er noch: „Ich muss meinem Bruder danken, der das Holz für den Stab selbst ausgewählt und geschlagen hat. So fest wie Stein, hatte er damals -- . In diesem Moment hörte Trismon das aufgeregte dröhnende Trommeln großer, schwerer Limtaanläufe. Er drehte sich zu Neminn herum und rief „Oh, nein! Neminn, bleib ruhig! Alles ist wieder gut! Doch der Lärm und die Aufregung waren selbst für das treue, erfahrene Tier einfach zuviel gewesen. Neminn verdrehte die Augen und rannte, völlig kopflos, in den Wald davon. Trismon sah nur mehr den großen weißen Stummelschwanz durch das Dickicht, welches ihren Lagerplatz umgab, verschwinden, da setzte er Neminn auch schon nach. Fluchend und keuchend, ermüdet von all der Anstrengung dieser Rast, wünschte Trismon, er hätte den Weg doch lieber einfach fortgesetzt. Denn Kräfte zehrender als diese Rast, hätte das wohl auch nicht sein können. Mit weiten, geschmeidig schnellen Sprüngen und unter lautem Rufen, gelang es ihm aber dann schließlich doch noch, sein völlig verängstigtes, orientierungsloses Reittier im dichten Unterholz zu stellen. Ein beherzter Griff von Trismon, tief hinein in das Nackenfell, brachte Neminn endlich dazu stehen zu bleiben und in die Jungtierstarre zu verfallen. Ganz so, als würde ihn, wie damals, seine Mutter im Nest umhertragen wollen. Müde, zu Tode erschöpft und gespickt mit allerlei Blattwerk und Geäst, erreichten Trismon und Neminn wieder die Feuerstelle. Vorsichtshalber hatte Trismon für seinen noch immer unruhigen Limtaan ein langes, frisches und darum noch biegsames Stück Wurzel aus dem Boden gerissen und dem Tier als Führungsstrick um den Hals gebunden. „Das war wirklich knapp gewesen, dachte Trismon und unterdrückte dabei ein entnervtes Fauchen, denn er wollte Neminn nicht schon wieder hinterher rennen müssen. Gar nicht auszudenken, was alles hätte passieren können, wenn das Unterholz weniger dicht und der Fluchtweg damit für Neminn frei gewesen wäre. Das Tier hätte sich verlaufen oder gar in Panik, allein und auf der Flucht, etwas brechen können. Liebevoll befreite Trismon Neminn wieder von der kratzigen, sandigen Wurzel und sagte lächelnd: „Tja mein Alter. Du siehst aber auch wirklich zum Anbeißen aus. Und als hätte Neminn ihn verstanden, schubste es Trismon mit dem Kopf ein Stück zur Seite. Als Trismon dann endlich wieder vor der Feuerstelle saß, die Beine ausgestreckt, aber den Verteidigungsstab nun vorsichtshalber direkt an seiner Seite, knurrte ihm der Magen. Die zurückliegenden Anstrengungen, hatten das karge Mahl dieses Morgens bereits wieder aufgezehrt und sein Körper verlangte nun nach mehr. „Sei es drum., dachte Trismon mürrisch und legte sich auf die Seite, in der Hoffnung, auch trotz des Hungers noch ein wenig Schlaf zu finden. Den Kopf auf dem harten Boden, blickte Trismon zu dem alten Holzstamm, auf den er vorhin mit voller Wucht geschlagen hatte. In der Mitte war dieser nun bis zum Boden hin zersplittert. Und im Schein des Feuers, glaubte Trismon in dem holen Inneren des Stammes, etwas erkennen zu können. Neugierig geworden, erhob er sich von seinem harten Lager, um den Inhalt des Stammes einmal näher zu besehen. Und was er dort vorfand, konnte er kaum glauben. „Nüsse?, rief er verwundert aus. Und wirklich, ein großer Haufen voller grünbrauner Nüsse, lag in dem Stamm. „Wer hätte

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