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Der Jaguar: und andere Geschichten
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Der Jaguar: und andere Geschichten
eBook145 Seiten1 Stunde

Der Jaguar: und andere Geschichten

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Über dieses E-Book

Die vorliegenden Geschichten und Anekdoten führen den Leser in zahlreiche Situationen tragischer, komischer, aber auch skurriler Art: während 'Der Jaguar' von der schicksalhaften Begegnung eines jungen Indigenen mit scheinbar göttlichen Neuankömmlingen aus anderer Welt handelt, spielt 'Café Buenos Aires' am Abend der Gefangennahme Adolf Eichmanns. Und während 'An Entertaining Evening Among The Dead' zu heiterer Totengesellschaft lädt, ist dem permanent fluchenden Kater Žarko wegen Spielschulden herzlich wenig nach Feiern zumute -- indes sich der Protagonist aus 'Der Doktor' darum bemüht, das ihm zustehende Entgelt für eine Taxifahrt einzutreiben.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum21. März 2020
ISBN9783750228528
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    Buchvorschau

    Der Jaguar - Anil Yasar

    Der Jaguar

    und andere Geschichten

    Anil Yasar

    Vorwort

    Die folgende Geschichten- und Anekdotensammlung entstand im Zeitraum 2013-2019, als ich noch lange nicht daran dachte, die Ergebnisse dieser Periode kreativer Ausbrüche (welche selbstverständlich ihre Höhen und Tiefen, manchmal gar Aussetzer hatte) einmal in einem Buch zusammenzufassen - geschweige denn, zu veröffentlichen - sondern das Schreiben vielmehr als lockere Freizeitbeschäftigung betrachtete. Über die Jahre kam so ein, Schritt für Schritt, Story für Story, recht ansehnlicher Output ohne irgendeine Form äußeren Drucks zustande, was, wie ich meine, dem Inhalt gar nicht so schlecht bekam.

    Die titelgebende Erzählung (‚Der Jaguar‘) war die erste Kurzgeschichte, welche ich jemals verfasst habe; aus diesem Grund wurde sie als Zugpferd für die übrigen auserkoren. Einer bestimmten Systematik in ihrer Reihung bin ich nicht gefolgt, auch wenn ich die offensichtliche Tatsache nicht leugne, dass es zwischen einzelnen Stories durchaus Verknüpfungen gibt, von denen der Autor, auf den guten Willen des Lesers vertrauend, nur hoffen kann, dass sie ihm nicht zu konstruiert erscheinen. Diesen Hang zu Ansätzen eines world-building möge man mir ebenso nachsehen, wie etwaige Rechtschreib- und Tippfehler.

    Wien, im März 2020

    Der Jaguar

    Wer ihn im Gebüsch, zwischen all dem Gestrüpp erblickte, wer seine Gestalt dort regungslos liegen sah, hätte ihn glatt für tot halten können – wären da nicht die langsamen, regelmäßigen Atemzüge gewesen, die ein Heben und Senken des Brustkorbes herbeiführten und den Betrachter der Tatsache versicherten, dass diese Person in Bauchlage alles andere als tot war. Über ihrem Kopf majestätisch anmutende Baumwipfel, überall um sie herum endloser, gnadenloser Urwald — die grüne Hölle, wie er einmal genannt werden sollte. Wehe jenen, die sich hier verirrten! Tagelang, wochenlang konnte man den Dschungel durchstreifen, ohne auch nur auf eine Menschenseele zu stoßen; vorausgesetzt, Hunger und Durst, Hitze, Krankheiten, Raubtiere oder feindlich gesinnte Eingeborene hatten einem bis dahin nicht schon längst den Garaus gemacht. Und wem es gelang, sich beständig Nahrung zu verschaffen, wem es gelang, krankheitsübertragenden Moskitos zu entgehen, wer Pfeilen, Speeren und Blasrohrgeschossen ebenso erfolgreich auswich wie dem Prankenhieb eines Pumas, dem konnte es immer noch passieren – wie es etwa dem grausamen Lope de Aguirre geschah – dass er angesichts übermenschlicher Strapazen schlicht und einfach den Verstand verlor.

    Um solche Dinge machte sich der junge Krieger Tlacal indes keinerlei Gedanken. Er befand sich gerade auf der Jagd, lag lauernd hinter einem Gebüsch am Rande der Lichtung, wo Sumpfhirsche sich aufzuhalten pflegten, nachdem sie am naheliegenden Fluss zur Tränke Gerade zwanzig Jahre alt geworden, gehörte er zu den vielversprechendsten Männern seines Dorfes, was Jagd- und Kriegshandwerk betraf, sorgte für Frau und den kleinen Sohn, verabsäumte es nie, den Göttern seines Volkes als Zeichen der Dankbarkeit Opfer zu bringen. Dieses Mal hatte er sich zum Ziel gesetzt, ein ganz besonders prächtiges Tier darzubringen, denn seit Wochen plagte Tlacal derselbe, wiederkehrende Albtraum: Wie sich unter blutrotem Himmel die Erde zu gigantischer Spaltung auftat, wie sein Dorf und alle, die er gekannt, verschlungen wurden; mehr noch, wie sich die klaffende Schlucht zur hässlichen Narbe schloss, aus dem Boden neue, gigantische, den Himmel durchbohrende, für ihn wie Hütten fremder Bauart aussehende Gebilde, deren Beschaffenheit er nicht erklären konnte, herausschossen; der Boden unter seinen Füßen plötzlich von steinartigem, glatten Material überzogen wurde, riesige, stumme Vögel ihre Bahnen hoch über seinem Kopf zogen, die Sonne zu verdunkeln drohend. Der Dschungel war verschwunden, zurückgeblieben lediglich die Ansammlung der fremdartigen, großen Hütten, deren Enden er nicht sah, so sehr er auch den Kopf in den Nacken legte. Und anstelle aller, welche Tlacal einmal gekannt hatte, liefen überall neue Menschen, so zahlreich wie Ameisen umher. Er hörte, wie sie sich untereinander einer Sprache bedienten, die er nicht verstehen, wie sie miteinander redeten, scherzten, lachten, woran er nicht teilhaben konnte, an ihm vorbeiliefen, eigenen Agenden folgend. In diesem Traum rannte Tlacal ratlos zwischen ihnen umher und suchte Hilfe, doch alle seine Sätze und Gesten wurden mit unverständigen Blicken quittiert.

    Nur ein Wesen schien ihn zu verstehen: Ein Jaguar, unbehelligt in der Menge sitzend, welcher den jungen Krieger nicht eine Sekunde aus den Augen ließ. Diesem göttlichen Wesen aus dem Weg zu gehen, seinem Territorium durch ehrfürchtige Distanz den gebührenden Respekt zu erweisen, hatten ihm die Dorfältesten von Kindesbeinen an sorgsam eingebläut; zu seinen frühesten Lektionen hatte daher gehört, des Jaguars Pfotenabdrücke, Kratzspuren an Baumrinden, ja selbst den Geruch seines Urins zuordnen zu können, um ihn rechtzeitig zu meiden (tatsächlich war Tlacal bislang keinem begegnet, wenngleich er, zu Ausbildungszwecken, manches Mal ein Revier betreten hatte). Das Tier im Traum strahlte regelrecht in goldfarbener Aura, machte dem ihm zuerkannten übernatürlichen Ruf alle Ehre. Allen Veränderungen zum Trotz saß es weiterhin da, majestätisch, unantastbar wie eh und je, nicht im Geringsten betroffen vom Untergang vertrauter Welt; des Jaguars Augen waren am Glühen, sein Fell in Glanz gehüllt. In aller Gefährlichkeit repräsentierte er doch etwas Vertrautes für den jungen Mann, spendete gewissermaßen allein durch seine Anwesenheit Trost. Tlacal schöpfte neuen Mut, denn noch schienen ihn die Götter nicht vollends verlassen zu haben, dass sie einen der ihren gesandt hatten, um im Chaos zu wachen. Gleichzeitig spürte er Zweifel aufkeimen: Weshalb griffen sie nicht ein?

    Gleich am Morgen infolge jener Nacht, da er den verstörenden Traum zum ersten Mal gehabt hatte, war er zum Schamanen gegangen, welcher als Weisester im Dorf galt. Dieser interpretierte das Beschriebene als Zeitalter neuer Herausforderungen, welches ihrem Volk unmittelbar bevorstünde, allerdings nicht ohne jeglichen Beistand der Götter, wie Tlacal in Form des Jaguars selbst gesehen habe. Um deren Wohlwollen zu sichern, müsse er, dem sie dankbarerweise Einblick in die Zukunft gewährt hatten, ein gesundes, besonders schönes Tier erlegen und opfern.

    So geschah es bald, dass Tlacal, ermüdet von unruhigen Nächten mit ihren düsteren Visionen, oft viele Kilometer am Tag durch den unerbittlichen Dschungel streifte, ein dem Opferzeremoniell würdiges Ziel suchend, auch zur schicksalhaften Mittagsstunde, da wir ihn am Rande einer Lichtung antrafen, wo er aus Schlaf- und Konzentrationsmangel unvorsichtigerweise eingedöst war. Das tropische Klima, berüchtigt für hohe Luftfeuchtigkeit, dass man versucht war, zu glauben, man bewege sich überall durch zähe Masse, atme sie ein, erhalte mit Schweiß vermengte, klebrige Ablagerungen am ganzen Körper, trug, bei aller Gewohnheit, zusätzlich zur Entkräftung bei. Die Geräuschkulisse bestand aus Vogelgezwitscher und Brüllaffengeschrei, wenngleich jegliche Primaten es immerhin für den Moment vorzogen, zu schweigen, denn auch ihnen machte der heiße, stickige Urwald zu schaffen; weiters konnte man das Rauschen des nahegelegenen Flusses hören.

    Neben dem Jäger lagen Wurfspeer und Bogen; auf dem Rücken trug er einen Köcher voller Pfeile, im Lendenschurz steckten Schleuder nebst Beutel mit kleineren Steinen, mit welchen er üblicherweise Vögel ins Visier nahm, dazu der vom Vater einst als Geschenk erhaltene Obsidiandolch. Da schreckte ihn ein Geräusch hoch, alle prädatorischen Instinkte kehrten augenblicklich zurück: Inmitten der Lichtung, völlig unverdeckt von etwaiger Vegetation, stand der anmutigste Hirsch, den er jemals gesehen hatte; das Fell rot-bräunlich gehalten, mit schneeweißer Bauchseite, auf dem Kopf ein beeindruckendes Geweih, das es, einer Krone gleich, stolz vor sich hertrug. Jetzt galt es, Nerven zu bewahren; schnell und lautlos ergriff Tlacal, weiterhin bäuchlings, den Bogen mit links, zog mit rechts einen Pfeil vom Rücken, legte ihn in die Sehne, spannte an und zielte direkt auf den eleganten Hals des Tieres, welches gerade den Kopf hob, wie um seine Schwachstelle völlig zu entblößen.

    Der Hirsch sah genau in die Richtung, aus der sein Verderben kommen sollte, was Tlacal, mit gespanntem Bogen und Tunnelblick, für mehrere Sekunden irritierte. War er bemerkt worden? Das unbeeindruckte Weitergrasen des nur wenige Meter entfernten Wiederkäuers verneinte die Frage erwartungsgemäß, denn über den Anfängerfehler zu hastiger Bewegung war er als an Erfahrung gereifter, geduldiger Jäger mittlerweile erhaben. Wieder hob der Hirsch den Kopf, starrte geradeaus; da erklang mit einem Mal ferner Donner, wie man ihn vor einem Gewitter vernahm, doch hielt er nur einen Augenblick an. Das war bereits genug: Bevor Tlacal zur Tat schreiten konnte, sprang das scheue Tier ins Unterholz und war verschwunden. Zurück blieb er - ein verdutzt dreinblickender, um seine Beute gebrachter Mann. Was war passiert? Er stand mitsamt aller mitgebrachten Utensilien auf und ging vorsichtig die Schritte zur Lichtung hin. Wieder Donnergrollen, jetzt offenbar näher. Wo kam es her? Tlacal sah minutenlang zum nahezu wolkenlosen Himmel auf, wurde zornig. Als er schließlich frustriert herumwirbelte, hätte er beinahe laut aufgeschrien: Ungefähr fünf Meter vor ihm befand sich ein Jaguar.

    Zorn wich Panik, als er dem König des Dschungels, dem Hüter der Unterwelt gegenüberstand, der wohl Tlacals Traum entsprungen sein musste. Bei näherer Betrachtung entpuppte sich die Raubkatze jedoch weit irdischerer Natur; der Körper wies unzählige Narben auf, Zeugen vergangener Kämpfe gegen Rivalen – eine zog sich quer über das rechte, verletzungsbedingt blind gewordene Auge. Hinterbeine, Schwanz und Teile des Rückenbereichs wiesen Spuren der Pigmentkrankheit des Melanismus auf und waren großteils schwarz; ein Fangzahn war fast völlig abgebrochen. Das alles wäre jemandem, der Zeit und Nerven dafür gehabt hätte, den Jaguar zu studieren, zweifelsohne aufgefallen. Doch Tlacal begegnete nicht nur zum ersten Mal einem, sondern stand vor der Entscheidung, entweder zu fliehen oder den direkten Kampf zu suchen; ein Beschluss, der sofort gefällt werden wollte, bevor er dem Gefühl nachlassender Knie gehorchte. Selbst eine ganze Gruppe erfahrener Krieger hätte es sich zweimal überlegt, bevor sie gegen den fleischgewordenen, vierbeinigen Gott angetreten wäre. Zu groß der Nimbus, welcher

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