Working Class Hero oder Frauke von damals
Von Hans Wienrich
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Über dieses E-Book
Dieser Anstoß bewirkt, dass Benito seine derzeitigen Lebensumstände in Frage stellt und seinen Lebensweg nach und nach Revue passieren lässt. Wie er sich als 68er Student unter die Arbeiter mischte und nachdem er eine Zeitlang im Betriebsrat aktiv war, einen beruflichen Aufstieg begann. Seine Ehe, die kinderlos geblieben ist und die jetzt davor steht, geschieden zu werden. Sein Liebesverhältnis mit einer aufstrebenden Kollegin aus der ehemaligen DDR, deren überschäumende Energie ihn auch beruflich herausfordert. Und während Kati, die junge Geliebte, dabei ist, sich im brodelnden Berlin der neunziger Jahre einzurichten, kann Benito sich nur schwer aus seinen hanseatischen Verhältnissen lösen.
Als er endlich soweit ist, sich an das frühe Liebesverhältnis mit Frauke von damals zu erinnern - und daran, wie er sie verlassen hat - will er sie noch einmal sehen…
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Buchvorschau
Working Class Hero oder Frauke von damals - Hans Wienrich
1
Als die Schnauze des BMW sich zur Abfahrt in die Tiefgarage senkte, drängten die Gedanken nach oben.
Ein Anruf aus einer anderen Welt. Dass es Wolfgang noch gab. Und der war ganz der Alte. Bei denen war alles so geblieben, wie er es kannte, alles, was er weit hinter sich gelassen hatte. Wolfgang und Else da draußen. Die arme Frauke.
Benito fuhr die Spirale hinunter und parkte den Wagen im zweiten Unterdeck auf dem für ihn reservierten Platz. Er stieg aus, zog seinen Aktenkoffer aus dem Kofferraum, verschloss das Auto und ging auf die Tür zu, die aus der trüben und ein wenig ölig riechenden Atmosphäre des unterirdischen Parkhauses hinaus führte.
Als er die schwere Stahltür öffnete, schwappte ihm ein Schwall von Unruhe und Wortfetzen entgegen. Etwa zwanzig Personen standen wartend vor den Fahrstuhltüren. Er begriff sofort, dass höchstens einer der beiden Fahrstühle funktionierte. Knapp grüßte er Bekannte und ging geradeaus auf das Treppenhaus zu. Jemand öffnete ihm die Tür. Mit festen Schritten nahm er die ersten Stufen. Er hörte, wie ihm eine ganze Reihe von Mitarbeitern folgten und, wie er, die beiden Stockwerke hinauf zu Fuß nahmen. Er bemühte sich um ein ruhig-stetiges Treppensteigen, spürte aber bald, wie er von seiner führenden Position getrieben wurde. Schon nach einer Etage wurde ihm warm. Es war eindeutig - er war nicht mehr in bester körperlicher Verfassung. Dagegen sollte er bald etwas unternehmen. Immerhin müsste er jetzt, da Jutta ausgezogen war, Zeit für Sport und Fitness erübrigen können. Als er endlich das Erdgeschoss erreicht hatte, schwitzte er. Wieder beeilte sich jemand, ihm die Tür zu öffnen.
In der Eingangshalle wiederholte sich in größerem Maßstab die Situation aus der Tiefgarage. Vor den Fahrstühlen eine große Ansammlung von wartenden Angestellten. Man ereiferte sich darüber, dass, obwohl eine Fahrstuhllinie wegen Defekts ausgefallen war, man auch eine zweite für Wartungsarbeiten abgeschaltet hatte. Einige Kollegen, die im ersten oder zweiten Stock arbeiteten, entschieden sich für die Treppe. Für die meisten - es ging schließlich hinauf bis zum 19. Stock - kam das nicht in Frage.
Benito hatte sich zum Verschnaufen etwas abseits gestellt. Mehrmals nickte er routiniert-freundlich dem einen oder anderen Wartenden zu. Da spürte er - noch ohne sie zu sehen - ihren Blick. Unter den Wartenden stand Jutta. Sie ging im Allgemeinen früher als er zum Dienst, so dass sie sich unter normalen Umständen nicht begegneten. Vermutlich hatte sie heute gewartet, weil ihr der Fußweg in den fünften Stock zu beschwerlich war.
Sie sah verändert aus. Sie trug kurz geschnittenes, rot gefärbtes Haar und wirkte, obwohl traurig, irgendwie klarer, bestimmter. Als ob sie sich zu etwas durchgerungen hätte.
Die beiden schauten sich einen Moment unentschlossen an. Viele der Mitarbeiter kannten sie als Paar. Einige wenige wussten, dass sie seit einigen Wochen getrennt lebten.
Sie bewegten sich aufeinander zu und begrüßten sich mit einem Nicken. Jutta fragte, ob er heute oder an einem der nächsten Abende zu Hause sei - sie wolle am Telefon etwas mit ihm klären. Er bedauerte. Heute Abend müsse er noch einen Krankenbesuch abstatten und ab morgen sei er für einige Tage auf einer Konferenz. Sie fragte, ob mit seinem Vater etwas nicht in Ordnung sei. Nein, wieso? wehrte er ab. Erst als er ihr besorgtes Gesicht bemerkte, fügte er hinzu, es handele sich um eine Freundin aus früheren Zeiten, die liege mit Krebs in der Uni-Klinik. Das tue ihr leid - dann solle er sich melden, wenn er Zeit habe. Worum es überhaupt gehe. Das wisse er doch. Sie zögerte mit einer Erklärung. Es handele sich um den Termin beim Rechtsanwalt: ob sie dabei bleiben wollten.
Wieso?! das war doch abgemacht.
Wenn du meinst. Jutta wandte sich ab.
Sie konnte noch mit in den Fahrstuhl hinein huschen. Als die Türen sich schlossen, schaute sie kurz zu ihm herüber.
2
In der 13. Etage stieg Benito aus, ging um den Fahrstuhlschacht herum zum rückwärtigen Eingang des Rechenzentrums. Er hielt seine Codekarte gegen das in der Wand eingelassene Lesegerät, die Tür entriegelte, und er betrat den großen Raum, der vom beständigen Rauschen der Klimaanlage erfüllt war. Seit er die alten Platteneinheiten gegen moderne hatte austauschen lassen, gab es hier viel freien Platz, der erstaunlicherweise noch nicht wie sonst von nachdrängenden neuen Gerätschaften in Anspruch genommen worden war.
Die Operatoren hatten sein Kommen sofort bemerkt. Sie gerieten in Bewegung. Wagner legte einen aufgeschlagenen IBM-Ordner auf seine Morgenzeitung, Schmidt nahm eine Rolle in die Hand und ging auf die Bandstation zu, nur Lorenz blieb ungerührt an seinem Platz, da er sowieso an der Systemkonsole saß.
Er begrüßte alle drei mit Handschlag. Er fragte, wie jeden Morgen, ob die Online-Systeme sauber liefen. Die meisten ja, Schwierigkeiten mache das Buchhaltungssystem - da habe es in der Nacht einen Absturz im Batch-Lauf gegeben. Nach Angaben der Nachtschicht sei die Online-Programmierung verständigt. Benito fragte, ob sie sich vergewissert hätten. Er kannte seine Pappenheimer und ahnte, dass sie sich auf die Angaben der Nachtschicht verlassen hatten, anstatt selbst nachzuhaken. Die Wagnerschicht war bekannt für ihre Lässigkeit - er würde mittlerweile sagen: Nachlässigkeit. Wagner beeilte sich zum Telefonhörer zu greifen, um Behnke - Gruppenleiter Programmierung - anzurufen. Und als Benito den Rechnersaal verließ, kam ihm Behnke mit einem seiner Programmierer entgegen. Angeblich war der Zettel, den die Nachtschicht auf den Schreibtisch gelegt hatte, unter andere Unterlagen geraten und deswegen übersehen worden. Vermutlich aber hatten die Herren Programmierer wie jeden Morgen erst einmal über Börsenkurse und Geldanlagen palavert und noch gar nicht mit der Arbeit begonnen.
Er ging hinüber zu seinem Büro. Rosi, die Sekretärin, begrüßte ihn freundlich. Die Buchhaltung hatte sich natürlich schon bei ihr gemeldet. Er ärgerte sich über die Wagnerschicht und die Programmierer und bat Rosi, noch einmal oben anzurufen und zu erklären, dass eine Platteneinheit ausgefallen sei. Der Schaden werde in ca. einer halben Stunde behoben sein.
Er ging nach nebenan und stellte seine schwere schwarze Tasche auf die Fensterbank. Rosi brachte den Postordner und legte ihn geöffnet auf den Schreibtisch. Für zehn stand ein Vertreterbesuch an. Das Angebot für den Austausch sämtlicher Terminals in der Abteilung lag in der Mappe.
Sie blieb neben dem Schreibtisch stehen. Er legte die Stirn in Falten und schaute zu ihr. Sie fragte, was mit der Hotelbuchung für Berlin sei.
Er zuckte mit den Schultern - da sei noch nichts geklärt. Er spürte ihr Interesse, aber