Treibgut: und andere Geschichten
Von Johs. Georget
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Buchvorschau
Treibgut - Johs. Georget
Ladi Sal
Hinter der Fensterscheibe streifen die Sonnenstrahlen wärmend das Gesicht von Brogda. Genüsslich lächelnd und behäbig mit den Äuglein blinzelnd nimmt er sie auf. Zum ersten Mal nach dem gestrengen Winter scheint heut die Sonne kräftig genug, um die Haut zu erwärmen. Und die Seele. Ach, seufzt er, und die Lachfältchen um seine Augen, seinen Mund, seine Nase, ja auf seinem ganzen rosigen, wohligen Gesicht, kräuseln außen die Haut und innen das Gemüt, ach, seufzt er, und freut sich, dass sie vorbei geht, endlich, diese trostlose, dunkle, kalte Zeit. Es wird wieder Frühling werden. Bald, schon bald. Die Luft wird wärmer zuerst und dann der Boden. Endlich. Dann kommt wieder Bewegung in seine alten Knochen und Leben in die Welt. Gut wird sie ihm tun, die Arbeit im Garten, auf die er sich freut und die Pflänzlein, die lieben, das ist gewiss, sie werden es ihm danken.
Er ist Gärtner von Passion. Die kleine Wohnung im Dritten, wo er wohnt mit seiner Frau, verlässt er nur zu gern. Drei Zimmerchen sind es nur. Die Enge dort engt ihn ein. Und seine Frau. Beidem versucht er zu entrinnen, und das möglichst oft. Sein lieber Garten bietet ihm dazu willkommenen Anlass und hinreichenden Vorwand. Nein, nein, nicht Ausrede: Weil, es gibt doch dort immer soo viel zu tun.
Doch noch ist es kalt. Trotz der Sonne. Der Wind beißt ohne Erbarmen in ungeschützte Nasen und Ohren, Finger und Zehen. Deswegen zieht Brogda sich warm an. Dicke schwarze, lederne Fäustlinge trägt er, die graue, wuschelige Pelzmütze mit den hängenden Schlappohren, einen gelborange karierten Schal, dicht gewickelt um Hals, Mund und Nase, die gut gefütterten gelben Gummistiefel an den Füßen, zusätzlich noch wärmende Füßlinge natürlich, und, unter seiner grünen Latzhose, nebst langer, baumwollgelber Unterwäsche selbstredend, einen dicken, grauen Rollkragenpullover, als er auf sein Moped steigt. Moped, das ist jetzt nicht ganz der korrekte Begriff, denn es hat einen Kickstarter und müsste eigentlich Mokick heißen. Der Gewohnheit gemäß nennt er es Moped und nicht Mokick. Schon immer, und das will er partout nicht ändern: Warum auch?
Der Helmpflicht entzieht sich Brogda. Zwischen Haus und Garten benutzt er nur Feld- und Wiesenwege. Selbst zu den wichtigen Bau- und Gartenmärkten gelangt Brogda mit seinem Gespann auf verschlungenen, nur ihm bekannten Pfaden, ohne jemals eine richtige Straße auch nur queren zu müssen.
Prompt springt das Moped mit gezogenem Choke an, als Brogda auf den Starter peert. Ein Ruck geht durch das Gespann, als er den ersten Gang mit der Drehgriffschaltung einlegt. Der unverzichtbare kleine, grüne, schon so oft gestrichene und trotzdem aber überall blätternde Hänger mit den großen Speichenrädern, von denen eines eiert, ist leer und rumpelt, als Brogda vorsichtig die Kupplung kommen lässt, mit den Füßen nachhilft und mitsamt Moped, eine Rauchfahne hinter sich herziehend, schließlich in Richtung Garten knattert.
Der Anhänger und das Moped sind immer und unzertrennlich miteinander verbunden. Sicherlich wüsste niemand jemals eines von beiden einzeln gesehen zu haben. Der Mechanismus der Hängerkupplung ist für Brogda ja auch viel zu kompliziert. Wahrscheinlich sind die zum Öffnen erforderlichen Teile auch schon so eingerostet, dass eine Trennung gar nicht mehr möglich ist. Das interessiert Brogda aber wenig, solange alles funktioniert. Und: Es funktioniert ja!
Diesem Umstand hat Brogda seit vielen Jahren auch seinen unverwechselbaren Fahr-, vor allem aber seinen Parkstil angepasst. Vor dem Wohnhaus und vorm Garten pflegt er sein Gespann nach einer eleganten Wendeschleife stets auf gleiche Weise so zu positionieren, dass beim nächsten Losfahren einfach nur geradenwegs drauflos gefahren werden muss, ohne erst noch kompliziert wenden, rückwärts schieben oder sonst wie zirkulieren zu müssen. Schließlich sind Moped und Hänger einzig Mittel zum Zweck – nämlich selbst zum Garten zu kommen und für die wichtigen Dinge, die angeschafft, entsorgt oder einfach nur transportiert werden müssen – und nicht der eigentliche Gegenstand irgendwelcher irgendwie gearteten Akrobatik. Und dieses an- und abschwellende Geräusch des knatternden Mopeds mit seinem rumpelnden Anhänger in den Wendeschleifen und das letztendlich unvermeidliche Aufjaulen des Motors kurz vor dem Absterben, wenn er noch einmal so richtig Gas gibt, während er den Zündschlüssel zieht, sind so prägnant, dass ein jeder, der das hört, gleich ob Wohnungs- oder Gartennachbar, sofort Bescheid weiß: Brogda ist da!
Beim Garten angekommen sieht er zunächst einmal überall nach dem Rechten. Das tut er stets, vor allem dann, wenn er, so wie jetzt, längere Zeit abwesend war. Heute findet er das zerlegte und beiseite gestellte Glashaus heile vor und unversehrt, und atmet auf. Alle Scheiben sind noch ganz. Die Laube steht akkurat noch so, wie im letzten Herbst verlassen. Die Regenfässer sind kopfunter umgekippt, wie’s für den Winter sich gehört.
Tss, tss, neigt er kopfschüttelnd sein Haupt über den Rasen, wo sich der Maulwurf Male gesetzt hat, die er betrübt beäugt. Doch schon rinnt wieder ein Lächeln über Brogdas Lippen und spannt seine rosigen Backen als er so bei sich denkt, na, Maulwurf, zwei Wochen hast du noch, dich aus dem Staub zu machen, vielleicht auch drei, bis er raus ist, aus dem Boden, der Frost, dann beginnt er, der faire Kampf, Gärtnersmann gegen Wurf. Ob das wohl fraglich wäre, wer den wohl gewinnt? Hähä! Und schon malt sich wieder ein vergnügliches Lächeln auf Brogdas vom Eiswind rosiges Gesicht.
Noch dies – wo Spuren der Zeit – und jenes – wo das Wirken des Winters – zu beheben sind findet Brogda. Nichts Ungewöhnliches. Ein Winter war’s, wie jedes Jahr.
Und nun, wie schon in manchem Jahr zuvor, macht Brogda sich im Schuppen an die Inspektion seiner peinlichst gepflegten und mit gutem Altöl konservierten Instrumente. Alterung und Rost, Verschleiß und Korrosion werden in vielen Spätwintertagewerken bekämpft. Der Spaten wird gereinigt und poliert, obwohl sein Blatt noch immer wie ein Spiegel blinkt, jede einzelne Zinke von Harke und Grubber wird gespitzt, auch die einzige des Sauzahns, die Sense wird gedengelt und gewetzt, die Hacke geschärft. Die Federn und Mechanismen von Wühlmaus-, Maus- und Maulwurfsfalle bewegt Brogda gut durch und ölt sie satt, damit sie schnell und ohne sich und die von ihnen ausgehende Gefahr durch quietschende oder knarzende Geräusche zu verraten, zupacken können wenn Not am Mann ist. Die Walze des Düngerstreuers justiert er fein, so dass sie nur ja nicht, wie im vergangenen Jahr, blockiert, sondern stattdessen schön gleichmäßig verteilt, was der Ernte zuträglich sein soll. Die Spritze zerlegt und reinigt er, die eine und die andere Dichtung wird ersetzt, und montiert alles wieder aufs reinlichste und peinlichste genau zusammen. Das Öl wird gewechselt am Rasenmäher, damit der wie ein Kätzchen schnurrt, sein Schlagmesser und das des Häckslers so akkurat geschärft, dass eine Rasierklinge vor Neid erblassen täte, wenn sie nur könnte, der Vertikutierer mit neuen, scharfen Klingen versehen, damit er auch ja mühelos die alten Grasreste und Wurzeln aufschneiden kann, um frische Luft in den Boden zu lassen. Die Heckenscheren, sowohl die elektrische, wie auch die althergebrachte, werden auf Funktion geprüft, nachgeschärft und nochmals gut geölt, um den Rost fernzuhalten. Desgleichen widerfährt Rosen-, Baum-, Zweig- und Astschere.
Schließlich ist alles bereit. Nun, so meint Brogda, wohlwollend sein Werk betrachtend und behaglich in sich hinein lächelnd und sein Kullerbäuchlein unter der grünen Latzhose und dem dicken Rollkragenpullover mit der wieder behandschuhten Rechten klopfend, nun, meint er, nun ist’s Zeit.
Tagtäglich kommt jetzt Brogda in den Garten. Mit den Jahren hat er sich da eine gewisse Routine, ja, man muss schon sagen: Hat er sich erarbeitet, redlich! So muss er niemals in Hektik verfallen. Er