Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Johann von Horwarth, der österreichische Nicht-Österreicher
Johann von Horwarth, der österreichische Nicht-Österreicher
Johann von Horwarth, der österreichische Nicht-Österreicher
eBook331 Seiten4 Stunden

Johann von Horwarth, der österreichische Nicht-Österreicher

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Im revolutionären Vormärz von Wien im Jahre 1848 gründete Johann von Horwarth, Student der philosophischen Fakultät Wien, mit vier Freunden die revolutionäre Zelle "Die Legion der Wiener Aula". Gemeinsam mit anderen revolutionären Zellen kämpften sie in den Barrikaden von Wien gegen den Polizei- und Spitzelstaat des Fürsten Metternich und dessen Polizeichef Sedlnitzky.

Das Scheitern im Barrikadenkampf führte zu seiner Festnahme und Verurteilung zu zweijährigen Festungshaft verbunden mit der Aberkennung seiner Deutsch-Österreichischen Staatsbürgerschaft. Nach zunächst gelungener Flucht geriet er in die Arme des kaiserlichen Staatssicherheitsdiensts und wurde durch Repressalien selbst ein Teil dieses einst bekämpften Systems. Als rekrutierter Agent wurde er in Österreich-Ungarn zum Spielball krimineller Machenschaften internationalen Ausmaßes die bis in die höchsten Regierungsspitzen reichten.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum23. März 2014
ISBN9783847665083
Johann von Horwarth, der österreichische Nicht-Österreicher

Ähnlich wie Johann von Horwarth, der österreichische Nicht-Österreicher

Ähnliche E-Books

Thriller für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Johann von Horwarth, der österreichische Nicht-Österreicher

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Johann von Horwarth, der österreichische Nicht-Österreicher - Roman Ludwig Lukitsch

    Kapitel 1

    Oberstudiendirektor Ferdinand Sedlinger mit Professur an der Universität Wien, war ein sehr guter Freund meines Vaters Karl von Horwarth, welcher im Vorstand der Österreichischen Eisenbahngesellschaft tätig war. Beide verband eine große Liebe zu den verschiedenartigen Möglichkeiten welche die neue technische Erfindung Dampfeisenbahn, zu bietet hatte. Dennoch, gegensätzlicher konnten wohl keine Männer sein als Sedlinger und mein Vater. Die Stimme des Ferdinand Sedlinger, dieses großen, breiten und unförmigen Mannes war schon merkwürdig genug. Meist war sie weibisch erregt, schrill und hoch, fast hysterisch wirkend. Seine feminine Hand zu weiß, blass, zu feingliedrig. Zusammengefasst, keine Attribute die bei meinem Vater zu finden waren. Stolz war Ferdinand Sedlinger auf seinen Vornamen Ferdinand, den auch unser Kaiser Ferdinand der Gütige, Kaiser von Österreich, sein eigen nannte, doch für diesen Kaiser fand mein Vater nicht die geringsten Sympathien. Beide liebten diese neue Technik des Eisenbahnwesens, und dass verband sie. Auch ich teilte mit ihnen meine Sympathie zu dieser neuen Technik.

    Mein Name ist Johann von Horwarth, zurzeit Student der Philosophischen Fakultät an der Universität zu Wien, im Januar des Jahres 1848. Unsere Universität stellte vier Fakultäten, die Fakultäten der Mediziner, Juristen, Techniker und Philosophen, und ist nebenbei erwähnt, so morbid wie unsere Stadt Wien, wo aus dem Verfall schon längst eine höhere Daseinsform zelebriert wird. Die Hauptaufgabe unserer Universität war mehrheitlich die Erziehung nutzbringender Untertanen, welche für Staat und Klerus ihre Pflicht zu erfüllen haben.

    Und selbst die Buchwürmer in unseren Bibliotheken nagten im vollen Bewusstsein ihrer kultur-historischen Verantwortung an dem nutzlosen Inventar. Ich wollte nicht die Philosophische Fakultät besuchen und Griechische Philosophie und Alt-Griechische Sprache studieren, denn ich muss zugeben, dass mir hierzu jeglicher Intellekt fehlte. Es wurde jedoch per Erlass eines dieser unzähligen kaiserlichen Hofämter beschlossen, dass ich, Johann von Horwarth, die Philosophische Fakultät der Universität Wien zu absolvieren habe. Es gab keine Lehr- und Lernfreiheit, und so musste ich mich damit abfinden nicht die Technische Fakultät belegen zu dürfen. Ein Ingenieur in der Familie sei ausreichend, so in der Begründung stehend, da mein Vater bereits ein Ingenieur sei. Die Interventionen meines Vaters und auch die seines Freundes Sedlinger, welcher eine Professur in der technischen Fakultät innehatte, und der mich gerne als sein Student gesehen hätte, und nebenbei sich als mein persönlicher Mentor zu berufen glaubte, ergaben kein besseres Ergebnis als dass ich als neuer Student des Philosophischen im Personenverzeichnis der Universität geführt wurde. Also studierte ich Alt-Griechische Sprache und Griechische Philosophie, und nicht Maschinenbau oder Eisenbahntechnik, dabei interessierte ich mich nur für die Eisenbahn, schwarzen Dampf, Bahnhof, Trillerpfeife und Abfahrt. Von Griechische Philosophie verstehe ich wenig bis gar nichts. Meine Semesterabschlussprüfung in Griechischer Philosophie war eine einzige Katastrophe, und hatte den Griechischen Philosophen Spinoza zu behandeln. Ich gebe hiermit den Wortlaut meiner schriftlichen Semesterabschlussarbeit:

    Semesterabschlussarbeit in Griechischer Philosophie. „Die Attribute der Substanz Geist und Körper". Allhier in Behandlung: Aussagen des griechischen Philosophen Spinoza.

    Eine Ausarbeitung des Herrn Studenten Johann von Horwarth, Wien im Februar 1848.

    Wenn ein Dreieck sprechen könnte, würde es sagen, Gott ist dreieckig. Ein Kreis wiederum würde darauf beharren, dass das Wesen Gottes vor allem kreisförmig ist.

    (Mehr ist mir nicht eingefallen und so habe ich eine persönliche Anmerkung für Proedler geschrieben.)

    Persönliche Anmerkung für den geehrten Herrn Professor Proedler!"

    Spinoza hat Unrecht Herr Professor Proedler, Dreieck und Kreis schließen sich als Wesen Gottes aus, diese Geometrie birgt kein Platz für die immaterielle Seele. Herr Professor Proedler, ein Loch als Wesen Gottes aber ist die Idealform! Wenn ein Loch sprechen könnte würde es sagen – Der liebe Herr Gott ist ein Loch! Ein Loch hat den materiellen Rand – den Menschen, und das immaterielle NICHTS – die Seele. Das geht aber nur Herr Proedler, wenn das Loch unendlich ist, denn das Immaterielle muss unendlich, unsterblich sein. Das Loch beherbergt aber auch das Materielle, den Rand, den sterblichen, endlichen Rand. Wenn der Rand stirbt oder besser, durch den Tod eine Veränderung der Materie bewirkt, wo bleibt dann das Immaterielle? Wird der Rand, also der Mensch ein immaterielles Loch, wie Gott? Ein immaterielles Loch mit ebenso einem immateriellen Rand, da der Rand zur unsichtbaren Seele geworden ist. Ein Loch ist ein Loch und doch kein Loch! Ein Nicht-Loch - oder besser ein Über-Loch! Wenn Sie Herr Professor einmal Tod sind, reisen Sie oder wir alle wenn wir einmal tot sind, als immaterielle Nicht-Löcher oder besser, als Über-Löcher von Wien nach Triest oder Krakau, ohne Eisenbahn?

    Johann von Horwarth

    ***.

    Mehr fiel mir über Spinoza nicht ein. Zugebend kann ich sagen, dass Dreiecke und Kreise an sich sehr interessante Gebilde darstellen. Dies habe ich selbstverständlich in meine Semesterabschlussprüfung nicht zu Papier gebracht, auch nicht die Gedanken die ich hegte, währenddessen ich im Klassenraum vor meiner Prüfungsaufgabe saß. Meine Gedanken kreisten während meiner Aufgabe nur um das rechtwinklige Dreieck, und ich knabberte dabei genüsslich an meinem Fingernägel. Interessante Gedanken, dachte ich. Meine Gedanken kreisten um ein Dreieck, ein Gedankenkreis, ein kreisendes Gedankendreieck. Ein Dreieck Kreist - was gebärt es? Ein geometrisches Wunder?

    Die Zeit verrann, das Papier war noch leer. Heerscharen an Weisen der Antike, ob aus dem Babylonischen oder dem Griechischen haben sich mit dem rechtwinkligen Dreieck, dem wahren, edlen klar durchdachten Dreieck aller Dreiecke beschäftig. Ich jedoch bekam nichts gebacken, das leere weiße Papier war lange Zeit noch leer. Das leere Papier glotzte mich blöde an, dabei hatte ich gute Gedanken. Meine Finger, schöne geformte musische lange Finger – den Griffel haltend, brachten auf dem Papier nichts zuwege. Pythagoras von Samos schenkte dem edlen rechtwinkligen Dreieck seinen Pythagoreischen Satz. Ein Grund alleine schon für sich, einem Dreieck, dem rechtwinkligen, eine gewisse Berechtigung zur Aussage,– wenn es denn sprechen könnte, zu behaupten, dass Gott ein Dreieck ist. Proedler, Professor der Philosophie würde mich ob meiner philosophischen Gedanken loben, lieben, mich weinend mit seinen behaarten Affen-Armen an seinen verbauten unförmigen Körper drücken, oder der von mir für ihn erwünschte Schlagfluss treffen. Die Zeit verrannte, kein göttliches Dreieck konnte die Zeit bremsen und das Papier beschriften. Meine Gedanken konnten auch die kräftigsten Bremsklötze nicht bremsen, auch solche nicht wie sie an Kutschen vorhanden waren mit denen Bierfässer transportiert wurden. Ein schön gefüllter Krug mit Bier wäre jetzt zu dieser Stunde auch nicht zu verachten, dachte ich. Nun war in meinen Gedanken, Herr Archimedes der griechische Mathematiker und Physiker aus Syrakus an der Reihe. Archimedes und der Kreis. Welcher Mensch lässt sich schon eines Kreises wegen die Spitze eines Schwertes an die Gurgel drücken und schlimmer, sie von dessen durchschneiden zu lassen? Auch Kreise nicht, sollte Gott ein Kreis sein wie Kreise behaupten könnten wenn sie denn sprechen könnten. Auch Kegel, Halbkugel, ganze Kugeln und Zylinder, nicht. Spinoza hat Unrecht, keines dieser Figuren, Gestalten, Gebilden und Formen kann von sich behaupten, Gottgleich zu sein. Ich dachte, dass hierfür am ehesten die Archimedische Schraube seine Berechtigung haben würde. Die Archimedische Schraube ist unendlich in seinem Ablauf - ohne Anfang und ohne Ende. Einen aus Materie bestehenden Anfang zwar, und ein ebenso aus Materie bestehendes Ende. Endlich in seiner Funktion, doch in der zu bewältigenden Aufgabe allerdings unendlich. Wie die archimedische Schraube im Fleischwolf meiner Mutter, wenn sie Fleisch zu Hackfleisch verarbeit. Würde ein Philosoph Überlegungen anstellen die eine sprechende Archimedische Schraube zum Inhalt habe, und würde er soweit in seinen Überlegungen gehen, dass diese sprechende Archimedische Schraube die Legimitation besäßen, sie sei gleich Gott oder annähernd ähnlich, ich würde als junger Studios der philosophischen Fakultät der von Philosophie soviel versteht wie Professor Proedler vom Ei legen, ich würde gesagt haben, jenem Philosophen brennt gewaltig der Dachstuhl. Wahrscheinlich hat es bei dem griechischen Philosophen Spinoza auch gebrannt. Die Semesterabschlussprüfung habe ich selbstverständlich nicht bestanden, eigentlich wollte ich sie gar nicht bestehen.

    Professor Proedler war einige Tage zu sehen mit einem angeschwollenen roten Hals, einem Truthahn nicht unähnlich. Ich war immer noch der Hoffnung, dass sie mich mit einem Tritt hinaus aus dieser Universität jagen, und ich das Technikum für das Eisenbahnwesen besuchen dürfe. Mein gestrenger Herr Vater, bekam einen gesalzenen Brief von Professor Proedler mit dem Zusatz, dass ich, der missratene Sohn, nur Versuchsweise in das nachfolgende Semester eingetragen werde. Meinem ansonsten sehr gestrenge Herrn Vater, überkamen heftige Lachanfälle, gemeinsam mit meinem Mentor, dem Herrn Professor Sedlinger, beim abendlichen französischen Cognac. Sedlinger, der mich im Privaten im Eisenbahnwesen unterrichtet, fiel mit seiner weibisch schrillen Stimme in das Lachkonzert mit ein. Bariton- und Furiengelächter in Freude vereint. Ich habe meinen Vater noch niemals zuvor weinen gesehen, an diesem Abend ist es geschehen - wenn auch nur aus freudiger Erregung. Es ergossen sich unzählige gesalzene Wassertropfen aus dem Augenwinkel über die Wangen in seinen ergrauten Backenbart und von den Spitzen seines Bartes in die ohnehin sehr dünne Hühnerknochensuppe die wir an jenem Tag, gemeinsam mit dem Freund meines Vaters, Sedlinger, eingenommen haben. Bei meinem Vater gab es nur Hühnerknochensuppe, wenn es denn Hühnersuppe gab. Meine Mutter verwendete für derartige Suppen immer ordentliche Stücke Fleisch darin. Mein Vater war ein rechter Knauser, auch dies ein Grund warum meine Mutter ihn verlassen hatte.

    Meine Semesterabschlussprüfung war in aller Munde. Ich fand es weniger lustig denn immerhin habe ich die Thesen Spinozas für mein Verständnis als Diskussionswürdig empfunden. Es war meinem selbstbewussten Wesen zu verdanken, meiner Ausstrahlung und meiner gelegentlich aufkeimenden Autorität, und meiner angesehenen Stellung bei den Mädchen und Frauen meines Bekanntenkreises, dass ich nicht als das reisende Über-Loch von Wien durch alle Kronländer Österreichs bezeichnet wurde. Dieses Prädikat war fortan Herrn Professor Proedler zuteil geworden. Proedler, das Über-Loch.

    Mein Vater war im Vorstand der Österreichischen Eisenbahn Gesellschaft tätig, im Beruf wie auch im Privaten ein Tyrann, hat er es nie verstanden, warum ihn seine Frau Hella, meine Mutter, eine geborene Stavanger aus Stockholm die Küchenschürze vor die Füße geworfen hat. Vater bestand darauf, dass für meine Mutter nur diese drei „K" zu gelten haben - Küche, Kirche, Kinder.

    Mit der Küche hatte es meine Mutter nicht, denn ihre Familie, die Stavangers aus Schweden, eine uralte einflussreiche und vor Geld stinkende vornehme Sippe hatte schon Personal, als Wallensteins Großvater noch in die Windeln schiss; so jedenfalls drückte sich mein etwas robuster Opa Stavanger oftmals aus wenn es um die Darstellung der Stavangers anderen gegenüber galt. Opa Stavanger erhielt schier einen Schlagfluss als er von meiner Mutter hörte, dass sie Küchenarbeiten zu erledigen habe. Dafür habe man schließlich Personal! Wir hatten es nicht. Mit der Kirche hatte es meine protestantisch erzogene Mutter noch weniger als mit der Küche und am wenigsten mit dem verlogenen katholischen Wiener Klerus. Auch hier hatte mein Opa Stavanger seine eigene Meinung. Für ihn waren alle Pfaffen elende Kuttenpiesler. Ich schäme mich etwas für ihn, zumindest für seine Ausdrucksweise. Mit Kinder? Sie hatte mich, das genügte ihr. Ich war und bin ihr Herzipinkerl, auch wenn sie uns verlassen hat und überwiegend bei ihrer Sippe in Stockholm weilte. Zuweilen machte ich auch Ferien in Stockholm bei meiner Mutter und bei meiner Großmutter, die sich so herrlich über die deftige Ausdrucksweise ihres Mannes amüsieren konnte, und natürlich bei Opa Stavanger, und zuweilen besuchten sie uns auch hier in Wien.

    Dann gab es noch eine Schwester, die ich haben soll, Lisa ihr Name. Lisa entstand aus einer Liaison meines Vaters mit einer Italienerin aus der Lombardei. Sie soll sich etwa in meinem Lebensalter befinden. Ich durfte sie nie kennen lernen. Einmal fragte ich in absoluter Unwissenheit nach Lisa, ich wusste aus einem Streitgespräch meiner Eltern heraus, dass es eine Lisa geben solle, und als folge meiner Frage erhielt ich die erste Backpfeife von meiner Mutter. Ich wusste zwar nicht warum ich eine Maulschelle bekam, doch das war schon in Ordnung, von seiner Mutter gelegentlich eine geschmiert zu bekommen ist halb so schlimm. Mütter machen es auf tausend Weise wieder ungeschehen. Mein Vater hat mir später, nachdem meine Mutter ihn verlassen hatte, von Lisa erzählt. Eines Tages werde ich Lisa besuchen in der Lombardei.

    Wie schon erwähnt, wollte ich nicht die Philosophische Fakultät besuchen und Griechische Philosophie und Alt-Griechische Sprache studieren, sondern Maschinenbau in der Technischen Fakultät. Auf meinen Wunsch gab mir der Freund meines Vaters, Professor Sedlinger, im Privaten verschiedenartige Aufgaben gehörend zum Maschinenbau mit Schwerpunkt zum Eisenbahnwesen. Zu eine dieser Aufgaben zählte die mathematische und statische Berechnung zum Bau einer Eisenbahnbrücke welche als wenig gelungen bezeichnet werden kann. Es war eine Hausarbeit die mir Professor Ferdinand Sedlinger zur Aufgabe gab, und ich fand in meiner Unwissenheit, dass eine mathematische und statische Berechnung zum Bau einer Eisenbahnbrücke nicht unbedingt zu den Aufgaben eines Technikers der Fachrichtung Eisenbahnwesen gehört, dass wäre wohl eher die Aufgabe des edlen Handwerks der Brückenbaukonstrukteure. Dennoch wollte ich beweisen, dass ich es ebenso könne, doch Sedlinger konnte ich nicht überzeugen.

    »Horwarth! Herr Johann von Horwarth!« Immer wenn mich Sedlinger „siezt", bedeutete das nichts Gutes. Er hielt mir mein Machwerk auf wenige Zentimeter genau vor die Nase und ich konnte nur rote Striche erkennen, quer gezogen über mein Opus Dei, nur der liebe Gott war an dem Tag der auferlegten Klausur auf Urlaub zu einer entlegenen Galaxie und konnte mir deshalb nicht behilflich sein.

    Ich bin erst zwanzig Jahre alt und auch ich werde eines Tages die mathematische Erleuchtung erhalten, bestimmt. Eine Eisenbahnbrücke habe ich konstruiert, mit Streben und Auflagen, Pfeiler und Drahtseile und alles was sonst eine Eisenbahnbrücke ausmacht. Sogar bestes Eisen welches in deutschen Landen produziert wurde habe ich in meiner Konstruktion und Berechnung verwendet. Alle Kräfte der Statik habe ich berücksichtigt und mein „Bruckerl" hält, dessen war ich mir sicher. Sogar auftretende Kräfte einer eventuellen entgleisenden Eisenbahn mitten auf meiner Brücke habe ich berechnet, und um dem Werk noch eine individuelle Note zu geben, habe ich eine kleine Taube, sich im Sturzflug befindend eingefügt.

    »Horwarth, was soll die von ihnen gezeichnete Taube über der Eisenbahnbrücke, die im Sturzflug auf dieselbige scheißt?«

    »Herr Professor Sedlinger, man kann nicht alles berechnen, wenn zu allem Elend noch dazu eine Taube auf das Bruckerl scheißt, dann stürzt das Bruckerl ein!« Ich sagte es in tiefster Überzeugung.

    Während seiner Frage, was mein scheißendes Kunstwerk von Taube über der Brücke zu suchen habe, kam sein Gesicht immer näher, so dass ich schon seinen unangenehmen Atem riechen konnte. Ich drücke mich hier etwas vornehm aus bezüglich seiner Ausdünste aus seinem Munde, man könnte es durchaus auch anders genannt haben. Seine Nase kam immer mehr auf mich zu und ich konnte deutlich erkennen, dass die Nasenhaare vollständig die beiden Löcher seiner Nase bedeckten. Es schien mehr ein Drahtverhau als ein Haarbewuchs, und ich bin sicher, dass ein Rotz unmöglich durch dieses Geflecht ins Freie gelangen konnte. Wahrscheinlich rotzte Sedlinger durch die Ohren, oder was wahrscheinlicher ist, es sammelte sich in seinem Hirnskasten und übernahm im Laufe der Jahre die Funktion seines Hirns. Dann sagte er, dass ich das Elend dieses Universums sei. Ich nahm es gelassen zur Kenntnis, denn Sedlinger, mein Mentor und Idiot, ist schon mit sich selbst und seiner Hässlichkeit gestraft genug. Sedlinger liebte mich, dass hatte ich schon oft genug gefühlt, wahrscheinlich träumte er nächtens, dass er ein griechischer Held sei, und ich sein gefügiger Apoll. Für die Rolle des Gefügigen wäre eher mein Freund Kurt Kazmann geeignet obwohl Kazmann nicht so hübsch ist wie ich.

    Man sagt in Wien, dass der Kaiser Ferdinand der Gütige, den Dampf der Eisenbahn besonders bevorzugt, ja, dass er ihn regelrecht einschnüffelt. Das musste ja im Hirnskasten für Verwirrung sorgen und unser Kaiser Gütinand der Fertige soll ja etwas verwirrt sein, sagen die Leute. Als Bub bin ich oft zum Wiener Nordbahnhof gegangen. Die Lokomotiven von Georg Stephenson und Tayleur & Co. haben es mir angetan. Die mir fremde Sprache der englischen Ingenieure hat mich fasziniert, und wo immer es mir ermöglicht wurde, habe ich mich in der Nähe der Engländer aufgehalten. Diese dominante Sprache, die Zielgerichteten Anweisungen an die österreichisch Fachleute und Arbeiter. Ich wollte diesen Beruf eines Ingenieurs für das Eisenbahnwesen erlernen.

    Im Alter von nicht einmal zehn Jahren, ich weiß es noch wie heute, nahm mich mein Vater mit zum Wiener „Kaiser Ferdinand Nordbahnhof". An diesem Tag, es war der 6. Januar 1838, und es war 9Uhr30, da erlebte ich zum ersten Mal wie eine Eisenbahn mit Waggons und Passagieren, den Bahnhof verließ. Von Wien bis nach Krakau solle sie mal fahren, sagte mein Vater. Krakau lag für mich irgendwo am Ende der Welt und damals überlief mich ein Schauer, Gedankens wie groß und stark unser Kaiserreich Österreich ist. Österreich, die europäische Großmacht. Zehn Jahre später erfuhr ich erstmals von staatlicher Zensur gegen schriftstellerisch arbeitenden Menschen, hörte von Prügelstrafen, habe Menschen gesehen, wenn es auch welche waren die den unter privilegierten Unterschichten angehörig waren, die öffentlich an den Pranger gestellt wurden und anschließend mit der Karbatsche gestreichelt, wie es besonders sadistische veranlagte Schergen des Polizeipräsidenten Sedlnitzky zum Ausdruck bringen und die nicht müde werden, öffentlich von ihrem Heilbringenden tun zu berichten. Selbst erlebte polizeiliche Willkür und die Erfahrung, dass es keine Lehr- Lernfreiheit gibt. Keine Zulassung der Frauen an den Fakultäten der Universität. Vom Elend der Erdarbeiter und Erdarbeiterinnen wobei letztere noch schlechter für gleiche Arbeiten entlohnt werden. Ich hörte von Unterdrückungen der Menschen in den Kronländern. Dies alles war mir als kleiner Bub nicht bekannt, damals 1838, behütet in einem repräsentativen großen Haus meiner Eltern in der Paumgartnerpromenade, direkt am Mirabellepark. Menschen in den Kronländern, die nach dem Verständnis absolutistischer Machtfülle von Wien mit Soldatenstiefeln niedergedrückt werden. Dies ist das Großreich Österreich seiner kaiserlichen Hoheit.

    Meine Freunde hielten mich für etwas verrückt, besonders mein Freund Kazmann, dabei war er selbst halbverrückt. Kurt Kazmann, Jude und Mitglied der Akademischen Legion, ausgerechnet er, ein Jude der sich Winters in der katholischen Kirche zum Heiligen Michaelis, die Knochen aufwärmte weil es bei den Katholischen ein paar Grad wärmer war als in seiner Synagoge. Ausgerechnet er hielt mich für verrückt. Kurt Kazmann mein Freund war überzeugter Jude, wenn auch nicht Orthodox verseucht. Er war ebenfalls Student und von einer brillanten Intelligenz heimgesucht – wie bei wohl vielen Juden. Einen Schaden im Gehirn besaß er dennoch, wenn auch von anderer Art. Protestanten wie mich akzeptierte er, denn Protestanten haben im Gegenzug zu den Katholiken kein Fegefeuer; dessen bin ich mir aber nicht so sicher, Kurt Kazmann schon.

    Neulich besuchte er wieder einmal die katholische Kirche zum Heiligen Michaelis, ich auch, der Protestant, und so saßen wir nebeneinander im Gestühle. Einige alte Weiber in schwarzen Kleidern und schwarzen Kopftüchern, Krähen gleich, den Rosenkranz vorwärts und wie es uns schien, konnten sie es auch rückwärts leiern. Gebenedeite, Gebenedeite und noch fünfzig Mal Gebenedeite, und kein einziges Mal haben sie sich versprochen, sagte ich zu Kurt Kazmann. Wenn sich die Gebenedeite bei jedem Gebenedeite auf ihrer Wolke im Himmel einmal um sich herum drehen müsse, dann käme die Gebenedeite Marie aus den Rotationen nicht mehr zum Stillstand, auch das sagte ich zu Kazmann, von dem ich darauf hin gar keine Antwort erhielt. Kazmann hustete stattdessen und seine rote Nase triefte und rotzte und innerlich wird er wohl mit dem Allmächtigen diskutiert haben, der Lieblingsbeschäftigung aller Juden. Ich hatte trotz meiner Ausführungen über den Rosenkranz und der Erwartung einer Antwort von Kurt Kazmann bezüglich meiner Ausführungen ganz andere Sorgen, wie zum Beispiel ich meine Bierrechnung bezahlen sollte, im Gasthaus Zum Hirschen bei der vollbusigen Nanni, ihres Zeichen Chefin des Gasthauses und Chefin ihres Ehegespons, dem Redouten-Schani. Ein brutales Weib, die vollbusige Nanni. Bierzapferin, Wucherin und Rausschmeißerin in eine Person einträchtig vereint. Nanni die personifizierte fleischgewordene Dreifaltigkeit: Im Anfang war ihr Bier dann folgte ihr Wucherzins und über allem schwebte der Rausschmiss aus ihrem Gasthaus.

    Kazmann fragte mich mitten in meinen Überlegungen bezüglich der offenen Rechnungen die ich habe, was ich als Lutheraner in einer katholischen Kirche zu suchen habe, ich gab ihm gar keine Antwort, ich war noch am Rechnen, was zehn Bierkrüge nebst einem Zinssatz von fünfzehn Prozent mich kosten werden, und ob ich das Geld meinem Vater abbetteln soll oder von dem weibischen Professor Sedlinger, meinem Mentor. Sedlinger liebt mich! Eine Antwort habe ich meinem Spezi Kurt Kazmann, gegeben, nämlich ob er als Jude nicht Nasenbluten bekäme, beim Besuch einer katholischen Kirche, wie der Teufel beim Inhalieren von Weihrauch.

    Nach unserem Kirchgang, der nicht wirklich einer war, lud er mich auf ein Bier zum Goldenen Ochsen ein. Zum Bier und einer Ochsenknochensuppe. Leicht angetrunken, es wurden mehr als ein Krug Bier, unterhielten wir uns über die verschiedenen Religionen oder besser, er unterhielt sich darüber. Die Jüdische Religion war seiner Meinung nach die Beste, klar doch, dass ich mit dem Kopf nickte, immerhin zahlte mein Spezi Kurt Kazmann die Rechnung.

    Den zweiten Rang erhielten die Evangelischen, war mir auch recht. Den Letzten Platz belegten die Katholischen, das war mir nach dem dritten Krug Bier eh schon egal. Immerhin, sagte ich zu Kurt, die Kirchen der Katholischen haben dichte Fenster und Türen, bei den Evangelischen zieht es durch alle Ritzen. Wenn’s bei uns Evangelische in der Kirche wenigstens Judenkäppis geben würde, dann würde es uns nicht am Hirnskasten frieren, wenn auch der Anus auf eiskalten Holzbänken gebettet ist. Betrunken meinte Kurt Kazmann, dass er nur zu den Katholischen gehe, weil die Fenster dicht sind, und weil in ihrer Synagoge die Fenster ausgetauscht werden. Die Spendengelder aus Jerusalem für neue Fenster sind aber noch nicht bereitgestellt worden, und kein Jude geht in eine Synagoge mit alten Fenstern, wenn er schon weiß, dass neue Fenster in Aussicht stehen.

    Die Familie Kazmann war sehr wohlhabend, eigentlich reich zu nennen, und mit hohen Einfluss in der Wiener Gesellschaft gesegnet. Unsere Familie, die von Horwarth, war es inzwischen weniger, bedingt der Scheidung meiner Eltern. Unsere Stellung in der Wiener Gesellschaft hat sich ein wenig verändert. Der Vater Kazmann war ein bekannter und geschätzter Bankier in Wien. Er besaß ein kleines und feines Bankhaus, rein äußerlich betrachtet feines Bankhaus, denn ob es innen so fein zuging, entzog sich meiner Kenntnis. Immerhin kann ich soviel sagen, Kurt Kazmann hat es mir erzählt, dass der alte Kazmann eine Geliebte, Hannah Solomon aus St. Pölten unterhält und das im hohen Alter von siebzig Jahren. Esther Kazmann, Ehefrau des alten Kazmann, Wissende von der Geliebten ihres Mannes, und Mutter von Kurt meinem Freund, war eine Alt-Biblische Schönheit, im Alter von nahe vierzig Jahren. So stellte ich mir jedenfalls die Frauen des jüdischen Altertums vor - wie Esther Kazmann. Vielleicht interessiert es sie, wie ich Esther Kazmann kennen gelernt habe? Nicht über ihren Sohn Kurt, meinen Freund, sondern an einem Abend in der Oper. Es gab L'elisir d'amore von Donizetti und irgendein Kreti und Pleti in ein und der gleichen Person hat das Stück über die verstohlene Träne, dieses una furtiva lagrima, gesungen. Kreti-Pleti in Personalunion wurde bestimmt in einem Hühnerstall gezüchtet, so krähte er das Stück rauf und runter, bis dass es mir langweilig wurde. Ich saß im ersten Stock, in einer Loge, Reihe vier, direkt an der Balustrade, mit Blick abwärts, wenn ich denn nach unten sehen wollte, und ich wollte, denn unter mir sah ich die tief ausgeschnittenen Dekolletes der Damen. Man kann natürlich nicht so lange in die tief ausgeschnittenen Dekolletes der Damen schauen, dass verbietet die Etikette. So lehnte ich mich in meinem Gestühle bequem zurück und überlegte, dass es bis heute keinem Wissenschaftlicher gelungen sei, im Weltall die wahre Senkrechte zu bestimmen. Es gibt sie auch nicht hier auf Erden, überlegte ich, denn die Oberfläche der Erde ist ja gekrümmt.

    Kreti-Pleti, krähte noch immer und ich dachte, wenn ich doch jetzt über die Brüstung, Senkrecht nach unten sehe, dann ist das doch eine Senkrechte. Stimmt, überlegte ich, es ist aber nicht die wahre Senkrechte. Ich sah nochmals hinunter, und genau unter mir sah ich Esther Kazmann. Ihren Namen wusste ich damals noch nicht. Senkrecht unter mir – sie - und ich sah ihren tiefen Ausschnitt und die beiden Kurven in ihrem Dekollete, und dazwischen, die wahre Senkrechte, wie ich erfreut feststellte. Ich hatte sie gefunden!

    In der Pause habe ich sie angesprochen, eine Antwort habe ich gar nicht erwartet, denn ich weiß, dies ist nicht die übliche Art um Bekanntschaften zu knüpfen. Ich sagte ihr, dass der Kreti-Pleti in Personalunion wahnsinnig sei und sie, die schöne Geheimnisvolle, die wahre Senkrechte zwischen ihren Kurven im Dekollete besäße. Zu meinem Erstaunen antwortete sie, das Geist und Idiotie sehr eng beieinander liegt, und im Hirnskasten nur durch ein kleines Häutchen getrennt wird, und das bei mir wohl besagtes Häutchen ein kleines Loch aufweise und die Idiotie bei meinem Geist wohl ein Dauerbesucher sei. Was soll man als Mann daraufhin antworten? Nicht viel jedenfalls. Ich empfahl mich höflich mit meinem Namen, wünschte eine schöne Zeit, und versicherte ihr, dass ich noch lange von ihr träumen würde.

    Einige Tage später lud mich mein Freund Kurt Kazmann zum Mokka ein, und da sah ich sie wieder, die Dame die eine wahre Senkrechte zwischen ihren Busen ihr Eigen nennt.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1