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2117: die Welt, die wir nicht wollten
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eBook336 Seiten4 Stunden

2117: die Welt, die wir nicht wollten

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Über dieses E-Book

Im Jahr 2117 steigt Clara, ein junges Mädchen aus gutem Hause, bei der falschen U-Bahnstation aus und gerät in die mörderische Ruinenlandschaft von East London am Ende des dritten Ölkriegs. Das Strichmädchen Suzy rettet ihr zuerst das Leben, um sie dann für das Bordell zu ködern.
Major Swietowsky, Security Chef eines der mächtigsten Männer des Planeten fliegt mit diesem in geheimster Mission nach Moskau, bei der Zwischenlandung in London endet ihre Reise unerwartet. Anna Radakovic, ihre Russisch Dolmetscherin spielt ein tödliches Spiel.
In Köln stößt Professor Reisinger auf alte Daten über eine geheimnisvolle Erfindung. Die Energiekrise mit ihren Atomkriegen um die letzten Ölressourcen hätte nie stattfinden müssen. Aber damit weiß er schon zu viel und wird von der Polizei der EU gnadenlos gejagt. Der Überwachungsstaat Europa kennt in den letzten Wohlstandsinseln der EU alle Geheimnisse seiner Bürger und niemand ist vor ihm sicher. Wer vom Computer als Terrorist identifiziert worden ist, ist so gut wie tot.
Aber Reisinger erhält die Hilfe eines geheimnisvollen Antiquars, der ihn in die Untergrundszene einführt, in der die Gesetze der EU nicht gelten. Gemeinsam fliehen sie nach London, das längst nicht mehr zur EU gehört, sondern völlig verarmt seine Unabhängigkeit verteidigt hat. Reisinger hat nur eine Adresse, die er auf alten CDs gefunden hat. Er weiß nicht, was ihn dort erwarten wird, aber die EU Truppen sind auf seiner Spur und kennen keine Gnade. Kann er überleben, oder müssen alle sterben, die er in das Geheimnis der Erfindung eingeweiht hat?
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum10. Dez. 2016
ISBN9783738095951
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    Buchvorschau

    2117 - Andreas Hermann

    Kapitel 1

    Wir schreiben das Jahr 2117. Der 5. Juni hat eben begonnen, draußen scheint die Sonne, ein strahlender Sommertag kündigt sich an. Es ist sechs Uhr morgens und Clara Peterson räkelt sich in ihrem Bett. Zum Aufstehen ist es noch zu früh. Sie ist zierlich und sehr blond. Ihr zartes Gesicht sieht zwar noch sehr verschlafen aus, sie kann aber nicht mehr einschlafen, obwohl sie erst um Eins ins Bett gegangen war. Gestern hatte die ganze Familie den fünfzehnten Geburtstag ihrer kleinen Schwester Judit gefeiert. Clara ist neunzehn und fühlt sich schon völlig erwachsen und ihrer kleinen Schwester komplett überlegen. Sie kennt die Welt und freut sich, im Hier und Jetzt und in Wohlstand und Luxus zu leben.

    Claras Vater ist Top Manager einer Bank. Was er genau macht, weiß Clara nicht, er hat es nie erzählt und es hätte Clara auch nicht wirklich interessiert. Sie wird einmal Modedesignerin werden, das ist sicher, und sie wird ihre eigene Firma aufmachen, so einen netten kleinen Luxus Label. Das ist ihr Traum und sie zweifelt keinen Augenblick an dessen Verwirklichung.

    Sie wohnt hier im Westen von London, in St. Marys Lodge, einer sehr noblen Siedlung am Rande von Greater London. Die Familie bewohnt ein äußerst luxuriöses Reihenhaus, das sich nicht jeder leisten kann, aber hier in der Nachbarschaft gibt es nur Familien, die sich solche Häuser leisten können. Es ist hier eine sehr ruhige Gegend. Früher lag in der Nähe der Großflughafen Heathrow, doch der ist längst aufgelassen worden, denn wer könnte sich heutzutage noch Fliegen leisten, wo es doch faktisch kein Öl mehr gibt. Von seinen Ruinen sollte man sich fern halten, wusste Clara.

    Sie geht auf das elitäre St. James College und wird jeden Tag vom Chauffeur der Familie mit dem Elektroauto hingebracht.

    Während sie sich im Bett wälzt, denkt sie an den nächsten Urlaub. Sie würden wieder in die Karibik nach Barbados fliegen. Die Inseln der Karibik waren vor Terroristen und Verbrechern sicher, denn die gehören zum Greater United Kingdom. Sie würde eine ihrer Freundinnen mitnehmen. Weil ihre Familie kann sich Flugreisen noch immer leisten, da war sie schon stolz darauf.

    Sie würden von dem kleinen Privatflughafen nordwestlich von London aus starten. Mit einem kleinen feinen Space Jet. Clara schauderte, wenn sie daran dachte, dass früher bis zu fünfhundert Leute in einem einzigen Flieger eingepfercht gewesen waren, aber so etwas gab es heutzutage nicht mehr.

    Aber heute ist Sonntag, da könnte sie sich in den Reitclub fahren lassen und ihre besten Freundinnen wieder einmal persönlich treffen, denn der dauernde digitale Tratsch am HYCO, wie die hyperdigitalen Communicators genannt werden, wird irgendwann auch langweilig. Ein Ausritt bei diesem strahlenden Wetter über die menschenleeren Wiesen am Rande von London wäre jetzt das Richtige. Einige dieser coolen Jungs vom Club wären auch dabei, da ginge sich sicher der eine oder andere Flirt aus. Aber im Haus schlafen noch alle tief und fest.

    Clara war ihr Leben in Luxus gewohnt und ihr käme nie in den Sinn, dass sich das einmal ändern könnte. Sie klickt ihr HYCO an und wählt einen Kanal. Sie will ein bisschen Musik hören. Doch sie vertippt sich und kommt auf einen interaktiven Nachrichtenkanal, bei dem sie sofort mitdiskutieren könnte, wenn sie wollte. Die Nachrichten interessieren sie gar nicht, und über Politik diskutieren will sie auch nicht. Der Präsident von GUK, dem Greater United Kingdom, in dem sie zu Hause ist, hat den Präsidenten von Europa getroffen und beide haben eine Verbesserung der Beziehungen ihrer beiden Länder in Aussicht gestellt. Die Gräben zwischen GUK und Europa müssen wieder zugeschüttet werden, betonten beide Politiker, schließlich hätten beide Länder ähnliche Interessen.

    Clara schaltete zu einem Streaming Portal und zog sich eine schrille Sequenz von Tönen und Bildern rein, allerdings leise, da sie nicht das ganze Haus aufwecken wollte.

    Sie wusste allerdings, dass es den Menschen früher nicht so gut gegangen war. Da wurden Kriege geführt und Leute ermordet. Da gab es Hunger und Armut. Die Staaten stritten gegeneinander und alle hatten Angst vor der Zukunft. So lernten sie das in Geschichte im College und nach jeder Geschichtsstunde musste sie an die armen Menschen aus früheren Jahrhunderten denken, die noch Not und Entbehrungen erdulden hatten müssen, und sie freute sich, im hier und jetzt im zweiundzwanzigsten Jahrhundert zu leben, wo es das nicht mehr gab.

    Im zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhundert soll es am Schlimmsten gewesen sein. In wahnwitzigen Weltkriegen kamen Millionen Menschen um oder wurden in Konzentrationslagern grausam ermordet. Dann hat es die Terroristen gegeben, die ganze Stadtteile in die Luft gejagt hatten. Der Krieg gegen die Terroristen und der Kampf ums Öl hatten sich das halbe einundzwanzigste Jahrhundert hingezogen. Dann waren endlich alle Terroristen besiegt worden und die Regierungen hatten feststellen müssen, dass fast alle Ölvorräte verbraucht oder zerstört waren. Stattdessen gab es Atomenergie und Strom in Hülle und Fülle. Sie fuhren jetzt alle mit Elektroautos durch die Gegend. Der Verkehr war früher viel dichter gewesen, hatten sie gelernt. Jetzt fuhren viele Bürger mit der U-Bahn und der Eisenbahn, denn die konnte mit Atomstrom fahren. Ihr Vater hat sogar einen kleinen Hubschrauber für zwei Personen mit Wasserstoffantrieb für seine Fahrten ins Büro. In dieser Siedlung ist das ganz normal, denn alle Top Manager haben da, und hier leben nur Top Manager.

    Kapitel 2

    Major Adam Swietowsky lehnt sich in seinem Stuhl zurück und betrachtet unzufrieden die Bildschirme, die in seinem Schreibtisch eingebaut sind, und mit denen er das gesamte Gelände, alle Gebäude und das umliegende Land überblicken konnte. Es ist absolut nichts los. Sonntagmittags war hier noch niemals etwas los. Sein muskulöser und stämmiger Körper war hier nicht gefordert. Das Spezialkonditionstraining, welches er noch immer viermal die Woche absolvierte, war überflüssig. Er hätte sich auch einen Bierbauch antrainieren können. Aber das wiederstrebte ihm, seine Kondition und seine Fitness waren sein ganzer Stolz. Obwohl auch seine Intelligenz für diese Art von Job viel zu hoch war. Aber was sollte er machen, das Leben hatte ihn hierhergesetzt und hier sitzt er nun und langweilt sich.

    Major Swietowsky hat diesen Überwachungsjob seit drei Jahren inne und er hasst ihn. Es gab hier nichts zu tun für jemandem, der das Handeln gewohnt war, aber er wurde wenigstens gut bezahlt. Seine Brigade bei der Armee war aufgelöst worden und sie hatten keine Verwendung mehr für ihn gehabt. So war er nach zwanzig Dienstjahren bei der Army abgerüstet worden und hatte als Mitvierziger diesen öden Überwachungsjob annehmen müssen. Für einen Major war das eine Degradierung gewesen. Geheiratet hatte Swietovsky nie, für die Gründung einer Familie hatte er die Zeit nicht gefunden, da er immer in irgendeinem Kampfeinsatz gewesen war. Seine Meinung war, dass sich dann zu Hause keine Frau um sein Überleben Sorgen machen müsse, und es ihm egal sein konnte, an welchem Winkel des Planeten er seinen Dienst versah. Und hier, fernab der großen Städte, in der Provinz von Amerika, interessierte sich niemand mehr für den muskulösen ehemaligen Major.

    Die einzige Genugtuung, die er hatte, bestand in der Wichtigkeit seines Dienstgebers. Er bewachte schließlich als Kommandant der Wache den Hauptlandsitz von Mister Tom Swallows, den Präsidenten von Union Arms. Union Arms ist der größte Konzern für Sicherheitsausrüstungen und Verteidigungssysteme, wie das so schön hieß, dessen Aktien im Augenblick an der Börse am Begehrtesten waren. Das war der einzige Lichtblick im Leben Adam Swietowskys, denn einige Kilometer vom Haupthaus war ein Testgelände für diverse Ausrüstungen. Diese Tests waren immer der Höhepunkt seines eintönigen Lebens als Chef der Wache, denn da konnte er immer dabei sein.

    Das gesamte Grundstück umfasste neben einigen Quadratkilometern Wald und Wiesenflächen etliche Gebäudekomplexe und lag im amerikanischen Bundesstaat New Hampshire. An das im Neuenglandstil des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts errichtetet Haupthaus in der Größe eines englischen Herrschaftssitzes waren etliche Nebentrakte angebaut worden. In einem davon hatte Adam Swietowskys seinen Arbeitsplatz. Er war Chef über die vierzig Mann der Sicherheitswache des Grundstückes und Herr über Leben und Tod, wenn es einmal ernst werden sollte. Immerhin gab es über 800 Bedienstete und Angestellte auf diesem Landsitz, der in Wirklichkeit ein Teil der Konzernzentrale von Union Arms, dem größten weltweit noch existierenden Rüstungskonzern, war. Seit Swietowsky hier seinen Dienst versah, hatte es noch keinen ernsten Zwischenfall gegeben.

    Die Uhr auf seinem Schreibtisch zeigt Sonntag, den 5. Juni 2117. Die Bildschirme auf seinem Schreibtisch geben nur friedliche Wiesen und Waldgebiete wieder. Die Hauptumzäunung läuft kilometerweit durch Wälder und Wiesen. Die Kameras zeigen kein menschliches Wesen und auch keine verdächtigen Fahrzeuge, die sich dem Landsitz nähern. Die Bewegungsmelder geben nur die Bewegungen von Rehen und Hasen wieder. Adam sieht sich vor Langeweile die Logfiles seiner Patrouillentrupps der letzten drei Tage durch. Nichts war vorgefallen. Er verflucht seinen Job, der ihn in die sicherste Gegend der Erde und in die größte Langeweile seines Lebens geführt hatte. Er war schließlich Soldat und gewohnt, in Krisengebieten aktiv zu sein. Da konnte das hier schon lähmend werden. Er fühlte sich langsam alt werden und das war umso bitterer, weil er hier nicht seinen Fähigkeiten entsprechend eingesetzt war und sich daran auch nichts mehr ändern würde, wie er fälschlich dachte. Wenn er sich an seine Einsätze in Nordafrika währende des dritten Ölkrieges erinnerte, da wurde ihm immer richtig warm ums Herz. Seine Einheit hatte Tobruk bis zum Schluss gehalten und alle Angriffe der Rebellen abgewehrt. Das war einer seiner schönsten militärischen Erfolge gewesen, aber leider völlig umsonst. Er hatte als Kommandant eines Außenpostens fast täglich Feindkontakt und sie hätten die Stadt bis zum Friedensschluss verteidigt, doch dann kam der Befehl zum sofortigen Rückzug. Er wollte den Befehl schon verweigern und seine schöne Stellung nicht aufgeben, als ihm einer seiner arabischen Informanten den wahren Grund für den Rückzug nannte, den ihm seine Vorgesetzten verschwiegen hatten. Mit fünfundzwanzig seiner Leute schaffte er es dann, die letzte Hercules zu erreichen, die je von Tobruk aus starten sollte, denn fünfzehn Minuten später detonierte die Atombombe, die die Rebellen im Stadtzentrum versteckt hatten und löschte seine Einheit und alle verbliebenen Bewohner von Tobruk samt ihrer Stadt so gründlich aus, das heute nicht mehr erkennbar ist, dass dort je eine Stadt gestanden hat.

    Aber das war jetzt mehr als zehn Jahre her und der Krieg war zu Ende. Seufzend greift er in seinen Kühlschank unter dem Schreibtisch, nimmt sich trotz Alkoholverbots im Dienst ein Bier und lässt die Dose zischend aufspritzen.

    Kapitel 3

    Professor Dr. Stefan Reisinger betrachtet versonnen den Rhein. Von seinem Arbeitsplatz im dreiundvierzigsten Stock des Institutsgebäudes der Universität Rheinland, direkt am Flussufer in Köln, kann er das silberne Band des Rheins in der Abendsonne viele Kilometer nach Nordwesten mit seinem Blick verfolgen.

    Er denkt nach. Dazu betrachtet er oft den Flusslauf, der schon seit Jahrtausenden hier in seinem Bett strömt und dabei schon so vieles erlebt hat. Vor mehr als Tausend Jahren hatten hier in Worms und Speyer die Deutschen Kaiser residiert. Später im neunzehnten Jahrhundert hatten sich deutsche Chemiekonzerne hier angesiedelt und waren groß und mächtig geworden. Das Dritte Reich war entstanden und wieder vergangen. Die Einigung Europas war gekommen. Jetzt war Europa groß, stark und wohlhabend. All das hatte der Fluss gesehen und es hatte ihn nicht bekümmert.

    Reisinger war heute Sonntag ins Büro gefahren, weil er am Morgen eine Eingebung gehabt hatte. Er hatte keine Familie und keine Frau wartete auf ihn. Er war Historiker am Institut für Zeitgeschichte und lebte nur für seinen Job. Er war noch keine Fünfzig Jahre alt, doch in der Regel hielten ihn die Kollegen und auch die Frauen für weit jünger denn sein Aussehen gleicht dem eines fünfunddreißigjährigen sportlichen Managers, und nicht dem eines verschrobenen Tüftlers, der er eigentlich ist.

    Nun war bereits der Abend des 5. Juni 2117 hereingebrochen und Reisinger war nicht einen Millimeter bei seiner Arbeit weitergekommen. Sein Gehirn schien wie vernagelt zu sein, er kann aber keine Lösung für sein Problem finden. Sein Problem liegt tief im vergangenen zwanzigsten Jahrhundert verborgen und lässt ihn nicht ruhen.

    Ein leises Piepen schreckt ihn auf. Es hatte schon eine ganze Weile gepiepst, bis er es bemerkt hatte. Die Security Karte, die ihn als Mitarbeiter der Universität ausweist, hatte Alarm geschlagen, da die Verbindung zu seinem Security Chip, den er im linken Unterarm implantiert trug, abgerissen war. So ein Mist, eine technische Fehlfunktion und eine ärgerliche Unterbrechung seiner Arbeit, denn um die Sache beheben zu lassen, wird er morgen früh die UNI Klinik aufsuchen müssen. Ohne funktionierende Karte und Chip kommt man im Jahr 2117 nicht weit. Die nächste Security Controll Station würde Alarm auslösen und man würde ihn mühsam neu identifizieren müssen. Das kostet viel Zeit. So etwas war ihm noch nie passiert. Kein Chip gibt im Jahr 2117 vorzeitig seinen Geist auf. So etwas hat es im zwanzigsten Jahrhundert gegeben, aber nicht heutzutage.

    „Hoffentlich hält die Karte noch lange genug". Dachte er, sonst würde er die Nacht auf der Uni verbringen müssen, da die Security Systeme ihn ohne Karte nicht erkennen würden und der Ausgang für ihn verschlossen bliebe.

    Seine Idee von heute Morgen kommt ihm wieder in den Sinn. Er hatte doch tatsächlich das Gefühl gehabt, dass er aus Zufall einer ganz heißen Sache auf der Spur war, deren Ursprung weit in der Vergangenheit irgendwo im zwanzigsten Jahrhundert zu suchen war. Der Name Professor Fowey war ihm in den Sinn gekommen, aber er hatte in keiner Datenbank etwas über ihn finden können. Diesen Namen gab es nicht und er konnte sich nicht erinnern, wo er den Namen aufgeschnappt hatte. Er musste den Namen in einem alten Papier gelesen haben. Irgendetwas aus Papier musste es gewesen sein. Das hieß, die Information musste sehr alt sein und aus einer Zeit stammen, als es noch üblich war, Daten auf Papier auszudrucken. Damals musste es noch Drucker gegeben haben.

    „Der ganze Tag sinnlos vertan, nichts gefunden und ein kaputter Chip. Eine magere Ausbeute", dachte der Professor. Verdrossen verriegelt er sein Büro. Dafür war die Karte wenigstens noch zu gebrauchen. Da er beim Verlassen der Uni nur die Karte, aber keine persönliche Identifikation brauchte, könnte er sich in Ruhe zu Hause ausschlafen. Vorher würde er eine Flasche Rheinwein öffnen und an die Vergangenheit denken.

    Der Sicherheitsdienst beim Gebäudeeingang grüßte freundlich wie immer, als er in seinem komfortablen Elektro BMW aus der Tiefgarage rollte.

    Kapitel 4

    Es ist Montag, der 6. Juni 2117. Clara weiß selbst nicht, was in sie gefahren ist. Gestern spät am Abend hat sich Michelle, eine ihrer besten digitalen Freundinnen, die in San Francisco lebt, am HYCO gemeldet und erzählt, dass sie erstmals in Europa sei, da sie ihren Vater auf einer Geschäftsreise begleite. Sie sei in der Londoner City im Hilton abgestiegen, gleich beim Hyde Park. Eigentlich war sie nur zum Einkaufen da, denn im GUK, dem Greater United Kingdom gab es so viel mehr Auswahl als im fernen heruntergekommenen San Francisco. Ihr Vater hatte jede Menge Business Meetings, und so war sie auf sich selbst angewiesen. Mit ihrem Leibwächter verstand sie sich nicht gut, eine reale Freundin wäre besser. Ob sie sich nicht treffen könnten, denn sie hatten sich ja noch nie in Realität gesehen, immer nur über Internet HYCO geredet und Bilder ausgetauscht.

    Und Clara hatte tatsächlich zugesagt. Erst danach war ihr gedämmert, auf was sie sich da eingelassen hatte. Doch es war zu spät, sie wollte ihr einmal gegebenes Versprechen an Michele nicht brechen, denn sie war neugierig, wie Michele in der Realität sein würde.

    Aber ihr Vater würde ihr den Trip in die City niemals erlauben, „viel zu riskant", würde er sagen, das wusste Clara. So beichtete sie Peter, dem Chauffeur der Familie, dass sie beabsichtige, morgen die Schule zu schwänzen, um sich mit ihrer amerikanischen Freundin einen schönen Tag in der City zu machen, er müsse sie nur hinbringen, so dass Vater nichts davon erfährt.

    Doch Peter konnte sie nicht unterstützen, da er Montag anderwärtig gebraucht würde und er sie nicht heimlich in die City und wieder zurückbringen könne. Sie solle sich den Trip aus dem Kopf schlagen, viel zu gefährlich, waren seine Kommentare zu ihrer Idee.

    „Dann nehme ich eben die U-Bahn, hatte sie trotzig behauptet. Peter war Farbiger, aber nach dieser Meldung sah er sehr blass aus. „Das melde ich Ihrem Vater!, stieß er hervor. „Dann sorge ich dafür, dass du entlassen wirst, denn glaubst du, ich weiß nicht, dass du heimlich Botendienste für andere Leute erledigst. Wenn das bekannt wird, dann fliegst du hier raus."

    Sie einigten sich auf einen Kompromiss. Er würde sie in der Früh zur U-Bahn bringen und in der Schule melden, dass sie krank sei. Und sie solle ja gut auf sich aufpassen, schärfte er ihr ein. Wohl war ihm nicht dabei, aber gegen ihre Argumente kam er nicht an, und sein Job war ihm wichtig, denn viele solche gutbezahlten Jobs gab es ja nicht mehr, seit der letzte Ölkrieg zu Ende gegangen war.

    Nun sitzt Clara in der U-Bahn. Es ist die Piccadilly Line und sie ist ganz aufgeregt, sie ist noch nie in ihrem Leben mit der U-Bahn gefahren. Sie soll Hyde Park Corner aussteigen, da kann nichts passieren, hatte ihr der Chauffeur eingeschärft.

    Der U-Bahnwagen war uralt, aber sauber. Er ratterte und schepperte über einen anscheinend ebenso alten Gleiskörper mit einer für Clara viel zu hohen Geschwindigkeit. Verwundert bemerkt sie, dass der Zug an den meisten Stationen nicht hält. Die Stationen, durch die sie fuhren, sahen irgendwie düster und verwahrlost aus. Die Stationen, wo der Zug hielt, machten einen sauberen und gepflegten Eindruck.

    Der vergilbte Plan an der Wagendecke hatte aber alle Stationen verzeichnet und nicht nur die, wo sie tatsächlich stehen blieben. So war Clara bald verwirrt, da sie die Stationen nicht hatte zählen können, die sie schon passiert hatten. Ihr war nicht mehr klar, wo sie sich gerade befand. Wann würde Hyde Park Corner kommen? Sie musste jemanden fragen. Aber wen, der Wagen war sehr spärlich besetzt. Nur einige ältere, ärmlich gekleidete Leute saßen darin.

    Clara fühlt sich ein wenig ängstlich. Das Gefühl der Angst kennt sie nicht. Sie will ihr HYCO checken, das hat auf alles eine Antwort, das wird ihr gleich sagen, wo sie ist. Aber das Gerät zeigt nur, „Keine Verbindung möglich". Das kennt Clara gar nicht, eine leichte Panik beginnt in ihr hochzusteigen. Ein Funknetz gibt es doch überall, das weiß sie ganz genau, wo ist sie hier hineingeraten, und wie kommt sie hier wieder heraus.

    Sie gibt sich einen Ruck, unterdrückt die Panik, steht auf und spricht die ältere, in einen zerschlissenen braunen Mantel gehüllte Frau an, die drei Reihen vor ihr sitzt.

    Diese mustert ausgiebig ihre blitzsaubere Jean und ihre weiße Bluse, die sie unter ihrem Blazer trägt und meint schließlich mitleidig, „aber Kindchen, wenn so eine, wie du U-Bahn fährt, dann sollte sie auch wissen, dass Hyde Park Corner schon seit dem Brand vor fünf Jahren gesperrt ist, und du in Green Park aussteigen musst, wenn du zum Hyde Park Corner willst".

    Der Zug stand gerade in einer Station und setzt sich eben in Bewegung, als Clara aus dem Fenster blickt und das Schild „Green Park" erkennen kann. Nun rattert er bereits wieder durch den dunklen Tunnel. Sie war über Hyde Park Corner hinausgefahren. Was soll sie jetzt tun? Die ältere Frau will von ihr wissen, wieso sie überhaupt in der U-Bahn sitzt. Clara druckst herum und verschweigt die Wahrheit. Die Frau erzählt, dass sie Putzfrau sei, und nun von der Arbeit nach Hause fährt. Ihr Job in der City besteht aus Nachtarbeit mit geringem Einkommen. Sie gibt ihr den einfachen Rat, bis zur Endstation im Zug zu bleiben, und dann bis Green Park zurückzufahren. Clara widerspricht heftig, denn das würde mehr als eine Stunde dauern, da es noch sechzehn Stationen bis zum Endbahnhof wären.

    Doch die Frau warnt sie, sie kämen jetzt durch die dunkle Zone, da könne man nicht aussteigen, sie solle bei ihr bleiben, sie fahre auch bis zum Endbahnhof.

    Das kam Clara nun doch sehr verdächtig vor. Wer war die Frau wirklich und was wollte sie von ihr? Und was ist eine „dunkle Zone"?

    Aber der Zug hielt nirgends und ratterte durch alle Stationen durch. Doch nach einiger Zeit wurde der Zug plötzlich langsamer, rollte in eine Station ein und hielt. Clara springt von ihrem Sitz hoch und rennt zur Tür. Die alte Frau rief ihr noch nach, „Bleib, da, du bist verloren da draußen." Die Tür aber ließ sich leicht öffnen und Clara macht den Schritt auf den Bahnsteig. Endlich aus der U-Bahn heraußen. Wer weiß, wo der Zug wirklich hinfährt und warum die Frau sie hatte überreden wollen, bis zur Endstation mitzufahren.

    Die Tür des Wagons glitt hinter ihr zu und Clara hörte die Frau drinnen noch rufen, „Komm´ zurück, das ist keine reguläre Station." Clara sah sich um und sah, dass die Station völlig verfallen war. Ein Schild mit der Aufschrift Highbury & Islington hing an nur mehr einer Schraube schräg von der Wand herunter. Das Wasser tropfte von der Decke. Clara begann zu begreifen und rannte auf die Tür zu. Doch diese war bereits verriegelt und der Zug setzte sich eben wieder in Bewegung. Sie trommelte gegen die Tür, konnte sie aber nicht mehr öffnen. Der Zug nahm Fahrt auf und wurde immer schneller. Bald war er im Tunnel verschwunden und Clara konnte nur mehr sehen, wie die rote Heckleuchte immer schwächer wurde und schließlich hinter einer Tunnelbiegung ganz verschwand. Das erste Mal in ihrem Leben bekam sie wirklich Angst, denn als sie die Station genauer ansah, erkannte sie, dass hier normalerweise keine Züge hielten.

    Der Bahnsteig war von Unrat und Abfällen übersäht. Wenige vergilbte Lampen gaben ein gespenstisches Dämmerlicht und es schien, wie wenn die am Boden liegenden Pappkartons als Schlafplätze von Menschen genützt würden. Clara schauerte.

    Zur selben Zeit hatte Peter, der Chauffeur, Gewissensbisse und rief über sein HYCO Clara an. Seine Gewissensbisse steigerten sich, als sie nicht antwortete. Peter wusste, dass in der Londoner City ein guter Netzempfang war. Was er nicht wusste, dass Clara in East End festsaß, wo es überhaupt kein Mobilnetz mehr gab.

    Peter, der nicht wusste, was er tun sollte, beschloss zur vereinbarten Zeit beim U-Bahnhof auf Clara

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